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Schmetterlinge im Bauch: Wenn Jugendliche sich verlieben
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Schmetterlinge im Bauch: Wenn Jugendliche sich verlieben
eBook351 Seiten4 Stunden

Schmetterlinge im Bauch: Wenn Jugendliche sich verlieben

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Über dieses E-Book

Was ist das für ein Gefühl, zu schwärmen - für Bill von Tokio Hotel oder den Jungen von nebenan? Wie ist das beim "ersten Mal": beim ersten Blickwechsel, beim ersten Date, beim ersten Kuss, vielleicht auch beim ersten Sex? Darf man als islamisches Mädchen einen Freund haben? Und wenn ich entdecke, dass ich schwul oder lesbisch bin - was dann? Die in diesem Band gesammelten Interviews, Tagebucheinträge, Liebesbotschaften, Illustrationen etc. spiegeln subjektive Momentaufnahmen ganz unterschiedlicher Jugendlicher wider.

Mit einer Einführung von Prof. Kurt Möller und einem Nachwort von Martin Goldstein alias "Dr. Sommer".

"Dass das Buch keiner der unzähligen Ratgeber zu 'Liebe, Sex und Zärtlichkeit' ist, wird vor allem dadurch deutlich, dass in erster Linie Jugendliche selbst zu Wort kommen. Sie beschreiben ihre ganz persönlichen Liebesgeschichten, ihre Gefühle und die verschiedenen Formen der Liebe. Dabei werden Fragen beantwortet wie: Warum schwärmt man ausgerechnet für ... Tokio Hotel? Wie ist das beim ersten Mal wirklich? Wie funktioniert es, dass eine Beziehung länger als vier Wochen spannend und aufregend bleibt? Darf man als muslimisches Mädchen überhaupt einen Freund haben?
Die Antworten kommen von ganz unterschiedlichen Jungen und Mädchen, von "Stinos", von krassen Typen, von Homos und Heteros, von jungen und etwas Älteren, und zeigen somit, wie vielfältig unser Gefühlsleben sein kann. Liebe Projektgruppe 'Herzenssache', vielen Dank für dieses Buch, das einen daran erinnert, was im Leben wirklich wichtig ist!"
Nina Sundmacher
SpracheDeutsch
HerausgeberHirnkost
Erscheinungsdatum22. März 2012
ISBN9783943612028
Schmetterlinge im Bauch: Wenn Jugendliche sich verlieben

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    Buchvorschau

    Schmetterlinge im Bauch - Hirnkost

    ist

    „BOAH EY, IST DER ABER SÜÜÜSS!!!"

    „Mann, Alter, die sieht ja vielleicht geil aus! – Gesprächsfetzen, aufgeschnappt mittags im Bus, als Erwachsener eingekeilt zwischen Halbwüchsigen auf dem Heimweg von der Schule. Eines der kichernden Mädels im vollgepfropften Gang: „Oh, immer wenn ich ihn sehe, ich zittere dann komplett ... Die beiden Jungs mit den Baseballkappen auf der Sitzbank vorn: „Voll krass! Sag ich zu ihr: „Hey, Kleine was geht? Und sie so: „Was geht, willste wissen? Du gehst! Und zwar nach Hause ... Und jetzt knutschen auch noch die beiden Hübschen auf der letzten Bank herum. Die sind doch höchstens 14! – Ja, hat denn die Jugend von heute nichts anderes mehr im Kopf als schwärmen, anbändeln, sich verknallen?

    Das war doch bei uns früher alles ... Moment mal: War’s wirklich alles ganz anders? Die verstohlenen Blicke in die love-story der Bravo. Mit 14 die peinliche Geschichte der fehlgeschlagenen Anmache von Ulla im Schulbus – in den Boden wollt’ ich versinken. Der erste Kuss mit Isa damals beim letzten Klammerblues auf der ersten Karnevalsfete – wie da plötzlich ihre Zunge ... Das Techtelmechtel mit Anne im Schützenfestzelt: Ich bin ja so verschossen in deine Sommersprossen! – Naja, daraus ist dann ja auch was geworden ... Da war doch was, oder? Ehrlich gesagt: Schön war’s und bleibt’s – vor allem schön aufregend und schön kribbelig! Oder wie sagen die Kids heute? Verknalltsein – schon ’n cooles Feeling!

