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Der Sumpf des Bösen
Der Sumpf des Bösen
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eBook430 Seiten6 Stunden

Der Sumpf des Bösen

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Über dieses E-Book

Ein Roman für alle, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, dass diabolische Mörder und schlaue Komissare nicht nur in Schweden leben und ein Krimi aus Deutschland weder in Heimatfolklore noch in sozialer Betroffenheit ertrinken muss.
Hart & grausam, romantisch & spannend - diesen Spagat schafft "Der Sumpf des Bösen": Was geschah wirklich in einer Sommernacht vor 20 Jahren? Warum wird ein Mitschüler kurz vor dem geplanten Klassentreffen ermodert? Was weiß seine Witwe, die in Lebensgefahr schwebt? Können all diese Rätsel vor der nächsten Schandtat gelöst werden?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Nov. 2019
ISBN9783750211742
Der Sumpf des Bösen

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    Buchvorschau

    Der Sumpf des Bösen - Pseudonym Fronlacher

    PROLOG

    Es gibt viele Lieder über das Traurigsein, über das Verlassen und Zurückgelassen werden.

    Als erstes kommt einem wohl „Leaving on a jet plane" in den Sinn. Der Refrain hat es selbst in Deutschland zum Gassenhauer gebracht:

    Kiss me and smile for me

    tell me that you wait for me

    hold me like you never let me go

    I'm leaving on a jet plane,

    don't know when I'll be back again.

    Aber egal, ob von John Denver, Peter, Paul & Mary oder von einem der unzähligen anderen Interpreten gesungen: Dieses Lied ist fast zu schön, um traurig zu sein.

    Wer wirklich Weltschmerz fühlen möchte, sollte eher zu Leo Saywers „But I can't stop loving you" greifen. Da wird die Szene bereits in der ersten Textzeile (So you leaving in the morning on the early train) gesetzt, und wenn Leo Saywer dann den Refrain schmettert, kommen einem fast die Tränen.

    Traurigkeit pur bieten Buffalo Springfield in ihrem Song „Out of my mind". Hier möchte man wirklich heulen, weil alles aus und vorbei ist und jede Hoffnung gestorben ist. Aber das bietet letztlich keinen Trost.

    Für den, der einen Menschen unsagbar geliebt hat und von diesem Menschen zurückgelassen worden ist, gibt es nur einen Song, der wirklich ins Mark trifft: „Where are you?" von Cat Stevens. Hier kommt die einzigartige Stimme von Stevens perfekt zur Geltung. Der Sog dieses Liedes ist so stark, dass seine drei Minuten kaum auszuhalten sind. Aber wer durchhält, wird mit einem dreifachen Abgesang belohnt, bei dem Cat Stevens voller Inbrunst und Verzweiflung singt:

    Where are you?

    Where are you?

    Where a-a-are you?

    Wo bist Du, Clarissa?

    TAG 1 Sonntag

    EINS

    Verdammt lang her! Er war seit fünf Jahren nicht mehr da gewesen. Dabei strahlte der Ort eine vollkommene Ruhe aus. Die kleine Kapelle mitten im Wald, daneben der Weg zu der Hütte, in der sie damals viele Feste gefeiert hatten. Er war fast immer dabei gewesen, bis auf das letzte Mal, bis auf die letzte Fete, die in einer Tragödie geendet hatte. Und das war wohl auch der Grund, warum er an jenen Ort, an dem er als Teenager oft Trost gesucht hatte, nur noch ganz selten zurückkehrte. Während er rauchte und nachdachte, spürte er den Regen kaum, der immer stärker wurde.

    Aber trotz der Gelassenheit des Ortes, die mit dem leisen Vogelgezwitscher perfekt harmonierte, spürte er heute eine steigende Unruhe. Nur noch wenige Minuten bis zum vereinbarten Termin an der Bank am Waldrand. Warum ein Treffen nach so vielen Jahren an so einem verwunschenen Ort? Warum die Heimlichtuerei? Gab es wirklich ein Geheimnis, von dem er all die Jahre nichts geahnt hatte?

    Den nächsten Moment würde er sein Leben lang nicht vergessen. Die Vögel hatten offenbar ein besseres Gehör als er. Ihr Singsang stoppte, mit Getöse nahmen sie Reißaus und flogen davon. Dann hörte auch er den Knall. Vor Schreck hätte er fast die Zigarette fallen lassen. Er warf sie achtlos in die nassen Sträucher und rannte zu seinem Auto. Beim Anfahren verwechselte er den 1. Gang und den Rückwärtsgang und hätte fast den Baum vor ihm gerammt. Er fluchte laut, parkte mit quietschenden Reifen aus und gab Vollgas.

    Eine innere Stimme raunte ihm zu; „Du kommst doch eh' zu spät. Sei vorsichtig!" Er wischte den Gedanken beiseite, ging dann aber doch vom Gas. Der Waldweg war schmal und feucht. Wem nutzte es, wenn er im Graben landete oder den Wagen gegen einen Baum fuhr? Endlich wurde der Baumbestand dünner, dann hatte er den Wald hinter sich gelassen. Jetzt noch in zwei großen Kehren hinauf zum höchsten Punkt, dann hatte er den Treffpunkt erreicht.

