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Der Feuerwehrmann
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eBook327 Seiten4 Stunden

Der Feuerwehrmann

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Über dieses E-Book

Ein Buch voller Spannung, wie sie nur die Realität wiedergeben kann. Wahre Erlebnisse verflochten mit dem Alltag der Düsseldorfer Feuerwehr. Gleichsam als Spiegel unserer Industriegesellschaft zeigt es als fesselnde unterhaltsame Lektüre in bisher nicht gekannter Form das aufregende Leben eines Feuerwehrmannes.
SpracheDeutsch
HerausgeberDroste Verlag
Erscheinungsdatum13. Juni 2012
ISBN9783770041107
Der Feuerwehrmann

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    Buchvorschau

    Der Feuerwehrmann - Martin Meyer-Pyritz

    Meyer-Pyritz

    Hitzewelle

    Eigentlich trinke ich nicht gerne Kaffee, aber nun stand dieser dickwandige Porzellanbecher doch vor mir und ich legte die frierenden Hände fest an seine wärmende Glasur. Ich war müde. Meine Augen waren trocken, stark gerötet und brannten noch von dem Qualm und der Hitze des Brandes, der uns bis vor knapp dreißig Minuten beschäftigt hatte.

    Verdammt – es war nichts Besonderes gewesen, nur einer dieser viel zu oft angezündeten Müllcontainer, was wieder irgendeinem Menschen ein fragwürdiges Vergnügen bereitet hatte. In dieser Nacht war es schon der dritte und bereits der Tag hatte uns genug Arbeit beschert.

    Wir, acht Mann, saßen abgeschlagen und still in der Küche der Feuerwache 6, zu müde zum Reden. Der nahe Morgen kündigte sich schon mit der Dämmerung an. Es lohnte nicht mehr, sich erneut hinzulegen, ab 7:00 Uhr würden die Männer der dritten Wachtour eintreffen und uns nach und nach ablösen. Spätestens um 7:30 Uhr hatte dann jeder von uns die Wache verlassen und befand sich auf dem Weg nach Hause.

    Mit grimmigem Gesicht sagte Achim: »Man müsste diesen Kerl mal zu fassen kriegen.«

    Unser Chef erinnerte sich: »Ich weiß noch, wie es im Sommer ’64 in der Kartonfabrik gebrannt hat, dabei verbrannte eine junge Frau. Auf dem Gelände lief ein Mann mit ’nem Benzinkanister rum, der aussah, als hätte er Kontakt mit dem Feuer gehabt. Wir haben ihn ins Löschfahrzeug herein gezerrt und wenn der Chef damals nicht dazwischen gegangen wäre, ich glaube, wir hätten ihn grün und blau geschlagen. Aber das ist so lange her, das kennt ihr jungen Burschen ja nicht.« Stille – jeder hing wieder seinen eigenen Gedanken nach, zu hören war nur das behagliche Schlürfen von Kaffee.

    »Wer geht mit unter die Dusche?«, fragte Jochen, stand auf und schob mit den Kniekehlen den Stuhl zurück.

    »Okay, vielleicht werde ich dann wach«, sagte ich und mit zwei weiteren Kollegen, die sich auch etwas langsamer bewegten als gewöhnlich, verließen wir die Küche.

    »Duscht nicht alle gleichzeitig! Ich will jeden Mann dabei haben, wenn noch was kommt, ist das klar?!«, rief uns der Chef hinterher, während wir eine Etage tiefer gingen. Natürlich war uns das klar. Wir mussten mit katastrophalem Personalmangel leben und da durfte keiner zurückbleiben. Mit etwas Pech kommt der Alarm genau dann, wenn man unter der Dusche steht, klitschnass zum Fahrzeug rennen muss und auch noch versucht, sich dabei anzuziehen. Da wird die Zeit verflixt knapp, denn egal ob Tag oder Nacht, spätestens eine Minute nach Beginn des Alarms muss der Löschzug die Feuerwache verlassen haben. Da zählt nur eine Entschuldigung, wenn man nicht dabei ist: du sitzt gerade auf der Toilette und schaffst es nicht mehr schnell genug. Dann sind die anderen abgefahren und du siehst ganz schön alt aus.

