Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde: Geschichte, Philosophie, Praxis, Perspektiven
Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde: Geschichte, Philosophie, Praxis, Perspektiven
Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde: Geschichte, Philosophie, Praxis, Perspektiven
eBook316 Seiten10 Stunden

Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde: Geschichte, Philosophie, Praxis, Perspektiven

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In diesem Buch geht es um die positiven Auswirkungen einer im ursprünglichen Sinne humanen Heilkunst. Den Menschen als Ganzes zu betrachten, alle seriösen Formen der Heilkunst integrativ zu nutzen und die elementaren Naturkräfte als Grundkonstanten menschlicher Existenz zu respektieren, ist das Anliegen der Traditionellen Naturheilkunde. Die Frage, was Gesundheit sei, kann und sollte dabei auch geschichtlich betrachtet werden. Dann wird sie zu einem Spiegelbild der jeweils herrschenden Weltanschauung, die unseren persönlichen Überzeugungen notwendigerweise zu Grunde liegt. Die Betrachtung philosophischer und medizinischer Ansätze, die auch heute noch das naturheilkundliche Weltbild prägen, befähigt zu einer umfassenderen und tieferen Wertschätzung unserer eigenen Gesundheit und der Gesundheit von Natur und Umwelt. Denn nur eine gesunde Natur besitzt noch jene Mittel und Reize, die unseren Organismus zur Selbstheilung aktivieren können.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Dez. 2022
ISBN9783347799868
Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde: Geschichte, Philosophie, Praxis, Perspektiven
Autor

Rudolf Theelen

Rudolf Theelen, Jahrgang 1966, ist Heilpraktiker und freischaffender Autor im Bereich alternativer Heilverfahren und Komplementärmedizin. In seiner eigenen Praxis konnte er umfangreiche Erfahrungen in der Anwendung der Traditionellen Naturheilkunde sammeln. Aktuell ist er Inhaber und Leiter eines renommierten Lehrinstituts zur Ausbildung von Heilpraktiker*innen mit dem Schwerpunkt der integrativen Medizin. Zusätzlich zu einer fundierten Ausbildung in Naturheilkunde studierte er Philosophie und Medizingeschichte an der LMU München. Als Autor hat er Bücher zu verschiedenen naturheilkundlichen Themen veröffentlicht.

Ähnlich wie Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde

Ähnliche E-Books

Medizin für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Naturheilkunde und integrative Medizin - Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde - Rudolf Theelen

    1

    Geschichtliche Grundlagen

    1.1

    Krankheit und Gesundheit im Wandel der Zeit

    Ein Überblick

    In allen Hochkulturen des Altertums galt körperliche, seelische und geistige Gesundheit als unabdingbare Voraussetzung für ein glückliches und im weitesten Sinne erfolgreiches Leben. Daran hat sich bis heute nichts verändert, wenn sich auch die Ansichten zur Praxis der Gesunderhaltung im Laufe der Zeit gewandelt haben. Jeder von uns wünscht sich eine stabile gesundheitliche Verfassung, die Grundlage ist für ein energievolles und möglichst langes und glückliches Leben. In der Regel zögern wir auch nicht, unseren Mitmenschen Gesundheit zu wünschen, wenn sie sich von diesem Zustand entfernt haben sollten. Doch wie oft verwenden wir die Frage: „Wie geht´s? lediglich als Phrase? In der Regel meinen wir es mit dieser Frage kaum ernst und erhoffen als Antwort ein kurzes: „Danke, gut! und sind irritiert, wenn unser Gegenüber die Frage zum Anlass nimmt, sich über sein Befinden tatsächlich in aller Ausführlichkeit auszulassen.

