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ATLAN X: Die Rätsel von Assur: Ein ATLAN-X-Abenteuer
ATLAN X: Die Rätsel von Assur: Ein ATLAN-X-Abenteuer
ATLAN X: Die Rätsel von Assur: Ein ATLAN-X-Abenteuer
eBook321 Seiten4 Stunden

ATLAN X: Die Rätsel von Assur: Ein ATLAN-X-Abenteuer

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Über dieses E-Book

Das Jahr 1840 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Seit dem Untergang von Atlantis ist der Arkonide Atlan auf der Erde gestrandet, seit Jahrtausenden versucht er, die Menschheit zu fördern. Eine der Kulturen, in die er seine Hoffnung setzt, entsteht im Zweistromland – es ist das mächtige Assur.
Doch das Reich, das sich zwischen Euphrat und Tigris zu einer Großmacht entwickelt, wird nicht nur von Feinden bedrängt, die ihre Gebiete in der Nachbarschaft aufbauen. Plündernde Weltraumnomaden landen auf der Erde – eine Gefahr, die Atlan und seine Gefährten erst einige Jahre zuvor besiegt hatten.
Gleichzeitig weitet Shinkashid, ein neuer Herrscher, seinen Einfluss im Zweistromland aus. Atlan will herausfinden, auf wessen Seite der junge Fürst steht und was seine Pläne sind …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum11. Juli 2016
ISBN9783845347516
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    Buchvorschau

    ATLAN X - Hans Kneifel

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    Die Rätsel von Assur

    von Hans Kneifel

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    1.

    Das Erwachen des Arkoniden

    Ich spürte, wie mein Bewusstsein unendlich langsam aus der langen, eisigen Schwärze zu mir zurückkehrte. Wieder einmal erwachte ich aus langem Schlaf. Wie lange? Warum war ich geweckt worden? Mehr und tiefergehende Überlegungen ließ mein träger Verstand nicht zu.

    Als ich nach einiger Zeit in der Lage war, meine Umgebung undeutlich wahrzunehmen, einigermaßen richtig zu hören und zumindest lallend zu reden, stand Rico neben dem aktivierten Vibrosessel und berichtete mir, was seit dem ersten Impuls der ES-Tätigkeit, vor mehr als einem Mond, geschehen war. Ich hatte Mühe, obwohl ich seine Worte verstand, den Sinn zu begreifen. Lastende Müdigkeit beherrschte meinen Körper. Meine Gedanken irrten wie flügellahme kranke Vögel durch meinen Kopf.

    Bevor ich wieder einschlief, verstand ich gerade noch: »Die Barke des Schlafes, sang Ne-Tefnacht zur Harfe, hat das sonnenwarme Ufer berührt. ES hat mich euch wecken lassen. Deine schöne Gefährtin, dich, Gebieter, den tapferen Ptah-Sokar und Zakanza-Upuaut, den Öffner der Wege. Einer der unergründlichen Beschlüsse deines kosmischen Beherrschers.«

    »Grund oder nicht. Ich bin wach. ES braucht mich«, hörte ich mich lallen.

    Ich schlief wieder ein. Meine Träume waren wirr, und als ich wieder aufwachte, verwechselte ich sie mit der Wirklichkeit. Ich ließ hilflos die nächsten Schritte des Reanimationsprogramms über mich ergehen, fühlte mich kräftiger, blieb länger wach und würgte unter den bräunenden Strahlen der Solarstrahler die Spezialnahrung herunter. Um meine Sinne zu beschäftigen, spielte Rico arkonidische Musik sowie die der Barbaren ab und überschüttete mich mit Holosequenzen aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Ich sah wachsende und verfallende Städte, kleine Häfen und leere Küsten, schmale Pfade durch leeres Land, Berge, Flüsse und Oasen. Und die riesigen Monde meines letzten Kampfes.

