Mehrsprachigkeit und die Frage nach der 'doppelten Identität': Ein Diskussionsansatz
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Über dieses E-Book
Zum Schluss des Essays fließen noch die Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Studie bei mehrsprachigen Sprechern des Japanischen und Deutschen ein. Der vorliegende Essay basiert auf einer Diplomarbeit an der Philippsuniversität Marburg.
4. überarbeitete Auflage
Wolf Hannes Kalden
Geboren 1977 in Wetter (Hessen), studierte der Autor Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, sozialwissenschaftliche Japanologie sowie Deutsch als Fremdsprache an der Universität Marburg. Kalden-Consulting wurde 2007 als Beratungsfirma gegründet, legt aber mittlerweile den Schwerpunkt auf der Förderung von Nachwuchswissenschaftlern durch Publizierung ihrer Arbeiten.
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Buchvorschau
Mehrsprachigkeit und die Frage nach der 'doppelten Identität' - Wolf Hannes Kalden
Inhaltsverzeichnis
Sprache, Kultur und Identität
Mentalstruktur und Mehrsprachigkeit
Das mentale Lexikon im monolingualen Gehirn
Das mentale Lexikon im mehrsprachigen Umfeld
Mehrsprachigkeit und Identität – ein theoretischer Ansatz
Wortassoziationstest bei Mehrsprachigen Japanisch-Deutsch
Testmethoden
Probanden
Durchführung der Testreihe
Zusammenfassung der Ergebnisse
Von Test und Theorie
Anhang
Wortassoziationsexperiment: Reihenfolge der Stimuli-Wörter
Wortassoziationsexperiment: Ergebnisse sortiert nach Probanden
Literatur- und Quellenverzeichnis
Japanische Namen werden in der in Japan üblichen Reihenfolge (erst Familienname, dann persönlicher Name) geschrieben. Die Schreibweise japanischer Begriffe folgt einer modifizierten Hepburn-Umschrift (mit Ausnahme mancher Autoren bei denen die Schreibweise ihrer Namen verwendet wird, unter der sie in Katalogen etc. zu finden sind). Es gilt ferner zu berücksichtigen, dass im Japanischen Wörter nur eingeschränkt flektiert werden.
Hinsichtlich der Zitierweise ist anzumerken, dass reine Literatur- oder Quellenangaben direkt im Text genannt werden, ausführlichere Anmerkungen aber als Fußnote eingefügt sind.
Auch wenn im Deutschen Überbegriffe wie ‚der Student’ oder ‚der Pro-band’ bzw. im Plural ‚Studenten’ bzw. ‚Probanden’ gleich lautend mit den rein maskulinen Formen sind, beinhalten sie doch keine geschlechtliche Wertung. Ein Nachgehen der Frage, ob zur Wiedergabe eines Gattungsbegriffs wirklich maskuline Formen herangezogen werden oder ob es sich ‚lediglich’ um hierzu homophone Formen handelt, erscheint interessant.
Sprache, Kultur und Identität
In der heutigen Welt, in der das soziale Umfeld eines Menschen zunehmend multikultureller und -lingualer wird, stellt die Fähigkeit, in verschiedenen Sprachen kommunizieren zu können, unzweifelhaft einen Vorteil dar. Jedoch wurde Plurilingualität¹ – insbesondere hinsichtlich der ‚anderen’ kulturellen Inhalte, welche beim Spracherwerb mit übermittelt werden – nicht immer als Segen betrachtet. Lange Zeit stand die gesellschaftspolitische Frage im Raum, ob multilinguale Menschen, deren Sprachen aus verschiedenen Kulturräumen entstammen, Probleme haben könnten, eine eigene Identität herauszubilden. Hintergrund dieser Auffassung ist ein ethnozentrischer Ansatz², welcher die Einheit von ethnischer, kultureller und sprachlicher Identität postuliert und in seiner extremen Ausprägung eine multiethnische oder multikulturelle Gesellschaft ablehnt. Monokulturalismus war als Erbe der Nationalstaaten ein Dogma, dessen Umsetzung als fundamental und sinngebend erachtet worden ist (vgl. Taylor 2006: 203). Dabei wurde die imaginäre Gefahr gesehen, dass Einflüsse verschiedener Kulturen die Ausbildung einer individuellen Identität – selbstverständlich einer von der das Individuum umgebenden Gruppe akzeptierten Identität – beinträchtigen oder gar verhindern könnten. Hinter dieser kritischen Sichtweise im Stil eines soziokulturellen Ansatzes steht die Sorge, Kindern könne es erschwert werden, eine nationale, kulturelle oder ethnische Identität zu entwickeln.
