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Komik (in) der Migrationsgesellschaft
Komik (in) der Migrationsgesellschaft
Komik (in) der Migrationsgesellschaft
eBook460 Seiten5 Stunden

Komik (in) der Migrationsgesellschaft

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Über dieses E-Book

Humor »mit Migrationshintergrund« war bis vor zehn Jahren vor allem in den Nischen der Kleinkunstbühnen und in privaten Gesprächen von MigrantInnen zu hören. Dies ändert sich in den letzten Jahren mit KomikerInnen wie Bülent Ceylan oder Kaya Yanar, aber auch Fernseh- und Radioproduktionen wie »Taxi Scharia« oder »Türkisch für Anfänger« erfreuen sich massenmedialer Aufmerksamkeit. Welche Bedeutung hat das Komische für die öffentliche aber auch private Verhandlung von Migration? Die verschiedenen Spektren komischer Darstellungspraktiken werden hier erstmals wissenschaftlich untersucht und mit Methoden der Soziolinguistik, der Migrationssoziologie und der Kultur- und Sprachanthropologie aufgefächert. Betrachtet werden massenmediale wie subkulturelle Comedy-Produktionen aus Ankunfts- und Herkunftsländern, Komik in Alltagsgesprächen von Jugendgruppen mit und ohne Migrationserfahrungen sowie komische Selbstdeutungen und Reflexionen von Migrantinnen und Migranten. Humor wird hierbei als wichtiger Austragungsort der Auseinandersetzung um Migration erkennbar und erfüllt vielschichtige Funktionen, so etwa im Rahmen der Inszenierung von Eigenem und Fremdem oder in der Diskussion um Rassismus. Aber auch für die Migrantinnen und Migranten selbst spielt das Komische eine wichtige Rolle und dient der Aushandlung von Konflikten und schwierigen Erfahrungen sowie dem Entwurf neuer Selbstbilder. Dabei treten besondere Freiheiten wie auch Grenzen des Komischen in den Blick: Die Frage, wer mit wem wie und worüber lacht, ist gekoppelt an die Frage, wer mit wem wie und worüber lachen darf.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Dez. 2014
ISBN9783864963797
Komik (in) der Migrationsgesellschaft
Autor

Helga Kotthoff

Helga Kotthoff ist Professorin für Sprachwissenschaften mit Schwerpunkten in Soziolinguistik, Gesprächsforschung und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Freiburg im Breisgau.

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    Buchvorschau

    Komik (in) der Migrationsgesellschaft - Helga Kotthoff

    23.03.2005

    Vorwort

    Migrationsgesellschaften generieren vielfältige Grundlagen zum Scherzen und bringen besondere Humorformen und -inhalte hervor. Die Komik (in) der Migrationsgesellschaft verweist auf Kabarett- und Theaterbühnen, Leinwände, Fernseh- und PC-Bildschirme, auf Zeitschriftenseiten und Bücher, auf Gespräche in Schulhöfen, Büros, Fabriken, Kneipen, an Küchentischen und in politischen Diskussionsräumen. In den letzten 15 Jahren ist der Humor „mit Migrationshintergrund" von den Nischen der Kleinkunstbühnen auf die begehrten Sendeplätze, auf die Bühnen renommierter Theater und in die Programme großer Verlage migriert. Fast alle öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender, nicht zu sprechen von den privaten, brachten Produktionen mit und von MigrantInnen: Im SWR lief beispielsweise Taxi Scharia, Funkhaus Europa-Radio bringt Tiger – Die Kralle von Kreuzberg, und Osman Engin – ein Pionier der migrantischen Satire in Deutschland – spricht bei Radio Bremen über den Alltag im Osmanischen Reich. Kaya Yanars Was guckst Du!? bei Sat 1 war ein großer Erfolg, ebenso die Fernsehserie Türkisch Für Anfänger der ARD, eine Produktion, die 2012 gar den Sprung ins Kino schaffte. Sie alle gehören zu den Boten eines Booms der sogenannten „Ethno-Comedy".

    Der komische Diskurs ist eine wichtige Arena der gesellschaftlichen Verhandlung von Migration und kann dabei sehr unterschiedliche Wirkungen entfalten: Er kann sowohl Medium migrantischer Selbstverortung und Kritik an der Mehrheitsgesellschaft sein, als auch Ausdruck ethnisierender und kulturalisierender Zuschreibungen, die unter dem Deckmantel „nur ein Scherz" zu sein, Macht und Herrschaftsstrukturen weiter legitimieren (Lockyer und Pickering 2005). Zugleich eröffnet das Komische einen Raum der Reflexion und Verhandlung von Differenzerfahrung zwischen und unter [10] (Post)MigrantInnen¹ und Menschen ohne eigenen Migrationshintergrund, seien dies nun Angehörige des Migrationslandes oder solche der Herkunftsgesellschaft.

