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Kastanienallee
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eBook212 Seiten3 Stunden

Kastanienallee

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Über dieses E-Book

Gerd Peter Währum wurde 1935 als Sohn eines Bauingenieurs in Gießen geboren und kam schon als Zweijähriger nach Kiel, weil sein Vater bei der damaligen zivilen Kriegsmarine Arbeit fand. Der Autor ist verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und lebt immer noch in der Nähe der Landeshauptstadt.
Der Autor beschreibt in seinem Roman eine Familie, die während des 2. Weltkrieges in unmittelbarer Nähe eines Gutes lebt. Der Gutsbesitzer behandelt nicht nur sie, sondern alle, die für ihn arbeiten, wie seine Leibeigenen. Als Mitglied der SA findet er dabei die Unterstützung der Nazis. Aber der Sohn der Familie weiß, sich gegen diesen Despoten zu wehren. Er muss dabei einen schweren Weg gehen. Fleiß und Begabung bringen ihn dabei auf eine Idee, die seinem Leben eine glückliche und erfolgreiche Wendung geben.
Der Autor wuchs während des Krieges auf und hat einiges, was er selbst erlebte und was ihm sein um zehn Jahre älterer Bruder erzählte, in seinen Roman mit einfließen lassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Sept. 2013
ISBN9783732259953
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    Buchvorschau

    Kastanienallee - Gerd Peter Währum

    Kastanienallee

    Wie alles begann

    Manaus.- Oft denke ich an Manaus. In den 60er Jahren für mich eine geheimnisvolle Stadt.

    Genau wie vor über dreißig Jahren liege ich jetzt im Schaukelstuhl vor dem Kamin in meinem Haus, damals auf der Veranda von Don Alfredo.

    Wie es dazu kam?

    Mit 25 Jahren stand ich kurz vor meinem Examen für Anglistik und hatte außerdem einige Semester Französisch und Spanisch studiert, als ich in der Zeitung eine kleine Anzeige des überregionalen Blattes las: „Volontär gesucht." Sofort machte ich mich auf den Weg zur Redaktion; denn mir war das Geld ausgegangen, und ich hatte Schulden bei Karin, meiner Freundin.

    Ungestüm trat ich in die Redaktion, stellte mich vor und fragte gleich nach dem Chefredakteur. Ich war sehr aufgeregt und sagte, ich hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Man komplimentierte mich erst einmal in ein Zimmer, mit der Bitte, einen Augenblick zu warten, ich würde gleich vorgelassen. Schon nach 10 Minuten verließ ich ungeduldig den Raum und lief unbemerkt den schmalen Gang mit den zahlreichen Türen links und rechts entlang und fand endlich, was ich suchte, eine mit dem Namensschild „Dr. Manfred Schröder. Ich klopfte. Ein energisches „Herein war die Antwort. „Mein Name ist Sebastian Schneider, und ich möchte am liebsten heute noch bei ihnen als Volontär anfangen, sagte ich und legte ihm gleichzeitig meine Papiere auf den Schreibtisch. „Wer schickt Sie? „Sozusagen ich selbst, entgegnete ich und fuhr fort: „Ich wollte ihre Mitarbeiter nicht bei der Arbeit stören.

    Dr. Schröder schüttelte mit leicht geöffnetem Mund den Kopf und sagte kurz: „Nehmen Sie Platz. Er studierte eingehend meine Zeugnisse und Scheine, während ich ihm dabei meinen Lebenslauf schilderte. Ab und zu holte er mit dem Zeigefinger etwas Spucke von seiner wulstigen Lippe, um die Seiten meiner Unterlagen zu wenden. Dann telefonierte er: „Machen Sie einen Anstellungsvertrag für Herrn Sebastian Schneider fertig. Er kommt gleich zu Ihnen.

    Ich hatte während meiner Studienzeit oft Jobs annehmen müssen, jedoch so schnell ging es bei keiner Vorstellung. Später, nach Jahren, als ich mich mit Dr. Schröder anfreundete, und wir uns duzten, meinte er zu unserer ersten Begegnung: „Diese Chance, einen so stürmischen und frechen Kerl einzustellen, wollte ich mir nicht entgehen lassen."

    Schon am nächsten Morgen saß ich auf dem Sozius einer Vespa und hielt mich krampfhaft an meinem Kollegen fest, um mich auch gleichzeitig zu wärmen, denn es war für die Jahreszeit viel zu kalt. Ich trug leichte Kleidung und ahnte nicht, dass so mein erster Tag beginnen würde.