    Was würde ihn erwarten? Mit höchster Anspannung blickte er voraus. Aber da war nichts – kein Wagen, keine Menschenseele. Er stoppte sein Auto an der kleinen Bank, achtete immerhin darauf, die Handbremse fest anzuziehen, dann stürzte er aus dem Wagen und sprintete zur Böschung.

    Gab es ein Déjà-vu-Erlebnis, obwohl man bei der Premiere nicht dabei gewesen war? So hatte es sich vor 20 Jahren abgespielt: Ein Wagen mit drei Schulkameraden, die als Letzte am frühen Morgen das letzte Abifest verlassen hatten, kam von der Straße ab und stürzte in die steilste Schlucht des Landkreises. Noch bevor das Auto unten aufprallte, fing es Feuer. Später konnten nur noch verkohlte, entstellte Leichen geborgen werden.

    Als er jetzt nach unten blickte, sah er tief unten ein Auto lichterloh brennen. Der Fahrer, der mehr als 12.000 Kilometer zurückgelegt hatte, um an diesen Ort zurückzukehren, hatte sein Geheimnis mit ins Grab genommen.

    ZWEI

    „Fidschi, Du siehst aus wie eine lebendige Leiche, sagte Polizeiinspektor Karl Adam, der den Lokalchef der hiesigen Tageszeitung, Bernhard Fritsch, seit ewigen Zeiten kannte. Der Spruch war nicht witzig gemeint, sondern eher eine Feststellung. „Hier, nimm einen Schluck Kaffee zum Aufwärmen.

    „Kann ich endlich nach Hause fahren?", fragte Fritsch zurück, bibbernd, frierend, verdreckt von oben bis unten. Er hatte mit seinem Handy den Notruf gewählt und war dann die Böschung hinuntergeklettert, hatte sich im nassen Gras überschlagen und stand am Ende ohnmächtig und hilflos vor dem brennenden Wagen.

    Nach 20 Minuten war die erste Polizeistreife zur Stelle, kurz darauf der Notarztwagen und etwas später die Feuerwehr. Bis die Spurensicherung aus Waldham und der Kommissar aus der Kreisstadt Gondorf gekommen waren, verging eine weitere Stunde. Jetzt war der Unfallort – oder war es ein Tatort? – mit einem Polizeiband gesichert, ein provisorisches Zelt diente als Unterschlupf vor dem prasselnden Regen.

    Fritsch hatte den Streifenpolizisten gesagt, was er wusste. Jetzt stand er patschnass im Regen, nur die Digicam lag wohlbehalten und trocken im Rucksack. Zumindest um den Aufmacher für die morgige Ausgabe brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Trotzdem wollte er weg von hier, so schnell wie möglich.

    „Der Kommissar will noch mit Dir sprechen, meinte Adam entschuldigend. „Aber es kann nicht mehr lang dauern.

    Kurz darauf kam tatsächlich Hauptkommissar Kurt Lange, ein kleiner Mann mit schütterem Haar auf sie zu. „Darf ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen, Herr Fritsch?", fragte der Kripochef, mit dem Fritsch bislang kaum zu tun gehabt hatte. Mord und Totschlag waren in Gondorf nicht gerade an der Tagesordnung.

    „Es freut mich ja, dass der zuständige Mann mit der Presse spricht, entgegnete Fritsch mit einem schwachen Lächeln. „Was soll denn der ganze Aufzug: Gehen Sie von Mord aus?

    „Die Fragen stelle ich, werter Lokalchef, entgegnete Lange kurz angebunden. „Sie haben laut Polizeifunk um 8.03 Uhr einen Unfall gemeldet. Was haben Sie denn so früh am Morgen an dieser gottverlassenen Stelle gemacht?

    „Das hab' ich Ihren Kollegen bereits erzählt. Ich hatte am 8 Uhr oben an der Straße eine Verabredung. Weil ich zu früh dran war, hab ich bei der Kapelle im Wald noch eine Zigarette geraucht und plötzlich einen lauten Knall gehört. Dann bin ich sofort hierher gefahren und hab' das brennende Auto in der Schlucht gesehen. Den Rest kennen Sie."

    „Mit wem waren Sie denn verabredet?"

    „Mit meinem alten Schulfreund Hans Schneider, der vor 20 Jahren nach Südamerika ausgewandert ist. Der wollte mich dringend sprechen und hat diesen Treffpunkt vorgeschlagen."

    „Fanden Sie das nicht seltsam?"

    „Doch, aber bei einem Ferngespräch aus Buenos Aires bleibt nicht viel Zeit zum Diskutieren."

    „Und ist Ihr Freund gekommen?"

    „Machen Sie Witze?"

    „Haben Sie irgendetwas gehört oder gesehen, etwa ein anderes Auto, als Sie von der Kapelle zum Unfallort gefahren sind?", hakte Lange nach.

    „Nein, nichts."

    „Und Ihnen ist auch kein Fahrzeug entgegen gekommen?"

    „Ich kann mich nur wiederholen: Ich habe nichts gesehen."

    Lange gab es auf: „Danke, das wär's fürs Erste. Fahren Sie erst mal heim zum Duschen und Umziehen. Ich möchte Sie aber bitten, heute Nachmittag aufs Revier zu kommen."

