Wenn der Himmel gute Nachricht sendet: Worte, die den Tag beflügeln
Von Peter Haigis
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Über dieses E-Book
In diesem zweiten Band der Reihe mit Rundfunkandachten von Peter Haigis geht es um Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Um Fragen von Glauben, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Alltag.
Seine für das „Wort zum Tag“ in SWR 2, aber auch für andere Sendungen im Hörfunk geschriebenen Texte laden ein biblische Geschichten für das eigene Erleben hier und heute zu deuten und Fragen und Zweifeln nachzugehen, um Antworten zu finden.
Die eindringlichen Texte geben Kraft, die Anforderungen des Tages im Vertrauen auf Gott gut zu bestehen.
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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Wenn der Himmel den Tag grüßt: Worte für einen segensreichen Tag Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Wenn der Himmel gute Nachricht sendet - Peter Haigis
Jahreszeit
Der Mythos vom Sündenfall
Eine der bekanntesten Geschichten der Bibel ist die Erzählung vom so genannten „Sündenfall". Bekannt, aber auch oftmals missverstanden: als moralisch wird sie abgetan, als lustfeindlich, als lebensverneinend und frauenverachtend, als naiv und dem heutigen, wissenschaftlich geprägten Bewusstsein unannehmbar.
Das alles sind Reaktionen auf die Auslegungsgeschichte dieser Erzählung. Die Erzählung selbst, ihr tieferer Sinn und ihre Wahrheit bleiben dabei meist auf der Strecke. Die biblische Geschichte erzählt vom Menschen im Garten Eden. Sie erzählt nicht von einer bestimmten historischen Persönlichkeit, sondern vom Menschen an sich, von einem Mann und einer Frau. Eines Tages taucht – wie in einem Märchen – eine sprechende Schlange auf und überredet die Frau dazu, von den Früchten eines geheimnisvollen Baumes zu essen, der die Erkenntnis von Gut und Böse verheißt. Die Frau – neugierig geworden – kostet und gibt auch ihrem Mann davon. Darauf gehen den beiden nun wirklich die Augen auf, doch die neu gewonnene Freiheit ist mit Scham verknüpft. Und das Leben wird kompliziert: Mit der einstmals paradiesisch-kindlichen Naivität ist es vorbei.
Also doch eine Erzählung von Sünde, Schuld und schlechtem Gewissen? So ganz verkehrt scheint das nicht. Die Geschichte beschreibt immerhin die Verführbarkeit des Menschen und die Folgen einer verhängnisvollen Entscheidung. Über die Jahrhunderte hinweg diente die sogenannte „Sündenfall-Erzählung jedoch immer wieder dazu, den Menschen als schlecht, böse und ungehorsam – eben als sündig und moralisch verdorben – zu charakterisieren. Sie war ein Instrument, ihn klein zu machen und zu demütigen. Doch das ist eine zu grobe Sicht für diese so feinfühlige Geschichte, die von einer feministischen Theologin aus den USA eine „Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang
genannt wird. In der Tat geht es um den Menschen mit seiner ganzen Lebendigkeit und Leidenschaft, mit seiner Kraft zu lieben und seiner Ohnmacht vorbehaltlos vertrauen zu können. Es geht um die Freiheit des Menschen, die immer auch die Freiheit einschließt, sich gegen sich selbst und gegen seine Sinnbestimmung zu entscheiden. Eine Geschichte voller Tragik und Wahrheit, wie sie nur ein Mythos erfassen kann. Dieser Mythos benennt in kompromissloser Klarheit die Konsequenzen, die der Mensch zu tragen hat, nachdem er die Früchte vom „Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen genossen hat. Der Mensch macht Gebrauch von seiner Freiheit und ist nun für sein Handeln aber auch vollauf selbst verantwortlich. Der Theologe Paul Tillich sagt: Wir können diese Geschichte nur verstehen, wenn wir sie nicht als Schilderung einer historischen Begebenheit aus ferner Zeit verstehen, sondern als eine Darstellung des menschlichen Wesens selbst – in erzählerischer Form. Der Mensch fällt im Ergreifen seiner Freiheit heraus aus der „träumenden Unschuld
, und zugleich muss er doch diesen Schritt gehen, um von seiner Freiheit überhaupt Gebrauch zu machen, also ein eigenständiger Mensch zu werden. Die Geschichte vom sogenannten Sündenfall führt uns die Größe und Tragik menschlicher Freiheit vor Augen: Ohne sie wäre der Mensch nicht Mensch, sondern nur eine willenlose, fremd gesteuerte Puppe. Mit ihr wird er zum Partner Gottes in dessen Schöpfung – allerdings stets in der Gefahr, sich zu irren, Fehlentscheidungen zu treffen, sich dem Sinnvollen und Guten zu verweigern.
