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Das Geständnis
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eBook236 Seiten3 Stunden

Das Geständnis

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Über dieses E-Book

Ein grauenhafter Mordfall rüttelt die Familie von Mina durcheinander. Die junge Mutter zweier Kinder will nicht wahrhaben, was ihr an Fakten präsentiert wird. Zu verworren und undurchschaubar erscheint es, dass ihr Bruder Josh ein Mann sein soll, der eine unvorstellbare Tat begangen hat. Mitleid mit dem Bruder, Schuldzuweisungen an die Eltern nehmen Mina zu sehr in Beschlag, um anderes in sich aufnehmen zu können. Im Laufe der Jahre muss sie lernen, sich von Schuld, Schuldzuweisungen, Sühne, aber auch vom Mitleid und der Verantwortung für den Bruder zu distanzieren. Der Fall basiert auf einer wahren Geschichte und bringt für den Leser wie auch die damals an dem Mordgeschehen tatsächlichen Beteiligten bis zum Schluss keine Klarheit über den Täter. Zwanzig Jahre danach ist Mina gezwungen, umzudenken. Ein neuerlicher Mord geschieht...
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum3. Dez. 2014
ISBN9783958653948
Das Geständnis

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    Buchvorschau

    Das Geständnis - Annemarie Albrecht

    59

    PROLOG

    „Eine Person hat viele Facetten.

    JEDER!

    Überall ergibt sich ein Teilstück.

    Etwas, das man zu kennen meint oder zu sehen glaubt.

    In jeder Situation oder in einer Sache kommt nur

    ein Teil rüber!"

    Joanna

    Der Raum wurde durch den Kristallleuchter an der Decke mit seinen matten Lichtkerzen in einen diffusen, leicht rötlichen Schein getaucht. Dominant hob er sich von der übrigen Einrichtung des Zimmers ab. In der Mitte der Decke, die in ihrer klaren Struktur aus Holzpaneelen nur durch Spiegel unterbrochen wurde, schob er sich majestätisch in den Mittelpunkt. Das Licht der Kerzen strahlte dumpf und doch leicht glitzernd wider in die Spiegel und den Raum, der nicht so immens viel an Mobiliar aufzuweisen hatte, als dass es dem Leuchter gerecht würde.

    Leicht konnte man durch seine totale Herrschaft gewisse Dinge übersehen. An acht massiven Gliederketten wurde er getragen und das feine Kabel, das oben ganz fein in die Decke verlief, wurde geflissentlich übersehen. Es ist sowieso nicht der Rede wert. Wen interessiert es? Hier überwiegen intensivere Dinge. Anderes kommt wesentlich mehr zum Tragen. Was guckt man da nach eventuellen Kabeln, die doch nicht so gut verlegt wurden?

    Die Tapeten der Wände waren in dunklem Rot bis Rostbraun gehalten. Mit großen Blumenmustern und schwarzem Hintergrund. Mystisch und geheimnisvoll muteten sie an und das rötliche Licht des Leuchters tat das Seinige dazu. Auf der Fensterseite, welches durch zwei schwere, dunkelrote Samtstores verdeckt wurde, stand etwas seitlich ein kleiner, runder und barocker Tisch mit einem feinen, weißen Spitzendeckchen. Zwei Sektgläser, beide halbvoll, warteten auf ihre Genießer. Zwei feingliedrige barocke Sessel mit einer zu den Samtstores passend überzogenen Sitzfläche standen achtlos in unmittelbarer Nähe des Tisches. Etwas dahinter eine große antike Kristallvase. Gegenüber des lieblichen Barockensembles, an die Wand angrenzend ein großes, französisches Bett. Mit glänzendem, dunkelrotem Samt überzogen, eine rostbraune Tagesdecke achtlos neben dem Bett auf den dunkelbraunen Parkettboden geworfen. Die Bettwäsche aus knallrotem Satin lag zerknüllt auf dem Bett und hing ebenfalls ein wenig über den Bettrand und bedeckte teilweise den Boden. Die Wand hinter dem Bett zierte ein Spiegel, klar in seiner Form und ohne Umrandung. Auch hier sah man bei genauestem Hinsehen ein feines Kabel zwischen Wand und Spiegel verlaufen. Kameras befanden sich in dem Raum. Kameras, die das Geschehen und die Aktivitäten der jeweiligen Bewohner auf Bild festhielten.

    Der Raum gab nichts preis. Nichts. Außer dass sich, bevor hier diese nunmehrige Ruhe einkehrte, jemand in diesem traumhaften Bett schöne Stunden beschert haben musste, so zerknüllt waren die Laken.

