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Peter Riehl - Ein Leben für Schriesheim
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eBook787 Seiten14 Stunden

Peter Riehl - Ein Leben für Schriesheim

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Über dieses E-Book

Peter Riehl, Jahrgang 1942, ist ohne Zweifel eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Kurpfalz. Von 1974 bis 2006 regierte er die Weinstadt Schriesheim an der Badischen Berg­straße und war mit diesen 32 Amtsjahren der mit Abstand dienstälteste Bürgermeister in der Metropolregion Rhein-Neckar. In dieser Zeit hat er seine Heimatgemeinde entscheidend geprägt.

Das vorliegende Buch beschreibt wohlwollend, aber nicht unkritisch, diesen Weg Schriesheims vom Dorf zur Stadt, die großen kommunalpolitischen Entwicklungen und die schlagzeilenträchtigen Ereignisse, aber auch deren Hintergründe sowie den Menschen dahinter: einen Mann mit Ecken und Kanten, mit Stärken und mit Schwächen.



Der Autor

Verfasser des Werkes ist der Journalist und Historiker Konstantin Groß, Jahrgang 1964. Seit nahezu zwei Jahrzehnten begleitet der gebürtige Mannheimer das Leben Schriesheims journalistisch und publizistisch aus nächster Nähe vor Ort.

Das vorliegende Werk, mit dem der Autor eine lange Reihe lokal- und regionalhistorischer Veröffentlichungen fortsetzt, gestattet daher einen instruktiven Einblick in Geschichte und Gegenwart einer der schönsten und lebendigsten Städte der Region, die im Jahre 2014 den 1250. Jahrestag ihrer erstmaligen urkundlichen Erwähnung feiert.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Waldkirch
Erscheinungsdatum19. Mai 2014
ISBN9783864766244
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    Buchvorschau

    Peter Riehl - Ein Leben für Schriesheim - Konstantin Groß

    Schriesheim.

    Werdegang Peter Riehls bis zum Amtsantritt als Bürgermeister

    Das Elternhaus

    Die Biographie eines Menschen, auch eines prominenten, muss mit seiner Mutter beginnen. Auch wenn der Vater an dem Vorgang seiner Menschwerdung bekanntermaßen nicht ganz unbeteiligt ist, so bleibt doch die Mutter diejenige Person, die dem zu Beschreibenden sein Leben schenkt, nachdem es zuvor neun Monate in ihr gewachsen ist. Dies begründet eine ganz einzigartige Beziehung, die das gesamte Leben über anhält.

    Peter Riehls Mutter war Johanna Anna Katharina Gärtner, genannt Hanna. Geboren wurde sie am 18. Juni 1911 in dem Dorf Steinklingen, später ein Ortsteil von Oberflockenbach und dieses wiederum seit 1972 ein Stadtteil von Weinheim. Auch ihre Eltern (also Peter Riehls Großeltern) wurden bereits in Steinklingen geboren, ihre Mutter Sofie am 5. März 1879. Am 7. März 1907 heiratete Sofie in Oberflockenbach Peter Gärtner, geboren am 15. April 1883. Ihre Mutter war bei der Heirat also 28 Jahre alt, ihr Vater 24. Als ihre Tochter Hanna auf die Welt kam, war Sofie Gärtner bereits 32 Jahre alt – dies nicht nur verhältnismäßig alt für jene Zeit, sondern damals auch gesundheitlich nicht ohne Risiko.

    Die Familie wohnte in Wünschmichelbach in einem Haus, in dem ein Gasthof bestand, der von der Familie Schmitt betrieben wurde. Der Gasthof hatte den Namen „Zur Linde" – eine kuriose Duplizität, wenn man bedenkt, welche Bedeutung eine andere Gaststätte dieses Namens in Schriesheim für die junge Hanna später einmal haben sollte.

    Als Beruf des Vaters geben die Urkunden Fabrikarbeiter an, was überrascht, da so tief im Odenwald damals wie heute keine Fabriken existierten. Doch die Fabrik, in der Peter Gärtner arbeitete, war die Firma Freudenberg in Weinheim. Täglich, und dies auch samstags, musste er die 15 Kilometer dorthin und auch wieder zurück zu Fuß zurücklegen. Aber damit hatte er es noch besser getroffen als diejenigen Odenwälder, die in Mannheim beschäftigt waren und auch dorthin zu Fuß gehen und zu diesem Zweck bereits frühmorgens um drei Uhr aufstehen mussten.

    Hanna Gärtner verließ diesen Geborgenheit, aber auch viel Armut bietenden Lebensraum bereits in jungen Jahren. Damals, es muss Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts gewesen sein und sie selbst so um die 20, hatten junge Frauen wie sie in solch wirtschaftlich strukturschwachen Gegenden nur dann die Chance auf einen auskömmlichen Lebensunterhalt, wenn sie in größeren Gemeinden „in Stellung" gingen, also in privaten Haushalten, in landwirtschaftlichen Betrieben oder in Gaststätten eine Arbeit fanden – oder einen Ehepartner, der sie versorgte.

    Auf diese Weise verschlug es die junge Hanna Gärtner Anfang der dreißiger Jahre in die „Linde", das Gasthaus in der Talstraße, die damals noch Neue Anlage hieß. Hier fand sie eine Arbeitsstelle, hier war Hanna „Mädchen für alles": Sie kochte und sie bediente, sie wusch das Geschirr ab und sie putzte die Räume. Es war eine schwere körperliche Arbeit und eine Tätigkeit nahezu rund um die Uhr. Da traf es sich gut – oder schlecht, wie man will -, dass sie in diesem Hause auch wohnte¹. Da die „Linde" der Lebensmittelpunkt der Mutter und in den ersten Jahren auch der ihres Sohnes war, müssen wir uns an dieser Stelle etwas näher mit dieser Gaststätte und ihren Eigentümern befassen.

    Die „Linde" gehörte dem Ehepaar Hollenweger, dessen Tochter Elsa am 19. Januar 1935 den acht Jahre älteren Fritz Urban heiratete, Ortsgruppenleiter der NSDAP und seit dem Machtwechsel 1933 Bürgermeister der Gemeinde Schriesheim. Die Urbans, in die Elsa Hollenweger einheiratete, waren eine traditionsreiche Schriesheimer Familie². Ende des 17. Jahrhunderts waren sie aus Nußloch nach Schriesheim eingewandert. Einer von Fritz Urbans Vorfahren, sein Großvater Nikolaus, amtierte bereits von 1895 bis 1914 als Bürgermeister und gilt heute allgemein als einer der erfolgreichen in diesem Amt.

    Fritz Urban selbst³ wurde 1903 als Sohn des Landwirts Peter Urban und dessen Frau Margarete, geborene Forschner, geboren. Nach Besuch der Volksschule absolvierte er eine Lehre als Blechner und Installateur in der Firma von Fritz Brunn in Schriesheim und besuchte die Gewerbeschule in Heidelberg. Doch obwohl er seine Ausbildung mit der Gesellenprüfung abschloss, übte er seinen Beruf nur kurze Zeit aus: Nach dem Tode des älteren Bruders, der in der elterlichen Landwirtschaft tätig war, musste er an dessen Stelle treten.

