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Journalismus: Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch
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eBook458 Seiten8 Stunden

Journalismus: Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch

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Über dieses E-Book

2. überarbeitete und ergänzte Auflage!

Journalismus.
Das ist: recherchieren, schreiben, präsentieren. Doch wie geht das? Wie macht man es richtig? Dieses Buch führt in das journalistische Handwerk ein. Seine hohe Praxisorientierung mit vielen Tipps und Arbeitsbeispielen macht es auch für etablierte Journalisten interessant - zum Durchblättern, Nachschlagen, als Arbeitshilfe. Hier wird alles erklärt, was ein guter Journalist können und wissen muss:
• So schreibt man gut
• So recherchiert man
• So formuliert man Überschriften
• So führt man Interviews
• So präsentiert man sich und seine journalistischen Arbeiten
• So funktionieren Print- und Online-Journalismus
Henning Noskes „Lese- und Lernbuch" ist ein anderes Journalismus-Buch, das aus dem Alltag und im Alltag einer Redaktion entstanden ist. Noskes journalistische Alltags-Erfahrungen prägen das Buch: Sie geben dem erfahrenen Redakteur Stoff, seine Routinen zu überprüfen, und dem Anfänger die Hilfe, die er für seine Entscheidung braucht, den Beruf zu erlernen. Viele Medien-Karrieren beginnen im Lokalen. Daher ist die neue Auflage des Buches um ein Kapitel zum Lokaljournalismus erweitert worden.
SpracheDeutsch
HerausgeberKlartext Verlag
Erscheinungsdatum24. Nov. 2015
ISBN9783837515251
Journalismus: Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch

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    Buchvorschau

    Journalismus - Henning Noske

    Handbibliothek

    1.Einleitung

    Ein Lese- und Lernbuch über Journalismus? Warum?

    Einerseits muss sich ein Buch, das sich mit dem schönsten Beruf der Welt beschäftigt, natürlich auch gut lesen lassen. Man sollte gern darin schmökern. Man sollte es im günstigsten Fall zur Hand nehmen und in einem Zug durchlesen. So wie alle guten Bücher. Aber leider fehlt dazu oft die Zeit. Außerdem verbinden sich heute Spaß und Lernen nur noch allzu selten.

    Dabei ist diese Verbindung der entscheidende Schlüssel. Wer keine Lust hat, soll gleich wieder mit dem Lesen aufhören. Abgemacht?

    Und ich verspreche, nicht zu langweilen. Abgemacht?

    Deshalb werde ich versuchen, ganz offen zu sein, möglichst einfallsreich, entscheidungsfreudig, auch zum Risiko bereit, klug, amüsant, durchaus selbstironisch, gesprächig, aber nicht geschwätzig. So, wie ich mir einen guten Journalisten vorstelle. Es ist mein Lebenstraum, einer zu sein. Ich werde nicht aufhören, davon zu träumen und weiter daran zu arbeiten. Meine Einladung mit diesem Buch steht: Arbeiten wir gemeinsam daran!

    Zur Einstimmung – alles, was wir brauchen

    Wer mitträumen möchte, kann hier ein Stück mitgehen. Ich werde alles vor uns ausbreiten, was man braucht.

    Du brauchst es dann nur noch aufzuheben, zu sammeln wie einen Schatz, den man vollständig haben möchte. Den man hegt und pflegt, mit dem man einschläft, weil sich unser Gehirn nicht auf Knopfdruck abschalten lässt. Und mit dem man am nächsten Morgen wieder aufwacht – und plötzlich kommen dir viele neue Ideen in den Sinn. So lernen wir.

    Deshalb ist es ein Lernbuch. Darin sollten die wichtigsten Begriffe und Ideen enthalten sein. Aber es ist kein wissenschaftliches Buch, es ist weit davon entfernt. Es ist ein persönliches Lesebuch.

    Entstanden ist es aus dem Wunsch etlicher Schüler und Studenten, einen leicht verständlichen Leitfaden für den Journalismus zu bekommen, im Grunde genommen eine Art Gebrauchsanweisung. Sie möchten schreiben, sie möchten in der Redaktion mitarbeiten. Sie wollen wissen, wie man das macht und wie man da reinkommt.

