Columbans Revolution: Wie irische Mönche Mitteleuropa mit dem Evangelium erreichten - und was wir von ihnen lernen können
Von Peter R. Müller und Peter Aschoff
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Buchvorschau
Columbans Revolution - Peter R. Müller
2008
1. Warum ist dieses Thema ein Thema?
An einem Freitagnachmittag, dem 2. Oktober 1992, ging ich auf dem Weg nachhause durch die Augsburger Annastraße, vorbei am ehemaligen Annakloster, wo schon Martin Luther zu den heißen Zeiten der Reformation logiert hatte. Auf diesem Weg hallten zwei Worte in meinem Kopf: kulturelle Relevanz. Laut wie ein Hammer, der gegen eine Glocke schlägt. Es war, als würde jemand neben mir herlaufen und mich die ganze Zeit anschreien: „Kulturelle Relevanz! Kulturelle Relevanz! Kulturelle Relevanz!" Ich erinnere mich, wie ich schließlich zuhause ankam und mich verstört und verwundert fragte, was diese Worte eigentlich bedeuten – kulturelle Relevanz.
Einige Jahre zuvor hatte ich mich für Jesus entschieden, leitete nun die Jugendarbeit einer charismatischen Freikirche in Augsburg. Aus diesem merkwürdigen Erlebnis heraus begann ich ein Unbehagen zu entwickeln über unsere Schwierigkeiten, mit der Gesellschaft um uns herum in einen wirklichen Austausch zu gelangen. Mir fiel auch auf, dass ich keine Idee hatte, wie wir aus unserem frommen Ghetto herauskommen könnten.
Die Frage hat mich nie mehr losgelassen. Einige Jahre später saß ich mit Bert Simon auf dem Sofa, als er durch Landsberg kam. Eine schillernde Gestalt, wollte er doch für karitative Zwecke die Distanz zwischen Erde und Mond laufen. Oft hatte er bei Kirchen Quartier gefunden. Wir unterhielten uns über – kulturelle Relevanz. Er meinte: „Bei vielen Freikirchen würde doch keiner in der Stadt bemerken, wenn es sie plötzlich nicht mehr gäbe. Sie sind völlig irrelevant für die Menschen in ihrer Umgebung. Die Kirchen, so seine Ansicht, füllten keine „Marktlücke
aus. Auch darüber habe ich immer wieder nachgedacht.
Während meines Studiums in den USA schrieb ich eine Arbeit über die irische Kirche mit ihren berühmten Missionaren – Columban dem Älteren, Brendan, und wie sie alle hießen. Ihr evangelistisches Feuer, ihre kompromisslose Hingabe und ihre missionarische Wirksamkeit hinterließen eine bleibende Faszination in mir. So entstand das Thema dieser Arbeit.¹ Die Frage, die ich mir stellte: Wie kann es sein, dass diese irischen Mönche im Frühmittelalter einen solch religions- und kulturhistorischen Einfluss hatten, während die Freikirchen, die ich kennen gelernt habe, heute praktisch oft bedeutungslos für die sie umgebende Gesellschaft sind? Was hatten diese Mönche, das wir heute nicht haben? Was war ihre „Marktlücke"?
Es begann für mich eine spannende Reise in die Zeit des Frühmittelalters. Hatte ich bisher damit eine dumpfe, irgendwie langweilige Epoche der Geschichte verbunden, so entdeckte ich nun eine faszinierende Zeit voller dramatischer Umbrüche. Ich staunte darüber, wie viele Parallelen zu unserer heutigen Welt sich mir aufdrängten. Sehr bald machte sich allerdings auch Ernüchterung über meine „Helden", die irischen Mönche, breit. Ich lernte von ihren Bündnissen mit Machthabern und begann mich erst einmal zu fragen, ob sie wirklich Helden oder nicht einfach nur korrupt gewesen waren. Doch je mehr ich mich in das Thema hineingrub und sie in ihrer eigenen Zeit zu verstehen versuchte, desto mehr wuchs der Respekt vor dem, was Columban & Co. bewirkt haben.
Zur Methodik
Technisch gesehen stellt dieses Buch eine missiologische Fallstudie dar. Es beschreibt, wie eine bestimmte Kultur mit dem Evangelium erreicht wurde – in diesem Fall die germanisch-keltische – im ehemals römischen Gallien und dem, was heute der deutschsprachige Raum ist. Eine Schwierigkeit dabei war die dünne Quellenlage. Es gibt aus dieser Zeit im Frankenreich kaum schriftliche Aufzeichnungen. Ich habe mich darum auf Fachliteratur gestützt, die zum Großteil aus der Kirchengeschichte und Geschichte stammt. Diese Arbeiten versuchen, aufgrund von Aufzeichnungen, archäologischen Daten, anthropologischen Einsichten und anderen Indizien ein Bild von den Vorgängen der damaligen Zeit zu zeichnen – also eine Art Puzzle, in dem man die Lücken so klein wie möglich halten möchte. Mein erstes Ziel war es, aus diesen verschiedenen Veröffentlichungen in den Kapiteln 2 bis 4 ein möglichst lebendiges, dreidimensionales Bild der damaligen Geschehnisse zusammenzufügen. Ich habe dabei bewusst versucht, viele Brücken in unsere heutige Zeit zu bauen, um die Übertragbarkeit zu erhöhen.
