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Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein - Eine biographische Erkundung
Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein - Eine biographische Erkundung
Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein - Eine biographische Erkundung
eBook203 Seiten3 Stunden

Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein - Eine biographische Erkundung

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Über dieses E-Book

Das Umfeld der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl.

Otmar Hammerstein (1917-2003), der ältere Bruder des Autors, gehörte zum Freundeskreis um die »Weiße Rose" und nahm intensiv an den Aktivitäten und Diskussionen dieses Kreises teil. Anhand seines Nachlasses gewährt der Historiker Notker Hammerstein einen genauen Einblick in den Wirkungskreis der Gruppe. Er zeichnet nach, wie die kulturellen Prägungen und der Austausch mit Gelehrten und Künstlern bei allen Beteiligten die Gegnerschaft gegenüber der NS-Herrschaft festigten und bei einigen die Entscheidung zum aktiven Handeln beeinflussten. Nach der Verhaftung der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl im Februar 1943 geriet Otmar Hammerstein ins Visier der Gestapo. Seine Versetzung in die Niederlande entzog ihn der unmittelbaren Gefahr. Dort schloss er sich dem aktiven Widerstand gegen die deutschen Besatzer an. Notker Hammerstein berichtet hierüber ebenso wie über die Sicht seines Bruders nach Kriegsende auf das eigene Handeln und auf den öffentlichen Umgang mit dem Widerstand.
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum3. Feb. 2014
ISBN9783835325586
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    Buchvorschau

    Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose" - Notker Hammerstein

    Notker Hammerstein

    Aus dem Freundeskreis

    der »Weißen Rose«

    Otmar Hammerstein –

    Eine biographische Erkundung

    Inhalt

    Inhalt

    Literatur

    Über kaum eine Epoche der deutschen Geschichte ist, wie bereits öfters festgestellt wurde, so viel geschrieben worden wie über die des Nationalsozialismus. Bestürzung, Scham, persönliche Rechtfertigung, aber auch Wichtigtuerei, politisches, wissenschaftliches, menschliches Interesse, Karriereüberlegungen, Abscheu, Gegnerschaft führten und führen immer wieder dazu, sich mit dieser Zeit zu befassen. Schließlich prägt sie noch vielfach Politik und Selbstverständnis der Deutschen, zum mindesten in ihrer Mehrheit, und sie erscheint in vielem fast wie gegenwärtig. Ungeachtet des allgemeinen Urteils darüber als einer schlimmen, in vielem negativen und unmenschlichen Zeit herrschen in bezeichnenden Nuancen gleichwohl unterschiedliche Einschätzungen und Erklärungen der damaligen Verhältnisse, Möglichkeiten, Ereignisse und Bedingungen. Das ist normal und nichts Überraschendes.

    In jüngerer Zeit wird im Blick auf öffentliche Institutionen während der Zeit des Nationalsozialismus – Ministerien, Ämter jeder Art, Universitäten, Industrie und Handel – gern festgestellt, sie hätten eine allgemeine, zumeist heruntergespielte Mitverantwortung und Mitschuld am Dritten Reich. Das trifft auf einzelne Personen, auch auf private Lebensbezirke und nichtöffentliche Bereiche zu. Wer nicht unmittelbar Widerstand leistete, sich nicht direkt gegen die neuen Machthaber stellte und statt dessen bei seiner Tätigkeit blieb, dem wird eine Art »Selbstgleichschaltung«, eine »Selbstindienstnahme für das Regime«, eine Verantwortung und damit Unterstützung des NS-Staats unterstellt.¹ Das kann in einer ganzen Reihe von Fällen zutreffen. Ja, selbst bei manchen Angehörigen des aktiven Widerstands werden – wie Kritiker überaus scharfsinnig analysieren – letztlich heute nicht akzeptable, da autoritäre und undemokratische Motive aufgedeckt, was insgesamt diesen Widerstand in Frage stellen könne. So anerkennenswert dieser Widerstand im einzelnen auch zu beurteilen sein mag: er gilt nicht allenthalben als ethisch zweifelsfrei und politisch korrekt.²