    Wir fuhren über Land und erreichten nach einer halben Stunde ein in der Nacht niedergebranntes Gehöft. Zahlreiche Gaffer standen herum; und die Feuerwehr war gerade im Begriff, ihre Löschfahrzeuge abzuziehen, ließ jedoch eine Wache, bestehend aus zwei Uniformierten, zurück. Mein Partner hielt ihnen seinen Presseausweis vor die Nase und stellte zugleich den beiden Fragen. Sie gaben bereitwillig Auskunft, war es doch für die freiwillige Wehr vor Ort, so berichteten sie, seit einem Jahr ihr erster Einsatz und damit auch ihr erstes Interview. Sie fühlten sich geschmeichelt.

    Nach zehn Minuten preschten wir davon und hielten an der nächsten Telefonzelle. Dort gab Walter, so hieß mein Partner, seinen Bericht an die Redaktion weiter mit dem Hinweis, die Fotos dazu würde er später vorbeibringen. Wir erhielten sofort einen neuen Auftrag und fuhren zurück in die Stadt.

    Dort in einem Mietshaus, umstellt von Polizisten, fand gerade ein Familiendrama statt. Keiner durfte in das Gebäude, weder hinein noch heraus. Aber Walter kannte die Beamten, einen sogar beim Vornamen, wechselte ein paar Worte mit ihm, packte mich am Ärmel und schon stiegen wir die Treppe des verwahrlosten Hauses empor. Der Polizist rief uns noch nach: „Keine Photos!"

    In der Küche der Wohnung erwartete mich zum ersten Mal die brutale Wirklichkeit eines angehenden Reporters: Eine Frau mittleren Alters lag tot mit dem Rücken auf dem schmutzigen Terrazzoboden. Ihr Gesicht war zu einer brutalen Fratze entstellt. Sie trug eine Schürze, darunter eine kurzärmlige Bluse, die ihre wohlgeformten Arme freiließen. Der Oberkörper der Toten war mit Blut getränkt. Zwei in weiß gekleidete Beamte der Spurensicherung, mit Mundschutz und Latex-Handschuhen versehen, versuchten akribisch den Tathergang zu rekonstruieren.

    Auf dem Flur saß zusammengesunken eine alte Frau, vielleicht die Mutter der Toten, wortlos und still, das Gesicht hinter den Händen verborgen und hielt, wie mir schien, die Totenwache. Ich trat einige Schritte zurück.

    Als meine Großmutter starb, erinnerte ich mich in diesem Moment, lag sie friedlich wie eine Schlafende in ihrem Bett. So ein Anblick wie jetzt, so grauenvoll, war mir bisher in meinem jungen Leben erspart geblieben. Während sich Walter eifrig Notizen machte, zu denen ich nicht fähig gewesen wäre, ging ich langsam ins Treppenhaus.

    Vier Wochen lang fuhr ich nun schon mit Walter durch die Gegend, von Ereignis zu Ereignis, von Sensation zu Sensation und kam mir vor wie Egon Erwin Kisch, dem rasenden Reporter. Walter erhielt von unserem Chef die Order, mich überall mitzunehmen: etwa zur Hochzeit eines Prominenten, oder wir hörten uns die Rede eines Politikers an - stets begleitete ich ihn. So war es nicht verwunderlich, wenn ich auch nachts das näselnde Gehupe seines Motorrollers hörte. Reagierte ich nicht sogleich und schaltete das Licht nicht an, klopfte er ans Fenster meines Zimmers, das im Erdgeschoss auf der Rückseite der Straße lag. Ich zog mich schnell an und kletterte durch das geöffnete Fenster auf den Garagenhof. Wir fuhren durch die Einfahrt davon.

    Walter, kaum zehn Jahre älter als ich, musste heiraten, wie er mir vertraulich sagte, denn damals bezeichnete man das Zusammenleben eines Paares ohne Trauschein als „wilde Ehe, außerdem war ein Kind unterwegs. „Drei Kinder, alles Mädchen, in nur drei Jahren, das mach' mir mal nach!, rief er mir stolz während der Fahrt zum nächsten Termin zu.