    Der wirtschaftliche Niedergang nach der Weltwirtschaftskrise von 1929, der vor allem das bäuerliche Kleinbürgertum heimsuchte, führte Fritz Urban wie viele Angehörige dieser Schicht in die Arme politischer Kräfte, die für die kritische Lage mit den Juden einen Sündenbock zu präsentieren verstanden und eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft versprachen. Am 1. August 1930 wurde Urban⁴ Mitglied der NSDAP und am 1. September 1931 Ortsgruppenleiter. Als im März 1933 im Zuge des reichsweiten Umschwungs auch in Schriesheim der sozialdemokratische Bürgermeister Georg Rufer abgesetzt wurde, wurde Urban sein Nachfolger. Das Lokal seiner Frau, die „Linde", war nun das politische Machtzentrum des Ortes. Hier wurde in den dreißiger und der ersten Hälfte der vierziger Jahre bestimmt, was in Schriesheim geschah.

    Einer der Stammgäste in der „Linde" war ein enger Freund Urbans: Peter Riehls Vater Theodor Riehl⁵.

    Der Vater

    Geboren wurde Theodor Riehl am 1. Februar 1904. Seine Mutter Eva, geborene Wolf, Jahrgang 1873, hatte am 12. April 1894 seinen Vater Georg Riehl (II.), Jahrgang 1868, geheiratet. Jener Georg Riehl, Landwirt von Beruf, betrieb lange Zeit ein Fuhrgeschäft, das damals den – heute würde man sagen – „öffentlichen Personen-Nahverkehr" zwischen Schriesheim und Ladenburg betrieb; er starb jedoch bereits im Jahre 1921, als sein Sohn Theodor 17 Jahre alt war. Seither lebte Theodor Riehl mit seiner verwitweten Mutter im elterlichen Haus in der Herrengasse mit der damaligen Hausnummer 210 – auch noch, als er seine spätere Frau kennenlernte und fast 30 Jahre alt war.

    Eine sensationelle Erkenntnis, die bislang niemandem in Schriesheim, auch nicht den beiden Betroffenen, bekannt war und erst durch die Nachforschungen für dieses Buch ans Tageslicht gebracht wurde: Über seinen Vater ist Peter Riehl auch mit seinem Nachfolger Hansjörg Höfer verwandt. Ein Vorfahre von Hansjörg Höfer, der Bäckermeister Gabriel Höfer (1812-1891), der im Jahre 1838 den Familienbetrieb „Bäckerei Höfer" ins Leben gerufen hatte, war der Vater von Sofie Höfer (1842-1925), die am 11. August 1864 Georg Riehl (I.) heiratete - den Ur-Großvater von Peter Riehl⁶.

    Theodor Riehl hatte zwei Geschwister: seinen zehn Jahre älteren Bruder Georg, geboren 1894, sowie seine ältere Schwester Marie, geboren 1896; Peter Riehl hatte also einen Onkel und eine Tante. Über den 1947 verstorbenen Georg Riehl wurde in der Familie jedoch weder von Theodor Riehl noch von dessen Schwester Marie jemals gesprochen⁷; Peter Riehl glaubt sich lediglich erinnern zu können, einmal mitbekommen zu haben, dass er „zuletzt in einem Heim lebte und starb"⁸. Seine Schwester Marie wohnte nach dem frühen Tode ihres Mannes 1944 zurückgezogen in Heidelberg⁹.

    Organigramm der NSDAP-Ortsgruppe Schriesheim. Untere Reihe Mitte: Theodor Riehl.

    Theodor Riehls Mitgliedskarte in der NSDAP von 1930.

    Eintrag von Theodor Riehl in der NSDAP-Gaukartei Baden.

    Von 1910 bis 1918 besuchte Theodor Riehl die Volksschule, also die heutige Strahlenberger Grundschule, 1918 ging er in der Evangelischen Stadtkirche von Schriesheim zur Konfirmation¹⁰. Von Mai 1918 bis August 1921 machte er eine kaufmännische Lehre bei der Metallwarenfabrik Heidelberg mit gleichzeitigem Besuch der Handelsschule. Von 1921 bis 1928 hatte er verschiedene Stellen in der Privatwirtschaft inne, oftmals nicht länger als ein Jahr. Das zweite Halbjahr 1928 über war er arbeitslos, bevor er vom Oktober 1928 bis August 1930 in der Talmühle Grünig arbeitete. Von 1930 bis 1934 war er als Kaufmännischer Angestellter am Pädagogikum in Heidelberg-Neuenheim tätig.

    Über das Privatleben Theodor Riehls in jener Zeit ist wenig überliefert. Bekannt ist lediglich, dass er aktiver Sänger war und als solcher seit dem Jahre 1925 Mitglied im Gesangverein Liederkranz 1841, in dem sich - im Gegensatz zur katholischen Lyra – die protestantischen und deutsch-national gesonnenen Schriesheimer zusammenfanden.

    Seit dem 1. April 1930 war Theodor Riehl Mitglied der NSDAP¹¹. Von seinem Naturell her keine Führerpersönlichkeit, war er eher der klassische Mann im Hintergrund¹². So war er auch niemals Ortsgruppenleiter der NSDAP Schriesheim, wohl aber – laut einem Dokument der NSDAP-Kreisleitung Mannheim¹³ - deren „Politischer Leiter und damit keineswegs weniger einflussreich oder – unbequemer formuliert – verantwortlich, für das, was in jenen Jahren in Schriesheim geschah. Aufgabe der Politischen Leiter war nämlich die ideologische Überwachung und die weltanschauliche Schulung der Parteimitglieder¹⁴, sie sollten „Prediger und Soldat sein. Die Gesamtheit der Politischen Leiter, die etwa 700.000 Personen umfasste, wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg als „verbrecherische Organisation" eingestuft¹⁵.

    Auf Grund seines Einflusses in der Partei war Theodor Riehl einer derjenigen, die dafür sorgten, dass sein Freund Fritz Urban am 1. September 1931 Ortsgruppenleiter wurde. Urban sollte sich dafür erkenntlich zeigen, als er in Folge der Machtergreifung 1933 in Schriesheim an die Schaltstelle der Gemeinde trat und Bürgermeister wurde. Durch Verfügung Urbans vom 10. März 1935 wurde Theodor Riehl mit Wirkung vom 1. Mai 1935 als Kanzleibeamter¹⁶ eingestellt und damit Nachfolger des Ratsschreiber-Gehilfen Hans Pressel, der zwar parteilos war, aber wegen kritischer Äußerungen über die NSDAP von Urban am 18. Januar 1934 entlassen worden war¹⁷.

    Am 22. Juli 1935 schließlich wurde Riehl von Urban sogar als Nachfolger des Ratsschreibers Albrecht berufen und damit in das Beamtenverhältnis gesetzt¹⁸. Theodor Riehl hatte bis ans Ende seines Lebens, auch und vor allem gegenüber seinem Sohn¹⁹, die Version aufrecht erhalten, er sei bereits vor der Machtergreifung 1933 in sein Amt bei der Gemeinde gekommen. Dies wird jedoch durch alle verfügbaren Dokumente, auch durch von ihm selbst ausgefüllte Fragebögen und von ihm selbst verfasste Lebensläufe, eindeutig widerlegt. Die Frage, wann er ins Amt kam, ist also völlig unstrittig. Die Frage jedoch, wie und warum Theodor Riehl in sein Amt kam, war in den fünfziger Jahren Gegenstand einer umfangreichen gerichtlichen Auseinandersetzung und einer kommunalpolitischen Debatte, die an anderer Stelle dieses Buches behandelt werden soll.

