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Osteopathie und Swedenborg: Swedenborgs Einfluss auf die Entstehung der Osteopathie, im Besonderen auf A.T. Still und W.G. Sutherland.
Osteopathie und Swedenborg: Swedenborgs Einfluss auf die Entstehung der Osteopathie, im Besonderen auf A.T. Still und W.G. Sutherland.
Osteopathie und Swedenborg: Swedenborgs Einfluss auf die Entstehung der Osteopathie, im Besonderen auf A.T. Still und W.G. Sutherland.
eBook1.096 Seiten12 Stunden

Osteopathie und Swedenborg: Swedenborgs Einfluss auf die Entstehung der Osteopathie, im Besonderen auf A.T. Still und W.G. Sutherland.

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Über dieses E-Book

Emanuel Swedenborg (1668-1772) ist bisher fast ausschließlich aufgrund seiner esoterisch-theologischen Schriften bekannt. Nur Wenige wissen, dass dieser Lebensphase zwei davon vollkommen unterschiedliche aber ebenso bedeutungsvolle Phasen vorausgingen. Bis Mitte seiner 50er war Swedenborg als wissenschaftlicher Universalgelehrter in Europa hoch geschätzt, der sich auch intensiv mit anatomisch-physiologischen Fragen beschäftigte. Gerade aus seiner mittleren Schaffensperiode stammen zahlreiche herausragende und bahnbrechende Abhandlungen zu anatomisch-physiologischen Themen, deren angemessene medizinhistorische Würdigung noch aussteht.

Swedenborgs Weltbild war von der Vorstellung zweier sich entsprechender Welten bzw. Sphären bestimmt - einer himmlischen und einer irdischen. Zwischen ihnen fließen unentwegt Informationen, wobei die irdische Sphäre ein Abbild der himmlischen darstellt. Swedenborgs lebenslanger Passion galt in diesem Zusammenhang der Suche nach den anatomisch-physiologischen „Schnittstellen“ für diese Interaktion. Dabei antizipiert er das Nervensystem (v.a. Gehirn), Tremulationen (feinste „Zitterbewegungen“), Membranen (v.a. Gehirnhäute, Faszien) und Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Nervenwasser) als zentrale Medien. Mit diesem Ansatz begründet Swedenborg ein neues anatomisch-physiologisches Denken, das – wie das vorliegende Werk eindrucksvoll belegt – auf die Philosophie der klassischen Osteopathie und die Kraniosakrale Osteopathie einen bedeutenden Einfluss haben sollte.
SpracheDeutsch
HerausgeberJolandos
Erscheinungsdatum1. Okt. 2015
ISBN9783941523395
Osteopathie und Swedenborg: Swedenborgs Einfluss auf die Entstehung der Osteopathie, im Besonderen auf A.T. Still und W.G. Sutherland.

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    Buchvorschau

    Osteopathie und Swedenborg - David Fuller

    Osteopathie und Swedenborg

    Der Einfluss Emanuel Swedenborgs auf das Entstehen und die Entwicklung der Osteopathie – insbesondere auf Andrew Taylor Still und W. G. Sutherland

    David B. Fuller, DO, FAAO

    ÜBER DEN AUTOR

    David B. Fuller, DO, FAAO ist praktizierender osteopathischer Mediziner mit einem langjährigen Interesse an jener Philosophie, der der osteopathischen Medizin und Gesundheitsfürsorge zugrunde liegt. Er hat sich im Bereich neuromuskulärer Techniken, integrativer (holistischer) Medizin und Allgemeinmedizin spezialisiert. Fuller ist Mitglied der American Academy of Osteopathy, eine Organsitation, deren Mitglieder sich der Umsetzung jener holistischen Philosophie verschrieben haben, die der klassischen Osteopathie zugrunde liegt.

    Osteopathie und Swedenborg

    © 2012 Swedenborg Scientific Association

    ISBN 978-3-936679-34-2

    Swedenborg Scientific Association

    P.O.Box 757, Bryn Athyn, Pennsylvania 19009, USA

    www.swedenborg-philosophy.org

    Osteopathy and Swedenborg

    von David Fuller, DO, FAAO

    © 2013, JOLANDOS

    Am Gasteig 6 – 82396 Pähl

    978 - 3-936679 - 34-2 (Buch)

    978 - 3-941523 - 17-3 (mobi)

    978 - 3-941523 - 39-5 (epub)

    BESTELLUNG

    HEROLD Lositsik Service GmbH

    order@jolandos.de

    ÜBERSETZUNG

    Dr. Martin Pöttner, Martin Ingenfeld

    BEARBEITET

    Christian Hartmann

    U

    MSCHLAGGESTALTUNG

    , SATZ, BEARBEITET

    Christian Hartmann

    SATZ

    post scriptum,

    www.post-scriptum.biz

    DRUCK

    Buchproduktion Thomas Ebertin

    Goethestra.e 9, 78333 Stockach

    www.buchproduktion-ebertin.de

    EBOOK-GESTALTUNG

    Zeilenwert® GmbH

    Schwarzburger Chaussee 74 – 07407 Rudolstadt

    www.zeilenwert.de

    Jede Verwertung von Auszügen dieser deutschen Ausgabe ist ohne Zustimmung von JOLANDOS unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

    I

    NHALTSVERZEICHNIS

    COVER

    TITEL

    ÜBER DEN AUTOR

    I

    MPRESSUM

    A

    BKÜRZUNGEN

    UND

    L

    EGENDE

    V

    ORWORTE

    UND

    D

    ANKSAGUNG

    1.

    E

    INFÜHRUNG

    UND ÜBERBLICK

    2. DIE

    B

    IOGRAFIE

    S

    WEDENBORGS

    3.

    D

    ARLEGUNG

    VON

    S

    WEDENBORGS

    S

    CHLÜSSELANSCHAUUNGEN

    4. DIE FRÜHE

    V

    ERBREITUNG

    VON

    S

    WEDENBORGS

    IDEEN

    5.

    E

    MERSON

    , DIE

    T

    RANSZENDENTALISTEN

    UND

    S

    WEDENBORG

    6.

    P

    HRENOLOGIE

    7.

    M

    ESMERISMUS

    UND MAGNETISCHES

    H

    EILEN

    IN

    N

    ORDAMERIKA

    8.

    S

    WEDENBORGIANISCHE

    I

    MPULSE

    IN DEN 1840ER UND 1850ERN

    9. DIE

    B

    EWEGUNG

    DER NEUEN ÄRA

    10. DER

    M

    ESMERISMUS

    , DIE NEUE

    K

    IRCHE

    ,

    G

    EORGE

    BUSH UND DER JUNGE

    A

    NDREW

    J

    ACKSON

    DAVIS

    11. DIE

    P

    HILOSOPHIE

    DER

    H

    ARMONIE

    UND DER FRÜHE

    S

    PIRITISMUS

    12. DER AMERIKANISCHE

    S

    PIRITISMUS

    13.

    A

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    R

    USSEL

    W

    ALLACE

    :

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    VOLUTION

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    PIRITISMUS

    UND

    S

    WEDENBORG

    14. DIE NEW

    E

    NGLAND

    E

    MIGRANT

    AID

    S

    OCIETY

    15.

    M

    ETAPHYSISCHE

    B

    EWEGUNGEN

    AM ENDE DES 19.

    J

    AHRHUNDERTS

    N

    EUGEIST

    16.

    T

    HEOSOPHIE

    UND

    B

    IOGEN

    17. DIE

    B

    IOGRAFIE

    A

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    S

    TILLS

    18.

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    ERGLEICH

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    P

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    TILLS

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    WEDENBORGS

    19. J. M.

    L

    ITTLEJOHN

    , DO

    20. DIE

    B

    IOGRAFIE

    S

    UTHERLANDS

    21. ÜBERBLICK ÜBER

    S

    WEDENBORGS

    P

    ARADIGMA

    DES

    G

    EHIRNS

    22.

    S

    WEDENBORG

    UND

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    UTHERLAND

    V

    ERGLEICH

    UND

    G

    EGENÜBERSTELLUNG

    IHRER

    P

    ARADIGMEN

    23.

    H

    ISTORISCHE

    V

    ERBINDUNGEN

    ZWISCHEN

    S

    UTHERLAND

    UND

    S

    WEDENBORG

    24.

    Z

    USAMMENFASSUNG

    VON

    S

    WEDENBORG

    UND

    S

    UTHERLAND

    25.

    R

    OBERT

    C.

    F

    ULFORD

    , DO

    26.

    O

    STEOPATHIE

    UND DIE NEUE

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    IRCHE

    27.

    S

    WEDENBORG

    UND DIE

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    STEOPATHIE

    V

    ERGANGENHEIT

    ,

    G

    EGENWART

    UND

    Z

    UKUNFT

    A

    NHANG

    A:

    Z

    EITTAFEL

    A

    NHANG

    B:

    V

    ERGLEICH

    DER

    P

    ARADIGMEN

    VON STILL UND

    S

    WEDENBORG

    A

    NHANG

    C: VON A. T. STILL VERWENDETE

    B

    EZEICHNUNGEN

    G

    OTTES

    L

    ITERATURVERZEICHNIS

    E

    NDNOTEN

    INDEX

    F

    USSNOTEN

    ABKÜRZUNGEN

    AAO = American Academy of Osteopathy

    AAAO = American Association for the Advancement of Osteopathy

    AOA = American Osteopathic Association

    ASO = American School of Osteopathy

    FAAO = Fellow der American Academy of Osteopathy

    FCA = Fellow der Cranial Academy

    SSA = Swedenborg Scientific Association

    LEGENDE

    [ ] = Ergänzungen vom Autor, Übersetzer oder Herausgeber

    Fußnoten = Hinweise des Herausgebers

    Endnoten = Hinweise des Autors

    V

    ORWORT
    DES

    H

    ERAUSGEBERS

    Swedenborg-Anhänger mögen es mir verzeihen, dass Osteopathie in meinem Vorwort einen so großen Raum einnehmen wird. Da der

    JOLANDOS-Verlag

    auf die Veröffentlichung deutschsprachiger Literatur im Bereich Geschichte und Philosophie der (klassischen) Osteopathie spezialisiert ist, liegt dies aber in der Natur der Sache. Zudem besitze ich aufgrund eingeschränkter Kenntnisse von Swedenborgs immens umfangreichen Schriftwerks nicht die Qualifikation eine entsprechend fundierte Analyse zu Swedenborg einfließen zu lassen. Dies überlasse ich dem ausgewiesenen Swedenborg-Experten David Fuller in seiner Einführung.

