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Meine Sicht der Dinge: Ein schwuler Coming-out-Roman
Meine Sicht der Dinge: Ein schwuler Coming-out-Roman
Meine Sicht der Dinge: Ein schwuler Coming-out-Roman
eBook285 Seiten4 Stunden

Meine Sicht der Dinge: Ein schwuler Coming-out-Roman

Bewertung: 3.5 von 5 Sternen

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Über dieses E-Book

Die wilde und groteske Welt eines 17-Jährigen!

Ist doch egal, wenn sich deine Eltern bis aufs Blut hassen und dich zur Psychotherapie schicken wollen. Auch egal, wenn deine scheinheilige Schwester (gerne auch "die Nonne" genannt) und ihre Clique meinen, dass du auf direktem Weg in die Hölle bist.
Egal, wenn der fieseste Typ der Schule und seine Gang es auf dich abgesehen haben und deine beste Freundin dich gerade bei einem stadtbekannten Neo-Nazi geoutet hat.
Dich bringt das nicht aus der Ruhe, zumindest so lange, bis du deinen Traumprinzen in deinem Lieblingsschwulenclub gegenüberstehst.

Und plötzlich sind die Dinge um einiges komplizierter ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBruno-Books
Erscheinungsdatum16. März 2013
ISBN9783867875844
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  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    LIC GAS!

    And don't ask me why!
  • Bewertung: 1 von 5 Sternen
    1/5
    The sleeve note has this as extremely funny - sorry Will - wasted on me.I finished reading it - but why I couldn't tell you - just stubborn I guess
  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    Basically, I ended up falling in love with this book. It's extremely quirky and the main character is surprisingly lovable (in spite and because of his faults). The characters are well rounded, especially coming from a first person point of view novel. The writing is strong, though if you don't like British slang, this book might be hard to get through. It reminded me of Skins in many ways. And it ended perfectly, not a perfectly happy way, but just the way it needed to end. It was very funny and at times shockingly sad. I'm definitely glad I read it.
  • Bewertung: 3 von 5 Sternen
    3/5
    Will Davis' My Side of the Story is a fairly typical adolescent coming of age story and while it's not particularly innovative, it touches all the bases in reasonable fashion.Jaz is 16, studying for his A Levels, lives with his 'remarkably undivorced' parents, his religious younger sister and his grandmother, and sneaks out to go clubbing with his best mate Al(ice). As the book starts everyone - from his family, to the neo-Nazi bullies at school to the in-the-closet-at work teacher, have all just found out that Jaz is gay, which is what catapults the plot on. Davis takes Jaz round the usual houses - family squabbles, teenage angst, early mention of The Catcher in the Rye, running away from it all, trying to find your own space and own identity, school problems, and that most modern of touchstones, therapy - it's all here. Jaz narrates, a fast and breezy style, with a more or less convincing ear for adolescent speech (though it gets a bit overly repetitive in some places). He's a likeable enough kid, and his charm carries the book over some of the rockier patches. Partly because this is narrated by Jaz, and this is 'his side of the story' a lot of the other characters suffer in comparison, coming over as ciphers for Jaz to react against more than fully formed people in their own right. Arguably of course, that's a fairly accurate view of how a teenage boy sees the world. It's not particularly original, and it doesn't leap out and grab you with its intensity, but this is still a fun, zippy book, with a few laughs along the way, and Davis captures that universal feeling of being a teenager and thinking you know it all well.
  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    Jarold, who prefers to known as Jaz, a troubled sixteen year old preparing to take his A level exams, tells his story as he sees it; and without the intention of winning any sympathy. He lives at home with his self-centred mother, a lawyer; his weak willed father, a chef; his pious younger sister (the Nun); and his widowed grandmother, his one ally at home.Jaz is gay, although to others he prefers to know as ?confused?. Along with best friend Alice, called Al, he frequents a local gay club where one day he meets Jon, and he is smitten; but nothing for Jaz is ever simple. Matters are not helped when Al outs him at school. Jaz speaks very much as a sixteen year old Londoner and directly to the reader in a very casual conversational manner; and the words flow with considerable ease making for a fluent and fast read. The result is an hilarious, witty, and yet appealing and moving story, and despite Jaz?s stated intentions, one cannot but help be endeared to him.

