Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Atlan 30: Zuflucht der Varganen (Blauband): Der Kristallprinz: Die Varganen
Atlan 30: Zuflucht der Varganen (Blauband): Der Kristallprinz: Die Varganen
Atlan 30: Zuflucht der Varganen (Blauband): Der Kristallprinz: Die Varganen
eBook554 Seiten7 Stunden

Atlan 30: Zuflucht der Varganen (Blauband): Der Kristallprinz: Die Varganen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Atlan, Kristallprinz und offizieller Thronfolger des riesigen Arkon-Imperiums, wurde seines Thrones beraubt. Seit der Ermordung seines Vaters regiert Imperator Orbanaschol III. über Tausende von Sonnensystemen. Orbanaschols Ziel ist, den geflüchteten Atlan zu beseitigen.

Im Kampf gegen den falschen Imperator und dessen Häscher wird der junge Kristallprinz mit den Hinterlassenschaften der geheimnisvollen Varganen konfrontiert. Ursprünglich stammen diese uralten Wesen jedoch aus dem Mikrokosmos, in den es Atlan und die arkonidische Prinzessin Crysalgira verschlagen hat.

Atlan und die Prinzessin haben das Geheimnis um den alle 300 Jahre stattfindenden "Kreuzzug nach Yarden" gelüftet. Der junge Kristallprinz macht dabei eine erschreckende Entdeckung: Die Varganen halten die Eisige Sphäre, von den Völkern des Mikrokosmos Yarden genannt, mit brutaler Macht aufrecht. Das Mittel dazu sind ihre Kreuzzugschiffe - sie opfern kaltblütig das Leben ihrer Besatzungsmitglieder, die von den Gefühlsbasen beeinflusst werden.

Doch plötzlich scheint das Ende nahe, denn die Eisige Sphäre ist vom Untergang bedroht ...

Enthaltene ATLAN-Heftromane
Heft 212: "Jagdplanet des Unsterblichen" von Hans Kneifel
Heft 214: "Im Reich der Sonnenpflanze" von Marianne Sydow
Heft 215: "Zuflucht der Unsterblichen" von H.G. Ewers
Heft 216: "Das Ende von Yarden" von H.G. Ewers
Heft 217: "Duell mit dem Donnergott" von Harvey Patton
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Mai 2015
ISBN9783845333298
Atlan 30: Zuflucht der Varganen (Blauband): Der Kristallprinz: Die Varganen

Mehr von Hans Kneifel lesen

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Atlan 30

Titel in dieser Serie (45)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Atlan 30

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Atlan 30 - Hans Kneifel

    cover.jpgimg1.jpg

    Nr. 30

    Zuflucht der Varganen

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Prolog

    Aus: Vargo-Bericht

    Zweitausend Oktaederschiffe – darunter fünfhundert Großraumer von fast zweitausend Metern Höhe – und die fünfzig riesigen Arsenalstationen mit ihrem Durchmesser von fünfzehn Kilometern waren in den Prozess der Absoluten Bewegung eingetreten und hatten die Umsetzung vollzogen. Wie von mir vorhergesagt, passten sich Schiffe und Besatzungen den Verhältnissen der anderen Existenzebene an. Bei der Rückkehr würde der Materieaustausch in umgekehrter Form stattfinden. Doch mit einer Rückkehr rechnete ich zunächst nicht. Seit dem Wechsel in den Makrokosmos hatten wir Varganen, wie wir uns seit Mamrohns Anordnung nannten, die Fähigkeit verloren, uns miteinander fortzupflanzen – im Gegenzug gab es jedoch auch keine körperliche Alterung mehr; durch den Einfluss der Absoluten Bewegung hatten wir Unsterblichkeit erlangt.

    In den ersten Jahrhunderten überwog die Freude – die Aussicht auf Macht und Einfluss ohne zeitliche Begrenzung; wir waren die unumschränkten Herrscher des in dieser Sterneninsel geschaffenen Reiches. Völker wurden unterworfen, andere mithilfe von Aktivierungskapseln der Arsenalstationen sogar neu geschaffen. Aktivierungskapseln waren aus unserer Sicht unantastbar und heilig, durften nicht vor ihrer endgültigen Bestimmung berührt werden; sie enthielten Konzentrate des Lebendigen, entweder in biochemisch reiner Form oder aber in der Gestalt von konservierten Embryonen – wobei Letztere sich leider jedoch als ebenso unfruchtbar wie wir selbst erwiesen hatten. In der Glanzzeit unserer Expansion waren auf diese Weise ganze Sonnensysteme »befruchtet« worden. Auf Welten, die erst am Anfang ihrer Entwicklung standen, entwickelten sich Untertanenvölker nach unserem Willen. In anderen Fällen wurden Androiden produziert, denen ebenfalls der absolute Gehorsam quasi einprogrammiert war, obwohl sie häufig ein varganisches Aussehen hatten. Anfangs waren diese Kunstgeschöpfe, deren Körper zwar biologisch lebten, aber nicht über ein Bewusstsein in unserem Sinne verfügten, grundsätzlich unfruchtbar; kein Vargane ertrug es, dass ihm auf diesem Gebiet primitive Kreaturen überlegen sein sollten. Später wurden jedoch auch Versuche begonnen, die Androiden zur Zeugung varganischer Nachkommen zu benutzen – ein Fehlschlag.

    Lothurne und seine Anhänger gingen einen anderen Weg. Die Frauen und Männer dieser Gruppe teilten sich nach einem von Lothurne ausgearbeiteten Plan in kleine Kommandos auf, die jeweils die heimliche Herrschaft über bewohnte Planeten errichteten. Von hier aus arbeiteten sie im Verborgenen und lenkten das riesige Sternenreich. Um zu herrschen, das varganische Imperium zu kontrollieren, bedurfte es keiner eigenen Nachkommen. Die Kehrseite der Unfruchtbarkeit wurde aber mit jedem verstreichenden Jahrtausend deutlicher, denn ohne Nachkommen gab es auch keinen Ausgleich für die Verluste, die wir zwangsläufig zu verkraften hatten – denn durch Kämpfe, Naturkatastrophen, Unfälle, ja selbst durch Mord und den Freitod verringerte sich unsere Zahl zwar langsam, aber unerbittlich. Mochte es auch Jahrhunderttausende und mehr beanspruchen, irgendwann würde unsere Gesamtzahl derart zusammengeschrumpft sein, dass die Herrschaft nicht mehr länger gesichert war – ja, es war nicht einmal ausgeschlossen, dass wir irgendwann ganz ausstarben, selbst wenn dieser Zeitpunkt noch eine Million Jahre oder mehr entfernt sein sollte. Vor diesem Hintergrund relativierte sich sogar das Gefühl, als Unsterblicher unbegrenzt Zeit zur Verfügung zu haben.