    WARUM DIESES BUCH SO WICHTIG FÜR DIE

    O

    STEOPATHIE

    IST

    Fragt man Osteopathen, was Osteopathie ist, erhält man eine Vielzahl von Antworten: Medizinphilosophie, Sonderform der Chiropraktik, medizinisches Verfahren zur Behandlung des muskuloskelettalen Systems, Erweiterung des physiotherapeutischen Systems, energetisches Heilverfahren, Handauflegen, bis hin zu Aussagen wie etwa „Osteopathie ist das, was man daraus macht." – alles ist geboten. Diese offenkundige Identitätskrise der zeitgenössischen Osteopathie erscheint umso erstaunlicher, als die gerade einmal ein gutes Jahrhundert alte klassische Osteopathie der Gründerväter A. T. Still, J. M. Littlejohn und W. G. Sutherland ein in sich geschlossenes, vollkommen von der Systematik der regulären Medizin und den auf ihnen aufbauenden Verfahren/​Methoden (z. B. Manualmedizin = Chirotherapie) oder Begleitberufen (z. B. Physiotherapie) unabhängigen Medizinsystem beschreibt. Die Abgrenzung der klassischen Osteopathie gegenüber der regulären Medizin jener Zeit ist in der Literatur der Gründerväter bereits deutlich nachzuvollziehen: Während die reguläre Medizin (bis heute) überwiegend nach Pathologien sucht und diese zu bekämpfen versucht, vertraut die klassische Osteopathie den inherenten Selbstorganisationsmechanismen des Organismus als Ausdruck vollkommen harmonisch agierender Naturgesetze. Still bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt:

    „Gesundheit zu finden sollte die Aufgabe des Arztes sein.

    Jeder kann Krankheit finden." ¹*

    Es gilt also nicht mehr ‚böse Wesen‘ in Form von Krankheiten bzw. ‚Pathologien‘ zu suchen, zu klassifizieren und durch ‚heroische‘ Eingriffe zu bekämpfen; vielmehr lag der therapeutische Fokus der klassischen osteopathischen Medizin ausschließlich auf jenen Mechanismen, die Zeit unseres Lebens Gesundheit generieren und allein das Recht besitzen, sich ‚Drachentöter‘ zu nennen – und denen folglich auch der alleinige Preis des Siegers gebührt. Hier sei aber explizit erwähnt, dass Still sich bei seinen Ausführungen stets auf allgemeinmedizinische Beschwerdebilder im hausärztlichen Kontext bezieht.

    Stills streng salutogenetische ²* Behandlungsansatz der klassischen Osteopathie stand also von Beginn an im Gegensatz zur pathogenetisch orientierten Basisphilosophie weiter Teile der regulären Medizin und ihren Ablegern, wie etwa der Physiotherapie. Sie widerspricht aber auch vielen Strömungen innerhalb der Alternativ- oder Komplementärmedizin, bei denen zwar von Selbstheilungskräften gesprochen wird, diese Begriffe bei genauerem Nachfragen aber häufig dann doch wieder als Abwesenheit von Pathologien verstanden werden und zu deren Überwindung wieder ein ‚heldenhafter Behandler‘ auf seinem weißen Schimmel angeritten kommen muss. Nebenbei sei erwähnt, dass die klassische Osteopathie auch im Gegensatz zu unserem heutigen Kassensystem steht, da dieses fast ausschließlich auf pathologiebezogener Diagnostik vergütet. Um die für das Therapeuten-Ego so bedrohliche und in das Kassensystem nicht so recht passende klassische Osteopathie gefügig zu machen, wird daher immer wieder versucht, diese passend zu machen, was zur vieldeutigen Verzerrung und damit zwingend zur bereits erwähnten Identitätskrise führen muss. Ein Blick in den aktuellen Wikipedia-Eintrag beweist dies eindrücklich. Dort finden wir:

    „Die Begriffe Osteopathie […], osteopathische Medizin und osteopathische Behandlung beschreiben im Bereich der Alternativmedizin verschiedene Krankheits- und Behandlungskonzepte.

    In Europa werden darunter unterschiedliche befunderhebende und therapeutische Verfahren verstanden, die manuell, also mit den bloßen Händen des Behandlers ausgeführt werden." [Unterstreichungen nachträglich eingefügt]

    Seien Sie also kritisch, wenn Sie Definitionen zur Osteopathie lesen, da diese zumeist ohne ausreichende Kenntnis der klassischen Osteopathie erstellt und von starken Interessensgruppen überwacht werden. Besonders deutlich wird dies, wenn immer wieder von Stills angeblichen ‚Prinzipien der Osteopathie‘ gesprochen wird. Diese wurden von der American Osteopathic Association in den 1950ern festgelegt und spiegeln nur bedingt die Philosophie der klassischen Osteopathie wider.

    Will die Osteopathie eine echte Zukunft haben, wird sie wohl kaum umhin kommen sich wieder auf die Philosophie der klassischen Osteopathie zu besinnen. Dort – und nur dort – wird sie jene Identität und Kohärenz finden, die fundamental für eine homogene und kraftvolle Weiterentwicklung und damit für das authentische Überleben sein wird. Schon bei Sutherland können wir ganz richtig nachlesen:

    „Wir müssen zur Wissenschaft der Osteopathie zurückkehren. Wir können nirgendwo anders hingehen." ³*

    Und um gleich Missverständnissen in diesem Zusammenhang vorzubeugen: Es geht bei diesem Zurückkehren nicht um die Idealisierung bzw. Dogmatisierung der klassischen Osteopathie und Ihrer Gründerväter – Still selbst hat die Verehrung seiner Person stets vehement kritisiert –, sondern um eine (selbst-)kritische, sachliche und umfassende Rückbesinnung auf das ehemals einheitliche Fundament der Osteopathie. Und diese Rückbesinnung auf die klassische Osteopathie ist naturgemäß nur durch vertieftes Studium der Gründerliteratur und jener dazugehörigen Brückenliteratur möglich, die uns ihr Entstehen, ihre Sprache und ihre Deutung erschließen. Aus den bisher zwei im deutschsprachigen Raum erhältlichen Titeln besagter Brückenliteratur ⁴* erfahren wir dabei skizzenhaft, dass Stills Philosophie der Osteopathie maßgeblich von vier Geistesströmungen geprägt wurde: Dem Methodismus , der schamanistisch geprägten Weltsicht der Shawnee-Indianer , der Evolutionstheorie und vom Amerikanische Transzendentalismus, mit seinem wohl stärksten Seitenast, dem Spiritismus und dessen besonderen Heilsystem. Gerade dieser Spiritismus aber, welcher die Menschen in den noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika im Zuge der großen Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert maßgeblich prägte, geht in weiten Teilen auf den schwedischen Naturwissenschaftler, Philosophen und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688   –   1772) zurück.

    Osteopathie und Swedenborg setzt sich somit als erstes Werk überhaupt mit einer der für die Entstehung der klassischen Osteopathie wichtigsten Geistesströmungen auseinander und ermöglicht dem interessierten Leser damit einen besseren Zugang zu Stills Philosophie der Osteopathie. Allein deshalb ist Fullers Werk schon jetzt ein bedeutender Eckstein in jenem Gebäude, das aus medizinhistorischer Sicht alleinig dazu legitimiert ist, sich als ‚Osteopathie’ oder ‚Osteopathische Medizin’ zu betiteln.

    ZUR ÜBERSETZUNG

    Bei allen Übersetzungen amerikanischer Werke zur klassischen Osteopathie begegnet man Schwierigkeiten in punkto Ausdeutung bestimmter Begrifflichkeiten. Dies trifft umso mehr auf Fullers Buch zu, da hier sehr häufig metaphysisch relevante Begriffe in unterschiedlichster Bedeutung verwendet werden. Um hier eine einigermaßen klare Struktur in Rücksicht auf Swedenborgs und Stills Weltbild einzuhalten, wurden im Rahmen der Übersetzung einige Konventionen festgelegt:

    Spirit ⁵* →  Seele

    … falls damit der rein himmlische bzw. unsterbliche Anteil einer Person beschrieben wird.

    spirit → Geist

    … im Sinne von ‚geistig‘, als Ausdruck der göttlichen Wirkungskraft. Man könnte dies grob mit ‚heiliger Geist‘ gleichsetzen.

    Mind (mit großem ‚M’ im Originaltext) → Göttliche Intelligenz

    … beschreibt jene höhere ‚Intelligenz’, die durch den irdisch-metaphysischen Anteil des Menschen (sein Mentales) über anatomisch-physiologische Medien, wie etwa das Gehirn, Körperflüssigkeiten, Faszien etc. in den Körper vermittelt wird (z. B. das Wirken der Selbstheilungskräfte => Nur der ‚Mind’ kann heilen => Osteopathen sind keine Heiler.

    spirit/​mind → Mentales

    … falls die irdisch-metaphysischen Aspekte des Menschen, wie Intelligenz und Verstand, aber auch Intuition und Wahrnehmung bzw. Empfindung in Ihrer Gesamtheit gemeint sind.

    mind → Geist

    … wenn der Begriff im vorigen Kontext gemeint ist, aber versehentlich klein geschrieben wurde.

    mind → Verstand bzw. Intelligenz

    … falls die rein irdischen Aspekte des Mentalen gemeint sind.

    Diese oft in komplexen Zusammenhängen verwendeten Begriffe folgen – in Rücksichtnahme auf Swedenborgs und Stills Weltbild – folgender Hierarchie, die auf der Interpretation des Autors beruht:

    Liebe und Weisheit

    (die beiden alles durchdringende Aspekte Gottes)

    Geist/​Seele

    (unsterblicher Anteil innerhalb des irdisch Mentalen)

    Mentales

    (himmlisch-irdische Vermittlerinstanz innerhalb des Menschen)

    Verstand/​Intelligenz

    (irdische Bestandteile des Mentalen)

    Anatomie und Physiologie

    (irdische Vermittlerinstanz des Himmlischen)

    Bewegung

    (Irdischer Ausdruck des Lebens)

    Weitere Konventionen bei der Übersetzung:

    Der englische Begriff animate kann mit beleben, aber auch mit beseelen übersetzt werden und wurde je nach kontextueller Bedeutung gewählt.

    Der Begriff triune muss im Zusammenhang mit Stills Philosophie der Osteopathie stets als dreifach differenzierte Einheit übersetzt werden, um eine Verwechslung mit dem religiös geprägten Begriff Dreieinigkeit oder Dreiheit tunlichst zu vermeiden.

    Der Begriff form wurde als Form übersetzt, insofern rein irdische Sachverhalte beschrieben werden. Im metaphysischen Kontext wurde Gestalt verwendet.

    In den USA sind Osteopathen vollapprobierte Ärzte (DOs), deshalb werden sie im Amerikanischen wie die klassische Mediziner (MDs) als physicians bezeichnet. In der deutschen Übersetzung wurde Osteopath oder osteopathischer Arzt für DOs und allopathischer Arzt oder regulärer Mediziner für MDs verwendet.

    Der Begriff ghosts wurde mit Geisterwesen übersetzt und ist mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem, was wir unter Seele verstehen. Eine exakte Differenzierung ist aber an einigen Textstellen nicht eindeutig möglich.

    Gerade bei Begrifflichkeiten im Rahmen der kraniosakralen Osteopathie von Sutherland wurde die bereits im deutschsprachigen Sutherland-Kompendium von der Sutherland Cranial Teaching Foundation authorisierte Terminologie verwendet.

