Woröm hitt dat so? Klänne Baalsche Sprookleer: Grammatik des niederfränkischen Dialekts der Grafschaft Moers am Beispiel der Baerler Mundart
Von Othmar Fiedler
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Über dieses E-Book
Der stürmische Wandel der Zeit- und Lebensumstände hat weithin auch die Sprachkultur erfasst und damit zugleich auch den Fortbestand des hohen Kulturgutes lokaler Mundarten, wie hier z.B. des Grafschafter Platt, in zunehmendem Maße gefährdet.
Platt wird fast nur noch von der älteren Generation gesprochen, aber auch sie wendet es im Alltag immer seltener an. Die einheimische plattdeutsche Mundart droht in Vergessenheit zu geraten; schon heute ist die allgemeine Umgangssprache der Regiolekt des Ruhrgebiets (‚Ruhrisch’), der zwar noch niederdeutsche Elemente enthält, aber im Wesentlichen doch Hochdeutsch ist. Diese Entwicklung ist zwar bedauerlich, aber kaum mehr aufzuhalten. So ist der Hauptgrund für diese Grammatiksammlung öffentlicher Art: Sie soll den heutigen Bestand dokumentieren und vor dem Vergessen bewahren.
Othmar Fiedler
Othmar Fiedler, geboren 1935 in Wanne-Eickel, ist pensionierter Studiendirektor. Nach seinem Abitur studierte er Romanische Philologie und Geographie in Marburg, Montpellier und Freiburg. Er schloss sein Studium 1960 mit dem Staatsexamen ab. 1974 zog er mit seiner Familie nach Baerl, das zu diesem Zeitpunkt noch ein Ortsteil der niederrheinischen Gemeinde Rheinkamp war und 1975 nach Duisburg eingemeindet wurde. Sein großes Interesse an Sprache und Fremdsprachen lockte ihn auch, sich mit der heimischen Baerler Mundart zu beschäftigen. Private Freundschaften, der Mundartchor Baalsche Kraien, sowie seine außergewöhnliche Sprachbegabung führten dazu, dass er den Baerler Dialekt erlernte. Für den Mundartchor komponierte er darüber hinaus Lieder und Chorsätze in Baerler Platt. Diese Erfahrungen systematisierte er über einen längeren Zeitraum. Die nun vorliegende Grammatik ist das Ergebnis seiner persönlichen Beobachtungen und seines wissenschaftlichen Interesses zugleich. Othmar Fiedler hat mit seiner Frau Gisela zwei erwachsene Töchter und lebt heute noch in Duisburg-Baerl.
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Woröm hitt dat so? Klänne Baalsche Sprookleer - Othmar Fiedler
Literaturverzeichnis
A Das Baerler Platt
Das Baalsche Platt ist die Mundart des Dorfes Baerl am Niederrhein, bis 1974 Bestandteil der Gemeinde Rheinkamp, ab 1975 eingemeindet zu Duisburg als Duisburg-Baerl. Historisch war Baerl immer ein Bestandteil der Grafschaft Moers bzw. des späteren Kreises Moers; trotz der Eingemeindung nach Duisburg sind die Beziehungen zu Moers immer noch wesentlich bedeutender als die zu Duisburg.
Das Baerler Platt ist daher eine lokale Variante der Grafschafter Mundart der alten Grafschaft Moers. Diese ist einzuordnen in das Niederfränkische, das zusammen mit dem Niedersächsischen das Niederdeutsch, das eigentliche Plattdeutsch, bildet in deutlicher Abgrenzung zum Hochdeutschen.
Das Baerler Platt hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Niederländischen, es wäre aber falsch zu sagen, das Grafschafter Platt sei ein niederländischer Dialekt, da beide Sprachformen Teile des Niederfränkischen sind. In den Niederlanden hat das Niederfränkische sich seit etwa 1200 zu einer eigenständigen Schriftsprache entwickelt, zunächst in seiner Brabantisch-flämischen Form, ab 1585 dann verstärkt auf der Grundlage der holländischen Dialekte, besonders des Dialektes von Amsterdam, zur heutigen Amtssprache, dem Algemeen Beschaafd Nederlands (allgemeines gebildetes Niederländisch).¹
Das Niederfränkische teilt sich in Westniederfränkisch und Ostniederfränkisch; das Grafschafter Platt gehört zum Ostniederfränkischen, zu dem auch der Limburgsche Dialekt gehört, der entlang der Maas bis nach Belgien hinein gesprochen wird. Der Übergang zu den in Deutschland gesprochenen niederfränkischen Mundarten ist fließend.