    Wie eng die Freundschaft zwischen Theodor Riehl und Fritz Urban war, zeigt die Tatsache, dass Urban zwei Mal versuchte, Riehl zu seinem Beigeordneten zu machen²⁰. Nach der nationalsozialistischen „Deutschen Gemeindeordnung" von 1935 wurden Beigeordnete nämlich nicht mehr vom Gemeinderat gewählt, sondern vom Bürgermeister ausgewählt, dem Kreisleiter der NSDAP vorgeschlagen und dann vom Bezirksamt offiziell ernannt.

    Doch der Landrat widersetzte sich beide Male diesem Ansinnen Urbans mit der formalen Begründung, ein Gemeindebeamter könne nicht gleichzeitig Beigeordneter sein. Ungeachtet erheblichen politischen Drucks war der Landrat auch nicht bereit, von den Ausnahmemöglichkeiten, die das Gesetz durchaus vorsah, Gebrauch zu machen. Zu jener Zeit – nur zwei Jahre nach der Machtergreifung – hatte die traditionsverbundene und noch lange Zeit rechtstreue badische Verwaltung offensichtlich noch die Kraft, die ordnungsgemäße Administration nicht zu Gunsten der Partei über den Haufen zu werfen.

    Nach dem Scheitern dieses Projektes versuchte Urban, seinem Freund Riehl auf andere Weise etwas Gutes zu tun. Am 29. November 1937 ernannte er ihn erneut zum Beamten, diesmal rückwirkend - jedoch nicht rückwirkend zu seiner tatsächlichen Anstellung am 1. Mai 1934, sondern rückwirkend zum 1. Mai 1930²¹, seinem Eintritt in die NSDAP. Das bedeutet, dass ihm seine bloße Mitgliedschaft in der Partei bereits als Dienstzeit in der öffentlichen Verwaltung angerechnet werden sollte, er auf Grund dieser höheren Anzahl an Dienstjahren auch eine höhere Besoldung erhalten sollte – 5 a statt 5 b. Dies bedeutete ein monatliches Gehalt von 236 Reichsmark und acht Pfennigen²². Was uns heute unwirklich, ja skandalös erscheint, war damals allerdings geltendes Recht; demnach konnte die Dauer der NSDAP-Mitgliedschaft von Beamten, sofern deren Beginn vor ihrer Anstellung im Verwaltungsdienst lag, bei der Berechnung ihrer beruflichen Dienstzeit einbezogen werden – eine Regelung, mit der das Regime den sogenannten „alten Kämpfern", also Parteimitgliedern von vor 1933, etwas Gutes tun wollte.

    Doch wieder war es der Landrat, der diesem Verfahren einen Riegel vorzuschieben suchte; seine Ablehnung machte er an dem Fehlen entsprechender Belege fest und schrieb daher dem Bürgermeister: „Die Festsetzung des Besoldungsalters kann nur an Hand der Dienstakten – Personalakten – nachgeprüft werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Zugehörigkeit zur Partei in den Dienstakten einwandfrei durch Bescheinigungen, Urkunden und beglaubigte Abschriften solcher nachgewiesen ist."²³

    Doch mit dem Nachweis für den Parteieintritt Theodor Riehls gab es Probleme; offensichtlich war die Mitgliederkartei der Schriesheimer Ortsgruppe anfangs nicht sauber genug geführt worden. Daher wurde sogar die Kreisleitung der NSDAP in Mannheim eingeschaltet, um die Rechtsauffassung des Schriesheimer Ortsgruppenleiters und Bürgermeisters zu bestätigen. Der Kreisleiter schrieb: „Dem Parteigenossen Theodor Riehl, Schriesheim, Mitgl. Nr. 231545 wird bescheinigt, dass er am 1. April 1930 in die NSDAP eingetreten ist und heute als politischer Leiter Dienst versieht. Die Voraussetzung zur Erhöhung der Dienstzeit ist gegeben."²⁴

    Gleichwohl, der Landrat gab sich immer noch nicht geschlagen. Den 1. Mai 1930 als Dienstbeginn akzeptierte er noch immer nicht, sondern ließ – quasi als Zugeständnis - lediglich das darauffolgende Jahr, also den 1. Mai 1931, gelten. Nach zehnjährigem Hin und Her verfügte er am 2. Dezember 1941: „In die Besoldungsausrechnung ist als das jetzt geltende Besoldungsalter der 1. Mai 1931 einzutragen."²⁵ Es ist erstaunlich, womit sich die NS-Bürokratie beschäftigte, während Hunderttausende junger Deutscher im russischen Winter kauerten und Amerika gerade in den Krieg eintrat.

    Die Heirat der Eltern

    Wie und wann genau Theodor Riehl und Hanna Gärtner sich kennenlernten und sich näherkamen, das ist nicht bekannt. Für seine Freunde jedenfalls war das Zustandekommen dieser Verbindung eine Überraschung. „Wir hatten gar nicht mehr damit gerechnet, dass er noch eine abbekommt", formuliert Theodor Riehls Freund Peter Hartmann in der ihm eigenen Offenheit²⁶. Jedenfalls war Theodor Riehl bereits 36 und seine Hanna immerhin 29 – für damalige Verhältnisse ein fortgeschrittenes Alter für frischvermählte Paare -, als am 19. Oktober 1940 die Hochzeit stattfand.

    Peter Riehl als Säugling.

    Im Strampelanzug.

    Als kleiner Junge.

    Diese Trauung war jedoch lediglich eine standesamtliche, vorgenommen durch Bürgermeister Fritz Urban, den Chef sowohl des Gemahls als auch der Braut. Eine kirchliche Zeremonie fand nicht statt - dem Atheismus jener Zeit entsprechend. Anders als sein Freund Fritz Urban, der 1937 „wegen Entfremdung" aus der evangelischen Kirche austrat²⁷, hat Theodor Riehl diesen radikalen Schnitt jedoch niemals vollzogen²⁸.

    Das frischvermählte Paar nahm seinen Wohnsitz zunächst im so genannten „Parteihaus in der Friedrichstraße 22. „Parteihaus hieß das Gebäude, weil es der Gemeinde gehörte, und diese gehörte, wenn man so will - wie der gesamte Staat - der Partei. Es ist daher sicher nicht falsch anzunehmen, dass es Fritz Urban war, der seinem Freund und dessen Braut diese Räumlichkeiten verschafft hat.

    Vom „Parteihaus" zog das Paar später in die Passein und danach in die Alfred-Herbst-Straße – in das erste Obergeschoss eines Hauses, das der Familie Becker gehörte. Es war eine kleine Wohnung mit Wohnküche, Schlafzimmer und Toilette. Aber sie verfügte immerhin über einen Balkon, auf dem die Lebensmittel gelagert werden konnten – Kühlschränke gab es damals ja noch nicht. Die Wohnung hatte elektrisches Licht, aber geheizt wurde mit Briketts und Holz. Von der Enge in dieser nur 40 Quadratmeter zählenden Wohnung mag zeugen, dass, wenn vor Weihnachten der Christbaum aufgestellt wurde, der Gang zum Balkon versperrt war. Erst später entspannte sich die Situation, als die Familie ins Erdgeschoss umzog und dadurch ein weiteres Zimmer hinzu kam.