    „Vor 18 Uhr wird das nicht gehen, ich muss schließlich noch meine Arbeit machen, wandte Fritsch ein. Lange nickte nur. „Ah, Herr Kommissar, noch eine Frage: Wissen Sie, wer im Wagen war?, rief ihm Fritsch nach.

    „Das sage ich Ihnen jetzt nicht als Reporter, sondern als Zeugen, der mit einem alten Bekannten verabredet war, antworte Lange. Und nach einer Kunstpause fuhr er fort: „Wir haben im Wagen eine Leiche gefunden, total verkohlt und entstellt. Unsere Techniker konnten aber wenigstens das Nummernschild des Wagens rekonstruieren. Die Ermittlungen sind bereits angelaufen. Ich gehe davon aus, dass wir sehr bald sagen können, ob es sich bei dem Toten um Hans Schneider handelt.

    Fritsch sagte mehr zu sich selbst: „Hans Schneider und ich waren während der Schulzeit nicht gerade die besten Freunde. Wir hatten die letzten 20 Jahre keinerlei Kontakt. Aber dass jemand so endet, das wünscht man nicht mal seinem schlimmsten Feind."

    Jetzt wollte Lange doch noch etwas wissen: „Haben Sie irgendeine Ahnung, warum Schneider gerade Sie treffen wollte?"

    „Nein, er hat mich nur um eines gebeten: Ich sollte keinem Menschen etwas sagen von dem Treffen. So, aber jetzt muss ich los."

    „Klingt interessant, was sie sagen, rief ihm der Kripochef nach. „Denn wenn es kein Unfall war, dann sind Sie wohl der Hauptverdächtige.

    DREI

    Beim Heimfahren erwachte der journalistische Jagdinstinkt von Fritsch. Was für eine Story, damit konnte er bei seinen Chefs in Waldham punkten und vermutlich auch Texte an die befreundete Boulevardzeitung in München verkaufen. Er sah die Schlagzeilen schon vor sich: „Tragödie wiederholt sich 20 Jahre später."

    Im selben Moment verfluchte er sich für seinen Egoismus. Was er im Laufe der Jahre zu einem Zyniker geworden, der nur noch an sein berufliches Fortkommen und an tolle Schlagzeilen dachte? Immerhin war gerade ein Mensch gestorben, vermutlich jemand, den er persönlich gekannt hatte, mit dem er gemeinsam zur Schule gegangen war. Spürte er keine Trauer?

    Fritsch stellte überrascht fest, dass für dieses Gefühl offenbar kein Platz war. Er spürte vor allem Ärger. Ärger auf sich selbst, weil er zu spät gekommen war. Hätte er den Mord, den Unfall, den Selbstmord verhindern können, wenn er nicht geraucht hätte, wenn er fünf Minuten früher am Treffpunkt gewesen wäre? Dieser Gedanke nagte an ihm. Aber zu seiner Verblüffung spürte er auch leisen Ärger auf Hans Schneider. Hatte dieser ihm die Rolle als billigem Claqueur bei seinem Selbstmord zugedacht? War er nur als Zeuge vorgesehen, der darüber berichten konnte, dass Hans Schneider sich auf melodramatische Weise das Leben genommen hatte?

    Als guter Journalist hatte Fritsch gelernt, Fakten herauszuarbeiten und die richtigen Fragen zu stellen. Die Fakten hatte er schnell durch. Hans Schneider – wer sonst sollte an einem regnerischen Sonntagmorgen an diesen gottverlassenen Ort gekommen sein? – lag tot in seinem Wagen in der Schlucht. Viel wichtiger waren die Fragen: Warum war Schneider nach 20 Jahren zum ersten Mal aus Südamerika zurückgekehrt? War wirklich nur das Klassentreffen, zu dem er ihn eingeladen hatte, der Grund? Warum hatte er ausgerechnet ihn treffen wollen? Und warum lag er jetzt tot in der Schlucht? Wer es ein Unfall, Selbstmord oder Mord?

    Auf der Straße Richtung Kreisstadt ging er die Topographie des Tatorts im Geiste durch. Es gab zwei Wege zu der Stelle, an der der Unfall – oder das Verbrechen – passiert war. Den einen Weg, runter von der Kreisstraße, durch den Wald und an der Kapelle vorbei bis zum höchsten Punkt, an dem der Wald aufhörte, hatte er genommen. Der andere Weg führte durch mehrere Dörfer, das letzte davon Hinkofen, und schließlich durch eine S-Kurve steil hinauf zu der Bank.

    Nachdem er bei der Rauchpause an der Kapelle keine Autos gehört hatte, musste Schneider entweder vor ihm gekommen sein oder den anderen Weg genommen haben. Dafür sprach auch, dass dies die kürzere Strecke von der Autobahn aus war. Auf diesem Weg kam man auf dem Steilstück an einem verlassenen Gehöft vorbei, das vor 20 Jahren noch bewohnt war. Weil dieser Bauernhof aber in einer Senke lag, hatten die Bewohner damals nichts gehört von dem Unfall und hätten auch dieses Mal nichts gehört. Aber es lebte eh niemand mehr auf dem Hof.