Buchvorschau

Meine Sicht der Dinge - Will Davis

Impressum

Ein riesiges Dankeschön an Mum, Dad, Tamsin und Seraphina für ihre Unterstützung. Besonderen Dank schulde ich meinem Agenten Peter Buckman, auf dessen Anstoß hin dieses Buch entstanden ist, sowie Anne-Marie Doulton. Dankbar bin ich außerdem allen, die mir hilfreiche und taktvolle Hinweise gegeben haben, vor allem Dawn, Eunji, Murielle und Sarah. Zu guter Letzt ein großes Dankeschön an meinen Lektor Michael Fishwick sowie an Alexandra Pringle, Trâm-Anh Doan, Chiki Sarkar, Emily Sweet und alle bei Bloomsbury.

1

Ich fange am besten mit einem dieser Hinweise an, wie man sie am Ende von Filmen sieht – wo irgendein Schild auftaucht, auf dem steht, dass das Ganze zwar auf einer wahren Geschichte basiere, die aufregenden Sachen aber vielleicht gar nicht wirklich passiert sind. Worauf man sich dann fragt, wieso der Film überhaupt gedreht worden ist. Es ist aber nicht so, dass in meiner Story sehr viele aufregende Sachen passieren werden; ich will ja nicht lügen. Und das war auch schon der Hinweis. Ich wollte eigentlich noch irgendwas faseln, dass ich mich nicht als total toller Erzähler aufspielen will, der die Leute für sich gewinnen möchte, aber das wäre bloß Zeitverschwendung. Und wenn ihr deshalb jetzt nicht weiterlesen wollt, dann ist mir das scheißegal.

Ich werd euch also eine kurze Einleitung geben und dann einfach loslegen. Folgendes müsst ihr wissen: Ich heiße Jarold, aber alle nennen mich Jaz, weil das um einiges cooler klingt, wie ihr zugeben müsst. Ich weiß, keiner kann seinen Vornamen leiden blablabla, aber meiner ist echt furchtbar, und deswegen habe ich Glück, dass man ihn auf coole Art abkürzen kann. Ich bin 16 (gerade so), habe Eltern, die erstaunlicherweise noch nicht geschieden sind, eine Schwester und eine Großmutter, und wir leben alle zusammen in einem Haus, ganz wie in einer TV-Serie. Bei mir haben gerade die Abschlussprüfungen angefangen, die Al und ich nicht bestehen wollen, weil wir auf diese Art dem britischen Schulsystem den Stinkefinger zeigen möchten.

Al ist übrigens meine beste Freundin. Sie ist auch 16 und interessiert sich total für Politik, im krassen Gegensatz zu mir. Und ja, sie ist eine Sie. In Wirklichkeit heißt sie Alice – das ist zwar auch nicht gerade der Brüller, aber immer noch zehnmal besser als Jarold. Es scheint diese merkwürdige Regel zu geben, dass man langweilige Vornamen nur beschissen abkürzen kann – sie heißt also Al, und deshalb denken alle immer, sie wäre ’ne Lesbe, was sie ziemlich beleidigend findet (also das Wort an sich, weil, sie ist ja politisch und so). Ich finde das aber nicht sehr erstaunlich, denn wenn je jemand dazu bestimmt war, eine Lesbe zu sein, dann Al.

Jedenfalls sollte ich jetzt besser mal loslegen, sonst müsst ihr noch zehn Seiten Gesülze lesen. Ich fange mit den Streitereien an. Es werden zwar noch jede Menge anderer Streitereien kommen, aber mit dieser fängt es halt an.

Ich gehe gerade auf mein Zimmer, nachdem ich einen Toast verdrückt habe. Ich war halb verhungert, und Mum hat diese neue Regel aufgestellt, nach der wir uns an Wochentagen allein was zu essen machen müssen, weil ich und Teresa (meine Schwester alias die Nonne) ja nun alt genug seien, um uns selbst ein paar Eier zu braten (was immer das auch heißen soll). Ich komme also gerade aus der Küche und sehe meine Eltern, wie sie mit verschränkten Armen dastehen. Sie versperren mir den Weg, als wären sie die Wächter der Treppe.

Ich: »Hallo?«

»Jarold, dein Vater und ich müssen mit dir reden«, sagt Mum mit ihrer zickigen Geschäftstussistimme. Sie ist Rechtsanwältin, was, wie ihr euch vorstellen könnt, echt toll für mich ist. Dad ist Chefkoch, und das macht die Regel mit dem Selbstkochen nur doppelt grausam. Sie sagt, er soll nicht für uns kochen, weil er eh schon den ganzen Tag am Herd steht; er hingegen beschwert sich allerdings gar nicht darüber, also ist das nur wieder ein klassisches Beispiel dafür, wie sie aus reiner Selbstgefälligkeit alle anderen überrollt. Und dabei gehört sie zu den Leuten, die nie mit irgendwas zufrieden sind. Wirklich nie.

