Die Körpersprache der Hunde: Wie Hunde uns ihre Welt erklären
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Über dieses E-Book
Dabei ist es nicht nur notwendig, die äußere Mimik und Körperhaltung zu erkennen, sondern auch, das zugrunde liegende Verhalten und seine Entstehung zu verstehen. So stehen Neuropsychologie, Verhaltensbiologie und die Individualentwicklung eines Hundes in wechselseitigem Zusammenhang.
Zahlreiche Fotos von unterschiedlichsten Ausdrucksverhalten helfen, das eigene Auge für die Details zu schulen, aber auch zu erkennen, dass die Deutung einzelner Signale nur im größeren Gesamtzusammenhang möglich ist.
Werden Sie mit diesem Buch zum aufmerksamen Beobachter hündischer Körpersprache und lernen Sie die Kommunikation der Hunde untereinander, aber auch uns gegenüber besser zu verstehen
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Buchvorschau
Die Körpersprache der Hunde - Dr. Barbara Wardeck-Mohr
Kapitel 1
Die Körpersprache von Hunden in ihrem stammesgeschichtlichen Zusammenhang
Wollen wir die Körpersprache von Hunden differenziert verstehen, so ist zunächst die stammesgeschichtliche Entwicklung des Hundes zu betrachten. Denn Hunde besitzen über ihr wölfisches Erbe ein hochdifferenziertes Repertoire an Ausdruckssignalen. Die enorme Vielfalt und Komplexität der wölfischen Körpersprache ist weitgehend, wenn auch nicht vollständig, bei Hunden erhalten geblieben. Wenn wir uns vorstellen, dass die Mimik der Wölfe allein im Kopfbereich auf 11 Ebenen über 60 Ausdruckszeichen umfasst und diese je nach Reihenfolge und Bündelung zu Hunderten von Signaleinheiten angeordnet werden können, so handelt es sich hierbei um eine Dimension, bei der unsere menschlichen Sinne und Wahrnehmungsmöglichkeiten restlos überfordert sind.
Nur ausschnittsweise und nur mit Hilfe von Technik sind wir als Menschen in der Lage, der Wolfssprache konkreter zu folgen. Hinzu kommt eine enorme Geschwindigkeit bei den Signalabfolgen, die meist in Bruchteilen von Sekunden wechselt.
Selbst wenn Hunde nicht mehr vollumfänglich über das Ausdrucks-Repertoire der Wölfe verfügen, gilt das Vorgesagte weitgehend auch bei Hunden hinsichtlich unserer „Sprachwahrnehmung". Auch hier kann das menschliche Auge ohne Technik nur Teilausschnitte dekodieren.
Wissenschaftlich belegt ist, dass alle Hunde vom Wolf beziehungsweise von seinen wölfischen Unterarten abstammen. Dabei geht die aktuelle Forschung (nach der mitochondrialen DNA-Methode) von dreizehn lebenden und zwei ausgestorbenen Unterarten des Wolfes aus.
Die Genetik von Hunden zeigt eine hohe Übereinstimmung mit der von Wölfen, variiert aber dennoch je nach Rasse und Zuchtselektion erheblich. So besteht genetisch eine hohe Varianz unter den verschiedenen Hunderassen, wie z. B. zwischen einem Tschechoslowakischen Wolfshund oder einem Saarlooswolfhund, die dem Wolf genetisch sehr viel näher kommen als etwa ein Chihuahua. Genetiker beginnen aber erst langsam diese Vielfalt von Erbanlagen bei Hunderassen zu verstehen.
Diese stehen in wesentlichem Zusammenhang mit Verhalten, Ausdrucksverhalten, Fellfarben, Lebenserwartung oder besonderer Lernfähigkeit wie zum Beispiel beim Border Collie, aber auch mit Krankheiten wie Epilepsie, Taubheit oder Herzerkrankungen. Wieviel Wolf in einem Hund steckt, hängt von vielen komplexen genetischen Mechanismen ab. Säugetiergenetiker versuchen inzwischen zu klären, welche Gene diverse Krankheiten von Rassehunden mit verursachen können.
Wachsamkeit und leichte Anspannung werden bei diesem Saarloswolfhund sichtbar über das Blickausdrucksverhalten und aufgestellte Ohren; das gleichzeitige Belecken der eigenen Schnauze (Licking intention) könnte je nach Situation als Beschwichtigungssignal oder auch Konfliktreaktion zu deuten sein. Hierzu wäre der gesamte Kontext wichtig, da ein Foto immer nur einen Momentausschnitt zeigt.
