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Die Bundeswehr: Eine politische Geschichte von 1955 bis heute
Die Bundeswehr: Eine politische Geschichte von 1955 bis heute
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eBook408 Seiten4 Stunden

Die Bundeswehr: Eine politische Geschichte von 1955 bis heute

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Über dieses E-Book

"Am 12. November 1955 - dem 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst - erhielten die ersten 101 Soldaten der Bundeswehr in einer Garage in Bonn ihre Ernennungsurkunden. Die Soldaten steckten noch in umgeschneiderten amerikanischen Uniformen. Im Geiste Scharnhorsts sollten sie gemeinsam mit ihren rund 495.000 Kameraden, die im Kalten Krieg hinzukamen, in den nächsten Jahrzehnten als Bürger in Uniform für ihre Heimat eintreten.

Die Bundeswehr alter Prägung mit dem Auftrag der grenznahen Verteidigung ist inzwischen zu einer modernen Kriseninterventionsarmee geworden. Die Bundesrepublik Deutschland stellt 50 Jahre nach Gründung ihrer Armee das zweitgrößte militärische Kontingent bei internationalen Missionen - nach den Vereinigten Staaten. Nie zuvor war eine deutsche Armee so erfolgreich in der Bewahrung des Friedens, so tief verwurzelt in der Demokratie, so anerkannt von den Nachbarn und so akzeptiert von der Bevölkerung.

Die Bundeswehr - eine Erfolgsgeschichte? Diese Frage versucht dieses Buch zu beantworten. Es zeichnet eine Entwicklung einer ganz besonderen Armee nach. Und es erzählt von den Geschichten hinter der Geschichte - informativ und faktenreich."
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2015
ISBN9783813210101
Die Bundeswehr: Eine politische Geschichte von 1955 bis heute

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    Buchvorschau

    Die Bundeswehr - André Uzulis

    André Uzulis

    Die Bundeswehr

    Eine politische Geschichte

    von 1955 bis heute

    Verlag E.S. Mittler & Sohn

    Hamburg · Berlin · Bonn

    Impressum

    Titelabbildung:

    Deutscher KFOR-Soldat im Einsatz (Foto: BMVg)

    Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel der Verlagsgruppe

    Koehler/Mittler schicken wir Ihnen gern zu. Senden Sie

    eine E-Mail mit Ihrer Adresse an: vertrieb@koehler-mittler.de

    Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-mittler.de

    Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    eISBN 978-3-8132-1010-1

    ISBN 3-8132-0847-8

    © 2005 by Verlag E.S. Mittler & Sohn GmbH, Hamburg · Berlin · Bonn

    Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

    Produktion: Inge Mellenthin

    e-Book Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

    Inhalt

    Titel

    Impressum

    Inhalt

    Einleitung

    Deutschland unbewaffnet (1945–1955)

    Vorgeschichte der Bundeswehr

    Die Bundesrepublik tritt der NATO bei

    Die Armee im Aufbau (1955–1957)

    Die Debatte um die Wiederbewaffnung

    Gründung der Bundeswehr

    Gründung der Nationalen Volksarmee der DDR

    Rechtliche Grundlagen der Bundeswehr

    Unterschiede zu anderen Armeen

    Innere Führung und Traditionsbildung

    Militärseelsorge

    Die Armee im Kalten Krieg (1958–1989)

    Atomwaffen für die Bundeswehr?

    Jahre der Gestaltung: 1957–1965

    Die Spiegel-Affäre

    Diskussion um eine Multilaterale Atomstreitmacht (MLF)

    Der Starfighter

    Generale gegen den Minister

    Die NATO-Strategie der »Flexiblen Antwort«

    1968 – frischer Wind auch in den Streitkräften

    Abschreckung und Verhandlungen

    Der NATO-Doppelbeschluss

    Die Armee der Einheit (1990–1995)

    Die deutsche Wiedervereinigung

    Teilintegration der NVA

    Die Bundeswehr im vereinten Deutschland

    Von der Reform zur Transformation

    Die Armee im Einsatz (1995–2005)