    Nach etwa sieben Tagen, als ich selbstständig gehen konnte und meine Schritte sicher waren, transportierte der Robot mich in die Wärme und Helligkeit einer Illusionskuppel. Ich erinnerte mich sofort an die Bauwerke Ricos, die großen Lehmziegelhäusern in Tameri entsprachen, am Wüstenrand, unter der grellen Sonne, und sah mich erwartungsvoll um. In den Räumen hing noch der Duft von Balsam, Schminke und verschweltem Weihrauch. Wahrscheinlich hatte Ne-Tefnacht sich hier auf das wirkliche Leben vorbereitet. Noch immer hatte ich keine Ahnung, warum ich schon nach knapp acht Jahren Schlaf aufgeweckt worden war.

    Dieser Teil der technischen Versuche entsprang der »Langeweile« des Robots und seinem Bedürfnis nach »Zerstreuung«. Nachdem der arkonidische Hochleistungsroboter die Lautsprecher desaktiviert hatte, herrschte wieder jene wispernde Stille innerhalb der stählernen Zuflucht, die er seit Jahrtausenden gewohnt war. Mit einem winzigen Teil seiner positronischen Kapazität hatte er Bilder gespeichert und bedeutungsarme Gespräche, vielfältige Geräusche und Musik seiner Spionsonde aus einem Hafen an der Zederngebirge-Küste aufgefangen. Der riesige stählerne Organismus des kuppelgekrönten Zylinders am Boden des Meeres funktionierte und lebte ohne Lärm, und dort, wo Maschinen, Konverter und Kraftwerke arbeiteten, waren die Wandungen stark gedämmt.

    Auch in der Werkstatt, in der Rico an einem wuchtigen Arbeitstisch saß, war es ruhig. Da Rico sich seit acht Planetenumläufen vulgo »Jahr« nicht mit der Ausführung von Befehlen seines Gebieters beschäftigen musste, nutzte er die dahintropfende Zeit auch für seine Bedürfnisse. Er hatte mehr als genug Zeit. Ein anderer Teil der Aufmerksamkeit Ricos, dessen Ähnlichkeit mit einem hochgewachsenen Planetenbewohner verblüffend war, richtete sich auf den »menschlichen« Körperteil, der sich waagrecht und ausgestreckt vor den Optiken, dem Zählwerk und verschiedenen anderen Messinstrumenten spannte.

    Der Mechanismus sollte mindestens die gleiche Lebensdauer, aber viel mehr Kraft haben, dazu schnellere Reflexe als der Arm eines kräftigen, geübten Planetariers.

    Zahlreiche kleine Scheinwerfer tauchten einen zwischen den gepolsterten Klammern der Greifer befestigten Arm mit leicht gebräunter Haut in gleißende Helligkeit. Er war vollständig, mit einem kräftigen Handgelenk und ebensolchen Fingern. Unter der Haut der Extremität, die mit braunen Haaren und Poren, einigen kleinen Narben, Adern und Fältchen einer schauerlichen Trophäe glich, verliefen ausdrucksvolle Muskeln. Aus dem Oberarm, an der Stelle, wo er ins Schultergelenk überging, als wäre er glatt durchgetrennt, ragten ein glänzendes Kugelgelenk und ein Bündel fleischfarbiger, dünner Kabel mit goldbedampften positronischen Kontakten an den Enden. Der Arm drehte sich langsam, die Greifer federten. Ebenso langsam bewegte sich auf einer Schiene eine doppelt handgroße Multifeldlinse von den Fingernägeln bis zu den Oberarmmuskeln und fuhr schließlich lautlos zurück.

    Rico kontrollierte jede Pore, jedes Härchen seiner neuen Schöpfung. Nur ein kleiner Teil seiner Gedanken beschäftigte sich mit dem Aussehen des Kunstarms, der wahrscheinlich in absehbarer Zeit in Ricos Körper integriert werden sollte; er war leichter und widerstandsfähiger, die Muskeln arbeiteten selbst unter höchster Belastung schneller und besser, und bis in die Fingerspitzen hinein gehorchte jede Bewegung fast lichtschnellen positronischen Impulsen. Zwanzig Tage lang hatte der Robot an diesem Modell gearbeitet. Die Dauer des Tests hatte Rico auf einen »Mond« programmiert.