    Dass sich diese Floskel in unserer alltäglichen Kommunikation derart eingebürgert hat, bestätigt eindrucksvoll, dass Gesundheit einen prominenten Platz in der Rangliste existentiell wichtiger Bedürfnisse einnimmt. Gesundheit ist auch stets ein zentrales Thema in Medien und Politik, im Gespräch mit dem Nachbarn, in der Auseinandersetzung mit unseren Freunden und der eignen Familie und nicht zuletzt mit uns selbst. Was aber ist Gesundheit? „Gesundheit ist ein Zustand von umfassendem körperlichen, geistigen und sozialen Wohlgefühl und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Befindlichkeitsstörungen", heißt es übersetzt in der Präambel zur Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Darüber hinaus wird in der gleichen Satzung der für ein Individuum beste erreichbare Gesundheitszustand als eines der fundamentalen Menschenrechte bezeichnet.

    Dass alle Menschen dieser Erde von diesem Recht Gebrauch machen können, davon sind wir weit entfernt. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber einer der wichtigsten ist sicher die beständig fortschreitende Ungleichheit der Verteilung von Kapital und Wohlstand. Woran denken wir, wenn wir von Gesundheit sprechen? An Heilung oder an die Vermeidung von Krankheiten oder an Ärzte, Kliniken, Krankenkassen, Beitragssätze etc.? Ist jemand, der von einer Krankheit geheilt ist, gleichzeitig auch gesund? Krankheiten sind, dies scheint uns selbstverständlich, mehr oder weniger schwer, und sie sind ganz, teilweise oder gar nicht heilbar. Gesundheit dagegen wird in der Alltagssprache meist als etwas Absolutes dargestellt, ausreichend definiert durch die Abwesenheit von Krankheit und daher keiner Differenzierung bedürftig. Es ist aber offensichtlich, dass Gesundheit viele Aspekte jenseits des Fehlens von Krankheit besitzt.

    Ein wesentlicher Aspekt lässt sich schon im Vorhinein benennen: Gesundheit ist eine Sache der persönlichen Wahrnehmung und daher objektiv nur schwer fassbar. Das „Gesundsein ist also meistens identisch mit dem „Sich-Gesund-Fühlen – wenigstens aus der Sicht des Betroffenen. Und ob ein Mensch sich gesund fühlt, hängt in beträchtlichem Maße von Faktoren ab, die sich der Ratio und einer Beurteilung von außen entziehen und darüber hinaus von Mensch zu Mensch verschieden sind. Dieser subjektiven Wahrnehmung steht die objektivierende Beurteilung des Behandelnden gegenüber, der die Entscheidung darüber fällt, ob ein Mensch als gesund oder krank zu gelten habe.

    Zu den Aufgaben der Heilberufe in Deutschland zählen die Diagnose und Behandlung von Krankheiten, aber auch die Verhütung derselben durch individuelle Gesundheitsberatung, ein Bereich, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend von anderen Berufsgruppen übernommen wurde. Gesundheitsberatung ist nötig, denn Gesundheit ist ständig gefährdet, man kann sie schnell verlieren, sie ist nicht selbstverständlich, sie muss im Gegenteil mit besonderer Aufmerksamkeit gepflegt und geschützt werden.

    Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie wurde schon in der Antike in einer Weise berücksichtigt, von der wir lernen können. In der Antike lag der Schwerpunkt ärztlicher Gesundheitsberatung in den Empfehlungen, welche die Lebensführung, griechisch diaita, betrafen. Im Laufe der Zeit wurde aus der griechischen diaita als Kunst der Lebensführung die Diät im Sinne einer mehr oder weniger individuellen Reduktions-, Schon- oder Krankenkost. In mehr als zwei Jahrtausenden haben sich die Grundlagen der Diätetik kaum verändert, wurden aber den jeweiligen Epochen entsprechend interpretiert und sowohl den herrschenden Wertvorstellungen als auch dem jeweiligen Wissensstand angepasst.

    Zu Beginn der antiken Diätetik standen vorwiegend hochrangige Persönlichkeiten – Könige, Stadträte, Patrizier, Adlige – im Mittelpunkt der ärztlichen Einzelberatung. Erst im Laufe vieler Jahrhunderte drang das diätetische Wissen zu den breiteren Volksschichten durch und wurde dann in Form von Lehrgedichten, Kalendern oder Schulbüchern weitergegeben. Herophilos von Chalkedon schrieb im 5. Jhdt. v. Chr.: „Wenn die Gesundheit fehlt, kann sich Weisheit nicht zeigen, die Kunst nicht offenbar werden, aller Reichtum nicht nützen … Gesundheit ist das höchste Gut und die Heilkunst die vornehmste aller Künste."

