Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Wüstenwolf
Der Wüstenwolf
Der Wüstenwolf
eBook408 Seiten5 Stunden

Der Wüstenwolf

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Im Sechstagekrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten unterliegt auch der israelische Geheimdienst – der beste der Welt? - einer Zerreißprobe. Der von den israelischen Agenten mitunter blitzartig, systematisch geführte Geheimkrieg ist unerbittlich: »2000 Jahre Talmud, in den Dienst der Elektronik gestellt«. Einer der Spitzenleute ist Ephraim Goldschmidt, der Wüstenwolf. Hinter den feindlichen Linien, unter der erbarmungslosen Sonne Jordaniens, funkt er, ständig vor den Verfolgern den Standort wechselnd, seine Daten zum Hauptquartier. Ihn der 13 jährig im KZ Buchenwald gesessen war, holt die Vergangenheit ein, als er, auf Mission in Ostberlin, das Mädchen Nevena trifft, dessen Mutter ihr im Lager geliebt hatte. Immer enger zieht sich das Netz der palästinensischen Agenten und des DDR-Sicherheitsdienstes um den Wüstenwolf zusammen - immer enger verstrickt er sich in die Liebe zu Nevena, deren Ziehvater Agent des Ostblocks ist, und in die Erinnerungen, die Nevena in ihm ausgelöst. Steuert er auf die unvermeidliche Katastrophe zu? Gibt es ein Entrinnen aus den ständig wachsenden Gefahren? Der extreme Druck, unter dem Ephraim Goldschmidt steht, und die äußere Anspannung der Nerven, der der Wüstenwolf ausgesetzt ist, lassen den Leser keine Sekunde zur Ruhe kommen. -

George Tenner, einem ausgezeichneten Kenner der Geheimdienste von Ost und West, ist eine atemberaubende Darstellung der Innen- und Außenwelt eines Meisterspions gelungen.

SpracheDeutsch
HerausgeberGeorge Tenner
Erscheinungsdatum22. Sept. 2012
ISBN9781301100989
Der Wüstenwolf
Autor

George Tenner

George Tenner *1939 Der Sohn des Kunstmalers Helmut Schmidt-Kirstein wuchs in einem Künstlerhaushalt in Dresden, Bischofswerda und - nachdem sich die Eltern trennten - in Berlin und Ahrenshoop an der Ostsee auf. Nach einer handwerklichen Ausbildung und der Meisterprüfung führte er ab 1961 eigenen Betrieb bis zu seiner Flucht aus der DDR im Oktober 1966 in Berlin und Ahrenshoop. Tenner war mit Johannes Tralow befreundet, der ihm empfahl zu schreiben. Auch der jüdische Schriftsteller Bruno Frei aus Wien gehörte zum Bekanntenkreis Tenners und seiner Familie. 1964 wurde Tenner wegen des Versuches, aus der DDR zu fliehen durch die Staatssicherheit verhaftet. Er verbüßte im Stasi-Untersuchungsgefängnis in Frankfurt/Oder und der Strafvollzugsanstalt Rüdersdorf eine über einjährige Haftstrafe. Nach der Entlassung bereitete er erneut seine Flucht vor. In einer Oktobernacht des Jahres 1966 floh er gemeinsam mit seiner zweiten Frau Ulla-Ingelore, mit der einen Sohn hat, und einem während der Haft kennengelernten Freund in einem Schlauchboot von Ahrenshoop über die Ostsee zum Feuerschiff Gedser. Stationen in seinem Leben waren Aschaffenburg, Frankfurt, Offenbach, Hamburg, Öhningen am Bodensee und mehrfach Berlin. Von Westberlin aus recherchierte er über verschiedene Geheimdienste in Ost und West und veröffentlichte 1982 seinen ersten Roman über den Geheimdienst der DDR in Verbindung mit dem Sechstagekrieg in Israel unter dem Namen „Der Wüstenwolf“ im Verlag Herbig/München. Wegen nachgewiesener Verfolgung durch die Staatssicherheit der DDR – ein Operationsbefehl zum Eindringen in seine Westberliner Wohnung ist bei der Stasi-Unterlagenbehörde aktenkundig – und einer befürchteten Entführung oder eines Anschlages auf sein Leben, verließ Tenner Westberlin und siedelte nach Öhningen am Bodensee über. Er arbeitete als freier Journalist und Redakteur für Zeitungsverlage in Deutschland und der Schweiz. Von 1984 bis 1990 betrieb er in Öhningen zusammen mit seiner Frau die Presse- und PR-Agentur -utwapress-. 1990 zog Tenner wegen Rückübertragungsforderungen nach Bernau bei Berlin um. George Tenner ist Mitglied im Deutschen Journalistenverband und der Autorengruppe Syndikat. Seit 2002 arbeitet er als freischaffender Schriftsteller und lebt in Bernau bei Berlin sowie zeitweise auf Usedom.