Das wölfische Erbe: Zur Entstehung des Hundes
Hunde sind Nachfahren der Wölfe und entwickelten sich als selbständige neue Art in einer ökologischen Nische. Dabei entstanden zahlreiche Hunderassen unter dem Druck evolutionärer Anpassung (wie er etwa durch verschiedene klimatische Bedingungen entsteht), aber ebenso durch Verpaarung verschiedenster Rassen sowie durch Rassezucht. Genetische Unterschiede zwischen Hunden und Wölfen sind unter anderem im Verhalten oder im Verdauungstrakt festzustellen, denn für die Entstehung des Hundes waren besondere Voraussetzungen wie Zutraulichkeit, geringe Neigung zur Aggressivität, eine geringe Fluchtdistanz und die Umstellung vom Jagen auf die Futterversorgung im menschlichen Umfeld erforderlich. Auch die Fähigkeit, Stärke zu verdauen, war dabei eine wichtige Voraussetzung, denn Gerichte mit Getreide standen häufig auf dem Speiseplan der Menschen, nachdem diese ihr Nomadendasein aufgegeben hatten.
Die lange Entwicklung vom Wolf zum Hund hat etwa 135.000 Jahre gedauert.
Beginn eines Erregungszustandes mit Ansatz zum Angriffsdrohen: Zurückgezogene Lefzen, leicht nach hinten aufgestellte Ohren, aufgestelltes Stirnfell, ansatzweises Blickfixieren bei erweiterten Pupillen und im Unterkiefer entblößte Zähne.
Alles begann zunächst mit der Habituation, also der Gewöhnung und dem Anschluss an uns Menschen und einem sehr langen Prozess des gegenseitigen Kennenlernens von Wölfen und Menschen. Diese Zeitspanne wird mit etwa 100.000 Jahren veranlagt.
Anfangs schlossen sich weniger scheue Wölfe uns Menschen an, indem sie in der Nähe menschlicher Behausungen lebten und Menschen sehr genau beobachteten. Nach und nach lernten sie, dort auch ohne eigenes Jagen zu überleben. Eine Selektion nach Zahmheit und Zutraulichkeit der Wölfe hatte begonnen. Es war zugleich die Grundvoraussetzung für das Zusammenleben mit Menschen und wurde später zum entscheidenden Merkmal unserer Haushunde. Dieser sehr lange Anpassungs- und Beobachtungsprozess führte auch dazu, dass keine andere Art uns Menschen so gut versteht wie unsere Hunde und dies zudem mit einzigartigen kommunikativen Voraussetzungen.
Nach der Habituationsphase von Wölfen an uns Menschen folgte die Domestikationsphase, in der allmählich der Hund als neue Art entstand: Das älteste Haustier des Menschen. Diese Phase wird je nach wissenschaftlicher Hypothese mit einem Zeitraum zwischen 12.000 und 20.000 Jahren angeben.
Wachsames Beobachten mit Handlungsbereitschaft zeigt sich über das Blickausdrucksverhalten, die steil aufgestellten Ohren und den nach vorne gerichteten Kopf.
Wölfe wurden nicht vom Menschen gezähmt!
Theorien, dass Menschen vor etwa 15.000 Jahren begannen, Wölfe zu zähmen, indem sie wilde Wolfswelpen von Hand aufzogen und auch deren Nachkommen wiederum zähmten, sind wissenschaftlich eindeutig widerlegt (siehe Ray und Lorna Coppinger, Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden, 2003, sowie die Arbeiten des russischen Genetikers D.K. Belyaev).
Weshalb keine Zähmung des Wolfes stattfand
Grundlegende Voraussetzungen wie Zutraulichkeit und Zahmheit einzelner Wölfe waren zunächst die essenzielle Grundlage dafür, dass sich überhaupt mit der Zeit zwei Wolfspopulationen ergaben: Einmal die Gruppe der menschenzugewandten Wölfe und zum anderen die Gruppe der Wölfe, die wie bisher als Wildtiere lebten. Grundsätzlich sind und bleiben Wölfe aber Wildtiere. Auch wenn sie als Jungtiere handaufgezogen werden, so zeigen sie mit der Geschlechtstreife eindeutig Wildtierverhalten, mit allen Gesetzen von Wolfsverhalten.