    Ich will mich deshalb bemühen, den eigenen Ansprüchen selbst gerecht zu werden. Deshalb wird dieses Buch insgesamt keine allzu langen Texte enthalten, selbst, wenn einem manchmal die Pferde durchgehen möchten.

    Ich werde versuchen, stringent kurz und süffig schreiben, so, wie es heute nicht mehr anders sein sollte. Im letzten Gefecht um die allzu knappe Zeit der Leser bin ich nur ein weiterer Spieler.

    Ich werde allerdings Ausnahmen machen. Das wird sein, wenn ich erzähle. Denn wenn wir gut erzählen, spielt Zeit keine Rolle mehr. Wir lehnen uns an, lauschen dem Ton, lieben die Melodie, und unser Gehirn spielt den Film dazu. Eigentlich sehnen wir uns seit jener Zeit, als uns die Welt noch erzählt wurde, nach diesem Gefühl zurück.

    Was der Journalismus heute braucht

    Der Journalismus braucht auch Struktur, Haltung, Respekt und Distanz.

    Er braucht Persönlichkeiten. Und Trainer.

    Ich werde mich mit diesen Begriffen beschäftigen und vielleicht ein neues, vielleicht etwas anderes als das gewohnte Bild zeichnen. Die Hochachtung vor den Klassikern und Lehrmeistern unseres Genres, an deren Lippen wir alle hängen, habe ich dabei nicht verloren.

    Deshalb enthält der Anhang mit meiner kleinen Handbibliothek eine Auswahl weiterer Lese- und Lerntipps. Das Glossar mit etlichen Begriffen des Fachs, kurz und bündig erklärt, soll den Lerneffekt vertiefen und dazu verleiten, dieses Buch immer mal wieder gern zur Hand zu nehmen.

    Ja, aber wer denn eigentlich? Für wen denn eigentlich?

    Das kann man zwar nicht offen lassen, doch möchte ich es auch nicht allzu sehr eingrenzen. Journalistischer Nachwuchs darf sich in erster Linie angesprochen fühlen, Volontäre, aber auch Redakteure, Online-Redakteure, freie Mitarbeiter, feste Mitarbeiter, Autoren, potenzielle Schreiber, Schüler, Studenten, Eltern, Lehrer, Öffentlichkeitsarbeiter, Pressesprecher, Blogger, Web-Texter, Wissenschaftler.

    Eigentlich alle, die einen Traum haben – und bereit sind, auch etwas dafür zu geben.

    Welcher Journalismus denn eigentlich?

    Von welchem Journalismus sprechen wir? Besser: Von welchem Medium sprechen wir?

    Die Tugenden, Qualitäten, Herausforderungen und Werkzeuge des Journalismus sind weitgehend identisch, wenngleich die Technik abweicht. Doch diese technischen Grenzen befinden sich ohnehin in kompletter Auflösung. Der Journalist, der exklusiv nur noch schreibt, fotografiert, spricht oder sendet, ist ein Auslaufmodell.

    Dennoch ist dies überwiegend ein Buch für Zeitungsjournalisten, für Journalisten in Zeitungsverlagen.

    Das ist kein Widerspruch, denn längst geht es dort nicht mehr nur noch um Druckerschwärze auf Papier. Längst gehört Online dazu, und vermutlich ist an dieser Stelle bereits die Reihenfolge falsch gewählt. Online wird die gedruckte Zeitung ablösen, doch wann das ist, das wissen wir alle nicht. Bloß, wozu ist diese Erkenntnis eigentlich wichtig?

    Sie ist für ein gutes Journalismus-Buch überflüssig wie ein Kropf. Also gleich weg damit. Es ist für das, was wir hier gemeinsam lernen wollen, weitgehend zweitrangig, ob die Früchte gedruckt werden oder am Bildschirm zu lesen sind.

    Allerdings – und das muss uns klar sein – ist es ein himmelweiter Unterschied, ob wir mit unserem Produkt einmal am Tag am Frühstücks- oder Abendbrottisch präsent sind oder in permanenter Online-Konkurrenz.