    Stilmittel des Komischen durchziehen die individuelle und kollektive Repräsentation von Migrationserfahrungen und Verhandlungen des interkulturellen Zusammenlebens². In alltäglichen Gesprächen, aber auch in medialen Inszenierungen, ist das Komische mit seinen Rahmenbrüchen und seiner Vagheit ein leistungsfähiges kommunikatives Instrument, das der Aushandlung von gesellschaftlicher Zugehörigkeit, der Inklusion und Exklusion dienen kann. Das Medium und der Modus des Komischen erlauben es, schwierige, sensible oder tabuisierte gesellschaftliche Themen anzusprechen und zu bearbeiten, die einer ernsthaften Auseinandersetzung vielleicht (noch) nicht standhalten könnten. Natürlich lädt der Modus gleichzeitig auch zur Bewitzelung eigener Sprachanstrengung und zum Auf-die-Schippe-Nehmen von Stereotypen ein.

    Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung von komischen Repräsentations- und Artikulationsformen in interkulturellen Milieus und von Migration geprägten Ankunfts- und Herkunftsgesellschaften steckt besonders für den deutschsprachigen Raum noch in den Anfängen³. Die Bedeutung des Komischen für die Ausbeutung von Mehrsprachigkeit und die Aushandlung von Differenz und Zugehörigkeit wird entweder ignoriert oder sehr verkürzt dargestellt.

    Dieser Band will mit Untersuchungen zu konversationellem Gruppenhumor und medialen Komikproduktionen in Deutschland sowie zu humoristischen Produktionen aus dem medialen Raum zwischen der Schweiz, Deutschland und dem Kosovo einen Beitrag zur Bearbeitung einer bereits [11] vielschichtigen und vielstimmigen Praxis leisten. Die mannigfaltigen, teils widersprüchlichen Wirkweisen und Formen des Komischen untersuchen wir mit Ansätzen der soziologischen, diskurs- und soziolinguistischen Humorforschung und Perspektiven der kritischen Migrationsforschung. Um einen Eindruck der Vielschichtigkeit humoristischer Praktiken und Scherzkulturen zu vermitteln, bearbeiten wir unterschiedliche Felder.

    Im ersten Kapitel führen wir gemeinsam in das Themenfeld ein.

    Das zweite Kapitel von Helga Kotthoff beleuchtet mediale und alltagspraktische Interkultur-Komik in nicht dominant migrantischen, deutschsprachigen Kontexten. Sie diskutiert Stilmittel, Formen und Grenzen populärer deutscher Comedy-Produktionen, auch das Verhältnis zwischen stilisierter und parodierter „Kanak Sprak" und der Komisierung der von Migration geprägten Jugendsprachen. Methodisch steht das zweite Kapitel in einer soziolinguistisch-gesprächsanalytischen Tradition, die die Verschriftung des Mündlichen mit seinen Besonderheiten sehr ernst nimmt. In dem Kapitel finden sich viele Transkripte von medialen und alltäglichen Scherzaktivitäten.

    Das dritte Kapitel von Shpresa Jashari behandelt die exklusive Komik unter kosovo-albanischen MigrantInnen, die auf albanischsprachigen Videos verbreitet wird. Sie nimmt die Vermittlung und Aushandlung von Konflikten zwischen MigrantInnen und dem Herkunftsland in den transnationalen Sketchproduktionen in den Blick und fragt nach Funktionszusammenhängen von sprachlicher und visueller Komik. Das Kapitel ist eher diskursanalytisch ausgerichtet, greift aber auch auf ethnomethodologische Ansätze der Verhandlung von Zugehörigkeiten zurück.

    Das vierte Kapitel von Darja Klingenberg ist den Witzen, Parodien und Anekdoten eines Russisch sprechenden russisch-jüdischen Freundeskreises in Deutschland gewidmet. Sie analysiert die Bedeutung humoristischer Narrative in Alltagsgesprächen russisch-jüdischer MigrantInnen und ordnet sie in historische und soziale Kontexte ein. Soziologische Perspektiven auf migrantischen Humor werden entwickelt.

    Um auch die Perspektiven der Praxis zu Wort kommen zu lassen, haben wir drei Gespräche mit zeitgenössischen Comedians und KabarettistInnen geführt, die sich zwischen den Kapiteln finden. Die Dialoge zeigen Motivation, Erfahrungen und Sichtweisen von KomikerInnen in und auf Deutschland sowie die Schweiz als Einwanderungsländer.

    [12] Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bei Sinasi Dikmen aus Frankfurt am Main, Serpil Pak aus Berlin (beide im Gespräch mit Helga Kotthoff), und Semih Yavsaner alias „Müslüm" aus Bern (im Gespräch mit Shpresa Jashari) bedanken. Ihre Produktionen haben uns amüsiert und dabei unser Denken und Fühlen über Humor in der Interkultur bereichert, was wir an die LeserInnen des Buches weitergeben möchten. An Eurolindi in Prishtina geht unser herzlichster Dank für das Zurverfügungstellen des Bildmaterials aus dem untersuchten Sketch. Wir bedanken uns auch bei Hicham Jeddou, Ulrike Ackermann, Olga Artamonova, Antonius Baehr, Wiebke Andres, Florian Blumer, Petra Landwehr und dem internen Forschungsfond der Universität Freiburg für vielfältige Arten der Unterstützung. Wir drei Autorinnen danken einander ebenfalls für die Zusammenarbeit, die weitgehend per E-Mail stattfand.

    Das Buch ist kein Witzbuch; Anlässe für die Verbindung von Schmunzeln und Nachdenken sind aber vorhanden.