    Es läßt sich im Blick auf die vielfältige Indienstnahme von Personen und Institutionen durch die Nationalsozialisten insoweit fast von einer neuerlichen Annahme einer recht breiten Kollektivschuld sprechen. Diese Feststellungen und Vorwürfe sind oft so allgemein und undifferenziert, daß sie den Anschein eines Mitmachens nahezu aller Nichtverfolgten oder -umgebrachten im und für das NS-System erwecken. Innere Emigration, von der früher gerne gesprochen wurde, kann es danach eigentlich nicht geben. Das sei nur eine Beschönigung einer letztlich systemkonformen, affirmativen Haltung. Übersehen bzw. ausgeblendet wird, daß sich neben dem aktiven Widerstand ein gar nicht so kleiner Teil der Bevölkerung durchaus in Geiselhaft dieser Diktatur genommen fühlte und auf eine möglichst unbemerkte Art in nichtöffentlicher Opposition, verdeckter Ablehnung und machtlosen Haßgefühlen in innerer, entschiedener Distanz zu diesem Regime lebte.³ Diese Ablehnung deutlich zu zeigen, gar öffentlich zu widersprechen, auf Einhaltung menschlicher, zivilisierter Werte zu pochen verbot sich angesichts der brutalen und vielfach zu erfahrenden und exekutierten Macht dieses skrupellosen Staates. Politische Alternativen wie Opposition, offene Kritik, Widerspruch wurden von ihm nicht geduldet. Die »Machtergreifung«, die eine in striktem Sinn dieses Begriffs war, hatte alle früheren und uns heute selbstverständlichen politischen Institutionen praktisch abgeschafft. An Stelle von Recht, Politik, Menschenwürde waren politischer Terror, hinterhältige Überwachung, verbreitete Bespitzelung, einseitiger und radikaler weltanschaulicher Fanatismus getreten. Diese NS-Herrschaft muß als eine militante Anarchie verstanden werden, die diktatorisch von oben alles in ihrem Sinne zu regeln suchte, unbeschadet ihrer polykratischen Struktur.⁴ Nachgeborenen ist dies oft schwer verständlich. Den Zeitgenossen hingegen war das eine erfahrene, bedrohliche Gegenwart. Lügen, sich verstellen und verstecken – innere Emigration eben – bestimmten weitgehend das Verhalten der meisten Nicht- oder Anti-Nationalsozialisten. Politisch wache Beobachter begriffen das von Anfang an. Ernst Robert Curtius erwiderte einem seiner Studenten, der ihm nach 1933 empört sagte: »Ich kann dieses Regime nicht anerkennen.« »Ein Regime, das Konzentrationslager unterhält, müssen Sie anerkennen.«⁵ Und das waren noch nicht einmal die späteren Todeslager, von denen hier die Rede war. Es handelte sich um die frühen Lager, die man häufig als eher vorübergehende, wenn auch beängstigende und schreckliche NS-Einrichtungen ansah. Sie mußten durchaus als Ausweis einer von keinen Skrupeln und Rechtsvorstellungen geleiteten Machtpolitik verstanden und gefürchtet werden, ebenso wie die frühen brutalen Übergriffe auf jüdische Mitbürger. Das erklärt den geringen direkten Widerstand von Menschen, die mit dieser Politik, der Entlassung, Erniedrigung und Verfolgung von vielen den Nazis nicht Genehmen alles andere als einverstanden waren. Das Risiko, sich selbst, der eigenen Familie und dem Freundeskreis zu schaden, erschien viel zu hoch.⁶

    Das Leben in einer Diktatur räumt im Öffentlichen keine Wahlmöglichkeiten ein, keine Freiräume, keine nichtkonformen Verhaltensweisen. Selbst im Privaten, in dem noch am ehesten die Distanz zum Regime geäußert werden konnte, blieben Vorsicht, Stillschweigen, Tarnung und Täuschung probate Wege des Alltags. Selbst hier war darauf zu achten, nichts zu sagen, was den Mitwisser in den Augen der Machthaber zum Mittäter machen konnte. Natürlich gab es gelegentlich sogar Nischen, in denen einzelne recht normal und NS-fern leben konnten. Aber das waren eher Ausnahmen, insgesamt zu vernachlässigende Glücksfälle. Nicht aufzufallen, bei Bemerktwerden immer Ausreden oder vorgeschobene Argumente bereitzuhalten war nicht nur in solchem Umfeld die Handlungsmaxime. Es war ebenso gefährlich, in Distanz zum Regime zu leben, wie gedankenloses Mitmachen leicht war.