    Ruhe? Stille?

    Im angrenzenden Raum, der einen Lichtschimmer auf den kleinen Tisch warf, wurde ein Streitgespräch immer mehr hörbar. Das Bad war wesentlich heller als der Raum nebenan. Es erfüllte ja auch andere Zwecke, obgleich auch dieser Raum in leichtem Rotlicht leuchtete. Eine wunderschöne, hell orangerot marmorierte Badezimmereinrichtung nahm den Blick des Betrachters in Beschlag. Über der großen Waschmuschel hing wiederum ein großer Spiegel, dieses Mal mit einer feinen Holzeinrahmung in den Farben orange, rot und braun gestreift. Der einzige Spiegel übrigens in diesem Bad. Dahinter verlief ebenfalls ein feines Kabel. Auch dieser Raum wurde überwacht. Unbeteiligte konnten diese feinen Drähte nicht ausnehmen. Kenner wüssten das, doch manch anderer nahm keine Notiz davon, geschweige denn, er würde überhaupt die Idee in sich aufkeimen lassen, dass alle Schritte in diesen Räumen beobachtet werden könnten. Wenn nicht gleich, so doch nachträglich. Auch neben einem der Spots, die in der Decke eingelassen worden waren, war eine Überwachungskamera vorhanden. Eine freistehende, moderne Badewanne stand in einigen Schritten seitlich zum Waschbecken.

    Vor einer Viertelstunde noch räkelten sie sich wohlig entspannend zu zweit in dieser Badewanne. Er stieg, nachdem er bei ihr wieder auf taube Ohren stieß, teils entmutigt und teils zorngeladen aus der Wanne. Durch das dauernde Drängen des Mannes, seinen Willen durchsetzen zu können, war auch sie schon ziemlich sauer und entnervt. Ihre Stimme wurde während des Streits immer schriller und übertönte die kurzen Einwände und Forderungen des Mannes völlig. Das schrille Gezeter ging plötzlich über in ein Schreien. Die Kamera erfasste völlig das Bild der Badewanne. Woher plötzlich das Messer kam, das er in der Hand hatte und drohend über ihrem Brustkorb schwebte? Sie versuchte das Bild zu erfassen, aus der Situation herauskommen zu wollen, aber es gelang nur für Sekundenbruchteile. Nur kurz drangen diese Blitze in ihr Hirn. Der Wahnsinn, die Angst begannen alles, was sie vernünftig tun könnte, zu überrollen. Nur gestammelte, unzusammenhängende Wortfetzen und Erstaunen, dass das wirklich passiert? Er hatte andere Augen als zuvor. Schien durch sie hindurchzusehen. Sie nicht wahrzunehmen. Selbst als sie ihm entgegen schrie: „He ich bin es doch, komm zu dir", schien er es nicht mehr zu registrieren. Nach diesen Sekunden, die der Frau wie eine Ewigkeit vorkamen, spürte sie kurz und brennend den ersten Stoß der Klinge, die sich in ihren Brustkorb bohrte. Oben neben einem der Spots wurde das Bild der Szenerie in ruhiger Manier auf1genommen und festgehalten. So wie es die seelenlose Technik vollbringt, Fakten ohne Gefühl. Die Kamera erfasste die ganze Wanne, doch eben nur die Wanne mit der Frau, die um ihr Leben schrie. Die Hand, den Oberarm, Füße des Mannes, doch nicht das ganze Bild. Dem Unwissenden hilft das Glück? Unbarmherzig filmte die Kamera weiter. Die schrillen panischen Schreie der Frau ließen sich im Bild nur durch den weit aufgerissenen Mund, die entsetzt funkelnden Augen und den verzerrten Gesichtsausdruck erahnen. Die Hand des Täters fuhr zurück und wieder nach vorn. Ein entsetzlicher Blutrausch begann. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal fuhr das Messer mit voller Wucht in den Körper der Frau. Sechzehn Mal wurde es ihr in den Leib gestochen und jedes Mal schossen durch die Wucht, wie die Klinge bei dem Stoß in den Körper gerammt wurde, ihre Beine aus dem Wasser in die Luft und Wasser und Schaum platschten auf den Fliesenboden. Ihre langen, nassen, schwarzen Haare klatschten um ihr Gesicht und das Blut spritzte wie Fontänen an die Marmorfliesen an der Wand und den Boden, Spritzer der Lebenstropfen begannen die Decke zu zieren.