    Dies war eine der wesentlichen Grundüberzeugungen der Antike, in der der Mensch als Träger der Gesundheit noch mit all seinen Anteilen im Mittelpunkt stand. Gesundheit wurde verstanden als ein harmonischer Fluss, in dem alle Lebenskräfte sich im Gleichgewicht und alle Körpersäfte in ausgeglichener Mischung befanden. Dementsprechend wurden alle Bewegungen, die von diesem „Idealzustand" wegführten, als krankmachend bezeichnet. Aber nicht die Behandlung der krankhaften Zustände stand im Mittelpunkt der antiken Heilkunst, sondern die Erhaltung des harmonischen Gleichgewichts, heute würden wir sagen: die Prävention. Um in der Einzelberatung passende Anweisungen geben zu können, musste der Arzt individuelle Faktoren wie Konstitution oder persönliche Verhaltensformen sowie allgemeine Faktoren wie Klima, Umwelt und Gesellschaft beachten.

    Hippokrates von Kos (ca. 46–370 v. Chr.) gilt auf Grund eben solcher genauer Beobachtungen von auslösenden Faktoren, die man als kritisch-analytische Diagnostik bezeichnen könnte, und seinen rationalen Beschreibungen von Krankheitssymptomen als Begründer der wissenschaftlichen Medizin der Antike. Nach hippokratischer Denkart war eine Regel für alle gleich wichtig: die des richtigen Maßes. Auf der Basis der hippokratischen Erkenntnisse entwarf der Arzt Diokles von Karystos im 4. Jhdt. v. Chr. für eine vermögende Persönlichkeit einen idealen Tagesablauf und wurde damit zum Begründer der ganzheitlichen ärztlichen Diätetik.

    Bei den Römern galt die Auffassung, zur Gesundheit gehöre neben dem leiblichen Wohlbefinden ein gesunder Geist. Der römische Dichter Juvenal (ca. 60–140 n. Chr.) hat es in einem berühmt gewordenen Satz beschrieben: „Orandum est ut sit mens sana in corpore sano", übersetzt: Es wäre zu wünschen, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen möge. Die Allgemeinheit der römischen Bevölkerung vertrat allerdings die Meinung, dass der gesunde Mensch weder Diät noch ärztliche Beratung brauche, sondern Gymnastikübungen und ausgiebige Bäder. Der bedeutendste Arzt der römischen Antike, Galen (129–199 n. Chr.), entwarf ein Schema der Heilkunde, in welchem er zwischen dem Bereich der Gesundheit und dem der Krankheit einen dritten, nämlich den der Lebensführung anordnete. Mit Galen erreichte die Diätetik ihren Höhepunkt, sein Konzept blieb verbindlich für die europäische Heilkunst vieler Jahrhunderte.

    Um das Jahr 1050 erschien in der arabischen Welt ein Gesundheitsbuch des Arztes Ibn Butlan mit dem Titel „Taqwin al-sihha, der darin das gesamte medizinische Wissen seiner Zeit darlegte, vergleichbar mit dem „Quanun al-Tibb (Kanon der Medizin) von Avicenna. Im 13. Jhdt. entstand eine lateinische Version dieses Werkes mit dem Namen „Tacuinum Sanitatis und im 16. Jhdt. erschien eine reich bebilderte Ausgabe in deutscher Sprache, die „Schachtafelen der Gesuntheyt. Auf vierzig Tafeln werden die wichtigsten Gesundheitsmaßnahmen, in Übereinstimmung mit Galenos Empfehlungen zur Lebensführung, kurz und prägnant dargestellt. Hier konnte sich der gesundheitsbewusste Leser reichhaltig informieren, welche Maßnahmen nötig waren, um sein körperliches und seelisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Offensichtlich wurde der Ernährung die größte Bedeutung zugemessen, denn Speisen und Getränke besetzen den größten Anteil der Tafeln. Ein Abschnitt über Luft erläutert Umweltbedingungen wie Klima und Jahreszeiten, ein weiterer über Wasser beschreibt dessen Heil- und Reinigungskraft in Form der Badekultur. Über Beischlaf wird berichtet, Leibesübungen sollen den Körper stärken. Das rechte Maß blieb verbindlich bei den Leidenschaften, bei Freude und Zorn, bei Musik und Gesang und sogar im Zustand des Schlafes.