    Ende des Jahres 1941 hatte sich die Lage in dem 1939 vom Zaune gebrochenen Kriege für Deutschland derart negativ verändert, dass sich ihre Folgen an der Heimatfront und auch im beschaulichen Schriesheim immer stärker bemerkbar machten. Auch die älteren Jahrgänge wurden nun eingezogen, am Morgen des 19. Mai 1942 musste Theodor Riehl Richtung Frankreich einrücken. Er war damals immerhin bereits 38 Jahre alt.

    Geburt und Kindheit

    Theodor Riehl rückte sicherlich in den Krieg ein mit Gefühlen, die noch zwiespältiger waren, als sie dies bei jedem anderen an die Front Abkommandierten ohnehin schon wären. Denn seine Frau erwartete ein Kind, jeden Moment konnte sie niederkommen, wenige Stunden nach Theodor Riehls Abreise war es dann auch in der Tat wirklich so weit: Im Krankenhaus in der Heidelberger Schlossstraße²⁹ brachte Hanna Riehl, damals 31 Jahre alt, am 20. Mai 1942 um 0.02 Uhr mit Hilfe der Hebamme Emma Grammelspacher³⁰ einen gesunden Jungen zur Welt.

    Der Säugling erhielt die Vornamen Karl Peter - warum, das kann sich Peter Riehl nicht erklären; allerdings gab es einen Großvater, der den Vornamen Peter getragen hatte. Als Rufname ist bereits in der Geburtsurkunde³¹ durch Unterstreichen „Peter" gekennzeichnet. Die einzige Erklärung könnte sein, dass diese Namensnennung in Anlehnung an Theodor Riehls engen Freund Peter Hartmann erfolgte; doch dies hält Peter Riehl für unwahrscheinlich; so tief sei die Freundschaft der beiden Männer nun auch wieder nicht gegangen.

    In dem aus Anlass der Eheschließung seiner Eltern angelegten Stammbuch der jungen Familie Riehl kommt in der darin enthaltenen Liste „Vornamen deutschen oder germanischen Ursprungs der Name „Peter allerdings nicht vor; er ist lediglich in der zweiten Liste „Vornamen fremden Ursprungs" aufgeführt. Und das hat seinen Grund: Der aus dem Altgriechischen stammende Name Peter bedeutet Fels. Durch das im Neuen Testament, Matthäus 16, 18 überlieferte Jesus-Wort „Du bist der Fels, auf dem ich meine Gemeinde errichte", erhielt dieser Name eine christlich-religiöse Bedeutung. Christi Nachfolger in der Führung der Jünger wurde denn auch ein Mann namens Simon Petrus. Wie Jesus, so war auch Petrus Jude. Petrus/Peter ist mithin ein Name, der in historischem Zusammenhang mit dem Judentum steht. Es gab daher keinen einzigen führenden Nationalsozialisten, der den Namen Peter getragen hätte.

    Wir wissen nicht, ob Theodor Riehl dieser Zusammenhang bekannt oder bewusst war. Fest steht, dass er für seinen Sohn einen Namen gewählt hat, der auch für ihn erkennbar - anders als Adolf oder Hermann - nicht zu den Favoriten des Regimes zählte. Im persönlichen Bereich erlaubte sich also auch ein überzeugter Nationalsozialist wie Theodor Riehl ein kleines Stück unabhängiges Denken und Entscheiden. Allerdings kompensierte er diesen „Ausrutscher, in dem er dem „Peter den altgermanischen „Karl" voranstellte, dessen auf den ersten Blick überraschende Auswahl sich damit erklären würde.

    Auf eine Taufe verzichteten die Eltern. Auf den ersten Blick könnte man dies neben der nicht-kirchlichen Eheschließung als weiteren Tribut an den damals herrschenden Atheismus interpretieren; doch Peter Riehl hat dafür eine ganz andere, rein praktische Erklärung: Der Vater sei an der Front und damit für eine solche Zeremonie nicht verfügbar gewesen³².

    Sicher ist, dass die Gedanken seiner Frau, also Peter Riehls Mutter - sofern sie angesichts ihrer schweren körperlichen Arbeit überhaupt die Zeit fand, solche zu entwickeln - bei ihrem Mann waren, der an der Westfront Dienst tat, auch wenn das Kriegsgeschehen dort - zumindest anfangs - nicht so dramatisch verlief wie an der gefürchteten Ostfront, die Theodor Riehl erspart blieb, von der aber auch in Schriesheim täglich Schreckensnachrichten eintrafen.

    Ihre Sorge um ihren Mann war sicher umso größer, als nur zwei Monate nach Theodor Riehls Einrücken der Front-Tod auch in der eigenen Familie einschlug. Bei Theodor Riehls Schwester Marie und ihrem Mann Theodor Deubert ging eines Tages ein Feldpostbrief der Nummer 13 550 mit Datum vom 23. Juli 1942 ein, in dem es hieß³³: „Als Schwadronchef Ihres Sohnes, des Schützen Theo Deubert, muss ich Ihnen heute mitteilen, dass Ihr Sohn am 20. Juli bei einem Angriff westlich des Donez den Heldentod für Führer und Großdeutschland gestorben ist."

    Es folgte die Information, dass er direkt auf dem Gefechtsfeld an der Straße von Donez nach Schachty, 15 Kilometer westlich von Donez bei Kryensky, beigesetzt worden sei („haben wir ihm die letzten militärischen Ehren erwiesen"), sowie der Standardtext, der in jenen Monaten zehntausendfach verschickt wurde: „Er war stets ein guter Soldat und hat bis zuletzt seine hohe Pflicht erfüllt. In der Schwadron werden wir sein Andenken immer in Ehren halten" - schwülstige Rhetorik, die nicht zu verbergen vermochte, dass dieses Regime für seinen Wahn von der Weltherrschaft einen gerade mal 19-Jährigen und mit ihm seine gesamte Generation in einem sinnlosen verbrecherischen Krieg am anderen Ende des Kontinents geopfert hatte.

    An diese ersten Jahre seines Lebens hat Peter Riehl naturgemäß keinerlei Erinnerungen. Anzunehmen ist jedoch, dass auch er - wie viele Kinder von Inhabern oder Bediensteten von Gaststätten – einen Großteil seiner Kindheit in der Gaststätte selbst verbracht hat; Kinderkrippen waren damals weder vorhanden noch finanzierbar, Peter Riehls Kindekrippe war der Schankraum der „Linde. Aus Erzählungen weiß er, dass er den Einmarsch der Amerikaner Ende März 1945 in der Tat mit seiner Mutter in der „Linde erlebt hat.

    Für Schriesheim war der Krieg damit vorbei, doch für die junge Familie Riehl nicht. Denn noch immer war der Vater nicht zuhause, sondern in Kriegsgefangenschaft, wie sich später herausstellte, in französischer. Es sollte bis 1948 dauern, bis Theodor Riehl zurückkehrte. Bis dahin musste die junge Mutter sich und ihren dreijährigen Sohn alleine durchbringen.

