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Die Technik reicht nicht: Was ist nötig, damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann?
Die Technik reicht nicht: Was ist nötig, damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann?
Die Technik reicht nicht: Was ist nötig, damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann?
eBook279 Seiten3 Stunden

Die Technik reicht nicht: Was ist nötig, damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann?

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Über dieses E-Book

Anlass für das Buch ist die Frage:
Reicht die Kreativität der Menschheit für ihr langfristiges, gutes Fortbestehen? Eine abschließende Antwort gibt’s natürlich (noch) nicht. Vieles spricht jedoch dafür, dass die technologische Kreativität nicht ausreicht, für besagtes Ziel.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind daher zusätzliche Kreativitäts-Potentiale nötig. Solche werden im vorliegenden Buch vorgeschlagen und vorgestellt: das „biographische“, das „mythologische“ und eine spezielle Anwendung des „technologischen“ Potentials.
Der Autor verweist auf die Möglichkeiten des biographischen Potentials, indem er Episoden aus der eigenen bunten Familiengeschichte erzählt, bei denen es vor allem ums Erfahren von Grenzen geht.
Er experimentiert mit dem mythologischen Potential, indem er Prometheus begleitet, wie er mit einschlägigen Vertretern der griechischen Götterwelt diskutiert. Es geht ums Verteilen der Verantwortung für eine gute Zukunft.
Anschließend geht es ums Strukturieren des einschlägigen Wissens mittels des technologischen Potentials. Im letzten Kapitel geht es um aktuelle Fragen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Juni 2016
ISBN9783738680201
Die Technik reicht nicht: Was ist nötig, damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann?
Autor

Gernot Gwehenberger

Gernot Gwehenberger (*1941), ist Mathematiker, Statistiker und Informatiker, Erfinder einer vielseitigen IT-Methode. Sein Vater war ein Wirtschaftsflüchtling aus einem entlegenen Salzburger Alpendorf, seine Mutter eine in Bosnien geborene Pfarrerstochter. Im biographischen Teil des Buchs werden weitere Vorfahren erwähnt, etwa David Gloxin (vertrat als Bürgermeister von Lübeck die Hanse am Westfälischen Frieden) oder Gritli, Tochter eines Dekans aus St. Gallen.

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    Buchvorschau

    Die Technik reicht nicht - Gernot Gwehenberger

    Ausblick

    1.Prolog: Grenzen der Technik

    1.1Eine einfache Überlegung

    Mal angenommen, die Erde wäre zehnmal kleiner, wäre dann die Menschheit längst untergegangen? Oder umgekehrt, wäre ihr eine gute Zukunft gesichert, wenn unser Planet zehnmal grösser, zehnmal reicher wäre?

    Geht man diesen Fragen nach, wird man finden, dass Grösse und Reichtum der Erde nicht entscheidend sind für die Überlebensfähigkeit der Menschheit. Daraus ergibt sich aber auch, dass der technische Fortschritt nicht reicht, diese Überlebensfähigkeit zu sichern. Denn die übliche Leistung der Technik besteht darin, immer mehr nötiges und unnötiges verfügbar zu machen und dadurch gleichsam die Erde grösser zu machen, was – wie gesagt – nicht entscheidend ist¹.

    Was für den technischen Fortschritt gilt, gilt leider auch für die sich dank dem technischen Fortschritt ergebenden Möglichkeiten wie Entwicklungshilfe, soziale Netze, Reagieren auf die Klimaerwärmung, etc. Auch diese Dinge können die Erde zwar gleichsam grösser machen, aber das reicht nicht, der Menschheit ein langfristiges, gutes Fortbestehen zu sichern.

    Die Technik kann allerdings Zeit gewinnen, um zusätzliche Kreativitäts-Potentiale zu nutzen für die wichtigste Aufgabe der Menschheit, nämlich sich selbst Grenzen zu setzen. Solche Potentiale findet man, indem man Fragen zur Zukunft der Menschheit stellt, welche die übliche Technik nicht beantworten kann. Daran anschliessend muss man nach Kreativitäts-Potentialen suchen, die das können.