    Eine beliebte medizinische Literaturgattung im Mittelalter war das so genannte „Regimen sanitatis": Gesundheitsregeln nach dem Vorbild der diätetischen Briefe an hochgestellte Persönlichkeiten in der Antike. Solche Gesundheitsbücher umfassten die sechs traditionellen Punkte der Diätetik, doch der Schwerpunkt lag auch hier auf der Ernährung: Beschaffenheit, Zusammensetzung und Zubereitung der Speisen wurden ausführlich besprochen.

    Um 1500 wurden Merkkalender populär, die mit allerlei Rezepten, Lebens- und Gesundheitsregeln sowie medizinischen Ratschlägen versehen waren. Oft basierten die Anweisungen auf astrologischen Vorstellungen, nach denen der Mensch als Teil des Kosmos von den Gestirnen beeinflusst war. Von Bedeutung waren dabei die Sternbilder des Tierkreises, die Mondphasen und die Planetenbewegungen.

    Im 18. Jhdt. wurde die Gesundheit schließlich zum Gegenstand der Politik und rückte immer weiter in das Zentrum des staatlichen Interesses. Der Staat als übergreifende Instanz begann die Bedeutung gesunder Lebensführung zu erkennen, da nur ein gesunder Bürger seine Pflichten zur Zufriedenheit des Staates erfüllen konnte. Die Gesundheitsreglementierung lag bei den Ärzten, die damit dem Staat ihre Dienste leisteten. Die Ärzte waren Befürworter eines öffentlichen Gesundheitswesens und gleichzeitig Verfechter einer individuellen Gesundheitserziehung: Jeder sollte sein „eigener Arzt sein. Zur Zeit der Aufklärung war die Gesundheitsbildung weitester Volkskreise ein besonderer moralischer Auftrag der Mediziner, sie galten als „Hüter und Wächter über die Gesundheit. Hinzu kam eine christlich-ethische Gesinnung, die den Menschen vor Augen hielt, „dass wir unsere Leiber als nicht unser, sondern Gottes Ebenbilder in Ehren halten sollen". Weiterhin standen Lehrbüchlein hoch im Kurs, die über die Beschaffenheit des Körpers, seine Pflege wie Waschen, Baden, Zahnreinigung, Schlafen, Bewegung und Ernährung Auskunft gaben und zwar in einer Form, die man sich gut merken konnte.

    1794 publizierte der Arzt Bernhard Christoph Faust einen „Entwurf zu einem Gesundheits-Katechismus zum Gebrauch in Schulen und im häuslichen Unterricht", der als idealtypisch für Anweisungen zur Gesundheitspflege in der Zeit der Aufklärung gelten kann. Eine stärkere Rückbesinnung auf die Heilkunst der Antike erfolgte durch den philosophisch-medizinischen Ansatz der Makrobiotik, der Kunst, das menschliche Leben zu verlängern. Vor allem die Makrobiotik des Arztes Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1832) wurde zum Dauerthema des aufstrebenden Bürgertums, das mit der eigenen gesunden Lebensführung zugleich Sorge trug für die Gesundheit der Nachkommen und sich damit den Fortbestand sichern wollte.