    Herrlich erfrischend lief das warme Wasser über unsere eingeschäumte Haut und etwas Energie kehrte mit dem massierenden Brausestrahl zu uns zurück. Aber lange durften wir das Vergnügen nicht ausdehnen, alles ging zügig vonstatten. Ein langes Duschen bedeutete im wahrsten Sinne des Wortes ein Spiel mit dem Feuer. Die Schnellsten trockneten sich gerade ab, als wir das leise Knacken der Rundspruchanlage hörten. Jeder hörte dieses Geräusch, jeder in jedem Raum. Wir wussten sofort, was das bedeutete, schon bevor der Gong ertönte und die Leitstelle ihre Durchsage machte. Selbst nachts genügte oft dieses kurze Knacken und der Schlaf wich in Erwartung des folgenden Alarms. Ein doppelter »freundlich-melodischer« Gong erklang, es folgte die knappe präzise Durchsage des Leitstellenpersonals:

    »Einsatz für den Notarzt FW 6, Koblenzer Str. XXX – Atemnot!« Mit einer gewissen Erleichterung grinsten wir uns an.

    »Oh, der arme Doktor muss auch mal raus, das tut uns aber leid.« Ein klein wenig Sarkasmus war nicht zu verleugnen. Während wir noch spöttelten, erklang die Wiederholung der Leitstelle durch die Lautsprecher. Diesmal vom Telegraphisten unserer Wache, der sämtliche Alarme, die in der Hauptwache eingingen und von dort zu uns geschaltet wurden, ein zweites Mal durchrief:

    »Einsatz für den Notarzt; Einsatz für den Notarzt!«

    Im Schlafraum des Arztes sowie in dem daneben liegenden Raum, in dem die drei Rettungssanitäter ruhten, ging mit dem Alarm das Licht an. Gleichzeitig sprangen vier Männer in ihre Hosen und Schuhe, und während die zweite Durchsage ertönte, befanden sie sich schon auf der Treppe ins Erdgeschoss, wo in der großen Fahrzeughalle neben den bulligen Löschfahrzeugen auch der Notarztwagen steht. Im Vorbeieilen drückte der Telegraphist dem Teamführer die schriftliche Alarmierung in die Hand: Name, Straße, Hausnummer, Uhrzeit. Die Versorgungsleitung Strom wurde abgekoppelt, der Maschinist startete, kurzer Blick nach hinten. Der Doc war drin und der Teamführer meldete den Notarztwagen der Leitstelle unter Angabe der Einsatzstelle über Funk aus. Die Leitstelle bestätigte, damit etwaige Irrtümer, z. B. gleich lautende Straßennamen, ausgeschlossen wurden.

    Der Straßenverkehr ruhte; dennoch: Blaulichter einschalten, Sirene an. Einige Menschen fühlen sich bestimmt im Schlaf gestört, waren ärgerlich, sauer auf die Feuerwehr. An diesem Morgen rettete das Notarztteam ein Kind vor dem Ersticken! Dann blieb es ruhig für den kurzen Rest der Nacht.

    Meine Ablösung kam pünktlich. Ich zog mich um und ging zu dem kleinen Bahnhof in der Nähe der Feuerwehr. Bald darauf saß ich auf dem Weg nach Hause zwischen den vielen Menschen, die zur Arbeit fuhren, in der S-Bahn Richtung Hauptbahnhof. Es war schon ein Glücksfall, während des morgendlichen Stoßverkehrs einen Sitzplatz zu erhalten. Düsseldorf Hauptbahnhof – wie in vermutlich allen westlichen Großstädten leerte sich die Bahn merklich, und die Menschenströme bewegten sich über die Bahnsteige zu den breiten Rolltreppen. Die Zwischenstops waren nur kurz, und unter dem signalisierenden »Piep – piep – piep« schlossen sich die hydraulischen Türen. Der Zug rollte wieder an. Ich sah noch, wie ein gehetzter junger Mann den Türgriff zog und dann fluchend vor den Waggon trat. Es gab keine Verzögerungen, kein zusätzliches Anhalten, denn die heutige Zeit ist schnell, vielleicht etwas zu schnell. Obwohl die S-Bahn fürchterlich unpünktlich ist und Ausfälle zur Tagesordnung gehören, benutze ich sie dennoch regelmäßig. Meine Fahrt nach Hause dauerte nur ca. 35 Minuten, kein Umsteigen erschwerte den Weg, und ich wohne nahe am Bahnhof. Auch die Feuerwache ist nur wenige Schritte von der S-Bahn-Station entfernt und diese Annehmlichkeit, besonders im Winter und bei chaotischen Straßenverhältnissen mit verstopften Autobahnen und Städten, tröstete mich immer wieder über den relativ teuren Fahrpreis und die vielen Unpünktlichkeiten hinweg.