Hervorzuheben ist: Die Annäherungsphase zwischen Wolf und Mensch verlief in kleinsten Etappen und sie dauerte über Jahrzehntausende!
Beide Arten lernten sich über Beobachtung und Erfahrungen immer besser kennen. Dabei änderte sich das Wolfsverhalten auch hinsichtlich der Jagd, da Wölfe nunmehr wussten, wie sie in der Nähe und direkten Umgebung menschlicher Siedlungen auch ohne zu jagen überleben konnten.
Hin und wieder wurden sicherlich auch verwaiste Wolfswelpen von Menschen in deren Siedlungen aufgezogen. Dort konnten sie nur überleben, wenn sie als Spielgefährten für Menschenkinder geeignet waren. Diese Jungwölfe mussten dafür unbedingt zutraulich und sozialverträglich sein.
Dem Steinzeitmenschen fehlten sämtliche heutige wissenschaftliche Kenntnisse und Möglichkeiten, um Wölfe zu selektieren und zutrauliche Wölfe untereinander zu verpaaren. Wölfe mit geringer Fluchtneigung hätten zunächst von Steinzeitmenschen als solche identifiziert und dann in eingezäunten Gehege gebracht werden müssen, um dort eventuell Nachwuchs zur Welt zu bringen. In der Folge hätte das über unzählige Wolfsgenerationen immer wieder auch mit deren Nachwuchs wiederholt werden müssen. Somit scheidet die These von der Zähmung des Wolfes grundsätzlich aus.
Der Hund hat sich als neue Art selbst über eine Vielzahl von Anpassungsprozessen in der Umgebung von Menschen entwickelt. Dieser komplizierte Prozess wurde zudem erst durch genetische Anpassung an die neuen Lebenskontexte möglich.
Bei Wölfen und Hunden ist es faktisch so, dass es sich am Ende eines sehr langen Entwicklungsprozesses um zwei verschiedene Arten handelt. Denn der Hund ist eine eigenständige neue Art.
Weshalb es sich um zwei verschiedene Arten handelt, soll an folgenden Beispielen weiter verdeutlicht werden:
1.Wölfe eignen sich nicht zum Wachen oder zum Hüten! Das Bellverhalten von Wölfen ist den Lebensbedingungen in der freien Wildbahn angepasst und eher spärlich.
2.Wölfe jagen gemeinsam in ihrem Rudel. Sie haben auch keinerlei Interesse, mit Menschen zu jagen oder zu kooperieren!
3.Eine gemeinsame Jagd von Mensch und Wolf, so wie zwischen Mensch und Hund, ist nicht möglich: Denn einem adulten Wolf die Beute wegnehmen zu wollen, ist keine empfehlenswerte Strategie!
4Auch das Lernverhalten von Wölfen kann keinesfalls mit dem Lernen von Hunden verglichen werden! Selbst Gehege-Wölfe lassen sich nicht „abrichten".
5.Wolf und Mensch waren damals eher Feinde beziehungsweise Nahrungskonkurrenten. Und Wölfe scheuen vielmehr Menschen.
Hunde konnten nur deshalb als neue Art im menschlichen Umfeld entstehen, weil sie gelernt hatten, Verhalten und Körpersprache von Menschen über einen sehr langen Beobachtungszeitraum immer besser deuten zu lernen und weil sie die Fähigkeit entwickelten, darauf sinnvoll zu reagieren. Das Ergebnis dieser langen Co-Evolution von Mensch und Hund ist ein einzigartiges Verstehen beider Arten, höchstwahrscheinlich sogar mit gegenseitiger genetischer Beeinflussung. So können Hunde auch die Körpersprache ihnen fremder Menschen richtig deuten. Mit dieser Entwicklung geht sicherlich auch einher, dass Hunde die Zahl ihrer mimischen Kommunikationssignale gegenüber Wölfen reduziert haben: Sie mussten nicht mehr den hohen Ansprüchen genügen, die das Leben in freier Wildbahn an sie stellt. Vielmehr wurde stattdessen die richtige Deutung menschlicher Kommunikation für sie wichtig. Hinzu kommt, dass das vorhandende differenzierte Ausdrucksverhalten von Haushunden aufgrund seiner Ablaufgeschwindigkeit und zudem wegen fehlender „Sprach-Kenntnisse" nur zum Bruchteil von Menschen richtig gelesen wird. Anders gesagt:
Als Anpassungsprozess könnten Hunde ihre Kommunikation vereinfacht haben, damit wir sie besser verstehen. Interessant zu beobachten ist, dass Hunde zuweilen manche Signale gegenüber Artgenossen und Menschen sogar übertreiben, um Kommunikationsmissverständnisse zu vermeiden.