    Die Begriffe Spiritualism und spiritism beschreiben zwei grundverschiedene Sachverhalte und wurden entsprechend stringent mit Spiritualität und Spiritismus übersetzt.

    Begriffe, die auf einen göttlichen Ursprung hinweisen (im amerikanischen Originaltext stets groß geschrieben), wurden im deutschen Text in Kapitälchen gesetzt, also z.B. Intelligenz für Intelligence.

    Bei der Übersetzung galt ‚Authentizität vor Schönheit’, was sich an manchen Stellen naturgemäß auf die sprachliche Ästhetik auswirkt.

    Eine besondere Herausforderung bei der Übersetzung, stellte Fullers häufige Verwendung des bei uns umgangssprachlich kaum mehr verwendeten Konditionals dar. Dieses wurde ebenfalls aufgrund der schriftsprachlichen Authentizität beibehalten.

    K

    RITIK

    Bei aller Euphorie für Fullers grandioses Werk, muss korrekterweise auch auf einige kritische Punkte hingewiesen werden:

    Fuller ist kein großer Rhetoriker und neigt wie viele amerikanische Autoren zu umfassenden Wiederholungen. Dies mag bestimmte Textpassagen langatmig erscheinen lassen, lohnt aber dennoch die Lektüre, da in den Details doch immer wieder neue und interessante Aspekte auftauchen.

    Zudem ist Fullers Verehrung von Swedenborg offensichtlich und verleitet ihn gelegentlich zur spekulativen Indiziendeutung. Der aufmerksame und kritische Leser wird dies aber an den entsprechenden Textstellen schnell erkennen und die Aussagen leicht und klar relativieren können. Inhaltlich geht es dabei besonders um zwei höchstwahrscheinlich falsche Ausdeutungen Fullers:

    - Fuller unterstellt, dass Still das ‚spirituelle Wesen‘ des Menschen hierarchisch über sein ‚mentales Wesen‘ stellt. Still hingegen betont eindeutig, dass für ihn das ‚mentale Wesen‘ des Menschen über allem und nur das Nutzen des Mentalen allein den Menschen zur seiner spirituellen Weiterentwicklung befähigt. Einfach ausgedrückt: Nicht die spirituelle Ebene ist für die Weiterentwicklung des Menschen verantwortlich, sondern allein die mentale Ebene.

    - Fuller behauptet, dass bei allen Krankheitsbildern letztlich spirituelle Ursachen zugrunde liegen. Auch dies ist nicht korrekt, denn Still bleibt bei seiner Kasuistik stets im anatomisch-physiologischen Kontext, ohne auf mögliche spirituelle Einflussfaktoren einzugehen.

    So gewinnt man bei der Lektüre von Osteopathie und Swedenborg zuweilen den Eindruck, als sei Stills Philosophie der Osteopathie eine nahezu unveränderte Umsetzung von Swedenborgs Paradigmen im klinischen Kontext. Still wäre aber nicht Still, hätte er Swedenborgs Weltbild einfach 1 : 1 übernommen. Als originärer und unabhängiger Denker ging er damit ebenso kritisch-wohlwollend um, wie mit allen anderen Weltsichten, die ihm begegneten und integrierte in modulierter Form lediglich das, was er auch tatsächlich als nützlich erachtete.

    Letztlich schmälert diese einseitige Interpretation von Swedenborgs Einfluss auf Still aber in keinster Weise die große Bedeutung von Fullers Ausführungen für das bessere Verständnis der klassischen Osteopathie und damit schlussendlich auch für die Zukunft der modernen Osteopathie.

    ZUM

    S

    CHLUSS

    Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass der amerikanische Index 1 : 1 dem Original entspricht und lediglich bzgl. der Seiten angepasst wurde.

    Die zahlreichen Quellennachweise wurden als Block in Form von Endnoten ans Ende des Buches gestellt, um ein möglichst ‚barrierefreies’ Lesen zu ermöglichen.

    Im Literaturverzeichnis finden Sie schließlich Hinweise darauf, ob und wo bestimmte Zitate von Still und Sutherland in den aktuellen deutschen Ausgaben zu finden sind.

    DO bedeutete für die Gründerväter A. T. Still, J. M. Littlejohn und W. G. Sutherland weder ‚Doktor der Osteopathie‘, noch ‚Diplom Osteopath‘, sondern stand schlicht für ‚Dig On!’ (‚Grabe weiter!’). Der damit gemeinte Wissensdurst, die begeisterungsfähige und vorurteilsfreie Neugier auf sämtliche Aspekten des Daseins, bezeichneten nach Ansicht der Gründerväter jenes Herzstück, ohne das ein vertieftes Verständnis und auch richtiges, d. h. kunsthandwerkliches Praktizieren der osteopathischen Philosophie und Wissenschaft unmöglich ist. Ihre Neugier auf Osteopathie und Swedenborg ist damit im Blick der Gründerväter ein zutiefst osteopathischer Charakterzug, zu dem man Ihnen nur gratulieren kann.

    Nehmen Sie sich Zeit, genießen Sie das Lesen, lassen Sie sich entführen auf eine Reise zu einer der vier Urquellen der Osteopathie und ergründen Sie Einsichten, die bisher nur wenigen Osteopathen bekannt sind.

    Ich wünsche Ihnen wie immer viel Freude bei der Lektüre!

    Christian Hartmann

    Pähl, August 2013

    V

    ORREDE

    Die Idee zu diesem Buch ergab sich im Herbst 1987, wenige Wochen nach dem Beginn meines Studiums am Chicago College of Osteopathic Medicine. Erstmals bewusst begegnete mir Osteopathie während meiner Praktika im Rahmen meiner Bewerbung an medizinischen Schulen. Ich hatte die Möglichkeit, entweder eine osteopathische oder eine allopathische Medizinschule zu besuchen. Da ich zu jener Zeit an einem ganzheitlichen medizinischen Ansatz interessiert war, holte ich tief Luft und entschloss mich, in den osteopathischen Strom zu springen – und habe es seither nie bereut.

    Einer der ersten Kurse im osteopathischen Medizin-Kurrikulum war Geschichte der Medizin und er wurde von Ward Perrin, DO, geleitet. Perrin war ein sehr angesehener älterer Arzt, mit großem Interesse an diesem Thema. Er steigerte meine Neugier, als er über A. T. Still, den Begründer der Osteopathie, und über osteopathische Konzeptionen sprach, etwa, dass der einzelne Mensch aus Körper, Mentalem und Geist bestehe – mit einer innewohnenden Fähigkeit zur Selbstheilung. Ebenso interessierte mich die Idee, dass der osteopathische Arzt diesen innewohnenden Selbstheilungsprozess unterstützen solle. Ich war fasziniert, denn zusammen mit den mir bereits bekannten Überlegungen von Swedenborg hinterließen diese Gedanken ein deutliches Echo in mir. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich an einem sonnigen Tag im Hyde Park, Chicago, unter den Leuten saß und mir dachte, dass ich mich eines Tages mit diesen Verbindungen beschäftigen sollte.

    Die medizinische Ausbildung entpuppte sich jedoch als intensive und herausfordernde Erfahrung. Es gab wenig Zeit für den Luxus des Philosophierens bzw. für das Verfolgen eigener Forschungsprojekte. Ich tauchte schnell in das Kurrikulum ein und studierte Anatomie, Physiologie, Biochemie, Psychologie und alle anderen Fächer, deren Studium viel Zeit in Anspruch nahm. Obgleich ich mit der Idee spielte, die Werke A. T. Stills zu studieren, um sie mit jenen Swedenborgs zu vergleichen und in diesem Zusammenhang verschiedentlich kleinere Untersuchungen anstellte, vergingen noch etliche Jahre, bis ich die ersten wirklich ernsthaften Studien begann. Zunächst machte ich meinen Abschluss, absolvierte mein Anerkennungsjahr, eröffnete meine Hausarztpraxis und praktizierte neun Jahre lang. Dann erst empfand ich wieder den nachhaltigen Drang, mein Forschungsprojekt weiter zu verfolgen. Neben meiner hausärztlichen Tätigkeit war ich inzwischen auch in meiner eigenen Familie engagiert. Als Qualifikationen für die Studien konnte ich neben meiner allgemeinmedizinischen Erfahrung Spezialisierungen im Bereich osteopathischer manipulativer und holistischer Medizin vorweisen. 2004 entschloss ich mich schließlich dazu, das Thema ernsthaft zu anzugehen und bemühte mich in diesem Zusammenhang um ein Forschungsstipendium bei der American Osteopathic Association. Damals war ich mit Swedenborgs theologischen Arbeiten gut vertraut, hatte aber seine anatomischen Arbeiten nicht studiert, obgleich sie jahrelang in meinen Bücherregalen standen. Als ich mich in Stills Bücher vertiefte und zugleich Swedenborgs wissenschaftliche Werke las, wurde mir klar, dass der Einfluss Swedenborgs auf die Osteopathie sowohl Sutherland als auch Still umfassen musste. Daraufhin entwarf ich eine Arbeit, welche einen Vergleich von Swedenborgs Anschauungen zum Gehirn mit W. G. Sutherlands kranialem Konzept zum Ziel hatte. Zugleich richtete ich meine Forschung aber auf einen weit umfassenderen Themenbereich aus. Seit der Bewilligung des Forschungsstipendiums der American Academy of Osteopathy (AAO) im Jahr 2007 arbeitete ich intensiv an dem nun vorliegenden Buch.

    Durch meine Forschungen erweiterte sich meine Perspektive in Bezug auf Swedenborg wie auch auf die osteopathische Medizin grundlegend. Immer, wenn mich Freunde in jener Zeit zur Wahl des Themas fragten, scherzte ich, dass es von sehr großem Interesse für sehr wenige Menschen sei. Ich hoffe, dass Sie als Leser einer dieser wenigen Menschen sind. Dieses Buch ist für alle geschrieben, die an der Verbreitung der wissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Anschauungen Swedenborgs und ihrer Wirkung in und auf die Vereinigten Staaten während des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen und auf den osteopathischen Berufsstand im 19. und 20. Jahrhundert im Besonderen interessiert sind. Das Buch ist auch für diejenigen geschrieben, die an der Erforschung der Geschichte und Philosophie der Osteopathie interessiert sind. Es stellt viele Verbindungen zwischen Swedenborgs Anschauungen und der Osteopathie vor; zahlreiche Verbindungen, die bisher nicht entsprechend gewürdigt wurden. Die Philosophie und das innerhalb der Osteopathie brennende Interesse daran, mehr über Swedenborg, Still, Sutherland u. a. zu erfahren, waren mein Antrieb, neue Gebiete zu erforschen. Ich hoffe, dass das Buch dazu beiträgt, dem Thema eine angemessene Wertschätzung zu verschaffen, und dass es zugleich dazu dient, eigene Forschungen in diesem Bereich anzuspornen.

