Tagedieb und Taugenichts: Streifzüge auf der Schwäbischen Alb
Von Rainer Gross
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Über dieses E-Book
Die Landschaft im Wechsel der Jahreszeiten, der Tages-zeiten, der Wetterstimmungen. Augenblicke intensiven Alleinseins mit der Natur ebenso wie die Begegnung mit der heimischen Kultur und Historie, mit Land und Leuten. Und manchmal auch entführt der Zauber des lieblich-kargen Hochlandes in Märchenreiche.
Rainer Gross
Rainer Gross, Jahrgang 1962, geboren in Reutlingen. Studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Lebt mit seiner Frau als freier Schriftsteller seit 2014 wieder in Reutlingen. Bisher veröffentlicht: Grafeneck (Pendragon 2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (Pendragon 2008); Kettenacker (Pendragon 2011); Kelterblut (Europa 2012). Bei BoD u.a. erschienen: Die Welt meiner Schwestern (2014); Yûomo (2014); Haus der Stille (2014); Schrödin-gers Kätzchen (2015); Haut (2015); My sweet Lord (2016); Holiday (2016); Am Ende des Regenbogens (2016); Scheherazade (2017); Die sechzigste Ansicht des Berges Fuji (2017); Der Sommer der Glühwürmchen (2017); In der fernen Stadt (2017).
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Buchvorschau
Tagedieb und Taugenichts - Rainer Gross
Als Müßiggänger streift der Ich-Erzähler über die Schwäbische Alb, tuckert mit seinem Motorrad über die Hochfläche, sucht die Stille von Kapellen, verbringt den Nachmittag bei den Pferden, kriecht in Höhlen, entdeckt Schlucklöcher und Karstquellen, stöbert in Burgennestern, fängt Grillen und trifft am Wallfahrtsort auf Vergils Erbe – kurz: Er tut alles, was ein Tagedieb und Taugenichts tut, während andere arbeiten müssen. Er gerät dabei auf Seitenpfade und Abwege und spürt die verborgenen Geheimnisse der Landschaft auf, die sich nur dem Kundigen und Empfänglichen öffnen.
Die Landschaft im Wechsel der Jahreszeiten, der Tageszeiten, der Wetterstimmungen. Augenblicke intensiven Alleinseins mit der Natur ebenso wie die Begegnung mit der heimischen Kultur und Historie, mit Land und Leuten. Und manchmal auch entführt der Zauber des lieblichkargen Hochlandes in Märchenreiche.
Rainer Gross, Jahrgang 1962, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Er lebt mit seiner Frau als freier Schriftsteller in Reutlingen.
Bisher veröffentlicht: Grafeneck (Pendragon 2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (Pendragon 2008); Kettenacker (Pendragon 2011); Kelterblut (Europa 2012).
Bei BoD erschienene Romane:
Die Welt meiner Schwestern
Das Glücksversprechen
Yūomo
Haus der Stille
Drei Tage Wicklow
Guinea
Springinsfeld und Schauinsland
Es liegt an Orten; Orte
beschwören’s herauf.
GERD GAISER
Inhalt:
Frühling
Blaue Mauer
Kranewitt
Abendwacht
Schafswäsche
Zwischen den Dörfern
Hohenwittlingen
Erntbrunnen
Galthaus
Hallstatt-Siedlung
Burgennester
Hülbenhof
Evangelium des Kupferstechers
Spiritus loci
Wackerstein
Die Nacht des Großen Bären
Hofener Höhle
Kapelle St.Georg
Sattlerkapelle
Kerzenkapelle
Landgericht
Himmelswiesen
Pfingsten auf der Nebelhöhle
Randecker Maar
Lauterer Hochland
Sperberseck
Am Heimenstein
Reußenstein
Zauberwort
Minnesang
Eisenrüttel
Schelklingen
Schmiecher See
Dolfer Weg
Der Philosoph
Sommer
Greifenstein
Fronleichnam
Johannistag
Im Wacholder
Taugenichts
Räß
Gasthaus zum Tänzelnden Pony
Les jeunes filles en fleurs
Schachen
Sommerkirch
Steffesloch
Gottesvolk
Der Hirte
Aglishardt
Steinriegel
Hanfsamenbuche
Riedernberg bei Willmandingen
Verborgenheit
Felsenmomente
Mutterkraut
Heilkunde
Wental
Rock am See
Military-Shop
Gerümpelturnier
Am Sternberg
Forellen
Im Kräuter
Der Bildstock
Albwasser
Loretto
Fohlenhof
Hinterm Wald
Tagedieb
Gütersteiner Wasserfälle
Das Geheimnis
Rutschenfelsen
Jägerstube
Heidengraben
Tuffseen
Buchhausen
Herbst & Winter
Do you come from Australia?