    Ein Besuch im Medienhaus der Zukunft

    Mehr noch: Der Zeitungsverlag ist das Medienhaus der Zukunft, denn er integriert in seine Portale nicht nur die gedruckte und die Online-Zeitung, sondern auch Video und Radio – und all die Elemente der Bürgerzeitung, die Journalisten und ihre Kunden tatsächlich auf Augenhöhe, ins Gespräch und zur gemeinsamen Aktion bringen.

    Für dieses komplette Cross-Media-Tableau mit angeschlossener Demokratiefunktion, für das wir gern eine erste Skizze liefern möchten, eignet sich letztlich nur der große Zeitungsverlag mit seiner Tradition, seiner Leser-Bindung, seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten – und mit seiner immer noch faszinierenden Kultur der Zeitungshäuser, die nach wie vor die Besten und Fähigsten anzulocken vermag.

    Journalisten, die hier andocken wollen, können indes nicht mehr nur noch Schreiber, Fotograf, Kamera- oder Mikrofon-Spezialist sein – sie sind im günstigsten Falle mit allen Werkzeugen vertraut.

    Mehr noch: Sie müssen bereit und vorbereitet sein, sich in neuartige Redaktionsstrukturen einfügen zu können, die letztlich individuelle Stärken und Möglichkeiten nicht einebnen, sondern gezielt kombinieren und einsetzen.

    So wenden wir uns denn in diesem Buch vornehmlich dem ganzen Programm zu, das für alle gilt:

    • Motive, Typen, Rollenbilder: Journalisten

    • Themen

    • Recherche

    • Auswertung, Aufbereitung

    • Schreiben

    • Erscheinungsbild, Präsentation

    • Qualität

    • Fehler-Management

    König Kunde: Unser Leser

    • Was wir zusammen tun können

    Darüber hinaus führt ein eigenes Kapitel in den Online-Journalismus an der Schnittstelle zum Print ein.

    Was ich mir von meinen Lesern wünsche

    Dieses Buch möchte einerseits eine Fülle von Denkanstößen und Informationen, an Erklärungen und Begriffen bieten – und ist doch andererseits auf die Resonanz der Leser angewiesen, die Rückmeldung, auf Kritik und Ergänzung.

    Deshalb unternehme ich den neuartigen Versuch, einen Diskussionsprozess mit den Lesern auf einer Plattform im sozialen Netzwerk in Gang zu bringen. Diesem Projekt widmet sich das letzte Kapitel – und deshalb bin ich für jeden Hinweis, für jeden Hilferuf, jede Korrektur und jeden Verbesserungsvorschlag dankbar.

    2.Motive, Typen, Rollenbilder: Journalisten

    Journalisten kennen sich aus, sind bekannt, schreiben interessante Artikel. Sie sind irgendwie engagiert, wollen ständig etwas bewegen, graben immer etwas aus. Vermutlich haben sie kaum Privatleben, und wenn, dann ist es eine Art Prominentenparty. Sie würden auch ihre Großmutter für eine gute Story verkaufen.

    Klischees, nicht selten durch journalistische Star-Rollen in Filmen geprägt. So lässt Jack Lemmon in Billy Wilders Film »Extrablatt« sogar seine Braut am Tag vor der Hochzeit für einen Scoop sitzen. Im Grunde genommen ist er mit seinem Chefredakteur glücklich verheiratet, sie lieben und sie schlagen sich. In »Reporter des Satans«, ebenfalls von Billy Wilder, nimmt Kirk Douglas als abgehalfterter Reporter das im Berg verschüttete Opfer buchstäblich als Geisel – und organisiert draußen exklusiv die Sensationsstory.

    Dicht dran am spektakulären Geschehen

    Die Wirklichkeit ist aber manchmal gar nicht so weit davon entfernt. Im so genannten Gladbecker Geiseldrama nahm der frühere Chefredakteur einer deutschen Boulevardzeitung neben dem schwer bewaffneten Geiselnehmer Platz und lotste den Wagen aus der Kölner Fußgängerzone. Journalisten sind dicht dran am spektakulären Geschehen, manchmal zu dicht – und manchmal werden sie sogar zu Akteuren. Dabei sind solche spektakulären Ereignisse nicht die Regel, häufig ist von Routine-Dienst, Frust, viel Alkohol, Zigaretten und zerrütteten Beziehungen die Rede.