    Peter Riehls Neffe Theo, gefallen 1942 mit 19 Jahren.

    Wehrpass von Theodor Riehl.

    Peter Riehl (vorne) mit Tilde und Karl Urban, den Kindern von Fritz Urban, im Hof des Gasthauses „Zur Linde".

    Im Sommer 1945 kam Peter Riehl in den Kindergarten, der übrigens erst kurz zuvor, am Dienstag nach Pfingsten 1945, wieder eröffnet worden war³⁴. Damit war er Angehöriger des ersten Jahrgangs, der in dieser Einrichtung betreut wurde – in einem neuen Geiste.

    Denn im Jahre 1938³⁵ war die damals so genannte Kleinkinderschule in der Römerstraße den Diakonissen unter Leitung von Schwester Babette Jäck entzogen und der NSV (National-Sozialistische Volkswohlfahrt) übertragen worden. Die „braunen Schwestern", wie sie in Schriesheim genannt wurden³⁶, übernahmen fortan die Erziehung, die nicht mehr im Geiste des Christentums, sondern des nationalsozialistischen Gedankengutes erfolgen sollte. Leiterin wurde eine Frau, die sich, wie Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Urban ihr stolz attestierte, „in der Kampfzeit sehr für die Belange der Bewegung eingesetzt³⁷ hatte. Mit Kriegsende und dem Sturz des Systems wurde der alte Zustand wiederhergestellt und die Kirche in ihre frühere Rolle wieder eingesetzt. Schwester Babette wurde samt ihrem Hab und Gut von Ludwig Wolf mit einem Pferdefuhrwerk aus ihrem „Exil in Neckarhausen zurückgeholt³⁸. Mit bereits 65 Jahren nahm sie ihren Dienst wieder auf.

    Dass Peter Riehl in den Kindergarten kam, war keineswegs selbstverständlich. Viele Kinder in ländlichen Gebieten wie in Schriesheim wurden von ihren Eltern nicht in eine solche Einrichtung gegeben, weil sie, so klein sie auch waren, bei der Feldarbeit helfen mussten. Nach Schätzung Riehls betraf das damals über 40 Prozent eines Jahrgangs. Dennoch waren es immer noch um die 80 Kinder, die sich in dem Gründerzeit-Gebäude an der Römerstraße tummelten. Die Betreuung erfolgte altersgemischt, wie man heute neudeutsch sagen würde, also nicht nach Alter getrennt, dafür aber nach der Konfession.

    Denn mit der Wiedereröffnung des Kindergartens hatte die Stadt die Trägerschaft der Einrichtung nicht der evangelischen Kirche allein übergeben, sondern gemeinsam mit den Katholiken. Geleitet wurde sie der zahlenmäßigen Verteilung der Konfessionen entsprechend von zwei evangelischen Schwestern und einer katholischen. Die evangelische war neben Babette Jäck die Schwester Käthe Hör, die katholische Franziska Feuerer oder, wie ihr Ordensnamen lautete, Schwester Marie-Auguste. Alle drei wohnten im ersten Obergeschoss des Kindergartens.

    Abschluss-Foto der Kinderschule Römerstraße im Herbst 1948. Vordere Reihe von links: Werner Piva, Hans Siegwart, Hans Jakob, Siegfried Müssig, Helga Simon, Peter Beck, Klaus Schmitt; hintere Reihe: Erzieherin Elisabeth Schmitt, geborene Pressel, Günther Dudda, Wolfram Tellbach, Fritz Mildenberger, Karl-Heinz Fried, Hans Siegwart, Peter Riehl, Diakonissin Babette Jäck.

    Einschulung 1948. Vordere Reihe von links: Karl Morast, Helga Simon, Renate Essig, Resie Wittmann, Christel Scheid, Fritz Schuhmann; mittlere Reihe: Peter Kugler, Adam Bauer, Walter Schmich, Christel Astor, Else Schmitt, Gisela Kocher, N.N. (möglicherweise Josef Bauer?); hintere Reihe: Hans Speicher, Heinrich Ratzel, Helga Conte, Peter Riehl, N.N., Fritz Mildenberger. Ganz hinten Mitte: Lehrerin Ruth Weingärtner, verheiratete Joecks.

    Die konfessionelle Trennung wurde strikt eingehalten, sogar im Sandkasten: Es gab einen evangelischen und einen katholischen Sandkasten. Sollte doch einmal ein Drei-Käse-Hoch in Missachtung der geheiligten Konfessionsgrenzen tatsächlich im anderen Sandkasten gelandet sein, so ertönte sofort der Ruf der Schwester Babette: „Geh`sch raus aus de kadolische Sandkischt!".³⁹

    Peter Riehl ist evangelisch, und so kam er auf die evangelische Seite, zur Schwester Babette, der legendären „Schwester Bawett", wie sie genannt wurde; eine der Figuren der offiziellen Weihnachtskrippe, die alljährlich im Foyer des Neuen Rathauses aufgestellt wird, trägt denn auch ihr Gesicht. Die Diakonissin war bereits 65 Jahre alt, als sie im Sommer 1945 ihren Dienst wiederaufnahm, wirkte aber wie alle Frauen dieses Alters damals weit älter. Den Kindern erschien sie gar wie eine Greisin. Mit ihrem weißen Häubchen, dem dunklen Kleid und dem Schultercape strahlte sie darüber hinaus natürliche Autorität, ja Strenge aus, die sie auch regelmäßig unter Beweis stellte. Bestraft wurde man von ihr zum Beispiel, indem sie den Kindern ein Pflaster über den Mund klebte und sie neben den Ofen stellte⁴⁰. Als Kainsmal noch mehr gefürchtet wurde, von der Schwester mit einem Kreuz aus Kohle-Ruß auf der Stirn versehen in die Ecke gestellt zu werden – Sanktionen, die jedem Pädagogen von heute die Haare zu Berge steigen lassen.

    Womit Schwester Bawett Peter Riehl und allen anderen Kindern in bleibender Erinnerung geblieben ist, das war vor allem der Stuhlkreis. Im Winter drinnen und im Sommer draußen saßen die Kinder mit ihren kleinen Stühlchen in einem Kreis, der zum zentralen Schauplatz von Singen und Klatschen, Vorlesen und Frühstücken wurde. Und in der damaligen Zeit bestand dieses Frühstück, wenn überhaupt, aus einem bloßen Butterbrot oder vielleicht einem Marmeladenbrot oder einem Apfel.

    Mit Spannung wurde der Moment erwartet, da Bawett aus ihrer Wohnung über dem Kindergarten mit einer Schüssel Äpfel herunterkam, sich in die Mitte der Kinderrunde platzierte und mit ihrem Ritual begann. Langsam und bedächtig schälte sie den Apfel. Voller Begeisterung beobachteten die Kleinen, wie sie die Schale in einem Stück rund um den Apfel herum abzuschneiden vermochte. Theatralisch hob sie die lange Schale in die Höhe „Wer will die Appelschälsisch?"- alle meldeten sich heftig, und jeder war stolz, wenn er ein Stück abbekommen hatte. Während die Kinder nur die Schale erhielten, aß sie selbst die Frucht, mit der Begründung, in der Schale lägen die Vitamine.