    1.2Drei Potentiale

    Erste Fragen, erstes Potential

    Wie kann sich die Menschheit die nötigen Grenzen setzen, um ihre Lebensgrundlagen zu erhalten? Wie kommt man auf gleiche Augenhöhe zwischen Norden und Süden? Was kann man aus bisherigen Erfahrungen lernen?

    Dazu folgendes: Die Kopfzahl der Menschheit wurde Jahrtausende lang durch Hunger, Seuchen und Kriege in Grenzen gehalten. Doch das ist nicht alles. Weltweit gab’s noch ein geringfügig humaneres Mittel, nämlich Zwang, der die Familiengründung für Unterprivilegierte erschwerte, oft auch verhinderte.

    Das Erinnern daran ist wichtig. Denn heute wie damals geht es ums Setzen von Grenzen. Im Unterschied zu früher sind heute faire und wirksame Lösungen möglich. Die heute geforderten Einschränkungen sind weit geringer als die damaligen. Es geht dabei auch um Augenhöhe zwischen Erster und Dritter Welt beim fairen Verteilen der Verantwortung.

    Als Beispiele für früheren Zwang werden hier biographische Erfahrungen vorgestellt. Ich beschränke mich auf Beispiele aus der eigenen Familienbiographie. Diese ist meiner Meinung nach so vielseitig und bunt, dass sie eine repräsentative Auswahl ermöglicht.

    Trotzdem nutze ich die eigenen Familien Biographie nur weil ich über kein besseres Auswahlverfahren verfüge, um auf die Erfahrungen der vielen Menschen zu verweisen, die gezwungen waren, auf Nachkommen zu verzichten. Denn diese Erfahrungen sind schwer zugänglich, weil Menschen ohne Erfolg und ohne Nachkommen wenig Spuren hinterlassen. Diese Erfahrungen sind aber unverzichtbar, weil sie die heute nötigen Einschränkungen als fair erscheinen lassen. Beim Thema des Buches (Grenzen setzen) geht es auch um Gefühle und nicht nur um Zahlen. Daher wird auch auf Details eingegangen.

    Zusätzlich zu den Beispielen, die gesellschaftlichen Zwang und dessen Auswirkungen zeigen, werden andere Beispiele aufgeführt, die zeigen, wie Privilegierte sich einsetzten fürs Gemeinwohl und speziell für die Benachteiligten.

    Zweite Frage, zweites Potential

    Die Geschichte der Menschheit wird bestimmt durch ihr Bestreben Kopfzahl und Konsum immer wieder zu verdoppeln. Dies ergibt ein Spiel von Druck und Gegendruck. Die «Mächte», die den Lauf der Menschheit beeinflussen, tun dies, indem sie in dieses Spiel eingreifen.

    Wie können diese Mächte «ins Gespräch mit einander kommen», um gute Wege in die Zukunft aufzuzeigen? Die Antwort des vorliegenden Buchs lautet: Diese Mächte lassen sich durch mythologische Figuren repräsentieren, die miteinander diskutieren und streiten. Prometheus als Initiator des Fortschritts wird konfrontiert mit dessen bedrohlichen Nebeneffekten. Er wird beauftragt, gemeinsam mit den Vertretern der anderen Mächte Wege aus dem Schlamassel zu finden.

    Diese anderen Mächte werden repräsentiert durch Göttin Justitia, die das Rechtswesen und auch die Menschenrechte vertritt; durch EVO, die für die Evolution und die Naturgewalten steht; durch Hera und Zeus als Vertreter der Emanzipation und der Religionen sowie schliesslich durch Pluto, der die Wirtschaft repräsentiert. Am Rande erwähnt wird auch Apoll als Vertreter der Kunst.

    Zum dritten Potential

    Beim dritten Kreativitäts-Potential geht es ums Realisieren. Ausgangspunkt ist folgende Erfahrung: Für einfache Probleme genügt normaler Verstand. Für Schwierigeres braucht man «Werkzeug». Schliesslich, für komplexe Aufgaben, an denen viele Menschen beteiligt sind, braucht man eine «Technologie».