    Viele von uns trugen Ampullen mit der Kyrachtyl genannten Droge bei sich, der Droge, die den »sanften Tod« gewährleistete, die gezielte Lösung des Bewusstseins von der materiellen Hülle – umschrieben als »Freisetzung ins Kyriliane«. Kyriliane – »das Ganze«, »alles« – war jener umfassende Zustand aller einander durchdringenden Existenzebenen, dessen Teilbereiche sich durch die Absolute Bewegung auch körperlich erreichen ließen. Schon in den fernen Epochen lange vor dem letztlich verhängnisvollen Verlassen der Heimat und dem Übergang zur anderen Existenzebene hatten unsere tropoythischen Vorfahren ihre Toten konserviert. Anfänglich aus rein religiösen Gründen, indem sie Mythen und Überlieferungen aus fernster Vergangenheit folgten, deren Ursprünge im Dunkel der Äonen verborgen waren. Aber auch in der Spätzeit, als längst Hochtechnologie die Zivilisation prägte, war der Einfluss der Mondschattenpriesterschaft und ihrer Lehren beträchtlich gewesen. Und weiterhin wurden die Körper für die Ewigkeit präpariert, nun allerdings mit perfektionierten Verfahren, deren Einzelheiten nur die Mondschattenpriester kannten. Gleiches galt für das Kyrachtyl. Denn was in den primitiven Epochen nur Glaube gewesen war, fand mit der Entwicklung und Kontrolle diverser Parafähigkeiten eine Bestätigung: Die rein körperliche Existenz war keineswegs alles!

    1.

    Atlan: Wenige Tontas nachdem mein Sohn Chapat an Bord von Karschkars Oktaeder-Kreuzer seinen Überlebensbehälter zum Platzen gebracht hatte, hatten wir die Geheimwelt der Varganin verlassen. Während an Bord durch Chapats Informationen dafür gesorgt war, dass die bisherigen Befehlskodes auf uns übertragen worden waren, galt das für den Stützpunkt in keiner Weise – weder Crysalgira noch ich hatten gewagt, ihn nochmals zu betreten. Wir wollten zunächst nur weg, zumal durchaus damit zu rechnen war, dass eher über kurz als lang Varganen hier auftauchten. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Karschkar hatte ihr Bewusstsein den übernommenen Körper verlassen und war in den eigenen in der Eisigen Sphäre zurückgekehrt. Somit mussten wir damit rechnen, dass sie inzwischen längst von ihren Artgenossen überwältigt und mehr oder weniger »peinlich befragt« worden war – immerhin hatte sie Chapat entführt sowie Crysalgira und mich bei unserem Weg zur Eisigen Sphäre »abgefangen«, zu einer von ihr manipulierten Gefühlsbasis umgeleitet und dann zu ihrer Geheimwelt gebracht.

    Nach dem kurzen Hyperraumflug über mehrere Dutzend Lichtjahre trieb das Varganenschiff nun seit fünf Pragos antriebslos durch das All des Mikrokosmos. Nach den vorherigen Abenteuern war es endlich eine Zeit, ohne ständige Gefahr für Leib und Leben auszuspannen und Kräfte zu schöpfen – nun ja, ganz traf das nicht zu, immerhin hatten die Prinzessin und ich ein Kind zu versorgen, dessen Geist und intellektuelle Fähigkeiten zwar denen eines Erwachsenen entsprachen, dessen Körper jedoch eben das eines Babys war. Die Situation war absurd. Oft genug fühlte ich mich versucht, mich kräftig zu kneifen in der Hoffnung, der Traum möge in sich zusammenbrechen und mich in die Wirklichkeit entlassen. Denn mit einem Baby logische Diskussionen zu führen, noch dazu auf telepathischer Ebene, war durchaus nicht allgemein üblich. Das war der zweite unwirkliche Aspekt.

    Lange Tontas hatte ich inzwischen die Speicherdaten der Bordpositronik durchforstet und den Raumer erkundet. Die Hoffnung, konkretere Informationen über Yarden zu erhalten, hatte sich leider nicht erfüllt. Auch Chapat hatte in dieser Hinsicht wenig beitragen können, hatte nur mitgeteilt: Ich konnte mich schließlich nicht gründlich umsehen, befand mich in einem sehr großen und hellen Raum. Das heißt, ich weiß nicht einmal, ob es sich um einen Raum im üblichen Sinn handelte, denn ich konnte keine Begrenzung sehen. Es gab dort nur Licht, sehr viel Licht. Und dann nahm ich die Stimmen und Gedanken vieler Varganen auf, aber sie beschäftigten sich niemals direkt mit der Umgebung dieses Raumes. Vielleicht gab es so etwas gar nicht. Außerdem fiel es mir immer schwerer, ihre Gedanken überhaupt zu empfangen. Es war, als entfernten sie sich jeden Tag weiter von mir. Dann kam eines Tages Karschkar, nahm mich samt dem Behälter mit und brachte mich weg.

    Mein Sohn gab sich redliche Mühe, mir zu helfen. Ich stellte viele Fragen, denn jede winzige Einzelheit konnte von Bedeutung sein. Mein Extrasinn verarbeitete die Daten, und wenn er auch zunächst keine konkreten Rückschlüsse zu ziehen vermochte, würde er mir doch später, wenn wir den entsprechenden Situationen gegenüberstanden, wertvolle Ratschläge geben können. Die Zeit verging schnell. Chapat verkündete stets nach einiger Zeit, dass er Hunger hatte, wurde dann von Crysalgira oder mir versorgt. Kaum war der Junge satt, schlief er ein. Die langen Unterhaltungen zehrten an seinen Kräften. Durch Chapats unverhoffte Rettung hatte sich ein Punkt der Motivation erledigt, trotz aller Bedenken und Gefahren zur Eisigen Sphäre vorzudringen. Der Wunsch, in den Makrokosmos zurückzukehren, war zwar noch nicht erfüllt, aber hierbei galt es abzuwägen – immerhin war die Wahrscheinlichkeit, den Umsetzer in Yarden unbeschadet benutzen zu können, eher gering einzuschätzen. Erfolgversprechender würde es in dieser Hinsicht vielleicht sein, auf die Gefühlsbasen zurückzugreifen – immerhin wusste ich inzwischen, dass in einigen ebenfalls kleine Umsetzer installiert waren, die eine für den Personentransport geeignete Absolute Bewegung erzeugen konnten. Andererseits war die Kreuzzugflotte der Tejonther unterwegs zur Eisigen Sphäre, ein Massenmord stand bevor …

    Die Gefühlsbasen waren machtvolle Instrumente, von denen aus die Völker der varganischen Heimatgalaxis beherrscht wurden; bereits die paramechanische Grundemission der Emotiostrahler reichte im Allgemeinen völlig zur subtilen Beeinflussung im varganischen Sinn aus, um Widerstand und Rebellion wirkungsvoll zu unterbinden. Grundlage hierzu war die in ihnen eingesetzte protoplasmatische Flüssigkeit, die aus gentechnologisch manipuliertem Varganengewebe gewonnen wurde und eine ganze Reihe bemerkenswerter Möglichkeiten aufwies, von denen die durch Energiezufuhr beim Kreuzzug im weiten Umkreis emittierte ultrahochfrequente Hyperstrahlung nur ein Aspekt war.