    Peter Riehl bei der Hochzeit von Walter Forschner (bei dem Theodor Riehl beschäftigt war) und dessen Frau Margarete, geborene Schmitt, am 29. April 1950. Links Elly Würz, später verheiratete Lutz, rechts Anni Ziegler.

    Peter Riehl bei der „Liederkranz-Kinderfasnacht in der „Rose.

    Peter Riehls erster Schultag im September 1948. Die Schultüte wurde übrigens jeweils vom Schriesheimer Fotografen Bauer für das Foto zur Verfügung gestellt.

    Im hinteren Raum der Einrichtung wurden die Zähne geputzt, überhaupt auf Hygiene streng geachtet, zumal sie für viele Kinder in einer bäuerlichen Gegend wie der Schriesheims zuhause keineswegs selbstverständlich war. Nicht ohne Grund mahnte die vom Gemeinderat nach Kriegsende erlassene „Satzung des christlichen Kindergartens in Schriesheim": „Die Kinder sind sauber gewaschen und gekämmt, reinlich gekleidet und mit Taschentuch versehen zum Kindergarten zu bringen."⁴¹

    Ansonsten waren die Rahmenbedingungen kärglich. Der Mittagsschlaf erfolgte auf Matratzen, das Holz zum Heizen mussten die Kinder selbst aus dem Garten, wo es zu hohen Stapeln aufgeschichtet war, ins Innere tragen. Im Sommer wurde vor allem draußen gespielt. Ausflüge, wie sie heute gang und gebe sind, gab es damals nicht.

    Auch das pädagogische Angebot war mit dem heutigen nicht zu vergleichen. Es wurde allerdings viel vorgelesen und auch viel gesungen – das Lied „Freiheit, die ich meine" ist Peter Riehl besonders in Erinnerung. Das Lied⁴² mit der Melodie von Karl Groos und dem Text von Max von Schenckendorf (1783-1817) war in der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon 1813 entstanden; im Kaiserreich wurde es von der preußischen Schulverwaltung für die vaterländische Erziehung der Jugend anempfohlen. Seine ersten Zeilen sind noch von religiöser Rhetorik geprägt: „Freiheit, die ich meine / die mein Herz erfüllt / komm mit Deinem Scheine / süßes Engelsbild!" Doch in den folgenden Strophen wird der militaristische Geist dieses Liedes immer deutlicher - bis hin zu dem schaurigen Höhepunkt: „Heldenwangen blühen / schöner auf im Tod." Aus heutiger Sicht ist es schon ein wenig erstaunlich, dass nach dem Massensterben im gerade zu Ende gegangenen Weltkrieg derartige Texte in christlichen Kindergärten gesungen wurden. Zu Weihnachten wurde ein einfaches Krippenspiel aufgeführt. Und natürlich wurde zum Mittagessen immer noch gebetet: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast."

    Im Frühjahr 1948 endete für Peter Riehl die Kindergartenzeit. Schwester Bawett amtierte noch zwei Jahre bis zu ihrem 70. Lebensjahr. Die katholische Schwester dagegen war noch im Amt, als Peter Riehl 1974 Bürgermeister wurde.

    Im Frühjahr 1948 wurde Peter Riehl eingeschult. Er kam in die Volksschule, wie man damals die heutige Strahlenberger Schule nannte. Insgesamt absolvierte Riehl nicht nur vier, sondern viereinhalb Schuljahre, denn zwischendrin wurde der Rhythmus der Einschulung geändert und der Schuljahresbeginn auf den September verlegt.

    Riehls Jahrgang umfasste drei Klassen – eine für Buben, eine für Mädchen, eine gemischte. Ein Jahrgang bestand aus 60 bis 70 Kindern, der Klassenteiler lag bei 32. Geleitet wurde die Einrichtung zum Zeitpunkt von Riehls Einschulung von Rektor Eugen Kegelmann, der bis 1960 in dieser Position blieb⁴³, als er von seinem Kollegen Hans Schuhmann abgelöst wurde. Riehls Klassenlehrer war nahezu die gesamte Schulzeit über Gebhard May. Dieser wohnte in einer Lehrerwohnung in der Bahnhofstraße gegenüber der Post, war verheiratet und hatte mehrere Töchter.

    Der Unterricht fand ausschließlich vormittags statt. Strukturiert wurde er durch eine große Pause, in der sich die Schüler mit Kakao und Brötchen versorgen konnten, die der nahegelegene Bäcker Höfer aus der Heidelberger Straße im Schulhof verkaufen ließ. Der Sportunterricht fand ausschließlich im Freien statt, und zwar im Schulhof. Turnhallen, derer es heute in Schriesheim drei – und rechnet man Altenbach hinzu sogar vier – gibt, waren damals noch unbekannt.

    Heutzutage unbekannt dagegen scheint uns ein anderer Umstand: Wenn Anfang März Mathaisemarkt gefeiert wurde, dann fand die ganze betreffende Woche über kein Unterricht statt. Denn das Schulgebäude war Schauplatz der Gewerbeschau. Auf dem Schulhof befand sich das Festzelt, in der am Schulhof angrenzenden Zehntscheuer, in der die Feuerwehr ihr Domizil hatte, das Mathaisemarkt-Café, das vom „Ludwigstal"-Wirt Krämer und seinem Bruder abwechselnd betrieben wurde. Die während des Mathaisemarktes genossenen freien Tage mussten allerdings in den großen Ferien wieder abgearbeitet werden.

    Körperliche Züchtigung der Schüler war gang und gebe, die Rohrschläge auf die Finger der Kinder wurden mit dem Begriff „Tatzen umschrieben. Ein Schüler bekam Tatzen, wenn er im Unterricht nicht still war, „geschwätzt hatte, wie es damals hieß, oder dem Lehrer eine freche Antwort gegeben hatte. Die meisten Eltern duldeten, ja unterstützten diese Erziehungsform. Sollte ein Kind einmal weinend nach Hause gekommen sein und geklagt haben, vom Lehrer geschlagen worden zu sein, dann bekam es von seiner Mutter und seinem Vater noch eine Ohrfeige dazu mit der Begründung: „Das wird wohl schon seinen Grund gehabt haben."

    Allerdings gab es durchaus Unterschiede, sprich Lehrer, die sich mit körperlicher Züchtigung zurückhielten wie Riehls eigener Lehrer May oder aber solche, die sich darin geradezu austobten, wie etwa ein Lehrer⁴⁴, der bekanntermaßen Schmerztabletten-abhängig war. Immer, wenn er wieder einige Tomapyrin zu sich genommen hatte, schlug er - mit dem durch die Tabletten-Einnahme entstandenen weißen Schaum vor dem Mund - brutal auf die Kinder ein. Weder Schulleitung noch Schulbehörde störten sich damals daran, einige Väter allerdings sollen sich ihn zuweilen selbst vorgeknöpft haben.

    Die Rückkehr des Vaters

    In Peter Riehls Einschulungs-Jahr 1948 ereignete sich jedoch ein weiterer, noch tiefgreifenderer Einschnitt in seinem Leben: Am 16. Oktober – dieses Datum trägt das entsprechende, von einem französischen Leutnant namens Kretz unterzeichnete Dokument⁴⁵ - wurde sein Vater aus der französischen Kriegsgefangenschaft entlassen. Über das Durchgangslager Malmshelm (17. Oktober) und das „Heimkehrerlager Mannheim" (18. Oktober) kam Theodor Riehl nach Schriesheim.