Das Westniederfränkische umfasst die holländischen und die brabantisch-flämischen Mundarten. Die Grenze zwischen West- und Ostniederfränkisch verläuft noch auf niederländischem Gebiet westlich der Maas, entlang der Diest-Nimwegen-Linie. Westlich dieser Linie sagt man houden, koud, östlich halden, kald (halten, kalt). Die östlich dieser Linie gesprochenen Mundarten nennt man
Im Osten wird das Niederfränkische östlich des Rheins durch die Rhein-Issel-Linie vom Westfälischen abgelöst, das zum Niedersächsischen Sprachbereich gehört: Östlich dieser Linie bilden die Verben einen Einheitsplural wi maket, ji maket, sie maket gegenüber wej maken, gej mak, sej maken. Im Süden wird das Rheinmaasländische begrenzt durch die Benrather Linie (maken/machen), die den Übergang zum Hochdeutschen, hier zum Ripuarisch-Mittelfränkischen, bildet. Unterteilt wird das Rheinmaasländische durch die Uerdinger Linie (ik/ich); südlich dieser Linie finden sich Übergangsdialekte zum Hochdeutschen, wozu das Limburgsche, die Mundartformen von Mönchengladbach, Viersen bis hin nach Düsseldorf gehören und auch der im Süden an den Sprachbereich des Grafschafter Platts, in den auch das Baalsche Platt fällt, anschließende Nachbardialekt
Das Krieewelsch, das sich im Süden an das Platt der Grafschaft Moers anschließt und südlich der Uerdinger Linie liegt, weist in der Grundstruktur noch wesentliche Bestandteile des Niederdeutsch-Niederfränkischen auf; manche Sätze sind in beiden Dialekten fast gleich:
Obwohl der zweite Beispielsatz in beiden Formen sehr ähnlich ist, zeigt er doch in der Krefelder Form erste Übergänge zum Hochdeutschen:
-k> ch:ek > ech
-d- > t:Mooder > Motter, ebenso: Vaader > Vatter
Weitere Beispiele für den Übergang zum Hochdeutschen:
Diese Entwicklung hat sich im Schriftdeutschen nicht durchgesetzt, ist aber typisch für das im Kölner Raum gesprochene hochdeutsche Mittelfränkisch (Ripuarisch). Dazu kommt eine Veränderung der Sprachmelodie, die stärker zum „Singen" tendiert (vgl. den Kölner Dialekt). Andere Entwicklungen finden sich noch nicht im Krefelder Dialekt, so dass er in der Hauptsache noch zum Niederdeutschen gerechnet wird:
Das Baerler Platt ist also, wie das Niederländische, eine niederfränkische Mundart der Niederdeutschen Sprache (Plattdeutsch). Während jedoch das Baerler Platt auf der Stufe eines Dialektes stehen geblieben ist, hat sich das Niederländische auf der Basis des Westniederfränkischen auf Grund anderer soziologischer und politischer Bedingungen zu einer selbständigen Hochsprache entwickelt.
¹ Hieraus hat sich in Südafrika seit Beginn der holländischen Besiedlung (1662) eine weitere Schriftsprache entwickelt, das Afrikaans (ursprünglich ‚Kapholländisch’ genannt).
² Im 12. Jh. hatte das Rheinmaasländische eine literarisch wichtige Schriftsprache entwickelt; heute ist nur das Limburgische einigermaßen normiert, die weiter östlich davon gesprochenen Mundarten bleiben im Wesentlichen auf der Stufe von nicht normierten Dialekten.
³ Zitiert aus: Hausmann/Hausmann/Versteegen: Krieewelsch op de Reeh jebreit.
⁴ a.a.O.