    »Hösel!«, kündigte der Zugführer an, wobei ein Nichteingeweihter wohl kaum dieses geflüsterte, verstümmelte Wort verstehen würde.

    Hösel war einst eine selbstständige Dorfgemeinde und wurde später im Zuge der großen Flurbereinigung eingemeindeter Stadtteil Ratingens. Ungeachtet dessen ein nobler Villenvorort mit mehr Millionären als irgendwo sonst im Bundesgebiet. So berichtete das jedenfalls irgendeine Zeitung. Mittlerweile hatte sich die Bevölkerungsstruktur »normalisiert«, nur in den alten Wohngebieten standen nach wie vor noble Häuser und alte Villen hinter Vorgärten, die größer waren, als die Gärten der meisten Otto Normalverbraucher.

    Meine Mietwohnung in einer alten Villa der Jahrhundertwende war glatt zwei Nummern zu groß für das Gehalt eines Oberbrandmeisters. Aber da mir die Pflege von Haus und Garten übertragen war, hatte die Miete einen entsprechenden Nachlass, so dass ich hier wohnen konnte. Jeder, der seinen Garten intensiv pflegt, wird nachvollziehen können, was es heißt, für 1.600 m² verantwortlich zu sein. Ich verbrachte den größten Teil meiner Freizeit mit der Freundschaft zu Regenwurm und Blattlaus.

    An diesem Morgen jedoch verspürte ich das dringende Verlangen, meinen Schlaf nachzuholen. Obwohl sportlich und körperlich topfit, belasteten mich die vielen nächtlichen Einsätze mit gerade vierzig Jahren mehr als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Verständnisvoll dachte ich an die wesentlich älteren Kollegen, die oft forderten, dass man ab fünfzig nicht mehr für den Krankentransport eingeteilt werden sollte. Weiß Gott, die Kranken- und Rettungswagen fahren 24 Stunden rund um die Uhr mit ein und derselben Besatzung. Vierzehn Einsätze sind häufig die Norm, und von nächtlicher Ruhe kann kaum die Rede sein. Dieser jahrelangen Dauerbelastung sind alle Feuerwehrmänner ausgesetzt, denn wir wechseln regelmäßig zwischen dem Tätigkeitsbereich auf dem Löschzug sowie dem Einsatz im Rettungsdienst und Krankentransport. Rückenschmerzen durch erhöhten Bandscheibenverschleiß stellen sich unweigerlich bei den meisten ein. So gut wie jeder Patient wird auf einer Trage zum Fahrzeug getragen. Manchmal vermuten wir, dass Menschen, die in den oberen Etagen wohnen, öfter krank werden, und so mühen wir uns tagtäglich und nachtnächtlich durch enge Treppenhäuser. Nur selten existieren Aufzüge, die groß genug sind, um eine Trage aufzunehmen. Da es in diesem schönen Land für alles Richtlinien und Vorschriften gibt – was ich nicht unbedingt negativ sehe – darf ein arbeitender Mensch zum Schutze seiner Gesundheit maximal 50 kg an Lasten tragen. Das Durchschnittsgewicht eines Erwachsenen liegt in einem »Wohlstandsland« jedoch längst weit darüber, und so wuchten, stemmen und schleppen zwei Mann einen Dritten, wobei oft genug die Haut der Handknöchel am Rauputz enger Treppenhäuser zurückbleibt.