    Im Zuge der industriellen Revolution wurden die Vorstellungen von Gesundheit und Prävention stark und nachhaltig verändert. Die naturwissenschaftliche Forschung eröffnete ungeahnte Möglichkeiten zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten und ließ den Arzt zunehmend zum Experten für Krankheit werden. Bis dahin vertraute Begriffe änderten sich oder verloren ihre Bedeutung. Die Diätetik, ursprünglich als ganzheitliche Lebensführung verstanden, wurde auf Ernährungslehre reduziert, die Hygiene, in der Antike Ausdruck für körperlich-seelisch-geistige Reinheit, wurde zur Sauberkeit, die Gesundheit als Begriff verschwand schließlich aus dem medizinischen Vokabular.

    Das entstandene Vakuum wurde bereits im 18. Jahrhundert von der naturheilkundlichen Laienbewegung ausgefüllt, die mit Prießnitz, Schroth, Kneipp und Künzli geistige und therapeutische Vorbilder bekam. Auch die historischen Wurzeln für den Berufsstand des Heilpraktikers liegen in der Erfahrungs- und Laienheilkunde. Heute wird sie durch Angebote und Dienstleistungen bereichert, die allgemeine Lebensberatung und Gesundheitsförderung zum Ziel haben.

    Die Frage, was Gesundheit sei, kann und sollte auch geschichtlich betrachtet werden: dann wird sie zu einem Spiegelbild der jeweils herrschenden Weltanschauung, die unseren persönlichen Überzeugungen notwendigerweise zu Grunde liegt. Die genauere Betrachtung philosophischer und medizinischer Ansätze, die auch heute noch das naturheilkundliche Weltbild prägen, befähigt in jedem Fall zu einer umfassenderen und tieferen Wertschätzung unserer eigenen Gesundheit und der Gesundheit von Natur und Umwelt. Nur eine gesunde Natur besitzt noch jene Mittel und Reize, die unseren Organismus zur Selbstheilung aktivieren können. Deshalb kann die Naturheilkunde als Spektrum gesundheitsfördernder und –wiederherstellender Behandlungsmethoden nicht losgelöst von ökologischen und sozialen Gegebenheiten betrachtet werden. Fazit: Nur in einer gesunden Umwelt kann auch ein gesunder Mensch leben!

    1.2

    Der Asklepios-Kult

    Ganzheitliche Heilkunst in der Antike

    Das Heiligtum von Epidauros liegt in einem Hochtal über dem modernen Ort Néa Epidauros zwischen sanften Hügeln der Peloponnes. Noch heute strahlen die weitläufigen Ruinen zwischen Pinien und Zypressen, einst einer der bedeutendsten Kurorte des Altertums, viel Ruhe in lieblich-herber Landschaft aus. Griechen und Römer verehrten hier viele ihrer Götter, allen voran aber den Heilgott Asklepios (römisch: Äskulap), einen Sohn des Apollon. Blinde, Lahme, Taubstumme oder psychisch kranke Menschen pilgerten zu Apollon und Asklepios und deren Priestern und versprachen sich von diesem Besuch Heilung. Sie mussten sich zuerst an der Quelle reinigen, im Tempel ein Opfer bringen und bestimmte Rituale in einem marmornen Rundbau vollziehen.

    Noch heute sieht man die Ruinen der 75 Meter langen Halle, Abaton genannt, in denen die Kranken schliefen. Der gesamte Tagesablauf der Patienten war von Heilschlaf, Traumdeutung, Suggestion, mildem Klima, Ruhe, warmen und kalten Bädern, reinem Trinkwasser und Kräutermedizin bestimmt. Besonders wichtig war der Besuch der Theateraufführungen für Geist und Seele, verschaffte er den Kranken doch Ablenkung von ihrer eigenen Situation, indem man sich das tragische Schicksal der unglücklichen Protagonisten auf der Bühne ansah – und so wenigstens kurze Zeit entrückt war.