    Am 19. Oktober 1948 meldete er sich im Rathaus und erhielt von einem Gemeindebediensteten namens Hartmann eine Lebensmittelkarte, eine Raucherkarte, eine Kartoffelkarte und eine Seifenkarte ausgehändigt. Am 29. Dezember 1948 holte sich Theodor Riehl bei der Weinheimer Zweigstelle der Landeszentralbank für Württemberg-Baden sein – ja, so hieß das damals - „Kopfgeld" in Höhe von 60 Deutschen Mark ab – jene neue Währung, die im Sommer des gleichen Jahres eingeführt worden war.

    In der Gefangenschaft in Frankreich war es Theodor Riehl relativ gut ergangen; bei einem Bauern untergebracht, musste er zwar auf dem Felde und damit durchaus körperlich schwer arbeiten, wurde dafür aber auch relativ gut verpflegt und offensichtlich auch sonst annehmbar behandelt. Davon zeugt die Tatsache, dass Theodor Riehl in späteren Jahren immer wieder diesen Ort seiner Gefangenschaft besuchen wollte; doch sein Sohn, der ihn ja hätte dorthin fahren müssen, hatte damals kein Interesse daran, was er heute durchaus bedauert.

    Trotz dieser guten Behandlung war Theodor Riehl, damals bereits 44 Jahre alt, bei seiner Rückkehr naturgemäß seelisch und körperlich ausgemergelt – ein Eindruck, der wie bei vielen Heimkehrern durch die abgerissene Kleidung, die sie am Leibe trugen, nur noch verstärkt wurde. Seinen Vater in einem solchen Zustand das erste Mal zu sehen, das war für seinen damals sechsjährigen Sohn naturgemäß ein Schock. Beide begegneten sich zum ersten Mal, als Theodor Riehl gemeinsam mit seiner Frau die Friedrichstraße entlangkam, um nach Hause zu gehen. Seine Mutter einträchtig mit einem Mann zu sehen, einem fremden und noch dazu ausgemergelten, das war für den kleinen Peter einfach zu viel. Als er die beiden sah, nahm er seine Beine in die Hand und rannte erst einmal davon.

    Mit der Zeit jedoch vermochte sich das Verhältnis von Vater und Sohn sowie das Leben der jungen Familie an sich zu normalisieren. Vor allem für seine Mutter war der Alltag nun leichter geworden, da eine männliche Autoritätsperson im Hause war. Zuvor hatte sie sich oft überfordert gefühlt, war dem heranwachsenden Jungen nicht immer Herr geworden, hatte ihn in dieser, ihrer Überforderung und Hilflosigkeit auch des öfteren körperlich gezüchtigt. Das hörte nun von einem auf den anderen Tag auf, als der Vater wieder zuhause war.

    Theodor Riehl seinerseits bemühte sich mit großem Engagement um seinen Sohn, verwöhnte ihn geradezu, sah etwa bewusst über dessen Nachlässigkeiten in der Schule großzügig hinweg. Gleichwohl konnte ein normales emotionales Verhältnis zwischen Vater und Sohn, die sich erstmals mit 44 bzw. sechs Jahren getroffen hatten, nur sehr langsam entstehen; Theodor Riehl erschien seinem Sohn zunächst als alter Mann – mit Respekt, ja durchaus mit Zuneigung betrachtet, aber zunächst nicht als Freund, ja als Kumpel, der ein Vater für einen Sohn gerade im heranwachsenden Alter ja auch immer zu sein hat. Doch allmählich änderte sich dies, wurde zu einem „Bomben-Verhältnis", wie Riehl dies zu formulieren pflegt.

    Zum Kumpel-Ersatz wurde dem jungen Peter Riehl stattdessen jedoch zunächst Willi Schmitt, der im gleichen Haus wohnte wie die Riehls. Der in Schriesheim bekannte Fußballer nahm den jungen Peter mit auf den Fußballplatz, erschloss ihm damit jene Erlebnisbereiche, zu denen sein Vater von seinem Naturell her keinen Zugang besaß. Willi Schmitt sorgte auch dafür, dass Peter Riehl zuhause endlich sein eigenes Zimmer bekam; als nämlich Schmitts Tochter auszog, erhielt der Junge diesen zusätzlichen Raum.

    Doch auch der Vater hatte seine Probleme. Als Theodor Riehl im Oktober 1948 aus der Gefangenschaft zurückkehrte, musste er zunächst ein Spruchkammerverfahren über sich ergehen lassen. Gemäß dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 wurden nämlich sämtliche Funktionsträger des NS-Regimes von aus Laien bestehenden deutschen Gerichten daraufhin überprüft, inwieweit sie sich schuldig gemacht hatten. Zwischen 1946 und 1949 wurden in den drei Westzonen insgesamt 2,5 Millionen Personen angeklagt. Nur 1,4 Prozent – etwa 5000 - wurden als schuldig eingestuft und verurteilt, 54 Prozent als Mitläufer eingestuft, 34 Prozent der Verfahren gar eingestellt. Das Verfahren gegen Theodor Riehl fand statt an der Zentralspruchkammer Nordbaden in der Karlsruher Hertzstraße und wurde am 1. Februar 1949 mit dem Antrag auf Übersendung seiner Personal- und Dienstakten bei der Gemeinde Schriesheim eröffnet.

    Bereits drei Tage später sandte der 1933 abgesetzte und von den Amerikaner 1945 wieder eingesetzte sozialdemokratische Bürgermeister Georg Rufer die Akten nach Karlsruhe, verbunden mit einer sehr eindeutigen Stellungnahme: „Riehl wurde als alter Kämpfer für den aus dem Dienst entlassenen Ratsschreibergehilfen Hans Pressel eingestellt. Obwohl er nicht die geringste Vorbildung mitbrachte, wurde er im Jahre 1935 schon als Ratsschreiber angestellt. Über die Art und Weise, wie seitens der NSDAP in hiesiger Gemeinde verfahren wurde, gibt das in Abschrift anliegende Schreiben des kommissarischen Bürgermeisters Auskunft. Es wurden damals entlassen: der Bürgermeister (SPD), ein Ratsschreibergehilfe (parteilos), zwei Forstwarte (DVP), ein Feldhüter (SPD) und zwei Polizeidiener (einer parteilos, einer Zentrum)."⁴⁶

    Nach dreimonatigem Verfahren kam die Spruchkammer allerdings zu einem anderen Urteil als Rufer: Just am 20. April 1949, Hitlers 60. Geburtstag, wurde das Verfahren gegen Theodor Riehl gemäß dem Befreiungsgesetz für Heimkehrer vom 18. März 1948 und der Verordnung zur Durchführung der Wehrmanchtsamnestie vom 5. Februar 1947 eingestellt.