    Der Robot, noch mit seinen zuverlässigen »alten« Armen ausgestattet – den letzten aus langen Versuchsreihen seit mehr als 5000 Jahren in der Larsaf-Drei-Zeitrechnung, mit Karbonschaum verkleidet und mit widerstandsfähiger Kunsthaut versiegelt –, schloss die Kontakte des Oberarmgelenks an eine Datenleitung des Zentralrechners an, kontrollierte seine Arbeit und rief das Testprogramm ab.

    Die Stille innerhalb des Überlebenszylinders hätte auf jedes lebende Wesen belastend und einschüchternd gewirkt. Fast lautlos fächelte der Luftstrom aus den Gittern der Umwälzanlage. Obwohl er sich an jede Mikrotonta der vielen vergangenen Jahre erinnerte, waren Stille, Einsamkeit und Bewegungslosigkeit für Rico so gut wie bedeutungslos. Die Zeit verging und strömte an ihm vorbei. Seine Aufgabe war klar definiert: einzig und allein das Überleben und Wohl seines Gebieters zu sichern und dessen Befehle auszuführen. Da Atlan schlief, gab es keine Befehle.

    Der Test begann.

    Lautlos bewegten sich die Teile des Armes. Die Finger krümmten sich, schneller und koordinierter, das Handgelenk winkelte sich ab, Elle und Speiche des Unterarms verdrehten sich, während das Ellenbogengelenk bewegt wurde und sich alle Muskeln spannten. Die Bewegungen wurden schneller, die Instrumente begannen die Belastungen der kleinen und großen Gelenke zu messen, die Greifer folgten jedem Fingerzucken und jeder Muskelanspannung. Rico setzte die Geschwindigkeit herauf und wartete eine Weile, dann verließ er mit leichten, fast tänzelnden Schritten die Werkbank.

    Ein anderer kleiner Teil seiner Aufmerksamkeit beschäftigte sich mit seinem Gebieter und dessen Begleitern. Atlan, Zakanza-Upuaut und Ptah Sokar, die Gefährten riskanter Abenteuer, befanden sich im Kältetiefschlaf, ebenso wie die Frauen. Jede der zahlreichen, regelmäßigen Kontrollen der Anlage seit dem Zeitpunkt des Einschlafens hatte die völlige körperliche Unversehrtheit aller Schlafenden bestätigt. Ne-Tefnacht, Merire-Chemsit und Tatimar lagen reglos in einem anderen Teil der Anlage als die Männer.

    In der Stille dieses Werkstattraums summten und wisperten nur die kleinen Positroniken und der Bewegungsapparat des Kunstarms. Rico warf einen flüchtigen Blick auf das Band des Papyrus, das in glasklarem Kunststoff versiegelt scheinbar für die Ewigkeit eingeschweißt eine der stählernen Wände schmückte. Die Handwerker des alten Hapilandes – viele von ihnen würde man selbst auf Arkon als Künstler feiern – hatten in Hunderten farbiger Zeichnungen, in langen Reihen, durch große Quadrate unterbrochen, mit unendlicher Sorgfalt eindringlich geschildert, wie der Wer-herep-hemut, der Oberste Baumeister Rê-Korach, das Totenmal des Pharao Chnum-Chufu, Snofrus Sohn, plante, entwarf und baute. Rico warf einen Blick auf die Gestalt des Mannes neben Rê-Korach, der in der Bedeutungsperspektive nur etwas kleiner als der Gottherrscher abgebildet war, und verzog sein Gesicht zu einem menschlichen Grinsen.

    Er erinnerte sich mit robotischer Präzision an jeden Augenblick der Bauarbeiten, an die unterste Steinlage, die 440 Ellen maß, an die 2.592.970 arkonidischen Kubikmeter Steinquader, die vielen Jahre der Arbeit, an die Verblendung mit Kalkstein und an die Spitze, die vier Dreiecksflächen mit stark silberhaltigem Gold belegt. Rê-Korach hatte sich der Rechenkünste Rê-Anchors bedient, von dem die Seitenwinkel des Bauwerks mit 51°50’35" festgelegt worden waren.