    Als Resultat ihrer Gespräche beschliessen die oben genannten Götter, eine solche Technologie zu bauen. Sie soll nach folgendem Leitmotiv strukturiert werden: «Die Menschheit muss sich der Realität anpassen, um zu überleben» Für das Klarkommen mit jedem der fünf Schlüsselworte im Motiv (Menschheit, müssen, Realität, anpassen und überleben) wird im «Götter-Gespräch» jeweils eine Methode vorgeschlagen, als Grundausstattung der neuen Technologie.

    1.3Was darf erwartet werden?

    Beim Einsatz der drei Potentiale muss folgendes herauskommen:

    1.) Alle Menschen, die das wollen, können sich vorstellen, wie sich der Weg der Menschheit in die Zukunft auf gute Weise fortsetzen lässt.

    2.) Das Wirken der Mächte, die diesen Weg mitbestimmen, ist transparent. Die positiven Einflüsse können genutzt, die negativen kontrolliert werden.

    3.) Eine leistungsfähige «Technologie» stellt dazu Methoden zur Verfügung.

    1.4Turmbau aus Kieselsteinen

    Warum befasse ich mich mit dem Thema? Da wäre zunächst mal die Familien-Geschichte zu nennen. Einige Vorfahren haben einiges erreicht, beim Streben nach Fortschritt und Gerechtigkeit. Doch gerade die wirksamsten Beiträge zum Fortschritt gleichen Kieselsteinen, die einen Turm bilden. Neu hinzu gefügte Steine können den Turm erhöhen aber auch wieder teilweise zum Einsturz bringen.

    Dazu kam als weiterer Anlass die Mitarbeit in einer aus Freiwilligen bestehenden Gruppe, die zu Ende der Achtzigerjahre (1987–1990) die Asylanten betreute, die meinem Wohnort (Dornach bei Basel) zugewiesen worden waren. Dabei war ich für Öffentlichkeitsarbeit zuständig und schrieb vier Artikel fürs örtliche Wochenblatt.

    Ansonsten war ich Informatiker und Statistiker in einer Grossfirma. Auch diese Arbeit weckte Zweifel am technischen Fortschritt. Einerseits eröffnet er uns viele Möglichkeiten. Andererseits erzeugt er neuartige Konflikte, die unsere scheinbar heile Erste Welt vor grosse Herausforderungen stellen.

    Als Techniker bin ich verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die Technik nicht reicht für eine gute Zukunft. Davon sind schlussendlich alle Menschen betroffen. Es braucht eine tabufreie Diskussion, selbst auf die Gefahr hin als egoistisch und unmenschlich gesehen zu werden.

    ¹ Vermutlich wäre eine kleinere, übersichtlichere Erde günstiger für die Überlebensfähigkeit der Menschheit.

    2.Vom biographischen Potential

    2.1Gedichte eines Schulmädchen vor 1900

    Noch während ihrer Schulzeit schrieb meine Grossmutter mütterlicherseits (Gertrud Doell, geb. Niemeyer, 1879–1957, Tochter des Verlegers Max Niemeyer) ein paar Gedichte. Drei davon zitiere ich, weil sie typisch sind fürs Bemühen der Menschen, die Zukunft zu erfassen und zu gestalten. Es geht ums Nachsinnen, ums Herausfordern der Wahrheit und ums Fragen. Hier das erste Gedicht aus einem Heftchen mit etwa 50 Gedichten:

    Der Brunnen.

    Im Walde des Lebens ein Brunnen rinnt.

    Dran sitzt ein Mädchen, es sinnt und sinnt.

    Der Brunnen rauscht so klar und hell.

    Das Mädchen lauscht. Die Zeit flieht schnell.

    Im Walde des Lebens ein Brunnen rinnt.

    Dran sitzt die Greisin, sie sinnt und sinnt.

    GN (= Gertrud Neomarius, wie sich die kleine Dichterin bezeichnete)

    Das Sinnen reichte schon damals nicht. Heute muss ein konkretes Ziel angepeilt werden: Wir sollen uns aufführen als bewahrende Besucher unseres schönen Planeten. Wenn nur genug Menschen nach einem guten Weg der Menschheit suchen, muss ein gutes Resultat heraus kommen.