    Im Folgenden soll an einem Beispiel gezeigt werden, wie schwierig es unter diesen Bedingungen war, sich für eine humanere Welt, ein freies, nicht gegängeltes Leben einzusetzen. Das kam einer Gratwanderung gleich, wobei das sich nicht anpassende Verhalten hohe Risiken enthielt. Das zwang die Beteiligten zu dem eigentlich von ihnen nicht geschätzten »Sich verstellen«, zu scheinbarer Unaufrichtigkeit. Die Geschichte selbst gehört in den engeren Umkreis der »Weißen Rose«.

    Über die »Weiße Rose« ist inzwischen viel, aber auch widersprüchlich geschrieben worden.⁷ Dies Kapitel der NS-Vergangenheit der Deutschen gehört zu den ganz wenigen nicht belasteten dieser Jahre.⁸ Daß die Behandlung dieses Themas in unmittelbarer Nachkriegszeit und noch lange darüber hinaus ein Politikum von herausragender Bedeutung war – es sollte einer Verfestigung demokratischer, freiheitlicher Normen dienen –, erklärt die Vielzahl der Veröffentlichungen wie auch den breiten Bekanntheitsgrad insbesondere der Geschwister Scholl.⁹ Nicht immer waren die älteren Darstellungen frei von hagiographischer Überhöhung und politischer Instrumentalisierung. Der größere zeitliche Abstand und die bessere Kenntnis der nationalsozialistischen Herrschaft im Dritten Reich erlauben inzwischen jedoch eine politisch und moralisch weniger aufgeregte Betrachtung dieser Ereignisse. Politisch sind sie gleichwohl immer noch, wie an vielen Reaktionen und Äußerungen abzulesen ist.

    Über die Motive, die Vorstellungen und die Vorgehensweise der Beteiligten und ihrer Freunde gibt die – eine kleine Bibliothek füllende – Literatur nach wie vor unterschiedliche Antworten. Oft werden sie von vermuteten bzw. aus Einzelaussagen abgeleiteten Schlußfolgerungen mitbestimmt. Das beginnt mit dem Namen »Weiße Rose« und reicht bis zu den bündischen Wurzeln der Opfer, ihrer Lektüre und ihren Vorlieben. Daß ihre Erfahrungen als Soldaten in Frankreich, in Polen und in der Sowjetunion eine große Rolle spielten – und nicht nur für die, die dort eingesetzt waren –, daß ihre christliche Überzeugung, die Bewunderung katholischer Traditionen und damaliger katholischer Intellektueller ihr Denken stark beeinflußte, ist unbestritten. Ebenso auch, daß die naturwissenschaftlich-medizinisch ausgebildeten bzw. in der Ausbildung Stehenden eine große Affinität zu Kunst, Literatur und Musik besaßen. Jüngeren Datums sind Versuche, eine Art Titanen- oder Heldensturz der vier »bestimmenden« Köpfe – Hans und Sophie Scholl, Prof. Kurt Huber und Alexander Schmorell – vorzunehmen. Diese heroisch überhöhten Personen gehörten vermenschlicht, ihre Schwächen dürften im Sinne eines modernen Dekonstruktivismus nicht tabuisiert bleiben, was ja an ihren Taten nichts ändere.¹⁰ Daher werden – auf der Basis problematischer Quelleninterpretationen und nicht hinreichend reflektierter historischer Argumentation – Schwächen aufzuzeigen gesucht und, so könnte man sagen, Minuspunkte gesammelt. Sie sollen belegen, daß bei aller Hochachtung vor diesem Widerstand auch unübersehbare negative persönliche wie politische Verhaltensmuster und Charaktereigenschaften mit bestimmend gewesen waren. Eine homosexuelle Neigung und Verfehlung Hans Scholls und eine Abhängigkeit der Geschwister von Opiaten, die die letzte Aktion in der Uni München scheitern ließen, neben einer ursprünglich NS-nahen und allemal undemokratischen und elitären Einstellung werden als ernst zu nehmende Einwände erhoben und als charakterliche Mängel diagnostiziert. Zudem könne – wie schon andere Autoren zuvor festgestellt hätten – an den Gesellschafts- und Staatsauffassungen der Weißen Rose, ihren Zukunftsvorstellungen, den politisch elitären Grundüberzeugungen durchaus Kritik geübt werden. Ähnlich wie bei den Männern des 20. Juli, denen des Kreisauer Kreises und anderen seien schließlich keineswegs demokratische Motive und Ziele bestimmend gewesen.¹¹

