Mittelrheinbrücke: Korruption bis Mord
Von Manuela Lewentz
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Über dieses E-Book
Nur der Tod ist dir gewiss, das Lachen dringt hohl an meine Ohren. Die Walther PPK zeigt auf mich, dann wird es dunkel. Die Zeitungen berichten schon seit Jahren über die geplante Mittelrheinbrücke, ein Plan, der die Gemüter der Menschen am Mittelrhein erhitzt und die Meinungen teilt.
Während die einen nur eine Zukunft mit der Brücke für sich sehen, ruft der Plan zahlreiche Menschen, Umweltorganisationen und politische Akteure, wie die Grünen, auf die Straße, wo sie ihren Unmut kundtun. Erst die letzte Landtagswahl, die neue Koalition, hat die Rheinbrücke wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Ein renommierter Architekt aus Frankfurt ist für die erste Planung verantwortlich. Während Woche um Woche, immer wieder donnerstags, die Gegner der Brücke demonstrieren, geschieht ein Mord. Für einige Menschen ist fraglich, wie es nun weitergehen wird, ob die Mittelrheinbrücke noch gebaut und der Traum vieler Menschen wahr werden kann.
Ein neuer Fall für Jil Augustin
Manuela Lewentz
Manuela Lewentz lebt im Rhein-Lahn-Kreis. Ihre Leidenschaft ist das Schreiben und Eintauchen in ihre Welt der Phantasie.
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Rezensionen für Mittelrheinbrücke
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Buchvorschau
Mittelrheinbrücke - Manuela Lewentz
Inhaltsverzeichnis
20. Mai Minister Jörg Wagner
Freitag, 27. Mai »Ich«
Rückblick: 13. März, Wahlsonntag Jil Augustin, Kommissarin
Freitag, 20. Mai Kai Groß Organisator der Demo gegen die geplante Mittelrheinbrücke
Bürgermeister Otto Berg
Dienstag, 24. Mai Architekt Dr. von Stein
Lisa Maar Sprecherin der Gegner der Brücke
Architekt Arno Sauer
Marianne von Stein Mittwoch, 25. Mai
Doktor Caesar von Stein
Gegen 23.45 Uhr
Klaus Than, Besitzer der Fähre
Kai Groß Gegner der geplanten Rheinbrücke
Donnerstag, 26. Mai am Morgen Otto Berg, Bürgermeister
Innenminister Jörg Wagner Am Donnerstagabend
Doktor von Stein
Minister Jörg Wagner
Lisa Maar
Am nächsten Morgen
Freitag, 27. Mai Kommissarin Jil Augustin
Doktor Caesar von Stein
Freitag, 27. Mai »Ich«
Kommissarin Jil Augustin
»Ich«
Freitag, 27. Mai 16 Uhr Kommissar Schuster
Jil Augustin Kommissarin
Klaus Than Besitzer der Fähre
Kommissar Schuster
Kommissarin Jil Augustin
Lisa Maar
Jil Augustin Kommissarin
Samstag, 28. Mai am Morgen Jil Augustin
»Ich«
Lisa Maar
Jil Augustin
Marianne von Stein
Kommissar Schuster
»Ich«
Sonntag, 29. Mai Jörg Wagner Innenminister
Jil Augustin
Lydia
Marianne von Stein
Jil Augustin
Kai Groß Gegner der Mittelrheinbrücke
»Ich«
Arno Sauer Architekt
Jil Augustin
Montag, 30. Mai Kommissar Schuster
Marianne von Stein
Klaus Than
Jil Augustin
Kai Groß Organisator der Demo gegen die Brücke
Lydia
Arno Sauer Architekt
Dienstag, 31. Mai Marianne von Stein
Kommissarin Jil Augustin
Kommissar Schuster
Jil Augustin
Mittwoch, 01. Juni Bürgermeister Otto Berg
Kommissarin Jil Augustin
Arno Sauer Architekt
Kommissar Schuster
Jil Augustin
Otto Berg
Lisa Maar
»Otto Berg«
Jil Augustin
In den Medien war zu hören und zu lesen, es ist soweit! Die Rheinbrücke wird gebaut werden. Jahre haben die Menschen im Mittelrheintal, je nach Auffassung, verzweifelt für oder gegen den Bau der Brücke gekämpft, ganze Wahlen wurden dadurch beeinflusst. Erst die letzte Landtagswahl hat ermöglicht, das Bauvorhaben wieder auf die Agenda zu bringen. Der neue Landtag hat sich formiert und aus dem Abgeordneten Jörg Wagner ist unser neuer Innenminister geworden.
