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SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung: Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido
SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung: Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido
SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung: Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido
eBook392 Seiten2 Stunden

SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung: Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido

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Über dieses E-Book

SELE – Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung – ist eine Synthese aus den Weisheitslehren östlicher Kampfkunst und westlicher Psychotherapie, entwickelt vom Autor aus seiner nunmehr jahrzehntelangen Erfahrung in Praxis und Lehre als Aikidoka und transaktionsanalytischer Psychotherapeut.

SELE ist ein homogen durchdachtes, am ganzheitlichen Erleben ausgerichtetes, Konzept empathischer Selbsterfahrung. Die vorgestellten Übungen, veranschaulicht durch viele erläuternde Bilder, werden eingebettet in einen theoretischen Kontext und Erklärungsrahmen.

SELE wendet sich an TherapeutInnen, Interessierte und Praktizierende von: Körper- und Leibarbeit, Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung, Kampfkünsten
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum4. Dez. 2013
ISBN9783732264407
SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung: Eine Synthese aus Psychotherapie und der Kampfkunst Aikido
Autor

Rainer Dirnberger

Mag. Rainer Dirnberger, Jg.1964, hat in Salzburg und Graz Psychologie studiert. Die Ausbildung zum Transaktionsanalytischen-Psychotherapeuten hat er bei Mag. Almut Rottenbacher und Dr. Jan Hennig absolviert. 1993 erfolgte die Eintragung in die Listen von Psychotherapie und Klinischer Psychologie des österreichischen Gesundheitsministeriums. Ein Jahr später legte er die Prüfung zum internationalen Abschluss als Transaktionsanalytiker (CTA) ab. Er ist als Psychotherapeut, Lehrtherapeut und Sachbuchautor in Österreich tätig und hat den 5. Dan (Schwarzgurt) in Aikido.

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    Buchvorschau

    SELE - Selbsterkenntnis durch Leiberfahrung - Rainer Dirnberger

    Dank

    1 Die Reise beginnt

    Als meine Frau vor nunmehr vielen Jahren als damalige junge Physiotherapeutin eines Tages nach Hause kam, erzählte sie mir Folgendes. Sie hatte am Nachmittag einen Patienten behandelt. Als sie an einer bestimmten Stelle physiotherapeutisch intervenierte, ich glaube mich erinnern zu können, dass die Berührung am oberen Brustbereich stattfand, brach der Patient plötzlich, für beide unvorhergesehen und überraschend, in Weinen aus. Beide konnten sich diese heftige emotionale Reaktion, ausgelöst durch eine sanfte Berührung, nicht erklären.

    Diese Erzählung weckte in mir eine vergessene Erinnerung: Einst als junger Mann, ich hatte gerade mit dem Aikido begonnen, wurde ich von einem Trainingskollegen wegen Schulterschmerzen massiert. Er begann bei meiner Nackenmuskulatur und äußerte beiläufig, mit einer Mischung aus Überraschung und Mitgefühl: „Na ja, da trägst du aber auch einen ganz schönen Rucksack mit dir rum." Augenblicklich schossen mir Tränen in die Augen und ich wurde sehr traurig, ohne zu wissen, warum. In vielen Jahren Selbsterfahrung, therapeutischer Aus- und Weiterbildungen konnte ich so manches Geheimnis aus diesem Rucksack lüften.

    Bis heute bleibt die Faszination hinsichtlich dieser Einheit unseres Seins, der Einheit von Geist und Körper, wenn wir unsere Leiblichkeit spüren, wahrnehmen und benennen können; Momente, in denen unser Körper eine Art Gedächtnis unseres Lebens zu sein scheint, jede Zelle zutiefst assoziiert mit Emotionen, Verhaltensimpulsen und Erinnerungen. Wie eindrucksvoll vermögen schon zarteste Berührungen diese auszulösen! Andererseits können diese Stellen unendlich oft ohne die geringste Reaktion berührt werden. Es ist das Erleben von Einfühlung und Wohlwollen, das diesen „Zauber" der Berührung oft erst ermöglicht. Es sind sehr bewegende Augenblicke, wenn Berühren, Berührtwerden und Sich-berühren-Lassen heilsam wird. Vielleicht können wir das als die Seele von SELE bezeichnen: berührende Begegnung im Berühren, Berührtwerden, Sich-berühren-Lassen.