    Deutschland in der neuen NATO

    Hilfe bei Katastrophen

    Friedensmissionen und Krisenreaktionen

    Kosovo-Krise

    Internationaler Terrorismus – die neue Bedrohung

    Die Armee der Zukunft

    Frauen an den Waffen

    Reserve – gestern, heute, morgen

    Die Frage nach der Wehrpflicht

    Sicherheit im 21. Jahrhundert

    Anhang

    Die Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland

    Die Generalinspekteure der Bundeswehr

    Die Wehrbeauftragten des Bundestages

    Chronik

    Literaturverzeichnis

    Personenregister

    Einleitung

    Die Bundeswehr hat 2005 ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Sie ist die friedfertigste Armee, die in Deutschland jemals aufgestellt wurde. Nie zuvor waren deutsche Streitkräfte so erfolgreich in der Bewahrung des Friedens, so tief verwurzelt in der Demokratie, so anerkannt von den Nachbarn und so akzeptiert von der Bevölkerung. Die Bundeswehr ist unumstritten ein Teil der Gesellschaft. Die Landesverteidigung durch die Bundeswehr findet bei 95 Prozent der Deutschen nach einer repräsentativen Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid vom Sommer 2004 mit 2.000 Befragten Zustimmung. Jeweils über 90 Prozent liegen die Zustimmungswerte für Hilfseinsätze im In- und im Ausland. Und für friedenssichernde Einsätze der Bundeswehr sind immerhin noch 81 Prozent. Zu keiner Zeit in der Geschichte der Bundesrepublik hatte die Truppe eine höhere Reputation.

    Seit fünf Jahrzehnten hat die Bundeswehr entscheidenden Anteil an der Friedenssicherung in Europa im Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses. Seit zehn Jahren trägt sie außerdem maßgeblich zur internationalen Krisenbewältigung bei. Deutsche Soldaten sind inzwischen weltweit präsent. Sie sind nicht als Eroberer wie in früheren Zeiten gekommen, sondern mit dem Auftrag, Frieden zu sichern, und nicht selten auch als Entwicklungshelfer – hoch anerkannt und geschätzt von der Mehrheit der Menschen in den Ländern, in denen sie Dienst tun. Proteste gegen öffentliche Gelöbnisse oder »Mörder«-Rufe wie noch zehn Jahre zuvor bei den Feierlichkeiten zum 40. Gründungstag der Bundeswehr, gab es 2005 nicht.

    Von den ersten Freiwilligen in den nicht so recht passen wollenden »Affenjäckchen« in rheinischen Kasernen bis zu den High-Tech-Kämpfern des Kommandos Spezialkräfte im Flecktarn im Hindukusch war es ein weiter Weg. Die Bundeswehr ist – obwohl verfassungsrechtlich dem Parlament unterworfen – stets ein behutsam genutztes Instrument der Regierung gewesen, die Rolle der Bundesrepublik in der internationalen Politik zu definieren und zu unterstützen. Seit Adenauer spielten alle Bundeskanzler mal mehr, mal weniger die Karte »Bundeswehr«, um sich auf internationalem Parkett zu positionieren, um den Wert der deutschen Außenpolitik zu steigern. Sie taten dies ohne Überheblichkeit. Sonst wäre das so schwierig gewonnene Vertrauen in die deutsche Politik rasch zerstört worden. Die Militärpolitik der Bundesrepublik war stets eingebunden in das Bündnis und abgestimmt mit den Partnern. Darin unterscheidet sie sich deutlich von früheren deutschen Staaten, und das erklärt ihren Erfolg. Zug um Zug hat die Bundesrepublik in der Sicherheitspolitik mehr Verantwortung übernommen. Nach den stürmischen Aufbaujahren war es vor allem das Jahrzehnt ab Mitte der 90er Jahre, in denen die Dynamik der Entwicklung immer atemberaubender wurde.

    Die Zeitenwende der Jahre 1989/90 hat kaum eine deutsche Institution derart verändert wie die Bundeswehr. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes schien es für die mit ihrem Auftrag zur Landesverteidigung so erfolgreich gewesene Truppe, als sei ihr nicht nur der Gegner abhanden gekommen, sondern auch die Zukunft. Dem war nicht so, das zeigten rasch die neuen Aufgaben in der internationalen Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung. 1995 wurden für den Bosnien-Einsatz erstmals Bundeswehrsoldaten unter Kriegsbedingungen in eine Krisenregion außerhalb des NATO-Gebietes geschickt. 1999 nahm die Bundeswehr mit den NATO-Luftangriffen gegen Serbien im Zusammenhang mit der Lage im Kosovo zum ersten Mal an einem – humanitär zwar zu rechtfertigenden, völkerrechtlich aber umstrittenen – Krieg teil. Nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 schickte Deutschland Soldaten ans Horn von Afrika und nach Afghanistan. Das künftige Aufgabenspektrum der Bundeswehr wird mehr denn je durch globale sicherheitspolitische Entwicklungen bestimmt sein. Schon heute ist die Bundesrepublik Deutschland nach den Vereinigten Staaten die Nation mit den meisten Soldaten in internationalen Missionen.