    Irgendwie ist Journalismus also spannend, aber irgendwie auch nicht gesund. Und er ist paradoxerweise ungemein attraktiv: Die Journalistenschulen können sich über einen Mangel an Kandidaten nicht beklagen, für ein Volontariat geht in der Regel ein Vielfaches an Bewerbungen ein, die medienwissenschaftlichen Studiengänge der Hochschulen sind überlaufen. »Irgendwas mit Zeitung« und »Irgendwas mit Journalismus« ist offenbar hochgradig attraktiv. Bloß, was das ist, Journalismus, darüber herrschen klischeehafte, bisweilen abenteuerliche Vorstellungen – falls überhaupt welche bestehen.

    Viele Fragen: Warum soll ich mir das antun?

    Das ist die große Frage. Warum soll ich mich mit etwas beschäftigen, das mich nicht mehr loslässt, rund um die Uhr in Beschlag nimmt, das mich mehr fordert, als ich vielleicht verkraften kann? Bin ich dazu überhaupt bereit?

    • Warum soll ich es mir schwer machen, wenn ich es doch viel einfacher haben kann?

    • Warum soll ich mich eigentlich mit Gott und der Welt anlegen, warum soll ich mir Feinde machen?

    Warum muss ich mich eigentlich laufend mit Dingen beschäftigen, die ich nicht verstehe, weil ich sie nicht gelernt oder studiert habe? Warum muss ich so lange recherchieren und grübeln, bis ich sie verstehe? Ja, und warum treibe ich dann diesen ganzen aberwitzigen Aufwand schließlich noch mal, um es anderen zu erklären?

    Ja, warum eigentlich? Was ist es, was Journalisten antreibt? Warum will man schreiben, berichten, kommentieren? Warum will man nicht nur wissen, wie die Welt tickt und was sie schmiert und zusammenhält, sondern sie in Dreiteufelsnamen auch noch den Leuten da draußen erklären? Sind wir noch ganz bei Verstand?

    Diese Fragen sind allesamt rhetorischer Natur. Sie dienen einzig und allein dem Ziel, jetzt noch ein paar unentschlossene Leser hinauszukegeln. Damit wir von jetzt an unter uns sind. Nur noch wir paar Verrückte, die gemeint sind und die ich meine. Leute, die wirklich wissen wollen, wie es geht. Und die sich nicht abschrecken lassen wollen vom härtesten und gemeinsten Beruf der Welt. Es ist der Job, mit dem du dir keine Freunde machst. Es ist der Job, mit dem du dir höchstens Läuse in den Pelz setzt und ständig gegen die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten kämpfst, die auch noch jeden Tag brühwarm in der Zeitung stehen.

    Es ist der Job, der dir wie ein Fallbeil mit Liebesentzug, Redaktionsschluss und Andruck droht. Der keine Dankbarkeit kennt, dafür aber die Umfänge der nächsten Ausgabe. Sisyphos ist nichts dagegen. Wir dürfen uns Sisyphos aber immerhin als glücklichen Menschen vorstellen.

    Die Stärken: Interesse, Wachheit, Wachsamkeit

    Ohne ein Höchstmaß an Interesse und Interessen, Wachheit und Wachsamkeit geht es nicht und wird es nicht gehen. Das ist eigentlich selbstverständlich, doch man erlebt sein blaues Wunder. Ich gebe eine Journalismus-Einführungsveranstaltung – und zu Beginn lote ich traditionell Interesse und Interessen des potenziellen Nachwuchses in Sachen Medienwissenschaften aus. Hinterher ist mir immer zum Weinen zumute.

    Es gibt zwei Checks, an denen man vieles erkennt.

    Blick in eine moderne Redaktion, Konferenz am News- und Online-Desk. Hier laufen die Fäden zusammen. Auf Bildschirmen wird der Fortschritt der Seiten kontrolliert, verantwortliche Redakteure, Blattmacher, Reporter und Mitarbeiter diskutieren über Themen und Überschriften.