    Nach diesem nachdenklichen Gedicht ein trotziges. Es geht ums Erfassen und Akzeptieren der Realität als Grundlage für erfolgreiches Handeln.

    An die Wahrheit.

    Tritt her zu mir du nacktes Weib.

    Mit deiner Fackel roten Glut.

    Öffne den Blick mir gross und weit.

    Ich hab zum Sehen Mut.

    Du weist mir Kampf, du weist mir Not

    Hier Hass, hier Liebe, dort Verrat;

    Auch Freude glühend, flammenrot

    Hingabe, Irrsinn, Freveltat

    Tritt her zu mir du nacktes Weib.

    Ich habe Herz und habe Mut.

    Zum Lebenskampf bin ich bereit,

    mich schreckt nicht deiner Fackel Glut.

    GN

    Das letzte Gedicht ist eine einzige Frage.

    An die Sphinx

    Ich steh vor dir, du rätselhaftes Wesen. Ich frag: «Was soll das Leben, was ist Tod?» Wozu Geburt, das Wachsen, Ringen, Werden, das Streben nach Vollendung, einem Ziel?

    Ist doch das Endziel Finsternis und Sterben. Es ringt der Geist ein ganzes, langes Leben. Er ringt und kämpft, er sinkt und strebt empor. Um wieder nur zu fallen, sich zu heben;

    Zuletzt doch sinkend in ein Nichts. Dem Tod verfallen, dem kein Blühen folgt. Ist Werden nur ein Kampf, geweiht dem Tod nach ewigen Gesetzen, die sich streng erfüllen?

    Gib Antwort mir, du rätselhaftes Wesen. In stiller Grösse ruhest du unnahbar, unerforschlich unserm Geist, der nie ergründet, was die Tiefe birgt.

    GN

    Den drei Gedichten meiner damals jungen Oma ist gemeinsam, dass sie nach Sinn und Perspektiven suchen. Es geht um Fragen, auf die es damals keine breit akzeptierten, guten Antworten gab. Es gab vor 1914 keine Perspektiven, die den Krieg verhindern konnten.

    Wie steht es heute mit der Sinnsuche? Auch heute gibt es eine grosse Aufgabe: die Suche nach der Zukunftsfähigkeit der Menschheit. Das vorliegende Buch gibt kein Patentrezept. Es verweist jedoch auf drei Potentiale, die ausreichen sollten.

    Dieses Kapitel behandelt das biographische Potential. Es kann hilfreich sein, einige Fragen zur Zukunftsfähigkeit zu behandeln: Warum ist die Weltbevölkerung bis vor ca. einem Jahrhundert nur wenig gewachsen? Was unternahmen die Privilegierten, um den Graben zwischen Arm und Reich erträglich zu machen?

    2.2Vorfahren aus Salzburg und Bosnien

    Die Grossmutter aus Göriach (Land Salzburg)

    Zur ersten Frage. Warum wuchs die Bevölkerung früher nur wenig? Eine Ursache war gesellschaftlicher Zwang. Wie dieser im täglichen Leben wirkte, dazu im Folgenden einige Beispiele aus meiner Familie. Ich beginne mit Erinnerungen an meine Grossmutter väterlicherseits, meine Göriach-Oma (Rosina Gwehenberger, 1884 – 1975).

    Göriach, ein Dorf in den Ostalpen hat knapp 400 Einwohner, verteilt auf drei Ortsteile. Dort verbrachte ich im Alter von 9 bis 13 Jahren die Sommerferien bei den nächsten Verwandten meines Vaters, der dort geboren ist. Göriach liegt über 1200m Höhe, umgeben von Wäldern und Bergen, die bis über 2800m ansteigen. Das Dorf liegt im Lungau, dem südlichsten Teil des Bundesland Salzburg, eingerahmt von zwei Alpenketten.

    Die dortigen Verwandten waren meine Oma und zwei ihrer fünf Kinder, nämlich Onkel Martin und Tante Maria. Sie bewohnten eine alte Blockhütte (die Sagschneidergeusche, 1673 erbaut²). Onkel und Tante waren ledig und beide blieben ohne Nachkommen.