    Der Albtraum schien kein Ende nehmen zu wollen. Der Blutrausch und die Raserei nahmen kein Ende und noch immer erfasste die Kamera kein volles Bild des Mannes, der wie von Sinnen erst durch den Beginn seiner Tat so richtig in Fahrt zu kommen schien. Nach den tödlichen Stichen in Herz und Lunge der Frau packte er sie an den Haaren und den Oberarmen und tauchte sie noch ewig lange unter Wasser, schien sie für immer unten halten zu wollen, so lange dauerte das Schauspiel.

    Die Rückansicht des Täters kam so ins Bild der Kamera und doch nicht erkennbar. Schaum, Wasser und Blut bedeckten die kurzen Haare. Nackter Rücken wurde sichtbar und ein Kopf, dem anscheinend keine Haare, sondern nur blutiger Schaum angehörten.

    Endlich schien er genug zu haben und ließ ab von seinem Opfer. Er erhob sich, wandte sich aber nicht um. Ein gesichtsloser Täter. Er hatte noch nicht genug. Er trat auf sein Opfer ein. Mit voller Wucht hieben seine Füße auf den leblosen Körper der Frau ein und verpassten ihr einen Tritt nach dem anderen. Blutige Spritzer und Lachen zierten immer mehr die Fläche rund um die Badewanne. Irgendwann, irgendwann nach geraumer Zeit ließ er ab und entfernte sich. Der Leichnam der Frau lag in der Wanne, besudelt mit Blut bis zur Unkenntlichkeit. Wenige einzelne, verklebte Strähnen ihres langen Haares fielen über Gesicht und Oberkörper. Nur dieses Bild blieb über. Es schien beinahe, als ob die Zeit stehengeblieben wäre bei dem High-Speed-Videogerät neben dem Spot ober der Decke. Die Kamera, die penibel genau die gespenstische, grauenvolle Szene festhielt bis zum bitteren Ende. Ohne Täter. Zumindest ohne das Gesicht eines Täters.

    ERSTER TEIL

    1

    FRÜHJAHR 1986

    Um diese frühe Morgenstunde war es in der kleinen Wohnung im Erdgeschoss noch relativ ruhig. Erstes Morgenlicht begann in die Räume zu dringen und ließ ein wenig die Umrisse der schlafenden Gesichter in ihren Betten erkennen. Leises Schnarchen wurde untermalt vom leicht einsetzenden Morgengesang der Vögel. Langsam vom Tiefschlaf wieder in die Traumphase gleitend begannen die Schlafenden ihr Spiel abermals. Ein Drehen und Wenden in ihren Betten kündigte ein eventuelles Aufwachen an. Doch schienen sie gefangen in ihren jeweiligen Traumlandschaften. Leise tickte der Wecker, der wohlweislich am Vorabend gestellt wurde, damit der Tagesablauf pünktlich beginnen konnte.

    Ein immer stärker werdendes Klopfen drang in die Träume der jungen Frau, die zusammengerollt auf der rechten Bettseite schlief. Es vermischte sich wunderbar mit ihrer Traumlandschaft. Gekonnt wurde es integriert und fand seinen Platz in der Geschichte, die sie noch gefangen hielt. Dieses Klopfen wurde aber so permanent, dass es sich doch so weit nach vorne schob, um ihr Traumgebilde zu zerreißen und sie hochschrecken ließ.

    Immer noch ziemlich schlaftrunken, rappelte sie sich hoch, um zwei und zwei zusammenzählen zu können. Es dauerte noch eine kleine Weile, bis ihr klar wurde, dass es draußen klopfte. Sie schälte sich aus ihrer Bettseite. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte ihr, dass auch ihr Mann etwas schlaftrunken blinzelte und sie fragend ansah. „Was ist denn da los? Um diese Zeit keine Ruhe?"

    „Ich weiß es auch nicht. Ich schau mal nach ... Gleichzeitig sah sie sich suchend nach ihren Hausschuhen um. Ein Schuh lag neben dem Nachttischchen, der zweite unterhalb des Bettes. Sie langte nach beiden, schlüpfte hinein und ging zum Schrank. Ihm entnahm sie ein langes T-Shirt und zog es über. Danach schlurfte sie mehr als sie ging, immer noch schlaftrunken, zur Haustür. „Wer ist da?, fragte sie durch die noch verschlossene Tür. „Mina, wir sind es. Papa und Mama."

    Sie sah auf ihre Armbanduhr und wunderte sich. Knapp fünf Uhr vorbei. Was wollten die um diese Zeit? War jemand gestorben?