    Aus dem ersehnten Vormittagsschlaf wurde nichts, ich musste dringend mit unserem Golf zum Getränkemarkt. Nicht eine Wasserflasche steckte mehr in den drei Kästen, und wir litten zur Zeit unter einer Hitzeperiode. Ozonloch und Treibhauseffekt sind längst Realität geworden, dachte ich und lüftete den glühendheißen Wagen, bevor ich einstieg.

    Die Zufahrt zum Parkplatz des Getränkemarktes war total verstopft. Offenbar glaubte jeder, dass die anhaltende Trockenheit auch zur Verknappung von Limonaden und Bier führen würde; wie könnte man sich sonst diesen vorher nie erlebten Run auf Flüssigkeit erklären.

    Die Hitze machte vielen zu schaffen. Hinter mir verlor ein Fahrer im Lieferwagen die Nerven, betätigte wild die Dauerhupe. Aber trotz »Penner, fahr weiter!«, der zweifellos ich sein sollte, gab es kein Fortkommen. Ich ließ drei, vier Autos vom Hof, was mir erneute Ehrentitel einbrachte. Mein Hintermann zeigte die ganze Begabung orientalischer Beredsamkeit. Ich blickte rückwärts aus dem Fenster und ließ mich zu einem charakteristischen Handzeichen verleiten, worauf mir dieser vollbärtige Recke mit Löwenmähne und tätowiertem Arm Prügel ankündige.

    Endlich war ich auf dem Hof – der Kerl würde doch nicht etwa Ernst machen? Ein mulmiges Gefühl machte sich in der Magengegend breit. Sieben Jahre Tae-Kwon-Do hatten aus mir keinen Schläger gemacht. Im Gegenteil, die strenge Disziplin dieser Sportart lehrt auch die Ehrfurcht vor dem Menschen.

    Aber dieser Mensch kam rüber. Ehrfurcht hin, Ehrfurcht her, hier drehte einer in der Sonnenglut durch. Mir stand nicht der Sinn nach Prügeln, obwohl das vielköpfige Publikum von Anfang an interessiert zugesehen hatte.

    »Kommen Sie ruhig her, wenn Sie sich mit einem Polizisten außerhalb der Dienstzeit schlagen wollen!«, rief ich ihm mutig entgegen. Stocken im Gang – ein Stutzen – und mit einem Fluch auf den Lippen drehte die Gefahr ab. Dem Einkauf kühlen Wassers stand nichts mehr im Wege.

    Was ich mir als Flaschenware kaufen konnte, blieb der Natur vorenthalten. Der dringend notwendige Regen stellte sich nicht ein und die flimmernde Hitze des Tages fand in dieser Nacht kaum Abkühlung. Nicht der geringste Durchzug strich durch die nach allen Seiten geöffneten Fenster und am nächsten Morgen fühlte ich mich zerschlagen und völlig unausgeruht.

    24 Stunden Dienst, 48 Stunden frei, wobei die 12 Stunden des ersten freien Tages ja noch Nachtstunden bei der Feuerwehr waren. In den Frühnachrichten des Radios hörte ich von den alljährlichen verheerenden Waldbränden in Südfrankreich und Korsika. Trocken wie Pulver war es bei uns zur Zeit auch.

    Der nächste Arbeitstag begann. Ausnahmsweise pünktlich um 6:31 Uhr traf die S-Bahn von Essen kommend über Düsseldorf nach Langenfeld auf dem Höseler Bahnhof ein. Meine Haltestelle ist Düsseldorf-Garath, Trabantenstadt mit stark expandierendem Einzugs- und Siedlungsgebiet. Ich erreichte meinen Wachbezirk um 7:04 Uhr und knapp drei Minuten später wechselte ich die zivile Kleidung gegen Stiefel und Uniform.