    David B. Fuller, DO, FAAO

    Mai 2011, Bay Minette, Alabama

    D

    ANKSAGUNGEN

    Vielen Dank dem Team der Bay Minette Public Library, insbesondere Tony Crook, der sehr viele Fernleihen aus dem gesamten Land für unsere kleine Stadt im südlichen Alabama organisierte. Über die Jahre sind Bücher von Kalifornien bis Pennsylvania, von Utah bis Nord-Alabama und aus vielen anderen Staaten in unsere kleine Bibliothek nach Bay Minette, Alabama, geflossen.

    Dank an das Still National Osteopathic Museum in Kirksville, Missouri, dessen ausgezeichnetes Team es möglich machte, über große Entfernung Forschung zu betreiben.

    Dank an Jane Stark, DOMP (Kanada), die so freundlich war, ihre Forschung zu Sutherlands Präsentation in Des Moines 1944 sowie Informationen über den Bezug von Ida Rolf 1973 auf Sutherland zu teilen und ebenso den äußerst hilfreichen Führer zu Still-Biografien in ihrer Masterarbeit. Dank an Ron Murray, DOMP (Kanada), der gleichfalls im Zusammenhang mit Ida Rolf hilfreich war.

    Dank an Carol Odhner, Direktorin der Swedenborg Library, und an Cindy Walker, Archivarin der Swedenborg Library in Bryn Athyn, Pennsylvania, für ihre Hilfe bei der Forschung zu Acton.

    Dank an Christian Fossum, DO (UK), und an Eric Snyder, DO, welche die Artikel von William L. Grubb, DO, aus den Jahren 1923 – 1925 an mich weitergaben.

    Dank an Jennifer Southworth, Leitende Koordinatorin, und Sydney Dunn, Ausführende Direktorin der Cranial Academy, die mir den Zugang zu den Archiven der Cranial Academy in Indianapolis, Indiana, ermöglichten.

    Dank an die AAO, die es mir erlaubte, meine durch das Stipendium der FAAO verfasste Forschungsarbeit in dieses Buch einzubeziehen.

    Dank an Carol Trowbridge für ihre enorme Arbeit und ihre Forschungen beim Schreiben ihrer Biografie über A. T. Still, Andrew Taylor Still: 1828 – 1917.

    Dank an die Swedenborg Scientific Association (SSA), insbesondere an Reuben Bell, DO, MDiv, für die Verbindung zur SSA und die Erleichterung dieser Veröffentlichung; Donald Fitzpatrick, PhD, für die Hilfestellung bei der Edition; Erland Brock, PhD, für die Unterstützung und Begleitung durch den Veröffentlichungsprozess; und an Lisa Childs für ihre sorgfältige Niederschrift und die Indexerstellung.

    Ich hoffe, dass die Anschauungen in diesem Buch Resonanz bei vielen Lesern erzeugen. Meine Forschung war unabhängig und die Schlussfolgerungen stammen von mir. Ich habe bei diesem Unternehmen keinerlei finanzielle Unterstützung durch eine Person oder Organisation erhalten.

    Dank schließlich an meine drei Kinder Rosemary, Caterina und Kent, dass sie die wertvolle Zeit mit ihrem Vater mit diesem Projekt teilten.

    Mein größter Dank gilt jedoch meiner Frau Janet M. Krettek, DO, FACOS. ONM/​NMM, deren unermüdliche Ermutigung, Kritik, Unterstützung und Vertrauen dieses Buch erst möglich gemacht haben.

    R

    ATSCHLAG
    AN DIE LESER

    Dieses Buch wurde für einen weiten Leserkreis geschrieben: für solche Leser, die an Osteopathie interessiert sind; für solche mit einem Hintergrundwissen zu Swedenborg; und für solche, für die beides neu ist. Ich möchte alle diesen Lesern einen kleinen Ratschlag mit auf den Weg geben.

    Der erste Teil dieses Buches behandelt einigermaßen detailliert das Leben und die Anschauungen von Emanuel Swedenborg. Jenen, die mit Swedenborg weniger vertraut sind, mag dies auf den ersten Blick als zu viel erscheinen. Ebenso wird Swedenborg-Kennern einiges redundant vorkommen. Da allerdings das Leben Swedenborgs und seine (anatomischen, philosophischen und theologischen) Konzeptionen wesentlich waren für die Verbreitung dieser Anschauungen im Nordamerika des 19. Jahrhunderts und zudem eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Osteopathie, insbesondere bei A. T. Still und W. G. Sutherland spielten, ist ein ausführliches Grundwissen zu Swedenborg unerlässlich. Deshalb ist der erste Teil grundlegend für das Verständnis der übrigen Teile des vorliegenden Werks. Ich hoffe, dass auch die, welche über Swedenborg bereits besser Bescheid wissen, in diesem ersten Teil neue Einsichten gewinnen können. Swedenborgs Überlegungen werden unter einem medizinischen, osteopathischen Gesichtspunkt analysiert und sie beziehen sich insbesondere auf Swedenborgs in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigte anatomische Werke und seine darin ausformulierten Schlussfolgerungen.

    Der zweite Teil dieses Buches untersucht die Geschichte der Osteopathie und ihre Konzeptionen tiefer gehend. Wie für den ersten Teil gilt auch hier: Jemandem, der mit der Osteopathie nicht sehr vertraut ist, mag das vorgestellte Material als äußerst viel erscheinen; für osteopathische Wissenschaftler wird hingegen manches redundant sein. Doch auch hier sind diese Informationen grundlegend für einen umfassenden Vergleich von Swedenborg, Still und Sutherland. Ich hoffe jedenfalls, dass dieser Teil einen gründlichen Überblick für diejenigen bietet, die nur wenig mit osteopathischen Anschauungen vertraut sind bzw. sich nur selten mit ihnen auseinandersetzen. Und für osteopathische Wissenschaftler bietet er hoffentlich neue Einsichten und Perspektiven. Für die Leser, die an den originalen Aussagen von Still und Swedenborg interessiert sind, gibt es darüber hinaus einen Anhang, der eine Erweiterung von Kapitel 18 darstellt und die Paradigmen beider mit ausführlichen Zitaten vergleicht.

    Während der Abfassung seiner Schriften arbeitete Swedenborg zugleich an und mit übergreifenden Leitkonzeptionen sowie mit schier unglaublicher Detailgenauigkeit. Allgemeine Prinzipien hatten solange keine Bedeutung für ihn, bis sie nicht im Einzelnen erforscht waren. Gleiches gilt für Still und Sutherland. Alle drei oszillierten in ihren Schriften zwischen Leitprinzipien und peinlich genauen Detailbeschreibungen. Ein umfassender Vergleich der Beiträge der Beteiligten erfordert daher das Studium der allgemeinen Paradigmen ebenso wie die Analyse der Einzelheiten. Dies erklärt schließlich, warum derart viel grundlegendes Material bei der Erstellung des vorliegenden Buchs berücksichtigt wurde. Ich hoffe, es dient dem Zweck und ist für alle Leser von Interesse.

    O

    STEOPATHIE

    UND

    S

    WEDENBORG

    1. 

    E

    INFÜHRUNG

    UND ÜBERBLICK

    Emanuel Swedenborg war ein pragmatischer und brillanter schwedischer Wissenschaftler und Philosoph im 18. Jahrhundert, der sich im Zusammenhang mit seinen Bemühungen um eine Vereinigung von Wissenschaft und Geist zu einem Theologen entwickelte. Er verfolgte dieses Ziel während seines langen und produktiven Lebens, ob nun als Assessor des Bergwerksdirektoriums, das diesen höchst wichtigen Wirtschaftszweig in Schweden regulierte, oder in seiner Funktion in der Adelskammer des Reichstags, die gemeinsam mit dem schwedischen König die Regierung bildete.

    Als führender europäischer Wissenschaftler in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte er eine Theorie der Teilchenphysik und eine Nebeltheorie des Sonnensystems und der Galaxien, bevor er sich anatomischen Forschungen zuwandte. Stets behielt er jedoch bei seinen Studien die Vereinigung von Wissenschaft und Geist im Blick. Seine wissenschaftlichen Forschungen führten ihn zum Studium des gesamten bekannten Wissens, zur Anatomie und – da er ein besseres Verständnis in Bezug auf die Verbindung zwischen Seele und Körper anstrebte – insbesondere zur Erforschung des Gehirns. Obgleich er seine Studien im Kontext der führenden Anatomen Europas betrieb, waren die von ihm entwickelten Anschauungen und Paradigmen gänzlich einzigartig. Er entwickelte ein anatomisch basiertes organisches Paradigma der Interaktion von Seele und Körper aufgrund von Konzepten wie dem einer belebenden Bewegung des Gehirns oder dem Ausgießen einer sehr feinen geistigen flüssigen Essenz in das Nervensystem, welche über neurofasziale Verbindungen in den restlichen Körper gelange, um diesen zu integrieren und zu stärken. Geist und Fleisch würden in einer organischen rhythmischen Einheit von Mentalem, Körper und Geist ⁶* verbunden. Swedenborg beschrieb diese Anschauungen in genauesten Details, die sich aus seinem Studium sämtlicher Systeme, Organe und Strukturen des Körpers ergaben.

    Gegen Ende seiner Arbeit und seines Schreibens über anatomische Themen geriet er in eine spirituelle Krise, die in einem Übergang hin zu theologischen Studien in den letzten drei Jahrzehnten seines langen Lebens kulminierte. Überzeugungen, die er aufgrund seiner früheren anatomischen, wissenschaftlichen und philosophischen Forschungen entwickelt hatte, durchdrangen nun seine theologischen Werke, wodurch er einen völlig neuen Zugang zur und ein neues Verständnis der Religion entwickelte. Dieses neue religiöse Paradigma sprach alle Hauptthemen an, welche die Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen betreffen. Es schloss detaillierte neue Konzepte und Themen ein, wie etwa das Verhältnis von geistigen und natürlichen Realitäten, das universale, von Gott geschaffene Gesetz, welches die gesamte Schöpfung bestimmt, das Leben nach dem Tod, geistiges Wachsen, das mögliche ewige Fortschreiten jedes Individuums und eine detaillierte Beschreibung von Seele, Mentalem und Körper – und wie diese als eine einzelne organische Entität interagieren bzw. als ein Mikrokosmos im Bezug zu einem größeren Makrokosmos stehen.

    Swedenborgs Anschauungen sind bereits isoliert betrachtet von allerhöchstem Interesse. Das vorliegende Buch befasst sich jedoch mehr mit dem Einfluss dieser Ideen und wie sie sich über die Welt und die Jahrhunderte ausdehnten. Dabei ist der Blick von Swedenborgs Zeit ausgehend in die Zukunft gerichtet, um ihren Einfluss auf die Schöpfung und Entwicklung eines neuen Ansatzes der Medizin zu erfassen, zu dem es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam, nämlich auf die Osteopathie. Des Weiteren wird die fortdauernde Präsenz der Gedanken Swedenborgs in Nordamerika während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargelegt; denn sie beeinflussten auch weiter jene osteopathische Profession, die heute rund um die Welt verbreitet ist. ⁷* Das Buch legt seinen Schwerpunkt dabei auf den Einfluss der Ideen Swedenborgs auf A. T. Still, den Entdecker der Osteopathie, und einen seiner Studenten, W. G. Sutherland. Letzterer entwickelte Stills Konzepte weiter zur ‚Osteopathie im kranialen Bereich’. Das Buch wird außerdem einige andere Beziehungen zwischen Swedenborg und der Osteopathie berühren.