    Mit 50 Jahren ist die Bundeswehr doppelt so alt wie der Offiziernachwuchs, der zurzeit an den Offizierschulen von Heer, Luftwaffe und Marine ausgebildet wird. Ein Offizieranwärter, der heute in die Bundeswehr eintritt, kann sich nicht sicher sein, in welche Missionen und Länder er während seiner Laufbahn geschickt wird. Schon gar nicht vermag er sich die Struktur der Truppe vorzustellen, die sie dereinst am Tage seiner Pensionierung haben wird. Dafür haben sich die Anforderungen an einen Offizier dramatisch erweitert. Er – oder seit dem Januar 2001 auch: sie – muss heute kämpfen, stabilisieren und helfen können, und das auch noch in unterschiedlichen Regionen und Kulturen. Das war für einen jungen Mann, der sich Ende der 50er Jahre für den Dienst an der Waffe entschied, vollkommen anders. Die Blöcke waren fest gefügt, die Risiken in einer Welt des Undenkbaren und doch Möglichen – des atomaren Schlagabtausches – für den Einzelnen überschaubar. »Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen«, lautete damals die Devise. Der große, alles vernichtende Krieg in Europa ist heute ausgeschlossen. Paradoxerweise ist aber das Risiko für einen Bundeswehr-Soldaten, im Einsatz verletzt oder getötet zu werden, durch die zunehmende Zahl an Auslandseinsätzen gestiegen.

    Vor diesem Hintergrund ist eines der in Verteidigungspolitik und Streitkräften am meisten diskutierten Dauerthemen das der Wehrpflicht. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Umstrukturierung der Truppe wurde die Wehrpflicht immer wieder in Frage gestellt. Beim Start der rot-grünen Bundesregierung 1998 verlangten die Grünen die Abschaffung dieses Zwangsdienstes für Männer. Bis zum Ende ihrer zweiten Amtsperiode wollten die Koalitionspartner eine Entscheidung herbeiführen. Tatsache ist, dass heute nur noch ein kleiner Teil der wehrpflichtigen Männer eines Jahrgangs einberufen wird. Kritiker beklagen daher die fehlende Wehrgerechtigkeit.

    Ob mit oder ohne Wehrpflichtige, vieles spricht dafür, dass die Bundeswehr trotz ihrer immer beschränkteren finanziellen Ressourcen in naher Zukunft noch mehr wird leisten müssen – womöglich in Weltgegenden, die der durchschnittliche Zeitungsleser erst einmal im Weltatlas nachschlagen muss. Die Bundeswehr begegnet diesen neuen Herausforderungen mit veränderten Strukturen und einer neuen Art von Professionalisierung. Sie baut nach 50 Jahren auf ein Fundament an Erfahrungen in militärischer und rechtsstaatlicher Praxis auf, das beeindruckt. Bislang konnte sich noch jede Bundesregierung auf die Truppe verlassen – und jede Bundesregierung hat ihr je nach den Erfordernissen ihrer Zeit viel abverlangt. Von den Wegmarken und Meilensteinen ihrer Entwicklung, von den politischen Hintergründen und Entscheidungen, von manchen Geschichten in der Geschichte, von den wechselhaften 50 Jahren, in denen die Bundeswehr zu dem wurde, was sie heute ist, berichtet dieses Buch.

