Gute Gründe für ein Leben in der Kirche
Von Bernhard Körner
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Über dieses E-Book
Der Grazer Dogmatiker beginnt mit einer gründlichen Analyse der Situation der Kirche, um dann, auch anhand von positiven Beispielen, das Wesen von Kirche-Sein und Kirche-Leben aufzuzeigen: Gemeinschaft und Sinnfindung, Spiritualität und Kontemplation auch mitten in den Städten, Solidarität und Dienst an den Armen, Engagement für Werte und die Möglichkeit, Wege aus Schuld und Sünde zu finden. Körner geht dabei auch auf die so genannten "heißen Eisen" ein: Er zeigt Hintergründe auf, erklärt Zusammenhänge und skizziert mögliche Lösungen.
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Buchvorschau
Gute Gründe für ein Leben in der Kirche - Bernhard Körner
bestärken.
I. SITUATION
Wer einen guten Weg gehen will, der muss sich zuerst orientieren. Orientierung aber heißt: die Wirklichkeit ernst nehmen, so, wie sie ist. Was den Glauben und die Kirche betrifft, sind wir über weite Strecken eigentlich im Bild. Viele Katholikinnen und Katholiken sind Tag für Tag damit konfrontiert, wie es in unserer Gesellschaft um Religion und Kirche steht. Die folgenden Seiten sollen das Wichtigste in Erinnerung rufen.
1. Wie viele Divisionen hat der Papst?
Oder: Das Ende der Volkskirche?
Wie viele Divisionen hat der Papst? Also: Welche militärische Macht hat er? So soll einmal ein kommunistischer Staatsmann gefragt haben. Er wollte wohl wissen, ob er mit der römisch-katholischen Kirche rechnen muss. Vielleicht war es aber nur eine rhetorische Frage, also ein Hinweis darauf, dass man den Papst und seine Gefolgsleute nicht fürchten muss. Auf jeden Fall werden einige bei dieser Frage geschmunzelt haben: Ob man mit der Kirche rechnen muss oder kann, hängt nicht von ihrer militärischen Stärke ab. Und was die Zahlen betrifft: Der Papst hat zwar keine Divisionen, aber die Statistik spricht für die römisch-katholische Kirche. Sie wächst und ist die größte Religionsgemeinschaft der Welt. Und das trifft weltweit immer noch zu. Leider nicht für Europa.
In den ehemals christlich geprägten Ländern unseres Kontinents sinken die Zahlen. Die Kirchenmitglieder, die Mitfeiernden beim sonntäglichen Gottesdienst, die Ordensleute und die Priester werden weniger. Die Vermutung, dass heute nur noch die wirklich Überzeugten in der Kirche sind, erweist sich aber als die halbe Wahrheit. An die Stelle der viel zitierten Volkskirche ist keineswegs eine profilierte Entscheidungskirche oder Gemeindekirche getreten. Jedenfalls nicht bis jetzt. Hier warten Aufgaben, denen die Kirche nicht ausweichen kann.
Es ist schwer geworden, den Glauben weiterzugeben
Die Religionssoziologen stellen fest, dass sich in Europa die sogenannten „konfessionellen Milieus" aufgelöst haben. Während es noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa katholisch, protestantisch oder orthodox geprägte Gebiete und gesellschaftliche Strukturen gegeben hat, sind heute fast alle Bereiche der Gesellschaft konfessionell, kulturell und weltanschaulich durchmischt. Die Gesellschaft mit dem Nebeneinander der verschiedensten Überzeugungen wirkt für den Einzelnen und seine Überzeugung nicht mehr bestärkend, sondern verunsichernd: Wer hat recht? Was ist die richtige Religion oder Weltanschauung?
Damit verbunden ist die Krise der Tradition. Sie betrifft nicht nur die Kirche, aber gewiss auch sie. Wenn jemand feststellt, dass etwas immer schon gegolten habe, dann ist das heute kein Argument, die Diskussion zu beenden, sondern ein Anlass, darüber nachzudenken, ob man es nicht ändern sollte. Das Althergebrachte hat nicht schon deshalb, weil es alt ist, Gewicht. Im Gegenteil: Das Moderne, das Neue, das Noch-nie-Dagewesene ist das Faszinierende. Und so führen die Verunsicherung im Glauben und die schwach gewordene Tradition dazu, dass das Althergebrachte nicht einfach übernommen, sondern in Frage gestellt wird.
