Und jetzt?: Ökumene nach dem Reformationsjubiläum
Von Verlag Herder
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Über dieses E-Book
Wer mit evangelischen und katholischen Bischöfinnen und Bischöfen 2016 durchs Heilige Land pilgerte und sah, wie schmerzlich ihnen dann bei den gemeinsamen Gottesdiensten die Trennung am "Tisch des Herrn" bewusst wurde, konnte vermuten, dass es bald so weit ist und weitere Schritte hin zur sichtbaren Einheit der Kirchen getan werden. Auch das Jubiläumsjahr der Reformation 2017 war reich an Zeichen und Symbolen der Verbundenheit. So viel wertgeschätzt wurde noch nie, auch noch nie so viel ehrliche Reue und Buße gezeigt angesichts der Gewalt und
der Verletzungen, die man einander in der Vergangenheit zugefügt hat. Wie muss, wie könnte es weitergehen mit
der Ökumene, nachdem die Festreden des Jahres 2017 gehalten sind? Das haben wir katholische und evangelische Theologen gefragt und Antworten bekommen, die Hoffnung machen, zum Weiterdenken anregen – und Fragezeichen setzen.
Mit Beiträgen von Wolfgang Huber, Martin Junge, Kardinal Walter Kasper, Peter Knauer SJ, Ulrich H. J. Körtner, Dorothea Sattler, Thomas Söding, Kardinal Rainer Maria Woelki
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Buchvorschau
Und jetzt? - Verlag Herder
Claudia Keller und Stefan Orth (Hg.)
Und jetzt?
Ökumene nach dem Reformationsjubiläum
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau
ISBN Print: 978-3-451-02735-2
ISBN E-Book: 978-3-451-81485-3
Inhalt
Vorwort
Kardinal Rainer Maria Woelki
Mehr Ehrlichkeit in der Ökumene
Das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im Reformationsjahr
Ulrich H. J. Körtner
Für Klarheit, Redlichkeit und Nüchternheit
Die reformatorische Theologie darf nicht weichgespült werden
Dorothea Sattler
Keine Ehrlichkeit in der Ökumene?
Replik auf Kardinal Rainer Maria Woelkis Kritik
Kardinal Walter Kasper
Ökumene ist ein Lernprozess
Das Erbe Martin Luthers neu entdecken
Martin Junge
Schritte vom Konflikt zur Gemeinschaft
Wie sich Freiräume in der internationalen lutherisch-katholischen Verständigung eröffnen
Wolfgang Huber
Reformation und Katholizität
In der Verschiedenheit zusammengehören
Peter Knauer SJ
Der Balken im katholischen Auge
Der christliche Glaube setzt sich nicht additiv zusammen
Thomas Söding
Mehr Ehrgeiz
Ist eine Einigung über die Ziele der Ökumene möglich?
Zu den Autoren und Herausgebern
Vorwort
Wie muss, wie könnte es weitergehen mit der Ökumene, nachdem die Festreden des Jahres 2017 gehalten sind? Das haben wir katholische und evangelische Theologen gefragt und Antworten bekommen, die Hoffnung machen, zum Weiterdenken anregen – und Fragezeichen setzen.
Im Jahr des Reformationsjubiläums gab es bemerkenswerte ökumenische Akzente und deutliche Anzeichen der Annäherung. Schon unsere Coverabbildung ist ein Zeugnis davon: Wer mit evangelischen und katholischen Bischöfinnen und Bischöfen 2016 durchs Heilige Land pilgerte und sah, wie schmerzlich ihnen dann bei den gemeinsamen Gottesdiensten die Trennung am »Tisch des Herrn« bewusst wurde, konnte vermuten, dass es bald so weit ist und weitere Schritte hin zur sichtbaren Einheit der Kirchen getan werden. Auch das Jubiläumsjahr der Reformation 2017 war reich an Zeichen und Symbolen der Verbundenheit. So viel wertgeschätzt wurde noch nie, auch noch nie so viel ehrliche Reue und Buße gezeigt angesichts der Gewalt und der Verletzungen, die man einander in der Vergangenheit zugefügt hat.