    Vor 20 Jahren hatte es viel Geschrei um die Sicherheit auf der „Todesstrecke" gegeben. Man hatte verlangt, die Stecke in der steilen S-Kurve und oben auf dem kleinen Hochplateau durch dicke Leitplanken zu sichern. Fritsch hatte damals die Diskussion genau verfolgt. Schließlich ließ die Polizei sogar durch Studenten eine Verkehrszählung durchführen. 14 Fahrten pro Woche wurden gezählt, an einem Tag waren 4 Autos unterwegs, das war Rekord. An zwei Tagen war überhaupt kein Verkehr. Deshalb beließ es die Polizei dabei, ein großes Gefahrenschild aufzustellen und Tempo 30 rund um die gefährliche S-Kurve zu verhängen.

    Auf der Anhöhe, bevor es die S-Kurve hinunterging, gab es seit 20 Jahren einen kleinen Parkplatz, eine Bank und ein Kreuz. Die Bank und das Kreuz hatten die Eltern der drei tödlich Verunglückten vor 20 Jahren gestiftet. An dieser Stelle hätte das Treffen zwischen Fritsch und Schneider stattfinden sollen,

    Nach dem schrecklichen Unfall wurde die Hütte im Wald für einige Jahre von den Einheimischen gemieden. Für kurze Zeit kam sie dann in der Gothic-Szene in Mode, die dort so eine Art Schwarze Messen feierten. Durch strenge Kontrollen der Polizei wurde den Punks aber der Spaß an diesen Festen genommen.

    Als Fritsch zum 15. Jubiläum eine Geschichte über die damaligen Ereignisse schrieb, hatte er die Hütte durch ein dickes Schloss gesichert vorgefunden. Das Ganze machte einen unbenutzten und leicht verfallenen Eindruck. Daran dürfte sich in den letzten fünf Jahren nichts geändert haben. Als Fritsch all diese Punkte in seinem Kopf durch ging, spürte er plötzlich einen gewaltigen Adrenalinstoß: Alles sprach für Mord – zumindest dieses Mal. Der Anruf bei Clarissa musste wohl noch einen Tag warten.

    VIER

    Eine halbe Stunde später fuhr Kommissar Lange dieselbe Strecke. Er war guter Laune, ihm gefiel, was er sah – hügeliges Land, dünn besiedelt, viel Wald, wenige Verbrechen. Er hatte die Stelle in Gondorf erst vor einem Monat angetreten. Davor hatte er bei der Mordkommission in München gearbeitet, kein leichter Job, bei dem er am Ende zwei Mal in Lebensgefahr geraten war. Außerdem hatte es Ärger mit der internen Aufsicht gegeben, weil er eine junge Drogenabhängige recht hart angefasst hatte. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung war aber schnell fallen gelassen und nicht in seine Akte aufgenommen worden.

    Seine Frau hatte ihm klar gemacht, dass sie die Scheidung einreichen würde, wenn keine entscheidende Veränderung in ihrem Leben eintreten würde. Also hatte er sich für die frei gewordene Stelle als Kripochef in Gondorf beworben und zu seiner Überraschung diesen Posten auch bekommen. Er machte sich aber nichts vor: Die Stelle in der Provinz hatte vermutlich kaum Bewerber angelockt.

    Aber er und seine Frau hatten sich den Ort angesehen. Da gab es ein schmuckes Gymnasium für seine beiden Töchter, die Preise für Häuser und Grundstücke waren ein Scherz im Vergleich zu München. Auch ohne Zulagen kamen sie in Gondorf mit seinem Gehalt deutlich besser zurecht. Und die kriminelle Szene war ebenfalls eher provinziell.

    Pro Jahr passierten im Schnitt 2 bis 3 Morde, in der Regel Raubmorde oder Eifersuchtsdramen, die schnell aufzuklären waren. Die meisten Toten waren im Straßenverkehr zu beklagen. Probleme bereiten die ca. 150 Russlandaussiedler, speziell deren arbeitslose Söhne, und die Bewohner der drei Asylbewerberheime. Die Zahl der schweren Körperverletzungen war in den letzten Jahren deutlich angestiegen, aber auch hier war die Aufklärungsquote hoch. Die Drogenszene spielte sich im Umkreis von zwei, drei Lokalen ab. Wer an harte Sachen rankommen wollte, machte sich auf den Weg nach München. Dazu gab es noch zwei Bordelle und einige Nachtclubs im Landkreis. Die Prostituierten stammten meist aus Tschechien, aber so ganz genau wollte Lange das gar nicht wissen. Solange es in diesem Bereich keine Anzeigen oder ernsthafte Delikte gab, sah er keinen Grund zum Einschreiten oder für Razzien.

    Nein, was er sah, gefiel ihm. Er hatte den Ortsrand von Gondorf erreicht, einer liebenswerten Kleinstadt mit rund 15.000 braven Bürgern. So sah es zumindest bislang aus. Dass der neue Fall Schlagzeilen machte würde, war Lange klar. Und er erkannte seine Chance. Wenn er den Fall aufklären und möglicherweise neues Licht in die Ereignisse von vor über 20 Jahren bringen konnte, würde sein Prestige in der Dienststelle und bei seinen Vorgesetzten gewaltig steigen. Von diesen Lorbeeren könnte er lange zehren. Diese Chance wollte sich Lange nicht entgehen lassen und vor allem keine Fehler machen. Voller Tatendrang sprang er aus dem Wagen und ging energisch Richtung Polizeirevier

    FÜNF

    „Hey Chef, Sie sollen dringend in der Zentrale anrufen. Und überhaupt, wie sehen Sie denn aus?", so begrüßte seine Sekretärin Monika Meier Fritsch in der Redaktion.