    In dieser Zeit war es nicht leicht für einen Lokalreporter, finanziell über die Runden zu kommen. Ich wusste, er erhielt außer einem kleinen Fixum pro veröffentlichte Zeile nur sechs Pfennige. Hinzu kam, dass seine Berichte oft gekürzt gedruckt wurden. Da half ihm auch kein Fluchen. Enttäuscht nahm er sich für zwei Tage eine Auszeit und widmete sich ganz seiner Familie. Er überließ mir seinen Motorroller und Photoapparat, und ich versuchte, das von ihm Erlernte in die Praxis umzusetzen.

    Aus meiner jetzigen Sicht recht stümperhaft. Trotzdem geschah etwas, womit ich damals nicht rechnete: Karin lud mich zu einer Opernaufführung ein, und in der Pause begegnete uns plötzlich mein Chefredakteur mit seiner Frau. Nachdem wir uns begrüßt, uns vorgestellt und ein paar belanglose Worte gewechselten hatten, sagte er zu mir: „Kommen Sie morgen früh in mein Büro, ich habe eine neue Aufgabe für Sie."

    „Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für klassische Musik begeistern. Mit diesen Worten empfing er mich am nächsten Tag. Bei meiner Vorstellung hatte ich nämlich als Hobby den Jazz angegeben. „Ich interessiere mich für alle Musikrichtungen und ganz besonders natürlich für den Jazz, entgegnete ich und setzte mich unaufgefordert auf einen Stuhl. Karin hatte ich es zu verdanken, dass er mich für einen Schöngeist hielt, denn meine Ambitionen für die Klassik waren in meinen jungen Jahren sehr gering, noch nicht ausgereift.

    „Sie wissen sicherlich von der Gefangenenmeuterei in einem Gefängnis in der Hafenstadt Marseille, fuhr er fort, „da unser Korrespondent in Paris erkrankt ist, und Sie die französische Sprache beherrschen, dachte ich sofort an Sie. Wir benötigen für die Wochenendausgabe einen Knüller, einen Aufhänger. Dort im Gefängnis sollen besonders viele Algerier inhaftiert sein. Da Sie im lokalen Bereich schon gute Arbeit leisteten - ich registriere täglich alles genau - bin ich überzeugt, Sie werden auch in diesem Fall mich nicht enttäuschen.

    Ich sagte daraufhin dreimal ja vor Begeisterung, obwohl ich bisher noch nichts von diesem Fall gehört hatte

    „Dass Sie klamm bei Kasse sind, kann ich verstehen. Lassen Sie sich einen Vorschuss geben, und nehmen Sie das nächste Flugzeug." So verabschiedete er mich.

    Nach einem Zwischenstopp in Paris landete ich zwei Tage später auf dem Marseiller Flughafen und stieg sofort in ein Taxi. „ Bitte zum Gefängnis, sagte ich etwas unsicher, denn bis dahin wusste ich nicht einmal den Namen der Haftanstalt. O, Monsieur, da wollen Sie hin! Dann murmelte er leise vor sich hin: „Im Gefängnis Les Baumettes gab es vor einigen Tagen viele Tote. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.

    Vor einer haushohen, aus Natursteinen erbauten Gefängnismauer stieg ich aus. Oberhalb dieser Mauer glotzten mich aus Stein gehauene Fratzen an. Sie stellten die sieben Todsünden dar: Habgier, Neid, Völlerei, Hochmut, Jähzorn, Wollust und Trägheit. Ich schritt die mir endlos erscheinende Mauer ab. Was verbarg sich dahinter? Erstaunt und etwas ängstlich erreichte ich nach etwa zehn Minuten das Eingangstor.

    Der Taxifahrer war mir langsam mit seinem Wagen gefolgt. Ich erzählte ihm nämlich während der Fahrt, ich beabsichtige, Gefangene und deren Wärter zu interviewen. Offenbar ahnte er, dass das wohl so kurz nach den Krawallen nicht möglich wäre, deshalb hoffte er, mich wieder in die Stadt bringen zu können.