Ein negativer Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung, resultierend aus einem zweisprachigen oder multikulturellen Umfeld, konnte allerdings auch bei bilingual aufgewachsen Kindern nicht festgestellt werden und mit der Zeit kam es dazu, dass Mehrsprachigkeit eher als Vorteil angesehen wurde, um sich in einer zunehmend globalisierten Welt besser zurecht zu finden, in der Gesprächspartner nicht mehr unbedingt der gleichen Muttersprache angehören. Somit wird Mehrsprachigkeit weitgehend wertfrei als Wahlmöglichkeit gesehen, zwei (oder mehr) Sprachen respektive Dialekte oder Sprachstile, die sich in ihrer Phonetik, ihrem Wortschatz und ihrer Syntax unterscheiden, zur Konversation verwenden zu können (vgl. Definitionen von Votaw 1992:299; Taylor 1976:239 oder Claus-Ehlers 2006:70), wobei nicht ausgeschlossen wird, über das reine Werkzeug hinaus, sich mit beiden Sprachgruppen zu identifizieren.³ Allerdings ist die Fähigkeit, in mehreren Sprachen Konversation betreiben zu können, nicht gleichzusetzen mit einer äquivalenten Verwendung beider Sprachsysteme, welche sich, wenn überhaupt, wohl nur bei Sprechern findet, die von frühester Kindheit an in beiden Sprachwelten aufgewachsen sind (vgl. Miyake o. J.:70). Bei den meisten Bilingualen wird eine der Sprachen präferiert, was sowohl an einem unterschiedlich hohen Sprachniveau der beiden Sprachen liegen kann, als auch an den Gegebenheiten des sozialen Umfelds der Sprecher. Eine solche eingeschränkte Verwendung einer Sprache zeigt sich laut Literatur beispielsweise bei Katalanen, welche häufig die Verwendung des Katalanischen auch dann vermeiden, wenn die Gesprächspartner dies verstehen könnten, oder bei US-Amerikanern lateinamerikanischer Abstammung, welche, auch wenn sie Spanisch und Englisch sprechen, die vermische Variante des Soziolekts Spanglish vorziehen (Votaw:1992:299). Ein dritter Grund für eine unterschiedliche Verwendung zweier Sprachen ist sprachimanent, denn nicht alles lässt sich mit jeder Sprache auch ausdrücken. Bekannt sind Beispiele wie im Deutschen ‚Schadenfreude’ und ‚Zeitgeist’ oder im Japanischen ‚mono no aware’⁴, welche sich nur schwer oder gar nicht in andere Sprachen übersetzen lassen (vgl. Taylor 1976:294). Aber auch Farbkonzepte variieren von Sprache zu Sprache: Beispielsweise traf das klassische Griechisch keine Unterscheidung zwischen ‚blau’ und ‚schwarz’ und andere Sprachen wie Fon oder Ngbaka-ma’bo kennen keine von Objekten losgelösten Farbkonzepte (Pavlenko 2005:438443). Taylor (1976:296) zitiert eine Studie von Bornstein, wonach 50 von 150 Gesellschaften keine Unterscheidung von ‚Grün’ und ‚Blau’ kennen. Dem Hindi fehlt es an ‚grau’ und monolinguale Sprecher weisen in Zerebralstudien auch keine Aktivität des zur Erkennung dieser Farbe typischen Gehirnareals aus.⁵ Erst bilinguale Sprecher (Hindi-Englisch) zeigen Ansätze einer für Englischmuttersprachler typischen Aktivität. Navaho-Englisch-Bilinguale zeichnen sich durch Farbkategorien aus, die weder für monolinguale Muttersprachler des Englischen noch des Navaho typisch sind, sondern formen ein eigenes System (siehe Pavlenko 2005:439-439).
An diesen Beispielen zeigt sich, dass Sprache nicht ein rein kommunikatives Werkzeug darstellt und dass Sprachvermittlung mehr ist, als nur die reine Vermittlung eines kommunikativen Instruments (vgl. Hu 2003:6). Sprache formt ihr kulturelles Umfeld und wird zugleich von diesem in ihren Strukturen festgelegt. „Mentale Strukturen sind verinnerlichte soziale Strukturen" (Bourdieu 1993:93; vgl. auch Miyake o. J. a:89), welche neben biologischen Faktoren menschliches Verhalten beeinflussen sowie Denkstrukturen und somit Sprache prägen.⁶ Dieser kulturelle Einfluss lässt sich dabei bis auf die erwähnten Unterschiede in der Wahrnehmung physikalischer Gegenstände, wie beispielsweise Farben, sowie phonetische Lautbildungen verfolgen und weicht lediglich bei „reflexartigem Verhalten" dem biologischen Determinismus (vgl. Trommsdorf 2003:154+157), was der bereits von Humboldt erkannten linguistischen Relativität entspricht.
Diesem Einfluss der kulturellen Umgebung respektive des sozialen Umfelds auf die Denkstrukturen und damit die Sprache trugen Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir in ihrer oft diskutierten Hypothese Rechnung. Whorfs und Sapirs Untersuchungen an Sprechern der Hopi-, Navajo- und Tamilen-Dialekte zufolge sind Personen in ihren mentalen Strukturen ‚Gefangene’ dessen, was ihre Sprachen auszudrücken vermögen. Dabei beeinflusst die Sprache stark das Verhalten und das Denken einer Person (vgl. Pavlenko 2005:434-435;