    Das finden auch wir, die Autoren und Autorinnen dieses Buches: eine Gruppe von Studierenden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Esslingen und ihr Prof. Die Freude und das Leid mit dem Kontakt zum anderen Geschlecht – manchmal auch zum selben – durchzieht das ganze Leben. Es ist aber vor allem das Thema der Jugendphase schlechthin. Kaum etwas interessiert Heranwachsende mehr als Herzenssachen.

    Die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen dagegen nimmt sich dieses zentralen Interesses junger Leute fast nie an: Gewalt, Schule, Beruf, Medien, Sucht, vielleicht auch Sexualität – zu Themen wie diesen gibt es Regale von Forschungsergebnissen, Berge von Konzeptpapieren und eine bunte Vielfalt von praktischen Ansätzen. Aber schwärmen, flirten, sich verlieben, Coming Out, Miteinander gehen – weitgehend Fehlanzeige.

    Dieses Büchlein soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen. Es wird zwar durch einen wissenschaftlichen Beitrag von Kurt Möller eingeleitet, (re)präsentiert allerdings nicht Forschung nach dem Motto „Die Wissenschaft hat festgestellt, kommt nicht als belehrender Ratgeber daher und gibt auch keine mit dem Label „pädagogisch besonders wertvoll versehenen Tipps. Es will vielmehr in erster Linie Jugendliche selbst zu Wort kommen lassen und sie so in ihren Empfindungen und (Liebes-) Geschichten ernst nehmen. Nur an drei Stellen dürfen auch mal Omi, Tante Luzie und Co. was aus ihrer heißen Zeit von früher erzählen. Und am Ende tut dies sogar Dr. Sommer höchstpersönlich.

    Dabei werden Fragen verfolgt wie: Was ist das für ein Gefühl, zu schwärmen – für das MTV-verbreitete Idol oder den Jungen von nebenan? Wie ist das beim „ersten Mal": beim ersten Blickwechsel, beim ersten Date, beim ersten Kuss, vielleicht auch beim ersten Sex? Was braucht eine gute Beziehung? Wie lassen sich Stolpersteine aus dem Weg räumen, Krisen überwinden, die Schmerzen beim Schlussmachen ertragen? Darf man als islamisches Mädchen überhaupt einen Freund haben? Und wenn ich entdecke, dass ich schwul bin oder lesbisch – was dann?

    Die in diesem Band gesammelten Interviewauszüge, Tagebucheinträge, Liebesbotschaften, Illustrationen etc. sind subjektive Momentaufnahmen ganz unterschiedlicher Jugendlicher – von Mädchen und Jungen, von „Stinos" (Stinknormalen) und krassen Typen, von Hetero- und Homosexuellen, von geistig und körperlich Behinderten, von Migranten und Migrantinnen, etwas Älteren und ganz Jungen. Sie spiegeln wider, was Menschen zwischen der Pubertät und Mitte 20 erfahren, denken und fühlen. Sie erheben keinen Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit. Sie fokussieren nicht auf die außergewöhnliche Story. Aber sie wollen den Alltag des sich Verliebens und sich Entliebens in seiner Vielfalt abbilden – ihn auch gerade von seiner schönen Seite beleuchten: diesem wunderbaren Kribbeln nachspüren, das wir alle kennen – tief im Bauch, wenn die Schmetterlinge flattern ...

    Projektgruppe Herzenssache

    Esslingen im November 2006

    Kurt Möller

    DAS ERSTE MAL – KOMMT IMMER WIEDER.

    MITEINANDERGEHEN ALS ENTWICKLUNGSPLATTFORM

    Das erste Mal – vergiss es!?