    Freiburg, Frankfurt und Zürich im Oktober 2012

    [13] I.      Komik (in) der Migrationsgesellschaft

    HELGA KOTTHOFF, DARJA KLINGENBERG, SHPRESA JASHARI

    1.       Einleitung

    Migration, (post) koloniale, grenzüberschreitende und transnationale Sozialitäten prägen Ökonomien, Politik und Alltag des 21. Jahrhunderts. Jede/r Fünfte heute in Deutschland Lebende ist selbst migriert oder hat zumindest ein Elternteil mit einer Migrationsgeschichte. In der Schweiz haben 30 % der Bevölkerung diesen sogenannten Migrationshintergrund, in Österreich sind es knapp 18 %.⁴ Dazu kommen die Ungezählten, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen vorübergehend, irregulär oder illegal in diesen Ländern aufhalten (Terkessidis 2010) und die Menschen, die wie etwa Sinti und Roma, seit Generationen in Deutschland und der Schweiz leben und dennoch immer wieder aus nationalen Narrativen ausgeschlossen werden. In den letzten Jahrzehnten haben sich nicht nur geographische, sondern auch politische, kulturelle und soziale Nähe- und Ferneverhältnisse verschoben. Wer heute migriert, bleibt über die neuen Kommunikationsmedien und billigeren Transportmittel in enger Verbindung zum Herkunftsland. Migrationsprozesse, die Verschiebung von politischen Grenzen in der EU, veränderte globale Kräfteverhältnisse lassen immer wieder die Frage nach Identität und Zugehörigkeit aufkommen. Für eine offene Diskussion dieser Fragen, so der Autor Senocak, fehle in den deutschsprachigen Öffentlichkeiten der Schweiz und der Bundesrepublik aber bislang die Sprache. (2011: 55)

    [14] MigrantInnen, deren im Ankunftsland aufgewachsene Kinder und Enkelkinder, Deutsche oder SchweizerInnen mit unterschiedlichen kulturellen Zugehörigkeiten bilden diverse Szenen, Communities, Subkulturen und Milieus inmitten und jenseits der Mehrheitsgesellschaft. Hier spielt Humor als Mittel der Erfahrungsverarbeitung sowie Grenzverhandlung und –überschreitung eine oftmals unterschätzte Rolle; er dient der Gestaltung und Artikulation von Differenzen, feinen Unterschieden, von Erfahrungen der Ausgrenzung und Benachteiligung, aber auch des gewitzten Vorpreschens, und spielt eine zentrale Rolle in der Zugehörigkeits- und Anerkennungsverhandlung in Migrationsgesellschaften und transnationalen sozialen Räumen. Über Scherzaktivitäten werden soziokulturelle und ethnische Differenzen ⁵ nicht nur konstruiert und verfestigt, sondern auch flexibilisiert, unterwandert und/oder ad absurdum geführt. Mit Ethnomethodologen wie Hausendorf (2000, 2002) verfolgen wir diese Formen einer mehr oder weniger flexiblen Zugehörigkeitsverhandlung in Gesprächen und Mediendiskursen. Der komische Diskurs ist ein Austragungsort und zugleich Gegenstand der Verhandlung von Migrationsprozessen, Zugehörigkeiten und Identitätsverständnissen. Seine Analyse wirft eigene Schwierigkeiten auf.

    1.1      Der Integrationstest – ein guter Scherz? Migrationsgesellschaften und komische (Miss)Repräsentationen

    Gibt man gegenwärtig den Begriff Integrationstest in eine gängige Suchmaschine ein, führen die erstplatzierten Ergebnisse zu komischen Beiträgen: Zwei, drei scherzhafte Videos sind gelistet, erst danach schließen sich ernstere Beiträge an. Dieses Ergebnis ist ein Hinweis auf die Selbstverständlichkeit und Bedeutung des Komischen in öffentlichen und lebensweltlichen Verhandlungen von Migrationsprozessen und Migrationspolitik.

    [15] Der Beitrag „ Umfrage zum Integrationstest (was nicht gesendet wurde) " nimmt seit einiger Zeit den ersten Platz ein ⁶. Das Video ist paradigmatisch für Charakteristika, Rezeptionsformen und Interpretationsprobleme des Komischen: Titel und Format des Videos erwecken den Eindruck, es wäre einer der zahlreichen Fernsehbeiträge, in denen Menschen „von der Straße zur Tagespolitik befragt werden; zugleich schürt es die Erwartung eines aufzudeckenden Skandals: Die Einstellung zeigt einen jungen, schwarzen Mann im Muskelshirt, mit blondem Schnurrbart und einer Plastiktüte, der schnellen Schrittes telefonierend auf die Kamera zuläuft. Er wird angehalten und gebeten, ein paar Fragen aus dem Integrationstest zu beantworten, z.B. wer in Deutschland Kanzler sei. Der deutsche Kanzler, das sei doch „dieser Angelo, der Angelo, Angelo Merte sagt er in einem hypertypisierten Kiezdeutsch mit schwäbelndem Beiklang. Davor wäre, wenn er sich recht erinnere, „der Hitler dran gewesen: „Hitler, kann das sein?. Die Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Mauerfalls versteht er als Provokation „Was für Mauer, Alder wasch laberst du. Woher solle er wissen, wann und wo in Deutschland eine Mauer umgefallen sei, auch die Anzahl der Bundesländer und die Einwohnerzahl Deutschlands wüsste er nicht so genau: „Ach Mathematik, immer Mathematik, Pipapo. Ständig hängt er am Handy und erfragt beim Kumpel mit viel Einsatz von Formeln des Typs „ey, Alder die Antworten, z.B. auch die nach der deutschen Hauptstadt, die er dann mit „Luxemburg beantwortet. Integration fände er aber eine gute Sache, beendet er das Interview, entsprechend tränke er mit seinem Nachbarn regelmäßig Bier und auch seine Frau hätte er jetzt zwei Monate lang nicht geschlagen.

