So heiss war der kalte Krieg: Fallex 66
Von Wolfram Dorn
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Über dieses E-Book
Die Geheimdokumente zur NATO-Ubung Fallex 66 sind frei. Wolfram Dorn hat sie ausgewertet: Die damalige Bundesregierung hat die Parlamentarier belogen und so die Verabschiedung der Notstandsgesetze erreicht. Die Bundesrepublik Deutschland war nach ihrer Gründung viele Jahre Zuschauer der weltpolitischen Entwicklung. Aber sie wurde, durch ihre Bündnisbeteiligung in der NATO, auch Zielobjekt militärischer Gedankenspiele. Im Deutschen Bundestag standen die Abgeordneten 1966 vor der schwierigen Aufgabe, ein Notstandsrecht zu schaffen, das den Staat und seine Bürger wirksam gegen die Bedrohung von außen oder innen schützt; und das zugleich den Grundprinzipien des Grundgesetzes entspricht. Das Parlament beriet die erforderlichen gesetzlichen Regelungen in drei Legislaturperioden. Die Ausschussberatungen brachten eine Einigung darüber, dass ein "Notparlament" (Gemeinsamer Ausschuss) die letzte parlamentarische Instanz sein muss, wenn der Deutsche Bundestag nicht mehr funktionsfähig tagen kann. Weil Parlament und Regierung die Praktikabilität einer solchen Lösung ausprobieren wollten, nahmen die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses an der NATO-Stabsrahmenübung Fallex 66 im Regierungsbunker an der Ahr beratend und entscheidend teil. Während dieser Ubung stimmten nur zwei der Abgeordneten gegen einen Atomwaffeneinsatz gegen den Warschauer Pakt. Das Buch zeigt anhand der geheimen Dokumente der NATO und persönlicher Erinnerungen des Autors an diese Ubung, wie das Parlament irregeführt wurde. Assoziationen zum Golf-, Kosovo- und Afghanistankrieg drängen sich auf. "Ich habe die dramatischen Entwicklungen, die in der NATO-Planung für die Ubung Fallex 66 von Anfang an vorgesehen waren, in den Einzelheiten erst nach Kenntnisnahme des NATO Geheimmaterials erfahren. Es ist ein Tagebuch des Grauens, das Gott sei Dank nie Wirklichkeit wurde." Wolfram Dorn
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Buchvorschau
So heiss war der kalte Krieg - Wolfram Dorn
BILDNACHWEIS
VORWORT
Der »kalte« Krieg mündete in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in einigen Regionen unseres Erdballes in »heiße« militärische Aktionen, die ungezählte Menschenleben forderten.
Als die Russen ihre Atomraketen nach Kuba in Marsch setzten, wäre fast der dritte Weltkrieg ausgebrochen, wenn es nicht im letzten Augenblick eine Verständigung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gegeben hätte.
In der Politik der Mächte in West und Ost ging es um die Sicherung von Einfluss und Vorherrschaft durch strategische militärische Machtpositionen.
Die Bundesrepublik Deutschland war nach ihrer Gründung im Jahre 1949 viele Jahre Zuschauer der weltpolitischen Entwicklung gewesen, aber sie wurde, durch ihre Bündnisbeteiligung in der NATO, auch ein Zielobjekt militärischer Gedankenspiele.
Im Deutschen Bundestag standen die Abgeordneten vor der schwierigen Aufgabe, ein Notstandsrecht zu schaffen, das den Staat und seine Bürger wirksam gegen Bedrohungen von außen oder innen schützen und zugleich den Grundprinzipien des Grundgesetzes entsprechen sollte. Das Parlament beriet die erforderlichen gesetzlichen Regelungen in drei Legislaturperioden:
Der erste Regierungsentwurf von 1960 sah den Notstand als »die Stunde der Exekutive«. Diese Vorlage scheiterte ebenso wie die zweite Gesetzesvorlage der Regierung vom Jahre 1962. Bei den Beratungen im Parlament waren sich die drei Bundestagsfraktionen (CDU/CSU, SPD, FDP) darüber einig, dass das Parlament auch in Notzeiten nicht aus seiner politischen Verantwortung entlassen werden darf. Die Ausschussberatungen brachten eine Einigung darüber, dass ein »Notparlament« (Gemeinsamer Ausschuss) die letzte parlamentarische Instanz sein muss, wenn der Deutsche Bundestag nicht mehr funktionsfähig tagen kann.
Weil Parlament und Regierung die Praktikabilität einer solchen Lösung ausprobieren wollten, nahmen die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses an der NATO-Stabsrahmenübung FALLEX 66 (TOP GEAR) vom 17. bis 21. Oktober 1966 im Regierungsbunker im rheinland-pfälzischen Ahrweiler beratend und entscheidend teil.