    „Die Krankheiten, so schreibt der archaische Dichter Hesiod im 6. Jhdt. v. Chr., „kommen von selbst zu den Menschen, schweigend, da ihnen der kluge Zeus die Stimme genommen hat. Krankheiten müssen den antiken Menschen sehr unheimlich und viel weniger fassbar als uns vorgekommen sein. Sicher einer der Gründe, warum die Heilkunst des Asklepios nicht nur den Namensgeber überlebte, sondern sich in der großen griechischen Welt ausbreiten konnte. Sein Symbol, die Schlange, wurde weltberühmt und ziert heute medizinische Zeitschriften, Wappen, Buchtitel, Verbandslogos etc., wohl vor allem wegen ihrer Eigenschaft, das Alte und das Kranke abzustreifen und sich quasi dadurch zu verjüngen – ein Bild der Genesung und Gesundheit.

    Asklepios war der uneheliche Sohn des Apollon und der Koronis, welche, um die Illegitimität ihres Kindes zu vermeiden, jemanden anderen zu heiraten beabsichtigte. Apollons Rache ereilte sie, sie wird getötet, doch kurz vor der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen rettet Apollon seinen ungeborenen Sohn durch Kaiserschnitt. Der Säugling Asklepios wird ausgesetzt, von einer Schäferhündin genährt und schließlich von Apollon dem Zentauren Chiron übergeben. Dieser lehrt ihn die Heilkunst, worin er es so weit bringt, sogar Tote zum Leben zu erwecken – auf diese Weise gerät er mit dem Ratschluss der Götter in Konflikt und deshalb tötet ihn Zeus durch einen Blitzschlag. Es existierten also auch damals schon die Probleme der Kompetenzüberschreitung und der unangemessenen Bestrafung!

    Nach seinem Tod jedoch wird Asklepios als Gott in den Olymp aufgenommen und kann durch Epiphanie heilen, d.h., er kann den Menschen im Traum oder als Vision im Wachzustand erscheinen. Dafür musste er sich entsprechend heilige Orte auf der Erde – d.h. in der Welt der Griechen – aussuchen. Dem heilenden Gott Asklepios werden Tempel mit Bildern aus Gold und Elfenbein errichtet, er erscheint in Statuen, thronend oder stehend, wie ein freundlich blickender Zeus, doch unverkennbar dank seines Stabes, um den sich die Schlange ringelt. In seinen Heiligtümern wurden lebende Schlangen – wahrscheinlich handelte es sich dabei um Äskulapnattern – gehalten.

    „Asklepios-Gesundheitszentren entstehen in der Folge in der gesamten antiken Welt, nach der Pest auch in Athen (420 v. Chr.). Später wird der Asklepios-Kult Teil einer institutionalisierten Religion, und selbst Sokrates bittet kurz vor seinem Gifttod den Kriton, Asklepios einen Hahn zu opfern (nachzulesen in Platon´s Phaidon). Nach dem zunehmenden Erfolg der verschiedenen „Rehabilitationszentren der Asklepios-Kette wurde dann in Epidauros in der Argolis, 12 km oberhalb des Hafens und 2 Tagesreisen von Korinth entfernt, um 500 v. Chr. das dortige Heiligtum und Behandlungszentrum errichtet. Der Bau allein stellte bereits alle anderen derartigen Einrichtungen in den Schatten. Durch geschickte Werbung wurde auch der Geburtsmythos des Asklepios letztlich an den Ort Epidauros gebunden, was die Attraktivität des Ortes für Scharen von Schaulustigen, aber auch von Patienten weiter erhöhte. Epidauros wurde zum Wallfahrtsort. Als ständige Werbeausstellung standen im Bereich des „Reha-Zentrums" Steintafeln, auf denen die Heilerfolge des Gottes ausführlich beschrieben und ausgestellt waren.