    Was sie hier finden, ist eine Geschichte von Geschichten. Anschauungen sind wichtig, aber wenn sie nicht Teil von etwas Größerem werden, haben sie wenig Bedeutung. Je mehr wir über eine Person wissen, die großartige Ideen hat und bedeutende Taten vollbringt, indem sie etwa ein neues Paradigma und System wie die Osteopathie entwickelt, einen neuen Weg verfolgt und diesen in Form der Kranialen Osteopathie ausdehnt, desto besser können wir verstehen, woher diese Ideen kommen und wohin sie führen können.

    Indem wir Still in seiner Zeit, in der Gegend, in der er lebte, und in seiner intellektuellen Umgebung zu verstehen versuchen, können wir die Wurzeln der Osteopathie besser verstehen. Und um Stills Geschichte besser zu verstehen, müssen wir wiederum die Anschauungen derjenigen verstehen, die ihm vorausgingen und ihn beeinflussten und von denen nicht wenige auf unterschiedlichste Art und Weise mit Swedenborgs Ideen in Kontakt gekommen waren.

    Dabei handelt es sich um Geschichten von Menschen, die besondere Anschauungen entwickelten und deren Ideen durch verschiedene Gegenden und Zeiten flossen, bis sie schließlich einen beachtlichen Einfluss auf die Osteopathie ausübten. Dies alles geschah nicht in einem Vakuum: Es ereignete sich im Kontext von Menschen. Somit bietet dieses Buch auch eine Geschichte der Ideen Swedenborgs und der Menschen, die sie erfassten. Und wie diese sich von Europa aus über den Atlantischen Ozean nach Nordamerika bewegten und weitreichende Wirkungen hatten, indem sie durch verschiedene Personen in Teilen oder als Ganze weiter vermittelt wurden, darunter etwa die Neue Kirche ⁸* Swedenborgs, Ralph Waldo Emerson und die Transzendentalisten, Davis und die spiritistische Bewegung sowie die Neugeist-Bewegung und die Theosophie. Es ist sicher nicht verkehrt, in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass Swedenborg für viele Menschen recht Verschiedenes bedeutete.

    Das vorliegende Buch will also belegen, wie Stills intellektuelle, spirituelle und kulturelle Umwelt von Swedenborgs Ideen durchtränkt war, wobei manche beachtlich modifiziert wurden, während andere authentisch im Sinne Swedenborgs blieben. Weiter wird es zeigen, wie diese Anschauungen einen beachtlichen Einfluss auf Still im 19. Jahrhundert hatten und in Resonanz mit seinen Ideen standen, während er seine neue Wissenschaft der Osteopathie schuf und entwickelte. Zu belegen ist außerdem der unmittelbare und tief greifende Einfluss von Swedenborgs Ideen, insbesondere seines Paradigmas der Interaktion von Gehirn und Körper, auf Sutherland, als dieser die Kraniale Osteopathie entwickelte.

    Dadurch mag der Eindruck entstehen, als wäre die Osteopathie über ein Jahrhundert hinweg kontinuierlich mit der Verarbeitung von Swedenborgs Anschauungen beschäftigt gewesen, manchmal stärker, manchmal schwächer, doch jedenfalls in beeindruckender Kontinuität. In diesem Kontext werden die historischen und philosophischen Verbindungen zwischen all jenen Personen erforscht, welche die Anschauungen Swedenborgs und der Osteopathie direkt oder indirekt vermitteln. Das gilt nicht nur für Still und Sutherland, sondern auch für Ärzte wie J. M. Littlejohn, Beryl Arbuckle, Isabell Biddle, William L. Grubb und Robert C. Fulford. Im Anhang finden Sie eine Zeittafel, die Sie durch die verschiedenen und sich überschneidenden Ereignisse der vorgestellten Geschichten führen soll.

    2. DIE

    B

    IOGRAFIE

    S

    WEDENBORGS

    ÜBERBLICK

    Emanuel Swedenborg (1688 – 1772) war ein schwedischer Wissenschaftler und Philosoph aus dem 18. Jahrhundert, der sich später zu einem Theologen entwickelte. Er führte ein langes und produktives Leben, wobei er zwischen seinem 12. und 84. Lebensjahr diverse Schriften veröffentlichte. Dabei verfasste er über 40.000 Seiten zu einer Reihe von Themen, welche Naturwissenschaften wie Physik und Anatomie, aber auch Religion, Kosmologie und Theologie umfassten. ¹

    Swedenborg besaß zu seiner Zeit einen bedeutenden Einfluss auf andere europäische Intellektuelle. Nach seinem Tod gelangten seine Anschauungen über den Atlantik und wurden hatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts großen Einfluss in Nordamerika. ²

    Heute erinnert man sich an Swedenborg überwiegend wegen seiner theologischen Schriften. Jedoch waren einige seiner Schriften vor der theologischen Phase ihrer Zeit weit voraus und enthielten daher auch Konzepte, die von der Wissenschaftsgesellschaft über Jahrhunderte nicht anerkannt wurden. Seine wissenschaftlichen und philosophischen Schriften, insbesondere seine Werke, welche die Anatomie und Physiologie betrafen, umfassten ebenfalls Überlegungen, die später grundlegend für seine Entwicklung einer umfassenden organischen Theologie werden sollten. ³

    Swedenborg verfasste die große Mehrheit seiner Werke in lateinischer Sprache, der Wissenschaftssprache jener Zeit. Sie wurden seitdem in Englisch und viele andere Sprachen übersetzt. Manche englische Übersetzungen sind auch heute noch verfügbar und werden weiter mit Interesse gelesen. Andere Übersetzungen (insbesondere seine wissenschaftlichen Werke) sind inzwischen über 100 Jahre alt und klingen für den modernen Leser eher formal oder latinisiert.

    DAS FRÜHE LEBEN

    Emanuel Swedenborg kam als Emanuel Swedberg als drittes von neun Kindern Jesper und Sarah (Behm-)Swedbergs am 29. Januar 1688 in Stockholm zur Welt. Sowohl die Swedbergs als auch die Behms hatten Verbindungen zum wichtigen schwedischen Bergbau. Drei seiner Geschwister starben, während er noch jung war, und ließen ihn als ältesten Sohn mit einer älteren Schwester, Anna (die zwei Jahre älter war), und den jüngeren Geschwistern zurück. Er war mit Anna und einer weiteren, jüngeren Schwester, Hedwig, besonders vertraut. Beide boten ihm in unterschiedlichen Lebensphasen ein Zuhause.

    Emanuels Vater Jesper Swedberg (1653 – 1735) war ein bekannter und leidenschaftlicher lutherischer Pfarrer, der zur Zeit von Emanuels Geburt als Hofkaplan diente. 1719 wurde Jespers Familie von Königin Ulrika Eleonora geadelt und erhielt den Namen Swedenborg. Seit dieser Zeit hieß Emanuel und gilt er der Geschichte als Swedenborg. Jesper Swedberg gab seinen meisten Kindern biblische Namen, um sie an ihre Pflicht vor Gott und der Kirche zu erinnern. Jesper schrieb:

    „Der Name meines Sohns Emanuel bedeutet ‚Gott mit uns‘; sodass er sich stets der Gegenwart Gottes und der engen, heiligen und geheimnisvollen Verbindung mit unserem guten und gnädigen Gott erinnert, in die wir durch den Glauben gebracht worden sind, durch welchen wir mit Ihm verbunden und in Ihm sind."

    Jesper Swedberg war für seine Frömmigkeit bekannt – wegen seines Glaubens und der beispielhaften Darstellung des Glaubens im Leben. Er beklagte den wahrgenommenen moralischen Verfall seiner Zeit und er scheute sich nicht, andere zu kritisieren und denjenigen auf die Füße zu treten, die vor allem daran glaubten, dass Frömmigkeit in der Beachtung frommer Zeremonien bestehe. König Karl XI. war der erste, der den enthusiastischen Pfarrer während seiner Zeit als Militärkaplan bei der königlichen Reiterwache bemerkte. Er begann Swedberg zu bewundern, beförderte ihn auf Positionen mit Autorität und pflegte bei ihm Rat zu suchen.

    Als Emanuel vier Jahre alt war, berief König Karl XI. den energischen Jesper als Professor für Theologie an die Universität Uppsala. Bald danach wurde er zudem zum Rektor der Kathedrale von Uppsala ernannt, wobei er „[…] Leben und Schwung in die theologische Fakultät brachte." Dabei handelte es sich um eine sensible Position, denn zu jener Zeit kursierten zahlreiche theologische Debatten und neue Ideen, die innerhalb der lutherischen Kirche und auch an der Fakultät von Uppsala intensiv diskutiert wurden.

    Zu jener Zeit gab es zwei konkurrierende Strömungen religiösen und philosophischen enkens in Uppsala. Die erste war eine Art Scholastik ⁹* und gründete die gesamte Autorität der Kirche und der von der Kirche akzeptierten Lehren auf Aristoteles und seine Kommentatoren. Jesper Swedberg und die lutherische Orthodoxie erkannten im Blick auf Studium und Religion die Kirche als die letzte Autorität in allen Fragen und Problemen an. Die Integration der aristotelischen Anschauungen in die Kirchenlehre sollte ein richtiges und angemessenes Maß an weltlicher Wissenschaft bieten, um den menschlichen Verstand zu üben. Die Anhänger der Scholastik glaubten dementsprechend, dass sämtliche philosophische Probleme durch Bezug auf die Schrift, durch kultiviertes Studium von Büchern und das Heranziehen von Autoritäten gelöst werden könnten. ⁸

    Die zweite Denkströmung stand dazu in Opposition. Dieser Antischolastizismus wurde populär durch den berühmten Wissenschaftler und Philosophen René Descartes. Er lehrte, dass die beste Weise, das Unbekannte zu erkennen, in der Aufstellung eigener Deduktionen ¹⁰* und der Ausbildung unabhängiger Schlussfolgerungen bestehe. Descartes suchte die Natur betreffende Wahrheiten durch wissenschaftliches Studium zu ergründen. Ebenso war er davon überzeugt, dass Intuition eine Rolle in diesem Prozess spiele, wobei er meinte, dass sie aus dem Licht der Vernunft entstehe. Demgegenüber betrachtete er die Kirche nicht als Autorität und hatte auch keine Probleme damit, orthodoxe Anschauungen herauszufordern.

    Descartes reiste auf Einladung von Königin Christine 1610 nach Schweden, da sie mehr über seine Ideen erfahren wollte. Bedauerlicherweise starb Descartes nur wenige Monate später an einer Lungenentzündung. Doch seine Ansichten hatten einen Feuersturm von Ideen und Erörterungen ausgelöst, der ein Jahrhundert lang über Schwedens akademische Welt hinweg fegte. Descartes’ Philosophie hatte „[…] eine Fackel der Freiheit des Denkens an der Universität Uppsala angezündet."