Also, ich überlege, einfach an ihnen vorbeizustürmen, aber sie sehen ziemlich ernst aus, mehr noch als sonst, und außerdem stehen sie zu dicht beieinander.

»Was ist denn?«, frage ich, weil meine Zeit knapp ist. Ich muss in den nächsten zehn Minuten mit meinen Übungen fertig sein, ehe Hinter Gittern losgeht, und ich habe noch sechzig vor mir. Man muss immer mindestens dreißig Sekunden zwischen den Zehnersätzen (Liegestütze, Armbeugen, Sit-ups und so weiter) Pause machen, und ich will die neue Folge nicht verpassen, weil Al mir gesimst hat, dass die Böse diese Woche den Löffel abgibt.

»Ab ins Wohnzimmer«, sagt Dad, als hätte seine Stimme hier irgendein Gewicht. Niemand bewegt sich, nicht mal er, also brüllt Mum »Sofort!« in ihrem Kommando-Anwaltston, und wir marschieren alle rüber und setzen uns in die blöden Sessel einander gegenüber. Ich setze mich neben unseren Kater Bilbo, der immer alles zerkratzt und den Mum immer anschreit, dass sie ihm bei lebendigem Leib das Fell abziehen wird – wenn sie allerdings glaubt, dass sonst keiner da ist, nennt sie ihn immer »Mein Süßer«.

Ich warte darauf, dass einer von beiden was sagt, und es gibt eine blöde lange Pause, die mich sauer macht. Sie beißen sich auch noch auf die Lippen, und das sieht echt albern aus. Als wollten sie mich noch mehr nerven, werfen sie sich so einen besonderen Blick zu, als würden sie mittels eines Geheimcodes miteinander kommunizieren. Wenn ich es nicht so eilig hätte, würde ich das vielleicht lustig finden, aber da ich es eilig habe, sage ich: »Sagt ihr mir auch mal, was los ist, oder wollt ihr’s nur pantomimisch darstellen?«

Darauf folgt weiteres Schweigen, also mache ich Anstalten aufzustehen. Das scheint Mum zum Sprechen zu bewegen.

»Hör mal, Jarold«, sagt sie mit angespannter Stimme, die immer signalisieren soll ACHTUNG, ACHTUNG, Das ist jetzt TOTAL wichtig. »Wir wissen, was du so treibst.«

Ich nur: »Hm?«

»Wir wissen, wo du so hingehst!«, schreit Dad, der immer noch der Täuschung erliegt, es würde irgendwen kümmern, was er meint. »Du bist in eine Schwulenbar gegangen und hast dich mit … Männern getroffen!«

Das Wort ›Männer‹ flüstert er nur, als wäre es eine Todsünde oder der falsche Begriff für jemanden, der in eine Schwulenbar geht. Vor lauter elterlichem Eifer ist er ganz weiß geworden, und es sieht so aus, als würde er gleich umkippen. Mum nimmt seine Hand und drückt sie. Er erwidert den Druck, als wären sie beide füreinander der Fels in der Brandung, und dann sehen sie mich an, Hand in Hand, als meinten sie, dass diese Zurschaustellung ehelicher Harmonie mich auf magische Weise hetero macht oder so.

Ich: »Und?«

Dad: »Hast du sonst nichts dazu zu sagen?«

Diese Taktik hat er von Mum, und wenn ich eins hasse, dann, wenn die Leute nicht mal ihren eigenen Stil entwickeln. Ich zucke bloß mit den Achseln, mehr hat er nicht verdient.