    Neubrandenburg, Herbst 2005

    Andrè Uzulis

    Deutschland unbewaffnet (1945–1955)

    Vorgeschichte der Bundeswehr

    Als am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, dachte niemand daran, eine Streitmacht aufzustellen. Nach den Erfahrungen des erst vier Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieges schien es unmöglich, dass Deutsche wieder eine Uniform anziehen und Waffen in die Hand nehmen könnten. Die mehr als 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges mahnten, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfte. Alleine fast 8 Millionen Deutsche waren durch Krieg und Vertreibung umgekommen. Noch lag Mitteleuropa in weiten Teilen in Trümmern. Vor allem in Deutschland waren die äußeren Spuren der Zerstörung sichtbar. Es gab kaum eine Familie, die keinen Verlust zu beklagen hatte. Deutsche Kriegsgefangene saßen in sowjetischen Lagern. Deutsches Militärmaterial gab es nicht mehr. Im Jalta-Abkommen vom 11. Februar 1945 hatten Churchill, Roosevelt und Stalin vorgesehen, »alle deutschen bewaffneten Kräfte zu entwaffnen und aufzulösen, für alle Zeit den deutschen Generalstab zu zerbrechen, die deutsche militärische Ausrüstung entweder wegzunehmen oder zu zerstören, die gesamte deutsche Industrie, die für militärische Zwecke gebraucht werden könnte, zu beseitigen oder unter Kontrolle zu stellen«. Nach der bedingungslosen Kapitulation setzte das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die Ziele von Jalta um.

    In Europa waren 1949 immer noch rund 880.000 Soldaten alleine der West-Alliierten stationiert – gegenüber 1945 war das eine Reduzierung um immerhin mehr als 4 Millionen. Die Sowjetunion hatte ihre Rote Armee indessen nicht verkleinert; sie behielt auch vier Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches eine Kriegsstärke von rund 4 Millionen Mann bei und ließ außerdem ihre Rüstungsindustrie weiter in vollem Umfang produzieren. Bis zum Ende der 50er Jahre schätzten amerikanische und bundesdeutsche Stellen in ihren Lagebeurteilungen die Zahl der sowjetischen Divisionen auf 175 bis 180, was über das Verteidigungsbedürfnis der Sowjetunion weit hinausging und ein beträchtliches Bedrohungspotenzial darstellte. Auf westlicher Seite wurde stets die Möglichkeit eines sowjetischen Angriffs aus dem Stand heraus angenommen.

    Die Weltkriegskoalition zwischen den Westmächten und der UdSSR war schon bald an ihren inneren und ideologischen Widersprüchen zerbrochen. Moskau zeigte mit der Berlin-Blockade 1948/49, zu welch gefährlicher Konfrontation es bereit war. Kommunistische Unterdrückung und Expansion sowie die bis weit nach Mitteleuropa reichende sowjetische Militärmaschinerie bereiteten den westlichen Staaten zunehmend Sorge. Eine neue bipolare Weltordnung zeichnete sich ab, und ein nicht erklärter Kalter Krieg zwischen West und Ost zog herauf, in dem Deutschland eine Schlüsselrolle spielen würde.

    Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte bereits in seiner ersten Grundsatzrede als Vorsitzender der CDU am 24. März 1946 festgestellt, dass Staat und Macht untrennbar verbunden seien und dass sich diese Macht am »sinnfälligsten und eindrucksvollsten« im Heer zeige. Er wies aber auch darauf hin, dass in Deutschland der nationalsozialistische und militaristische Geist ausgemerzt werden müsse, wobei er unterstrich, dass Soldaten, die »in anständiger Weise ihre Pflicht erfüllt hatten«, für ihn keine Militaristen seien. In seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 betonte Adenauer, dass er die Bundesrepublik so schnell wie möglich in die westliche Welt integrieren und ihr militärische Sicherheit und internationale Handlungsfähigkeit verschaffen wolle.

    In der Operationsabteilung der US-Army gab es 1947 erste interne Überlegungen zur Einbeziehung Spaniens und Deutschlands in ein westeuropäisches Sicherheitssystem. Auch US-Präsident Harry S. Truman sah es bald als eine prinzipielle Möglichkeit, deutsche Truppen in eine amerikanisch-westeuropäische Verteidigungsorganisation einzubeziehen. Ihm war klar, dass eine mögliche militärische Konfrontation mit der Sowjetunion in Europa ohne einen substanziellen Beitrag Westdeutschlands nicht zu bestehen wäre. Auch britische Überlegungen wiesen in diese Richtung. Gleichwohl betonten die Alliierten in offiziellen Stellungnahmen, dass sie gewillt seien, ihre Entmilitarisierungspolitik in Deutschland fortzusetzen. Hinter verschlossenen Türen jedoch gingen die Gedanken weit über die Tagespolitik hinaus.