Und das hat Rückwirkungen auch auf die, die am Glauben und am Leben in der Kirche festhalten. Auch sie werden unsicher. Schon vor etlichen Jahren hat deshalb Bischof Joachim Wanke aus Erfurt festgestellt, dass sich das größte Problem der Kirche dann zeige, wenn sich Katholikinnen und Katholiken nicht mehr zutrauen, andere für ihren Glauben zu gewinnen.
Persönliches Versagen und Missstände
Innerhalb dieser „Großwetterlage" gibt es auch ganz konkrete Probleme. Auch das persönliche Versagen von Mitgliedern der Kirche und Missstände können nicht übergangen werden. Schon gar nicht, nachdem so unerwartet viele Missbrauchsfälle in der Kirche aufgedeckt worden sind. Diese Probleme muss man zur Sprache bringen, auch wenn dabei das viele Gute, das durch die Kirche, Katholikinnen und Katholiken geschieht, wenigstens für einen Augenblick in den Hintergrund tritt.
Ja es gibt sie: Missstände in der Kirche. Gefragt ist ein genauer Blick, der sich an den Fakten orientiert und nicht am Wunsch, die Kirche entweder zu verteidigen oder zu attackieren. Ein solcher Blick macht deutlich, dass manches heute als Missstand wahrgenommen wird, was man früher achselzuckend zur Kenntnis genommen hat. Natürlich stimmt es, dass nicht weniges davon auch deshalb aufgegriffen und zur Sprache gebracht wird, weil man die Chance wahrnimmt, der Kirche „eines auszuwischen". Aber das ändert nichts daran, dass es Versagen und Missstände gibt. Und sie wiegen schwerer in einer Kirche, die dem Evangelium verpflichtet ist. In der Kirche gibt es Maßstäbe, an denen sie sich messen lassen muss.
Deshalb soll man auch einmal außer Acht lassen, dass sich ähnliche Missstände auch und vielleicht sogar in größerem Ausmaß in anderen Institutionen finden. Die Kirche kann sich nicht damit abfinden, wenn es in ihr sexuellen Missbrauch, „schwarze Pädagogik", Machtmissbrauch und unqualifiziertes Verhalten gibt, das unter dem Niveau bleibt, das heute in Sozialberufen und pädagogischen Berufen, im sensiblen Wahrnehmen von Leitungsaufgaben und in der Zusammenarbeit vorausgesetzt wird. Die Kirche darf nicht die Augen davor verschließen, wenn es in ihr zu Heuchelei oder Doppelmoral kommt. Sie kann es nicht dulden, wenn Menschen denunziert oder in den Medien öffentlich schlechtgemacht werden.
Selbstverständlich wird man dabei immer in Rechnung stellen müssen, dass es nicht selten mehrere Sichtweisen gibt und dass ein vorschnelles Urteil Menschen Unrecht tun kann. Aber es bleibt dabei: Es gibt in der Kirche persönliches Versagen und Missstände. Das muss ich wissen. Und ich kann mit meinem Leben in und mit der Kirche nicht so lange warten, bis das alles bereinigt ist. Ganz abgesehen von der Erfahrung, dass diejenigen, die in der Geschichte eine „reine Kirche" herbeiführen wollten, immer auch in Gefahr waren, unmenschlich zu werden.
Spannungen innerhalb der Kirche und nach außen
Einen weiteren Grund dafür, dass die Kirche in unserer Gesellschaft keinen leichten Stand hat, bilden die Spannungen zwischen den Grundüberzeugungen der Kirche und dem, was in unserer Gesellschaft wie selbstverständlich anders gesehen und gelebt wird. Ein besonderes Anschauungsbeispiel ist das Thema „Sexualität" – Sexualität und Ehe, Empfängnisverhütung, Homosexualität, Ehelosigkeit, Zölibat. Aber es gilt auch für andere Fragen wie Abtreibung, Sterbehilfe, künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik usw.