    Ein weiser Mann oder eine weise Frau soll einmal gesagt haben:

    „Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt vor die Haustüre. Bis auf eine! Die Reise zu dir selbst. Sie beginnt mit deinem ersten Atemzug und endet mit deinem letzten. Es ist nicht die Frage, ob du diese Reise antreten möchtest oder willst, vielmehr ist es entscheidend, ob du sie mit sehendem Blick, offenem Herzen und wachem Geist führst. Das entscheidet nicht nur darüber, ob du eines Tages ankommen wirst, oder die Reise einfach aufhört. Das Ende liegt ebenso wenig in deiner Hand, wie es der Beginn tat, auch wenn du sie jederzeit abbrechen kannst. Vieles wurde bereits bei deinem Start festgelegt, vieles durch Ereignisse im Laufe der Jahre. Zu erkennen, was auf dieser Reise in deiner Macht steht und was nicht, ist immer auch eine Gnade, aber auch Frage deines Willens und deiner Haltung. So kannst du zum Beispiel nicht beeinflussen, wer deine Mitreisenden sein werden, aber wie du ihnen begegnest, manchmal auch, wie oft du ihnen begegnest. Es ist die Reise deines Lebens, durch dein Leben zu deinem Selbst. Ich wünsche dir viel Glück, gute Erfahrungen und Wegbegleiter, weise Ratgeber und liebevolle Beziehungen."

    In diesem Sinne darf ich eine anregende, bereichernde und freudvolle Lesereise durch dieses Buch wünschen und mich dem letzten Satz des oder der (wer weiß das schon so genau) Weisen anschließen: Viel Glück, gute Erfahrungen und Wegbegleiter, weise Ratgeber und liebevolle Beziehungen!

    Ad Gender: Im Bemühen um eine nette Lesbarkeit mit respektvoller Gender-Würdigung wechsle ich bei den Übungen das Geschlecht von Partner und Erfahrenden ab (ungeachtet der Geschlechtszugehörigkeit auf den Bildern zu den Übungen). Bei den TeilnehmerInnen sind mit der weiblichen Form auch alle männlichen Teilnehmer als großes I inkludiert. Vice versa hoffe ich, dass sich weibliche Leserinnen bei allfälligen männlichen Formulierungen nicht ausgeschlossen fühlen. Den Begriff Therapeut habe ich in männlicher Form im Text gehalten, als dezente Anspielung auf die Personalunion von mir als Autor und Therapeut, bei konstanter Geschlechterzugehörigkeit.

    Die vorliegenden Überlegungen sind, ebenso wie die praktischen Übungen, aus meiner, nunmehr jahrzehntelangen, über gewisse Phasen sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Psychotherapie und Kampfkunst erfolgt. Wo immer es meiner Erinnerung und meinem Bewusstsein zugänglich war oder die Recherchen es ermöglichten, habe ich die Referenzen und Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erwähnt und zitiert. Variationen der oft gleichen Übungen habe ich in sehr verschiedenen Kontexten, Schulausrichtungen und Bezugsrahmen kennengelernt, sodass es mir unmöglich ist, so etwas wie einen „ersten Erfinder" zu benennen.

    Die Basis der Übungen lernte ich im Aikido von Tamura Sensei und seinen Schülern kennen sowie in der transaktionsanalytischen (TA) Ausbildung bei Mag. Almut Rottenbacher, Dr. Jan Hennig und anderen TA-lern (siehe Anhang). Mein Interesse führte mich weit über diese Basis hinaus. Wie eben angedeutet, begegnete ich so manchen Vorstellungen und Übungen, im leicht veränderten Gewande, immer wieder. Letztendlich ist das auch nicht wirklich verwunderlich, arbeiten doch alle immer mit denselben Erscheinungsformen, eben uns, dem Homo sapiens, auch wenn Erklärungsrahmen und Überlegungsansätze verschieden sein mögen.

    Es entspricht meiner Gewohnheit, (die hier vorgestellten) Übungen situativen Anforderungen und Gegebenheiten anzupassen und sie, teils erheblich, zu verändern und zu variieren. In der hier dargelegten Form haben sie für mich die beste Anschaulichkeit und Gültigkeit. Wie im Weiteren deutlich wird, ist SELE kein Konzept einer starren Theorie und Übungsabfolge, vielmehr sind die Modelle flexibel, um den lebendigen Bedürfnissen der jeweiligen Situation adäquat und förderlich entsprechen zu können.