    Ich klopfte an die Tür, die im Gefängnistor eingelassen war. Ein kleiner Sehschlitz öffnete sich, und nachdem man offensichtlich festgestellt hatte, dass nur ein harmloser Passant vor der Tür stand, knarrte die Tür einen Spalt auf. Ein Mann, zwei Köpfe größer als ich, starrte mich an. Ich hielt ihm meinen Presseausweis vor die Nase und sagte ihm gleichzeitig, ich wünschte eine Unterredung mit der Gefängnisleitung und einigen Inhaftierten. Er schüttelte den Kopf und wollte gleichzeitig die Tür wieder schließen, aber ich drückte mit der Hand gegen diese, und verlangte seinen Vorgesetzten zu sprechen. Er schloss die Tür, und ich wartete. Dann nach zehn Minuten öffnete sich wieder für einen Moment der Sehschlitz. Es geschah jedoch nichts. Fünf Minuten vergingen, dann endlich trat ein älterer Mann aus der Tür, der offensichtlich der Leiter der Wache war, und erklärte mir beschwichtigend, dass wegen der vorangegangenen Ereignisse zurzeit keiner Zutritt erhielte.

    Welch eine Blamage! Sollte ich unverrichtet ohne Reportage wieder nach Hause fahren? Enttäuscht begab ich mich zum Taxi.

    Gerade wollte ich einsteigen, da sah ich eine alte Frau langsam in Richtung Gefängnistor gehen. Sie trug in der Hand einen Henkelkorb, klopfte an die Tür, die sich sofort öffnete. Eine Hand kam zum Vorschein, packte den Korb, und nachdem er verschwand, schlug die Tür heftig zu. Ich bat den Taxifahrer, noch einen Augenblick zu warten und ging rasch auf die Alte zu. Nachdem ich sie nach ihrem Tun fragte, erklärte sie mir mit brüchiger Stimme: „Meinen jüngster Sohn, Jean, sperrten sie vor über einem Monat hier ein. Er ist unschuldig, und weil ich ihn nicht besuchen darf, brachte ich ihm etwas Essen. Ich hoffe, er bekommt es auch, denn alle sind hier korrupt, eine schlimme Bande.........."

    Sie hörte gar nicht mehr auf, mir ihr Leid zu klagen. Dabei sprach sie Französisch mit arabischem Akzent und war kaum zu verstehen. Ich sagte ihr, ich sei Reporter, würde für eine Zeitung schreiben und mich für alles, was im Gefängnis passiert, interessierten.

    Sie stammte aus Algerien und lebte jetzt mit ihrem älteren Sohn Paul in einem vom Gefängnis weit entlegenen Quartier. Auffällig, sie war von Kopf bis Fuß trotz der hier schon sommerlichen Hitze schwarz gekleidet. Wie ich später erfuhr, war ihr Mann, ein gebürtiger Franzose, erst kürzlich verstorben.

    Sie hatte einen weiten Fußmarsch hinter sich, und daher bot ich ihr an, sie mit dem Taxi nach Hause zu fahren, was sie gerne annahm. Während der Fahrt hoffte ich, Näheres über Les Baumettes zu erfahren. Aber sie verwies mich an ihren Sohn Paul, der zur Zeit arbeitslos, im vergangenen Jahr auch inhaftiert war, und die Zustände bestens kannte.

    Der Fahrer hielt vor einem armseligen, zweistöckigen Haus; und Paul, der vor der Tür stand, während ich den Taxifahrer entlohnte, umarmte herzlich seine Mutter. Wir machten uns bekannt, und ich sagte ihm, ich würde für eine deutsche Zeitung schreiben, und es vielleicht nützlich sein könnte, wenn alle von den Zuständen im Gefängnis erführen. Deshalb bat ich ihn zu berichten, was er dort erlebte. Er schilderte mir Einzelheiten, während ich alles zu Papier brachte. Ich muss sagen, die Grausamkeiten gingen weit über meine Vorstellungen hinaus: Er sprach von überbelegten Zellen, schweren Misshandlungen von Seiten der Wärter und auch zwischen den einzelnen Inhaftierten, denn es bildeten sich Gangs, die sich bekriegten. Es galt das Faustrecht, und die schon unzureichende Verpflegung nahm man den Schwächeren ab. Die mangelhaften hygienischen Verhältnisse trugen dazu bei, dass die Krankheitsrate sehr hoch war. Selbstmorde oder solche, die so ausgelegt wurden und in Wirklichkeit von Kämpfen der rivalisierenden Gruppen herrührten, konnten oder wollten die Wärter nicht verhindern.