Diese Spannungen zwischen kirchlichem Glauben und Gesellschaft führen auch in der Kirche zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Überzeugungen, selbst dort, wo es Entscheidungen des Lehramtes gibt. Die einen betonen, dass Katholikinnen und Katholiken in etlichen Fragen keinen Spielraum haben und lernen müssen, gegen den Strom zu schwimmen. Sie müssen etwas vertreten, was andere nicht verstehen, was sie belächeln oder bekämpfen. Es brauche den Mut, in unserer Gesellschaft als Nonkonformisten zu leben. Andere meinen, dass die Kirche in etlichen Punkten durchaus Handlungsspielraum habe und manches ändern könne und müsse, ja dass sie manches mutig revidieren müsse.
Damit ist bereits ein weiterer Aspekt angesprochen, der die Situation der Kirche charakterisiert und sie schwächt: die innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Sie münden manchmal in erstaunliche Unduldsamkeit, bei einigen führen sie zu unverhohlener Abneigung und zur Bereitschaft, den anderen am liebsten aus der Kirche auszuschließen. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Panik im Spiel ist. Die einen suchen das Heil der Kirche in der Vergangenheit, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dort sehen sie ein Bild der Kirche, das vielleicht nicht viele anziehe, aber zu einer im Glauben gestärkten Kirche führe. Die anderen gehen davon aus, dass die Kirche deshalb nicht akzeptiert werde, weil sie sich nur halbherzig oder überhaupt nicht bewege. Sie könne und müsse viel beweglicher werden, den Menschen nahe, dann werde ihre Einladung zum christlichen Glauben wieder besser gehört werden.
Krise im Glauben und Mängel im Glaubenswissen
Andere vertreten mit guten Gründen die Meinung, dass die eigentliche Krise der Kirche eine Glaubenskrise sei. Der Blick auf Gott scheint getrübt, die Konturen Gottes sind für nicht wenige verschwommen. Vielen liegt es näher, eine unbestimmte göttliche Kraft anzunehmen, als an einen persönlichen Gott zu glauben, der etwas ganz Bestimmtes verlangt und anderes nicht gelten lässt. Das führe in weiterer Folge zur Unfähigkeit, sich verbindlich auf einen in konkreten Lehraussagen fassbaren Glauben einzulassen. Es gehe also nicht in erster Linie darum, dass Menschen einzelnen Lehraussagen oder Geboten nicht zustimmen, sondern darum, dass Gott und der Glaube an ihn gewissermaßen über so Konkretes erhaben erscheint. Deshalb wird auch das Glaubenswissen von nicht wenigen als eher unwichtig angesehen. Und oft weiß man deshalb kaum Bescheid darüber, was die Kirche tatsächlich vertritt bzw. welche Gründe sie dafür hat. Und was an Vorstellungen und „Informationen" in der Öffentlichkeit kursiert, muss, bei allem Respekt, nicht selten als Desinformation bezeichnet werden.
Dahinter steht eine durchaus nicht neue Vorstellung von Religion. Manchmal zeigt sie sich unter der Bezeichnung „Spiritualität". Dieser Begriff ist zwar christlichen Ursprungs und bedeutet dann eine bestimmte Ausprägung des gelebten christlichen Glaubens. So spricht man z. B. von einer benediktinischen oder einer ignatianischen Spiritualität. Heute verwenden manche den Begriff der Spiritualität aber im bewussten Gegensatz zum Glauben der Kirche. Es komme nicht auf Aussagen an, schon gar nicht auf eine Kirche, die sich mit ihren Dogmen in den persönlichen Glauben einmische, sondern auf ein Gespür für das Göttliche – jenseits aller Aussagen. Nicht Dogmen sind wichtig, sondern religiöse Erfahrung. Und deshalb tritt an die Stelle von Religion, die objektiv fassbar ist, die persönliche Religiosität bzw. Spiritualität. Schon aus diesen wenigen Andeutungen ergibt sich, dass in der Rede von Spiritualität zwar berechtigte Anliegen und wichtige Aspekte zur Sprache kommen, dass sich aber dieses Verständnis von Spiritualität aufs Ganze gesehen vom Glauben der Kirche wegbewegt.