Jörg Wagner ist zuständig für Polizei, Feuerwehr, Straßen und nun auch für die Mittelrheinbrücke. Gerade diese ist zu einem Hauptthema geworden und steht seit seinem Interview vor zwei Tagen nun noch mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Die Ankündigung, die Mittelrheinbrücke so rasch wie möglich zu bauen und dafür bereits Angebote von Architekten vorliegen sowie die Kostenplanung ins Auge gefasst zu haben, hat wie ein Blitz eingeschlagen. Umweltaktivisten sind seither aufgebracht am Diskutieren, am Demonstrieren. Einige Aktivisten der Gegenseite trafen sich bereits mehrmals, um ihren Unmut kundzutun. Die Gegner der geplanten Brücke marschierten am Rheinufer einiger Ortschaften, besonders viele in Sankt Goarshausen und in Kamp-Bornhofen.
Einer der Hauptaktionisten ist Kai Groß, 45 Jahre alt, Besitzer einer kleinen Gärtnerei in Kamp-Bornhofen. Bereits vor der Landtagswahl 2011 fing Kai Groß mit seiner Demo gegen die Mittelrheinbrücke an. In den vergangenen Jahren hat er seine Pläne zielstrebig verfolgt.
Vor der Wahl im März 2016 sah man ihn jeden Samstag am Rheinufer stehen, mit Plakaten, einem Stehtisch und dem inzwischen bekannten Gemüts-Tee, den er gerne ausschenkt. Sein Versuch, im Vorfeld die Menschen zum bewussten Wählen seiner Partei zu motivieren, immer in der Hoffnung die Brücke zu verhindern, ist in der Region bekannt. Kai Groß ist kein Mann mit leisen Tönen, im Gegenteil, er versucht mit allen Mitteln sich Gehör zu verschaffen. Allein am letzten Donnerstag sind mehr als 112 Demonstranten in dem kleinen Dorf am Mittelrhein auf die Straße gegangen. Mit Plakaten ausgerüstet, einige mit Sonnenblumen in der Hand, marschierten sie am Rheinufer entlang bis nach Kestert. Die kleine Demonstration verlief ruhig, so die Mitteilung der Polizei. Bürgermeister Otto Berg, erst seit rund zwölf Monaten im Amt, musste die kleine Demonstration dulden. Obgleich ihm dies, als vehementem Befürworter der Rheinbrücke, schwerfiel.
Kai Groß ruft die Aktivisten auf, auch am kommenden Donnerstag wieder zu demonstrieren. »Wir müssen die Politiker wachrütteln, den Menschen vor Augen halten, was sie mit unserer Umwelt vorhaben!«, so seine Worte, die er laut in ein Mikrofon spricht. Applaus erklingt, Sonnenblumen ranken in die Höhe, die Masse scheint zufrieden zu sein. Bevor man sich trennt, lässt Kai Groß noch ein Foto machen, die örtliche Presse ist dankbar für das Spektakel. Nach etlichen Berichten über nicht wirklich aussagekräftige Themen ist jetzt wieder Salz in der Suppe.