Bärenthal
Das Schloss
Der letzte Herbst
Hollerbusch
Herbstlese
Großer Bühl
Gräbelesberg
Die Sägemühle
Haid
Saure Kutteln
Heilig Abend
Schneeteich
Stahleck
An die Leserin,
an den Leser
In diesem Buch sind Texte über meine Erlebnisse und Begegnungen auf und mit der Alb gesammelt, über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren hinweg, von meinen ersten Studiumsjahren bis hin zu Besuchen in der alten Heimat von Norddeutschland aus. Die Texte sind nicht chronologisch geordnet, sondern folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Deshalb mischen sich alte und junge Texte, und deshalb auch haben sich manche Orte seit meinem Besuch verändert. Wenn Sie also die Orte selbst aufsuchen und nicht mehr vorfinden, was ich beschrieben habe, dann waltet hier nur die übliche Vergänglichkeit.
Dass diese Texte nun endlich – in den Bänden Springinsfeld und Schauinsland und Tagedieb und Taugenichts – erscheinen, erfüllt mich mit großer Freude. Die Texte liegen mir am Herzen, und ich möchte die beiden Bände als ein Geschenk an die Alb verstanden wissen und an all jene, die zu ihr eine ähnliche Zuneigung empfinden wie ich. Möge Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Lektüre dieser Texte ebensoviel Freude bereiten wie mir ihre Niederschrift!
Frühling
Blaue Mauer
Heimfahrt von der Universität. Das Burgholz in Schräglage, die Maschine federt, oben Panorama. Der Blick geht über die weite Felderebene auf die blaue Mauer des Albgebirges. Fernblau, Landfall. Kalkstein-Riesenplatte, tektonisch erhoben und zum Trauf gesteilt. Die Buchten, Berge und Hochflächen lagern hintereinander wie Schiffe in verborgenen Häfen. Wohltuender Formengang: die langauslaufenden, ebenen Auslieger, in blassen Indigotönen bis zu körperlosen Schemen gestaffelt. Regen gehen dort nieder, trüben die Gestalt. Keiner weiß, was für ein Reich da oben wartet, welche Wege überland. Ja, ein Hochland, ein Überland. Es ist weit weg, auch wenn ich alle Steigen kenne, die hinaufführen. Heute bleibe ich zu seinen Füßen. Als ich in die Hochhaussiedlung einfahre, riecht es nach nassem Asphalt und der Wärme wie nach einem Sommergewitter. Den Abend verbringe ich bei Freunden.
Kranewitt
Die Alb schläft noch. Das macht die lange schneelose Kälte, der fehlende Regen. Als ich oben am Beutenlay ankomme, ziehen Wolken auf. Fades Licht, zage Vogelstimmchen im Gezweig. Weidbuche, Hütebuche: die kahlen, silbergrauen Greisinnen im dürftigen Kleid. Die Wacholderheide ist bleich vom Wintergras, von rostrotem Laub und Zweigen bestreut. Manchmal kollern dürre Blätter im Wind, hüpfen eichhörnchenhaft über den Rasen, täuschen Leben vor. Ein Schlehdorn, dick verkrustet mit Flechten, aschig und giftgelb, dazwischen durchscheinend die ersten Knospen.
Auf der Kuppe, am Südhang, finde ich eine Bank mit einem Wacholder im Rücken. Mannshoher, grantiger Kerl, ein rechter Kranewitt, die Beeren dicht und klein am Zweig, meergrün, jadegrün, mit dem weißen Dreiecksstern der Blütennarbe Er stupfelt, wenn man hinlangt. Informationstafeln belehren über die Steppenheide, manche Bilder verbleicht zu futuristischen Kunstwerken, zeugen von sommerlichen Sonnenstunden. Im Heutal unten zieht die Bundesstraße mit leisem Verkehr, eine Brücke quert die Eisenbahn, dahinter die Kuppen und Wälder der Münsinger Alb. Der Wind geht hier oben wie eine einsame Uhr. Manchmal kommt die Sonne durchs Gewölk und wärmt.
Nichts blüht. Ich gehe ein paar Schritte und entdecke etwas Violettes im Gras, Krokusse, denke ich, aber plötzlich bin ich umringt von Küchenschellen. Auf haarigen Blattknäueln strecken sich die lila Blütentrichter und bergen im Inneren die goldgelben Stempel. Was hier alles unterm Gras liegt und schläft, denke ich. Wird alles hervorkommen. Bald.