    In ihre Überlegungen hinein öffnete sie den beiden die Tür und ließ sie eintreten.  Beide trugen ernste Gesichter zur Schau, sagten aber nichts. Außer dem Räuspern ihres Vaters, was er ohnehin öfters tat, wurde nichts verlautbart. „Was macht ihr so zeitig hier, ist etwas passiert?, fragte Mina, während sie in Richtung Küche marschierte und nebenbei fragte: „Möchtet ihr einen Kaffee? „Ja, ein Kaffee wäre gut., meldete sich ihre Mutter als Erste. Der Vater trug zur Unterhaltung mit einem erneuten Räuspern bei. „Schlafen die Kinder noch?, tat die ihre Mutter sehr verschwörerisch im Tonfall. „Noch, Mama, noch! Sonst wären sie schon raus gestürmt, vermute ich. Aber lange wird es sicher nicht mehr dauern. Beide hatten es sich sofort nach ihrem Betreten der Küche auf der Eckbank gemütlich gemacht. Wenn man das so bezeichnen kann, angespannt und aufrecht wie sie da saßen. Vaters gelegentliches Räuspern und Mutters unruhige Hände, die Finger in dauernder Bewegung, als ob sie sich Krümel von den Innenflächen der Finger wischen müsste, zerstörten dieses Bild. „Wir müssen dir nämlich dringend etwas sagen, äußerte sich Minas Mutter und ein unruhiger Blick in ihre Richtung ließ nichts Gutes ahnen. Während sie mit den Vorbereitungen fürs Kaffeekochen beschäftigt war, fragte sie: „Was ist denn los?" Harry, ihr Mann, unterbrach den Beginn der Unterhaltung, die sie noch mehr durchrütteln sollte als alles bisher da gewesene. Kurz drangen Bilder in Minas Gedankenwelt. Sie verscheuchte sie wie immer.

    „Guten Morgen, Harry", begrüßte ihn seine Schwiegermutter freundlich wie immer. Von Vater folgte ein Nicken in seine Richtung. Beide - Minas Vater, wie auch ihre Mutter - waren keineswegs angetan von ihrem Schwiegersohn, was sie aber nicht daran hinderte, ihm gegenüber so liebevoll wie nur möglich zu sein.

    „Morgen", gab Harry zurück und setzte sich ihnen gegenüber auf einen Stuhl.

    Er sah auf die Uhr.

    Seine Schwiegermutter registrierte es und meinte: „Es tut uns leid, dass wir so früh bei euch vorbeikommen, aber wir wollten, dass ihr es sofort erfahrt, noch bevor ihr raus geht und vielleicht angesprochen werdet. Dann wäre es vielleicht umso schlimmer, weil ihr auf nichts vorbereitet seid. Mit ihrer geheimnisvollen Art, den beiden jungen Leuten offensichtlich Aufregendes mitteilen zu wollen, ohne die Katze aus dem Sack zu lassen, machte sie Mina jetzt schon etwas grantig. Der Kaffee war fertig, sie schenkte die Tassen voll und trug sie zum Tisch. Ein Blick hin zu Harry ließ sie erkennen, dass seine Neugierde schon stark geweckt war. „Jetzt sagt schon, was ist denn los?, versuchte sie nochmals ihr Glück. „Schlafen die Kinder sicher noch?", wich ihr die Mutter aus.

    Nachdem Mina kurz an ihrem Kaffee genippt hatte, stellte sie die Tasse beiseite und ging zum Kinderzimmer. Ein Blick hinein zeigte ihr, dass beide Kinder noch schliefen. Alana hatte sich die Decke bis über beide Ohren gezogen, anscheinend zum Schutz gegen den Lärm, der sie sicher auch in ihre Träume verfolgt hatte. Und Michael, der auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers schlief, schnarchte leise vor sich hin. Sie drehte sich um und schloss leise die Tür. „Ich glaube, sie werden noch ein wenig schlafen, beruhigte sie ihre Mutter, die ihr mit unruhigem und sorgenvollem Blick entgegensah. Mina nahm sich ihre Kaffeetasse, führte sie an die Lippen. Angespannt blieb sie neben der Küchenanrichte stehen und sah ihre Eltern erwartungsvoll an. „Schatz, willst du ...?. Ein Räuspern, ein Kopfschütteln. „Es ist so schlimm und wir wissen, dass du meist nicht fern siehst, begann Minas Mutter und sah sie dabei intensiv an, „sonst hättest du es schon in den Abendnachrichten gehört. Es wurde nämlich im ganzen Land ausgestrahlt. Auf allen Kanälen. Josh hat jemanden umgebracht.