    Eine große Kontroverse in Hinblick auf diese beiden konkurrierenden Schulen entbrannte zwischen der theologischen und der philosophischen Fakultät der Universität Uppsala. Diese wurde schließlich durch das Dekret König Karls XI. besänftigt:

    „Die Lehren des christlichen Glaubens dürfen nicht der philosophischen Kritik unterworfen werden. Doch ansonsten ist die Philosophie in Praxis und Erörterung frei."

    Ende des 17. Jahrhunderts existierte daher ein bedeutendes Maß an Freiheit des Denkens in Schweden, welche freie wissenschaftliche Forschung erst ermöglichte. Dennoch behielt die Kirche weiterhin großen Einfluss. ¹⁰

    Jesper Swedberg war ein sehr populärer Lehrer während seiner zehnjährigen Dienstzeit in Uppsala, das zur damaligen Zeit als Epizentrum des fortgeschrittenen Forschens in Schweden galt. Der junge Emanuel wuchs demnach inmitten häufiger akademischer und theologischer Erörterungen auf, zu denen auch das Dilemma des scholastischen und wissenschaftlichen Zugangs zur Wahrheit und weitere Themen gehörten. Man kann also sicher davon ausgehen, dass der junge Emanuel in einem sehr religiösen, aber zugleich akademischen Haushalt aufwuchs. ¹¹

    Als Emanuel 1696 acht Jahre alt war, starb seine Mutter. Ein Jahr darauf heiratete sein Vater Sara Bergia, deren Familie ebenfalls über Verbindungen zum schwedischen Bergbau verfügte. Emanuel lebte bis 1703 bei seinem Vater und seiner Stiefmutter, jenem Jahr, in dem sein Vater zum Bischof von Skara ernannt wurde. Mit diesem Ereignis zogen Vater und Stiefmutter nach Brunsbo und ließen den

    15-jährigen

    Emanuel bei seiner älteren Schwester Anna und deren Ehemann Erik Benzelius. Benzelius war Theologieprofessor in Uppsala, später Erzbischof von Uppsala und dazu ein führender Wissenschaftler Schwedens. Als flammender Cartesianer war er ein starker Befürworter des wissenschaftlichen Zugangs zur Welt und der intellektuellen Freiheit. Er führte Korrespondenzen mit den prominentesten Menschen seiner Zeit und war in Kontakt mit den bedeutenden Zentren fortgeschrittener Forschung in Europa, wie etwa der Royal Society in London. Benzelius ermutigte Emanuel bei seinen wissenschaftlichen Studien. Emanuel war sehr vertraut mit Anna und Erik, zeitweise betrachtete er Erik sogar als Vaterfigur, obwohl er weiter gute Beziehungen zu seinem Vater und seiner Stiefmutter pflegte. ¹²

    S

    WEDENBORGS

    B

    ILDUNG

    Swedenborg erhielt seine frühe Bildung durch einen Privatlehrer, seinen Cousin Johan Moreus, der ihn auf die Universität vorbereitete. Moreus hatte Interesse an Medizin und erwarb später einen medizinischen Titel in Frankreich. Emanuel hatte ebenfalls Kontakt zu Wissenschaftlern, die seinen Vater besuchten, wie etwa Olof Rudbeck, Professor für Medizin und Botanik in Uppsala. Rudbeck war ein Freund der Familie und hatte dadurch bedeutenden Einfluss auf Emanuel. Er weckte bei seinen berühmtesten Studenten – Swedenborg und Linné – ein tiefes Interesse für Anatomie und Botanik. ¹³

    1699 schrieb sich Emanuel in Uppsala ein, wo er bis zu seinem Abschluss 1709 blieb. Damals bot die Universität hauptsächlich vier Studienbereiche an: Theologie, Jura, Medizin und Philosophie (Naturwissenschaft und Mathematik mit eingeschlossen). Obgleich sich Emanuel für Philosophie entschied, drängte ihn seine neugierige Natur zu weiteren Forschungsbereichen. Bereits als Student offenbarten sich seine weitreichenden Interessen. Er studierte Jura und lernte fremde Sprachen, er wurde mit Latein (der Lehrsprache an der Universität) ebenso gut vertraut wie mit Griechisch und Hebräisch. Während seiner späteren Reisen als Erwachsener erwarb er sich zusätzlich zu seiner Muttersprache Schwedisch Kenntnisse in Englisch, Französisch und Italienisch. Zur Entspannung verfasste er lateinische Poesie und studierte Musik. Er spielte gerne Orgel und vertrat den Organisten in der Kirche, sofern das erforderlich war. Bei Professor Roberg studierte er Anatomie. Dieser war ein enthusiastischer Liebhaber der Anatomie und sicherte der Universität später das Recht, medizinische Titel zu verleihen. Swedenborg war bekannt für seine Vielseitigkeit und Einbildungskraft und ebenso dafür, dass er in praktischen Dingen sehr gründlich und bodenständig war. ¹⁴

    1709 verteidigte der

    21-jährige

    Swedenborg erfolgreich seine Dissertation (die er seinem Vater widmete) und graduierte an der Universität von Uppsala. Damals galt sein Hauptinteresse der Naturwissenschaft und folglich hatte er die Absicht, seine naturwissenschaftlichen Forschungen im Ausland zu vertiefen. Obgleich sein Universitätsstudium ihn mit den zu seiner Zeit bedeutenden und bewegenden Ideen der späten Renaissance und der frühen Aufklärung in Kontakt gebracht hatte, erschöpften ihn diese Studien nicht gänzlich. Zudem war es damals üblich, in den fortgeschrittenen Bildungszentren Europas ein Auslandsstudium zu absolvieren. ¹⁵

    FRÜHE

    R

    EISEN

    1710 begab sich Swedenborg im Alter von 22 Jahren und ausgestattet mit Empfehlungsschreiben von Erik Benzelius zur Royal Society nach London, um dort Naturwissenschaften zu studieren. Diese Reise entpuppte sich als Abenteuer mit mehreren Beinahe-Katastrophen: fast erlitt Swedenborg Schiffbruch, um ein Haar wurde das Schiff von Piraten geentert und außerdem drohte ihm in England die Todesstrafe, weil die angesichts eines Pestausbruchs in Schweden verhängten Quarantäne-Regeln nicht eingehalten worden waren. ¹⁶

    Unmittelbar nach seiner Ankunft in England begann er mit dem intensiven Studium der englischen Sprache, um sich vor der Begegnung mit englischen Wissenschaftlern Fertigkeiten in ihrer Sprache zu erwerben. ¹⁷

    Um während seiner Auslandsreise Kosten zu sparen, wohnte er bei verschiedenen Handwerkern. So ging er tagsüber seinen anderen Studien nach und erlernte abends das Handwerk seiner jeweiligen Gastgeber. In London, Oxford und anderen englischen Städten erwarb er die Fähigkeit, Uhren, Möbel und Blechblasinstrumente zu bauen sowie Gravuren zu erstellen. Swedenborg studierte Chemie, Physik und Mathematik bei Schülern Newtons und anderen und widmete sich der Astronomie bei den renommierten Astronomen John Flamsteed und Sir Edmund Halley. Diese namhaften Wissenschaftler stellten ihn wiederum Mitgliedern der Royal Society und anderen Wissenschaftlern vor. Gegen Ende seines Englandaufenthalts unterzog sich Swedenborg sogar noch dem ausgiebigen Studium der englischen Poesie und Literatur. ¹⁸

    Damals war die englische Führung daran interessiert, eine Methode zur Bestimmung der Längengrade auf See zu entwickeln. Für die britische Marine war dies von hoher Priorität, weil das britische Weltreich den Globus umfasste. So lobte die englische Regierung einen hoch dotierten Preis für die beste Lösung aus und Wissenschaftler aus ganz Europa bemühten sich darum, eine derartige Methode zu entdecken. Swedenborg engagierte sich neben seinen anderen Studien auch bei der Lösung dieses Problems, was seinen Forscherdrang in der neuen Umgebung nur weiter beflügelte. ¹⁹

    Swedenborg blühte im englischen Umfeld freier Rede, freien Denkens und freier wissenschaftlicher Forschung auf. Er schätzte auch die Freiheit der Presse. In England erweiterte er seinen Horizont viel mehr, als dies in Schweden möglich war, und er begegnete dadurch vielen bedeutenden Denkern jener Zeit. ²⁰

    Zwei Jahren nach seiner Ankunft in England reiste Swedenborg weiter nach Holland. In Leiden verbrachte er einige Zeit mit dem Pionier der Mikroskopie, Anton von Leeuwenhoek, den er später neben vielen anderen in seinen anatomischen und physiologischen Werken zitierte. Er wohnte bei einem Linsenschleifer und lernte dort, Qualitätslinsen herzustellen. Swedenborg kombinierte dabei dieses neue Wissen des Linsenschleifens mit seinen bereits vorhandenen Kenntnissen in der Herstellung von Blechblasinstrumenten, um ein eigenes Mikroskop herzustellen. Da er es sich nicht leisten konnte, eines dieser teuren Instrumente neu zu kaufen, war er einfach dazu gezwungen, sich selbst eines zu bauen. Sein Mikroskop entsprach dabei einem Modell, das er in Anton van Leeuwenhoeks Labor gesehen hatte, wobei Swedenborgs Mikroskop über eine

    40-fache

    Vergrößerung verfügte, Leeuwenhoeks hingegen nur über eine

    20-fache

    . ²¹

    Anschließend verbrachte Swedenborg ein Jahr in Frankreich, wo er führende französische Wissenschaftler traf. Darauf folgte Deutschland und schließlich an der Südküste der Ostsee Rostock, das sich zu jener Zeit in schwedischem Besitz befand. Hier sammelte er seine Notizen, Zeichnungen und Überlegungen zu einer Präsentation der Ergebnisse seiner Reise. Obgleich sich die meisten seiner Studien mit Chemie, Astronomie, Mathematik, Physik und Poesie befassten, war sein Notizbuch auch voll von Zeichnungen und Details der unterschiedlichsten Erfindungen. Mehrere davon dienten später seiner Arbeit sowie der Verbesserung der Sicherheit schwedischer Arbeiter. Und viele seiner Erfindungen standen in Zusammenhang mit dem Bergbau, wie etwa eine mechanische Hebevorrichtung und weitere maschinelle Hilfsmittel, wie Luftpumpen, Seile, Federn und Siphons. Andere Erfindungen waren dagegen eher von theoretischer Natur, so etwa ein universales Musikinstrument, Pläne für eine Luftmaschine und ein Boot, das unter Wasser fahren konnte. ²²