»Das Wichtigste zuerst«, sagt Mum; sie sieht, dass Dad nicht weiterweiß, und übernimmt wie der Truppenführer die Kontrolle. »Es ist okay, wenn du glaubst, dass du schwul bist. Du bist noch jung, und vielleicht ist es nur eine Phase. Aber es ist okay, das sollst du wissen.«

Sie sieht mich genau an. Ich: »Dann weiß ich das ja jetzt. Danke.«

»Aber es ist nicht okay, dass du uns Lügen erzählst, wo du angeblich hingehst und was du machst!«, sagt sie schnell mit Megabetonung auf dem ›nicht‹. Das ist ziemlich nervig, denn a) lügt jeder seine Eltern an, dafür sind sie ja da, und b) kann ich ja wohl kaum sagen: »Ach übrigens, ich geh heute Abend in die Disco und reiß mir ’nen Typen auf, ist das okay

Ich meine, das hier ist eindeutig so was wie ein feierliches Gespräch zwischen Eltern und Sohn, also muss ich das wohl über mich ergehen lassen, aber hätten sie sich nicht vorher mal überlegen können, was sie mir sagen wollen?

Ich sage also: »Also sage ich euch von nun an einfach alles.«

»Spiel nicht den Schlaumeier. Du bist noch nicht erwachsen«, sagt Mum, was so etwas wie eine Einladung ist, über sie herzufallen.

Ich: »Mum, du bist echt peinlich.« Ich stehe auf.

»Du setzt dich sofort wieder hin!«, schreit sie und jagt Bilbo einen Schreck ein. »Wer zum Teufel glaubst du, wer du bist?«

»Sag mal, was soll das hier?«, sage ich in einem letzten Versuch, vernünftig zu sein.

»Du setzt dich jetzt hin und hörst zur Abwechslung mal jemand anderem als deinem Scheiß-CD-Spieler zu!«, meint sie.

Ich werfe ihr einen Fuck-off-Blick zu. Als Nächstes schreit sie herum wie eine Heulboje und kommt mit all diesem willkürlichen Zeugs, als würde ihr alles in diesem Moment einfallen und eben so aus ihrem Mund herausschwappen. Sie schreit so schnell, dass man kaum was davon versteht, aber ich weiß, was sie meint. Das ist ziemlich befremdend, kann ich euch sagen. Man kann das, was sie eben gesagt hat – dass es okay wäre, wenn ich schwul bin und so –, wieder streichen, wenn das hier der Maßstab dafür ist, denn dann hieße ›okay‹ ungefähr so viel wie ›alles andere als‹. Dad sieht sie verängstigt an, während er (ohne Erfolg) versucht, seine Hand ihrem Griff zu entwinden. Bilbo hat genug und haut ab. Der Glückliche, denke ich. Weder ich noch Dad wissen, was wir machen sollen, also warten wir einfach ab. Irgendwann kommt Mum runter, versteckt den Kopf zwischen den Knien und seufzt in den Teppich. Dad nutzt die Gelegenheit, um seine Hand zu befreien, die mittlerweile eine völlig neue Form angenommen hat.

»Vielleicht solltest du dich entschuldigen«, schlägt er vor, nachdem wir Mum ein paar Minuten lang wie die Idioten angestarrt haben.

»Meinst du das ernst?«, frage ich. »Siehst du nicht, dass diese Frau ein Problem hat?«

Das bringt sie wieder in Fahrt, als hätte man einen Auslöser gedrückt, nur ist es diesmal viel schlimmer und dauert auch viel länger. Es ist schon ziemlich beeindruckend, weil sie dabei noch nicht einmal Luft holt. Ich kann zwar nicht alles wiederholen, aber um euch eine gewisse Vorstellung davon zu vermitteln: DU BIST SCHWUL UND ICH BEGREIFE NICHT WARUM DU MIR NICHTS DAVON GESAGT HAST ABER WIE HÄTTE ICH ES AUCH AHNEN KÖNNEN DU WARST JA SOWIESO NIE NORMAL ICH HÄTTE ES BEI DEINER GEBURT SCHON WISSEN SOLLEN ES IST ALLES MEINE SCHULD NEIN ES IST SEINE (Dads) SCHULD ER UND MEINE MUTTER SIE KONNTE NIE VERSTEHEN WIE ICH SO EINEN VERLIERER HEIRATEN KONNTE ICH KANN ES SELBST NICHT VERSTEHEN ICH WÜNSCHTE ICH HÄTTE NIE GEHEIRATET UND NIE KINDER IN DIE WELT GESETZT HÄTTE ICH MIR DAS ALLES NUR ERSPART BEGREIFST DU NICHT DASS DU MIR MEIN LEBEN AUSGESAUGT HAST WARUM KÖNNT IHR MICH NICHT IN RUHE LASSEN ICH WÜNSCHTE MANCHMAL ICH WÄRE TOT! Und das alles, ohne Luft zu holen. Sie gäbe eine prima Taucherin ab.