In Kapitel 5 untersuche ich, ob und wie es durch die irischen Mönche zu einer missionarischen Wirkung gekommen ist. Aus den Ergebnissen formuliere ich mit Vorsicht und großem Respekt abstrakte Prinzipien. Eine der wichtigen Einsichten, die ich gewonnen habe, ist die Unwiederholbarkeit dessen, was damals geschah. Wir können nicht einfach aus der Beobachtung der Geschehnisse der damaligen Zeit Methoden „herausholen" und sie dann als Wundermittel für den Gemeindebau heute einsetzen. Wie bei missiologischen Fallstudien üblich, können wir aber sensibilisiert werden für bestimmte Faktoren, die im richtigen Kontext die Evangelisation und den Gemeindebau kraftvoller und fruchtbarer machen. Mein Wunsch für diese Arbeit ist, dass genau das geschieht.
Ich überlasse es dem Leser, der um Perspektiven für das Wachstum des Reiches Gottes in unserer heutigen Zeit ringt, mit wachen Sinnen die Einsichten dieses Buchs auf seine aktuelle Fragestellung zu übertragen. Mein Anliegen war es, eine „offene Schnittstelle" zu schaffen, die dem heutigen Leser einen Zugang zu dieser für die europäische Entwicklung so entscheidenden Zeit ermöglicht.² Meine Hoffnung ist, dass dieses Wissen für Gemeindebau und die Remissionierung Europas frische, praktische und besonders auch europäische Hilfen gebären hilft.
Peter R. Müller
Anmerkungen
1 Den entscheidenden Anstoß gab übrigens Thomas Cahill mit seinem wunderbar spannenden und inspirierenden Beststeller Wie die Iren die Zivilisation retteten, den ich im Frühjahr 2006 zu lesen begonnen hatte.
2 Die gleiche Intention verfolgt George Hunter III. mit The Celtic Way of Evangelism. Hunter ist Professor für Gemeindewachstum und Evangelisation am amerikanischen Asbury Seminary. Das aufwändig recherchierte Buch verfügt über viele gute Einsichten, gerade auch zur Übertragbarkeit in die heutige Zeit. Sein Bild der Iren scheint mir stellenweise etwas zu idealistisch; dennoch eine empfehlenswerte Lektüre, die stark das irische Wirken in Schottland und England im Blick hat.
2. Die Welt, aus der die Iren kamen
2.1 Die Kelten
Die Geschichte Europas beginnt im diffusen Nebel einer schriftlosen Kultur. Etwa 4 500 v. Chr. entwickelten die Menschen den Ackerbau. Bereits Jahrhunderte vor den Pyramiden bauten sie gigantische Steinanlagen, wie etwa das berühmte Stonehenge, die ein sehr detailliertes astronomisches Wissen verraten. Etwa gegen 800 v. Chr. erwähnen erstmals griechische und römische Autoren diese Kultur und bezeichnen sie als Kelten (Oliphant 1992:80 ff.).
Die Kelten waren kein Volk im eigentlichen Sinne, sondern können besser als eine Gruppe von Völkern verstanden werden, die eine ähnliche Sprache und eine gemeinsame Kultur verband. Sie unterhielten lebhafte Handelsbeziehungen untereinander und auch in die antike Welt (Oliphant 1992:84). Von den Griechen und Römern erhielten sie den Namen Galatoi/Keltoi, Kelten, was möglicherweise vom Wort für „kämpfen" kommt (Dillon Chadwick 2004:11). Kämpfen konnten die Kelten jedenfalls. Nackt stürmten sie wie Berserker in die Schlacht (Cahill 1995:82 ff.). Die Römer fürchteten sie und konnten sie letztlich nur durch ihr geschlossenes, strategisches Vorgehen besiegen. Denn eine große Schwäche der Kelten war ihr leicht zu entflammendes Temperament und ihre innere Zersplitterung in sich streitende Stämme und Parteien, wie etwa Julius Caesar in seinem Werk über die Gallier – der Name Gallien leitet sich von den dort lebenden Kelten ab – feststellt. Er heuerte einfach einzelne Stämme an, die ihm dann beim Erobern der anderen Gallier halfen (Olsen 2003:22).
Abbildung 1: Keltische Ausbreitung, die mit der La-Tène-Kultur ihren Höhepunkt fand.
Keltische Christen gab es bereits im zweiten Jahrhundert. Der Kirchenvater Irenaeus (130–200)³ etwa arbeitete missionarisch unter den Kelten. Beim Konzil von Arles im Jahr 314 sind vier britische und 16 von 36 gallischen Bischöfen anwesend (Olsen 2003:44 f.). Wann das Christentum das keltische Irland erreichte, ist nicht ganz so