    „Die Körperpflege kann warten, machen wir schnell eine Mini-Konferenz in meinem Büro", entgegnete er. Fünf Minuten später warteten die Mitarbeiter des Gondorfer Tagblatts gespannt auf den Bericht ihres manchmal doch recht sonderbaren Chefs. Nachdem sie Tipps von der Feuerwehr und der Polizei über das Unglück bei Hinkofen bekommen hatte, in das der Redaktionsleiter offenbar höchstpersönlich verwickelt war, hatte die Sekretärin die gesamte Mannschaft des Tagblatts in die Redaktion gerufen.

    „Schön, dass Ihr alle da seid. Wir haben einiges zu besprechen. Die ganze erste Seite übernehme ich, so eröffnete Fritsch die Runde. „Bei Hinkofen hat es einen Toten gegeben, der in seinem Auto verbrannt ist. Ob es sich um einen Unfall, um Selbstmord oder Mord handelt, ist noch ungeklärt. Ich habe klasse Fotos von der Geschichte und dann gibt’s da noch den Sidekick mit der Tragödie vor 20 Jahren. Irgendwie könnten die beiden Fälle sogar zusammenhängen. In der Story steckt so viel Brisanz, dass sie auch für die nächsten Tage noch einiges hergibt. Karl, könntest Du meine Termine für diese Woche übernehmen? Susi und Anne sollen Dich dafür bei Deinen Sachen entlasten.

    Karl hieß mit vollem Namen Karl Anderl und war Fritsch' Stellvertreter. Ansonsten gab es in der Redaktion noch Tim Schlachta, der hauptsächlich für Sport zuständig war, sowie jede Menge freie Mitarbeiter und Praktikanten. Zu denen zählten Susi und Anne, die gerade ihr Abitur gemacht hatten und derzeit mit viel Geschick in der Redaktion mithalfen. Die Redaktionssekretärin Monika Meier war ebenfalls in die tägliche Redaktionsarbeit eingebunden, vor allem jetzt, da der Volontär Urlaub hatte.

    „Was für eine Geschichte", seufzte Karl Anderl, der seit mehr als 30 Jahren für das Tagblatt arbeitete und äußerst zuverlässig war. Außerdem war er – was noch wichtiger war – loyal gegenüber seinem deutlichen jüngeren Chef Fritsch. Vor dessen Berufung hatte Anderl kommissarisch einige Zeit die Redaktion geleitet und dabei mitbekommen, wieviel Druck und Ärger die Zentrale in Waldham machen konnte, wenn aus deren Sicht ein Fehler passiert war oder eine Geschichte verschlafen worden war.

    Immer mehr Seiten täglich produzieren mit immer weniger Mitarbeiter – diese Devise des Verlegers war nicht Anderls Sache. Die Rolle als stellvertretender Lokalchef, die zumindest einigermaßen geregelte Arbeitszeiten bot, reichte für seinen Ehrgeiz vollkommen. Er gönnte seinem Chef das Prestige und das höhere Gehalt, die mit einer Vielzahl von Überstunden und zermürbenden Scharmützel mit der Zentralredaktion in Waldham erkauft waren.

    Aber heute hatten die Schnösel in Waldham nichts zu meckern. „Habt's was für uns?", hatten die lieben Kollegen bereits dreimal gefragt. Und bei jedem Anruf hatten sie unfreundlicher geklungen. Gleich würde der Chef zurückrufen und einen Knaller für den überregionalen Teil ankündigen, vermutlich den Aufmacher für den Bayern-Teil samt Meldung auf Seite 1: Mord oder Unfall? – Todesstrecke fordert nach 20 Jahren weiteres Todesopfer!

    „Bleib Du an der Sache dran, ich erledige den Rest, sagte Anderl zu Fritsch. „Ich hab' die Woche eh' nichts besonders vor. Und mit den beiden klasse Nachwuchstalenten Susi und Anne macht die Sache ja richtig Spaß. Bei diesem Lob erröteten die beiden 19-jährigen Praktikantinnen und bekräftigten, dass sie ihrem Chef in den nächsten Tagen gern alle Routinearbeiten abnehmen würden.

    „Danke, Ihr seid ein tolles Team, freute sich Fritsch. „Wenn der Fall geklärt ist, lade ich Euch alle zu einem Arbeits-Abendessen ein. Damit ist alles klar: Karl übernimmt für die nächsten Tage die Leitung der Redaktion, ich bin so eine Art Sonderermittler. Lasst uns an die Arbeit gehen. Ich mache noch einige Anrufe, danach brauche ich zwei Stunden ohne Störungen, um den Aufmacher für morgen zu schreiben. Und danach muss ich noch zum Verhör beim Kripochef.

    Ganz oben auf der Liste von Fritsch standen Anrufe in der Zentrale, die wie erwartet einen großen Bericht für den überregionalen Teil bestellte, und bei der tz in München, die ebenfalls einen Bericht samt 2 Fotos wollte – gegen gutes Honorar versteht sich.