20. Mai Minister Jörg Wagner
Mein Tagesablauf ist neu für mich. Seit ich Minister bin, füllt sich mein Kalender mehr und mehr, freie Zeit für mein Hobby, das Joggen, fehlt. Ich möchte mich rasch in die neuen Aufgabenfelder einarbeiten, mein Ziel, die Mittelrheinbrücke zu bauen, will ich forcieren und werde damit den Menschen der ganzen Region einen Aufschwung bringen. Während des Wahlkampfes habe ich gespürt, wie sehr die Menschen sich die Brücke wünschen. Viele der Argumente, die ich Abend für Abend hörte, waren mir bekannt. Auch ich habe oft darunter leiden müssen, nicht die Kontakte zu Freunden zu pflegen, die auf der anderen Seite des Rheins leben. Einen Umweg von 50 bis über 80 km nimmt niemand mal so eben in Kauf. Jeder Termin, jede Einladung wird ohne Rheinbrücke genau abgewogen. Lohnt es sich, den Stress auf sich zu nehmen? Solche und ähnliche Fragen standen von Anfang an in meinem Kopf. Natürlich nutze ich auch die Fähre, bin froh darüber, durch sie wenigstens über Tag beweglich zu sein. Mobil möchte ich dieses Angebot nicht nennen. Immer und immer wieder ärgere ich mich, wenn ich an der Haltestelle der Fähre ankomme und diese gerade ablegt. Geflucht habe ich deswegen des Öfteren, sicherlich nicht als Einziger. Die 12 bis 18 Minuten, die ich auf diese Weise bisher verloren habe, unnütz in meinem Auto sitzen und nur die Fähre beobachten konnte, lassen sich rasch auf Stunden, über die Jahre hinweg zu Tagen, summieren. Nutzlos wurde hier Zeit verloren, die kostbar und anders einzusetzen gewesen wäre.
Mit der Mittelrheinbrücke kommt die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit. Niemand muss mehr an Geld für die Überfahrt denken, niemand verliert Zeit durch unnützes Warten. Einmal ist es mit tatsächlich passiert, ohne Geld auf der Fähre zu stehen. Es war ein Tag, der sich zum Wiederholen nicht eignet. Ich hatte Stress auf der Arbeit, meine damalige Freundin hatte am Tag zuvor mit mir Schluss gemacht, mein Kopf war voll mit Sorgen.
Das für den Bau der Brücke ausgesuchte Architekturbüro hat einen grandiosen Ruf, weltweit waren die Mitarbeiter im Einsatz. Mir wurde versichert, der Auftrag für die neue Mittelrheinbrücke sei in den besten Händen. Mein Bauchgefühl war von Anfang an positiv, die Gespräche haben meinen Eindruck bestätigt, den ich schon beim Lesen der Referenzen erhalten hatte.
Nervig finde ich die Demos, die regelmäßig von Kai Groß organisiert werden. Bereits im Wahlkampf versuchte er polemisch, mich anzugreifen, kam zu Veranstaltungen und dachte, mit seiner Art zu punkten, mich aus dem Rennen zu bringen. Eigentlich, so denke ich mir, ist der Mann ein armes Würstchen. Seine Gärtnerei soll nicht mehr gut laufen, auch daran ist er selbst schuld, da bin ich sicher. Ich hege auch kein Interesse mehr an dem Einkauf bei ihm. Statt dem gewünschten Blumenstrauß kommt eine Belehrung, oft mit lauten Worten untermalt, das muss ich mir nicht antun.
Trotzdem will und kann ich den Mann nicht unterschätzen. Immerhin gelingt es ihm Woche um Woche, Menschen dazu zu mobilisieren, auf die Straße zu gehen. Böse Stimmen sagen, denen geht es nur um ein Happening, doch ganz einfach so sehe ich die Demonstrationen nicht. Plakate werden regelmäßig neu gestaltet, dahinter steckt Arbeit und eine gewisse Organisation.
Seit meinem Interview, der offiziellen Ankündigung, die Planungen rund um die Mittelrheinbrücke zu forcieren, steht mein Telefon nicht mehr still. Mein Wunsch, alles soll ruhig verlaufen, scheint nicht in Erfüllung zu gehen. Die Anzeichen, die ich erkennen darf und muss, verheißen nichts Gutes, das macht mir Kummer.
Freitag, 27. Mai »Ich«
Seit einigen Tagen ist die Vergangenheit für mich wieder präsent. Ich fange an, unruhig und fahrig zu agieren, mein Handeln ist nicht mehr durchdacht, somit schleichen sich Fehler ein. Alles, was die Menschen der Region gerade beschäftigt, hat mit der geplanten Mittelrheinbrücke zu tun. Die Zeitung ist täglich voll mit Kommentaren, Artikeln und Fotos. Mich beschäftigt das Projekt ebenfalls, wenn auch auf eine ganz tiefe, innere und eigene Erfahrung beruhend.