    Nun soll hier nicht der Versuch unternommen werden, eine weitere Analyse und Beurteilung der Weißen Rose, eine neue Darstellung dieser Ereignisse vorzulegen. Es geht allenfalls um teilweise Ergänzungen, eine marginale Erweiterung der bisherigen Untersuchungen, der behandelten und erforschten Phänomene. Um die Hingerichteten herum gab es eine ganze Reihe von Sympathisanten, Freunden und Helfern, die in unterschiedlicher Weise dem Kreis zugerechnet werden können. Das wird – bei aller Konzentration der Literatur auf die Hauptpersonen – durchaus gesehen und genannt. Über diese Unterstützer, Freunde und Mitwisser ist naturgemäß nicht gleich viel bekannt und an Unterlagen überliefert wie über die ins Verhör und in sog. Gerichtsverfahren in die Öffentlichkeit gezogenen Opfer. Eine dieser öfters auch genannten Personen war Otmar Hammerstein.¹² Dank seines – keineswegs üppigen – Nachlasses und auf Grund von Kenntnissen aus der eigenen Familie versuche ich im Folgenden, einiges Erhellende und allenfalls Ergänzende zu dem Komplex Weiße Rose beizutragen.¹³ Otmar Hammerstein hat, im Unterschied zu seinen Freunden, überlebt. Aber diese Ereignisse haben sein Leben nachhaltig mit bestimmt. Er steht für eine Möglichkeit des Aufbegehrens gegen den Nationalsozialismus, die auch andere der Weiterlebenden aus dem Freundeskreis auf je eigene Weise erfahren, die sie zeitlebens geprägt und umgetrieben haben. Otmar Hammerstein steht also im Zentrum dieser Untersuchung. Es gilt zu zeigen, wie und auf welche Weise er »Drittes Reich«, Weiße Rose, das Leben im damaligen München erlebt hat und welche Folgen das für sein weiteres Leben hatte. Es handelt sich um biographische Notizen, die Möglichkeiten, Bedingungen und zufällige Ereignisse eines Lebens vor, während und nach dem Dritten Reich beschreiben.

    Begreiflicherweise ist dieser Versuch ein Wagnis. Eine Geschichte aus der eigenen Familie, die eines Bruders zu schildern, die zudem nur lückenhaft dokumentiert ist, läuft immer Gefahr, subjektiver Befangenheit und allzu persönlichem Urteil zu unterliegen. Andererseits erscheint es allein mir möglich, als dem letzten der überlebenden Mitglieder der Familie, einen solchen Versuch zu wagen. Da mein Bruder fast nie und dann nur widerwillig und ausweichend von den Münchener Ereignisse berichtete, darüber also auch in der Familie wenig gewußt wurde und wird, erschien es mir sinnvoll, das, was ich weiß und was die Geschichte der Weißen Rose von ihrem Umfeld her partiell erweitern kann, festzuhalten. Sorgfältig von Otmar Hammerstein aufbewahrte Briefe, Korrespondenzen mit Anneliese Knoop-Graf, Hubert Furtwängler, Erich Schmorell u. a., die ebenfalls in das Umfeld der Weißen Rose gehörten, haben mir nach Otmar Hammersteins Tod im März 2003 neue Einsichten ermöglicht. Sie lassen mich Denken und Handeln meines Bruders in schwieriger Zeit besser als zuvor erkennen. Ich selbst konnte dann noch mit Anneliese Knoop-Graf, Hubert Furtwängler und Erich Schmorell Briefe wechseln. Ich glaube, daß es diese biographischen Mitteilungen und Ergänzungen zu den Vorgängen und möglichen Folgen der Teilhabe an der Weißen Rose verdienen, bekanntgemacht zu werden. Auch das war ein Leben zwischen Weimar und Bundesrepublik.