    „Wie es Krankheiten gibt deren man sich schämt, so gibt es auch lächerliche. Eine solche ist die jugendliche Liebelei ... Man müsste bei den Halbwüchsigen den sexuellen Trieb und den Hang zur Selbständigkeit mit irgendeiner wohltätigen Spritze einschläfern können ... Etwa um die dreißig könnte man sie dann wieder aufwachen lassen." (Robert Poulet)

    Hand aufs Herz, liebe Ü-30er! Und mal scharf nachgedacht, liebe U-30er! Hat der Mann nicht recht? Fühlt man sich den gewaltigen Hormonstürmen der jungen Jahren nicht schutzlos ausgesetzt? Ist die haltlose Schwärmerei für den Einen oder Keinen nicht eher tragikomisch? Bleibt das permanente Werben um die Traumfrau letztendlich nicht verlorene Liebesmüh’? Knallt man nicht nach den kurzen Höhenflügen des Verliebtseins um so schmerzhafter immer wieder auf den harten Boden der Tatsachen hinab? Handelt es sich nicht wirklich um einen therapiebedürftigen „Wahnsinnsanfall, den die automatische Anziehung der Geschlechter hervorruft" (nochmals Robert Poulet)? Und ist er nicht wirklich besser unter Betäubung auszuhalten?

    Oder ist alles genau umgekehrt? Infusionen gegen jugendliche Verknalltheit – ist wahnsinnig eher der, der auf solche Ideen kommt? Narkotisiert durch die Phase von Sturm und Drang – fehlte dann nicht ein Stück des wahren Lebens, ja sogar der wahren Liebe in der Biographie?

    Dass genau letzteres der Fall ist, behauptet der vorliegende Beitrag. Und er versucht es zu belegen. Es gilt wissenschaftlich zu fundieren, was die meisten von uns fühlen: wie sehr die zahlreichen „ersten Male" uns prägen – das erste sexuelle Erwachen, das erste date, die erste Berührung, der erste Kuss, der erste Sex, die erste Liebe, das erste Sich-Entlieben...

    Bevor wir im einzelnen aufweisen, welche Bedeutung all diese Erfahrungen für die Lebensgestaltung haben, ist zunächst festzuhalten, welche wissenschaftlichen Kenntnisse und Theorien wir von der jugendlichen Verliebtheit besitzen.

    Das erste Mal – was wir wissen

    In welchen Fachbibliotheken könnten brauchbare Erkenntnisse über das Sichverlieben (in der Jugendphase) lagern? Biologie? Medizin? (Entwicklungs-)Psychologie? Pädagogik vielleicht? Oder sogar (Jugend-)Soziologie?

    Wollten wir uns auf biologische und medizinische Erkenntnisse verlassen, so wäre erwartbar, auf Befunde zu stoßen, die organismische Reifungsprozesse beschreiben, über bio-physische Vorgänge aufklären und gegebenenfalls damit verbundene Anomalien, Gesundheitsgefährdungen und Krankheiten zum Thema machen: Antworten auf Fragen wie: Ab welchem Alter geraten die Hormone in Wallung? Was genau stellen sie mit uns an? Welche Rolle spielen neuronale Botenstoffe? Wodurch und wie findet das Wachstum der Sexualorgane statt? Was passiert im Körper, wenn sie zum Einsatz kommen? Woran erkennt man, wenn körperlich etwas nicht mit einem stimmt? Sicher keine völlig uninteressanten Fragestellungen. Auch und erst recht nicht für Jugendliche, die auf körperlicher Entdeckungstour bei sich selbst und anderen sind. Nur: Ist nicht Verliebtsein mehr als eine Angelegenheit der Schwellkörper und ein hormonell bedingter Zustand vorübergehenden Irreseins? Ist es nicht schlicht eines der schönsten Gefühle der Welt: Schmetterlinge im Bauch, Herzklopfen und der Wunsch nach Nähe, Zusammensein, Zärtlichkeit und Lust?

    Ist Verliebtsein mehr als ein hormonell bedingter Zustand vorübergehenden Irreseins?

    Wenn dem aber so ist, dann geht es beim Sichverlieben um mehr als um nackte Körperlichkeit, nämlich in erster Linie um Emotionen und Bedeutungen, die eigenen und fremden Gefühlen, Äußerungen, Körperdesigns und Verhaltensweisen zugeschrieben werden. Neben der reinen Physis ist also die Psyche im Spiel. Und zwar mächtig. Ohne sie ist – um einen bekannten Filmtitel in abgewandelter Form zu zitieren – das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Teenager zur Paarungszeit nicht zu erklären. Es spricht also einiges dafür, auf der Suche nach tragfähigen Befunden und Deutungen die Psychologie zu bemühen – und insofern unser Interesse Jungen und Mädchen in der Adoleszenz gilt, speziell die Entwicklungspsychologie.