    2 Einleitung zu Theorie und Praxis von SELE

    Die Theorie von SELE ist eine Synthese aus psychotherapeutischem Basiswissen um entwicklungsförderliche Selbsterfahrung mit der Psychologie und Philosophie der Kampfkunst Aikido. SELE ist somit eine Verschmelzung östlicher und westlicher Weisheit mit dem Ziel wohlwollender Selbsterkenntnis. Ganz im Sinne psychotherapeutischer Arbeit ist dieses übergeordnete Ziel keine statische, vorgegebene Größe oder in irgendeiner Form ein Heilsversprechen. Vielmehr ist SELE ein Konzept zur Anregung und Inspiration für individuelle leibliche Erfahrung, die in Auseinandersetzung und Reflexion mit der jeweiligen Lebenssituation in Beziehung gesetzt wird, um Wege, Lösungen und Erkenntnisse zu eröffnen. SELE kennt kein übergeordnetes, per se festgelegtes Ziel im Sinne von „idealer Mensch oder „Erleuchtung. SELE ist Bezugsrahmen und Interventionsleitfaden für leiborientierte Selbsterkenntnisprozesse, eingebettet in ein humanistisches Menschenbild, eine humanistische Ethik und ganzheitliche Sichtweise.

    SELE ist somit kein eklektisches Verfahren, keine Kombination aus „Best of Aikido und Psychotherapie", sondern vielmehr ein integratives, handlungsweisendes Modell leiborientierter, psychotherapeutischer Arbeitsweise. Die Übungen in SELE sind niemals Selbstzweck. Alle sind Methoden zur Unterstützung von Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis. Es liegt somit beim Therapeuten, durch begleitende Interventionen die Selbstreflexion zu fördern, um Bewusstseinsprozesse zu ermöglichen. Dies kann bereits durch kleine Aufforderungen erfolgen, indem die Übenden instruiert werden, in ihrer Bewegung anzuhalten (einzufrieren), kurzfristig zu erstarren, um so nachspüren zu können. Hier ist Anhalten im Unterschied zum Stopp zu verstehen, welcher jede Intervention sofort unterbricht und beendet.

    Jede aktive Übungssequenz ist nur ein Teil der ganzen therapeutischen Arbeitsphase, das heißt, jede Übung schließt eine entsprechende Reflexion mit ein, um die Verarbeitungsprozesse abzurunden. Zum einen gilt es, das Erleben durch die Übungen aktiv, bewusst und in angemessener Weise in das Ich integrieren zu können. Zum anderen sollen Lebenszusammenhänge erkannt und reflektiert werden, um Raum für Alternativen und Neues zu öffnen.

    Die hier beschriebenen Übungen sind zum Verdeutlichen der theoretischen Überlegungen bestimmt und sollen darüber hinaus TherapeutInnen, die mit SELE arbeiten wollen, dazu inspirieren, ihre eigenen Übungen zu entwickeln. Gleiches gilt für die Illustrationsbeispiele aus der Praxis. Sie sind keinesfalls gedacht als Anleitung, „so macht man das", sondern ebenfalls als Hilfe, das Verständnis zu vertiefen.

    Meine Idee von SELE ist, dass es keine Notwendigkeit gibt, Aikidoka zu sein, um mit SELE arbeiten zu können. Es sind viele körper- bzw. leiborientierte Ausbildungen bzw. Fähigkeiten geeignet, im Bezugsrahmen von SELE sinnvoll und verantwortungsbewusst eingesetzt zu werden, unabdingbare Voraussetzung scheint mir jedoch eine psychotherapeutische Basisqualifikation.

    Im Anhang werde ich im Kapitel „Mein Weg zu SELE" die Bereiche Psychotherapie und Kampfkunst, konkret Aikido und Transaktionsanalyse, in Bezug auf die jeweils daraus übernommenen Erkenntnisse kurz darstellen. Dies soll Zusammenhänge verdeutlichen und PsychotherapeutInnen verschiedener Therapieschulen und Praktizierende unterschiedlicher Leibkünste motivieren, SELE in ihren eigenen Praxis- und Erfahrungsrahmen zu transformieren.

    Die Struktur der Gliederung in Basis und Prinzipien von Leib- und Selbsterfahrung soll der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit dienen.