Ich sage nur: »Meinetwegen.«

Sie macht den Mund auf und setzt zu einem weiteren Schwall an, aber es ist einfach zu viel, also starrt sie mich nur an und zuckt, während Dad, wie er es in ähnlichen Situationen immer macht, sich im Raum umschaut, als suche er nach einem Notausgang. Das hättest du wohl gern.

Nach einer weiteren Runde peinlichen Schweigens zuckt sie mit dem Kopf in Richtung Tür, als würde sie mich entlassen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.

Auf dem Treppenabsatz komme ich an der Nonne vorbei, die ihre Tür aufgemacht hat, um das Gekeife von Mum mitzukriegen. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und wirft mir einen süffisanten Blick zu, und auf einmal wird mir klar, wer mich verraten hat. Wer auch sonst?

»Dieses Mal hast du die Familie aber wirklich enttäuscht«, sagt sie mit übertriebenem Kopfschütteln.

Ich nur: »Geh und friss Glasscherben.«

»Armer Jarold«, seufzt sie, »niemand will ihn verstehen.«

Ich überlege, in ihr Zimmer zu gehen und ihr ein Büschel Haare auszureißen, verschiebe es aber auf später und setze den Weg zu meinem Zimmer fort, das sich im obersten Stock des Hauses befindet. Oma macht die Tür auf, als ich vorbeigehe, und wir tauschen Blicke aus. Sie weiß natürlich nicht, dass ich schwul bin und so, aber seit Großvater gestorben und sie bei uns eingezogen ist, sind wir wie Verschwörer, weil sich Mum, wenn sie mich nicht gerade anschreit, in der Regel über Oma beschwert. Ich zucke die Achseln, als wolle ich sagen: ›Was soll man da schon machen?‹, und sie zuckt auch die Achseln, als wolle sie antworten: ›Da kann man gar nichts machen.‹ Dann steige ich weiter die Treppe hoch, um meine Übungen zu machen. Leider verschanzen Mum und Dad sich nach ihrer ›Unterhaltung‹ mit mir im Wohnzimmer, deshalb wird nichts aus Fernsehen, und ich verpasse den Erstickungstod der bösen Tussi. Ich mache also einfach zwei Stunden lang Übungen vor meinem Orlando-Bloom-Altar.

Okay, ich sollte euch vielleicht noch was erklären. Also, erst einmal ist mir das alles nicht scheißegal, ob ihr’s glaubt oder nicht – es ist mir wirklich nicht egal. Ich meine halt nur, dass man sich in solchen Sachen etwas reifer verhalten sollte; Mum ist zwar erwachsen, aber reif würde ich sie nicht nennen. Um fair zu sein, war das Ganze wohl ein kleiner Schock für sie. Unserer kleinen Mutter Teresa ist beim andächtigen Ausplaudern wahrscheinlich einer abgegangen. Ich kann’s mir genau vorstellen, wie sie es ihnen heute Morgen beim Frühstück erzählt hat – das muss der Zeitpunkt gewesen sein, denn heute habe ich bei Al gefrühstückt. Sie hat sicher abgewartet, bis Mum irgendwas Zerbrechliches in der Hand hielt, denn Scherben machen alles noch dramatischer. Und Dad hat vermutlich den ganzen Tag rauchend im Hinterzimmer seiner Küche verbracht (Mum hat ihm einmal gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht mit dem Rauchen aufhört; ich kann ihn mit meinem Wissen also erpressen, sollte das je nötig sein).

Was ihr über Mum wissen müsst, ist, dass sie durchgeknallt ist. Wir haben uns alle irgendwie dran gewöhnt und sagen nichts, aber es ist ziemlich offensichtlich, dass sie mehr als nur durchschnittlich hochneurotisch ist. Und wenn man Woche für Woche mit so etwas zu tun hat, härtet man ziemlich schnell ab. Sie hat übrigens wirklich eine Krankheit – ich bin mir ganz sicher. Manchmal glaube ich, dass Oma davon weiß, aber die hält den Mund. Vielleicht hat sie aber auch nur einen Hirnschaden. In ihrem Oberstübchen geht aller möglicher seltsamer Scheiß ab; vielleicht hat sie einen Blutklumpen in einer Drüse, die für die Logik zuständig ist, und deshalb ist sie so verkorkst.