    Da in diesem Alter Erziehung und Bildung von herausragender Bedeutung sind, steht zu vermuten, dass auch die Pädagogik bzw. die Erziehungswissenschaft sich für Liebesbeziehungen unter Jugendlichen interessieren dürfte. Soll man als Erwachsener, als Elternteil, Lehrerin oder Sozialarbeiter auf sie Einfluss nehmen oder eher nicht? Falls ja, ab wann und vor allem: wie? Darf der Freund im Zimmer der Tochter übernachten? Leidet nicht die Schulleistung der Sprösslinge unter ihrer Liebelei? Dies sind Fragen, von denen man weiß, dass sie speziell Väter und Mütter spätestens dann interessieren, wenn sie sich durch die Pubertät ihres Nachwuchses vor Herausforderungen gestellt sehen, die in deren Kindheitsphase noch nicht vorhanden waren. In irgendeiner Weise wird es doch kluge pädagogische Antworten, eindeutige Ratschläge oder brauchbare Tipps dazu geben, oder?

    Darüber hinaus, vielleicht vorab, am besten aber in Verbindung mit diesen wissenschaftlichen Perspektiven scheint es jedoch unverzichtbar zu sein, sich zu vergewissern, wie sich die Jugendliebe überhaupt gesellschaftlich darstellt: Wer, also welcher Typus von Jugendlichen, macht denn wann unter welchen objektiven Umständen und sozialen Bewertungen welche Erfahrungen? Mithin: Unter welchen Bedingungen durchlaufen Jungen und Mädchen heute – gegebenenfalls im Gegensatz zu früher – eigentlich bestimmte psychische Entwicklungen? Mit Überlegungen wie diesen betreten wir das Feld der Jugendsoziologie.

    Sollen wir nun also hier die genannten Wissenschaftszweige nacheinander abarbeiten? Nein! Schon der Alltagsverstand legt nahe, die in diesen Wissenschaftsgebieten auffindbaren Erkenntnisse unter einer zentralen Fragestellung zu bündeln. Diese heißt: Was tut Jungen und Mädchen gut, was ist also förderlich für ihre Entwicklung und was ist für sie eher schlecht, ist also mit Belastungen und schädigenden Folgen verbunden? Integrieren wir die Perspektiven der bislang benannten Disziplinen, so werden wir gerade in Bezug auf dieses Erkenntnisinteresse vor allem in der auf Minderjährige bezogenen Sozialisationsforschung fündig. Sie untersucht empirisch und theoretisch, wie das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen vor sich geht und welche Entwicklungspotenziale, aber auch –belastungen es beinhaltet; genauer: wie „die dynamische und produktive Verarbeitung der inneren und äußeren Realität erfolgt und diese „für den ganzen weiteren Lebenslauf Muster bildenden Charakter erlangt (Hurrelmann 2004, 65).

    Nicht unbedingt explizit als Sozialisationsforschung ausgewiesen, aber wohl unter der für sie zentralen Sichtweise einzuordnen, lassen sich sowohl empirische wie theoretische Befunde nutzen. Empirisch ist zunächst im wesentlichen auf der Basis von Jugendbefragungen, in die sicherlich auch Selbstdarstellungswünsche der Befragten eingehen, die nicht unbedingt dem realen Geschehen entsprechen, für die heutige Jugend festzuhalten (vgl. für aktuelle Daten vor allem Bravo Dr.-Sommer-Studie 2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2006; auch z.B. Dannenbeck/Stich 2002; Schmidt 2000):

    Den ersten Kuss haben die meisten Jungen und Mädchen bis zum 14ten Lebensjahr gegeben bzw. erhalten, der erste Zungenkuss folgt mit etwa einjähriger Verzögerung.

    Probate Mittel des Anbändelns sind wiederholtes Anschauen und Anlächeln, besonders nett sein, aber auch Verabredungen und verbale Zuneigungsbekundungen geradeheraus. Über die Hälfte der Mädchen fühlt sich auch mit einer Einladung, z.B. ins Kino, angesprochen.

    Verliebtheit macht auch die Jungen achtsamer gegenüber sich selbst.

