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Tod in Hamburg: Brahms ermittelt
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eBook166 Seiten2 Stunden

Tod in Hamburg: Brahms ermittelt

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Über dieses E-Book

Moritz Brahms, Gitarrist und privater Ermittler, findet die Leiche seines Bandkollegen Robert Manley. Schnell wird klar: Robert Manley hatte viele Feinde. Doch wer war sein letzter Gast?
Brahms nimmt die Ermittlungen auf und lässt sich von seiner Spürnase kreuz und quer durch Hamburg führen. Von den grünen Vierlanden bis zum noblen Blankenese, von der szenigen Schanze bis zum schicken Eppendorf – Gunter Gerlach fängt die Atmosphäre und den Charme der Hansestadt exakt ein und lässt seinen Helden und Hundekenner an allen Ecken schnüffeln.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Dez. 2010
ISBN9783831910021
Tod in Hamburg: Brahms ermittelt

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    Buchvorschau

    Tod in Hamburg - Gunter Gerlach

    Meditatio

    1

    Wenn man halb Mensch, halb Hund ist, fallen bestimmte Entscheidungen leicht. Brahms hatte es aufgegeben, Kammerjäger werden zu wollen, und auf seine Visitenkarte geschrieben: Privater Ermittler. Das eine wie das andere hatte seinem Vater die Zornesader auf der Stirn anschwellen lassen. Für ihn war es der erneute Beweis, dass sein Sohn mit dreißig Jahren immer noch nicht wusste, was er wollte. Ein Versager.

    Mit dem vollständigen Instinkt eines Hundes hätte er an diesem Morgen Mord und Mörder vielleicht bereits gespürt. Doch noch saß er im Stau auf der Elbbrücke und drehte an der Klimaanlage seines Wagens. Neben ihm dröhnte ein Basslautsprecher auf vier Rädern. Ein Jugendlicher am Steuer nickte im Takt. Jetzt kurbelte er das Fenster seines alten Wagens herunter. Seine Musik sollte die Welt erobern. Er hängte seinen Arm heraus und klopfte auf das Blech, als wär’s ein Pferd. Das wäre jetzt die Lösung, dachte Brahms, ein Pferd. Er sah durch das Brückengeländer hinab auf die Elbe. Das Wasser ein dunkler Teig. Träge streckte es sich nach Norden, gab dem Verkehr den Takt vor. Darüber erhoben sich die großen eisernen Bögen der alten Konstruktion. Saurierskelette.

    Dreißig Minuten Fahrzeit hatte ihm sein Navigator für die Strecke von Eppendorf bis Vierlande, dem Hamburger Gemüsegarten im Osten, vorgegeben. Das Programm wollte mit der Wirklichkeit des Verkehrs nichts zu tun haben.

    Brahms kam neben einem Mercedes zu stehen. Ein Hund hinter Glas bellte ihn an. Ein Neufundländer. Er brachte die Ungeduld und Wut des Fahrers zum Ausdruck. Beide zu dick, nah am Herzinfarkt. Brahms sah an ihm vorbei und gähnte, um den Hund zu beschwichtigen. Es wirkte. Er senkte den Kopf, kein Bellen mehr, aber er zog die Lefzen hoch, knurrte vermutlich noch. Brahms dachte an die Auseinandersetzung mit seinem Vater. Das Familienunternehmen, der Kaffee-Import und die Großrösterei erwarteten ihn. Er sollte zurückkommen, neben dem Vater die Geschäfte führen. Wie es sich für einen hanseatischen Kaufmannssohn gehörte.

    Er stellte die Lüftung des Wagens höher, öffnete das Seitenfenster einen Spaltbreit. Er überlegte, ob er Robert anrufen sollte, andererseits nahm dieser es mit der Pünktlichkeit auch nicht so genau.

    Die Autoschlange setzte sich langsam wieder in Bewegung. Am Ende der Elbbrücken wurde ein erster Staugrund sichtbar. Ein Kleinwagen lag vor Erschöpfung auf der Seite. Ein zweiter stand zerknittert am Brückengeländer, sprach den Fahrer daneben schuldig.

    Brahms Handy auf dem Beifahrersitz klingelte. Er blickte sich um, ob ihn nicht die Besatzung eines Polizeiwagens beim verbotenen Telefonieren am Steuer beobachtete, dann nahm er den Apparat ans Ohr.

    „Ich bin’s, Caroline", tönte es wie der Anfang eines Liedes.

    „Hallo, was gibt’s denn?"

    „Lutz, du bist doch bei Robert?"

    „Nein, nein, noch nicht. Es sind überall Staus. Wenn es so weitergeht, brauche ich noch eine halbe Stunde."

    „Ach so, noch nicht." Sie machte eine längere Pause, sodass Brahms glaubte, die Verbindung sei unterbrochen.

    „Caroline?"

    „Ja."

    „Was wolltest du?"