    Der eine lautet: Was ist heute Stadtgespräch? Worüber muss man heute auf jeden Fall Bescheid wissen? Schlicht und ergreifend: Wie ticken wir denn am heutigen Tag, was treibt uns um, was regt uns auf, was macht uns glücklich, lässt uns fiebern, lachen, weinen? Ein Teilnehmer, der einigermaßen am öffentlichen Leben interessiert ist und damit schon über die rudimentärsten journalistischen Grundvoraussetzungen verfügt, beginnt nun zu sprudeln. Eigentlich.

    Griechenland, Portugal oder Irland pleite, die Bischöfin fährt in Schlangenlinien, der Oberbürgermeister in Handschellen, Showdown in Wimbledon oder Wolfsburg – irgendetwas Aufregendes oder Kurioses ist immer gerade passiert. Wer nicht jeden Tag mit dieser verrückten, schönen, spannenden Welt da draußen mitfiebert und ihr den Puls fühlt, der bekommt allerdings zwangsläufig ein Problem. Unvorstellbar, wie viele bei so einem simplen Check dumm dasitzen. Ich könnte jedes Mal heulen.

    Aber es kommt noch schlimmer, denn dann ist Check Nr. 2 dran. Es ist eine Frage von bemerkenswerter Schlichtheit: Woher beziehen Sie Ihre täglichen Informationen, wie entsteht Ihr Weltbild?

    Es ist also die simple Frage: Was lesen Sie täglich? (Mit Verlaub – die Frage lautet ja gar nicht: Welche Zeitung lesen Sie? So kühn bin ich nicht, jedenfalls nicht mehr.) Heraus kommt allzu oft ein erschütternder Analphabetismus in Sachen Lese- und Nachrichtenkultur. Der Höhepunkt ist regelmäßig die diffuse Antwort »Internet« oder »Google«. Auch »Wenn unter der Treppe eine Zeitung liegt, lese ich sie«, habe ich öfter gehört. Welche und ob das überhaupt eine war – ganz egal.

    »Mehrere Zeitungen täglich, ich verschlinge sie förmlich« – diese Antwort habe ich allerdings noch nie gehört.

    Nicht nur ohne Interesse und Interessen, auch ohne eigene Projekte geht es nicht. Es ist schwierig, Journalist zu sein, wenn es kein Thema gibt, für das man brennt. Okay, du hast ein Pferd auf der Weide stehen und kennst dich mit Pferden aus. Alles klar, du spielst ein Instrument oder bist gut im Sport. Vielleicht bist du Mitglied in einer Bürgerinitiative oder bei Greenpeace. Alles nicht schlecht für den Anfang – und vor allem schon mehr, als viele andere Journalismus-Aspiranten zu bieten haben. Bloß reicht das noch lange nicht.

    Du brauchst neben überragendem Allgemeininteresse und mithin veritablem Allgemeinwissen, für das du dich allerdings überhaupt nicht quälen musst, mindestens ein Fach, Gebiet oder Projekt, in dem du dich richtig auskennst. Du brauchst eine Leidenschaft, in der du lebst und arbeitest, forschst und schreibst. Hier benötigst du von niemandem Anschub oder Nachhilfe, denn dein Wissensdurst ist von selber groß. Und, ehrlich gesagt, bei deinen Projekten macht dir so schnell keiner was vor. Da könntest du spontan eine kleine Rede oder einen Kurz-Vortrag halten. Ganz locker. Aber auch ganz easy, kein Problem, höchstens damit, sich kurz zu fassen.

    Eine weitere Stärke, die wir uns zulegen müssen, an der wir arbeiten und die wir entwickeln müssen, ist das Gespür für Stimmungen, für Trends und Entwicklungen.