Rechtliche Grundlage für die Arbeit des Gemeinsamen Ausschusses waren die Beschlüsse des Rechtsausschusses des Bundestages, die am 4. Juni 1965 als »Benda-Bericht« verabschiedet wurden.
Der Verlauf der Übung und die während der Übung getroffenen Entscheidungen des Gemeinsamen Ausschusses und der Regierung zeigten deutlich, dass die Vorlage des Rechtsausschusses zu einer Notstandsverfassung aus dem Jahre 1965 einer rigorosen Überarbeitung bedurfte.
Die Arbeitsbedingungen im Bunker während der Übung waren organisatorisch einigermaßen gut vorbereitet. Doch die »Bunkeratmosphäre«, von allen äußeren Einflüssen praktisch abgeschnitten, war bedrückend. Hinzu kam, dass die von der NATO vorgelegten Entscheidungskriterien zu den militärischen Entwicklungsstadien den Abgeordneten, im Gegensatz zur Regierung, vorher nicht bekannt waren.
Eine für mich besonders schwierige Situation trat ein, als die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen getroffen werden musste. Ich stimmte als einziger Bundestagsabgeordneter gegen den Einsatz dieser alles vernichtenden Waffen.
Aus dem Bunker hatte ich viele Unterlagen mitgenommen. Im April 1999 habe ich begonnen, die Ausschussprotokolle des Bundestages und seiner Ausschüsse auszuwerten.
Die wichtigsten Geheimunterlagen aber waren noch bis zum 31. Dezember 1999 im Bundesarchiv in Koblenz gesperrt. Im Januar 2000 habe ich dann die insgesamt 26 Ordner durchgearbeitet.
Die dramatischen Entwicklungen, die in der NATO-Planung für die Übung Fallex 66 von Anfang an vorgesehen waren, habe ich in den Einzelheiten erst nach Kenntnisnahme des NATO-Geheimmaterials erfahren.
So entstand ein umfassendes Manuskript über alles das, was sich während und nach der Übung ereignete. Es ist ein Tagebuch des Grauens, das Gott sei Dank nie Wirklichkeit wurde.
Viel problematischer jedoch als der verheerende Ablauf der NATO-Übung war, dass Vertreter der Bundesregierung die Parlamentarier wahrheitswidrig über den gesamten Verlauf der Übung und die möglichen Folgen für die Bundesrepublik informiert hatten. Doch auch Abgeordnete hatten während der Plenarberatungen das Parlament durch falsche Behauptungen irregeführt. Man muss davon ausgehen, dass sie auf alle Fälle die Notstandsgesetzgebung retten wollten, die gefährdet gewesen wären, wenn die ganze Wahrheit über den Übungsverlauf bekannt geworden wäre. Das letzte Kapitel meines Buches heißt daher:
DER WEITE WEG ZUR WAHRHEIT
oder WIE DER DEUTSCHE BUNDESTAG BELOGEN WURDE
Wolfram Dorn
UMSTRITTENE NATO-PLANUNGEN
DAS VORSPIEL
Vor dem Hintergrund der politischen und militärischen Entwicklungen in den Jahren 1964 und 1965 gibt es in und zwischen den Partnerstaaten der NATO erhebliche Auseinandersetzungen über die zukünftige militärische Strategie.
Im Juli 1964 entbrennt auch in der deutschen Außenpolitik ein heftiger Streit zwischen den »Atlantikern« und den »Gaullisten«. Der Bindung an die USA gilt der Vorrang der Regierung vor den Europavorstellungen des französischen Staatspräsidenten de Gaulle. Doch im Deutschen Bundestag machen sich viele Abgeordnete Sorgen über die begonnene Hochrüstung mit atomaren Raketen in den Bereichen der NATO und des Warschauer Paktes in Mitteleuropa.
Auch in der Bundeswehr herrscht Krisenstimmung. Die Bundesluftwaffe übernimmt von den USA auf deren Drängen das Kampfflugzeug »Starfighter«, das seinen Aufgaben jedoch nicht gewachsen ist. Allein im Jahr 1965 stürzen 26 dieser Maschinen ab, wobei 15 Piloten ums Leben kommen. Insgesamt gibt das Bundesministerium der Verteidigung den Absturz von 65 »Starfighter« bekannt, ehe es ein Startverbot für diese Maschinen erlässt.