Genau so hat Gott den Menschen offenbar gewollt – als sein Gegenüber, mit einem freien Willen, mit der Fähigkeit, Beziehungen einzugehen und zu gestalten. Weil dies so ist, kann die Geschichte des Menschen auch gar nichts anderes sein als die Geschichte einer Partnerschaft zwischen Gott und Mensch – oftmals schwierig, stets aber getragen von Gottes Liebe und Geduld. Gott überlässt den Menschen nach dessen „erstem" Fehltritt nicht seinem traurigen Schicksal inmitten eines verlorenen Paradieses. Er beginnt mit ihm einen verschlungenen und abenteuerlichen Weg jenseits von Eden.
Gut und Böse
Es gibt ein paar Lebensfragen, die so alt sind wie die Menschheit selbst, und die doch nie eine befriedigende Antwort erhalten haben. Eine dieser Fragen ist die nach der Herkunft des Bösen in der Welt. Besser, man stellt so eine Frage erst gar nicht, da man ja doch keine Antwort bekommt, oder?
Die Paradiesgeschichte aus der Bibel geht mit dieser Frage um und gibt uns eine überraschende Antwort: Die Einsicht in die Zusammenhänge von Gut und Böse sind in der Frucht eines Baumes verborgen, den Gott selbst gepflanzt hat. Es ist dem Menschen verboten, von diesen Früchten zu essen. Nur Gott weiß, was es mit dem Baum auf sich hat. Heißt das nun, dass wir die Frage nach Gut und Böse besser nicht stellen? Das Fatale in der Paradiesgeschichte ist, dass es jenen Baum immerhin gibt. Und mehr noch: Er steht auch noch ausgerechnet mitten im Paradiesgarten.
Psychologisch gesehen ist das höchst ungeschickt: das, was unter allen Umständen tabu bleiben soll, so zu platzieren, dass man gar nicht daran vorbeikommt, dass man förmlich darüber stolpert. Nun, der Baum an sich hat ja nichts Böses, aber er enthält das Geheimnis von Gut und Böse. An ihm entzündet sich sozusagen die Wissbegierde des Menschen, hinter dieses Geheimnis blicken zu können.
Für mich bedeutet das Bild vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, dass es keine Welt geben kann, in der das Problem von Gut und Böse nicht irgendwie brennend und präsent wäre. Alles andere wäre eine Puppenstube geworden – das Trugbild einer vermeintlich heilen Welt, wie auch immer die aussehen soll.
In der Paradiesgeschichte kennt nur Gott das Geheimnis des Bösen – und es wird vor dem Leser auch nicht weiter enthüllt. Gott hätte den Menschen gerne davor bewahrt, an dieses Geheimnis zu rühren. Aber er konnte den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse – diesen Nabel des Paradieses – auch nicht einfach verschwinden lassen.
Die Paradiesgeschichte ist so realistisch und ehrlich, dass sie das Problem von Gut und Böse nicht ausklammert. Es gibt kein Paradies und keine Utopie ohne diesen merkwürdigen Baum. Doch die Geschichte geht ja noch weiter: Was aus den Früchten dieses Baumes einmal entfesselt wurde, soll auch wieder gebannt werden. Wie – davon handelt die Bibel vom Anfang bis zum Ende. Der Mensch muss lernen, mit der Erkenntnis von Gut und Böse zu leben. Und Gott sagt ihm zu, ihn dabei zu orientieren, etwa in den zehn Geboten, die die Rahmenbedingungen eines menschenwürdigen Lebens umschreiben, oder im Licht der Liebe Jesu Christi, die den Menschen für ein Leben im Vertrauen auf Gott gewinnen will.