Abendwacht
Die Kurven zwischen Waldhängen hinunter nach Hundersingen. Fahles Licht, das Tal liegt schon verschattet. Inmitten der kahlen Buchen ragen grüne Fichtensäulen, und in den Wipfeln schweben vereinzelt duftige Blütenwolken: die ersten blühenden Weiden. Die Hänge stehen hoch und ernst, und auf einmal auf seinem Bergsporn der Hohenhundersingen, nackt, nah, weithin sichtbar. Sein Mauerwerk, der Quaderturm, der Fels, selbst der Wanderpfad im Gelände klar kenntlich. Die laublose Zeit enthüllt sein Geheimnis, entblößt sein Schweigen. Die Stille der Welt: Denn sie weiß, es ist die Wacht über ihr bestellt. Im Tal strömt der Fluss silbern und geschwollen von Frühlingswassern. Die Talränder rücken heran und beugen sich, geben der Au ihr Maß. Überall blickt der Himmel herein, die Menschen erscheinen wie kleine Saat.
Schafswäsche
Ein Bronzedenkmal, auf der Lauterbrücke in Wasserstetten. Ein kühler, sonniger Frühlingstag, das Tal halb ins Licht erwacht. Vor dem Haus neben der Brücke sitzt eine alte Frau auf der Bank und schaut mir zu. Ein Junge kurvt mit seinem Mountainbike und wundert sich über mein Motorrad. Die Stelle am Ufer zeigt nichts, das übliche Gras, das gewohnte Gewässer. Die Lauter wurde mit einem Bretterdamm aufgestaut, die Schafe hineingetrieben, Schafswäscher in Bütten hinter dem Wehr wuschen die Tiere im Überlauf des Dammes, tausend Tiere am Tag, zwanzigtausend in einem Frühjahr, hundert Jahre lang bis zum Ende des Weltkriegs. Die Schäfer kamen mit ihren Herden sogar aus der Pfalz und dem Bayrischen. Aber wieso gerade hier? An diesem Platz am drei Meter breiten Bach?
Ich sitze am Wasser abseits der Brücke. Gänseblümchen und Scharbockskraut blühen früh im Gras, die Lauter strömt und spült, als wollte sie wieder Schafe waschen, ein emsiger, reiner Laut in den Auwiesen. Der Wind streicht kühl durchs Tal. Die Frau auf der Bank ist ins Haus gegangen. Vielleicht hätte ich sie fragen können. Wohin denn die alte Arbeit verschwunden sei, und ob die neue sich nun besser anlasse. Broterwerbe kommen und gehen, was bleibt, sind Geschichten.
Zwischen den Dörfern
Die Fluren sind frühlingskahl; manche Äcker noch umgebrochen, manche schon geeggt, auf manchen das erste Grün der Wintersaat. Laublose Buchenwälder, durch deren Pelz hindurch man jede Kuppe, jede Schroffe sieht. Leinhalde, Telle, Hirnberg. Ich komme an ein Wegekreuz mit einem Baum. Eine weibliche Esche mit ihren dürren Flügelsamen, ein Schild sagt: Spaßmacherbaum. Eine Bank und ein gusseiserner Wegweiser im alten württembergischen Schwarzgelb. Carl Eugens Commun-Ordnung: Zur Ersparung vieler Botten seynd auf allen von einem Ort zu dem anderen gehenden ordinari-Scheide-Wegen in Feldern und Wäldern Weg-Weiser zu sezen: nemlich eine Saul mit so vielen Armen, als Wege seynd. Hier kreuzt der Weg von Stahleck nach St. Johann die alte Heerstraße, die von Gomadingen nach Eningen führt. Der Weiser zeigt die vier Strecken in Kilometern. Feine Risse im Farbbelag, der blättrig aufspringt und Rostgeschwüre entblößt. Der rote Dreiblock des Albvereins nennt seine eigenen Ziele, wundersame Frühlingsvergnügen. Und noch ein Schild: Landschaftsschutzgebiet.
Viel Verkehr überland, scheint es, aber nur alle paar Minuten fährt ein Auto. Ich setze mich und stecke mir ein Pfeifchen an. Ein Motorflieger brummt am dunstigen Himmel. Vogelchor aus den Wäldern, Krähen zetern unsichtbar über den Äckern. Die Eggfurchen fluchten einstimmig mit den Weglinien: wohltuend. Die ersten Käfer schwirren. Güllegeruch. Ein Wind geht durch die flache Mulde und lässt die Haut frösteln. Manchmal lüpft er mir den Hut, als sollte ich ihn gefälligst grüßen. Ein Laster dröhnt in einer Staubfahne heran, donnert vorbei, hüllt mich in einen stickigen Schwall, hinterlässt fahle Wolken auf der Straße. Drüben