    Oma hatte im Jahre 1912 mit 28 Jahren geheiratet. Mein Grossvater (Martin Quechenberger, 1854–1922) war da 58 Jahre alt. Oma hatte vor der Heirat als Magd zwei Kinder weg geben müssen. Nach der Heirat bekam sie drei weitere Kinder, wie erwähnt Martin, Maria und meinen Vater Josef (1916–1998).

    Nach zehn Ehejahren starb Grossvater mit 68 Jahren an Lungenentzündung. Er war ein Bauernsohn ohne Erbberechtigung aus dem nördlich des Alpenhauptkamms gelegenen Tennengau. Von dort war er über die Alpen in den Lungau gegangen. Als Schindelmacher und Sägereiarbeiter hatte er ein Leben lang gearbeitet und gespart. Dadurch konnte er nach und nach ein paar handtuchgrosse, weit verstreute Felder (gerade genug für 2 Kühe) und eine uralte Blockhütte erwerben, bevor er heiraten konnte.

    Früher ging’s nicht, denn im Lungau gab es faktisch ein Heiratsverbot für arme Leute.³

    Meine Göriach-Oma hatte schon deshalb meine Zuneigung, weil sie beim abendlichen Gespräch in der Wohnküche meinen Vater in Schutz nahm. Das war nötig, denn da zogen Onkel und Tante lang und breit über meine Eltern her.

    Vater habe mit 17 Jahren (das war 1933) seine Schuhmacher Lehre hingeschmissen⁴, war einem Rattenfänger nachgerannt und habe aus der Fremde eine denkbar unpassende Frau mitgebracht⁵: Eine Deutsche, evangelisch, mittellos und erst noch mit roten Haaren.

    Oma verteidigte meinen Vater, fand gute Worte über ihn. Leider goss das zusätzlich Öl ins Feuer. Ich bat sie daraufhin, Maridl und Martin doch einfach reden zu lassen. Da meinte sie erstaunt: «Mei is der Bua gscheit.»

    Tante Maria teilte diese Meinung nicht ganz, wie aus folgendem Brief hervorgeht, den sie meinem Vater schrieb: «Lieber Bruder! Heute will ich mal auch ein paar Zeilen dazuschreiben. Gernot ist ja brav und folgt, aber leider, die Arbeit lernt er so sehr schwer. Ich meine es ja gut mit ihm, aber so schwer fassen tut er. Es möchte einen direkt schrecken.…. Die Schneider Sefa ist auch nicht älter, die melkt schon, muss immer beim waschen mithelfen, die Maurer Anna kennt auch schon hübsch alle Arbeit. Viele liebe Grüsse Maridl.»

    Was Tante Maria über meine Fähigkeiten schrieb, war nicht falsch. Zum Beispiel gab’s da folgende Fehlleistung. Maridl hatte mich vertrauensvoll aufs Mutschillerzl geschickt (jedes Fleckchen Acker hatte seinen uralten Namen), Kartoffeln fürs Mittagessen zu holen, und da füllte ich doch tatsächlich den ganzen Eimer. Dabei hätten ein paar Handvoll für vier Leute gereicht, und die übrigen Kartoffeln wären noch prächtig gewachsen. Ich schlug vor, die überzähligen Knollen samt dem ausgerissenen Gestrüpp wieder einzupflanzen, und wollte auch tüchtig giessen. Doch das fand keine Zustimmung. Für mich wog die Fehlleistung schwer. Nahrungsmittel waren etwas Heiliges, Vergeuden war Frevel.