    Es ist letztlich die Fähigkeit, Veränderungen auch in kleinsten Nuancen aufzuspüren, Haar-Risse unter glatten Oberflächen, aber auch Verbindendes, wo das Trennende noch überwiegt. Es ist die Fähigkeit und glänzende Aussicht, nicht nur über den Kuchen oder das Brot zu schreiben, sondern bereits über den Teig. Aber es ist nicht selbstverständlich und überaus zäh, denn es mag einem oft so vorkommen, dass gerade überhaupt nichts passiert. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Der echte Journalist zeigt die Veränderung und Bewegung, die überall ist, selbst wenn ihre Geschwindigkeit so gering, ja fast eingefroren ist, dass man sie kaum erkennen kann.

    Um diese Wachheit und Wachsamkeit geht es.

    Und letztlich um die Fähigkeit, Menschen aufzuschließen. Das ist das A und O. Ein Journalist, der die Menschen nicht liebt und der sie meidet, hat ein Problem. Wir suchen die Menschen auf und aus, wir casten und orchestrieren sie, sie liefern uns ihre und unsere Geschichten, sie erzählen – und wir erzählen von ihnen.

    Jeder einzelne hat mehr Verschaltungen im Kopf als das Universum Atome zählt – und hat mehr Erfahrungen, Empfindungen und Erinnerungen als jemals auf allen Zeitungsseiten und Online-Spalten der Welt Platz hätten. Allerdings resultieren daraus auch Kontinente und Ozeane an Missverständnissen, Vorurteilen und Ressentiments. Journalisten sind Menschen-Spezialisten, Menschen-Versteher, Menschen-Flüsterer, sie saugen Leben und Leiden anderer, ihre Äußerungen, ihre Wut und Tränen, ihre Blicke und ihr Schweigen, ihre Emotionen und ihr Glück mit jeder Faser auf, auf Marktplätzen, in Kirchen und Heimen, im Stadion, beim Schuhkauf, in Gerichtssälen, auf Intensivstationen. Wo Menschen sind, sind Geschichten. Keine Geschichte gibt’s nicht. Das ist unsere größte Stärke.

    Die Krankheiten: Eitelkeit, Hochmut

    Wer das nun alles kann und beherzigt, wer viel sieht und herumkommt, sich auskennt und mitreden kann, der weiß auch schnell manches besser. Gut so, denn anders geht es nicht. So ist beispielsweise der Lokaljournalist, der einen kommunalen Haushaltsplan lesen und erklären kann, bereits 98 Prozent der Kommunalpolitiker haushoch überlegen, jenen Politikern also, die doch eigentlich über solche kommunalen Haushaltspläne zu entscheiden haben.

    Eitelkeit wäre noch hinzunehmen, schließlich sind wir alle in irgendeiner Beziehung eitel. Vermutlich verdanken wir diesem Umstand sogar unseren Entschluss, Journalist zu werden. Denn irgendwann einmal wollten wir unseren Namen über oder unter einem Artikel oder unter einem Bild in der Zeitung lesen. Und irgendwann reicht uns dann vermutlich die Nennung unseres Namens über oder unter einem normalen Artikel nicht mehr – besser ein großer, eine ganze Seite oder eine tolle Reportage.

    Und schließlich nützt auch das nichts, wenn das Gelieferte öde ist. Es muss gut sein, dann bin ich stolz darauf. Ich bin eitel. Kein Problem also, wenn das im Rahmen bleibt und wir uns dabei ständig fortentwickeln und immer besser werden. Es gibt freilich auch eitle Journalisten, die sich nur noch spreizen – und dabei wieder zu langweilen beginnen, weil sie nur selbstverliebt in den Spiegel blicken. Die haben dann eine Krankheit.

    Und sind schon anfällig für die nächste: Hochmut. Die Begriffe und Schmähungen, mit denen in manchen Redaktionen Politiker, Ehrenamtliche oder Leser aus Hochmut belegt werden, sind Legion. Ich mag sie hier nicht wiederholen, habe aber zwei oder drei von ihnen als abschreckende Beispiele in das Glossar am Ende aufgenommen. In letzter Konsequenz hasst der Journalist am Ende eines Hochmut- und Abstumpfungsprozesses die Menschen, mit denen er zu tun hat und die er eigentlich lieben müsste, um sie noch besser zu verstehen und aufzuschließen. Er steht sich mit seinem Hochmut selbst im Weg, und so schreibt er dann auch. Das ist eine Krankheit. Aber auch das ist noch nicht alles.