An Zuneigung fehlt es im ökumenischen Miteinander also nicht. Doch was ist mit der Wahrheit – wie inzwischen mit Blick auf die Handreichung der deutschen Bischöfe zum Kommunionempfang von evangelischen Ehepartnern diskutiert wird? Die komme deutlich zu kurz, kritisierte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im Oktober 2017 in der Herder Korrespondenz und mahnte in seinem Beitrag, den wir nachdrucken, mehr »Ehrlichkeit in der Ökumene« an. Zuerst müsse es ein gemeinsames Bekenntnis des Glaubens geben. Auch der evangelische Theologe Ulrich H. J. Körtner vermisste im Festrausch des Jahres 2017 die Suche nach der Wahrheit und ein klares Bekenntnis der Protestanten dazu, was sie unter Kirche verstehen. Die katholische Theologin Dorothea Sattler antwortet auf Kardinal Woelki. Kardinal Walter Kasper, der frühere Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, skizziert 500 Jahre nach Martin Luther die nächsten ökumenischen Schritte, und der katholische Theologe Peter Knauer beschreibt die unausgeschöpften Potenziale des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber macht sich für ein allumfassendes Verständnis von Katholizität stark, das weit genug ist, um Einheit und Pluralität zu ermöglichen. Doch letztlich trennt Katholiken und Protestanten nach wie vor ein sehr unterschiedliches Verständnis davon, was Kirche ist. Dazu sei theologisch bereits alles geschrieben und gesagt, so Martin Junge, der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes. Man müsse das Bekannte in einem »neuen Rahmen« aufziehen. Doch wie? Der katholische Theologe Thomas Söding wundert sich angesichts dieser Fragen, dass die katholische Kirche nirgendwo sonst so dogmatisch ist wie im Verhältnis zur evangelischen Kirche, und wünscht sich mehr »souveräne Gelassenheit«.
»Die Liebe freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit«, heißt es im Hohelied der Liebe. Zeichen und Symbole der Wertschätzung laufen ins Leere, wenn sie nicht mit theologischer Substanz einhergehen. Doch Forderungen nach Klartext und Ehrlichkeit bleiben ein »dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke«, wenn sie ohne Liebe gesprochen sind. Wie die nächsten Schritte auch sein werden: Es wird beides brauchen, Liebe und theologische Substanz, um zu einem tieferen Verständnis füreinander zu kommen.
Berlin und Freiburg, Mai 2018
Claudia Keller und Stefan Orth
Kardinal Rainer Maria Woelki
Mehr Ehrlichkeit in der Ökumene
Das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im Reformationsjahr
Obwohl mancher noch immer vom katholisch geprägten Süden und vom protestantisch geprägten Norden Deutschlands spricht, gibt es kaum noch konfessionelle Homogenität. In allen Lebensbereichen haben Protestanten und Katholiken täglich miteinander zu tun. In fast jeder Familie gibt es Angehörige beider Konfessionen. Und im öffentlichen Bereich wird auf strenge Parität geachtet: bei Staatsakten, Schulgottesdiensten, Einweihungen oder Medienauftritten.
Es gibt eine Plattform für die Begegnung aller Christen in diesem Lande, die sogenannte »Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen« (ACK); es gibt den Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), den Kontaktgesprächskreis zwischen EKD und DBK und die Bilaterale Arbeitsgruppe der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschland (VELKD) und der DBK. Die Studie »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?« ist Ausweis des beiderseitigen Bemühens, sich in die Perspektive des Gesprächspartners hineinzuversetzen und Missverständnisse und Einseitigkeiten auszuräumen. Und nicht zu vergessen: die von Kardinal Walter Kasper angeregte Bilanzierung ökumenischer Fortschritte weltweit – dokumentiert unter dem Titel »Harvesting the fruits«.