    Feuerwache 6, II. Tour

    Seit mehreren Jahren arbeite ich nun schon auf der Feuerwache 6. Es ist die größte und modernste von 8 Feuerwehrwachen sowie einer Feuerlöschbootstation im Hafen der Landeshauptstadt. Diese letzterbaute Wache in Düsseldorf besteht aus einem lang gestreckten dreistöckigen Gebäudekomplex, der förmlich zwischen Hauptverkehrsstrecken eingezwängt ist. Auf der Vorderseite verläuft eine Schnellstraße und hinter der Wache und unserer kleinen Zufahrtsstraße mit Wendehammer wird das Gelände der Wache durch die S-Bahnstrecke und anschließender Autobahn begrenzt. An die Großstadtwache und den Großstadtverkehr hatten wir uns gewöhnt, zumal der Architekt bestimmte Bereiche der Aufenthaltsräume geschickt nach innen verlegt hatte. Nur in den Ruheräumen der Rettungsmannschaften hatte man nachts bei geöffnetem Fenster das Gefühl, dass die Lastwagen und Bundesbahnzüge mitten durchs Zimmer fahren würden.

    Diese Feuerwehrwache vereinigte alle Zweige unseres breit gefächerten Berufes in sich. Zum ersten das eigentliche Wachgebäude, das als so genannte Zugwache ausgelegt ist. Hier sind folgende Fahrzeuge mit Besatzung eingesetzt: ein Löschgruppenfahrzeug (LF 24), eine mechanische 30 m Drehleiter mit einem anzuhängenden Rettungskorb (DLK 23-12) sowie ein Tanklöschfahrzeug mit 5.000 Liter Wassertank und Wasserwerfer auf dem Dach (TLF 24/50) vorschriftsmäßig besetzt mit 21 Mann. Aber leider herrscht bei allen Berufsfeuerwehren Personalmangel und so lag unsere Wachstärke durch Urlaub oder Krankheit manchmal nur bei 12 bis 14 Mann. Eine schier untragbare Situation, die wir Männer vor Ort nicht verstehen können. Wir fahren immer unterbesetzt mit meist nur zwei Fahrzeugen in den Einsatz und sind schon oft durch Personalmangel in gefährliche Situationen geraten.

    Der zweite Bereich ist die Rettungswache, wobei Feuerwache und Rettungswache eine Einheit bilden, da das Personal identisch ist. Auf unserer Wache sind ein Notarztwagen (NAW), ein Rettungswagen (RTW) sowie zwei Krankenwagen (KTW) und ein Bus (GKTW) als Großkrankentransport im Einsatz. Die andere große Hälfte dieser Wachanlage bildet die Feuerwehrschule, eine Ausbildungsstätte für angehende Feuerwehrmänner und Rettungssanitäter. Hier werden nicht nur die Feuerwehrleute für die Stadt Düsseldorf ausgebildet, sondern auch für viele andere Städte, die zwar ausbilden wollen, aber nicht über eine qualitativ hochwertige Schule sowie das entsprechende Ausbildercorps verfügen. Hier werden Werkfeuerwehrmänner, die freiwilligen Feuerwehrmänner der sieben in der Düsseldorfer Peripherie gelegenen Wachen sowie die Männer der Stadt Ratingen unterrichtet. Ebenso werden täglich Kurse und Seminare in allen Verwendungszweigen des feuerwehrtechnischen Bereichs für die eigenen 670 Kollegen in Theorie und Praxis gehalten. Das Lehrtauchbecken wird nicht nur von der Tauchergruppe der Berufsfeuerwehr Düsseldorf genutzt, auch Polizeitaucher und Tauchgruppen benachbarter Feuerwehren nutzen diese Möglichkeit, ihre Leute im sicheren Gewässer zu schulen.

    Feuerwehr, das heißt körperliche Fitness und ständiges Erweitern seines Wissens. Das Erhalten und Anwenden des Erlernten, das ständige Trainieren verschiedener Extremfälle: Stromunfall, Säureunfall, Explosion, atomare Strahlung, Transport gefährlicher Güter auf allen Wegen – egal ob Straße, Schiene oder Luft –, Leitern klettern, Retten am Seil, Blut sehen, unter Straßenbahnen zu Verletzten kriechen, Fahrzeuge löschen, Tiere retten, Menschen trösten, Feuer bekämpfen.