    Die Todsünden: Fehlende Distanz, fehlendes Engagement

    Es gibt Sünden, die den Journalismus killen. Todsünden. Die erste kommt auf den ersten Blick gar nicht so gefährlich daher. Sie ist zudem überaus angenehm, macht Journalisten zum Beispiel zu Freunden des Hauses. Vielleicht bei einem großen Automobilunternehmen oder einem kommunalen Energieversorger. Die Artikel sind klasse, die Initiative dazu geht meist von der anderen Seite aus. Skandale kommen nicht vor oder werden im Vorfeld besprochen und ausgeräumt. Die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, sind äußerst angenehm. Der Journalist auf Augenhöhe mit den Bossen und den Firmenchefs, die seine Arbeit loben und goutieren. Doch das ist nicht der einzige Distanzverlust, der uns den Boden unter den Füßen wegzieht.

    Auch die Gewährung von Informationen kann uns vereinnahmen und die Distanz verlieren lassen. Das ist für den ehrgeizigen Journalisten, der auf exklusive Geschichten setzt, fast noch gefährlicher als das Prinzip »Freunde des Hauses«.

    Indem wir gezielt Informationen vermittelt bekommen, die andere nicht bekommen, verlieren wir ebenfalls die Distanz, werden einseitig, unausgewogen, begehen Todsünden. Es gibt nicht wenige Journalisten, denen ein Netz einseitig informierender Manipulatoren genügt. Sie würden sie unweigerlich verlieren, wenn sie wieder ausgewogen arbeiten und auf beiden oder allen Seiten gründlich recherchieren würden. Doch sie haben die Kraft zur Distanz verloren. Und sie scheuen den Aufwand, sie wieder aufzubauen.

    Dies führt uns zum letzten Sargnagel: fehlendes Engagement. Wenn Journalisten nur noch reagieren, werden sie anfällig für die Manipulatoren. Wenn sie alles schon wissen, nichts mehr aufspüren und den Weg des geringsten Widerstands entdeckt haben, sind sie tot: in der Redaktion lebendig begraben.

    Wirklich lebendige Journalisten sind hungrig und bissig, nicht satt. Sie sind unbequem, nicht angenehm. Sie gehen auf den Wecker, stören, bohren, legen den Finger in die Wunde. Die Mächtigen achten und respektieren sie, aber sie treten ihnen auch auf die Füße und schleimen sich nicht bei ihnen ein, gehen ihnen nicht auf den Leim. Sie bleiben höflich, entschuldigen sich lieber einmal mehr, als einmal weniger anzuecken. Sie haben kein Problem damit, Störenfried zu sein.

    Wenn Journalisten von sich aus agieren, Themen entdecken und setzen, wenn sie schnüffeln, oft auch vergeblich, Projekte initiieren und recherchieren, wenn sie selbst zwangsläufig zu Experten für ihre eigenen Themen werden – dann sind sie gut.

    Gemein machen oder nicht?

    Der unvergessene Hanns-Joachim Friedrichs hat einen der wichtigsten Sätze des Journalismus geprägt: »Gute Journalisten machen sich mit nichts gemein, nicht einmal mit einer guten Sache.« Dieser Satz stimmt! Und doch bedarf er einer kleinen Ergänzung.

    Zunächst einmal ist Hajo Friedrichs’ kategorischer Imperativ nur die gültige Fortsetzung des kritischen Rationalismus, wie ihn auch die Wissenschaft pflegt: Ohne Distanz bist du nichts, ist auch deine Arbeit nichts wert. Das sagt nicht mehr und nicht weniger als das: Selbst die gute, vermutlich sogar richtige Sache zerstörst du, indem du nicht annimmst, dass sie falsch sein könnte. Die gute, die beste, die richtige Sache muss es aushalten, dass du ihr schärfster Kritiker bist. Weil du sie liebst.