    „Na ja. Ich versuche ihn immer anzurufen, aber es schaltet sich nicht einmal seine Mailbox ein. Verstehst du das?"

    „Er muss da sein. Er erwartet mich."

    „Ja, also vielleicht kannst du ihm was ausrichten. Ich glaube, ich hatte versprochen, heute Nachmittag zu ihm raus zu fahren, aber ich schaffe es nicht."

    „Du glaubst ...?"

    „Es ist wegen … es ist wegen Ronny."

    „Gut, ich richte ihm aus, dass du einen anderen hast."

    „Das ist mein Pferd."

    „Ein Pferd?!"

    Sie lachte im Voraus über den kommenden Witz. „Du weißt doch, das große Tier, das immer ein langes Gesicht macht."

    „Okay, ich richte Robert aus, dass du ihm ein Pferd vorziehst."

    „Es ist … weil der Tierarzt kommt."

    „Gegen ein Pferd und einen Tierarzt kommt Robert nicht an."

    Caroline verabschiedete sich. Brahms legte auf. Der Verkehr stand wieder.

    Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd.

    Er beneidete Robert um Caroline. Sie besaß eine spezielle Gestik, mit der sie alle Männer für sich einnahm. Es war, als fände sie ohne Mann keinen Halt, würde schwanken oder sogar umfallen. Wenn Männer und Frauen sich trafen, nach Geschlechtern Gruppen bildeten, saß einzig Caroline unter den Männern. Sie neigte sich deutlich jenen zu, die sie mochte, hängte sich bei ihnen ein, unterstrich Worte, in dem sie den Gesprächspartner unvermittelt berührte, anfasste, festhielt. Es lag nicht die Absicht dahinter, mit dem Berührten eine engere Beziehung einzugehen. Wer das glaubte, stieß schnell an Grenzen. Sie schien als Einzelwesen nicht existieren zu können, so wie ein Baum den Wald zum Schutz vor dem Wind braucht.

    Sie beeindruckte Männer mit ihrem Äußeren. Langes blondes Haar. Ihr tadelloses Gebiss bestand vielleicht aus mehr Zähnen als bei normalen Menschen. Sie war die Tochter eines Zahnarztes aus Blankenese und dessen beste Werbung. Und sie war der Grund für Roberts Trennung von seiner Frau Lara gewesen. Seit sechs oder fast sieben Jahren war sie mit ihm zusammen. Nicht einfach bei einem Mann, der bei Frauen keine Gelegenheit ausließ.

    Ende der Sechzigerjahre war Robert Manley aus London nach Hamburg gekommen. Er wollte hier wie die Beatles Karriere machen. Es reichte nur zur regionalen Größe. Unter den Groupies am Bühnenrand war damals immer wieder Lara, sie wollte Bluessängerin werden, stattdessen wurde sie schwanger. Roberts Sohn Ian wurde geboren. Lara behielt aber ihren Job in der Werbung. Robert gefiel das nicht.

    „Ich wollte Musiker sein, erfolgreich oder arm, hatte er zu Brahms gesagt. „Je mehr Lara verdiente, umso mehr hatte ich das Gefühl, meine Arbeit sei nichts wert.

    „Aber sie ermöglichte euch ein angenehmes Leben."

    „Ich wollte kein angenehmes, ich wollte ein aufregendes Leben."

    Mit 57 Jahren war er immer noch im Musikgeschäft, spielte zusammen mit Brahms in einer Band. Pflückte sich die Mädchen vom Bühnenrand. Und in den letzten Jahren hatte er endlich größeren Erfolg. Er komponierte für andere Sänger. Seine Songs kamen in die Hitparaden. Später Ruhm, aber nur unter Musikern, denn nur sie interessierte, wer der Komponist war. Robert verdiente jetzt genug. Es reichte sogar für ein kleines Häuschen. Nicht vorn in Blankenese, aber auch an der Elbe. In Vierlande, dem Hinterhof Hamburgs.

    Der Basslautsprecher war wieder neben ihm. Brahms betrachtete sich im Rückspiegel. Die Stirn glänzte. Das dunkle Haar war lang und struppig. Nie entschied es sich für eine Richtung, und selbst bei hoher Luftfeuchtigkeit legte es sich nicht. Er hob die Nase ins Spiegelbild. Sie war zu groß, dafür besaß er einen ausgeprägten Geruchsinn wie ein Hund.

    „Die Nase hast du von mir, hatte der Vater gesagt. „Fürs Kaffeegeschäft braucht man vor allem eine Nase.

    Mit dem Erreichen der Autobahnauffahrt erhöhte sich die Geschwindigkeit, obwohl die Wagen immer noch dicht auffuhren. Er schaltete das Radio lauter und drückte auf Suchlauf. Doch die Sender unterschieden sich an diesem Morgen weder durch ihre Gute-Laune-Musik noch durch die aufgesetzte Heiterkeit der Moderatoren. Jedes Lachen eine Lüge im Wettbewerb um die meisten Hörer.