    Folgten die zehntausend voll bemannten Raumschiffe dem »Ruf der Leerraumkontrolleure«, trat der Kreuzzug nach Yarden in ein entscheidendes Stadium. Kein Angehöriger der Flotte ahnte, wo das Ziel lag und was dort geschehen sollte; für die Tejonther handelte es sich um eine »heilige Mission«, die Leuchtfeuer der Gefühlsbasen wiesen den Schiffen den Weg. Dass diese Stationen nicht nur der Orientierung dienten, sondern eine weitaus wichtigere Funktion erfüllten, wussten nur jene, die diese Reise ins Nichts planten und organisierten und von der Eisigen Sphäre aus den Flug der Flotte überwachten. Nach einem genau ausgearbeiteten Zeitplan erhielten die Stationen den Befehl, sich zu aktivieren. Jedes Mal, wenn sich die Tejonther einer Gefühlsbasis näherten, befanden sie sich im Wirkungsbereich der hochgefahrenen Emotiostrahler. Die Art, in der die einzelnen Stationen die Kreuzzug-Teilnehmer beeinflussten, war genau aufeinander abgestimmt, die Tejonther wurden stufenweise konditioniert. Fiel eine Station kurzfristig aus, sodass nicht schnell genug eine Ausweichbasis aktiviert und angesteuert werden konnte, würde das zu einem Bruch führen, der sich nicht mehr korrigieren ließ. Und das bedeutete, dass der Kreuzzug im schlimmsten Fall abgebrochen wurde – mit fatalen Folgen für Yarden …

    Magantilliken hatte dazu gesagt: »Durch die Absolute Bewegung wurde im Gebiet von Yarden die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos ihrer Stabilität beraubt. Das Gleichgewicht lässt sich nicht mehr dauerhaft herstellen, sondern nur jeweils für kurze Zeit. Ein endgültiges Zusammenbrechen der Grenze würde die Zerstörung dieses Teils unseres Universums bedeuten – oder gar die Vernichtung des Mikrokosmos insgesamt! Um das zu verhindern, bedarf es in regelmäßigen Abstanden eines Massenausgleichs. Leider ist es mit irgendwelchen Materiemengen nicht getan, sonst könnten wir ja Asteroiden und Planetoiden in den inzwischen durchschnittlich rund achtzehn Lichtpragos langen Aufriss jagen. Nein, es bedarf auch einer besonderen paraorientierten Komponente. Erst die Kombination führt zum Erfolg, wenngleich nicht auf Dauer. Die Schiffe der Tejonther dienen einzig und allein diesem Zweck … Die Gefühlsbasen waren dazu bestimmt, die Tejonther in einen Rausch zu versetzen. Schritt für Schritt wird in ihnen die Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Aufgabe erhöht. Die Emotiostrahlung nimmt ihnen die Fähigkeit zum kritischen Denken, zum Widerstand, bewirkt allerdings auch eine besondere paramechanische Konditionierung. Ein Bruch in dieser Beeinflussung könnte bedeuten, dass die Tejonther einfach umkehren …«

    Auf meine Frage, was mit den Besatzungen geschehe, hatte der Henker der Varganen geantwortet: »Sie erfahren die Freisetzung ins Kyriliane, werden gemeinsam mit ihren Schiffen an der Grenze entstofflicht. Wer weiß, was genau mit ihnen passiert? Sogar wir Varganen haben nicht alle Rätsel gelöst.«

    Nach wie vor weigerte sich mein Verstand, die Zahlen dieses unglaublichen Massenmords auch nur überschlägig zu bestimmen – Jahrhunderttausende alle 304 Arkonjahre mehrere Millionen Tejonther …

    An Bord von Karschkars Oktaeder-Kreuzer: 33. Prago des Eyilon 10.499 da Ark

    »Wir müssen nach Yarden«, sagte ich zu meinem Sohn, nach wie vor innerlich hin und her gerissen. Vor mir auf einem weichen Lager zappelte die winzige, bronzehäutige Gestalt und musterte mich aus rotgoldenen Augen.

    Es ist zu gefährlich, vernahm ich die wispernde Stimme in meinen Gedanken. Man wird euch gefangen nehmen. Du kennst den Plan der Tropoyther.

    O ja, den kenne ich nur zu genau. Ich sah Crysalgira an, die damit beschäftigt war, aus einigen Stoffresten eine Art Strampelsack für Chapat anzufertigen. Unsere Blicke begegneten sich, sie lächelte schwach und konzentrierte sich dann wieder auf die Arbeit. »Es wird uns schon etwas einfallen«, murmelte ich. »So leicht mache ich es den Varganen nicht.«

    Gute Vorsätze nützen nichts, solange es keine Mittel gibt, sie in die Tat umzusetzen.

    Ich verzog unwillkürlich das Gesicht. Ausgerechnet mein Sohn, ein hilfloser Säugling, gab belehrende Sprüche von sich. Zu meinem Leidwesen behauptete der Logiksektor: Er hat sogar recht.

    »Aber es bleibt uns kein anderer Weg«, fuhr ich auf und meinte damit sowohl Chapat als auch den bei der ARK SUMMIA aktivierten Gehirnsektor. Crysalgira kümmerte sich nicht darum, dass ich scheinbar Selbstgespräche hielt. Sie konnte weder die Stimme meines Logiksektors hören, noch bestand derzeit eine Verbindung zwischen ihr und Chapat, die der varganischen Kommunikation auf telepathischer Übermittlungsbasis entsprach. Mit dieser war die Möglichkeit verbunden, Gedanken in das Bewusstsein anderer Lebewesen zu übertragen und bis zu einem gewissen Grad deren gedankliche Vorformulierungen zu erfassen, war jedoch nicht mit echter Telepathie im Sinne von »Gedankenlesen« zu verwechseln. Crysalgira hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, Unterhaltungen dieser Art gelassen zu verfolgen.

    Das mag stimmen, signalisierte Chapat. Aber deshalb darfst du nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Wir müssen unseren Plan genau überdenken. Fliegen wir einfach drauflos, geraten wir mit Sicherheit in eine Falle.

    »Mit Überlegungen allein kommen wir auch nicht weiter«, erwiderte ich ärgerlich. »Wir müssen eben schnell genug auf alles reagieren, was uns bei und in Yarden begegnet.«

    Nein, entgegnete Chapat erstaunlich energisch, wandte den Kopf zur Seite und sah mich an. Der Ausdruck in seinen Augen passte überhaupt nicht zu einem Baby.

    »Warum nicht?«, wollte ich wissen.

    Weil es zu gefährlich für euch ist!

    »Du wiederholst dich.«

    Ich weiß. Ich verlange nicht viel. Du sollst dir lediglich noch etwas Zeit lassen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die dir zur Verfügung stehen. Je näher wir Yarden kommen, desto größer wird die Gefahr, varganischen Raumschiffen zu begegnen.