Was Dad angeht, der ist Weltmeister im Passivsein – unangefochtener Titelverteidiger seit zehn Jahren. Ich meine, es macht ihm wohl was aus, dass ich ’ne Schwuchtel bin, aber was soll er schon tun – mich mit Elektroschocks behandeln lassen? Mich rausschmeißen? Das wäre ein Witz, weil er der intellektuellste Mann ist, den ich kenne, und das wird auch meine Antwort sein, wenn er sich je fragen sollte, von welcher Seite der Familie ich das habe.

Es ist also nicht so, dass mir alles egal wäre, ich kann nur einfach nichts tun. Ich muss halt abwarten und Tee trinken, und außerdem ist meine Lage wesentlich trüber als ihre, wie ihr wohl zugeben müsst. Ich habe schon gesagt, dass es erstaunlich ist, dass Mum und Dad noch nicht geschieden sind, aber es ist auch erstaunlich, dass sie sich noch nicht gegenseitig umgebracht haben. Im Ernst, sie sind wie eine surreale, softere Variante von Sid und Nancy, halt nur im mittleren Alter und ohne Heroin. Allerdings ist Mum Sid und Dad Nancy. Wie die beiden im selben Zimmer, geschweige denn im selben Bett schlafen können, ist mir ein Rätsel. Es heißt ja immer, dass die Eltern ein Vorbild sein sollen, aber das einzige Beispiel, das meine Eltern mir geben, ist, wie ich es nicht machen will, und deshalb habe ich Al geschworen, nie zu heiraten. Ich dachte früher, das wäre eh keine Frage für mich, aber jetzt machen das immer mehr Schwule, und obwohl Al behauptet, aus Prinzip dagegen zu sein (sie ist Neo-Nihilistin), meint sie, dass das in Zukunft die Regel wäre. Ich halte das für Schwachsinn – und außerdem wäre ich lieber die Braut des Todes.

Mum kommt in mein Zimmer, als ich mich gerade hinlegen und mir einen runterholen will. Sie hat wohl einen sechsten Sinn dafür, mich genau in dem Moment zu suchen, wo ich unreine Gedanken kriege; ich musste mich schon mehr als einmal plötzlich aufsetzen, weil sie in mein Zimmer geplatzt ist. Und wenn das geschieht, ist man so gut wie tot, denn wenn man sich nicht schnell aus dem Staub macht, labert Mum einfach immer weiter und weiter, und wie wir schon gesehen haben, zählt sie zu den Leuten, denen einfach nie die Luft ausgeht.

»Okay«, sagt sie mit fester Stimme und kommt rein.

Ich: »Haben sie dir in der Mutterschule nicht beigebracht, dass man vorher anklopft?« Dabei schlüpfe ich schnell unter die Decke, um meinen Ständer zu verbergen.

»Jarold«, sagt sie und ignoriert einfach, was ich gesagt habe, »ich habe die Angelegenheit mit deinem Vater diskutiert. Wir haben uns entschieden, verständnisvoll zu sein. Das heißt aber nicht, dass es nicht ein paar Grundregeln gibt.«

Sie bezeichnet Probleme immer als ›Angelegenheit‹. Ich bin eine Angelegenheit, Teresa ist eine Angelegenheit, und Großmutter ist eine Angelegenheit. Hat wohl was damit zu tun, dass sie Anwältin ist.

Sie: »Erstens: Kein Ausgang mehr ohne unsere Erlaubnis.«

»Was ist das hier, Auschwitz?«, sage ich.

»Keine Lügen mehr.«

Ich: »Ja, klar.«

»Und keine … Aktivitäten mehr.«

Ich: »Weißt du überhaupt, was du da redest?«

Sie: »Du weißt ganz genau, was ich meine! Keine Männergeschichten mehr! Ich weiß nicht, was du getrieben hast, und ich will’s auch gar nicht wissen. Aber du bist noch nicht alt genug, und das ist mein letztes Wort.«

Ich kann an dieser Stelle ein Lächeln nicht unterdrücken. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich verspüre oft den Drang zu lächeln, wenn jemand versucht, mir gegenüber ernst zu sein. Dieser Jemand ist in der Regel Mum, also ist das nicht so schlimm, aber ein-, zweimal ist es mir bei Lehrern passiert, und das hat mir eine Menge Ärger eingebracht. Ich fühle, wie es jetzt in mein Gesicht kriecht, wie ein Wurm. Ich werde rot, und Mum wirft mir einen ihrer tödlichen Blicke zu, die sie normalerweise für Zeugen der Gegenseite reserviert.