    Im meisterhaft gestalteten Bildwerk wies Rê-Anchor nur wenig Ähnlichkeit mit ihm, Rico, auf, der während einiger Jahre, meist in der Zeit der Hapischwelle, Rê-Korach beraten und unterstützt hatte. In dem Land, dessen Schönheit sein Gebieter Atlan so liebte, dass er sich freiwillig in den Dienst verschiedener Pharaonen begeben hatte, hinterließ Ricos Tätigkeit die Grundlagen für steinerne Hochbauten von einzigartiger Größe und Schönheit.

    Einige Zentitontas lang verweilten seine Blicke auf den vielen umlaufenden Rampen, den Mannschaften aus Hunderten Figürchen, die Schlitten mit Quadern über glitschigen Sand zogen, auf den hölzernen Konstruktionen, mit deren Kippmechanismus und Seilbündeln die Quader hochgewuchtet wurden, den unzähligen Wasserkrügen und den Schattenleinwänden. Tief in den Speichern seines Positronenhirns spürte er Zufriedenheit darüber, eine selbstgestellte Aufgabe erledigt zu haben; dem größten Sehed-Bauwerk hoch über dem Hapi waren mehr als fünfzehn andere gefolgt, und Totentempel, größere und kleinere, fast über die gesamte Länge des Stroms hapiaufwärts bis hin zum ersten Katarakt verteilt. Schließlich wandte er sich um und verließ die Werkstatt.

    Die riesigen Hologramme oberhalb der Schaltpulte und Terminals zeigten, wie stets, in langsamem Wechsel die Bilder aus den Optiken der Spionsonden. Unhörbar kommunizierte Rico mit dem Zentralrechner. Die Schlafenden waren sicher, sämtliche technischen Einrichtungen des Überlebenszylinders arbeiteten zuverlässig; nirgendwo eine Störung. Stunden, Tage und Nächte an der Oberfläche – nichts hatte sich seit sieben Jahrzehnten geändert. Die Anlage unter der Schutzkuppel schien zeitlos und ewig.

    Der Robot hatte die Oberflächenansichten aller stark besiedelten Gebiete des Planeten gespeichert, kannte einen Teil der Küsten und eine große Auswahl von Inseln, Städten und Flussläufen. Seit er entdeckt hatte, dass die Narbe über Atlans linkem Ohr das Überbleibsel einer Notoperation darstellte, war seine Sorge über das Leben des Arkoniden um eine Zehnerpotenz gewachsen. Die riskante Medorobot-Operation war nach einem lebensgefährlichen Abenteuer auf Krete-Keftiu notwendig geworden.

    Atlan hat bei seinem Versuch, Handelsbeziehungen zwischen den Rômet und dem Minos von Krete herzustellen, nicht daran gedacht, dass er die wichtigsten Stellen der Insel bereits kannte. Er hat, jedenfalls, nicht darüber geredet. Ich werde ihn nach dem nächsten Aufwachen eine Serie von Bildern und Dokumentationen vorspielen.

    Rico rief aus den Speichern des Zentralrechners die entsprechende Datei auf. Seine perfekte positronische Erinnerung entsprach einem unsichtbaren Faden, der sich durch Jahrtausende schlängelte. Die Transformation wirklichen Geschehens in positronische Elementarteilchen machte es ihm unmöglich, sogenannte moralische Bedenken zu empfinden, aber ihm war ein Kode einprogrammiert, der auf das unberechenbare Verhalten der Barbaren und natürlich auf ein Höchstmaß der Überlebenssicherheit seines Gebieters abgestimmt war.

    Er registrierte eine plötzliche Störung in den Speichern der umfangreichen Dateien. Alarmiert schwirrten die Positronencluster durcheinander. Danach – für einen Augenblick jenseits der Berechenbarkeit – fielen die Synapsen in Schockstarre. Rico nahm diese ultrakurze Unterbrechung wahr, aber sein Körper bewegte sich weiterhin voll koordiniert.