In der Bundesrepublik herrschen viele kritische Meinungen über den »Lehr-Einsatz« von 16.000 Militärberatern der USA in Vietnam und den Kampfeinsatz von 50.000 Soldaten zur Unterstützung der südvietnamesischen Armee.
Im Dezember 1964 findet eine Ministerratssitzung der NATO in Paris statt. Die USA legen ihr Atomflottenprojekt vor, das nur von der USA und der Bundesrepublik unterstützt wird. Frankreich ist strikt dagegen. Am Ende der Tagung verschärfen sich die Spannungen unter den NATO-Mitgliedsländern.
Am 2. Januar 1965 eskaliert der Vietnamkrieg. Die südvietnamesischen Truppen erleiden eine empfindliche Niederlage, viele amerikanische Soldaten müssen ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen. Daraufhin verschärfen die USA im März 1965 ihren Luftkrieg gegen Nordvietnam mit dem Großeinsatz von Napalmbomben.
Die geheime »Pentagon-Studie« enthüllt bereits 1965 eine »kolossale Fehleinschätzung« der amerikanischen Regierung über die Militärstrategie in Vietnam. Wie Präsident Eisenhower ist auch sein Nachfolger Präsident Kennedy mit seinen militärischen Beratern davon überzeugt, einen schnellen Sieg zu erringen. In seiner Rede über die Lage der Nation erklärt Kennedy am 14. Januar 1963 im Kongress: »Die Speerspitze der vietnamesischen Agression ist stumpf geworden.« Und der Kommandeur der Pazifischen US-Streitkräfte, Admiral Felt, sagt einen Sieg innerhalb der nächsten drei Jahre voraus.
General Westmoreland stehen im Juni 1965 175.000 Soldaten zur Verfügung. Im Juli sind es bereits 275.000 und im Dezember kämpfen 443.000 Amerikaner in Vietnam. Im Juni des Jahres 1966 erhöht sich die Zahl auf 542.000 Mann.
In Europa wächst die Kritik an der amerikanischen Regierung, und der Vorsitzende des NATO-Rates will im Mai 1965 mit der Bekanntgabe der Planung für die Stabsrahmenübung FALLEX 66 durch frühzeitige Gespräche mit den NATO-Partnern versuchen, Handlungsübereinstimmungen für die Zukunft zu erreichen.
AM ANFANG WAR DIE NATO
Bereits am 20. Mai 1965, eineinhalb Jahre vor Beginn der Übung, informiert der Vorsitzende des Nordatlantikrates, Mario Brosio, die NATO-Mitgliedsstaaten ausführlich über die Planungen zu Fallex 66.
Das NATO-Geheimdokument C – M (65) 45 hat folgenden Wortlaut:
GEHEIM
Ausfertigung
Übersetzung zu VII B 5 - 726 112 - 66 - 261/65 geb. v.3.6.65
NORDATLANTIKRAT
BETEILIGUNG DES RATES AN FALLEX 66
Schreiben des Generalsekretärs, Vorsitzender des Rates
Der Rat wird sich erinnern, daß er bei der Beratung meines Berichtes über seine Beteiligung an der Übung FALLEX 66 unter anderem zugestimmt hat, sich an künftigen Übungen dieser Art zu beteiligen und die militärischen Stellen der NATO darauf hingewiesen hat, daß es wünschenswert ist, den Rat in einer frühen Planungsphase zu konsultieren, um vor allem festzustellen, ob eine vorgesehene Beteiligung des Rates zweckmäßig ist und welcher Art diese Beteiligung sein soll
.
2. SHAPE hat als Koordinator für die Übung FALLEX 66 in Zusammenarbeit mit SACLANT und CINCHAN jetzt einen ersten Entwurf der Übungsbestimmungen ausgearbeitet. Dieser Entwurf wird in einer Konferenz über NATO-Übungen besprochen werden, die im Juli dieses Jahres stattfinden soll. Bis zu diesem Zeitpunkt werden die ersten Stellungnahmen der Verteidigungsministerien vorliegen. Es ist beabsichtigt, die endgültigen Übungsbestimmungen für FALLEX 66 bis Oktober dieses Jahres herauszugeben.
3. FALLEX 66 soll in der Zeit vom 22. Oktober bis 5. November stattfinden. Eine Vorübung soll in der Zeit vom 12. bis 22. Oktober ablaufen. Die gesamte Übung wird in drei von einander getrennte und unabhängige Teile unterteilt werden, und zwar:
(a) Vor D-Tag - TOP GEAR
TOP GEAR schafft die Grundlage, nach der die Kriegspläne und besonderen Verfahren zu erproben sind. Ziele und Ausgangslage sind in Anlage A aufgeführt..