    Jungen und Mädchen wissen, dass ein sympathischer Eindruck, gutes Aussehen (was immer das im einzelnen sei) und körperliche Attraktivität ihre Chancen auf dem Flirt- und Partnerschaftsmarkt steigern. Entsprechend viel Wert wird auf Kleidung, Körperpflege und Styling gelegt. Dies trifft auf die Mädchen zwar deutlich mehr zu als auf die Jungen. Verliebtheit macht aber auch die Jungen in dieser Hinsicht achtsamer gegenüber sich selbst. Mit dem eigenen Aussehen ist die heutige Jugend mehrheitlich zufrieden; Mädchen sehen sich aber erheblich selbstkritischer als Jungen. Der männlicherseits angefachte oder zumindest a, Leben erhaltene weibliche Schönheitswahn schlägt sich sowohl darin nieder, dass ein Viertel der Mädchen – und damit doppelt so viele wie die Jungen – sich zu dick findet, als auch in ihren höheren „Body-Check"-Interessen, Diätraten und Magersuchtsgefährdungen.

    Rd. 10% berichten von gleichgeschlechtlichen Gefühlen und Phantasien bei sich. Gehen sie in die Gewissheit über, homosexuell zu sein – dies ist bei schätzungsweise 5% der Fall -, so braucht es dafür einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren. Deshalb machen diese Jugendlichen die im folgenden für die gegengeschlechtliche Kontaktanbahnung und Partnerschaftsgestaltung beschriebenen Erfahrungen auch oft bis zu fünf bis zehn Jahre später als Heterosexuelle; zumal ein Großteil der Eltern (40%) und schwächer z.T. auch gleichaltrige Freunde mit dieser sexuellen Identitätsentwicklung spätestens dann nicht zurecht kommen, wenn sie sich im Sinne eines „Coming Out" offen vollzieht (vgl. BzgA 2002; Schledt 1997; vgl. auch die Interviews mit homosexuellen Jugendlichen in diesem Buch).

    Der in den letzten gut hundert Jahren beobachtbaren Vorverlagerung der Geschlechtsreife um rd. fünf Jahre entsprechend (also von Regelblutung etwa auf das 11. bzw. von Samenerguss auf das 12. Lebensjahr), passiert das juvenile sexuelle Erwachen heutzutage bei der Mehrheit zwischen 12 und 13. Während gegenwärtig die Hälfte angibt, mit 13 bis 14 Jahren schon Selbstbefriedigungserfahrungen zu haben (Jungen in dieser Altersphase allerdings gut doppelt so häufig wie Mädchen), wird – im Zeitvergleich in wachsenden Raten – körperliche Nähe beim Petting meist erst nach dem 15ten Lebensjahr und weitergehender Sex durchschnittlich erst rd. ein Dreivierteljahr später erlebt – dabei in weniger als 10% der Fälle mit einer fremden Person oder flüchtigen Bekanntschaft (vgl. zur Verbindung von Geschlechtsverkehr und fester Beziehung in den sexuellen Skripts von Jugendlichen auch Krahé/Bieneck/Scheinberger-Olwig 2004). Dem widerspricht nicht, dass Jungen sich in gleichem Maße, nämlich zu rd. 2/3 einen One-Night-Stand vorstellen können wie Mädchen diesen ablehnen. Mit 17 Jahren verfügen gegenwärtig rd. 2/3 bis ¾ über Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr; nur 7% (Mädchen) bzw. 4% (Jungen) geben für dieses Alter noch gar keine sexuellen Erfahrungen an. Gegenüber den 50er und 60er Jahren hat sich der Vorsprung der Jugendlichen aus den unteren Schichten deutlich abgebaut.

    Ist das Schwärmen für Stars und Idole zwischen 11 und 15 Jahren durchschnittlich Jugendlichen (und dabei fast vier mal so häufig Mädchen; vgl. Mariah u.a. in diesem Band) deutlich näher als die Schule – wenn auch deutlich weniger wichtig als Freundeskreis und Familie -, so gewinnen nach dem 15ten Lebensjahr Flirten und Liebe sowohl im Verhältnis zum Schwärmen als auch zur Schule deutlich größeren Stellenwert und wächst im eigenen Empfinden in den weiteren 2 Jahren zu eine Bedeutung an, die sogar der Bedeutung der Familie entspricht (Flirten) bzw. diese übertrifft (Liebe) und damit die Rangstellung von Freundeskreis und Musik erreicht. Feste Partnerschaften gewinnen an Relevanz und überlagern zwischen 16 und 17 das Gefühl der Verbundenheit mit der familiären Lebenswelt, das gleichwohl – jedenfalls beim Durchschnitt – stark erhalten bleibt.