B Laute, Phoneme, Rechtschreibung
Jedes Wort einer Sprache besteht aus Lauten, die in unterschiedlicher Zusammensetzung zunächst Silben und dann Wörter ergeben. Nicht alle Laute dienen zur Unterscheidung von Wörtern, daher ist es auch nicht nötig, dafür verschiedene Buchstaben zu benutzen. So fasst das K drei Laute zusammen, da es unterschiedlich gesprochen wird, je nachdem, ob ein a (Kante), ein i (Kind) oder ein u (Kunde) folgt; ähnlich ist es beim ch, das je nach Stellung anders gesprochen wird (ach >< ich), aber keinen Wortunterschied herbeiführt. Ein Bündel verwandter Laute, in einem Zeichen zusammengefasst und mit wortunterscheidender Funktion ausgestattet, nennt man Phonem. Ob es sich um ein Phonem oder nur um eine lautliche Variante handelt, kann man am besten bei Gegensatzpaaren erkennen, z.B. wach und Fach, die beide mit einem Reibelaut beginnen, der aber einmal stimmhaft (w) und einmal stimmlos (f) gesprochen wird und dadurch zwei völlig unterschiedliche Wörter bildet.
Das Phonemsystem des Baerler Dialektes ist umfangreicher als das des Hochdeutschen, so dass es zu Schwierigkeiten führt, die korrekte Aussprache durch ein gewohntes Schriftbild wiederzugeben, ohne weitere Hilfsmittel zu benutzen (Akzente usw.).
Das System der Vokalphoneme unterscheidet die Vokale nach der Länge (kurz >< lang) und nach dem Grad der Öffnung (geschlossen >< offen)⁵. Hierbei hat das Hochdeutsche ein regelmäßiges Grundschema: Kurze Vokale sind offen, lange Vokale geschlossen zu sprechen (kann >< Kahn; Bett >< Beet; still >< Stiel, Wonne >< wohne, muss >< Mus). Eine Ausnahme bildet nur das e, das lang sowohl geschlossen als auch offen existiert, dann wird es meist mit ä geschrieben (bete >< bäte). Daneben gibt es noch gerundete Vokale, die mit runden Lippen gesprochen werden: ö und ü, auch diese werden nach Öffnung und Länge unterschieden, wobei es im Hochdeutschen kein langes offenes ö gibt.
Das phonologische System der Grafschafter Mundart und damit des Baerler Platts ist in dem Zusammenhang wesentlich reichhaltiger; hier zunächst eine Übersicht der Vokalphoneme:
Erläuterungen zur Tabelle:
Mus = Maus, Muus = Grünkohl, os = uns, Noot = Nuss, Oss = Ochse, Oos = Aas, Mann = Mann, Maan = Korb, stell = still, Steel = Stiel, stäken = stechen, prääken = predigen, Liv = Leib, liew = lieb, et früss = es friert, Müüs = Mäuse, ek bön = ich bin, Böön = Seitensöller (vgl. Bühne), Dröppken = Tröpfchen, Drööp = Tropfen (Mehrzahl), de = die, Nobber = Nachbar.
Die kursiv und unterstrichen dargestellten Phoneme gibt es im Hochdeutschen nicht.
Der Unterschied zwischen geschlossenem und offenem i, u, a ist nur gering und spielt im phonologischen System des Baerler Dialekts keine wortunterscheidende Rolle.
Mittelzungen-e kommt nicht in betonten Silben vor; es wird auch als dumpfes e bezeichnet. (vgl. hochdeutsch: Straße)
Mittelzungen-er ist ein dem Mittelzungen-e ähnlicher Laut, jedoch mit einer schwachen Andeutung eines Zäpfchen-r. (vgl. hochdeutsch: lieber⁶)
Hochdeutsche Beispiele:
Auch die Anzahl der wortunterscheidenden Diphthonge (Zwielaute) ist größer als im Hochdeutschen, wo es nur vier Diphthong-Phoneme gibt: /ai/, /au/, /oi/, /ui/ (ai, ei; au; eu, äu; ui⁷). Die Abgrenzung gegeneinander ist im Baerler Dialekt schwieriger, da einige in der Aussprache schwanken: häj/hai (er), koupen/kaupen (kaufen) u.a.m., so dass hier die Unterscheidung zwischen Laut und Phonem unscharf ist. Besonders problematisch ist die Differenzierung von /äi/ und /ei/; auch die bisher übliche Orthographie schwankt stark. Es gibt folgende Diphthonge:
Die Mitlaut-Phoneme sind im Vergleich zum Hochdeutschen weniger auffallend. Da jedoch der Grafschafter Dialekt die hochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht hat, fehlen einige Phoneme (z.B. /pf/) oder sind in der Verteilung sehr viel seltener (/ts/).