    Für Adenauer bedeutete der insgeheime Sinneswandel der Westalliierten die Gunst der Stunde: Er nutzte die Chance, um über die Aufstellung von Streitkräften der Bundesrepublik zu dem angestrebten größeren Gewicht in der internationalen Politik zu verhelfen. Dabei kam es ihm, der nie Soldat gewesen ist und dem alles Militärische fremd war, nicht auf die Streitkräfte an sich an. Für ihn war ein militärisch starkes, geschlossen agierendes westliches Bündnis mit deutscher Beteiligung – wie immer diese aussehen mochte – wichtig. Doch noch war die Zeit nicht reif, in dieser Frage konkrete Angebote zu machen. Ja, es war fraglich, ob die deutsche Politik überhaupt Angebote machen sollte – zu heikel war das Thema, zu emotional aufgeladen.

    Das erste frühe Nachdenken über einen deutschen Verteidigungsbeitrag in Deutschland selbst stammte aus einer Zeit – Ende der 40er –, als in der Bundesrepublik das Fechten und der Segelflug als »militärisch« galten und verboten waren. Halboffizielle deutsche Überlegungen zur Verteidigung der Westzonen wurden 1947 angestellt, als am 15. April von den Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone mit Zustimmung der US-Regierung ein »Deutsches Büro für Friedensfragen« eingerichtet wurde. Es sollte zwar ursprünglich die Vorstellungen der Besatzungsmächte zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung unterstützen, jedoch beschäftigte es sich sehr schnell auch mit einer möglichen deutschen Wiederbewaffnung.

    Im Mai 1948 erstellte ein Gremium hoher Wehrmachtsoffiziere unter Leitung des früheren Generalleutnants Hans Speidel für das »Deutsche Büro für Friedensfragen« ein erstes vertrauliches Gutachten zur »Sicherheit Europas«. Speidel hatte während des Krieges als Stabschef der Heeresgruppe B in Nordfrankreich maßgeblichen Einfluss auf die dortigen Entscheidungen gehabt und kam als Angehöriger des militärischen Widerstandes gegen Hitler in Haft. Er war ein Militärexperte ersten Ranges und stand dem nationalsozialistischen Regime kritisch genug gegenüber, um als militärischer Ratgeber glaubhaft zu sein. In dem Memorandum rieten die Autoren von einer Neutralität Deutschlands ab und sahen in einer (west-)deutschen Beteiligung an einem Sicherheitssystem für Westeuropa eine reale politische Option. Konrad Adenauer, damals Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone, erhielt von dieser Denkschrift Kenntnis und bat um weitere Ausarbeitungen zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Bis Dezember 1948 entstanden so unter Speidels Führung insgesamt sechs Denkschriften zur sicherheitspolitischen Lage im Nachkriegsdeutschland. In einer gemeinsam mit dem 1937 bis 1944 im Oberkommando der Wehrmacht tätigen, dann inhaftierten Adolf Heusinger vorgelegten Expertise stellten die beiden früheren Generale beispielsweise 1949 fest, dass die Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone mit dem Ziel aufgebaut worden sei, eine Armee aufzustellen, die Westdeutschland in einem Bürgerkrieg bezwingen sollte.

    Die Memoranden für das »Deutsche Büro für Friedensfragen« gingen grundsätzlich davon aus, dass ein westeuropäisches Verteidigungsbündnis sich abzeichne, dass eine westdeutsche Beteiligung daran sinnvoll und notwendig sei, dass die Initiative hierfür allerdings von den Westmächten ausgehen müsse. Als Gegenleistung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag wurde die Gleichberechtigung des entstehenden westdeutschen Staates genannt. Adenauer war als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates von diesen Denkschriften in seinem sicherheitspolitischen Denken stark beeinflusst. Um die Sensibilität des Themas Wiederaufrüstung wissend, verzichtete er jedoch weitgehend auf öffentliche Äußerungen hierzu. Die öffentliche Meinung in Deutschland ließ noch kein Nachdenken über den Nutzen deutschen Militärs zu. Adenauer bewegte sich in einem Minenfeld politischer Rücksichtnahmen und thematischer Tabus. Er überließ es den Westalliierten, zum richtigen Zeitpunkt die Initiative zu ergreifen. Allerdings forderte er von ihnen mehrfach eine alliierte Sicherheitsgarantie ein – wohl wissend, dass diese nur in Zusammenarbeit mit den Deutschen, im besten Falle mit einer deutschen Streitkraft, zu gewährleisten sei. Somit drängte Adenauer den Westmächten ebenso subtil wie geschickt das Thema immer wieder auf.