    Sein »Verstand« löste sich für einige Augenblicke von den weniger wichtigen Vorhaben, forschte in den Speichern nach, testete die übergeordneten Sicherungen und stellte fest, dass die Speicher partiell gelöscht waren. Leer. Als ob sie nie einen Inhalt gehabt hätten. Der Zugriff auf den Zentralrechner bestätigte Rico augenblicklich, dass kein Systemversagen vorlag.

    Das ist seit dem ersten Jahr nach dem Untergang von Atlantis nur einmal geschehen!

    Gleichzeitig mit dieser Feststellung begann der Robot mit seiner Suche. Die betroffenen Dateien waren fortlaufend gespeichert worden. Fast augenblicklich las er die Inhalte vor und nach den Lücken und erkannte zudem, dass er selbst den Inhalt der Speicher kannte. Er erinnerte sich perfekt, denn weniger als Perfektionismus war ihm nicht möglich. Nur eine Instanz war in der Lage, zum gegenwärtigen Zeitpunkt derartige Eingriffe vorzunehmen.

    »ES. Kein anderer als diese Superintelligenz«, sagte Rico. Seine Worte verhallten unter der Deckenkonstruktion der Halle. »Denn Atlan, der einen ebensolchen Befehl geben kann, schläft tief.«

    Rico fühlte sich in seinem positronischen Kosmos herausgefordert. Er kannte den Einfluss, den ES auf Atlans Leben hatte, angefangen vom Zellschwingungsaktivator und der potentiellen Unsterblichkeit bis hin – aus welchen logischen Gründen auch immer – zu gelöschten Erinnerungen. Niemand kannte seit rund sechs Jahrtausenden den Arkonidenprinzen besser als der Roboter. Die Speicher hatten Szenen, Bilderfolgen und Gespräche, Geräusche und einige Erläuterungen des Arkoniden enthalten. Gelöscht. Getilgt! Erlebnisse Atlans aus den Kämpfen auf Krete, gegen die Monster, die von Wanderer geflohen waren, von der Oberfläche jener Welt, auf der ES seine Experimente betrieb, dann eine scheinbar willkürliche Serie von Erlebnissen in Kemet und Deshret, dem Schwarzen und dem Roten Land der Pharaonen. Tage, Wochen und Monde waren ausgelöscht worden.

    Und dann lief langsam in Ricos Hochleistungs-»Verstand« ein Vorgang an, der sämtlichen positronischen Gesetzmäßigkeiten widersprach. Eine jener eben noch gespeicherten Erinnerungen nach der anderen verblasste, verlor in einem schleichenden Prozess seine Bedeutung und all seine Farben. Eine robotische Version des Bedauerns durchfuhr Rico; der Vorgang glich dem Verlust einiger Teile der Bewegungsapparatur. Kurze Zeit später spürte der Robot, wie an die Stelle der gelöschten Informationen neue Inhalte gesetzt wurden und sich verankerten.

    Befehle von ES!

    Der gesamte Wechsel dauerte nur wenig länger als mehrmaliges Zwinkern von Ricos Lidern über den goldfarbenen Augenlinsen.

    Der Robot blieb stehen, drehte sich herum. Er wirkte unschlüssig. Blitzschnell verging auch dieser Augenblick. Dann gehorchte Rico den Befehlen, wechselte zu einem Terminal und aktivierte die Weckautomatik Ne-Tefnachts. Abermals kurze Zeit darauf fing Rico damit an, die Geräte der Reanimationsphase einzeln zu kontrollieren. Zuerst wählte er aus den Speichern beruhigende Musik des Hapilandes, dann ging er daran, eine der Illusionslandschaften mit jenen Einzelheiten zu programmieren, die der Frau die lange Wiederbelebungsphase erleichtern würden.

    Seine Erinnerungen waren verloren, dieses Wissen blieb ihm. Welche Erinnerungen verschwunden waren, und warum ES so handelte, wusste Rico nicht. Die Befehle dieses Wesens musste er befolgen, die Gründe mochten unlogisch und rätselhaft sein, aber sie führten zu unabänderlichen Vorgängen. Da Atlans Überleben nicht gefährdet war, spürte Rico keine Unruhe mehr. Etwa einen Mond lang würde die Frau seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Was danach geschah, entzog sich seinem Einfluss. Er setzte sich in Richtung auf den Tiefschlafsektor in Bewegung.