    Da, wo alle wegrennen, müssen wir hin. Dafür hat jeder von uns einen Eid geleistet, notfalls auch sein Leben einzusetzen, um anderen zu helfen.

    7:28 Uhr, die gesamte Wachbesatzung traf sich in der Fahrzeughalle. 7:30 Uhr, das Knacken in der Leitung, aber wir blieben ruhig. Jeder Morgen brachte die gleichen Abläufe und das Leitstellenpersonal machte seine Durchsage.

    »Guten Morgen, es ist 7:30 Uhr, es folgt Probealarm. – Ding Dong-Dong Dong! – Probealarm Ende.«

    Unser Chef kam aus seinem Büro, den Wachplan in der einen, die Brille in der anderen Hand.

    »Morgen Männer!«

    »Morgen Hennes!«, klang es zurück. Wir waren alle per du. Der Chef war ein alter Fuchs, schon über 40 Jahre dabei, ein Pfundskerl, mit dem man blind in den Einsatz gehen konnte. Trotz seines Alters war er unheimlich fit und wir wussten, dass er jeden einzelnen persönlich aus einem Feuerloch holen würde, und wenn es noch so gefährlich wäre. Deshalb mochten wir ihn, diesen alten Bär mit Glatze, dem Schnurrbart und dem lieben Gesicht, wie das des Meister Eder vom Pumuckl. Obwohl natürlich auch er seine Mucken und Launen hatte und oft ein Donnerwetter losließ, dass man sich wünschte, zu Hause geblieben zu sein. Über den Rand seiner nach unten gerückten Brille blickte er in die Runde.

    »Ihr könntet auch mal mehr sein!«. Dann las er den Dienstplan vor, der schon am Nachmittag des letzten Diensttages getippt und ausgehängt worden war, so dass jeder seine Position bereits kannte. Hinter seinen großen Pranken verschwand der überwiegende Teil des Papiers. Johannes Keup, liebevoll Hennes genannt, benötigte kein Stemmeisen bei verschlossenen Türen.

    Getreu dem Schutzpatron gegen Feuersbrunst werden Feuerwehrfahrzeuge mit dem Namen Florian sowie einer Funkrufnummer bezeichnet. Und so ertönte nun die Aufzählung der Namen von Fahrzeugen, Männern und Aufgaben.

    »Florian 6/46/1, Zugführer Keup, Maschinist Decker, Angriffstrupp Meyer-Pyritz und Schorn, Wassertrupp Zierfass und Hintz. Florian 6/33/1, Kindgen und Ehard; Florian 6/59/1 Kindgen und Ehard. Florian 6/24/1 nehmen wir nur im Bedarfsfall mit. Das gleiche gilt für den Rüstwagen. Im Ernstfall sag ich Bescheid. So weiter, Notarzt Florian 6/81/1 Heck, Schulze und Flesch. Florian 6/83/1, Osthoff und Sbrzesny, Telegraphist Bragoner. Dann ist hier noch ein Rundschreiben: Die Stettiner Straße ist wegen Bauarbeiten gesperrt. Die Leitstelle meldet vom Flughafen starke Sturmböen mit Gewitter am späten Nachmittag. Denkt dann daran, dass jeder sein Fenster schließt, sonst gibt es wieder eine Überschwemmung. Um 8:00 Uhr treffen wir uns in der Fahrzeughalle zum Unterricht – das wär’s.«

    Jeder begab sich zu seinem Fahrzeug und checkte seine Ausrüstung sowie die für seinen Bereich in Frage kommenden Geräte durch. Am gründlichsten arbeiteten die Maschinisten. In der knappen halben Stunde erfolgte eine Art kleine Generalinspektion der Feuerwehrfahrzeuge: Kraftfahrzeugtank, Löschwassertank, Batteriezustand, Stromaggregat, Lichtmast, Handfunkgeräte, Pumpenbedienstand und, und, und.