    Im November 1949 – Adenauer war seit einem halben Jahr Bundeskanzler – verärgerte er die Alliierten mit einem in Deutschland weitgehend unbekannt gebliebenen Interview in der französischen Regionalzeitung »L’Est Républicain«, in dem er die Bereitschaft der Bundesrepublik erklärte, einen Beitrag zur Verteidigung Europas im Rahmen einer europäischen Streitmacht zu leisten. Auch wenn die öffentliche Meinung strikt gegen eine neue Streitmacht war, so ließ sich Adenauer nicht von seiner Politik der kleinen Tabubrüche und Nadelstiche beim Thema Wiederbewaffnung abbringen. Verdeckt, aber seit 1950 immer konkreter werdend, trieb der Kanzler die Planungen für den Aufbau einer westdeutschen Armee voran. Adenauer gründete dazu eine Organisation mit dem nichtssagenden Namen »Zentrale für Heimatdienst«, deren Leitung der militärpolitische Berater des Kanzlers, General der Panzertruppe a.D. Gerhard Graf von Schwerin, übernahm. Ihm schwebte eine Art Bundespolizei als Kern einer künftigen deutschen Armee vor, wie er in seiner Schrift »Gedankenbeitrag für den Aufbau einer mobilen Bundesgendarmerie« vom 29. Mai 1950 ausführte. Diese sollte im Falle eines »nationalen Notfalls« – wie er den möglichen Überfall sowjetischer Truppen auf Westdeutschland nannte – invasionsgefährdete Gebiete evakuieren, Flüchtlingsströme lenken und Aufstände niederschlagen. Besser wäre es jedoch, so Schwerin, eine reguläre Streitmacht mit 10 bis 12 Panzerdivisionen aufzustellen; er glaubte aber nicht, dass ein derart ehrgeiziges Projekt Aussicht auf Verwirklichung hätte.

    Adenauer ließ sich in dieser Frage auch von dem ehemaligen Chef des Stabes des Heeres, Generaloberst a.D. Franz Halder, beraten. Halder war wegen seiner Beteiligung an Staatsstreichplänen von Hitler abgesetzt worden und musste mehrere Monate im Konzentrationslager verbringen. Auch Halder sprach sich für eine Bundespolizei aus, wobei er diesen Begriff aber lediglich für eine taktische Benennung hielt. Adenauer übernahm die Auffassung der beiden Berater, da sie seinem politischen Kalkül entsprach: eine Bundespolizei wäre mit dem Grundgesetz konform und auch bei den Alliierten durchsetzbar. Sie würde ein Gegengewicht zu der in der Ostzone aufgestellten Kasernierten Volkspolizei darstellen und könnte gleichzeitig die Keimzelle einer regulären westdeutschen Armee werden.

    Als am 25. Juni 1950 das kommunistische Nordkorea von Moskau unterstützt den Süden des Landes angriff, schien es den Staats- und Regierungschefs im Westen, als habe der Kreml eine globale Offensive begonnen, die in einen dritten Weltkrieg münden könnte. Für die Deutschen war die Parallele zu ihrem eigenen Land offensichtlich: Könnte Deutschland ein zweites Korea werden? Der amerikanische Präsident Truman appellierte angesichts der Geschehnisse in Korea an die freie Welt, ihre Kräfte zur Verteidigung der gegen Hitler errungenen Freiheit zu bündeln. Europäische Sicherheit und Stabilität war nur zu erreichen, wenn das geschlagene Deutschland in die Gemeinschaft der westlichen Staaten aufgenommen würde. Nur ein stabiles Westdeutschland konnte einen Beitrag zum Frieden in Europa leisten. Dazu würde zweifellos auch die militärische Einbindung der jungen Bundesrepublik gehören. Der Ausbruch des Koreakrieges wirkte auf die sicherheitspolitische Diskussion wie ein Katalysator: Nur 48 Stunden nach Kriegsbeginn diskutierte der amerikanische Generalstab die Frage einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands – und auch Japans – ernsthaft und empfahl dem Präsidenten die frühestmögliche Aufstellung westdeutscher Streitkräfte. Mit dem Koreakrieg war eine dauerhafte Entmilitarisierung Deutschlands obsolet geworden.