Die Schlange als Spiegel des Menschlichen
Die Schlange aus der biblischen Paradiesgeschichte hat eine merkwürdige Karriere hinter sich. Es gab eine Zeit, da galt sie als Verkörperung des Bösen schlechthin. Als Maske des Teufels höchstpersönlich. Als Inbegriff der Verführung des unschuldigen Menschen zum Bösen, zum Ungehorsam, zur Sünde. Ihre gespaltene Zunge und die Tatsache, dass sie sich häutet, trugen zu dieser Denunziation bei. Und immer wieder wurde den Frauen als „dem schwachen Geschlecht" ein unseliges Bündnis mit der verführerischen Schlange unterstellt.
Irgendwann hat sich die Schlange allerdings von ihrem schlechten Ruf emanzipiert. Mit einem Mal erkannte und schätzte man ihre Raffinesse und entdeckte sie für die Werbung. Und das ist ja für jede Karriere forderlich. Seither kann sich die Schlange aus dem Paradies vor Aufträgen nicht mehr retten: Ob zwei nackte Schönheiten mit Jeans versorgt werden müssen oder ob sie mit einem Kleinwagen beglückt werden, um damit sogleich aus dem Paradies ausbüchsen zu können – immer wieder ist die Schlange die gefragte Hauptakteurin. Sie ist es, der es perfekt gelingt, jemanden zu etwas zu verführen, was er eigentlich nicht will oder woran er zumindest nicht denkt. Genau genommen ist auch dieses Bild der Schlange nicht besser, denn sie ist immer noch Subjekt der Manipulation und der Verdrehung, wenngleich dies in den Augen der werbetreibenden Industrie anders gewertet wird.
Dabei hat es die Schlange längst verdient, wirklich rehabilitiert zu werden, denn ihre Identifikation mit dem Bösen ist reine Projektion. Die Schlange aus der Paradieserzählung hat mit dem Teufel nichts zu tun. Sie ist auch nicht böse. Genau genommen hat sie von Gut und Böse so wenig Ahnung wie der Mensch im Paradies. Auch sie hat nicht hinter dieses Geheimnis blicken können. Aber die Schlange hat die Macht kritischen Nachfragens erkannt. Sie weiß und spürt, dass es für den Menschen, der sich seiner Freiheit bewusst ist, nicht angehen kann, Verordnungen oder Verbote einfach unhinterfragt hinzunehmen. An dieser Stelle ist sie dem Menschen in der Paradieserzählung voraus, aber auch verwandt. Sie weckt ihn aus dem Dämmerschlaf seiner noch kindlichen Naivität und fordert ein, er solle endlich von seiner Gabe der Einsicht und des Verstehens Gebrauch machen.
Im Grunde verführt die Schlange den Menschen nicht, sondern führt nur aus, was in ihm selbst angelegt ist: das kritische Nachhaken, das Streben nach Einsicht, das „sapere aude – „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.
Die Schlange ist ein Spiegel des Menschen: Sie ist so ambivalent wie er, aber auch genauso liebenswert.
Verantwortung und Schuldbewusstsein
Die biblische Erzählung vom sogenannten „Sündenfall" schildert, wie es zu einem scheinbar unmotivierten Zwischenfall im Paradies kam: Der Mensch hatte ja im Grunde alles, was er zum Leben braucht. Nur eines fehlte ihm: die Einsicht in die tieferen Zusammenhänge dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält, was für das Leben gut und förderlich beziehungsweise schlecht und abträglich ist. Weil er jedoch mit Verstand und Freiheit begabt war und empfänglich für kritisches Fragen, gewann er Interesse an einem Baum in der Mitte des Gartens, von dem es hieß, seine Früchte verschafften Einsicht in den letzten Zusammenhang von Gut und Böse.
So erzählt es der Mythos