    Fünfzehn Tage danach

    Ne-Tefnacht, eineinhalb Köpfe kleiner als Atlan, war die schönste der drei Frauen. Die Rômet, eine Handbreit größer als der Durchschnitt der Frauen am Hapi, mit hellbraunen Augen und tiefschwarzem Haar, das bis zur Mitte des Rückens reichte, hatte den Sprung von ihrer Kultur und an Atlans Seite zur höheren Ebene des Wissens und der Erkenntnisse am leichtesten geschafft; trotzdem hatte sie die reichhaltige Götterwelt ihres Geburtslandes verinnerlicht. Die Haut ihres Körpers und ihr Körper selbst waren makellos, die Haut von hellbraun-sahniger Farbe. Seit Rico ihre große Harfe überholt, mehrere neue Saiten aufgezogen und die Drehwendel erneuert und verbessert hatte, blieb ihr Harfenspiel für jeden Zuhörer ein unvergesslicher Genuss.

    Der Arkonide und Ne-Tefnacht bildeten ein einzigartiges Paar, und zu Rico, für die junge Rômet der Diener und Freund Atlans, der wundersame Dinge vollbrachte, hatte sie ein furchtloses, freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Selbst an die Tätigkeit der maschinenhaften Medorobots und anderer Helfer, Ricos Subrobots, hatte sie sich gewöhnt.

    »Werkzeuge von ES, Hüter des Planeten, Helfer eines unbegreiflichen Wesens«, hatte Atlan vor dem endgültigen Einschlafen gesagt. »Wenn ES entscheidet, dass es wieder an der Zeit ist, wird er uns wecken – warum auch immer.«

    Rico benötigte keine prophetische Gabe; er wusste, wie er zu handeln hatte. Der Vorgang war nicht neu, solche scheinbaren Wunder hatten seine Schutzbefohlenen mehrere Male erlebt. Für Ne-Tefnacht stellte er aus den Magazinen eine Ausrüstung zusammen. Zum Teil stammte sie aus dem Besitz der Rômetfrauen, die sie vor dem Einschlafen mitgebracht hatten. Rico hatte jeden einzelnen Gegenstand geprüft und, wenn nötig, verbessert oder aus arkonidischer Technik ersetzt.

    Von Tag zu Tag wurde die Barbarenfrau kräftiger. Unter den Strahlen der Solarlampen bräunte ihre Haut, die robotischen Massagen und die Vibrationen der Spezialsessel kräftigten die Muskeln, sorgsam zubereitetes Essen und einige Injektionen stabilisierten den Kreislauf. Tefnacht wohnte in einem geräumigen Nachbau eines Lehmziegelhauses am Hapistrom, unter künstlichen Palmen, neben einem gemauerten Teich voller Lotosblüten. Das Gebäude stand in einer Illusionskuppel, die einen Blick in die Dünen der Wüste auf der einen und ins grüne Land auf der anderen Seite vorgaukelte; tagsüber wanderte Rê über den Himmel, nachts funkelten die Projektionen der Sterne und leuchtete der zunehmende Mond.

    Die Frau drängte Rico, Atlan aufzuwecken, und er brauchte eine Menge Ausreden, ihr die Unmöglichkeit zu erklären; er war machtlos gegenüber der unveränderlichen Kraft des Schicksals. Erst als Rico sie in der Zentralkuppel mit Henket bewirtete und ihr die Bilder der Sonden auf dem Riesenhologramm zeigte, gewann sie wieder ihre Unbefangenheit zurück.