    Paul, ausgezehrt, barfuß, nur mit einem verschwitzten T-Shirt und kaputten Jeans bekleidet, führte mich in einen Raum, der sowohl als Küche als auch Schlafraum diente und bat mich, auf einem Hocker Platz zu nehmen. Ganz willkürlich, nach seiner Aussage, hielt man ihn gefangen, und ohne dass es überhaupt zu einer Anklage kam, hatte man ihn in der vergangenen Woche wieder freigelassen. Aus diesem Grund hofften auch die beiden täglich auf Jeans Entlassung.

    Die Mutter schenkte mir ein Glas Rotwein ein, und nachdem ich es ausgetrunken hatte, fragte ich Paul, ob ich mit ihm ein paar Fotos vor der Gefängnismauer machen könnte. Er war jedoch nicht dazu zubewegen, aus Angst, sie würden ihn ein zweites Mal einsperren.

    Darauf lud ich sie zum Mittagessen in ein Bistro ein. Die Mutter, ich fühlte es, wollte lieber auf ihren Sohn Jean warten. Sie schlug die Einladung aus, aber Paul nahm sie freudig an. Er führte mich durch verwinkelte Gassen, und ich verlor vollends die Orientierung. Endlich erreichten wir eine kleine, gepflegte Gaststätte mit typisch französischer Küche. Lange saßen wir zusammen, er erzählte aus seinem Leben. Auch ich berichtete ihm von meiner Tätigkeit in Deutschland, und wie sehr ich mir in meinem Beruf wünschte, in Zukunft erfolgreich zu sein. Dann sagte ich: „Für mich ist es ein Glücksfall, über dein Schicksal zu schreiben, und ich hoffe, dass die Leser wachgerüttelt werden, wenn sie von den Zuständen im Gefängnis und von der willkürlichen Justiz erfahren."

    Nach einigen Gläsern Calvados erklärte sich Paul endlich doch bereit, mit mir zum Gefängnis zu fahren. Wir stellten uns vor die Gefängnismauer. Während ich unbefangen versuchte, Paul in ein Gespräch zu verwickeln, blickte er ängstlich nach allen Seiten, als fürchtete er wieder eingesperrt zu werden. Trotz seiner Unruhe gelangen mir zehn Aufnahmen vom gleichen Motiv. Ich hatte meinen Photoapparat auf das Stativ befestigt und jeweils den Selbstauslöser gedrückt.

    Danach stiegen wir wieder ins Taxi. Ich brachte ihn nach Hause, verabschiedete mich und fuhr dann direkt zum Flughafen, wo ich sofort eine Maschine nach Paris bekam. Dort musste ich allerdings mehrere Stunden warten, bis der nächste Flieger nach Deutschland startete. Während des Fluges schrieb ich meinen Bericht, den ich dann, zu Hause weit nach Mitternacht angekommen, mit dem Film sofort in der Redaktion abgab. Erschöpft von dem Erlebten und der Reise legte ich mich sogleich ins Bett und schlief ohne Unterbrechung bis zum frühen Nachmittag.

    Das folgende Wochenende widmete ich ausschließlich meiner Freundin Karin, die mir die Sonnabendausgabe der Zeitung mitbrachte. In der Rubrik „Auslandsjournal fand ich den Erlebnisbericht, zu meinem Erstaunen in ungekürzter Form, wieder. Abgebildet auch eines meiner Photos und darunter las ich: „Unser Korrespondent im Gespräch mit einem Inhaftierten an der Gefängnismauer der gefürchteten Justizanstalt Les Baumettes in Marseille. Meine Story trug den Titel: „Lieber tot als eingesperrt in Marseille. Ich schrieb von einem ehemaligen Häftling. Um das Ganze spektakulärer auf die Leser wirken zu lassen, wurde das Wort „ehemalig von der Redaktion weggelassen.

    Endlich wollte ich einmal richtig ausschlafen, und deshalb nahm ich mir vor, zum Wochenbeginn den Vormittag im Bett zu verbringen. Nach meinem strapaziösen Auslandseinsatz müsste auch meine Redaktion dafür Verständnis zeigen.

    Im Unterbewusstsein vernahm ich ein Klopfen an der Tür zu meinem Zimmer, erst zaghaft, dann immer schneller und lauter. Ich drehte mich auf die andere Seite und wollte schon weiter schlafen, als ich unsanft von meiner Wirtin an der Schulter gänzlich wachgerüttelt wurde. „Ein Herr Dr. Schröder ist am Apparat und will Sie unbedingt

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