Hass ist kein gutes Gefühl. Ich spüre jedoch, dass der Hass in mir die Überhand gewinnt und ich das, was ich dachte, verdrängt zu haben, nicht vergessen kann. Bilder sind vor meinen Augen, die zeigen, dass ich handeln muss. Ja! Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass ich etwas tun muss, auch der Überzeugung, dass ich töten darf. Wenngleich mir der Schweiß bei dem Gedanken daran auf die Stirn kommt. Es gibt den Spruch: Der Krug kommt solange zum Brunnen bis er bricht. Mit der Seele ist es so ähnlich. Meine Seele hat vor langer Zeit Risse erhalten, die nicht heilen wollten, deren Wunden noch schmerzen und mir immer wieder vor Augen führen, was ich vergessen, verdrängen wollte. Meine Vergangenheit!
Mein Leben ist es, das ich schützen möchte. Viel zu lange habe ich gelitten, heimlich, ganz einsam und so, dass die anderen Menschen nicht mitbekommen konnten, was ich empfinde, wie sehr ich leide. Viel zu viele Träume sind gefüllt mit Blut. Ich wache morgens auf, bin aufgewühlt, verschwitzt, fühle mich, als hätte ich nicht für eine Minute meine Augen zu gehabt.
Bei meinem Anblick im Spiegel sehe ich einen Menschen, der sich entfalten muss, aus seinem Kokon heraus will, um endlich aufzublühen, zu leben. In diesen Minuten lege ich meine Walther PPK in meine Hände.
Die Waffe liegt dann schwer und doch so leicht in meinen Händen. Oft, ja, sehr oft schon, habe ich sie in meinen Händen gehalten, sie fühlt sich gut an. Je öfter ich die Waffe in meiner Hand habe, umso vertrauter ist der Ablauf. Heute ist jedoch noch die Schießscheibe mein Ziel. Ich bin gut, richtig gut bin ich geworden. Das Ziel wird schon bald ein anderes sein, eines, das ich treffen werde, mitten in das kalte Herz. Ein Datum bin ich am Suchen, eines, das die Menschen sich merken können. Mein Handeln soll in Erinnerung bleiben. Ich will und muss mich auf einmalige Art und Weise verankern in den Köpfen der Menschen vor Ort. Wenn ich ehrlich in mich hinein höre, meine innersten Wünsche nach Rache erkenne, fühle ich oft zweierlei Empfindungen. Die eine Seite, die mir die Rache erlaubt, mich glauben lässt, dadurch frei und stark zu sein, dann wieder kriecht auf der anderen Seite die Angst in mich, der Schweiß bricht aus beim Gedanken, zu schwach für dieses Leben zu sein. Ich muss es ertragen, den Schweiß zu spüren, der kalt über meine Stirn läuft, sich seinen Weg sucht.
Wer hat jemals gefragt, wie ich mich fühle? Meine Versuche, einen einzigen Namen zu finden, sie scheiterten. Niemand war für mich da! Auf eine offene Tür warte ich noch heute. Launig gehe ich durch den Raum, in meiner Hand noch immer die Walther PPK.
Wieso komme ich nicht zur Ruhe? Warum kann ich nicht einfach so weiterleben, nach vorn schauen und meine Aufgaben erledigen? Anderen Menschen gelingt dies doch auch. Sie streifen am Abend mit ihrer Kleidung die Sorgen ab, legen sich hin und schlafen.
Erneut blicke ich auf die Waffe in meiner Hand. Die Walther PPK, ein handliches Modell, eine gute Waffe. Wird sie mir die innere Freiheit geben? Mein Handy klingelt, ich schiele auf die Nummer, die mir seit vielen Jahren bekannt ist, unvermittelt bin ich wieder in der Gegenwart.
Die Waffe lege ich fort, lasse sie jedoch in Reichweite ruhen, als Sicherheit für mich selbst. Meine Stimme klingt ganz normal, als ich das Telefonat annehme, routiniert antworte ich, obgleich mein Blick immer noch auf der Walther PPK ruht.