    Das Video wirkt täuschend echt; es trifft den Stil und die Ästhetik von vorführenden Meinungsumfragen auf der Straße und fängt den Stereotypus migrantischer Männlichkeit ein. Bis in die letzte sprachliche und habituelle Nuance zeigt es den von der Öffentlichkeit gefürchteten, vermeintlich integrationsresistenten Migranten: ungebildet, dabei selbstbewusst und gewitzt. In der ersten Rezeption kann das Lachen im Hals stecken bleiben: Einerseits werden hier rassistische Ressentiments eine/r konservativen BetrachterIn so sehr bestätigt, dass die Lust am infantilisierten, ungebildeten Anderen, der Voyeurismus der Mehrheit in Empörung umschlägt. „Armes Deutschland"⁷ [16] heißt es in mehreren Kommentaren unter dem Video. In weiteren Kommentaren wird Entrüstung über die dargestellte Unwissenheit artikuliert. Es finden sich auch völkische Phantasien der Ausweisung aller Nicht-Deutschen unter den Kommentaren. Andererseits bleibt das Lachen auch den ZuschauerInnen im Halse stecken, die für Wirkweisen von Rassismen sensibilisiert sind: Sie sehen, wie das Stereotyp migrantischer Männlichkeit konstruiert und vorgeführt wird und wie deren Darstellung als bildungsresistent, proletarisch und sexistisch reproduziert wird.

    Zugleich entzieht sich das Video einer eindeutigen Interpretation und einer moralisierenden rassistischen, wie antirassistischen Vereinnahmung. Die treffsichere Platzierung der Pointen (Kanzlerin, Mauer, Aufarbeitung des Nationalsozialismus,) und fortschreitende Überzeichnung des Nichtwissens weckt Zweifel an der Authentizität und Stoßrichtung (wer hält schon Luxemburg für die deutsche Hauptstadt?). So zeigt sich beim näheren Hinsehen, dass das Video ein „Fake", eine Parodie auf die Integrationsdebatte darstellt. Es wurde von dem Schauspieler Tedros Teddy Teclebrhan mit Freunden konzipiert, realisiert und ins Netz gestellt. Innerhalb eines Jahres ist es über 15 Millionen mal angeklickt worden, Teclebrhan und seine Figur Antoine wurden in kurzer Zeit zu einem „YouTube-Star (Süddeutsche Zeitung 2. 5. 2012), seine Videos sind in verschiedenen Feuilletons besprochen worden. Er gewann einen Sendeplatz bei ZDF Neo, wo er mittlerweile eine eigene Sendung führt und als „deutscher Dave Chapelle gehandelt wird.

    Die Stoßrichtung und Deutung des Videos bleibt, wie so oft in humoristischen Produktionen, mehrdeutig. Der kritische Impuls konkurriert mit der reinen Unterhaltung und albernen Zur-Schau-Stellung. Die Überspitzung der Stereotypen ist ein Versuch, diese gegen sich selbst zu wenden, die Wirkweisen solcher vorführenden, rassifizierenden Fernsehbeiträge offenzulegen. Diese Deutung stellt das Video in die Tradition migrantischer oder antirassistischer Kritik, wie sie etwa Hall (2004: 165ff) im Rahmen seiner Analyse der Repräsentation und des Spektakels des Anderen beschreibt. Dieses Spiel mit diskriminierenden Repräsentationsformen, deren ostentativer Zur-Schau-Stellung, Überspitzung und Auflösung ist ein zentraler Topos kritischer Satire und kritischen Kabaretts. Solche Strategien können Stereotypen unterwandern, ihre Wirkweisen, Widersprüchlichkeiten und Absurdität aufzeigen und sie dadurch in Frage stellen. Zugleich laufen sie beständig [17] Gefahr, diese selbst zu reproduzieren. Denn auch rassistische und kulturalisierende Stereotypen nutzen die Polyphonie des Komischen.