    Die Herstellung von zeitgenössischem Bier betrieb Rico in einem seiner halb leeren Magazine. Er verfügte über alles, was er dazu benötigte: sauberes Wasser, verschiedene Zutaten, Energie, Geräte, Kenntnisse und – schier endlos viel Zeit. Geschmacks- und Zusatzstoffe für seine Experimente hatten Atlan und er selbst von der Oberfläche mitgebracht. Nach einigen Dutzenden stark riechender und schäumender Experimente, Änderungen an der Versuchsanordnung, vielen Proben und Atlans Kommentaren stellte Rico ein schmackhaftes, schwach alkoholhaltiges und nährstoffreiches Bier her, das, wenn es unter Luftabschluss kühl gehalten wurde, laut Atlan »ein schäumender Genuss« war, im Gegensatz zu der handwerklich hergestellten trüben Brühe der Barbaren, in der Körnerbruch und Kräuterreste strudelten.

    Auf ähnlich aufwendige Weise machte Rico auch Wein lager- und genussfähig. Trotz seiner vielfältigen Beschäftigungen blieb mehr als genügend Zeit zur Beobachtung eines Teils der Planetenoberfläche und des nahen Weltraums.

    Es gab Geheimnisse auf dem riesigen Planeten der Barbaren. Meist schwebten drei oder vier Spionsonden unermüdlich über die Landschaft der dritten Larsaf-Welt und zeigten die Siedlungen der Menschen ebenso wie die ausgedehnten Flächen der menschenleeren Natur. Rico und, in entsprechender Auswahl auch Atlan, kannten die Züge der Wanderer, unzählige Pfade oder »Straßen«, kleine Siedlungen, die zu Städten anwuchsen und im Lauf von Jahrzehnten oder Jahrhunderten wieder vergingen, zerstört, verlassen oder wieder aufgebaut wurden. Alle dörflichen und städtischen Ballungen entsprachen einem immerwährenden Schema. Aber etliche Bauwerke und ihre blühende Umgebung wichen von diesem Schema ab. Sie verteilten sich über eine unglaublich lange Zeit und über etwa ein Viertel der bewohnten Welt.

    Atlan und sein Robot hatten miterlebt, wie die Große Wüste westlich des Hapistroms, südlich der Kargen Küste, sich aus einer regen- und waldreichen Savanne innerhalb von rund fünf Jahrtausenden entvölkert und in ein Meer aus Sand, Dünen, Geröll und zerfallener Gesteine verwandelte. Sie kannten aber auch die unendlichen Mühen der Menschen, andernorts Kanäle zu graben und dem Boden an unerwarteten Stellen staunenswerte Fruchtbarkeit zu entlocken. Wo wenig oder kein Regen fiel, waren Flusswasser und die sich verzweigenden Wasserführungen meist das Einzige, das die Menschen brauchten, um Städte zu bauen und Kulturen zu entwickeln; am Hapi, Idiglat und Buranun – wo das Gilgamesch-Epos entstanden war –, und wie all die Flüsse und Ströme heißen mochten.

    In einer der zeitlosen Stunden, an einem Tag, der weder natürliches Tageslicht noch Sternendunkel kannte, vor vielleicht einem Jahrtausend, war Atlan eine Besonderheit aufgefallen. Siedlungen rund um das Binnenmeer hatten sich meist, fast immer, an Süßwasserseen oder fließenden Gewässern gebildet. Aber: Bisweilen entstanden Bauwerke abseits dieser Orte, auf Hügeln, bewaldeten Felsen oder mitten im scheinbaren Ödland. Türme waren auf den Bildschirmen zu entdecken, würfelförmige Bauwerke, winzige Ansammlungen, die wie ummauerte Städte wirkten, oder Häuser, die mit der Umgebung zu verschmelzen schienen. Bald breiteten sich um jene Gebäude, die zweifellos nahe eines Brunnens oder einer Quelle standen, grüne Zonen aus, die kreisförmig wuchsen und wucherten, und nach einem Vierteljahrhundert und später standen die Türme inmitten stattlicher Wälder. Bald wimmelte es dort von emsigen Menschen. Weder Atlan noch die Zentrale Positronik konnten in dieser Bautätigkeit ein auffallendes Muster erkennen, weder ein zeitliches noch eines, das sich anders darstellte als das jeder anderen Siedlung. Atlan hatte die Bilder intensiv betrachtet, einige Male, und trotzdem schien ihm am Anblick der Bauwerke etwas zu irritieren.