Genetische Grundlagen für das Kommunikationsrepertoire
Das Kommunikationsrepertoire von Hunden ist in seinen wesentlichen Grundlagen genetisch verankert, und zwar weltweit! Das führt dazu, dass „Hündisch" Weltsprache ist. So kann ein Hund aus Kanada bei Einreise in die Schweiz mühelos die Sprache eines Berner Sennenhunds verstehen! Oder ein Kangal versteht das, was ihm ein Deutscher Schäferhund gerade mitteilen möchte.
Neben den genetischen Grundlagen, die Hunde allesamt besitzen, ist das Erlernen der praxisorientierten Feinabstimmung des Kommunikationsrepertoires mit wesentlichen Grundregeln für die Welpen eine wichtige Lebensschule. Als erstes lernen Welpen zwei Dinge:
1.Keine Distanzunterschreitungen zu begehen
2.Bei Aufforderung durch andere Hunde Abstand zu halten und gesetzte Grenzen zu respektieren
Im spielerischen Dialog mit den älteren Hunden testen die Kleinen immer wieder ihre Grenzen aus. Alles verläuft im Spiel – auch die Korrekturen durch die älteren Hunde. Die Welpen lernen, gesetzte Grenzen mit respektgebenden Gesten zu beantworten. So testen die Kleinen unermüdlich Kommunikationsverhalten und Kommunikationsstrategien aus, die Kommunikation wird fortwährend praxisorientiert gelernt. Dies ist für das weitere Leben der Hunde enorm wichtig, da es ihnen die notwendige Sicherheit gibt und ihnen die Fähigkeit vermittelt, Konflikte kommunikativ zu lösen. Werden Welpen aus dieser für sie so wichtigen Lebensschule herausgerissen, indem sie zum Beispiel zu früh vom Züchter verkauft werden, ist dies ein unverantwortlicher Eingriff. Diese Hunde zeigen oft ein Leben lang Umweltunsicherheit oder weisen aufgrund einer unzureichenden Sozialisierung in der Hundefamilie später sehr viel häufiger Verhaltensauffälligkeiten auf als Hunde mit einem abgeschlossen Lernprogramm hinsichtlich der Hundekommunikation.
Wolfs- und Hundeeltern erziehen ihren Nachwuchs konsequent, gewaltfrei, liebevoll und spielerisch!
Daran sollten wir uns auch als Menschen halten, wenn wir Hunde übernehmen und versuchen, sie in unsere Welt zu integrieren und sie dafür zu sozialisieren. Hunde verstehen keine menschliche Gewalt und keine Distanzunterschreitungen, ob diese nun von Menschen oder Hunden gezeigt werden. Distanzunterschreitungen sind Grenzverletzungen! Sie stellen für Hunde stets einen Affront beziehungsweise ein Konfliktpotenzial dar. Gerade als Menschen, die wir so gerne Grenzen überschreiten und damit aus Hundesicht „übergriffig werden, sollten uns diesen Zusammenhang immer wieder vor Augen halten. Berücksichtigen wir diese Regeln nicht, werden Hunde uns mitteilen: „Halte Abstand!
oder Komm nicht näher
! Wird ihr mangelndes Einverständnis von uns Menschen dennoch ignoriert, sind Konflikte fast immer vorprogrammiert. Falls wir von Hunden gesetzte Grenzen immer wieder ignorieren, so ist für Hunde klar: Weder beherrschen wir aus Hundesicht die „Weltsprache Hündisch, noch haben wir „Manieren
. Kommt dann noch menschliche Gewalt hinzu, so wissen Hunde, dass uns auch sämtliche pädagogischen Kenntnisse fehlen! Gewalt gegenüber Hunden ist nicht nur tierschutzrelevant, sondern zeigt nur allzu deutlich, dass es an Wissen und Gewissen leider fehlt!
Zusammengehörigkeit und Beziehungspflege haben auch unter den Kleinen eine besondere Bedeutung.
Drei Welpen im spielerischen Wettlauf.