    Im Komischen können Ambivalenzen und einander widersprechende Vorstellungen vereint werden: So waren in historischen antisemitischen und rassistischen Darstellungen jüdische Männer zugleich allmächtig und listig, wie auch schwach und impotent, während schwarze Männer infantilisiert und als überpotent und bedrohlich dargestellt wurden. In der Rassismusforschung und den Black Studies wurden diese gewaltvollen Dimensionen des Komischen paradigmatisch an amerikanischen Ministrel-Aufführungen (Toll 1977, Gubar 1997) und den Darstellungen von Schwarzen und People of Color in früheren und gegenwärtigen Hollywoodproduktionen (Guerrero 1993) herausgearbeitet. In postmodernen medialen Öffentlichkeiten erscheinen rassistische Repräsentationen meist als Zitate historischer Rassismen, selten als direkte Artikulation derselben (Weaver 2011). Gegenwärtig arbeiten abwertende Repräsentationen in der Öffentlichkeit gern mit dem spielerischen Zitieren kultureller Differenzen, die mal geschätzt werden, mal das Gegenteil. Das Komische spielt somit nach wie vor eine prominente Rolle in der Festigung von Stereotypen und kulturellen Distinktionen und auch in Kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung und Hegemonie. Kritische Diskurs- und Sozialtheorien betonen daher die häufige Verwobenheit humoristischer und diskriminierender Praktiken.

    Zugleich sind abwertende oder solidarische Sprechaktivitäten in der Vagheit und Mehrdeutigkeit des komischen Diskurses anders zu diskutieren als im ernsthaften Modus getätigte Aussagen. Die Analyse komischer Sprechaktivitäten, die auf der Suspendierung von Regeln ernsthafter Diskurse, auf ironischer Überaffirmation und spielerischer Ernsthaftigkeit bei unrealistischen Inhalten beruhen, bedürfen daher einer genauen, über die lokale Aktivität hinausgehenden Kontextualisierung, um die darin artikulierte anerkennende, kritische oder aggressive Haltung rekonstruieren zu können.

    [18] In der Rezeption des oben beschriebenen Videos zeigen sich verschiedene Deutungsmuster: Unter den rund 50 000 Kommentaren nehmen einige wenige den Beitrag ernst und mokieren den Verfall der Bildungswerte, andere kommentieren offen rassistisch ⁹. Die überwiegende Mehrheit erkennt aber, dass es sich bei dem Video um ein „Fake handelt und lobt es begeistert. Unermüdlich wird diese Erkenntnis bestätigt und der eigene Sinn für Humor markiert: „des is geschauspielert und „falls du es immer noch nicht gecheckt hast … Das ist ein Schauspieler;) er weiß in Wirklichkeit von der Mauer." [Hervorhebung der Autorinnen] Auf diese Wirklichkeit beziehen sich mehrere Beitragende und diskutieren, ob der Beitrag die Wirklichkeit überspitze oder sie ihres Rassismus überführe. Der Vorwurf, keinen Sinn für Humor zu haben, wird abgelöst von dem, ein(e) RassistIn zu sein. Die Verhandlung des Videos und die Frage, wo denn darin der Witz liege, eröffnet einen Raum, in dem Fragen der Zugehörigkeit und Ansprüche an MigrantInnen und Deutsche formuliert werden.

    Die Mehrheit der Kommentare lobt das Video leidenschaftlich. Zwei Rezeptionslinien sind dabei zentral: die eine migrationsbezogen, die andere jugendkulturell. Die erste diskutiert den Beitrag als kritische Position zur Integrationspolitik. Hier ähneln die Kommentare dem Diskurs der Feuilletons: die Überzeichnung des „Negativ-Klischee-Migranten" (Spiegel¹⁰) bzw. des „ahnungslosen Migranten (SZ vom 2. 5. 2012: Auge drauf. Ahnungsloser Migrant, Rassist mit Überbiss: Teddy's Neo-Show.) halte der Migrationspolitik den Spiegel vor. Die zweite und zahlenmäßig stärkere Rezeptionslinie feiert das Video als Schlachtplatte witziger Sprüche. Die Statistik des Videos verortet seine Beliebtheit hauptsächlich in der Altersgruppe zwischen 13-17 Jahren. Eine endlose Zahl an Kommentaren zitiert und wiederholt Teddys Sprüche: „Ey wasch labersch du! „Boah ey, du kommsch mir immer mit so tricky Fragen und „Hascht übahaupt geleant. Die Beitragenden erfreuen sich an den sprachlichen Wendungen, dem Witz der Figur Antoine, der sich [19] der schulmeisterlichen Abfrage mit kiezdeutschen Sprüchen entzieht. Medienberichte sprechen von einem Boom der Zitate in der Jugendsprache.¹¹ Für die Jugendlichen scheint weniger die Auseinandersetzung mit Migration komisch zu wirken, als die „Verarschung von Bildungsinstitutionen und bürgerlichen Bildungsidealen. Entsprechend parodieren die beliebtesten Zitate vor allem das Setting schulischer Abfragesituationen, von denen Schüler-Innen mit und ohne Migrationshintergrund betroffen sind. Die Popularität Antoines und die Verwendung seiner Sprüche kommentiert also nicht primär die selbstverständliche Wirklichkeit der Migrationsgesellschaft, sondern genauso den Alltag an deutschen Schulen. Mit „Street Credibility und der Darbietung von „Coolness" wird Distanz zu Streberhaftigkeit und als übertrieben empfundener Schulorientierung markiert.