    Durch die legendären Erfolge entwickelte sich die Finanzlage des kleinen Ortes so erfreulich, dass im 4. Jhdt. v. Chr. Epidauros über eines der prächtigsten Gesundheitszentren der damals bekannten Welt verfügte. Pausanias berichtete in seiner Reisebeschreibung durch die Peloponnes ausführlich von der mythologischen Einbindung des Asklepios-Kultes in die Landschaft und beschreibt ausführlich die Einrichtung und künstlerische Ausstattung der Einrichtung: „Die Kultstatue des Asklepios ist halb so groß wie die des Zeus in Athen und aus Elfenbein und Gold gemacht… Dem Tempel gegenüber ist der Ort, wo die den Gott um Hilfe Bittenden schlafen." Weiter wird eine herrliche Kunsthalle mit Exponaten erwähnt sowie die Säulen, auf denen die Heilungen beschrieben sind. Von diesen Säulen sind über 100 erhalten zusammen mit Metallplastiken, die geheilte Körperteile darstellen. Wie sollte man heute eine solche Dankbarkeit bei Reha-Patienten erreichen können?

    Das Theater in Epidauros war zwar nicht das prächtigste und nicht das größte seiner Zeit, aber es wird von Pausanias als unübertrefflich hinsichtlich Ebenmaß und Schönheit beschrieben. Ein Stadion für Sportveranstaltungen, eine moderne Wasserversorgung, Tempel, ein Hospiz für unheilbar Kranke und eine geburtshilfliche Einrichtung vervollständigten das Gesundheitszentrum Epidauros. Die Finanzierung erfolgte ganz ohne staatliche Subventionen, also rein privatwirtschaftlich, und wurde durch Aufnahmegebühren der Patienten, Honorare für ärztliche Behandlung und großzügige Schenkungen und Stiftungen bestritten. Erwähnenswert sind auch die damals üblichen Trinkgelder für Bademeister und Masseure. Dagegen verfolgte die Einrichtung eher keine mildtätigen oder barmherzigen Ziele. Kostenlose Behandlungen kamen praktisch nicht vor, wenn auch kleinere Geldgeschenke und Speisen an Bedürftige ausgegeben wurden. Allerdings erschien eine wesentliche Besserung für den Kranken fast sicher, entweder durch direkten Einfluss des Gottes im Heilschlaf oder durch therapeutische Anweisung für nachfolgende Bewegungsmaßnahmen, Trinkkuren, Bäder und Ernährungsvorschriften.

    Die eigentliche Heilmethode war der therapeutische Schlaf, die so genannte Inkubation (lat. incubatio, griech. enkoimesis), verbunden mit einer Opferhandlung am Vorabend und einem Dankopfer am folgenden Morgen. Vor allem diagnostisch wichtig waren die Träume des Patienten. Therapeuten im Nachtdienst untersuchten die Kranken während des Schlafes und halfen bei der Auslegung der Träume, die oft Hinweise auf die angemessenen Heilmittel und Methoden enthielten – der hohe Stellenwert der psychologisch-seelsorgerischen Betreuung ist unübersehbar! Auch stellte das Konzept der Asklepios-Medizin die Individualität des Hilfesuchenden im Gegensatz zu den anderen damals vorherrschenden Ansätzen besonders in den Vordergrund und erreichte dadurch einen besonderen Stellenwert. Die spirituelle Seite der Heilung wurde entgegen dem allgemeinen Trend der Aufklärung wahrgenommen und unterstützt: „In Asklepios findet der leidende Mensch einen Gott, der mit ihm fühlt."

    Neben dem zentralen „analytischen und psychosomatischen" Ansatz der Asklepios-Heilkunde entwickelten sich im Laufe der Geschichte Ernährungs-, Bewegungs- und Balneotherapie als besondere Behandlungsformen. Das Quellwasser war wichtiger Bestandteil der Riten, noch heute wird die Qualität des Wassers von Epidauros erwähnt. Daneben gab es Fastenzeiten für die Patienten. Bei den Ausgrabungen wurden Feuerbecken zum Verbrennen duftender Kräuter und Gefäße für Medikamente gefunden. Insgesamt zeigt sich das Bild eines ausgefeilten ganzheitlichen Heilungskonzeptes mit psychosomatischem Schwerpunkt.

    Mit beißender Kritik allerdings verspottet Aristophanes in seiner Komödie „Ploutos (= Reichtum) den kultischen „Rummel um die nächtlichen Heilungen, die nach seiner wohl eigenen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1