    »Die Tropoyther werden sich derzeit hüten, den Schutz der Eisigen Sphäre zu verlassen: Die Kreuzzugflotte wird Yarden bald erreichen, Millionen Tejonther werden sterben!«

    Was die Varganen als ganzes Volk betrifft, hast du recht, sagte Chapat geduldig. Sie wagen sich selten hinaus. Aber es gibt auch bei ihnen Ausnahmen, Kreuzzug hin oder her. Du brauchst nur an Magantilliken oder die alte Hexe zu denken. In der Eisigen Sphäre wird man inzwischen wissen, dass Karschkar nicht nur mich entführt, sondern auch euch abgefangen hat. Selbst wenn die Alte die Position ihrer Geheimwelt nicht verraten hat, wird man euch suchen. Ohne euch sind die Varganen langfristig zum Aussterben verurteilt.

    Wieder hatte ich Mühe, den bitteren Lachreiz zu unterdrücken. Das hatte nichts damit zu tun, dass Crysalgira und ich den Varganen als Brutmaschinen für ihren Nachwuchs dienen sollten, sondern galt der Tatsache, dass Chapat über die Zusammenhänge genauestens informiert war und sachlich argumentierte, während er, das Baby, vor mir auf dem Lager lag, mit den Beinen strampelte und am linken Daumen nuckelte. Ich stellte mir vor, wie Arkoniden edelster Abstammung darauf reagieren würden, wenn ein Neugeborenes …

    Chapat kannte meine Gedankengänge, ging jedoch stillschweigend darüber hinweg. Wir sollten landen. Im freien Raum kann das Schiff zu leicht geortet werden. Auf einem Planeten sind wir einigermaßen sicher und können in aller Ruhe die nötigen Vorbereitungen treffen.

    Seine Entscheidung war gefallen; mochte er körperlich klein und hilflos sein, verfügte er doch über einen sehr starken Willen. Das hatte ich schon auf Sogantvort festgestellt, als ich meinen Sohn vor dem Henker der Varganen zu retten versuchte. Ohne ihn, der damals noch ein winziger Embryo in einem Überlebensbehälter war, hätte ich die uralte Station der Versunkenen Welt wahrscheinlich niemals erreicht. Nur seine drängenden Gedankenimpulse hatten mich gezwungen, dem Chaos aus Sturm und Sand zu trotzen und nicht aufzugeben.

    »Also gut.« Ich seufzte. »Wir werden einen passenden Planeten suchen.« Crysalgira sah mich erstaunt an. »Nur eine Zwischenlandung.«

    Ich teilte ihr den Inhalt des Gesprächs mit. Sie nickte gleichmütig, warf einen Blick auf die Uhr und stand auf, beugte sich über Chapat, hob ihn hoch und trug ihn zu einem speziell für diese Zwecke hergerichteten Tisch. Chapat brüllte protestierend, mochte die nun folgende Prozedur überhaupt nicht. Crysalgira kümmerte sich nicht um sein Geschrei, sondern wickelte ihn mit geschickten Bewegungen aus den zurechtgeschnittenen Tüchern, die bis zu unserem Start der Varganin Karschkar als Bettwäsche gedient hatten. Als sich der eindeutige Geruch vollgemachter Windeln ausbreitete, grinste ich unwillkürlich. Chapat mochte ein noch so ungewöhnliches Baby sein – in dieser Hinsicht unterschied er sich in nichts von den Sprösslingen eines Arkoniden.

    Das namenlose Sonnensystem hatte zwölf Planeten und war knapp 400 Lichtjahre von Karschkars Geheimwelt entfernt. Laut den Ortungsgeräten des Oktaederschiffs gab es auf der Nummer vier von innen gezählt eine dichte Atmosphäre mit genügend hohem Sauerstoffgehalt, ohne giftige Beimischungen, dafür aber von Feuchtigkeit gesättigt. Von der Oberfläche des rund 13.000 Kilometer durchmessenden Planeten war im normaloptischen Bereich aus dem All nur wenig zu sehen – sie verschwand fast ganz unter einer dichten Wolkendecke, in der es starke Turbulenzen gab. Die Kontinente waren riesig und wurden nur durch seichte Meeresarme voneinander getrennt. Sie ähnelten gewaltigen Eisschollen, die von zahlreichen Rissen durchzogen wurden. Die Eigenrotation der Welt entsprach rund sechzehn Tontas.

    Ich wählte ein Hochplateau nördlich des Äquators als Landeplatz aus. Es wurde von allen Seiten von tiefen Schluchten begrenzt. Einer dieser Abgründe verbreiterte sich nach Süden zu einem großen, von steilen Felswänden umschlossenen Tal. Crysalgira machte mich auf einen Talkessel aufmerksam. »Das wäre ein besserer Ort für die Landung. Oben auf dem Plateau dürfte der Sturm gefährliche Ausnahme annehmen.«

    »Dem Schiff kann selbst der stärkste Orkan nichts anhaben, selbst wenn wir auf einen Schutzschirm verzichten, um die Ortungsgefahr so gering wie möglich zu halten.«

    Sie nickte und wandte sich wieder den Instrumenten zu, die uns verraten sollten, was uns auf diesem Sturmplaneten erwartete. Wir planten zwar keinen langen Aufenthalt, aber es war stets angebracht, ein paar Dinge mehr zu wissen, als auf den ersten Blick notwendig war. Ich ließ das Schiff langsam sinken und konzentrierte mich voll auf meine Aufgabe als Pilot. Der Oktaeder-Kreuzer setzte in der Nähe des Abbruchs auf. Ein Blick auf die Bildschirme machte mir deutlich, dass mit diesem Planeten nicht zu spaßen war. Die Oberfläche des Plateaus war keineswegs so glatt, wie ich angenommen hatte. Der Sturm hatte gemeinsam mit dem offensichtlich sehr häufig fallenden Regen das weichere Gestein ausgewaschen, sodass abenteuerlich spitze Zacken und Grate aus härterem Fels übrig geblieben waren. Diese Erhebungen hoben sich in allen Schattierungen zwischen Purpur und Violett von den gelblich grauen Wolken ab, die den Blick in das Tal verdeckten. Dunkle Schatten jagten vorüber.

    »Hier ist das Ergebnis der Analyse«, sagte Crysalgira. »Die Luft ist einwandfrei, gefährliche Kleinlebewesen wurden nicht gefunden. Es gibt auf diesem Kontinent keine größeren Metallvorkommen. In den Tälern reiches Pflanzenleben, aber allem Anschein nach keine Intelligenzen.«

    Ich deutete auf den Bildschirm. »Und diese dunklen Dinger?«

    »Pollen. Zusammenballungen sehr großer Samenzellen. Sie dürften von den Pflanzen in den Tälern stammen.«

    Ich sah, wie eins der schattenhaft erkennbaren Objekte gegen eine Felszacke prallte, und stellte die Vergrößerung nach. Schweigend betrachteten wir das Bild. Das unregelmäßige Gebilde zerbrach unter der Wucht des Anpralls. Eine große Zahl orangefarbener Kugeln mit roten Punkten, dicht besetzt mit grellblauen Zacken, kollerte zu Boden. Sie mussten relativ leicht sein, denn der Wind trug sie schnell wieder davon.