    Gerade im Blick auf manche der Abhandlungen zu diesem Thema scheint es mir sinnvoll, nochmals auf einige Bedingungen, Vorgaben und Verhaltensweisen der Beteiligten zu verweisen, die für sie charakteristisch und prägend waren. Manche Darstellungen zu diesem Themenkomplex haben das bereits ähnlich dargestellt.¹⁴ Mit wenigen Ausnahmen – wie etwa Kurt Huber – waren alle in dem weiteren aktiven Freundeskreis recht junge Menschen. Als Studenten waren sie zwar gebildet bzw. ausgebildet und wohl auch selbstbewußt, aber letztlich waren sie doch eher Heranwachsende, die nach Vorbildern, Leitideen und weiterem Wissen strebten. Sie hatten noch nicht ein gereiftes, klares und festes Weltbild. Anders als die durch höheres Alter und Beruf – meist als Staatsdiener in hoher Stellung – in Politik und öffentlichem Leben erfahrenen und gestandenen Personen, wie etwa die Männer des 20. Juli, waren diese Medizinstudenten und ihre Freundinnen noch Suchende, Idealisten und in vieler Hinsicht jugendliche Schwärmer.¹⁵ Dank ihrer Herkunft, ihrer Elternhäuser, der gymnasialen Ausbildung, häufig auch der Mitgliedschaft in zeitverwurzelten Jugendbünden, dank ihrer kirchlichen Erziehung verfügten sie allerdings über sichere Wertvorstellungen und recht breite Kenntnisse der – damals so genannten – abendländischen Kultur. Literatur, Musik, auch Malerei und Theater, Konzerte und Opernaufführungen faszinierten und beschäftigten sie neben ihrem Fachstudium nachhaltig. München bot dafür die vielfältigsten Möglichkeiten, die sie auch gerne nutzten, um darüber im Freundeskreis und in wechselnden geselligen Runden zu diskutieren. Da diese Kultur ihnen vor ihrem Brotberuf Verpflichtung und Leitbild war, kamen sie zwangsläufig mit der brutalen Wirklichkeit des NS-Staates in Konflikt. Militärischer Drill, Verfolgung und Verfemung deutsch-jüdischer Künstler und Literaten, Greuel der deutschen Besatzer in Polen und Rußland, mangelnde Freiheit und Diskriminierung Andersdenkender, eigene Kriegerfahrungen und schließlich Stalingrad gaben hinreichend Anlaß, dem barbarischen NS-Regime entgegenzutreten. Daß sie diesen Konflikt in der dann stattfindenden Weise ausfechten sollten, hatte anfänglich keineswegs festgestanden, so konsequent diese Entscheidung ihnen erschien. Sie hofften damals auf einen Aufstand der anständigen Deutschen und eine allgemeine Besinnung auf die ihnen unverzichtbaren Ideale.¹⁶ So stellte es sich auch meinem Bruder dar.

    Wer war nun Otmar Hammerstein? Er war am 22. November 1917 in einem kleinen Dorf mit dem schönen Namen Lämmerspiel im Landkreis Offenbach am Main als zweiter Sohn eines Lehrerehepaars, dem später noch zwei weitere Söhne geboren wurden, zur Welt gekommen. Der ältere Bruder Reinhold war im April 1915 am gleichen Ort geboren worden. Die idyllische dörfliche Lebenswelt fernab städtischer Unrast ließ die Knaben unbeschwert frei aufwachsen. Der Vater, als Lehrer am Ort, war eine Autorität. Das hinderte ihn

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