    Swedenborgs Flugzeugpläne sind deswegen bemerkenswert, weil sie später als erster vernünftiger Entwurf eines Luftfahrzeugs anerkannt wurden. Es handelte sich um die ersten Pläne, die einen festen Flügel mit einer wirklichen Tragfläche kombinierten, ein Cockpit für den Piloten und einen Landungshebel einschlossen. Swedenborg hatte die Flügelfläche richtig berechnet, die nötig war, um das Fahrzeug in der Luft zu halten, und ebenso die Notwendigkeit erkannt, eine entsprechende Antriebsquelle zu entwickeln. Jedoch handelte es sich nur um den theoretischen Entwurf eines Flugzeugs, welches er nie tatsächlich baute. Modelle jenes Luftfahrzeugs befinden sich im Raum für frühe Fluggeräte im Smithsonian Aerospace Museum sowie in der Swedenborg-Bibliothek in Bryn Athyn, Pennsylvania. ²³

    Zur selben Zeit entwickelte Swedenborg eine Methode, den Längengrad versuchsweise mithilfe des Mondes zu bestimmen. Diese Lösung schien erfolgreich zu sein, allerdings wurden dazu exakte Tabellen der Mondbewegung benötigt. Flamsteed hatte Swedenborg versprochen, dass diese bald erscheinen würden, als er bei ihm arbeitete, doch sie waren immer noch nicht verfügbar. Als junger, eifriger Wissenschaftler wollte Swedenborg seinen König und sein Land durch die Lösung des Längengradproblems stolz machen. ²⁴

    Abb. 1: Swedenborgs Flugmaschine, 1714

    DER FRÜHE BERUFLICHE

    W

    ERDEGANG

    Der

    26-jährige

    Swedenborg kehrte Ende des Jahres 1714 von seinen Reisen in Europa nach Schweden zurück. Ehrgeizig wie er war, suchte er eine Position oder einen Weg, um sein Wissen und seine Fähigkeiten anzuwenden. Jedoch gab es zur Zeit seiner Rückkehr große Probleme. Aufgrund der Kriege König Karls XII. waren die Landesfinanzen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Karl XII. war 1697 Karl XI. nachgefolgt und hatte eine Folge von Kriegen begonnen, die das schwedische Staatsvermögen ernstlich dahinschmelzen ließen. Die Wirtschaft stagnierte und von außen initiierte Innovation gab es nicht. Relativ zu Kontinentaleuropa fiel Schweden in den Wissenschaften zurück und bot nur sehr wenige Möglichkeiten für einen jungen Wissenschaftler. Zudem betrachteten die konservativen schwedischen Gelehrten und Akademiker Swedenborg mit seinen jüngsten Studien in England, Frankreich und Holland eher als einen talentierten Außenseiter denn als einen gleichrangigen Kollegen. ²⁵

    So betrieb Swedenborg eigenständig wissenschaftliche Aktivitäten. Neben dem Versuch, ein astronomisches Observatorium und eine Gesellschaft für Forschung und Wissenschaft aufzubauen, gründete er Schwedens erste wissenschaftlich-technische Fachzeitschrift mit dem Namen Daedalus Hyperboreus (der nördliche Daedalus). Den ersten Teil des Namens entlehnte er einer Figur aus der griechischen Mythologie, die als erste geflogen war. Swedenborg wollte damit das Interesse an den Naturwissenschaften entfachen und entwarf daher seine wissenschaftliche Zeitschrift entsprechend ähnlicher Vorlagen gelehrter Gesellschaften in anderen Ländern. Er hoffte, dass dies die Basis einer ersten, zukünftigen gelehrten schwedischen Gesellschaft von Wissenschaftlern sein werde. ²⁶

    Swedenborg widmete den ersten Band des Daedalus Hyperboreus König Karl XII., der sein Interesse für das Projekt bekundet hatte. Er scheint sehr beeindruckt von dem jungen, eifrigen und aufgeweckten Swedenborg gewesen zu sein, vielleicht auch, weil er großes Interesse an der Mathematik hatte und viel von ihr verstand. Zugleich war er aber auch ein König mit bedeutenden praktischen Interessen. Mathematik, Naturwissenschaft und Technologie sollten zum Vorteil der Erhaltung und Entwicklung seines Landes dienen. Da er Swedenborg als nützlichen Gelehrten und Ingenieur betrachtete, nahm er ihn in seiner Gefolgschaft auf vielen seiner Reisen durch das Land mit. Swedenborg seinerseits ermutigte den König, den Fortschritt der Wissenschaft in Schweden zu fördern. ²⁷

    Während der nächsten Jahre fand Swedenborg viele Freunde und arbeitete eng mit Schwedens bekanntem Erfinder und berühmtestem Wissenschaftler Christopher Polhem zusammen, der ihn unter seine Fittiche nahm. Polhem war mit 72 Jahren eher ein väterlicher Freund Swedenborgs und mit Karl XII. gut vertraut. Er war weithin bekannt und zog Studenten und Besucher aus ganz Europa an. Swedenborg war in jener Zeit mehr als nur ein Student an seiner Seite, er erfüllte vielmehr die Pflichten eines assistierenden Ingenieurs. Schließlich beauftragte König Karl die beiden, einen Kanal durch eine zerfurchte Berglandschaft zu treiben, um Stockholm mit der Nordsee zu verbinden. Swedenborg beaufsichtigte während dieser Zeit den Transport von 14 Kriegsschiffen über Land, um die norwegische Marine bei der Belagerung von Frederikshald zu bekämpfen. ²⁸

    Polhem war sehr beeindruckt von Swedenborg, was sich auch daran zeigt, dass beide nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner wurden. Beide träumten davon, in Uppsala ein mechanisches Institut zu eröffnen. Es sollte den Menschen in Schweden helfen, mit praktischen Erfindungen und Verbesserungen durch Technologie, wie etwa eine verbesserte Dreschmaschine, bessere Erträge bei der ernte zu erzielen. ²⁹

    Auf Empfehlung des Königs bot Polhem Swedenborg sogar die Hand seiner ältesten Tochter Maria an, doch dieser hatte ein Auge auf deren jüngere Schwester, Emerentia, geworfen. Emanuel und Emerentia wurden verlobt, doch sie war mit dieser arrangierten Hochzeit nicht glücklich. So ließ er sie frei, damit sie einen Anderen heiraten konnte, dem sie sich bereits zuvor zugewandt fühlte. Offensichtlich war diese Entscheidung für ihn sehr schmerzvoll, denn er fühlte sich stark von ihr angezogen. Emerentia war brillant, schön und fähig. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie die Leitung des Glühofens bei Stjarns. ³⁰

    Polhem bat den König, Swedenborg eine Ehrenposition zu gewähren und Karl gab Swedenborg die Wahl zwischen einer akademischen Berufung und einer an das Direktorium der Bergwerke. Da sich Swedenborg für letzteres entschied, berief Karl den

    28-jährigen

    Swedenborg 1716 zum ehrenamtlichen ‚außerordentlichen Gutachter’ des Direktoriums der Bergwerke. Das Direktorium hatte eine große Bedeutung, da der Bergbau zu jener Zeit den bedeutendsten Industriezweig Schwedens und das Rückgrat der Wirtschaft bildete. Er war auch die finanzielle Grundlage zahlreicher Familien der Elite und des Königshauses. Zur Zeit Swedenborgs war die Förderung von Metallen, insbesondere von Kupfer und Eisen, am bedeutendsten geworden und um die Jahrhundertwende machten Eisen, Stahl, Kupfer und Blech 80 Prozent der schwedischen Exporte aus. ³¹

    Das Direktorium der Bergwerke war sehr aktiv darin, alle Förderaktivitäten zu überwachen, Streitigkeiten zu schlichten, Bergwerke zu inspizieren, effizientere Methoden für den Bergbau zu entwickeln und sie auf dem neuesten Stand der Metallurgie zu halten. Polhem hatte dem König geraten, jemanden für das Direktorium der Bergwerke zu berufen, der sowohl über einen wissenschaftlichen wie auch über einen technischen Hintergrund verfügte, denn er hatte bemerkt, dass das Direktorium bereits genügend Mitglieder hatte, die es bloß verstanden, zu regulieren. Obwohl es noch mehrere Jahre dauern sollte, bis Swedenborg voll bezahlt wurde, genoss dieser seine Arbeit. Er schlug sogar lukrative Angebote aus, wie etwa eine Professorenstelle für Astronomie an der Universität Uppsala. Die Position am Direktorium der Bergwerke passte nicht nur gut zu Swedenborgs Interessen und zu seiner naturwissenschaftlichen Erfahrung, sondern auch zu seinen familiären Beziehungen zum Bergbau. ³²

    Im November 1718 wurde König Karl XII. während der Belagerung einer norwegischen Stadt getötet und im März 1719 folgte ihm seine jüngere Schwester Ulrika Eleonora auf den Thron. Sie festigte ihre Macht und ihre Popularität dadurch, dass sie zustimmte, ihre Herrschaft kooperativ mit dem Reichstag auszuüben. Dieser bestand aus einer Adligen-, einer Kleriker- und eine Bürgerkammer sowie der Bauernvertretung. Ein Jahr später übergab sie den Thron an ihren Ehemann Fredrik, wobei das Übereinkommen erhalten blieb. ³³

    Der Tod König Karls XII. beendete Schwedens sogenannte ‚große Zeit’, in der das Land militärisch expandierte. Unter seiner Regentschaft umfasste das Reich zahlreiche Gebiete im Umkreis der Ostsee und des heutigen Finnlands. Aber es war auch eine Zeit absoluter Herrschaft des Monarchen mit Tyrannei, scharfer Besteuerung und harter Vorschriften zum Militärdienst. Während jener Epoche gab es zwei einflussreiche und mächtige Parteien und diejenige, welche die militärische Expansion ohne Rücksicht auf Kosten befürwortete, verlor mit Karls Tod deutlich an Macht. Die neue Monarchie wechselte den Kurs, konzentrierte sich auf die Stabilisierung des Landes und vermied weitere Expansionspläne. Damit begann ein neues ‚Zeitalter der Freiheit’, in dem die Macht des Monarchen begrenzt und mit dem Reichstag geteilt wurde. Dabei wurde der Reichstag von der Adelskammer dominiert. Die schwedische Führung richtete ihre Reformen an innenpolitischen Problemen aus und dieser Entschluss erwies sich als erfolgreiche Strategie, um Schweden über das nächste Jahrhundert erblühen zu lassen. ³⁴

    Im Mai 1719 adelte Königin Ulrika die Familien der schwedischen Bischöfe. Emanuels Name änderte sich von Swedberg zu Swedenborg und sein Leben veränderte sich ebenfalls. Als ältester Nachkomme der Familie erhielt er einen Sitz in der Adelskammer und nahm ab diesem Zeitpunkt für den Rest seines Lebens regelmäßig an deren Sitzungen teil, sofern er keine Auslandsreisen unternahm. Swedenborg schrieb während seiner