    Auch wenn die Hälfte der Jugendlichen heute mit den eigenen Eltern relativ offen über Liebe und Sexualität sprechen kann und damit die Rolle des Elternhaus diesbezüglich weiter an Bedeutung gewinnt, bevorzugen die meisten als Vertrauensperson die „beste Freundin oder den „besten Freund. Dabei ist das Vorhandensein einer Vertrauensperson deutlich bildungs- und abgeschwächt auch geschlechtsabhängig: So haben Jungen, deren Eltern „nur" die Hauptschule besucht haben, zu fast 30% keine Vertrauensperson. Jugendliche nutzen zumindest als Informationsquellen aber auch in erheblichem Umfang die Medien, in erster Linie Jugendzeitschriften wie BRAVO, dies allerdings eher in jüngeren Jugendjahren. Bei den Jungen hat die Nutzung elektronischer Medien (z.B. des Internets) zur sexuellen Information bereits mit der Lektüre gleichgezogen.

    In Sachen Küssen, Verliebtsein und fester Freundschaft sind die Mädchen den Jungen bis zum 16ten Lebensjahr um bis zu anderthalb Jahre voraus, in puncto Geschlechtsverkehr ab dem 15ten Lebensjahr nur noch ein knappes halbes Jahr. Mit etwa 17 gleicht sich der Umfang des einschlägigen Erfahrungsschatzes von Mädchen und Jungen an.

    Gab es in der Jugendphase der Eltern der heutigen Adoleszenten noch zumeist eine längere Phase des Verliebtseins ohne oder nur in selteneren Fällen mit sexuellem Verkehr, so dauert es heute im Durchschnitt nur noch etwa zwei Monate, bevor in einer festen Freundschaft miteinander geschlafen wird. Die Entbindung des Geschlechtsverkehrs vom Institut der Ehe ist für nahezu alle deutschen Jugendlichen vollzogen, ja gewinnt in Umkehrung der traditionellen sexuellen Zurückhaltung zunehmend Normcharakter.

    Romantische Vorstellungen von Liebe dominieren sexuelle bei Jungen und Mädchen!

    Gleichwohl: Romantische Vorstellungen von Liebe dominieren sexuelle: Ein „toller Abend" ist bei beiden Geschlechtern viel eher von knutschen, schmusen und kuscheln bestimmt als von Sex haben, 44% der Jungen und sogar 61% der Mädchen glauben an Liebe auf den ersten Blick und 35% (Jungen) bzw. 70% (Mädchen) halten sich für romantisch. Weiterhin stärker noch als Jungen – die im Zeitvergleich diesbezüglich aber aufholen und gesteigerten Wert auf ihre Einfühlsamkeit als Liebhaber legen – ist ihnen emotionale Nähe wichtiger als Sex, auch wenn sie besser als Vorgängergenerationen ihre sexuellen Bedürfnisse und Grenzsetzungen zu äußern und durchzusetzen vermögen.

    Die erste Liebe hält etwa ein halbes Jahr und ist für die meisten dann gegeben, wenn man vor dem Umfeld das Miteinandergehen offenbart und entsprechende Zärtlichkeiten austauscht. Dem gemäß wird Eifersucht genauso häufig empfunden, wenn der feste Freund bzw. die feste Freundin eine/n andere/n küsst, als wenn er bzw. sie mit einer anderen Person Sex hat. Solange eine Partnerschaft Bestand hat, gilt dementsprechend Treue als ein hoher Wert; man lebt eine serielle Monogamie.