    »Ungefähr einen halben Meter groß«, murmelte Crysalgira. »Hast du die Widerhaken gesehen?«

    »Wir werden diesen Gebilden aus dem Wege gehen. Falls wir überhaupt nach draußen gehen.«

    Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab.

    Sind wir bereits gelandet?, fragte eine wispernde Stimme in meinem Kopf.

    »Chapat ist aufgewacht«, informierte ich Crysalgira.

    Sie soll mich in Ruhe lassen, schimpfte der Kleine. Ich habe keinen Hunger, und meine Windeln sind auch noch trocken.

    Ich grinste und gab Crysalgira einen Wink. Sie blieb vor dem Lager stehen und blickte Chapat etwas hilflos an. »Was macht man nur mit so einem Kind? Ein Baby hat den Mund zu halten, es sei denn, es brüllt.«

    »Er sagt ja auch keinen Ton«, gab ich trocken zurück. »Mach dir keine Sorgen, er hat mir lange vor seiner Geburt erklärt, er würde die Gabe der Telepathie schnell verlieren. Dann wird er sich ganz normal verhalten.«

    Normal?, erkundigte Chapat sich empört.

    Ich lachte. Selbst der Extrasinn konnte mir mit seinen Kommentaren in dieser Situation nicht den Spaß verderben.

    Wir hatten viel Platz an Bord, dennoch waren wir in der Zentrale geblieben, denn auf diese Weise waren wir im Alarmfall sofort an Ort und Stelle. Irgendwann wurde ich für einen Augenblick wach, schlug träge die Augen auf, sah Crysalgira, die sich über Chapat beugte, und fing die ärgerlichen Impulse des Jungen auf. Also alles in Ordnung. Auf den Bildschirmen trieben die Wolken über die zerrissene Felsfläche, die Lautsprecher der Außenmikrofone übertrugen das Prasseln der Regentropfen, die gegen die Außenhülle schlugen. Ich schlief wieder ein.

    Crysalgira

    Die Prinzessin legte Chapat zurück auf sein Lager, beobachtete, wie der Kleine umgehend die Augen schloss und einschlief, und sah sich dann seufzend um. Atlan schlief ebenfalls, sie wollte ihn nicht wecken. Er hatte sich die Ruhe wirklich verdient. Aber sie selbst fühlte sich frisch, fast schon »aufgedreht«. Über die Lautsprecher hörte sie die Geräusche, die der Wind draußen verursachte. Der Sturm war im Augenblick abgeflaut. Crysalgira trat vor einen Bildschirm und betrachtete lange die fast unwirkliche Landschaft. Sie fühlte sich unruhig, irgendetwas musste sie unternehmen. Ihr Blick fiel auf den halb fertigen Strampelsack. Nein, das war nicht das geeignete Mittel, um sich abzulenken. Sie verstand sich selbst nicht. Seit sie in diesem fremden Raumschiff war, begleitete sie ein Gefühl der Unsicherheit auf Schritt und Tritt. Sie war keineswegs ängstlich veranlagt, doch gerade deshalb jagte ihr ihre eigene Nervosität Angst ein. Plötzlich kam ihr der Gedanke, es könne daran liegen, das sie eine natürliche Atmosphäre atmen wollte, den Wind im Haar spüren …

    Sie schrieb eine kurze Nachricht auf eine Folie, die sie auf einem Schaltpult deponierte, wo Atlan sie sofort finden musste, falls er vor ihrer Rückkehr erwachen würde. Als sich die Bodenschleuse öffnete, atmete sie wie befreit auf. Frischer Wind blies ihr ins Gesicht, etwas zu warm und zu feucht, aber erfüllt von fremdartigen, aromatischen Düften. Sie trat hinaus und schloss die Schleuse, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass sie das Schott jederzeit von außen wieder öffnen konnte. Unter den Sohlen ihrer weichen, halbhohen Stiefel spürte sie das harte Gestein. Suchend sah sie sich um, entdeckte an einem der hervorstechenden Zacken ein seltsames Gebilde. Es sah wie eine Blüte aus, groß, glitzernd, absolut fremd. Neugierig trat sie näher. Es war keine Blüte, sondern ein beachtenswert schöner Kristall. Die Frau berührte das sternförmige Gebilde vorsichtig. Es fühlte sich glatt und kalt an. Als sie einen der Zacken umfasste und behutsam daran zog, löste sich der Stern von dem steinernen Untergrund. Verblüfft hielt sie den Kristall in der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Sie hatte viele fremdartige Dinge gesehen, aber keins davon war mit diesem Kristall zu vergleichen.

    Direkt über ihr klatschte es. Crysalgira sah auf und erblickte einen Ballen zusammengeklebter, grellblauer Bälle. Pollen. Das Gebilde zerbrach und flog auseinander. Eine der blauen Kugeln schlug ein paar Meter entfernt gegen eine purpurfarbene, von violetten Adern durchzogene Mauer mit abenteuerlich gezacktem Rand. Der Wind ergriff das federleichte Gebilde, noch ehe es den Boden berührte, und trug es davon. An der Stelle, an der die Kugel eigentlich hätte aufschlagen müssen, glänzte der zweite Sternkristall. Er war etwas kleiner, funkelte aber noch farbenprächtiger. Eine Art Jagdfieber erfasste Crysalgira. Sie verstaute die beiden Kristalle in ihrer Gürteltasche, machte sich auf die Suche und konzentrierte sich völlig darauf. Irgendwo in ihrem Kopf hielt sich die Erkenntnis, dass sie sich absolut nicht so verhielt, wie das auf einem fremden Planeten üblich war, aber sie schlug die fast unterdrückten Mahnungen ihres Verstandes in den Wind. Mühsam tastete sie sich zwischen spitzen, steil aufragenden Felsen hindurch. Längst war das Oktaederschiff aus dem Blickfeld verschwunden; die treibenden Wolken verhüllten alles, was mehr als fünfzig Meter entfernt war. Crysalgira machte sich deswegen keine Sorgen. Das Plateau war nicht sehr groß, sie würde leicht zurückfinden.