    Abb: Meine Grosseltern aus Göriach, 1912

    Zum Glück gab es Lichtblicke, etwa die von Tante Maria im Brief erwähnte Maurer Anna, etwa so alt wie ich. Ein einziges Mal war ich bei ihr eingeladen, vermutlich war gerade keine Kuh zu melken. Anna kannte ein rasantes Spiel. Es heisst: «Aussi beim Tempel» (auf Hochdeutsch: raus aus dem Tempel). Dazu braucht man einen Stapel gut gemischter Tarockkarten. Die beiden Spieler heben nacheinander immer wieder eine Karte ab. Wer als erster eine bestimmte Karte mit dem Bild eines Tempels vom Stapel abhebt, darf den anderen zur Tür rausschubsen, mit den harten Worten: «Aussi beim Tempel». Dann darf der Raus-geschmissene wieder rein, und es beginnt eine neue Runde. Für mich gab es nichts Schöneres als dieses Spiel. Nur schade, dass ich es nur an einem Tag spielen konnte. Es hat sich halt nicht öfter ergeben. Anna war ein Pflegekind. Tante Maria wusste viel später zu berichten, Anna habe einen Witwer mit vier Kindern geheiratet.

    Zurück zu meiner Oma. Sie ging jeden Sonntag die fünf Kilometer über den Berg nach Mariapfarr, um dort beide Sonntagsmessen zu besuchen. Göriach erhielt erst 1973 seine Bruder Klaus Kirche. Früher ging’s nicht. Angeblich grollten die Salzburger Erzbischöfe den Göriachern, weil diese die letzten Steinböcke gewildert hatten. Für Oma waren die fünf Kilometer kein Problem. Sie war das Gehen gewohnt. Mit ihrem Leiterwagerl betrieb sie einen weit ausholenden Handel mit Eiern. Sie hatte dafür eine von der britischen Besatzungsmacht ausgestellte Bewilligung mit Foto.

    Einen Sommer lang begleitete ich sie auf ihren Fahrten. Es ging von Göriach über Mariapfarr nach Mauterndorf und zurück über Tamsweg oder den umgekehrten Weg. Tamsweg ist mir dabei in besonders guter Erinnerung. Dort bekam ich von einer Kundin das schönste Geschenk meiner frühen Jugend, einen herrlichen Kohlrabi für mich ganz allein.

    Wir waren den langen Sommertag unterwegs auf Feldwegen, wo heute Autostrassen sind. In St. Andrä zeigte mir Oma das Haus einer Verwandten (einer Fabrikarbeiterin), wo ihre Kinder jede Woche ein Brot abholen durften, damals in den 20er Jahren, nach dem Tod ihres Martins. Ein anderes Mal zeigte sie mir von weitem den Hof ihres Bruders Peter Winkler in Fanningberg und erzählte, Peter habe mal einen Sommer auf der Schanzl-Alm verbracht. Schanzl-Alm, so heisst im Volksmund der graue Gefängnisbau, der an der Schanzl-Gasse in der Stadt Salzburg liegt. Die Ursache des Aufenthalts war Wilddiebstahl.

    Allerdings, mit meiner Mutter hatten nicht nur Onkel und Tante sondern auch Oma Probleme. Im letzten Kriegswinter verliess meine Mutter mit uns drei Kindern die mehrfach bombardierte Stadt Salzburg. Teile der Altstadt (im Kaiviertel), direkt hinterm Häuserblock, in dem wir wohnten (Sebastian Stief Gasse 2), waren getroffen worden.⁶ Wir sassen bei dem Angriff im von Staub erfüllten Keller, während oben die Fensterscheiben zerbarsten, und der Ofen im Wohnzimmer Sprünge bekam. Vater war nach einem Kopfschuss (Gehirnquetschung) nicht mehr (als Gebirgspionier) an der Front, sondern in einem Ausbildungslager in Ulm, wo er seinen Meister als Schuhmacher machte. Meine jüngste, wenige Wochen alte Schwester bekam die Stollenkrankheit, (Lungenentzündung) als Folge der Aufenthalte in den feuchten Luftschutz Stollen der Salzburger Hausberge. Mehrere Babys waren an der Krankheit gestorben. Unser Arzt riet daher zum Verlassen der Stadt.

    Mutter zog nach Göriach, obwohl mein Vater abgeraten hatte: «Geh überall hin, nur nicht nach Göriach.» Sie hielt sich nicht dran: «Es sind doch Deine Verwandten.» Wir bekamen eine Kammer im Blockhäuschen und Lebensmittelkarten, unter anderem für zwei halbe

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