    Kurz zuvor, am 11. Februar 1949, war Fritz Urban aus dem Internierungslager nach Schriesheim zurückgekehrt. Ihn hatte es härter getroffen als Riehl: Die Spruchkammer hatte ihn ein Jahr zuvor als „Belasteten" eingestuft und zu einem Jahr Internierung verurteilt. Als Urban nun nach Schriesheim zurückkehrte, fanden er und Theodor Riehl wieder nahtlos zusammen. Die beiden verband nicht nur ihre jahrzehntelange Freundschaft, sondern auch das gleiche Schicksal: das Gefühl, vom neuen demokratischen System abgelehnt zu werden.

    Denn der von Theodor Riehl umgehend nach Einstellung des Spruchkammerverfahrens gestellte Antrag auf Wiedereinstellung bei der Gemeinde in seiner früheren Verwendung -„Ich gestatte mir daher, auf meine Anstellungs- und Versorgungsrechte hinzuweisen und bitte um Ihre Stellungnahme", schrieb Riehl am 10. Mai 1949 an die Gemeindeverwaltung⁴⁷ - wurde vom Gemeinderat mehrmals abgelehnt. Riehl musste sich zunächst in der Privatwirtschaft eine Stelle suchen und wurde bei der Firma Jean Forschner Kraftfahrzeuge fündig, die ihn als Kaufmännischen Angestellten beschäftigte.

    Doch Riehl ließ nicht locker. Immer wieder beantragte er beim Gemeinderat seine Wiedereinstellung bzw. die Zahlung von Übergangsgeldern, bis diese Wiedereinstellung vollzogen werden kann. Und immer wieder lehnte der Gemeinderat auf Antrag Rufers diese Anträge ab. Zuletzt teilte der bereits von seiner schweren Krankheit gezeichnete Rufer Riehl am 6. März 1952 mit: „Der Gemeinderat lehnt Ihren Antrag auf Wiedereinstellung ab, weil zur Zeit keine Stelle zu besetzen ist. Die Gewährung eines Wartegeldes oder von Ruhegehalt muss mit Rücksicht darauf, dass Sie angestellt wurden auf Grund Ihrer Beziehungen zur NSDAP, abgelehnt werden. Wie Ihnen bekannt ist, wurde vorher der junge, fleißige Angestellte Hans Pressel ohne Grund fristlos entlassen. Der seinerzeitige Bürgermeister Urban . . . hatte sich gerühmt, dass er die Verwaltung von Andersdenkenden gesäubert habe. Man kann dem derzeitigen Gemeinderat nun nicht zumuten, alle Beamten und Angestellten, die im Jahre 1933 und danach eingestellt wurden, jetzt wieder auf dem Rathaus zu verwenden."⁴⁸

    Doch Rufer war sich klar, dass die umfassende Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft bereits gescheitert war. In einem der wöchentlichen Lageberichte über die Stimmung im Lande, die die Bürgermeister an den amerikanischen Geheimdienst CIC abzugeben hatten, hatte Rufer bereits am 5. April 1950 geklagt⁴⁹: „Kapital und Macht liegen in den Händen der früheren Nazis, denen es möglich war, Einfluss in die höchsten Regierungsstellen zu gewinnen. Besonders die ordentlichen Gerichte sind hauptsächlich durch frühere Parteileute besetzt. Sogar frühere SS-Leute dürfen dort ihre geänderte (?) Weltanschauung zur Geltung bringen. Es wird in Deutschland allerdings auch eine Generation wechseln müssen, bis wirklich demokratische Gesinnung und demokratisches Handeln in der deutschen Politik zum Durchbruch kommt. Einstweilen geht Deutschland seinen Leidensweg weiter. Ohne Hilfe aus den USA wird es auch in Zukunft nicht gehen. Dabei möchte ich als ehemals politisch Verfolgter zum Ausdruck bringen: Videant consules⁵⁰."

    Seinen Anspruch, von der Gemeinde wieder beschäftigt zu werden, gab Theodor Riehl dennoch nicht auf. Denn am kommunalpolitischen Horizont zeichneten sich neue Entwicklungen ab. Bürgermeister Rufer, der Hauptgegner seiner Wiedereinstellung, trat auf Grund seines angegriffenen Gesundheitszustandes am 30. September 1952 zurück. Bereits am 13. August 1952 hatte der Gemeinderat beschlossen, die Neuwahl eines Bürgermeisters auszuschreiben. Am 1. September 1952, pikanterweise dem 13. Jahrestag von Hitlers Überfall auf Polen, ging im Rathaus die Bewerbung von Fritz Urban ein, der sich als Kandidat einer so genannten „Freien Wählervereinigung" bezeichnete, die sich im April zusammengefunden hatte. Zu ihren Gründern gehörte neben alten Weggefährten wie Erwin Lotz, Willi Appel, Hermann Brümmer, Dr. Erwin Scharf und Willi Krämer auch Theodor Riehl.

    Was Riehl nicht vorhersehen konnte: Fritz Urban gewann zwar am 2. November 1952 die Stichwahl gegen den von CDU, SPD und FDP empfohlenen Fritz Schneider mit 58 Prozent eindeutig, kam aber dennoch nicht ins Amt, weil die Landesregierung auf Grund von Urbans politischer Vorbelastung eine Amtseinführung nicht genehmigte. In den zwei Jahren der Vakanz bis zur Wahl des parteilosen Bürgermeisters Wilhelm Heeger am 21. März 1954 amtierte mit dem Bürgermeister-Stellvertreter Martin Ringelspacher erneut ein entschiedener NS-Gegner als Rathaus-Chef, von dem Riehl keinerlei Unterstützung erwarten konnte. So blieb ihm nur der Rechtsweg: Er klagte vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe.

    Um zu klären, unter welchen Umständen Riehl im Jahre 1935 auf seinen Posten gelangte, wurden am 9. Juni 1952 zahlreiche Zeugen vernommen⁵¹, allen voran Martin Ringelspacher, Theodor Riehls als politisch unzuverlässig entlassener Vorgänger Hans Pressel, der 1934 Dritte und jetzt Erste Ratsschreiber Albert Fuhrer sowie zwei weitere Personen namens Schumann und Möll. Nach einer weiteren mündlichen Verhandlung am 6. Juli 1953 entschied das Gericht unter Leitung des Vorsitzenden Schultheiß am 4. Januar 1954, dass die Ablehnung der Wiedereinstellung Riehls in die Gemeindeverwaltung durch den Gemeinderat nichtig sei und die Gemeinde die Kosten des Verfahrens zu tragen habe⁵².

    Kern der Urteilsbegründung war die These, dass Theodor Riehl zwar eine Nähe, sogar eine sehr enge, zum Nationalsozialismus besaß, jedoch nicht bewiesen werden konnte, dass diese der alleinige oder auch nur der überwiegende Grund für seine Einstellung 1934 gewesen sei. In dem Richterspruch heißt es wörtlich⁵³:

    Obwohl die Anfechtungsgegnerin (die Gemeinde, d. Red.) außer dem Eintrittsdatum nichts dargetan hat, was die enge Verbindung des Anfechtungsklägers (Riehl, d. Red.) zum Nationalsozialismus beweisen konnte, neigt das Gericht dazu, eine solche enge Verbindung zu bejahen. Es konnte aber nicht nachgewiesen werden, dass diese enge Verbindung zum Nationalsozialismus auch der alleinige oder überwiegende Grund für die Einstellung und Ernennung zum Beamten gewesen war. Denn es kommt nach der wiederholt zum Ausdruck gekommenen

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