    Danach rief Fritsch bei der Gondorfer Polizei an, um die Version der Kripo zu dem Fall zu erfahren. Die Gespräche mit Georg Grundner, dem offiziellen Sprecher der Polizei im Landkreis, gehörten zur täglichen Routine der Pressearbeit. Grundner gab sich dieses Mal aber recht zugeknöpft. Die offizielle Sprachregelung, Stand Sonntag, 14.30 Uhr, lautete: „Unfall bei Hinkofen mit Todesfolge, Identität des Opfers noch nicht geklärt, Kripo hat Ermittlungen aufgenommen." Etwas anderes hatte Fritsch zu diesem Zeitpunkt auch nicht erwartet.

    Bevor er sich ans Schreiben machte, wollte er noch etwas in privater Sache erledigen. Renate oder Gerti? Beide – Renate Amter und Gerti Grünthaler – waren ehemaligen Schulfreundinnen, mit denen Fritsch eine Freundschaft und ab und an auch mehr pflegte. Das Läuten des Telefons ersparte ihm weitere Überlegungen. „Stimmt das mit dem Unfall in Hinkofen?", frage eine aufgeregte Renate Amter. Die Kunde von dem tragischen Ereignis hatte in Gondorf offenbar schon die Runde gemacht.

    „Ja, und wie es aussieht, saß Hans Schneider in dem Auto, das von der Straße abgekommen und verbrannt ist. Du Renate, hör zu: Ich bin gerade erst in die Redaktion zurückgekommen und hab einen Haufen Arbeit vor mir. Hättest Du Lust, dass wir uns heute Abend im Venezia treffen und die ganze Sache in Ruhe besprechen?"

    „Das ist ja der Hammer. Ja, das mit heute Abend passt mir gut. Ich wollte die Kids eh' zur Oma bringen."

    Bei diesen Worten spürte Fritsch ein leichtes, wohliges Ziehen zwischen den Beinen. Sein letzter Sex war schon eine ganze Weile her. Auch wenn seine alte Schulkameradin die Geschichte mit der Oma ganz geschäftsmäßig erzählt hatte: Sie waren beide keine Kinder mehr, das war zwischen den Zeilen eine versteckte Einladung. Sie würden über den Fall diskutieren, von alten Zeiten reden, gut essen und trinken. Und hinterher hatte Fritsch nicht vor, allein in seinem Bett zu schlafen.

    „Klasse Renate. Ich muss noch um 18 Uhr zur Polizei. Passt Dir 20 Uhr in der Pizzeria?"

    „Geht klar, bis heut Abend", sagte Renate und legte auf. Und Fritsch öffnete gut gelaunt das Redaktionssystem auf seinem PC und haute in die Tasten.

    SECHS

    Kripochef Lange hatte keine Zeit verloren. Nach einem kurzen Gespräch mit Dienststellenleiter Josef Steininger berief er seine wichtigsten Mitarbeiter zu einer Sitzung ein. Neben Lange und Steininger nahmen sein Stellvertreter Johann Hirtreiter, der Kripoinspektor Karl Adam, Georg Grundner, der den Kontakt zu den Medien halten sollte, sowie der Polizeitechniker Timo Manzinger an dem Treffen teil.

    „Bevor ich das Wort an Hauptkommissar Lange übergebe, möchte ich klarstellen, dass dieser Fall bis auf weiteres oberste Priorität genießt, eröffnete Dienststellenleiter Steininger das Treffen. „Für jeden, der an dieser Sitzung teilnimmt gilt, dass alle anderen Fälle abgegeben werden bzw. später behandelt werden. Außerdem gehe ich davon aus, dass wir aus München Verstärkung bekommen und dann eine SOKO Hinkofen bilden werden.

    Kripochef Lange hatte einen Notizzettel, auf dem er die wichtigsten Punkte der Ermittlungen notiert hatte, in seinen Händen. Ganz oben auf der Liste stand mit Großbuchstaben: WER IST DER TOTE?

    Er räusperte sich kurz, dann ergriff er das Wort: „Liebe Kollegen, im Frühstadium einer Ermittlung ist es entscheidend, die Fakten lückenlos zu ermitteln. Für Vermutungen und Hypothesen ist später Zeit. Die wichtigste Frage ist: Wer ist der Tote? Handelt es sich wirklich um Hans Schneider, der nach 20 Jahren nach Gondorf zurückgekehrt ist? Aufgrund des Zustands der Leiche brauchen wir so schnell wie möglich alle Informationen, die uns bei der Identifizierung weiterhelfen können: besondere Merkmale, Operationen, Aufnahmen des Zahnarztes vom Gebiss, etc. Daraus ergibt sich die Frage: Wer könnte sonst das Opfer sein? Gibt es Personen, die im Landkreis Gondorf oder in ganz Bayern als vermisst gemeldet worden sind? Nach den ersten Angaben des Arztes handelt es sich um eine männliche Leiche, eher schlank, ca. 1,80 m groß, im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Zum 1. Punkt, Identifikation der Leiche, noch Fragen oder Anmerkungen?

    Karl Adam hakte ein: „Die Vermisstenliste für Bayern habe ich gerade durchgesehen. Da herrscht Fehlanzeige bis auf drei weibliche Jugendliche, die ja wohl nicht in Frage kommen."