    Die Kürze der Dauer von intimen Partnerschaften im Jugendalter deutet es an: Jugendliche kennen nicht nur das erotische Kribbeln. Auch Trennungserfahrungen gehören zum jugendlichen Liebesleben. Hinzu kommt Liebeskummer aus anderen Gründen: vor allem einseitige Liebe und Eifersucht. In Partnerschaften ist das Drüberreden vor Wütendwerden, Traurigkeit und mehr oder minder stillem Rückzug aus Enttäuschung das von den meisten favorisierte Mittel. Man will Trennungen ohne gegenseitige Beschädigungen gestalten; wohl auch weil man im Grunde weiß, dass die ersten intimen Paarbeziehungen Experimentierfelder darstellen. Vom erstmaligen Flattern der Schmetterlinge im Bauch bis zum Eingehen einer auf Lebenspartnerschaft ausgerichteten Bindung vergehen heute 13 bis 15 Jahre.

    Für Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere solchen aus dem islamischen Kulturkreis, stellt sich vieles anders dar: Die sexuelle Liberalität ist geringer, die elterliche bzw. verwandtschaftliche Kontrolle entsprechend deutlich höher, die Akzeptanz vorehelicher intimer Kontakte oft nicht vorhanden, die Orientierung an tradierten Geschlechtsrollenstereotypen stärker, Kommunikation über Liebesdinge erheblich eingeschränkt. Andererseits übernehmen in Deutschland aufgewachsene Jugendliche aus Migrationsfamilien viel weitgehender als die im Heimatland sozialisierten die Orientierungen ihrer deutschen AltersgenossInnen (vgl. zusammenfassend kurz Sielert 2005, 134 ff.). Damit sind Probleme wie jene vorprogrammiert, die in den in diesem Band veröffentlichten Interviews mit Migrantenjugendlichen zu Tage treten (vgl. auch das Interview mit Marco).

    Für bemerkenswert mag man an Befunden wie diesen so Manches halten. Eines aber ist es bestimmt: dass es sich um Ergebnisse von Forschungen zum Sexualverhalten von Jugendlichen handelt. Die nicht unmittelbar sexuellen Konnotationen, die mit dem Miteinandergehen verbunden sind, werden durch die Sozialisationsforschung allenfalls am Rande, wenn überhaupt, beachtet und aufgehellt: das erotische Knistern, die romantischen Gefühle, die emotionalen Höhepunktserlebnisse, die Enttäuschungserfahrungen und ihre Verarbeitungen, die Erfahrungen des Aushandelns von Partnerschaft und vor allem auch die dabei einzufahrenden individuellen Entwicklungsgewinne.

    Dieses Manko wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die auch in Bezug auf andere Themenfelder zu beklagende Problemzentriertheit der Sozialforschung (hier: vor allem im Hinblick auf Fragen der Verhütung, der Vermeidung von Geschlechtskrankheiten wie Aids, der Gefährdungen durch Frühreife, der Reproduktion von Geschlechterstereotypen, insbesondere des Maskulinismus sowie der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und ihrer Unterwerfung unter das medial verbreitete Schönheitsideal), sondern wird auch dem Charakter des Miteinandergehens in der Jugendphase nicht vollumfänglich gerecht. Liebe und Freundschaft sind nachweislich die für Jugendliche interessantesten Themenfelder (vgl. z.B. JIM 2005). Und: Die Partnerschaften dieses Zuschnitts bilden längst Erfahrungsfelder von Eigenständigkeit und bieten darüber hinaus nicht allein in sexueller Hinsicht Teststrecken für die im Fortlauf der Biografie entstehenden intimen Beziehungen, die damit verknüpften Selbstauffassungen und Konfliktfelder (vgl. auch die Statistik des Kinder- und Jugendtelefons, die Partnerschaft und Liebe bzw. Sexualität mit rd. einem Drittel bzw. einem Viertel der Anrufe als die meistgefragtesten Themenbereiche bei der telefonischen Kinder- und Jugendberatung ausweist; www.kinderundjugendtelefon.de). Insofern ist auch erklärlich, dass das erste Mal Sexualverkehr gehabt zu haben, von vielen als „nichts Besonderes" erlebt wird und rückblickend über das erste Mal – vor allem von jungen Männern – nur ungenau, unklar terminiert, ja sogar widersprüchlich gesprochen wird (vgl. Dannenbeck/Stich 2002; Helfferich 2005). Der erste Sex ist eingebunden in einen viel umfassenderen Annäherungsprozesse an das andere Geschlecht und an Partnerbeziehungen, in dem Momente wie Lusterleben, Zärtlichkeit, Verantwortungsübernahme u.v.m. markante Rollen spielen (vgl. auch Stich 2005).