    3 Anthropologie

    Die Anthropologie (Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung in natur- und geisteswissenschaftlicher Hinsicht, Duden 1982) von SELE wird über die Kernbegriffe, aus denen SELE konzipiert ist, erschlossen:

    Selbst (Persönlichkeit, Charakter, Ich)

    Selbst – Erkenntnis

    Selbsterkenntnis als Innenschau (Ich-Ich) oder Außenkontakt (Ich-Du)

    Entwicklung

    Erfahrung

    Leib

    Spiritualität

    Da eine ausführliche Diskussion dieser Begriffe den Rahmen dieses Buches bei Weitem sprengen würde, werden sie im Folgenden nur kurz erläutert. Dabei sollen Definitionen und Zusammenhänge nur insofern erwähnt werden, als sie für das Verständnis von SELE unmittelbar nützlich erscheinen.

    3.1 Selbst

    Das Selbst im Sinne von SELE wird als innerster, zeitlich stabiler, aber entwicklungsfähiger, der Erfahrung unmittelbar zugänglicher Wesenskern des Menschen gedacht.

    Zeitlich stabil bedeutet dabei, dass das Selbst identitätsstiftend wirkt, sodass ein Mensch sich über seine gesamte Lebenszeit als konstantes Individuum, ICH-SELBST, erlebt.

    „Entwicklungsfähig" verdeutlicht den Umstand, dass das Selbst kein statischer, unveränderlicher menschlicher Kern ist, sondern verändert, entwickelt, aber auch verletzt, beschädigt werden kann. Wenn ich Fotos aus meiner Kindheit ansehe, so erkenne ich mich darauf. Ich weiß, dass ich darauf abgebildet bin, kann mich an mein Selbst als Kind erinnern, auch wenn ich heute, von meinen Zellen angefangen bis zu meinem Selbstverständnis, ein vollkommen anderer bin.

    „Der Erfahrung zugänglich" veranschaulicht, dass das Selbst im reflektierenden Erleben vom Menschen unmittelbar erfahren werden kann, sei es induziert durch psychologisch-psychotherapeutische Methoden, meditative Techniken oder unmittelbar in besonderen Lebenssituationen. Durch solche Erfahrungen ist das Selbst als innerster Wesenskern vielen Menschen gut intuitiv erfassbar.

    Der Begriff ICH wird gewöhnlich als Synonym von Selbst im Sinne von ICH-SELBST verwendet. In der Psychologie wird ICH eher assoziiert mit Kompetenzen und Fähigkeiten, als Ich-Funktionen oder Systeme. Ähnlich wird der Begriff Charakter mit menschlichen Eigenschaften und Persönlichkeit mit eigenschaftsassoziierten Verhaltensweisen verbunden.

    Im Rahmen dieser Begrifflichkeiten können wir sagen, dass SELE Ich-stärkend wirkt, die Persönlichkeit zu entwickeln fördert und sich positiv auf den Charakter auswirkt, indem es Bewusstheit für das Selbst fördert. Die Begründung dafür folgt in diesem Buch.

    3.2 Erkenntnis – Selbsterkenntnis

    Selbsterkenntnis wird hier als eine wesentliche Fähigkeit des Menschen verstanden. Selbsterkenntnis ist im System von SELE Voraussetzung für zielgerichtete, positive Entwicklung, im Weiteren von Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Freiheit (Bieri 2011). Bereits in der Antike stand über dem Eingangstor zum Orakel von Delphi die Aufforderung: „Erkenne dich selbst!"

    Selbsterkenntnis ist die menschliche Fähigkeit, unser Handeln, Fühlen, Denken, unsere Wünsche, Ambitionen und Intentionen durch Introspektion zu erfassen und bewusst zu reflektieren. Das bedeutet, wir können unser So-Sein in seinem situativen Bezug erfahren und in seiner zeitlichen, historischen Dimension ebenso verstehen wie unser Begehren, Planen und Erträumen naher und ferner Zukunft.

    3.2.1 Wie aber erkennen wir?

    Wir erkennen durch Erfahrung. Erfahrung ist der permanente und immanente Prozess unseres lebendigen In-der-Welt-Seins. Meines Erachtens können wir vier sich ergänzende Erfahrungsmöglichkeiten definieren:

    die sinnliche Erkenntnismöglichkeit im Spüren,

    die kognitive Erkenntnismöglichkeit im Denken,

    die emotionale Erkenntnismöglichkeit im Fühlen,

    die intuitive Erkenntnismöglichkeit im unmittelbaren Gewahrwerden (Achtsamkeit).