    „Danke, Herr Kollege, kommentierte Lange. „Um nicht wichtige Zeit zu verlieren, sollten wir also bei den Ermittlungen davon ausgehen, dass es sich bei der Leiche um Hans Schneider handelt. Das wirft eine Unmenge von weiteren Fragen auf. Fangen wir mit den Punkten an, die wir abhaken können: Wann ist Hans Schneider in Deutschland angekommen? Ist er vom Zoll / von der Polizei bei der Einreise kontrolliert worden? Was hat er gemacht zwischen seiner Ankunft und Sonntag, 8 Uhr morgens, der ungefähren Tatzeit? Hatte er ein Handy? Hat er mit jemanden gesprochen, hat er jemanden getroffen? Wie ist da der Stand, Kollege Hirtreiter?

    „Ich hab mich gleich nach Ihrem Anruf vom Tatort an die Sache drangesetzt. Nach Auskunft der Lufthansa ist ein Hans Schneider am Samstagabend um 19.35 Uhr am Flughafen München angekommen, mit dem Flug LH 9369 von Buenos Aires nach München. Die Kollegen vom Grenzschutz und vom Zoll haben keine besonderen Vorkommnisse mit den Passagieren dieses Fluges gemeldet. Ich habe die Kollegen am Flughafen aber gebeten, mit den Beamten, die die Personenkontrolle der Passagiere übernommen hatten, zu sprechen, ob ihnen etwas aufgefallen ist.

    Die Anfragen bei den Autovermietungen haben ergeben, dass ein Hans Schneider am Sixt-Stand laut Rechnung von gestern, 20.45 Uhr, einen schwarzen Ford Fiesta für eine Woche gemietet hat. Die Vermietung wurde über die Kreditkarte – einer American Express – von Schneider abgewickelt. Der Wagen war voll aufgetankt. Nach Auskunft des Betreuungspersonals von Sixt hat der Wagen die Sixt-Niederlassung um 21.05 verlassen. Die Angestellten, die am Schalter und bei der Auslieferung mit der betreffenden Person zu tun hatten, haben um 14 Uhr wieder mit ihrem Dienst begonnen."

    „Das mit dem Wagen ist eine wichtige Übereinstimmung. Ich möchte, dass Sie nach Ende der Besprechung sofort zum Münchner Flughafen fahren und mit allen sprechen, die mit Herrn Schneider zu tun hatten", nahm Kripochef Lange den Ball auf. „Ich werde mit meinen alten Kollegen in München sprechen, damit sie Ihnen einen Zeichner zum Lufthansa-Schalter schicken. Wir brauchen ein Phantombild von Schneider. Wenn Sie dieses Bild haben, klappern sie alle Geschäfte im Flughafen ab. Wir dürfen auch die Flugbegleiter und Stewardessen nicht vergessen. Finden Sie heraus, wer auf dem Flug Dienst hatte und bestellen Sie die betreffenden Personen ebenfalls an den Flughafenschalter. Jede Information ist wichtig: Wie wirkte Herr Schneider – traurig, verzweifelt, aufgedreht? Machte er einen lebensmüden Eindruck?

    Kollege Adam, nehmen Sie sich alle Hotels und Pensionen im Umkreis des Flughafens bzw. auf der Strecke nach Gondorf vor. Vielleicht hat Schneider ja die Nacht in einem Bett verbracht und gerade gefrühstückt, als wir ihn tot in der Schlucht vermutet haben. Wir müssen auf jeden Fall lückenlos klären, was Schneider nach seiner Ankunft in Deutschland gemacht hat.

    Nachdem Sie in Gondorf aufgewachsen sind, können Sie uns erzählen, was Sie über Schneider wissen?"

    Adam räusperte sich, blickte auf seine Aufzeichnungen und berichtete, dass Schneider vor 20 Jahren gleich nach dem Abitur nach Paraguay gegangen war, um für ein Jahr an einem Forstprojekt der Kirche mitzuarbeiten. Von diesem Aufenthalt kam Schneider all die Jahre nie zurück. Nach dem freiwilligen Jahr nahm er eine Stelle bei einem großen Forstunternehmen an, dessen Besitzer deutschstämmig war. Das waren die Geschichten, die ehemalige Klassenkameraden von Schneider in Gondorf erzählten. Was Schneider die letzten Jahre gemacht hatte, darüber hatte Adam keine Informationen.

    Lange übernahm wieder: „Aus meiner Kripozeit in München kenne ich einen Kollegen, der für ein Jahr im Austausch in Buenos Aires gearbeitet hat. Diesen spanisch sprechenden Kollegen habe ich gebeten, über die Polizei in Asuncion und wenn nötig mit Hilfe von Interpol Kontakt zu den Angehörigen von Schneider in Paraguay aufzunehmen. Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich Informationen über Schneider bekommen und seine Krankenakte, vor allem die Unterlagen von seinem Zahnarzt. Das könnte bei der Identifizierung unserer Leiche sehr hilfreich sind. Und falls Schneider verheiratet war, dann hoffe ich, dass seine Frau so schnell wie möglich herüberkommt.

    Damit sind wir bei der 2. entscheidenden Frage: Unfall, Selbstmord, Mord? Erste Auskünfte gibt hoffentlich der vorläufige Bericht der Spurensicherung, den wir bis heute Abend bekommen. Noch steht nicht fest, ob es Mord war und ob dieser Mord mit Vorkommnissen in der Vergangenheit zu tun hat.