    Wenden wir uns also der Frage zu, welche Beiträge zur Persönlichkeitsentwicklung und zur sozialen Interaktion intime Partnerschaften im Teenageralter erbringen (können) – eine Frage, deren Stellenwert auch dadurch unterstrichen wird, dass der Drang zur Zweisamkeit für nahezu alle das wichtigste Ziel im Leben ist.

    Die ersten Male – was wir lernen

    Die allerersten Male tragen sich im Allgemeinen noch vor Beginn jener Zeitspanne im Lebenslauf zu, die wir bisher betrachtet haben. Schon die 8- bis 10-Jährigen geben zu 42% (Jungen) bzw. 23% (Mädchen) an, schon mal verliebt gewesen zu sein, machen immerhin zu 32% (Jungen) bzw. 44% aus derartigen Gefühlen ein Geheimnis (vgl. Milhoffer 2000; illustrativ dazu auch die Interviews mit Annemarie und Lea in diesem Buch) und verneinen sie damit nicht strikt. In der Folge entwickeln sich die ersten Formen des Flirts zwischen den Geschlechtern, die in der Vorpubertät durch Necken, spielerische Körperkontakte wie Schubsen und u.U. auch schon das Liebesbriefchenschreiben ausprobiert werden. Noch sind die gleichgeschlechtlichen Einbindungen in Peergruppen zu diesem Zeitpunkt allerdings so stark, dass, wer sie sucht, damit rechnen muss, gehänselt zu werden. Immerhin führt das Umwerben des anderen Geschlechts auch dazu, gegenüber dem eher unfreundlichen Interaktionsstil, der noch oft bis zum zehnten/elften Lebensjahr vorherrscht, auch wechselseitige Unterstützungsleistungen zu geben, in aufgabenbezogene Kooperationen einzutreten und dabei prosoziales Verhalten zu entwickeln (vgl. Krappmann/Oswald 1995, Zornemann 1998).

    Kein anderes Ereignis im menschlichen Leben hat vergleichbar starke Einflüsse auf die Persönlichkeit wie die erste ernsthafte Liebe.

    Hat also die Geschlechterspannung sogar vor der Jugendphase bereits (im allgemeinen positive) Auswirkungen auf persönliches und soziales Verhalten, so gilt dies erst recht für das Ende der Jugendphase, den Übergang ins Erwachsenenalter und das Erwachsenenalter selbst (vgl. hierzu und zum folgenden die repräsentative Längsschnittstudie von Neyer und Asendorpf 2001 sowie Neyer 2003). Kein anderes Ereignis im menschlichen Leben – weder der Abschluss der Schule, noch das Erlernen eines Berufes, Unfälle oder eine Scheidung – hat vergleichbar starke Einflüsse auf die Persönlichkeit wie die erste ernsthafte Liebe, deren Beginn meist im dritten Lebensjahrzehnt erlebt wird. Zwar drücken die bis zu in dieser Altersphase bereits vorhandenen Persönlichkeitsfaktoren stärker Partnerschaftserfahrungen ihren Stempel auf als umgekehrt, die persönliche Beziehung auf der Basis von emotionaler Bindung und Sexualität führt allerdings im allgemeinen zur persönlichen Entfaltung einer vergleichsweise stabilen positiven Emotionalität und besseren Anpassungsfähigkeit. Wer vom Single zum Partner mutiert, zeigt Reifegewinne: eine Abnahme von Neurotizismus, Verschlossenheit und Schüchternheit und Zunahmen an Gesprächigkeit, Aktivität, Gewissenhaftigkeit, Verantwortlichkeit und Selbstwertgefühl (vgl. ebd.).

    Wenn also bis ins Erwachsenenalter hinein die Persönlichkeitsentwicklung eine hohe Plastizität besitzt und partnerschaftlich „neu konfiguriert werden kann, so ist anzunehmen, dass das Miteinandergehen im Jugendalter, zumal ihm von den Jungen und Mädchen selbst eine herausragende Relevanz zugeschrieben wird, die in der Adoleszenz noch weniger festgelegte Persönlichkeit entscheidend zu prägen vermag – auch dann, wenn dieser Beziehungstypus weniger auf Dauer angelegt ist als die erste „ernsthafte

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