    Die Leitstelle auf Feuerwache 1 in der Hüttenstraße rief durch die Lautsprecher zur Funkprobe.

    »Florian Düsseldorf ruft zur Stationsprüfung: Feuerwache 6 kommen!« Das galt unserem Telegraphisten Hugo Bragoner; er war die Schaltzentrale unserer Wache, quasi ein Ableger der großen zentralen Leitstelle der Hauptwache.

    »Feuerwache 6 verstanden«, antwortete er in das stationäre Funkgerät. »Florian 6/46/1 kommen.«

    »Florian 6/46/1 verstanden«, bestätigte Peter Decker, der Maschinist des 1. Fahrzeugs.

    »Danke, Florian 6/33/1 kommen.«

    »Florian 6/33/1 verstanden.«

    »Danke, Florian 6/81/1 kommen.«

    »Florian 6/81/1 verstanden«, bestätigte der Teamführer Horst Heck über einen extra eingebauten Telefonhörer im Patientenraum des Notarztwagens. Diese Zusatzsprechverbindung ist erst vor wenigen Jahren fest eingebaut worden und hat sich als sehr nützlich erwiesen. Mit ihr ist der Arzt zum einen in der Lage, akute Zustände und Vorbereitungen des Patienten an die Leitstelle durchzugeben und zum anderen konnte der Rettungssanitäter z. B. in der Unfallstation Herzalarm auslösen. Das war früher schwierig. Entweder musste der Maschinist dies während der Fahrt alleine erledigen, oder er musste den Telefonhörer – die Telefonschnur bis zum Ende ausgezogen – durch das Schiebefenster nach hinten reichen.

    Sieben Dienstschichten lang besetzt jeder die ihm zugeteilte Position, dann wurde in der Regel gewechselt. Nur der Teamführer auf dem Notarztwagen bleibt circa ein halbes Jahr auf seinem Posten. Dies ermöglicht eine bessere Zusammenarbeit mit den Ärzten, die gerne mit einer festen Bezugsperson zusammenarbeiten. Auf unserer Wache fährt immer ein fester Stamm junger Ärzte des Benrather Krankenhauses mit. Sie arbeiten wie wir 24 Stunden, lösen sich jedoch um 19:30 Uhr ab, so dass sie die Nacht mit der einen Feuerwehrschicht und den Tag mit der nächsten Tour fahren.

    Da es so gut wie keine ruhigen Nächte für den Notarztwagen gibt, schaltet die Leitstelle bei den morgendlichen Durchsagen das Notarztzimmer ab, um dem Doktor noch etwas Schlaf zu gönnen.

    Gefährliche Schnellstraße

    Heute sollte unserem derzeitigen Notarzt Dr. Thomas Frankenhauser diese kleine Erholungspause jedoch nicht vergönnt sein. Notfallkoffer, Medikamente, Infusionen, Elektrokardiogramm, Defibrillator und Beatmungsgerät waren bereits überprüft, Laken und Bezüge für die Krankentrage gewechselt, als mitten im allmorgendlichen Desinfizieren und Auswischen von Ablagen und Fußboden der erste Alarm einging.

    »Einsatz für Florian 7/83/1 und den Notarzt Feuerwache 6, Werstener Feldstraße, Ecke Münchner Straße, Verkehrsunfall!« Während das entsprechende Hallentor hydraulisch geöffnet wurde und die eigens für die Feuerwehr installierte Ampelanlage den frühmorgendlichen Verkehr stoppte, überprüfte ich gerade die Bebänderung meines Atemschutzgerätes. Alles ist auf Schnelligkeit ausgelegt, so sitzt man z. B. mit dem Rücken gegen das Gerät und kann es während der Fahrt anziehen. Atemschutzmaske, Helm, Hakengurt, Handlampe, Fangleine, Fluchthaube, Handschuhe und Lederjacke, alles war an seinem Platz. Im Mannschaftsraum des Löschgruppenfahrzeuges wird es durch zusätzliche Ausrüstungen immer enger. Sollten wir tatsächlich jemals mit vorgeschriebenen neun Feuerwehrmännern ausrücken, hätten wir kaum Platz, um uns auszurüsten.