    Das Video und seine Rezeption verweisen auf die Rückwirkungen von Comedy und komischer Repräsentation von MigrantInnen auf lebensweltlichen Sprachgebrauch und Jugendkulturen; wir werden auf diese Problematik im zweiten Kapitel ausführlich zu sprechen kommen. In der breiten und widersprüchlichen Rezeption dieses Videos zeigt sich die Mehrdeutigkeit komischer Diskurse: die Schwierigkeit, Missrepräsentationen zu unterwandern und die Ambivalenz migrantischer Kritik, aber auch die eigensinnige Deutungsmacht und die Rezeptionswege migrantischer Komik. Die Interpretation, wie überhaupt die Lesbarkeit komischer Produktionen, hängt dabei entscheidend von gesellschaftlichen und individuellen Lebens- und Wissenskontexten der RezipientInnen ab. Dies wird besonders in den Analysen des dritten und vierten Kapitels herausgearbeitet, die, basierend auf fremdsprachigem Untersuchungsmaterial und in Überschreitung des deutschen, respektive schweizerischen Diskursraums, ihre Daten nicht nur in einer sprachlichen, sondern oft auch einer wissenskontextuellen Übersetzung erst „urbar" machen müssen für eine deutsch(sprachig)e Rezeption.

    [20] 1.2      Migrantische Komik in der medialen Öffentlichkeit

    „Mannheimer Dialekt, das ist Ethno–Comedy genug – Nee, da brauch ich keinen Türken." Bülent Ceylan: Metrosex¹²

    Die plötzliche Popularität des Videos von Tedros Teclebrhan und seine Rezeptionsgeschichte stehen paradigmatisch für die Bedeutung neuer Medien und Distributionsformen für Themen, Genres und ProtagonistInnen gegenwärtiger Scherzkulturen. Videoplattformen wie Vimeo und YouTube, zugängliche Videokameras und Schneideprogramme lassen selbstproduzierte oder selbstgedrehte Beiträge im Internet schnell Verbreitung finden. Dieses Phänomen hat auch mit zur Popularität des Music-Comedians Semih Yavsaner alias Müslüm (ein Gespräch mit ihm findet sich im Buch) beigetragen und den außerhalb der Netzcommunity weniger etablierten Granit Dervishaj alias Baba Uslender (für Vater (alb.) Ausländer (schweizerdt.)) bekannt gemacht, in dessen Raptexten Komik und Ernst zuweilen ebenso schwer dingfest zu machen sind wie bei Teclebrhan. Bei beiden handelt es sich um Schweizer mit Migrationshintergrund, die sich in ihrer Komik und Musik schwerpunktmäßig mit Migrationserfahrungen befassen. Wird You-Tube so zu einem Diskurskanal, der den in den offiziellen Medien der Mehrheitsgesellschaft marginalisierten MigrantInnen eine Stimme und einen Verstärker bietet? Das scheinen die Beispiele nahezulegen. Ein Medium, das als Vorgänger der neuen internetbasierten, grenzüberschreitenden Medien bezeichnet werden kann, sind die von Jashari (in diesem Buch) diskutierten Produktionen der „këngë dhe mahi", kosovo-albanische Lieder und Scherze, die vor dem Internetboom als VHS oder DVD aus dem Herkunftsland in die Migrationsländer vertrieben wurden. Heute kursieren sie, aus dem humoristischen und musikalischen Programmkontext gelöst, zunehmend als Einzelsketche frei im Internet. So werden Comedy oder Cabaret in den letzten Jahren mehr und mehr über das Internet konsumiert, kommentiert und über soziale Netzmedien verbreitet. Dort finden wir alte Fernsehproduktionen oder Filme mit neuen Texten und neuem Sinn überschrieben und mit mehr oder weniger Aufwand neue Video-Clips gedreht und ins Netz gestellt. Diese Plattform nutzen Privatleute, professionelle BloggerInnen und Unterneh-men. [21] Damit öffnen sich auch neue Karrierewege bzw. Sackgassen für Comedians und KabarettistInnen.

    Teclebrhan hat zumindest gegenwärtig Erfolg. Seine Figur Antoine erinnert an Sascha Baron Cohens „Ali G, der Anfang der 2000er äußerst populär war (Weaver 2011, Kapitel 9). Antoine ist wie Ali G eine „prollige, ungebildete Figur von der Straße, die rassistische Stereotype bespielt und zugleich diffundiert, wobei hier, wie Weaver zeigt, die Gefahr besteht, dass diese Stereotypen auch festgeschrieben und schwarze oder migrantische Personen auf die Rolle des lustigen oder coolen Prolls festgelegt bleiben.

    Die Kritik an Assimilationsanforderungen oder Integrationskonzepten, sowie der medialen Repräsentation von MigrantInnen und anderen marginalisierten Gruppen bildet eine Traditionslinie migrantischen Kabaretts. Auch politische Gruppen oder AkteurInnen nutzen ja schon immer die erkenntniskritischen und aufrüttelnden Ausdrucksmittel des Komischen. Die Autorin, Aktivistin und Künstlerin Noah Sow beispielsweise spielt in ihrem Bühnenprogram, wie in ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß: der alltägliche Rassismus (2008) mit schlagfertigen Antworten auf Rassismus und liefert ironische Beschreibungen des Alltags in Deutschland. Politische Gruppen wie Kanak Attack nutzten in ihren Kampagnen Ironie und Witz.