Wie im Hochdeutschen tritt auch im Grafschafter Platt am Wortende eine Mitlautverhärtung ein, sodass -b, -d, -v/w, -s auslautend wie -p,- t, -f, -ss gesprochen werden: Liv, Livken (Leib, Leibchen) wie /Lif/, /Lifken/, dörw (darf) wie /dörf/, ek höbb (ich habe) wie /ek höpp/, Gaad (Garten) wie /gaat/. Entsprechernd wird auch das -g am Wort- oder Wortteilende wie -ch gesprochen: Lekkeregkejt (Wohlgeschmack) /Lekkerechkäit/. Auch am Wortanfang hat g- einen Anklang zum ch- hin, so wird z.B. gej (ihr, Sie) fast wie /chej/ gesprochen.
Das s- am Wortanfang ist immer stimmhaft.
Das j- kann silbeneinleitend stehen, kann aber auch, nach einem Vokal bzw. Diphthong, als kaum hörbarer Gleitlaut gebraucht werden: Joor [jọ:r], bleujen [blǒijŏn].
Die in den vorliegenden Texten im Grafschafter Platt verwendete Rechtschreibung ist nicht einheitlich. Sie versucht meistens, die Lautung einigermaßen wiederzugeben, ohne zusätzliche Zeichen zu verwenden. Das kommt zwar dem ungeübten Leser entgegen, die Genauigkeit der Wiedergabe bleibt jedoch auf der Strecke. So ist es besonders bei den Vokalen schwierig zu unterscheiden, ob der Laut offen oder geschlossen gelesen werden soll: Noot kann auf diese Weise mit geschlossenem o gelesen werden, dann heißt es Nuss, dagegen mit offenem o gelesen bedeutet es Naht. Dasselbe Problem besteht bei den kurzen Vokalen o und ö: os mit geschlossenem o heißt uns, unser. dagegen Oss mit offenem o Ochse; schöppen mit geschlossenem ö heißt schaufeln (vgl westdt. Schüppe), dagegen schöppen mit öffenem ö schöpfen. Etwas einfacher ist es beim e, weil zusätzlich der Buchstabe ä verwendet werden kann. So steht e/ee bei geschlossenem e (Kend = Kind, Veej = Vieh), ä/ää dagegen bei offenem e (wärr = wieder, Wäär = Wetter). Trotzdem wird der Ungeübte Kend meist mit kurzem, offenem e lesen: Känd, wie das hochdeutsche (er) kennt.
Eine Hilfe dabei mag sein, dass
das kurze, geschlossene e oft einem hochdeutschen, kurzen i (Kend <> Kind),
das kurze, geschlossene ö oft einem hochdeutschen, kurzen ü (Stök <> Stück),
oder i (ömmer <> immer)
das kurze, geschlossene o oft einem hochdeutschen, kurzen u (Hond <> Hund) entspricht.
Weniger Schwierigkeiten gibt es bei der Darstellung der Länge: Es wird grundsätzlich das Prinzip der Verdoppelung angewandt, das dem Niederfränkischen nicht geläufige Dehnungs-h wird vermieden, z. B. Iserbaan (Eisenbahn), Scheenen (Schienen), woor (wahr), Fuur (Ackerfurche, Futter), das gilt auch für lange Umlaute: Fäären (Federn), Pööt (Pfoten), Füüt (Füße).Nur beim langen i wird - wegen leicht möglicher Verwechslungen, besonders in der Handschrift, mit dem ü -die Dehnung mit dem angehängten e (also ie) beibehalten¹⁴: fieren (feiern).
Lediglich bei der Entscheidung, ob es sich um einen langen oder einen kurzen Vokal handelt, schwankt die Orthographie, je nach Satzzusammenhang heißt es manchmal Dag, manchmal Daag:
Et Läwen ös nit jeden Dag wi me et höbbe well…
- Das Leben ist nicht jeden Tag wie man