    Brahms stand der Sinn nach schlecht gelaunten Sängern. Er langte nach einer alten Dylan-CD auf dem Rücksitz. Nur aus den Augenwinkeln nahm er gerade noch rechtzeitig das Aufflammen roter Rücklichter wahr. Er umklammerte das Lenkrad, trat mit voller Kraft auf die Bremse und kam mit wenigen Millimetern Abstand hinter seinem Vordermann zum Stehen. Dylan-CD und Handy flogen an ihm vorbei, versammelten sich zu seinen Füßen. Er angelte nach dem Handy, das sich in drei Teile zerlegt hatte.

    Brahms brauchte weitere zehn Minuten bis zum Autobahnkreuz Hamburg-Süd. Er bog ab auf die Autobahn Richtung Lübeck. Sechs Fahrspuren lagen hier unter den Lastwagenschlangen, den Absperrungen und dem Staub der Baustellen verborgen. Der Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Er stellte die Lüftung ab, öffnete das Seitenfenster und spuckte die Baustelle aus. Nächste Abfahrt Moorfleet. Langsam kam das blaue Möbelhaus in Sicht, das nicht nur hier am Autobahndreieck, sondern mit seinen Produkten auch in Brahms Wohnung teilweise strategische Position bezogen hatte.

    Er fuhr von der Autobahn ab und befand sich auf dem Lande. Er atmete tief. Hamburg war plötzlich Dorf. Die Straße führte zwischen Gärtnereien und Gemüsefeldern entlang.

    Entgegen des Navigatorvorschlags nahm er die Straße neben dem neuen Deich. Er kannte die baumlose Strecke als längeren, aber schnelleren Weg. Er gab Gas. Die Wegelagerer mit ihrem Geschwindigkeitsradar standen hier nie. Zu wenig Verkehr, zu wenig Beute. Die Häuser lagen zusammengesunken hinter dem alten Elbdeich. Jahrelang hatten sie sich über ihn hinaus gereckt, aber die Flut stieg immer höher. Ein neuer Deich war gebaut worden, hatte ihnen restlos den Blick auf den Fluss geraubt.

    Vor dem Deich teilte sich der Fluss in Norder- und Süderelbe. Brahms grinste, als er an den Wasserkrieg dachte. Im 19. Jahrhundert hatten die Hamburger mit der Vertiefung der Norderelbe den Harburgern im Süden das Wasser abgegraben. Die Pfeffersäcke leiteten die Binnenschifffahrt einfach in ihren Hafen um. Und je tiefer das Flussbett, umso mehr Geld floss in die Kassen.

    Brahms bog auf den alten Elbdeich ab. Er parkte oberhalb von Roberts Haus, halb auf der Rasenfläche, die vom Deich hinabführte. Jedes Mal, wenn er hier aus dem Auto stieg, überraschte ihn die Stille. Das Rauschen der Stadt eine ferne Brandung. Der verwehte Ton einer Kirchenglocke schlug die halbe Stunde, die er zu spät kam. Eine Fliege traf seine Stirn und öffnete ihm die Ohren für das Summen der Insekten. Wenn er den Kopf auf den Marschboden legte, würde er wahrscheinlich die Regenwürmer bei der Arbeit hören.

    Robert hatte das schiefe Backsteinhaus vor einem halben Jahr von einem pensionierten Kapitän gekauft. Der wollte das Schiff verlassen, bevor es kenterte. Nur das ausgebaute Dachgeschoss ragte noch über den alten Deich.

    Direkt über der Klingel endete einer der Risse im Mauerwerk, als wäre mal der Blitz eingeschlagen. Wie konnte Robert diesen Klingelton ertragen? Eine Melodie von ABBA.

    Im Haus rührte sich nichts. Brahms kannte den Trick mit der Tür, sie hatten schon einige Male mit der Band hier draußen geprobt. Man musste die Tür am Griff heranziehen und dann mit dem Fuß unten dagegen drücken, schon öffnete sie sich.

    „Robert?"

    Er trat in den dunklen engen Flur. Das Haus atmete gedünstetes Gemüse vom Vorabend und feuchtes Leinen der Nacht aus. Hinzu kam ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Parfum. Und da war noch etwas Undefinierbares. Brahms hob die Nase, seine Nackenhärchen stellten sich auf.

    „Robert, bist du da?", bellte er laut, erschrak über seinen Ton. Er zögerte, er wollte ihn nicht mit einem Mädchen im Bett überraschen.

    Brahms räusperte sich, glättete seine Luftröhre und schickte ein gesungenes „Ich bin’s, Brahms" in die Dunkelheit des Hauses. Der Flurspiegel neben ihm zeigte sein Abbild. Ein Zerrspiegel. Die Nase groß voraus, im Gesicht

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