    Jenseits eines herablassenden Humors von der scheinbar sicheren Warte der Majorität aus existiert ein Humor, der die Sicherheit der bundesdeutschen oder schweizerischen Mehrheitsgesellschaft mit ihren Hierarchien scherzhaft in Frage stellt und Konstruktionen von nationaler Homogenität und Einheit kritisiert.

    Schon das erste Programm der Pioniere „deutsch-türkischen, deutschsprachigen Kabaretts Mitte der 80er thematisierte diese Problematik mit dem Programm „Vorsicht frisch integriert. Sinasi Dikmen und Muhsin Omurca, beide aus der ersten Generation der ArbeitsmigrantInnen, nannten sich „Knobi-Bonbon, denn, so die Beschreibung auf ihrer Webseite, der integrierte Türke verzichte auf Knoblauch und schluckt statt dessen geruchlose Knoblauchpillen. (Siehe das folgende Interview mit Dikmen). Auch in späteren Kabarett-Programmen, etwa bei den „Bodenkosmetikerinnen um Nursel Köse und Serpil Pak, dem ersten deutsch-migrantischem Frauenkabarett, in den Texten von Osman Engin, Feridun Zaimoglu und zahlreichen anderen wird eine gegenläufige Darstellung von MigrantInnen, TürkInnen und „Kanaken" weitergeführt. Thema ist auch immer wieder die Verschleierungs-Politik[22] (Serpil Pak in diesem Buch dazu mehr) des deutschsprachigen Migrationsdiskurses, in dem sich beständig die offiziellen Bezeichnungen für MigrantInnen ändern, aus Gastarbeitern ausländische Mitbürger und Kulturhybride werden, politische Rahmenbedingungen aber unverändert bleiben.

    Kabaretts wie „Knobi-Bonbon oder die „Bodenkosmetikerinnen waren erfolgreich, ihre Shows in den 1990er Jahren regelmäßig ausgebucht, zugleich war ihr Radius auf ein linksliberales Milieu, Migrations- und Integrationsvereine festgelegt. Insbesondere Anfang der 90er, nach den Übergriffen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln, waren die Knobi-Bonbons gern gesehene Gäste auf Veranstaltungen von Kultur- und Integrationsvereinen (Boran 2004: 218). Dabei blieb auch ihnen selbst mitunter unklar, ob sie als KünstlerInnen oder als Anschauungsobjekte geglückter Integration wahrgenommen und anerkannt werden sollten (vgl. ebd). Von MigrantInnen satirisch formulierte Kritik an deutscher (Migrations)politik blieb lange nur in gesellschaftlichen Nischen zu hören. Bis Ende der 90er war die ernsthafte wie die komische Verhandlung des „Einwanderungslandes Deutschland marginal. Jill Twark (2011) sieht die deutsche Humorkultur der 1990er Jahre eher bestimmt durch die Auseinandersetzung mit der Ost-West-Geschichte, der NS-Vergangenheit und der Konsolidierung einer neuen „deutschen Identität. Erst danach habe es eine Auseinandersetzung mit Themen aus von Migration geprägten Lebenswelten und humoristischen Produkten der MigrantInnen erster und zweiter Generation gegeben (Twark 2011: 7-10). Tes Howell (2011) sieht dieses Verhältnis noch einmal kritischer. In der Aushandlung einer neuen „deutschen Identität seien die Stimmen von MigrantInnen systematisch untergegangen. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten war von Anfang an eine Frage, zu der MigrantInnen und neueingebürgerte Deutsche nichts zu sagen hatten. Sie konkurrierten mit den „Ossis um die Positionen der Marginalisierten (Howell 2011). In den von US-amerikanischen Formaten inspirierten Comedy- und Late Night Sendungen¹³, wie in linksliberalen politischen Kabarettformaten figurierten lange ausschließlich Deutsche ohne Migrationshintergrund. Diese spielten mitunter exotische Figuren¹⁴ oder äußerten sich zu Fragen der [23] Migrationsgesellschaft, thematisch und personell kamen MigrantInnen oder schwarze und andere Deutsche und SchweizerInnen kaum zu Wort.