Sie: »Wenn du die Sache nicht langsam mal ernst nimmst, streiche ich dir das Taschengeld. Und zwar komplett.«

So wie sie diese Drohung ausspricht, könnte man meinen, es wäre das Gleiche wie kastriert zu werden. Ich kriege 25 Pfund im Monat, und das soll für alles reichen – Klamotten, CDs, Schuhe, Gesichtsseife, sogar den Friseur. Mum und Dad bezahlen Schulbücher und die Uniform, und dafür muss ich ihnen Belege vorlegen. Wie so oft ist das einfach eine Aufforderung zum Betrug. Es ist nicht sonderlich schwer, über die Runden zu kommen – ich lasse mir nur einfach von anderen Leuten ihre Quittungen geben. Es wäre jedoch für alle wesentlich unproblematischer, wenn sie mir einfach mehr Geld geben würden. Die Nonne kriegt fünf Pfund mehr, und das nur, weil sie mit einer Möse geboren wurde.

Aber Geld ist Geld, also halte ich den Mund und wende das Gesicht ab, damit die Grinsattacke so gut wie möglich vor ihr verborgen bleibt. Mum schaut an die Wand, genau in die Augen von Orlando Bloom, und ich weiß genau, dass sie sich plötzlich fragt: ›Wie konnte mir dieses Zeichen nur entgehen?‹ Genau das hab ich mich nämlich auch oft gefragt.

»Ich weiß, es ist hart für dich, Jaz«, sagt sie. Ich denke an meinen harten Schwanz und daran, wie recht sie hat. Warum kann sie nicht einfach gehen? Aber stattdessen hört sie nicht auf zu beteuern, wie sehr sie mich liebt, aber ich wäre so verschlossen, und sie wüsste, wie schwierig das alles sei, aber manchmal habe sie keine Ahnung, was in mich gefahren wäre, und ich solle mich doch ein bisschen mehr öffnen. Die Frau macht eine Anspielung nach der anderen. Ich versuche krampfhaft, zu nicken und mein Kichern in ein Räuspern zu verwandeln, aber auf einmal sagt sie: »Ich will meinen kleinen Jungen Jarold zurückhaben«, und das in einer so sentimentalen Stimme, dass ich mich nicht mehr beherrschen kann. Ich: »Komm drüber hinweg«, und dann sagt sie mir, ich wäre herzlos, aber wenigstens kommt die Botschaft bei ihr an, und sie verschwindet. Natürlich ist mein Ständer mittlerweile auch verschwunden, also schicke ich Al eine SMS: ogott eltrn hben grad rausgefunden dass ich schwul bn. voll scheisse – morgen mehr j. Dann mache ich das Licht aus. Eine halbe Stunde später, ich bin gerade am Einschlafen, kriege ich eine Antwort: erzähl mir alles!!! + hast du aufstz geschriebn? Wie immer artet es in einen SMS-Marathon aus; ich berichte ihr die blutigen Einzelheiten und mache vor zwei Uhr kein Auge zu.

2

Ich gebe Al die Schuld an dem, was am nächsten Tag passiert. Es ist ihre Schuld, weil sie einfach nicht ihr Maul halten kann. Wir sitzen im Bus, und dauernd stellt sie mir dieselben Fragen, mit denen sie mich schon letzte Nacht gelöchert hat. Ich bin völlig verschlafen und frage mich, wie sie die ganze Zeit über so munter sein kann und ob das vielleicht eine Art Gen ist, das nur geborene Politiker in sich tragen. Dann bekommt ein Typ aus unserer Schule, der vor uns sitzt, ihr Gerede mit und dreht sich zu uns um.

Ich weiß ja nicht, ob das an allen Schulen so ist oder ob manche Schulen liberaler sind als andere und unsere rein zufällig einen höheren Prozentsatz an Zurückgebliebenen aufweist, aber auf St. Matthew’s ist es so, als hätte es die Achtziger nie gegeben. Keiner dort gibt zu, dass er schwul ist, auch wenn man es ihm auf Hunderte Meter Entfernung ansieht. Man sagt dort höchstens, dass man verwirrt sei. Kommt man mit der Wahrheit raus, wird man nicht nur zu endlosen Gesprächssitzungen gezwungen, wo so ein beknackter Menschenfreund dich mit seinem

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