    Und trotzdem muss eine kleine Ergänzung sein. Hajo Friedrichs hat das getan, was viele gute Lehrer tun. Er hat zugespitzt, um etwas deutlich zu machen. Er hat mit seinem klassischen Satz die größte Gefahr des Journalismus beschrieben – die Distanzlosigkeit, die lähmt und gefügig macht. Um dies zu verdeutlichen, um es überdeutlich zu machen, werden wir dazu aufgefordert, sogar das Gute zu hinterfragen. Es könnte ja schlecht sein. Und um das Schlechte geht es eigentlich. Im Grunde genommen geht es um das Gute gar nicht.

    Deshalb liegt auch ein Stück Ungerechtigkeit und Gemeinheit darin, sich mit dem Guten nicht gemein zu machen. Es ist kein Sinn darin zu entdecken, beispielsweise Ehrenamtlichen und aktiven Bürgern, die ihre Zeit opfern, noch nachzuweisen, dass sie effektiver arbeiten könnten. Sie würden dann vermutlich die Zeit, die sie anderen schenken, obwohl sie sie vielleicht vergeuden, vermutlich gar nicht mehr verschenken.

    Mehr noch: Die gute Sache verdient doch auch Unterstützung, wenn man etwas Neues, Besseres anschieben kann. Wenn wir Vorbilder in packenden Porträts präsentieren – was ist Schlimmes daran, wenn die Leser ihnen nacheifern können und sollen? Wenn wir aufzeigen, wie Politik sein sollte – was ist schlecht daran, wenn es tatsächlich auch geschieht? Sollen wir es dann wieder kritisieren?

    Diese Diskussion ist offen – und Journalisten sollten sie führen und die Ergebnisse stets von Neuem kritisch überdenken.

    3.Die Themen

    Was tun wir hier überhaupt? Warum machen wir das? Diese Fragen werden im journalistischen Alltag oft nicht mehr gestellt, sind indes Voraussetzung für eine konsequente Analyse der Themen, des Gegenstands der journalistischen Arbeit. Die Antworten werden häufig vorausgesetzt und nicht mehr diskutiert.

    Was ist es, was uns antreibt? In der Hauptsache dürfte es Wissbegier sein, überragendes Interesse an den Dingen, Neugier, Lust auf Welterklärung, Gestaltung und Veränderung.

    Die Kunst steckt jedoch nicht nur im ganz großen (Welten-)Entwurf, manche Sensation liegt bekanntlich im Detail. Vom Kleinen zum Großen ist deshalb kein schlechtes Motto für Themen-Scouts.

    Themen-Scouts und Themen-Streifzüge

    Unendlich genaue Beobachtung der Umgebung, der Umwelt und der Mitmenschen ist eine entscheidende Voraussetzung. Dies kann man auf Themen-Streifzügen trainieren. Sie haben zunächst noch nicht die Funktion, »zu schreiben«. Sie dienen schlicht und ergreifend der Themenfindung, ermöglichen Themenlisten, Ideen-Steinbrüche. Sie schärfen das Bewusstsein, was eigentlich überhaupt alles eine Geschichte sein kann. Sie machen immun gegen die Berufskrankheit, nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu entdecken – und die Sensationen am Wegesrand liegen zu lassen.

    Wir flanieren, wir streifen umher, wir horchen, wir lassen die Blicke schweifen, gehen mit. Sammeln Eindrücke und Ideen.

    Deshalb: Mindestens jede Woche eine Ideen-Exkursion, ein Themen-Streifzug!

    In seiner Sammlung »Klassischer Journalismus« hat Egon Erwin Kisch, der große Reporter, genau das beschrieben. Er präsentiert uns seine eigenen Vorbilder, beispielsweise den Franzosen Mercier. Dessen Streifzüge durch Paris werden zum famosen, faszinierenden Themen-Steinbruch:

    »Elendenviertel, die Stille der Cité-Insel, die Sonntagausflüge nach Longchamps, die Kirchen, die Hintertreppen der Häuser, die Feuersbrünste, die Savoyardenknaben, die Kaldaunengeschäfte, die Juden, die Kundmachungen, die Masken, die Gassenhauer, die Taschendiebe, die Leichenbestattungsanstalten, die Wäscherinnen am Seine-Ufer, die Cafés,

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