Ist es Fügung? Der Anruf? Die Verabredung? Mein Gang zur Toilette zollt meiner plötzlichen Nervosität, ebenso mein Durchfall. Beim Waschen meiner Hände blicke ich in den Spiegel, lächele mich an, siegessicher! Mit leichtem Schritt verlasse ich mein Haus. Meine rechte Hand umklammert die Walther PPK, die in der Tasche meines Sommermantels liegt. Ist der Tag der Abrechnung doch schon gekommen? Die Waffe zu fühlen, hilft mir meinen Entschluss zu festigen. Mit jedem weiteren Schritt gehe ich ihm entgegen, dem Menschen, der mir so wehgetan und mich gedemütigt hat. Ist es ein Weg in die Hölle? Kommen Mörder in die Hölle?
Meine Gedanken weichen ab in meine Kindheit. Ich sehe mich in der Grundschule sitzen beim Religionsunterricht. Ein Schauer läuft mir über meinen Rücken. Kurz bleibe ich stehen, atme tief ein und aus, umklammere noch fester die Walther PPK und gehe weiter. »Vergebung«, flüstere ich vor mich hin.
Als ich ihn sehe, spüre ich wieder diesen Druck in meinem Bauch, blinzele mit meinen Augen, blicke mich nervös um. Auch seine Hände sind nicht leer, was genau er festhält, kann ich noch nicht erkennen. Meine Schritte werden schwerer, jeder Schritt fühlt sich beklemmend an.
»Ich habe schon gewartet!«, ruft er mir launig entgegen. Ja, genauso ein arrogantes Verhalten habe ich vermutet. Nur eine Minute habe ich mich verspätet, mein Durchfall nahm mir die Zeit, das jedoch geht ihn nichts an. Sein anschließender Blick auf seine Armbanduhr, deren Gold in der Sonne glänzt, passt ebenfalls. Kurz bleibe ich stehen und beobachte ihn. Beim Weitergehen sind meine Füße leicht, mein Gang beschwingt, ich grinse, in meiner rechten Hand liegt immer noch die Walther PPK. Die nächsten Worte, die er mir entgegen schreit, polternd und mit Hohn in den Augen, bringen mein Blut in Wallung. Ein Versuch, ihn von seiner Idee und Drohung abzubringen, scheitert. Von mir gibt es nur noch Verachtung. Das Gefühl, vernichtet zu werden, in sich einzusacken, keine Kraft mehr zu verspüren, um aufzustehen. Ich musste sie erleben, diese Zeit, und ich habe mir geschworen, so tief sinke ich nie wieder.
Meine Hand reagiert ganz automatisch, wie von fremder Feder gelenkt. Ich handele und doch fühle ich mich, als stünde ich neben mir, bin nur der Regisseur, nicht der Handelnde. Beim Anblick der Walther PPK in meiner Hand erlischt sein Lachen. Panik macht sich breit, seine Augen zucken, stammelnde Worte kommen aus seinem Mund. Habe ich noch gedacht und gehofft, es seien Worte der Entschuldigung, der Erklärung für sein Verhalten, so habe ich mich getäuscht.