    Am 17. Juli 1950 schlug Graf Schwerin in einer Unterredung mit dem stellvertretenden Hohen Kommissar der USA für Deutschland, General George P. Hays, die baldige Einberufung von ehemaligen Truppenführern der Wehrmacht, die den Amerikanern tragbar erschienen, vor. Hays akzeptierte die vorgeschlagenen Experten, achtete jedoch darauf, dass keinesfalls die Begriffe »Generalstab« oder »Generalstabsoffiziere« auftauchten.

    Am 28. Juli 1950 informierte die Alliierte Hohe Kommission Adenauer offiziell darüber, dass sie bereit sei, einer mobilen Polizei mit insgesamt 10.000 Mann zuzustimmen. Doch kaum, dass Adenauer über dieses erste Ziel frohlocken konnte, überschlugen sich die Ereignisse.

    Im August 1950 stimmte die Beratende Versammlung des Europarates einer von Winston Churchill eingebrachten Resolution zur Bildung einer »Vereinigten Europäischen Armee« unter Einbeziehung Westdeutschlands mit großer Mehrheit zu. Einen Monat später befassten sich sowohl der NATO-Rat in Washington als auch die Außenminister der Westmächte in New York mit der Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Im Auftrag der Außenminister sondierte General Hays diese Frage bei Adenauer, der durch den Fortgang der internationalen Ereignisse in Korea schneller seine sicherheitspolitischen Ziele verwirklichen konnte, als es sich die Jahre zuvor abgezeichnet hat.

    Graf Schwerin hatte inzwischen alle Wehrmachtsangehörigen erfassen lassen, die als unverzichtbar für die Truppenpläne der Bundesrepublik galten, und die Einberufung eines »Studienausschusses für deutsche Sicherheitsfragen« vorbereitet, dessen Präsident Generaloberst a.D. Heinrich von Vietinghoff werden sollte. Als Vizepräsident fungierte General a.D. Gustav von Wietersheim und als Generalsekretär General a.D. Heusinger – allesamt hochrangige Truppenführer der Wehrmacht, die Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt hatten und einen Neuanfang bei der Aufstellung westdeutscher Streitkräfte ermöglichen konnten.

    Adenauer ließ im Oktober 1950 durch Graf Schwerin den Studienausschuss in das Kloster Himmerod einberufen. In der Abgeschiedenheit der im Salmtal in der Eifel gelegenen Zisterzienserabtei trafen sich 15 ehemalige Offiziere, um innerhalb von drei Tagen organisatorische und operative Empfehlungen zum künftigen westdeutschen Verteidigungsbeitrag zu erarbeiten. Prägend erwiesen sich dabei die früheren Generale Adolf Heusinger und Hans Speidel. Oberst a.D. Johann Adolf Graf von Kielmannsegg redigierte das Ergebnisprotokoll des Himmeroder Konvents, das auf 50 Seiten die Grundüberlegungen zur westdeutschen Armee zusammenfassen sollte, Titel: »Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas«. Weitere prominente Namen in Himmerod waren Major a.D. Wolf Graf Baudissin, General a.D. Hermann Foertsch und General a.D. Friedo von Senger und Etterlin. Aus dem Himmeroder Kreis sollten später sechs Generale und ein Admiral der Bundeswehr hervorgehen, die zum Teil höchste Ämter innerhalb der NATO einnehmen würden.