    Wir dürfen im Frühstadium der Ermittlungen andere Alternativen nicht ausschließen. Eine Möglichkeit wäre, dass die Ehefrau hinter der Tat steckt und deshalb ihrem Mann einen Killer nachgeschickt hat. Es könnte natürlich auch sein, dass Schneider berufliche Probleme hatte. Man hört da ja einiges von so einer Art Holzmafia im südamerikanischen Dschungel. Vielleicht war die Rückkehr nach Deutschland eine Art Flucht. Wichtig ist deshalb, dass wir alle Personen überprüfen, die mit Schneider nach Deutschland geflogen sind. Ich habe dazu Kontakt mit dem Landeskriminalamt aufgenommen und gebeten, dass sie uns unterstützen. Wobei ich die Liste der zu überprüfenden Personen auf ein bis zwei Tage vor der Ankunft Schneiders ausdehnen möchte. Genauso werden der Grenzschutz und das LKA in den nächsten Tagen ein Auge auf Südamerikaner werfen, die Deutschland wieder verlassen wollen – vor allem, wenn sie nur ganz kurz hier waren."

    „Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt, warf Adam ein. „Ein Killer aus der Pampa, der in Hinkofen einen als Unfall getarnten Mord begeht. Lange konterte: „Wenn ein Profikiller am Werk war, dann dürfte er sehr schnell erkannt haben, dass es auf der ganzen Welt kaum einen besseren Ort für einen perfekten Mord gibt als Hinkofen. Aber über den Tatort kann uns Kollege Manzinger mehr sagen."

    „Wer die Stelle kennt, der weiß, dass ein Wagen, der auf der Anhöhe von der Straße abkommt, nicht einfach in die Tiefe stürzt, so der Polizeitechniker. „Nach etwa 15 Meter freiem Fall prallt der Wagen auf einen gewaltigen Felsvorsprung auf. Ganz unabhängig davon, wie schnell der Wagen unterwegs war, dieser Aufprall ist sozusagen für das Auto und die Insassen tödlich. Dabei bricht man sich buchstäblich alle Knochen und der Tank wird in seine Einzelteile verlegt. Bis der Wagen dann unten in der Schlucht ankommt, überschlägt er sich mehrmals und fängt noch im freien Fall zu brennen an.

    „Ist jedem im Raum die Tragweite dieser Worte bewusst?, fragte der Kripochef. „Ob ein Insasse schon tot war, bevor das Feuer ausbrach, oder ob der Tote schwere Verletzungen, die von einem Schlag herrühren könnten, aufweist, beweist in diesem Falle gar nichts. Verletzungen aller Art können mit dem Aufprall des Wagens auf den Felsvorsprung erklärt werden. Wenn ein Toter nicht Schussverletzungen aufweist oder nachweisbar ist, dass er gefesselt war, sind keinerlei stichhaltige Indizien für ein Verbrechen zu erwarten. Um es klar zu sagen: Wer einen perfekten Mord plant, ist an der Bergkuppe in Hinkofen an der richtigen Stelle. Man schlägt das Opfer nieder, setzt es an der Fahrerseite so in das Auto, dass das Lenkrad geradeaus zeigt und blockiert ist, lässt den Wagen an, löst die Handbremse, klettert schnell aus dem Auto, schließt die Tür, gibt dem Wagen noch einen Schubs – und Tschüss...

    „Nach dieser Besprechung fahre ich zurück an den Tatort, sagte Manzinger. „Wir werden Tests mit ein paar Schrottautos machen. Dann können wir hoffentlich genauer sagen, ob es sich um einem Unfall oder ein Verbrechen handelt.

    „Klingt gut, ich wünsche Ihnen viel Erfolg, sagte Kripochef Lange. „Nehmen Sie zwei Streifenbeamte mit, die sollen sich in Hinkofen umhören, ob irgendjemand heute Morgen etwas beobachtet hat. So, ich denke, wir haben das Wichtigste besprochen und die Aufgaben verteilt. Wenn nichts Gravierendes passiert, treffen wir uns morgen früh um 8.30 Uhr wieder. Außerdem verteile ich noch Kopien von dem Polizeibericht über den Unfall vor 20 Jahren an exakt derselben Stelle – wenn es denn ein Unfall war. Lange hatte die Akten intensiv durchgeackert, wollte sich von Fritsch aber dennoch nochmals erzählen lassen, was vor 20 Jahren passiert war.

    SIEBEN

    Fritsch ging recht zufrieden mit sich die paar Schritte zum Polizeirevier. Die morgige Ausgabe des Gondorfer Tagblatts war aus seiner Sicht im Kasten. Seine Aufmachergeschichte würde Tagesgespräch im Ort sein. Auch im überregionalen Teil war er vertreten und für den großen Bericht in der tz hatte er 500 Euro kassiert. Bad news are good news. Mit verbrannten Leichen ließ sich Auflage und Kohle machen. Rein beruflich betrachtet konnte er mit dem Geschehen zufrieden sein. Und jetzt war er gespannt auf das Gespräch mit dem Kripochef.

    Neben den vielen Vereinen ist die Polizei der wichtigste Informant für einen Lokaljournalisten. Deshalb hatte Fritsch von Beginn an auf enge Kooperation und nicht

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