    Plötzlich wichen die Felszacken zurück. Die Prinzessin blieb erstaunt stehen, als sie die kreisrunde, saubere Fläche aus orangefarbenen Kieseln sah, die sich vor ihr ausdehnte. Ringsherum stachen Felsnadeln aus dem Boden, deren Spitzen teilweise miteinander verbunden waren. Dieser Platz wirkte künstlich; es war nur schwer vorstellbar, dass eine so perfekte Anlage durch puren Zufall hätte entstehen sollen. Die Säulen der Begrenzung waren glatt geschliffen und glühten in einem feurigen Rot. Zwischen einigen wölbten sich zierliche, zitronengelbe Bögen. Die Wolkenschleier, die zwischen diesen seltsamen Portalen hindurchzogen und ab und zu alles mit ihrem gelblichen Grau verdeckten, gaben dem Platz etwas Gespenstisches. Zögernd trat die Arkonidin zwischen zwei der Felsnadeln hindurch. An dieser Stelle war der Wind kaum noch zu spüren. Unter ihren Füßen knirschten die Kiesel. Sie waren so ordentlich verteilt, als habe jemand den Platz sorgfältig angelegt; alle waren gleich groß. Die dumpfe Ahnung einer Gefahr ließ Crysalgira zögern. Unsicher blickte sie sich nach allen Seiten um. Nichts. Sie biss sich auf die Unterlippe und schüttelte ratlos den Kopf. Ihr Instinkt befahl ihr, schleunigst das Weite zu suchen, aber sie weigerte sich entschieden, diese unlogische Regung zu befolgen. Hier oben lebte niemand. Und schon gar nicht gab es hier eine fremde Kultur.

    Kultur?

    Erst in diesem Moment begriff Crysalgira, dass sie diesen Ort vom ersten Augenblick an für eine Art Heiligtum gehalten hatte. Sie bückte sich und hob einige der Kiesel auf. Sie waren ungewöhnlich schwer, rund und glatt wie Murmeln, fühlten sich warm an. Gedankenlos ließ Crysalgira einige der kleinen Steine in die Tasche gleiten. Dann entdeckte sie auf der anderen Seite der völlig ebenen Fläche ein verheißungsvolles Glitzern. Eilig rannte sie auf die dunkelrote Säule zu, die an ihrem unteren Ende von Sternkristallen förmlich überkrustet war. Sie stopfte wahllos einen Stern nach dem anderen in die Gürteltasche, setzte sich dann neben die Säule, holte die Kristalle hervor und breitete sie vor sich auf dem Boden aus. Ein verirrter Sonnenstrahl brach durch die Wolken. Das Blitzen und Funkeln blendete die Prinzessin, für einen Moment musste sie die Augen schließen. Nur widerwillig sortierte sie einige der Juwelen aus. Jeder einzelne Kristall war so schön, dass sie ihn für nichts auf der Welt hätte eintauschen mögen. Wieder glitt geisterhafter Lichtschein über die orangefarbene Ebene, dann zogen kleine, flinke Schatten darüber. Crysalgira hatte nur Augen für den unerwarteten Schatz, der vor ihr ausgebreitet lag. Sie würde so viele Steine mitnehmen, wie sie tragen konnte. Atlan musste ihr später helfen, auch die anderen zu bergen.

    Sie machte sich auf den Rückweg. Schon in der Mitte der kieselbedeckten Fläche merkte sie, dass sich das Licht verändert hatte; es war dunkler geworden, das Pfeifen und Heulen des Windes klang jetzt lauter. Vereinzelte Regentropfen fielen herab, vermischt mit goldgelben Körnern, die von einer Schleimschicht überzogen waren. Das Zeug setzte sich an Crysalgiras Kleidung fest und blieb dort kleben. Anfangs achtete sie nicht darauf, aber schon nach kurzer Zeit merkte sie, dass sich allmählich eine dicke Hülle aus Pollenkörnchen bildete, die sie in ihrer Bewegungsfreiheit hemmte. Crysalgira hatte die Säulen längst hinter sich gelassen, vor ihr erstreckte sich ein Labyrinth aus schmalen Rinnen und zackigen Graten. Durch die zunehmende Dunkelheit änderten sich die Farben, das machte es noch schwieriger, den Weg wiederzufinden, den sie gekommen war. Sie entdeckte einen gezackten Buckel und hielt darauf zu. Aber es war nicht jener Felsen, an dem sie den zweiten Kristall entdeckt hatte.

    Ratlos drehte sich die Frau im Kreis. Ein Klumpen braunroter, stacheliger Gebilde schoss ihr entgegen. Sie duckte sich, aber ganz konnte sie den Pollen der fremdartigen Pflanzenwelt dieses Planeten nicht ausweichen. Einige kopfgroße Bälle prallten von dem tejonthischen Metallanzug ab, aber einer geriet mit einem halben Dutzend seiner Stacheln an die ungeschützte Haut ihrer rechten Hand. Sie spürte den scharfen Schmerz und das grelle Brennen, mit dem irgendein Gift aus dem Ball lief. Mit einem lauten Schrei schleuderte sie die Hand zur Seite. Die Stacheln brachen ab und blieben im Handrücken stecken. Der Ball flog zur Seite und war einen Lidschlag später in einem Dunstfetzen verschwunden. Crysalgira duckte sich in den Windschatten eines purpurfarbenen Walles und hob die Hand. Fünf fingerlange Stacheln ragten hervor, aus den Bruchstellen sickerte eine wasserhelle Flüssigkeit, die an den scharfen Kanten der Stacheln herabrann und fürchterlich brannte, sobald sie die Haut erreichte.

    Sie biss die Zähne zusammen, der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie blinzelte stöhnend, bis sie wieder klare Sicht hatte, dann zog sie den ersten Stachel heraus. Als sie die Quälgeister endlich entfernt hatte, wurde ihr für Augenblicke schwarz vor Augen. Sie lehnte sich gegen den nassen Felsen und atmete tief und regelmäßig, aber die Schwäche, die sich in ihrem Körper eingenistet hatte, wollte nicht vergehen. Im Gegenteil – immer häufiger verschwamm die Welt hinter trübroten Schleiern. Sie hatte sich vergiftet! Die Erkenntnis brachte sie zur Vernunft. Verbissen richtete sie sich auf. Crysalgira ließ die Kristalle achtlos liegen und taumelte vorwärts, in die Richtung, in der sie das Schiff zu finden hoffte. Dort gab es Medikamente, Geborgenheit, Ruhe – und Atlan, der ihr helfen würde. Crysalgira konnte nur wenige Meter zurücklegen, stolperte und fiel. Sie rollte einen kleinen Abhang hinunter und blieb auf dem Rücken liegen. Stöhnend versuchte sie sich aufzurichten, schaffte es, musste aber die Augen schließen, weil sich die Welt in ein rasendes Karussell verwandelte. Als sie wieder sehen konnte, landeten vor ihr die Fremden.