Das zeigt sich auch im Blick auf die kirchlichen Gottesdienste, insbesondere bei der Feier der Eucharistie. Man will nicht an einem objektiven Ritus teilnehmen, sondern in der heiligen Messe eine spirituelle Erfahrung machen. Das führt bei nicht wenigen zu Enttäuschungen, und sie bleiben fern. Und es wirkt sich auch auf das Verständnis des Priesters aus. Wozu gibt es Priester? Das kirchliche Leben zeigt, dass die Frage unterschiedlich beantwortet wird. Die einen sehen im Priester einen religiösen Filialleiter, der dafür sorgen muss, dass das Angebot der Kirche immer zugänglich ist. Andere gehen in Richtung eines Therapeuten und Lebensberaters. Wieder andere wollen im Priester vor allem einen Spezialisten für religiöse Feiern sehen, und manche vor allem einen geistlichen Menschen. Die Vielzahl dieser Vorstellungen macht es nicht einfach zu entdecken, wofür der Priester und die Kirche eigentlich stehen.
Damit sind in diesem ersten Abschnitt wesentlich mehr Fragen aufgeworfen, als schnell beantwortet werden können. Aber es geht zuerst einmal um eine Diagnose. Sie umfasst auch andere Aspekte.
2. Die Herausforderung der Kirche
Oder: Wie neu ist die Situation?
Man kann mit einem gewissen Recht sagen, dass die Kirche immer vor der Aufgabe gestanden ist, sich zu erneuern und gegen Missstände vorzugehen. Aber es stellt sich doch auch eine andere Frage: Stehen wir gesellschaftlich nicht – wie manche meinen – an einer Zeitenwende? Müssen nicht auch der christliche Glaube und die Kirche diese Wende mitmachen?
Der Vorrang des Neuen
Wenn man die Entwicklung der Wissenschaft und der Technik beobachtet, dann steht zweifelsfrei fest: Es hat gewaltige Veränderungen und auch einen wirklichen Fortschritt gegeben. Vielleicht am greifbarsten ist das in der Entwicklung des Verkehrs (Auto, Bahn, Flugzeug) und der Informationstechnologie (Telefon, Fernsehen, Internet). Man mag einwenden, dass diese Entwicklungen nicht immer nur positive Seiten haben, aber das ändert nichts daran, dass sie stattgefunden haben – mitsamt ihren Problemen. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, darüber nachzudenken, in welchen Fällen Entwicklungen einen Fortschritt gebracht haben und in welchen nicht.
Dass die Gesellschaft in Bewegung ist, steht also außer Zweifel. Und in gewisser Weise führt das zu einem Zugzwang. Das heißt: Man kann sich bestimmten Entwicklungen kaum oder nur mit Mühe entziehen. Das so harmlos klingende Wort „in sein benennt diese Entwicklung. Jugendliche z. B. wissen, was es bedeutet, wenn man eine Mode nicht mitmacht, nicht „dabei
ist.
Aber dann gibt es noch eine andere Beschleunigung, die mit den Medien zusammenhängt. Sie rührt daher, dass man immer neue Nachrichten erwartet. Eine Nachricht, die ich bereits einmal gehört habe, ist für mich keine Nachricht mehr. Sie ist wertlos. Und so werden die Medien immer versuchen, Neues zu präsentieren. Das prägt unser Bewusstsein: Alles ist in Bewegung, ja es beschleunigt sich ständig.
Und die Kirche? Was soll sie in dieser Situation tun? Manche werfen ihr vor, dass sie sich nicht bewegt. Wenn die ganze Welt in Bewegung ist, müsse sich eben auch die Kirche bewegen und vieles, was überholt ist, ändern. Andere wenden ein: Wenn sich die ganze Welt ständig ändert, ja beschleunigt, dann brauchen wir ein Gegengewicht. Wir brauchen etwas, das bleibt und uns einen festen Anhaltspunkt gibt. Und wer wäre dazu besser geeignet als die Kirche mit ihren zeitlos gültigen Wahrheiten über Gott? – An dieser Stelle soll nicht entschieden werden, welche Seite recht hat. Das wäre wohl voreilig. Wichtig ist: Die Kirche steht vor einer wirklichen Frage, und sie wird sorgfältig prüfen müssen, was zu ändern ist und was bleiben soll.
Demokratisierung aller Lebensbereiche
Noch am Beginn des 20. Jahrhunderts war Österreich eine Monarchie. Ein oberster Landesherr bestimmte maßgeblich das Geschick des Landes. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Land nicht nur sehr klein, sondern auch