(b) D-Tag bis D+2 - JOLLY ROGER
Während JOLLY ROGER wird ein plötzlicher weltweiter nuklearer Feuerwechsel zwischen ORANGE und BLAU stattfinden. Die grundlegende Ziele für JOLLY ROGER bestehen darin, die Notstandspläne und Verfahren zu üben, die für einen Weltkrieg mit Kernwaffen vorgesehen sind. Zwischen TOP GEAR und JOLLY ROGER besteht kein Zusammenhang mit Ausnahme der Beibehaltung der Kräfteverteilung und den Tätigkeiten für den Bereich der Schiffahrt. Die Lage und die Ziele sind in Anlage B aufgeführt.
(d) D+29 bis D+3 - FULL MOON
Die Übung FULL MOON steht in keinem Zusammenhang mit der angenommenen Weltlage nach Abschluß von JOLLY ROGER. Sie beginnt mit einer neuen Lage an D+29.
Die wichtigsten Ziele sind die Erprobung der Pläne für eine Neuversorgung Europas einen Monat nach einem nuklearen Feuerwechsel, logistische Probleme und die Neuaufstellung der Streitkräfte.
FULL MOON wird keine Vorübung haben. Die Ziele der Übung FULL MOON sind in Anlage C enthalten.
Für die Zwecke der Übung FALLEX 66 ist der Tag D auf den Tag festgelegt worden, an dem der nukleare Feuerwechsel beginnt.
4. Soweit es die Beteiligung des NATO-Rates und der Ständigen Gruppe betrifft, sieht der Entwurf der Übungsanordnungen folgende Übungs-Konzeption und Beteiligungsart vor:
Übungskonzeption
(1) Die Ziele, die mit der Beteiligung des Nordatlantikrates (NAC), der nationalen Behörden der Ständigen Gruppe (die als ausführende Behörde für den in ständiger Sitzung tagenden Militärausschuß tätig wird) und der drei hohen NATO-Befehlshaber an der Übung TOP GEAR in Zusammenhang stehen, sind die Erprobung einiger Verfahren für die Konsultation, die Verbreitung von militärischen und politischen Nachrichten und die Beschlußfassung in einer Spannungszeit sowie die Tätigkeit in einer Zeit, in der es noch nicht zu einem allgemeinen Krieg gekommen ist.
(2) Die wichtigsten Gesichtspunkte in dieser Phase der Übung, in der eine Beteiligung des NAC, der nationalen Behörden und der SGN vorgesehen ist, sind:
(a) Das NATO-Alarmsystem
(b) Die Sammlung und Verbreitung von politischen und militärischen Nachrichten in der ganzen Welt
(c) Der selektive Einsatz von Kernwaffen
(d) Warnmeldungen über Angriffsverfahren
(e) Militärische Beurteiligung der sich entwickelnden Lagen
(f) Sonstige mögliche politisch/militärische Probleme.
Umfang und Bereich der Beteiligung
(3) Umfang und Bereich der Beteiligung des NAC, der angeschlossenen Ministerien und der SGN wird von diesen Stellen nach Prüfung der Gesamtkonzeption für die Übung festgelegt werden.
5. Es scheint, daß sich der rat am nützlichsten in gewissem Umfang während der Vorübung und während der Übung TOP GEAR beteiligt, die ja bis zu einem Punkt führen wird, der kurz vor einem allgemeinen nuklearen Schlagabtausch liegt. Es wäre also dieser Zeitraum, in dem der Nordatlantikrat in der in Absatz 4 oben angeregten Weise beteiligt ist.
6. Während der Durchführung der Übung TOP GEAR wird in aller Wahrscheinlichkeit nach die Beteiligung der zivilen NATO-Kriegsbehörden auf eine simulierte Erprobung der Verfahren für ihre Alarmierung und Aufstellung beschränkt sein. Offenbar gibt es in JOLLY ROGER keine Aufgabe für die zivilen Kriegsbehörden, wohingegen FULL MOON eine nützliche Erprobung für diejenigen Behörden sein wird, deren Funktionen direkt mit dem Überleben der Völker und der Unterstützung der militärischen Aktionen zu tun haben. Jedoch läßt sich erst nach der Übung CIVLOG 65 entscheiden, inwieweit die zivilen Behörden beteiligt werden sollen.Natürlich hängt diese Beteiligung auch davon ab, in welchem Maße die Staaten bereit sind, an der Übung mitzuwirken.
7. In Anlage D ist eine allgemeine Darstellung des Drehbuchs beigefügt, nach dem FALLEX 66 gespielt werden wird (welches natürlich nur dem Leitungsstab und nicht den Übenden zur