    Auf den ersten Blick erkannte sie gar nicht, dass sie es mit intelligenten Wesen zu tun hatte – und als sie es endlich begriff, war es ihr völlig gleichgültig. Sie stierte die kurzbeinigen, muskulösen Wesen stumpfsinnig an. Die Schleier, die vor Crysalgiras Augen wogten, verzerrten die Umrisse der Fremden. Sie wusste, dass sie sich einem deliriumähnlichen Zustand näherte, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen, denn das Gift pulste durch ihren Körper. Dennoch versuchte sie sich zu wehren, als dünne, zähe Pflanzenarme nach ihr griffen. Daumenlose Hände, die sich heiß und trocken anfühlten, schoben sie vorwärts, auf eine mindestens fünf Meter durchmessende Kugel zu. Dünne, peitschenförmige Tentakel ringelten sich aus dem plumpen, graugrünen Körper. Blassrosa Öffnungen lagen dazwischen, die sich pulsierend öffneten. Crysalgira stemmte die Füße gegen den Boden, riss an den Fesseln, die sich um ihre Handgelenke schlangen, und versuchte, die Fremden abzuschütteln, die sie auf diese riesige Pflanzenkugel zuschoben. Sie wollte dieses Ding nicht kennenlernen, um keinen Preis. Wahrscheinlich war es eine fleischfressende Pflanze, die nur auf ein Opfer wartete.

    Aber die Prinzessin war schon viel zu schwach, merkte schließlich, dass sich ihre Befürchtungen nicht erfüllten. Die Kugel streckte ein paar Tentakel aus, hüllte sie ein und hob sie sanft in die Höhe. Crysalgira stieß einen entsetzten Laut aus, als sie merkte, dass die Pflanze vom Boden abhob und mit dem Sturm davontrieb. Sie sah noch, dass einer der Fremden Sternkristalle aufhob und ebenfalls mit einer Flugpflanze aufstieg. Dann wurde es schwarz um sie.

    Atlan

    Ich sah mich nach Crysalgira um, entdeckte sie jedoch nirgends. Auf dem Schaltpult lag ein Zettel. Ich warf einen kurzen Blick auf die Notiz, die Crysalgira für mich geschrieben hatte. Die Nachricht war von lakonischer Kürze. Der Prinzessin war es an Bord zu langweilig geworden, sie wollte sich draußen umsehen. Eine Zahlenreihe kennzeichnete den Zeitpunkt, an dem sie das Schiff verlassen hatte; seit etwa einer Tonta war sie demnach draußen. Ich stieß eine Verwünschung aus, rief sie über Funk, aber sie gab keine Antwort. Das beunruhigte mich zunächst nicht weiter. Der Planet war zwar nicht unbedingt paradiesisch, aber einen Spaziergang ohne Schutzanzug konnte man jederzeit wagen. Wir trugen weiterhin die Anzüge der Tejonther. Diese Kleidungsstücke, die aus zahllosen metallenen Segmenten zusammengesetzt waren, boten eine ganze Reihe von Vorteilen. Der einzige Minuspunkt war, dass sie nicht mit einem Funkhelm kombiniert waren.

    Eine kurze Inspektion zeigte mir, dass Crysalgira keinen der an Bord befindlichen varganischen Schutzanzüge angezogen hatte. Nicht einmal eine Waffe fehlte. Das veranlasste mich zu einem ärgerlichen Stirnrunzeln. Die Prinzessin war in der Kunst der waffenlosen Verteidigung geschult, aber der Sturmplanet, wie ich ihn inzwischen der Einfachheit halber nannte, mochte Überraschungen aufweisen, gegen die selbst der raffinierteste Dagorkämpfer machtlos war. Auf den Bildschirmen war Crys nicht zu entdecken. Dicht über den Boden dahinwirbelnde Wolken versperrten die Sicht. Auch das Hinzuschalten von Filtern half nichts, die riesigen Pollenansammlungen verwischten jedes Bild. Über die Außenlautsprecher nach ihr zu rufen war sinnlos, denn der Sturm nahm inzwischen mit rasender Geschwindigkeit zu. Noch immer war ich weniger besorgt als ärgerlich. Ich rechnete nicht damit, dass ihr etwas zugestoßen war. Aber dann wurde ich doch unruhig. Das Wetter war entschieden zu schlecht für einen Spaziergang.

    Ich schwebte zur Schleuse hinunter. Als sich das Außenschott öffnete, wehten mir klebrige, mit gelben Körnern durchsetzte Regenschwaden entgegen. Der Wind brachte die Felsen des Hochplateaus zum Klingen. Ich trat einen Schritt vor und stemmte mich gegen den Sturm. Meine dumpfe Vorahnung wurde stärker. Nie und nimmer wäre Crysalgira freiwillig in diesem kreischenden Chaos geblieben – also hinderte etwas oder jemand sie daran, in den Schutz der Doppelpyramide zurückzukehren. Ich taumelte gegen die scharfen Felszacken und zog mich an einem schmalen Grat aus hellrotem Stein entlang, der geradewegs auf den Steilhang zuführte. Hoffentlich hat sie sich nicht zu weit vom Schiff entfernt.

    Hol dir einen Schutzanzug! Gerade wollte ich den Rat des Extrasinns befolgen, als ich in den giftig gelben Wolken eine schwache Bewegung wahrnahm. Ich dachte an die Pollen mit den Widerhaken und duckte mich hastig. Für Augenblicke riss die Wolkendecke auf. Ein orangefarbener Sonnenstrahl zuckte über die Felsen und verwandelte die Fläche in ein Meer aus blitzenden Juwelen. Und in diesem Lichtstrahl entdeckte ich die Fremden. Zuerst sah ich nur ein paar große, kugelförmige Gebilde, die vom Sturm über den Rand des Steilhangs getrieben wurden. Ich dachte an Pollen, bis ich erkannte, dass diese Bälle nicht den Launen des Windes ausgesetzt waren. Sie wurden einwandfrei gesteuert! Und dann entdeckte ich auch die Wesen, die sich dieser tentakelumwucherten Bälle bedienten. Sie saßen in dicken Seilschlingen. Einzelheiten waren nicht auszumachen, aber ich beobachtete, wie einer der Fremden an einem Tentakel zog, der direkt über ihm aus der Kugel herauswuchs. Gleich darauf zog sich der seltsame Ballon etwas zusammen und sackte dem Tal entgegen. Der Sonnenstrahl wanderte weiter und riss eine etwas entferntere Kugel aus dem Dämmerlicht heraus. Deutlich erkannte ich ein hellblaues Schimmern zwischen den Tentakeln.

    Crysalgira? Es gab keinen Zweifel. Diese Farbe hatte der Anzug, den sie trug. Eine Entführung war auch die einzige Erklärung dafür, dass sie nicht in die Doppelpyramide zurückgekehrt war. Ich drehte mich um und eilte zum Schiff zurück. Als ich die Schleusenkammer betrat, sah ich das grelle Licht an der Wand aufblinken und blieb erschrocken stehen. Aber es handelte sich nur um das Signal einer Automatik. Ich hatte gar nicht auf die gelben Körner geachtet, die überall an mir klebten. Erst als die Pollen mit einem leisen Prasseln zu Boden fielen, wurde ich aufmerksam. Mit einem leisen Summen öffnete sich eine Klappe dicht über dem Boden. Wie von Zauberhand bewegt, glitten die Körner darauf zu und verschwanden. Die Klappe schloss sich, das Licht erlosch. Lautlos fuhr das Innenschott auf. Ich zuckte mit den Schultern und eilte weiter. Im Augenblick hatte ich weder Zeit noch Lust, mich mit den Dekontaminationsmöglichkeiten des varganischen Raumschiffs zu beschäftigen. Chapat erwartete mich ungeduldig.