    Dies fällt insbesondere im internationalen Vergleich auf: In Großbritannien und den USA prägten minoritäre Positionen und Themen schon viel länger die Bildschirme und Kabarett-Bühnen. Humor und Comedy rund um gesellschaftliche Konflikte ist im angelsächsischen Raum seit mehreren Jahrzehnten zentral in den Massenmedien platziert: Gegenwärtige USamerikanische Comedians wie Chris Rock, Dave Chappelle, Margret Chow aber auch John Stewart führen eine lange kabarettistische Tradition fort. Auch britische Filme nutzen die Komödie, die Groteske und die Parodie seit den 1980ern, um Fragen der Migration und (post)kolonialer Verhältnisse zu thematisieren: Filmgeschichtliche Meilensteine waren in Großbritannien My Beautiful Laundrette von 1985, Gurinder Chadhas Bhaji on the Beach von 1993) und in den letzten Jahren Ali G in da House (2002), Bend It Like Beckham (2002) oder die grenzwertige Produktion Four Lions von 2010. In der deutschen Filmlandschaft dominierte lange das Drama und Melodram als Medium der Verhandlung von Migration (Gökturk 2000, 2003). Erst in den 1990er Jahren entstanden erste (Tragik)Komödien, wie Ich Chef, du Turnschuh (1998) und Kanak-Attack (2006). In den letzten Jahren werden es mehr FilmemacherInnen, die selbst aus Migrationsfamilien kommen und selbstironische und scharfsinnige Gegenpositionen zu der „subnationalen Mitleidskultur (Gökturk 2000: 344) des deutschen Migrationskinos entwerfen. Im Literaturbetrieb beschreiben AutorInnen wie Wladimir Kaminer (2002) oder Lena Gorelik (2004) ihrem Publikum die Leiden und Freuden russisch- jüdischer Migration und des Lebens in Deutschland in einem scherzhaften Ton und mit absurden komischen Geschichten. Und auch auf den Bühnen der Comedy-Shows und Kabaretts finden sich mehr und mehr MigrantInnen und Migrationsthemen. Waren Sinasi Dikmen und Muhsin Omurca in den 1980er Ausnahmeerscheinungen, so ist das Spektrum der mit kultureller Differenz und Zuschreibung spielenden Satiren im deutschsprachigen Raum mittlerweile erheblich diversifiziert (Kotthoff 2010a): Django Asül, Murat Topal, Müslüm, Bülent Ceylan, Serdar Somuncu, Kerim Pamuk, Selda Akhan, Die Bodenkosmetikerinnen (Nursel Köse und Serpil Pak), [24] Il-han Atasoy, Murat Sen, Aydin Isik, Mundstuhl, Erkan & Stefan, Ciro de Luca, Hamed Abdel-Samad und Henryk M. Broder sind nur einige Beispiele von KomikerInnen, KabarettistInnen und Stand-Up Comedians, die ihre Pointen aus dem Alltag der Migrationsgesellschaft generieren. Diese KünstlerInnen bearbeiten mit unterschiedlichem Erfolg ein breites Feld von Themen. Sie nutzten Mittel des „Cultureclash, des Wortwitzes, des Spiels mit Akzenten, mit Stereotypen und Habitus-Wissen, Sprechstilen, unerwarteten Perspektivwechseln. Sie schöpfen ihre Pointen und Bilder aus Alltagserfahrungen in migrantisch geprägten, bilingualen Lebenswelten. Im Kontext sozialer und politischer Konflikte in von Migration geprägten Ankunfts- und Herkunftsgesellschaften entsteht ein Panorama an neuen sozialen und situativen Typen, die sich zu Karikierung, Persiflierung und spaßiger Überzeichnung anbieten. Die Frage ist heute also nicht mehr vorrangig, ob MigrantInnen und Themen einer Migrationsgesellschaft öffentlich repräsentiert sind, sondern vor allem wie (dazu auch El Hissy 2012: 9).

    Trotz dieser Tendenz sind die migrantischen KünstlerInnen noch immer in der Minderheit: Unter den Trägern des deutschen Comedypreises, eingeführt in den 90ern, finden sich mit Kaya Yanar und Bülent Ceylan genau zwei Personen, die schwerpunktmäßig Repräsentation von MigrantInnen darbieten.

    So bleiben manche der Comedians und KabarettistInnen komische Fremde, traurige, tragikomische Figuren: Sie stellen selbstverständliche gesellschaftliche Ordnungen in Frage, zugleich sind sie permanent bedroht, selbst lächerlich gemacht zu werden. Diese Konturen des komischen Fremden zeigen sich schon in Charlie Chaplins Meisterwerk „The Immigrant" von 1917: Der namenlose vagabundierende Tramp irrt und fällt hilflos auf dem großen Übersee-Dampfer herum. Seine verzweifelte Suche ist mal auf ein elementares Plätzchen für sich selbst, mal auf das große Glück in Geschäften oder in der Liebe gerichtet. Seine Handlungen laufen dabei seltsam ins Leere, mal scheitert er an der Umwelt, die ihn hin und her wirft, des Diebstahls beschuldigt oder schlägt, mal an sich selbst, wenn er seinen letzten Groschen verliert, wiederfindet und wieder verliert. Nur in der Liebe hat der arme Schlucker Chaplins Glück, nur hier scheint er den Zumutungen des Migrantendaseins eine bessere Zukunft entgegenzusetzen. Chaplins Tramp – ein Urtyp des komischen Fremden – drückt die immanenten Widersprüche und Grausamkeiten bürgerlicher Gesellschaften aus: diese bringt einen armen, lächerlichen [25] Vagabunden fast schon notwendig hervor und schafft beständig Situationen, die sich gegen die Subjekte wenden und ihnen unüberwindbar gegenüberstehen. Chaplin ist, wie manche der in diesem Buch beschriebenen ProtagonistInnen komischer Migrationsgeschichten, zugleich komischer Held und armes Würstchen. Seine Armseligkeit und Lächerlichkeit ist Ausdruck der Grausamkeit und Tragik der Position von MigrantInnen und Flüchtlingen in modernen Gesellschaften. Zugleich scheint deren Überwindung in Chaplins Figur auf. Die eigensinnige und selbstbewusste Beschreibung des eigenen Leidens und der eigenen Konflikte

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