    Doch erst die Fähigkeit der Bewusstheit, der bewussten Reflexion der Wahrnehmungen, lässt aus Spüren, Denken, Fühlen und Intuition Erkenntnismöglichkeiten werden, sonst sind es einfach nur Wahrnehmungsmodi. Daraus begründet sich die Betonung von Bewusstheit und Reflexion in SELE, um alle vier Erkenntnisebenen für Selbsterkenntnis und Selbst-Bewusst-Sein durch Selbsterfahrung zu ermöglichen.

    3.2.2 Erkenntnis und Bezugsrahmen

    Was aber erkennen wir, Wirklichkeit oder Realität?

    Im gewöhnlichen Sprachgebrauch werden Wirklichkeit und Realität oft als Synonyme verwendet. Gelegentlich macht es aber Sinn, die Begriffe zu unterscheiden: Realität ist all das, was DA IST. Realität ist somit alles, was unabhängig von uns, unserer Wahrnehmung existiert, unabhängig von unserem individuellen Sein, was vor uns existiert hat und nach uns existieren wird.

    Wirklichkeit wäre dann die Welt, in der wir uns bewegen, wie wir sie sehen und wahrnehmen, eben, weil wir da sind. Nicht unbedingt die Welt, wie sie uns erscheint, sondern eher wie sie für uns ist, wie wir sie verstehen, uns erklären, um uns in ihr zu bewegen und zu überleben. Dabei ist Realität nicht im platonischen Sinne hinter einer fantasierten Wirklichkeit verborgen, noch ist es Aufgabe oder Ziel, eine Realität „hinter" einer Wirklichkeit zu entdecken. In dieser Definition wäre das ohnehin sinnlos, da unmöglich. Vielmehr handelt es sich um eine pragmatische Unterscheidung, um die hilfreichen Konzeptionen von Wirklichkeitskonstruktion und flexiblem Bezugsrahmen zu verstehen.

    3.2.3 Wirklichkeitskonstruktion

    Wissenschaftliche Objektivität ist dann nicht ein Erkennen von Realität, sondern eine definierte und erprobte Vorgehensweise für gemeinsame Wirklichkeit. Diese wissenschaftliche, objektive Wirklichkeit haben wir methodisch von der narrativen (erzählenden) Wirklichkeit zu unterscheiden. Letztere ist die Wirklichkeitskonstruktion, die als gemeinsame Basis für Verständigung und Begegnung, zum Beispiel im therapeutischen Setting, notwendig ist (siehe z. B. Petzold 1991). Wie wirklich nun die Wirklichkeit ist, wie Watzlawick (1980) es pointiert formulierte, ob wir als Menschen überhaupt in der Lage sind, Realität zu erkennen, oder ob es so etwas wie Realität jenseits unseres Seins überhaupt gibt, füllt philosophische Bibliotheken.

    Für uns mag folgende Überlegung für die Arbeit mit SELE nützlich sein. Je nach Bezugssystem bzw. Bezugsrahmen lassen sich Wirklichkeitskonstruktionen argumentieren und denken. Das gilt sogar für Extrempositionen wie die eines determinierenden Materialismus, in dem Leben als eine bessere Maschine gilt. In sich, im eigenen Bezugsrahmen, können Positionen durchaus schlüssig argumentiert werden, auch wenn sie außerhalb des eigenen Bezugsrahmens wenig Sinn machen.

    Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir einen Bezugsrahmen bzw. eine Vorstellung von Wirklichkeit haben. Der springende Punkt ist, welchen Bezugsrahmen wir haben, wie rigide oder flexibel er ist, um die Phänomene unseres Lebens und Seins förderlich abzubilden.

    3.2.4 Flexibler Bezugsrahmen

    Dazu folgendes Bild: Stellen wir uns den Menschen als System mit zu einem gewissen Grad willkürlich eingeteilten, aber sinnvoll definierbaren Subsystemen vor (Kritz 1997). Beginnen wir mit einer in beide Richtungen offenen Reihe bei:

    * Transzendenz/Spiritualität

    Ein Problem solcher Unterteilungen besteht darin, dass sie dazu verleiten, einzelne Subsysteme als unabhängige, in sich geschlossene „Realitäten" zu betrachten. Das ist in bestimmten Momenten auch angebracht.

    Wenn z. B. ein Organ transplantiert wird, so ist dies in einem

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