    »Crysalgira ist entführt worden. Ich muss ihr helfen.« Ich konnte und wollte Crysalgira nicht im Stich lassen. »Es dauert nicht lange. Wer immer diese Eingeborenen auch sein mögen, ich werde bestimmt schnell mit ihnen fertig. Sie werden kaum eine hohe Zivilisation haben.«

    Chapat schwieg, dafür meldete sich mein Extrasinn. Das ist auch nicht nötig, behauptete er trocken. Wenn sie sich mit der Natur dieses Planeten verbündet haben, haben sie eine Waffe, gegen die du es schwer haben wirst.

    Pessimist, dachte ich ärgerlich zurück.

    Das alles gefällt mir nicht, wisperten Chapats Gedanken. Wer weiß, welche Gefahren dort draußen lauern. Reicht es nicht, dass Crysalgira ihnen zum Opfer gefallen ist?

    »Es ist nicht gesagt, dass die Lage bereits hoffnungslos ist. Ich werde Crysalgira zurückholen.«

    Der Kleine spürte meine Entschlossenheit und machte keinen Einwand mehr, obwohl ihm das sicher schwerfiel. Auch ich erkannte sehr deutlich, dass ich mich auf ein riskantes Unternehmen einließ. Ohne mich war der Kleine verloren. Nicht einmal einen Notruf konnte er abstrahlen, falls mir dort draußen etwas zustieß. Kam ich nicht zurück, musste Chapat elend zugrunde gehen. Selbst wenn Crysalgira allein zum Schiff zurückfand, besserte sich die Lage kaum. Sie kannte sich mit den varganischen Geräten nicht gut genug aus, um einen Start zu wagen. Ich konnte aber Crysalgira nicht einfach zurücklassen, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, sie zu retten. Sorgfältig stellte ich meine Ausrüstung zusammen. Die Zeit drängte, aber ich wollte nicht im kritischen Moment hilflos dastehen, nur weil ich ohne jede Überlegung losgerannt war. Ich legte einen der goldfarbenen Schutzanzüge an. Medikamente, Notrationen, Wassertabletten, mehrere Stabwaffen, einen Translator und weitere nützliche Kleinigkeiten holte ich aus den Räumen rings um die Zentrale. Ich packte alles zusammen, steckte noch ein Messer ein und sah mich aufmerksam um. Der Logiksektor meldete sich, als ich das leichte Fluggerät des Aggregatgürtels prüfte: Was wird aus Chapat?

    Ich stand da wie vom Donner gerührt. Mitnehmen konnte ich den Kleinen nicht. Ich musste aber damit rechnen, dass ich nicht nur ein paar Tontas wegblieb. Das Baby brauchte Nahrung und Pflege. Solange er sich in seinem Behälter befunden hatte, waren solche Überlegungen unnötig gewesen. Es musste nur dafür gesorgt werden, dass er an ein funktionsfähiges Lebenserhaltungssystem angeschlossen war.

    Das kannst du auch jetzt tun, bemerkte Chapat niedergeschlagen. Es ist nicht angenehm für mich, aber im Augenblick die beste Lösung.

    Ich fühlte mich ziemlich schuldbewusst, als ich den Jungen zu einer Anlage trug, die er mir zeigte. Er beschrieb mir auch die Schaltungen, die ich vornehmen musste. Das Gerät war in Ordnung, ich wusste, dass Chapat im Schutz des Energieschirms so lange sicher war, wie es im Varganenschiff einen Funken Energie gab. Trotzdem gab es mir einen Stich, ihn dort liegen zu sehen.

    Ich kann dich telepathisch um Hilfe bitten, wenn die Anlage ausfallen sollte, versuchte mich mein Sohn zu beruhigen. Beeil dich. Und komm gesund zurück.

    Ich schluckte und legte den letzten Schalter um. Das Feld baute sich auf, Chapat schlief innerhalb weniger Augenblicke ein. Ich überprüfte ein letztes Mal die Kontrollen, dann wandte ich mich hastig ab. Der Sturm hatte sich gelegt. Ein frischer Wind blies gleichmäßig über die Oberfläche des Plateaus. Die dicken Wolken trieben träge vorbei; statt Regentropfen fielen Pollenklumpen herab. Ich watete durch einen zähen, gelbbraunen Brei bis zu den roten Felszacken hinüber, die das Ende der Hochebene markierten. Dann schaltete ich das Fluggerät ein und stieß mich vorsichtig ab, fiel geradewegs in ein quirlendes Wolkenfeld hinein, das aus dem Tal heraufstieg. Ich wirbelte ein paarmal im Kreis, sah eine rissige Felswand auf mich zukommen und klammerte mich fest. Der Sturmplanet war offensichtlich gewillt, seinem Namen Ehre zu machen. Ich musste zusehen, dass ich aus diesem turbulenten Gebiet herauskam, ehe ich mich wieder dem Flugaggregat anvertraute.

    Rechts neben mir zog sich ein schmales Felsband schräg nach unten. Ich hangelte hinüber und atmete auf, als ich festen Boden unter den Füßen spürte. Vorsichtig schlängelte ich mich an den glitschigen Felsen entlang, kroch durch ein System von Spalten und Kaminen und stand nach etwa einer halben Tonta am Rand einer rostfarbenen Felsplatte, die weit aus der Mauer herausragte. Ich ging bis zum Rand, um von hier aus das nächste Wegstück zu erkunden. Als ich mich nach vorne beugte, sah ich direkt unter mir die Überreste einer Flugpflanze.

    Ich prallte zurück und duckte mich hastig. Ganz deutlich hatte ich das Wesen erkannt, das sich abseits des zerfetzten Ballons gegen den Felsen presste. Ich rechnete damit, dass im nächsten Augenblick eine Horde Eingeborener über mich herfiel, und zog vorsichtshalber den auf Paralysatormodus geschalteten Stabstrahler. Aber es regte sich nichts. Als ich mich wieder vorwagte, entdeckte ich auch den Grund dafür. Der Eingeborene war verletzt, wahrscheinlich sogar bewusstlos. Er rührte sich auch nicht, als ich direkt neben ihm auf dem schmalen Vorsprung landete. Es war mir ein Rätsel, warum er nicht längst abgestürzt war – bis ich das feste Seil sah, das sich um den plumpen, schwarzen Körper schlang und in einer kaum fingerbreiten Felsspalte verschwand. Ich musterte den Fremden zweifelnd, wollte ihn nicht einfach hier hängen lassen, denn das würde zweifellos sein Ende sein. Wenn ich ihm helfe, gewinne ich vielleicht einen wertvollen Freund in dieser feindlichen Umwelt.

    Er wird dich nach seinem glücklichen Erwachen zum Häuptling ernennen und mit Belohnungen überschütten, spöttelte der Extrasinn.

    Ich hörte gar nicht hin, wusste

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1