    Die Militärexperten stellten fest, dass »ohne Anlehnung an die alten Formen der Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen ist« und definierten den Umfang dieser gänzlich neuen Streitkräfte der Bundesrepublik, indem sie sich nach der von den Westmächten festgestellten Deckungslücke zwischen der angenommenen sowjetischen Bedrohung und den eigenen Verteidigungsleistungen richteten: 12 Divisionen, die gleichmäßig in den drei Besatzungszonen stationiert werden sollten. Die Truppe sollte von Anfang an Teil des westlichen Bündnisses sein; dies war gleichsam die unabdingbare Voraussetzung des deutschen Verteidigungsbeitrages. Diese Conditio sine qua non war das Gründungsgesetz des neuen deutschen Militärs: Sein Selbstverständnis, aber auch sein Bild in der Öffentlichkeit sollten sich künftig wesentlich von seiner Funktion innerhalb eines übergeordneten Militärbündnisses ableiten.

    Die operativen Überlegungen der Himmeroder Denkschrift vom 9. Oktober 1950 entstammten der Erfahrungswelt des Zweiten Weltkrieges; viel war von großflächigen Panzeroperationen die Rede, aber wenig von den noch nicht recht ins Bewusstsein gedrungenen Atomwaffen, mit denen sich die USA und die Sowjetunion gegenseitig bedrohten. Luftwaffe und Marine sollten dem Heer untergeordnet werden. Die Verfasser gingen davon aus, dass das Schwergewicht des Kampfes in der Luft und auf See bei den USA und bei Großbritannien liegen würde. Hauptaufgabe des deutschen Heeres würde es sein, gemeinsam mit den Landstreitkräften der anderen beteiligten Staaten dem ersten Angriff der Roten Armee standzuhalten. Eine deutsche Luftwaffe war nur vorgesehen als reine Heeres-Luftwaffe, die den am Boden agierenden Heerestruppen unmittelbare Unterstützung bieten und den Heeresverbänden unterstellt sein sollten.

    Graf Schwerin erhielt die Himmeroder Denkschrift, leitete sie aber nicht unverzüglich an Adenauer weiter, da sie nicht seinen eigenen Vorstellungen entsprach. Das führte am 28. Oktober zu seiner Entlassung. Erst am 2. November bekam Adenauer das Dokument im Kanzleramt zu Gesicht. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die USA einen Vorschlag für die deutsche Aufrüstung ausgearbeitet. Dieser sah die Schaffung einer »European Defence

    Force« mit einem deutschen militärischen und wirtschaftlichen Beitrag vor. Heeresverbände sollten mit Truppen aus anderen europäischen Staaten gemischt werden, eine Luftwaffe war nicht vorgesehen, da die Luftunterstützung von alliierten Verbänden geleistet werden sollte. Die Größe des deutschen Beitrages sollte sich auf maximal ein Fünftel der Gesamtstärke belaufen. Die Auswahl der Offiziere sollte überwacht, die deutsche Industrieproduktion beschränkt bleiben. Die Beschränkungen entsprachen dem französischen Sicherheitsbedürfnis; sie widersprachen aber den Zielen der Bundesregierung nach vollständiger Gleichberechtigung im Gegenzug für einen deutschen Wehrbeitrag. Da Frankreich in Indochina große militärische Probleme bekommen hatte und geschwächt worden war, zeigte es sich bereit, den eher mit der Bundesregierung übereinstimmenden Vorstellungen der US-Regierung sein Placet zu geben, bevor – das hatte Washington angedroht – der gesamte Plan scheiterte.

    Aus diesem Grunde entschied sich der französische Ministerrat am 21. Oktober 1950 für eine supranationale Lösung der westeuropäischen Verteidigung mit westdeutschem Beitrag: die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG).

    Dieser so genannte Pleven-Plan – benannt nach dem französischen Ministerpräsidenten René Pleven – sah eine integrierte europäische Armee der späteren Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Bundesrepublik) vor. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sollte die Risiken einer Wiederbewaffnung der Bundesrepublik durch eine supranationale Organisation auffangen, die westliche Position im Kalten Krieg stärken und gleichzeitig die europäische Einigung fördern. Parallel dazu wurde eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) ins Auge gefasst als eine den Nationalstaaten übergeordnete Institution für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die EVG war ein höchst moderner Entwurf: Ihre Verwirklichung hätte einen Quantensprung in der europäischen Integration und eine fast vollständige Kontrolle des deutschen Militärbeitrags zur Folge gehabt. Ihr Preis wäre ein weitgehender Verzicht auf nationale Souveränität aller an der EVG beteiligten Staaten gewesen. Nur die Bundesrepublik hätte an

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