Rückblick: 13. März, Wahlsonntag Jil Augustin, Kommissarin
Der heutige Sonntag ist seit langer Zeit ein freier Tag für mich. Die letzten Wochen waren anstrengend, es gab immer wieder kleinere Delikte, die bis zu ihrer Aufklärung Zeit gekostet haben. Eine Reihe von Einbrüchen konnte nun endlich geklärt und somit gestoppt werden. Die Menschen waren schon in großer Aufregung. Gestern am Abend bin ich mit dem festen Vorsatz, endlich einmal auszuschlafen, in mein Bett gegangen. Mein Handy hatte ich in alter Gewohnheit auf meinen Nachttisch gelegt, was mir nun zum Verhängnis wird. Gegen acht Uhr werde ich unsanft vom Klingelton geweckt, denke schon, die Kollegen können doch mal einen Tag auf mich verzichten. »Was ist passiert?«, melde ich mich und darf unvermittelt die fröhliche Stimme meiner Mutter hören. »Guten Morgen, Jil, ich hoffe, mein Anruf hat dich nicht geweckt?«
Meine Mutter, ich soll sie bitte nur Lydia nennen, das klinge jünger und moderner, erzählt, sie bereitet gerade eine neue Vernissage vor. »Bitte nicht schon wieder eine Ausstellung, die ausschließlich Aktbilder zeigt«, betone ich launig. Lydia lacht meine Sorgen weg. »Komm bitte zu mir und hilf mir, die Bilder in das Rathaus zu bringen!«, höre ich Mutter ins Telefon trällern. »Wir können dann auch gleich gemeinsam ins Wahlbüro gehen«, legt Mutter den Hörer auf. Das Telefonat ist damit beendet. Dieses Verhalten passt zu ihr, genau wie der Wunsch, von der eigenen Tochter beim Vornamen angesprochen zu werden. Mutter ist so unkonventionell, so frei in ihrem Handeln, im Umgang mit Worten, wie ich es leider nie sein werde. Alles an ihr ist auffallend, schillernd. Eine Frau in ihrem Alter, so dachte ich noch bis vor wenigen Jahren, muss sich zurückhaltend kleiden, die Haare, wenn überhaupt, dezent färben. Meine Mutter hält sich an keine Vorschriften, lebt ihre Vorstellungen von einem individuellen Leben aus. Inzwischen, das muss ich mir lächelnd eingestehen, bin ich wirklich stolz auf sie, obgleich ich mich zurückhalte, ihr das zu sagen. Meine große Angst ist, dass dies Motivation für sie sein könnte, noch mehr über den Tellerrand zu blicken. Noch einmal schaue ich auf meinen Wecker, inzwischen ist es viertel nach acht. Beim Verlassen meines Bettes ist mein erstes Ziel die Kaffeemaschine, anschließend eile ich unter die Dusche.
Mutter steht schon wartend in ihrem Flur, als ich bei ihr ankomme. Sie wirkt wie der Frühling in ihrem langen Leinenkleid mit Blumenmuster. Dagegen wirke ich mit meinem Strickpulli und den Leggings wie ein Landei.
Bürgermeister Otto Berg, so berichtet Mutter mir mit fröhlicher Stimme, wird die Laudatio bei der Vernissage halten. Mein Schmunzeln kann ich nicht verbergen. Alleine die Vorstellung, dieser doch eher unscheinbare Mann spricht über meine Mutter, ihre Kunst, die Bilder, lassen mich am Gelingen zweifeln. Was auch immer Lydia in Richtung Kunst in die Finger nimmt, es ist bisher nicht ohne die nötige und gewollte Aufmerksamkeit ausgegangen.
Meine Gedanken wandern zurück zu ihrer letzten Vernissage in der Bank. Damals kam Manfred Luck, als Vertreter der hiesigen Presse, hinzu. Wir beide waren lange ein Paar mit vielen Höhen und Tiefen. Augenblicke und Momente aus dieser Zeit kommen in meinen Sinn und zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Es liegt in der Natur der Menschen, mit Abstand nur das Schöne noch zu sehen, wenngleich ich mich nicht für naiv halte. Für mich, so will ich es mir einreden, ist es besser so, dass Manfred weg ist.
Aus den Augen aus dem Sinn, wenn das mal so leicht wäre. Männer, denen ich bisher näher kam, lieben es, anschließend das Weite zu suchen. Mein Kollege Hermann Josef Metzger hat sich ebenfalls nach der gescheiterten Beziehung mit mir versetzen lassen. Er arbeitet inzwischen in Karlsruhe. Tief in meinem Herzen weiß ich, es ist besser so. Auch mit ihm war das Leben nicht immer leicht und unbeschwert. Wer weiß, was das Leben noch an Überraschungen für mich bereithält. Es kann nur besser werden, ist mein neues Lebensmotto.