Am 31. Oktober 1999 wurde in Augsburg von beiden Seiten erklärt, die Rechtfertigungslehre sei kein Grund zur Trennung der Konfessionen. An diesen Höhepunkt der Konvergenzökumene sollte man am 31. Oktober des Lutherjahres 2017 erinnern. Auch daran, dass Martin Luther mit der Veröffentlichung seiner Ablassthesen am 31. Oktober 1517 keine neue Kirche gründen wollte. Seine Trennung von Rom erfolgte nicht 1517, sondern 1520. Das Bezugsdatum des Lutherjahres ist also kein Datum der Trennung, sondern ein Datum, das auch die Katholiken an die stete Reformbedürftigkeit der Kirche erinnert.
Doch bei aller Freude über gegenseitige Wertschätzung, über theologische Konvergenzen und gemeinsam getragene Projekte der Caritas, Diakonie und Bildungsarbeit gehört zu einer ehrlichen Bilanz auch das freimütige Benennen von Anfragen und Sorgen. Es gibt – so scheint mir – einen zunehmenden Dissens in moral- und sozialethischen Fragen. Ob es um die Stichtagsverschiebung für den Import getöteter Embryonen, um die Präimplantationsdiagnostik (PID), um die »Ehe für alle« oder um die Beurteilung von Abtreibung, Sterbehilfe oder Scheidung geht, immer wieder wird ein vormals bestehender Konsens brüchig. Wenn hinter diesem Befund die Überzeugung steht, dass sich aus dem Evangelium gar keine verbindliche Ethik ableiten lasse, dann muss man ehrlicherweise von einer ethischen Grunddifferenz zwischen beiden Konfessionen sprechen. Denn aus katholischer Sicht ist die Wahrheit in Christus offenbar geworden; sie wird nicht vom Menschen bestimmt. Das Wahre beziehungsweise Richtige muss immer wieder neu gesucht, erschlossen, frei erkannt und auch frei bejaht werden; aber deshalb ist die Wahrheit des Glaubens und die Wahrheit der richtigen Entscheidung noch lange kein Konstrukt des je einzelnen Subjekts.
Wer mit dem Göttinger Historiker Hartmut Lehmann das »Luthergedächtnis von 1817 bis 2017«¹ Revue passieren lässt, wird mit Anpassungen an den jeweiligen Zeitgeist konfrontiert. 1817 feierte das evangelische Christentum die Reformation als Durchbruch in die Moderne und als Hort der Aufklärung; 1917 als Garant der deutschen Kultur und Nation. Und im Vorfeld der Fünfhundertjahrfeier haben führende EKD-Mitglieder das eigene Bekenntnis als »Konfession der Freiheit« charakterisiert. Sie meinten die Freiheit der Autonomie und Emanzipation.
Doch dieses Selbstverständnis kann sich ebenso wenig wie die Jubiläen von 1817 oder 1917 auf Martin Luther berufen. Denn der Reformator stellt dem Gehorsam gegenüber Papst und Bischöfen den Gottesgehorsam, nicht aber die Freiheit autonomer Selbstbestimmung entgegen. Entweder – so betont er in Absetzung gegen das Freiheitsverständnis der Renaissance – wird der Mensch vom Teufel (von der Sünde) oder von Gott (von der Gnade) geritten; nur in der gläubigen Bindung an Gott – so erklärt er in seiner gegen Erasmus von Rotterdam gerichteten Schrift »Über den unfreien Willen« – ist der Mensch frei. Was Luther in seinen drei Kampfschriften von 1520 als Freiheit von der Bevormundung durch kirchliche Autoritäten oder als Befreiung von den Werken der Selbsterlösung erklärt, beruht auf der unmittelbaren Gebundenheit an den Willen Gottes, an sein Wort, an das Evangelium Christi. Wer die von Luther gepredigte Freiheit mit Autonomie verwechselt, hat ihn gründlich missverstanden. »Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort allein«, bekennt er 1521 vor dem Wormser Reichstag.
Nicht selten kann man lesen, der konfessionelle Gegensatz sei der zwischen einer demokratisch geordneten Kirche einerseits und einer hierarchisch verfassten Kirche andererseits – erstere in der Moderne angekommen, letztere noch befangen in einer mittelalterlich-patriarchalen Ständeordnung; erstere auf den Primat der Freiheit vor dem Gehorsam, letztere