    Nach 32 Tagen waren die Unruhe und Unsicherheit in Ne-Tefnacht bis zu einem Punkt gewachsen, der auch Ricos Erwartungen geweckt hatte. Die Frage blieb: Was plante ES, und warum? Wiesen die Vorbereitungen auf eine Aufgabe von ungewöhnlicher Schwierigkeit hin? Rico errechnete nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er es bald erfahren konnte. Er versuchte, Ne-Tefnacht zu beruhigen, und sagte ihr, dass ihre Schönheit, Erfahrung und Können so ausdrucksvoll waren, dass sie überall gut überleben konnte – und dass sie Atlan, Zakanza und Sokar wiedersehen würde. Wo und wann das war, blieb ebenso in der dunklen Zukunft verborgen wie vieles andere.

    Rico widmete sich wieder seinen selbstgewählten Aufgaben, der Überwachung der Schutzkuppel und der gewohnten Beobachtung menschlicher Siedlungen, Schiffsbewegungen und Handelskarawanen. Trotzdem war seine Kapazität keinesfalls ausgelastet. Er wartete auf die Aktion des Überwesens.

    Am 34. Tag verschwanden zu einem Zeitpunkt, der am mittleren Buranun der Stunde des Sonnenaufgangs entsprach, die Harfenistin und ihre umfangreiche Ausrüstung plötzlich und spurlos.

    ES hatte gehandelt, wie es der Robot erwartet hatte. Im Sichtbereich von Ricos Sonden tauchte, trotz Ricos schärfster Beobachtung, Ne-Tefnacht nicht mehr auf. Kurz nach ihrem Verschwinden ereilte den Robot der nächste Befehl jenes übermächtigen Fremdwesens: Atlan, Ptah-Sokar und Zakanza-Upuaut mussten geweckt und den umfangreichen Stabilisierungsabläufen unterzogen werden.

    Rico gehorchte augenblicklich.

    2.

    Neue Befehle, Vorbereitungen und Aufbruch

    Noch war ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte. Mein Verstand und mein Körper arbeiteten mit der Langsamkeit – und scheinbar auch den Geräuschen – eines großen Schöpfrades. Mit Rico diskutierte ich seinen Aufenthalt im Land am Hapi, wo er beim Bau des Totenmals von Chnum-Chufu mit technischen Ratschlägen und den Ergebnissen angewandter Mathematik geholfen und die große Rolle aus Shafadu-Papyrus mit dem Beweis seiner Taten mitgenommen, in Kunststoff versiegelt und in einer seiner Werkstätten aufgehängt hatte.

    Der Logiksektor kommentierte kurz: Unfassbar! Rico lehrt die Rômet, wie einzigartige Großbaustellen einzurichten sind!

    Ich grinste, zuckte mit den Schultern und widmete mich wieder dem intensiven Betrachten der Schiffe auf dem Buranun, die auf dem Weg nach Nippur und Babili waren. Neun Monde lang hatten wir uns hauptsächlich in diesem Teil der Welt aufgehalten; hier lebte auch – hoffte ich – der »Händler des Überflüssigen« Mikaylu, auch er acht Jahre älter und wahrscheinlich reicher als der König von Assur.

    Als ich mich im winzigen Garten, im Schatten von Palmwedeln, in einem Sessel aus Schilfgeflecht niederließ und in die Projektion der Wüstendünen hinaussah, mit Blicken den scharfgeschwungenen Graten der Sandberge folgte, hörte ich Stimmen und leises Gelächter.

    Ich wartete geduldig, mit einem Maximum an Passivität, die mich erheblich verärgerte. Was plante ES? Sollte ich wieder gegen seine Geschöpfe kämpfen? Waren fremde Raumfahrer auf dem Planeten gelandet? War endlich eine Arkonflotte im Anflug, um mich abzuholen? Wo hielt sich Ne-Tefnacht

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