    Höchstens vier Minuten nach Alarmierung des Notarztes gab es erneuten Alarm. Die Lichter gingen an und der Vierfachgong schallte durch alle Gänge.

    »Einsatz für Zug 6 und Florian 6/83/1 zur Werstener Feldstraße, Ecke Münchner Straße, Unterstützung Notarztwagen, VU (Verkehrsunfall) mit eingeklemmten Personen.« Jetzt wurde es ernst; Nachforderungen durch das eigene Personal bedeuten immer eine echte Unfallsituation, im Gegensatz zu vielen Meldungen von Privatpersonen, die angesichts der Angst und Verwirrung an den Unfallstellen zu Übertreibungen neigen. Aber egal wie die tatsächliche Situation auch aussieht, die Leitstelle schickt lieber einen Wagen mehr oder einen Zug zu oft, als ein einziges Mal zu wenig.

    »Die Drehleiter besetzt den Rüstwagen!« brüllte der Chef durch die Halle. Toni Kindgen und Addi Ehard hatten sich bereits mit ihrer persönlichen Ausrüstung dorthin begeben. Der Rüstwagen, ein altes Ungetüm mit einem unverwüstlichen Dieselmotor unter der langen Schnauze, war wohl das Lieblingsauto unseres Chefs Hennes Keup. Es schien uns oft so, als hätte er eine fast zärtliche Beziehung zu diesem Veteranen, der mit ihm gemeinsam in Dienst gestellt worden war. Das Gerücht hielt sich hartnäckig, dass der Rüstwagen mit der Pensionierung des Chefs im nächsten Jahr auch ausgemustert werden würde. Zwei von den Besten, Mensch und Maschine, dickes Blech, dickes Fell, robust und bestimmt noch tauglich für viele Jahre.

    Die Motoren dröhnten und das Starktonhorn räumte den letzten Zweifel unter den Autofahrern aus, dass wir es eilig hatten. Aber trotz Wegerecht und gesetzlich legalisierter Vorfahrt mussten die Maschinisten, besonders im Zugverband, hochkonzentriert fahren. Zu leicht wird unser Signal nicht gehört; wer achtet in seiner rollenden Diskothek auf zuckende Blaulichter. Wir brauchten nur etwa fünf Kilometer auf der direkt an unserer Wache vorbeiführenden Schnellstraße in Richtung Innenstadt zu fahren. Dabei überquerten wir drei große Ampelkreuzungen, jede davon hat ihre Geschichte. Wir kannten sie alle, die Unfälle von Rasern, die die Gelbphase oder das dunkelste Rot überfahren hatten. Tempo 70 war erlaubt, also fuhr der Durchschnitt 90 km/h, manche mehr. Ein Feuerwehrdiesel von 16 Tonnen ist kein Rennpferd, aber wenn diese Masse ihre volle Beschleunigung erreicht hat, dauert es sehr lange, um sie abzubremsen. Es gibt genug Spinner, die uns zeigen wollen, dass sie schneller sind als wir. Andere Fahrer irren vor uns her, total verwirrt wie Krähen auf der Flucht mit den unmöglichsten, nicht vorhersehbaren Reaktionen. Die Fahrt stellt an den Maschinisten ein Höchstmaß an fahrerischem Können und Konzentration. Er leistet Schwerstarbeit hinter dem Steuer. Gott sei Dank verhielt sich der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer diesmal diszipliniert und freundlich, so dass wir zügig durchkamen. Ein Polizeiauto mit eingeschalteten Sondersignalen rauschte an uns vorbei. Kurz darauf meldete der Chef die Fahrzeuge an.

    »Florian Düsseldorf kommen für Zug 6.«

    »Kommen Sie.«

    »Zug 6 mit Rüstwagen und 6/83/1 eingetroffen.«

    »Eingetroffen, verstanden, Ende.«

    Vor unseren Augen bot sich ein Bild der absoluten Verwüstung. Auf der stadtauswärts führenden Spur dieser

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