Mutter nimmt mich mit in ihr Atelier, etliche Bilder stehen an die Wände gelehnt und warten darauf, von uns ins Rathaus transportiert zu werden. »Anschließend gehen wir ins Wahlbüro, du hast doch deine Wahlberechtigung dabei?«, sieht Mutter mich skeptisch an. »Das heute ist eine sehr wichtige Wahl. Jede Stimme zählt. Ich erinnere dich an die geplante Brücke!«
Die Mittelrheinbrücke war in den Medien das Hauptthema in den letzten Wochen. Meine Mutter, das ist für mich zunächst kurios gewesen, hat sich vehement für den Bau der Brücke eingesetzt. »Wenn wir heute Abend genügend Stimmen haben, dann wird gefeiert«, ihre Wangen glühen, als ich gemeinsam mit Mutter die Bilder in ihren Wagen lade. Im Flur stehen ebenfalls Bilder für die geplante Vernissage. Ich frage mich, ob sie tatsächlich vorhat, alle mitzunehmen. Dieses Vorhaben scheitert jedoch schnell an der Größe ihres Wagens. Wir bekommen zunächst nur vier Bilder unter. »Dann müssen wir noch ein paar Mal hin- und herfahren«, seufzt Mutter, lächelt jedoch unvermittelt wieder. Etwas später tragen wir die ersten Bilder unter den Augen etlicher Menschen, die ins Wahlbüro gehen, ins Rathaus. Auch das ist typisch für meine Mutter. Dieses Vorhaben auf Montag zu verschieben, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie liebt es, im Mittelpunkt zu sein. Wenigstens müssen wir die Bilder nicht selbst aufhängen, dürfen alle vorsichtig an die Wand lehnen. Der Rest wird am Montag vom Bauhof erledigt.
Vor dem Wahlbüro zieht Lydia mich zur Seite, will mir noch sagen, wen ich wählen muss. »Ich bin aber schon erwachsen«, lasse ich sie lachend stehen, öffne die Tür und wähle in freier und geheimer Art und Weise.
»Wir sehen uns am Abend«, eilen wir vor dem Rathaus auseinander. Ich blicke Mutter noch kurz nach, lächele über ihr Verhalten, dann überquere ich die Straße. Mir ist nach einem kurzen Spaziergang am Rheinufer. Warum, so frage ich mich, habe ich nicht daran gedacht, meine Joggingschuhe anzuziehen? Heute wäre der ideale Tag für mein Hobby. Einen kurzen Moment überlege ich, nach Hause zu eilen, um mich umzuziehen, dann aber fällt mir mein Schreibtisch ein, der dringend geordnet werden muss, es ist bereits Mittag. Unachtsam habe ich in den letzten Tagen Kontoauszüge, Rechnungen und Werbepost gestapelt.
Tief Luft holend verweile ich einen Moment am Rheinufer und gehe einige Schritte, die mir guttun.
Mit Lydia bin ich fünf Mal hin- und hergefahren, um alle Bilder zu holen. Die ausgewählten Bilder, die wir ins Rathaus gebracht haben, sind geschmackvoll. Mutter hat ein Händchen für Farben, sinniere ich auf dem Rückweg.
Wieder zu Hause angekommen, sortiere ich Papiere und meine liegengebliebene Post, vergesse darüber die Zeit. Mutters Anruf kommt gegen 19 Uhr. Sie jubelt und bittet mich hörbar aufgekratzt, zu ihr zu kommen, um mit ihr auf das Wahlergebnis anzustoßen. Zunächst finde ich die Idee, mit meiner Mutter auf der Couch zu sitzen, Champagner zu schlürfen und den vermeintlichen Wahlsieg zu feiern, verrückt. Lydia kann ich aber in ihrer Freude nichts entgegensetzen und verspreche zu kommen. Ihren Wunsch, ich solle mich hübsch machen, nehme ich kommentarlos auf. Tatsächlich streife ich ein frisches Shirt vor dem Verlassen meiner Wohnung über, ziehe meinen blauen Blazer an, den ich letzte Woche erst gekauft habe. Den Lippenstift habe ich schon in der Hand, lege ihn aber wieder zur Seite. Für ein Treffen mit meiner Mutter muss ich nicht das ganz große Programm wählen, so mein innerer Impuls.
Mutter, so stelle ich vor ihrem Haus erstaunt fest, hat nicht nur mich eingeladen. Das Haus ist hell erleuchtet, Stimmen klingen bis auf