    Beinahe hätte sich Mina an ihrem Kaffee verschluckt. „Was? Langsam schien eine Art Erstarrung an ihr hoch zu kriechen. „Josh? Harry hob es fast von seinem Stuhl. Interessiert rutschte er nach vor. „Jemanden umgebracht? Die junge Frau sah Vater an, Mutter an, hin und zurück. Tausende Gedanken, Eindrücke, Erlebnisse, Fremdmeinungen, eigene Meinungen durchrasten in Sekundenintervallen ihren Geist, während ihre Mutter den Faden wieder aufnahm: „Er hat eine Prostituierte umgebracht. Minas Mutter zog nun eine zusammengefaltete Zeitung aus der Handtasche und breitete sie auf dem Tisch auf. Sie musste das Blatt nicht aufschlagen. Demonstrativ deutete sie auf ein Bild der Titelseite und klopfte mit dem Zeigefinger darauf. Harry nahm die Zeitung an sich, um das Bild genauer betrachten zu können. Währenddessen fuhr seine Schwiegermutter fort: „Es ist in der Abendschau gebracht worden. Du weißt ja, Papa schaut sich alle Nachrichten an und plötzlich kam das. Wir waren auch ganz fertig. Und als wir uns halbwegs gefangen hatten, wussten wir, dass wir es euch so früh wie möglich sagen müssen, damit ihr Bescheid wisst, wenn ihr nach draußen geht und euch irgendjemand fertigmachen will."

    Fragen über Fragen stürmten auf Mina ein, nichts ließ sich einordnen, was hier passierte, und deshalb versuchte sie dort den Faden aufzunehmen, wo sie gerade standen.

    „Wer sollte uns denn fertigmachen, ich verstehe dich nicht, Mama", und doch ging gleichzeitig zu dieser Frage an ihre Mutter der Blick kurz aus dem Küchenfenster, wo der werte Herr Nachbar schon so zeitig in der Früh mit einer aufgeschlagenen Tageszeitung auf und ab ging.

    „Als die Nachrichten beendet waren, dauerte es nicht lange und das Telefon stand nicht mehr still, Mina. Dauernd rief jemand an und schimpfte uns Mörder. Oder du Mörderwerferin. Es war so furchtbar. Was kann ich denn dafür, dass er solche Sachen macht? Ihrer Mutter liefen nun die Tränen die Wangen runter. „Was der uns anschauen lässt. Endlich meldete sich nun auch der Vater zu Wort. Die junge Frau registrierte seinen Kommentar nur nebenbei, er war ihr mehr oder weniger egal, doch das unvollständige Mosaik machte ihr Sorgen. „Mama, was soll denn genau passiert sein? Und wieso ist sich die Polizei so sicher, dass er es war?"

    „Der, und ihr Vater dehnte das Wort mit strengem Blick, „war es hundertprozentig. Mit funkelndem Blick schaute die Tochter in Richtung ihres Vaters. Wut, die sich ihrer immer mehr bemächtigte, drängte sie, aufzustehen und drohend richtete sie sich vor ihm auf: „Für dich, und auch sie zog dieses Dich in die Länge, „war er es immer. Was hältst du schon auf uns, einen Scheiß. Und nach diesem Gefühlsausbruch sackte ihr aufgekommener Mut wieder in sich zusammen.

    Es war Mina jedes Mal sofort ein Bedürfnis, egal wie viel sie von den Fakten wusste, ihren Bruder zu verteidigen. Und alles, was der Vater sagte, nahm sie derart persönlich auch für sich. Sie lief ins Kinderzimmer zu ihren Kleinen und setzte sich mit wild klopfendem Herzen zu Alana aufs Bett. Sie weinte haltlos. Wie so oft registrierte sie nicht den gegenwärtigen Sachverhalt, dieser drängte weg, raus aus ihrem Gedankenschema, raus aus ihrem Leben. Es war zu unwirklich. Nur die Schuld und die Gefühle der Abneigung gegenüber ihren Eltern drangen zu ihr durch und je mehr sie davon an sich heran ließ, um so mehr heulte sie sich die Seele aus dem Leib. Schuld und Schuldzuweisungen. Sie konnte nicht Rücksicht auf das Schlafen ihrer Kinder nehmen oder wie viel sie jetzt wieder vom familiären Dilemma mitbekommen könnten, sondern sie suchte fast bewusst ihre wärmende Nähe. Sie waren alles, was Mina hatte. Ein Scheißleben und zwei kleine Sonnenscheine, die immer wieder wärmende Strahlen in dieses durch Unordnung und scheinbarer Ziellosigkeit gekennzeichnete Leben warfen. Trotz dieses Tohuwabohus, das sie durch ihr

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