    53-jährigen

    Mitgliedschaft viele Vorlagen für die Kammer; seine Vorlagen aus den Jahren 1722 – 1771 sind erhalten und decken einen weit gestreuten Themenbereich ab: von der Reform der schwedischen Währung, der Balance des Handels und Prioritäten bei der Gewinnung bestimmter Metalle über die Entwicklung der Eisenproduktion bis hin zu Vorlagen zur Beförderung der Freiheit in Schweden sowie dem Aufbau einer Metallherstellung in Rollenform. ³⁵

    Obgleich Swedenborg aufgrund der mangelhaften Unterstützung der Wissenschaften in Schweden frustriert war, betrieb er seine Studien weiter und schrieb Aufsätze zu zahlreichen Themen, beispielsweise: das erste in Schweden veröffentliche Werk über Algebra; über Kräne, um schwere Gegenstände zu heben; eine Studie zu Fossilien und zur Analyse des Erdbodens; zum Flussaufwärtssegeln; über Handel und Manufaktur; über Feuer und Farben; über alternative Methoden der Salzherstellung; über Veränderungen in der Rotation der Erde; über die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen; über Docks und Kanalabdichtungen; über Analysen der Gezeiten und über Währungsschwankungen. Ebenso verfasste er ein Werk Über Tremulationen. ¹¹* Dies war sein erstes Werk über Anatomie und Physiologie aus dem Jahr 1719. Er argumentiert darin, dass die Lebenskraft des Körpers aus feinen Schwingungsbewegungen bestehe, die den gesamten Körper durchdringen. Dieses Werk ist deshalb von großem Interesse, weil es ein gründliches Wissen über Anatomie zeigt, allen voran von einem Nervensystem, das in das Kreislaufsystem, das Lymphsystem und den Rest des Körpers einschließlich der Knochen integriert ist. Hier zeigt sich sein frühes Interesse am Studium der Bewegung als Quelle des Lebens. Es geht seinen Prinzipien und späteren Studien voraus, die wiederum zu weiteren anatomischen Studien führten. Swedenborg schrieb viele Jahre lang kein weiteres Werk zu Anatomie und Physiologie. Dennoch begleiteten ihn diese Interessensbereiche sein gesamtes Leben hindurch. ³⁶

    Im selben Jahr verstarb Swedenborgs geliebte Stiefmutter Sara Bergia an Lungenentzündung. Sie war mit Jesper Swedberg 23 Jahre verheiratet gewesen und hinterließ den Kindern von Swedberg, insbesondere aber Emanuel, wertvolle Bergwerksanteile, darunter Hammerwerke, Brennöfen, Wälder und Felder. Emanuel Swedenborg und sein Stiefbruder Lars Benzelstjerna kauften der Familie die restlichen Güter ab. Benzelstjerna lebte beim Bergwerk Starbo und führte es so, dass Swedenborg seine Studien fortan frei betreiben konnte. ³⁷

    1721 brach Swedenborg erneut ins Ausland auf, um seine Forschungsaktivitäten auszudehnen. Nachdem er vom König die Erlaubnis zur Abwesenheit vom Bergwerksdirektorium erhalten hatte, reiste er durch Europa, um den Bergbau und den Manufakturprozess außerhalb Schwedens zu studieren und um weiter zu veröffentlichen. Er besuchte innerhalb eines Jahres in vielen Ländern mehrere Zentren für Bergbau und Metallschmelzen, und er nutzte diese Zeit zum Verlegen sechs wissenschaftlicher Werke (über Chemie, Metallurgie, Methoden der Astronomie, Dockdämme und Navigation). Diese erschienen bei Friedrich Hekel in Leipzig, einer der führenden Druckereien Europas. In Ludwig Rudolph, dem Grafen von Braunschweig, fand er einen weiteren Freund und Förderer, der ihn dabei unterstützte, die Kosten seiner Veröffentlichungen zu tragen. Swedenborg war mit mehreren Mitgliedern des deutschen Adels befreundet, insbesondere mit Ludwig Rudolph, den er 1722 während seines Besuches im Harz kennenlernte. Einige Historiker haben vermutet, dass der Graf anfänglich einen ausgezeichneten ausländischen Bergbauexperten an seinen Hof habe holen wollen, dann aber bald den universalen Geist seines schwedischen Gastes erkannt und ihre Beziehung zu einer echten Freundschaft entwickelt habe. ³⁸

    Mit der Rückkehr nach Stockholm kehrte Swedenborg auch in sein Leben als Adliger, Regierungsbeauftragter und Schriftsteller zurück. Er befasste sich wieder intensiv mit seiner Tätigkeit für das Bergwerksdirektorium und wurde schließlich 1724 auf eine ständig entlohnte Position berufen.

    Das Bergwerksdirektorium bestand aus sieben Mitgliedern und traf sich in elf Monaten des Jahres an jedem Wochentag. Damit erfüllte es wichtige administrative, technische und regulative Funktionen. Die Bergwerke standen im Wettbewerb und waren meistens im Besitz von Familien oder kleinen Gesellschaften. Das Direktorium unterteilte Schweden in vier Distrikte, berief Leiter der Minen und einen Amtmann für jeden Distrikt. Jeder verfügte über einen Gerichtshof, um Differenzen zwischen den verschiedenen Unternehmen zu klären. Das Bergwerksdirektorium diente seinerseits als oberstes Gericht für die Bergwerke. Jedes Mitglied des Direktoriums – jeder Assessor – legte seine Sichtweise der juristischen Fälle dar und das Direktorium entschied letztlich darüber, welche und wie viele Metalle abgebaut werden sollten und durften; es legte Standards für die Qualität des Metalls fest und inspizierte sowohl die geförderten Metalle als auch die Bergwerke. Um die Abbaumethoden zu studieren und die Metallqualität zu bestimmen, unterhielt das Direktorium das fortschrittlichste Labor des ganzen Landes. Das Direktorium regulierte darüber hinaus die Preise und kontrollierte die Steuern auf Metalle. ³⁹

    Als Assessor des Bergwerksdirektoriums war Swedenborg intensiv mit juristischen Entscheidungen, technischen Angelegenheiten und Personalfragen, aber auch mit wissenschaftlichen und technischen Fragen befasst. In dieser Position diente er dem Direktorium 23 Jahre, ehe er sich 1747 zurückzog, um seine Anstrengungen ganz auf seine theologischen Schriften zu konzentrieren. ⁴⁰

    Ebenfalls Mitte der 1720 er verehrte Swedenborg eine junge Frau, Kristina Maria Steuch. Die Tochter des Bischofs von Karlstadt hatte zu jener Zeit drei ernsthafte Verehrer und entschied sich schließlich nicht für Swedenborg. Daraufhin schlug seine Familie eine andere mögliche und attraktive Partnerin zur Heirat vor, doch Swedenborg machte offensichtlich weder ihr noch irgendeiner anderen Frau mehr den Hof. ⁴¹

    In jener Zeit lebte er bei seiner Schwester Hedwig und ihrem Ehemann, bis sie 1728 verstarb. Nach ihrem Tod begann er das Leben eines Junggesellen und stellte einen Diener an. Sein Neffe und Schüler Erik Benzelius der Jüngere studierte bei ihm, lebte teilweise bei ihm und schloss sich ihm schließlich im Bergwerksdirektorium an. ⁴²

    B

    ERUFSLAUFBAHN

    , WISSENSCHAFTLICHE WERKE UND WEITERE

    S

    TUDIEN

    IM

    A

    USLAND

    Von 1722 bis 1733 arbeitete Swedenborg neben seiner Tätigkeit am Bergwerksdirektorium ständig an seinem ersten großen Werk, Opera Philosophica et Mineralia. Nach seiner Vollendung stellte er das Manuskript im September 1733 dem Verleger Friedrich Hekel in Leipzig vor. Swedenborg begutachtete sein Werk Anfang 1734 und im Alter von 46 Jahren veröffentlichte er es als sein erstes eigenständiges wissenschaftlich-philosophisches Werk in drei Bänden. ⁴³

    Der erste Band wurde unter dem Titel Principia bekannt. Der Untertitel lautet im Deutschen nach der englischen Übersetzung von 1845: Die ersten Prinzipien der natürlichen Sachverhalte, die neue Versuche zur philosophischen Erklärung der elementaren Welt darstellen. Dieser Band umfasste eine übergreifende Kosmologie, sowohl eine Sternennebel-Theorie als auch eine atomare Theorie der Arten. Die Prinzipien bildeten eine Studie des Endlichen, das seinen Ursprung im Unendlichen erkennt, ohne welches es nicht hätte entstehen können oder weiter existieren könnte. Alles wird durch dieses Gesetz reguliert, vom Kleinsten bis zum Größten, von den ersten Punkten und Teilchen der Existenz bis zu den Galaxien. Die Principia veranschaulichen Swedenborgs Bemühungen, eine Kosmologie zu präsentieren, welche die Ordnung und den Zweck der Schöpfung erklärt, und die ihn schließlich zu einer Untersuchung der Struktur der Materie von den ersten Teilchen bis hin zum gesamten Kosmos führt. ⁴⁴

    Swedenborgs Theorie der feinsten Teilchen schloss eine Hypothese über die Bildung der Materie aus Energie ein, der zufolge sich reine Energie lokalisiere und sich zu einem ‚ersten Punkt’ bzw. einem ‚Einfachen’ bilde. Dieses sei das Medium zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, aus dem nach und nach alles andere entstehe. Das Medium selbst bestehe aus reiner Bewegung bzw. einer ‚Bestrebung’ zur Bewegung hin, da ohne Bewegung nichts existieren könne. Alle endlichen Sachverhalte stammten von dieser ersten Ursache. Zwar sei sie geometrisch nicht erfassbar, dennoch sei sie nicht Nichts. ⁴⁵

    Diese ersten einfachen oder endlichen Punkte fließen in eine Spiralbewegung ein, welche das ‚erste Endliche’ als kleinste Entität der Natur hervorruft und aus der alles andere aufgebaut ist. Das erste Endliche ist geometrisch und besitzt eine spiralförmige Bewegungsfigur mit Polen, Äquatoren und Meridianen, die ihm eine achsenförmige und fortschreitende Bewegung verleihen. Sofern es in seiner fortschreitenden Bewegung schwingt, bezeichnet Swedenborg es als ‚Aktives’, wenn dies nicht der Fall ist, gilt es ihm als ‚Passives’. ⁴⁶

    Obwohl dies ein faszinierender Ansatz ist, liegt Swedenborgs Konzept der Physik außerhalb des Interessenbereiches der vorliegenden Arbeit. Zusammenfassend lässt sich aber sagen: Die ‚Punkte’ der Bewegung sammeln sich zu ‚ersten Endlichen’ und verschmelzen mit anderen ersten Endlichen, um verschiedene Ebenen der Materie zu bilden. Swedenborg ordnete jeder dieser Aktivitätsebenen verschiedene Eigenschaften zu. Der erste und feinste natürliche Punkt schließt eine zirkuläre aktive Bewegung ein, die dann zu einem ersten Endlichen verbunden wird, welches wiederum eine spiralförmige Bewegung bzw. Drehbewegung einschließt und sich zu einem zweiten Endlichen als passivem Empfangenden von Bewegung

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