Mehr von George Tenner lesen

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Der Wüstenwolf

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Wüstenwolf

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Wüstenwolf - George Tenner

    ERSTES BUCH

    Prolog

    Das Phänomen Israel aus seinem Geheimdienst erklären zu wollen, wäre ein paradoxes Unternehmen. Und doch ist es unmöglich, dieser Organisation keine Beachtung zu schenken. Die beste der Welt? Erfolgreiche werden immer und überall anerkannt, auch wenn ihr Erfolg manchmal lästig wird. So bemerkenswert die Schlagkraft und die Kühnheit des israelischen Geheimdienstes sein mögen - er kennt auch Misserfolge. Trotz noch so guter Organisation ist er oft zu Improvisationen und zu Taschenspielertricks gezwungen. An seiner Spitze stehen Männer von überragender Intelligenz, in den unteren Rängen gibt es auch mittelmäßige und schwache. Der von ihnen mitunter blitzartig, systematisch geführte Geheimkrieg ist unerbittlich. Er gewährleistet die Sicherheit des Staates, ist - in erster Linie - Voraussetzung für dessen Weiterbestand. Die besondere Stärke der Organisation? Zweitausend Jahre Talmud, in den Dienst der Elektronik gestellt.

    Steve Eytan

    1

    Über Kopenhagen lag noch der Morgenschleier.

    Ein Platzregen war am Vorabend heruntergegangen. Er hatte den Verkehr in der dänischen Hauptstadt für fast zwei Stunden zum Erliegen gebracht. Der Hafen war wie leergefegt. Die Meerjungfrau, sonst Anziehungspunkt unzähliger Touristen, lag verwaist inmitten des Regens. Der Tivoli hatte eine wahre Massenflucht ganzer Völkerscharen zu verzeichnen; Besucher, die teilweise ihre Jacken über die Köpfe gezogen hatten und die nun panikartig den Garten verließen. Die Gewinner dieser plötzlichen Eingebung des Himmels waren die zahlreichen Restaurants, die die Vesterbrogade säumten.

    Major David Ben Arzi las das Fernschreiben noch einmal. Löwenthal hatte es dechiffriert, und es gab keinen Zweifel daran, dass er, Ben Arzi, unter Umgehung der Europaleitstelle in Brüssel, zu seiner Kommandozentrale nach Tel Aviv berufen wurde.

    Die Dringlichkeit, die in dem Fernschreiben zum Ausdruck kam, duldete keinen Aufschub. Ben Arzi löste sich aus einer vorübergehenden Lethargie und griff zum Telefon.

    »Shalom, Deborah«, seine Stimme klang ruhig, wie immer.

    »Shalom, David!«

    »Buchen Sie für die Nachmittagsmaschine einen Flug bei SAS nach Frankfurt. Dann setzen Sie ein Telex zum El-Al-Büro in Frankfurt ab:

    Arrangieren Sie Treffen mit Moshe Wieslander für heute 20.00 Uhr im Hotel Hilton / Stopp / Weiterflug morgen mit El-Al-Flug Nr. LY 358 nach Tel Aviv / Gruß Ben Arzi… Haben Sie?«

    »Tel Aviv ... Gruß ... Ben Arzi ...«, wiederholte sie. »Sonst noch etwas?«

    »Nein danke.« Es folgte ein Zögern, aber noch ehe sie eine Frage stellen konnte, hatte Ben Arzi aufgelegt. Er stand auf und ging einige Schritte zum Fenster. Der Nebel hatte sich noch nicht ganz gehoben, und so konnte er die Stadt mit ihren Fachwerkhäusern aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert nicht voll überblicken.

    Es klopfte.

    »Herein.«

    Noch im Sprechen wandte sich Ben Arzi um. Er sah Löwenthal, seinen Mitarbeiter und offiziellen Vertreter bei der Leitung des Hotels Fem Kronor, einer Niederlassung des israelischen Geheimdienstes.

    »Was machst du für ein Gesicht, David?«

    Die Frage Löwenthals war nicht unberechtigt, denn Ben Arzi konnte seine innere Bewegung schwer verbergen. Er deutete auf einen der Stühle, die um den Konferenztisch herumstanden.

    »Ich fliege am Nachmittag nach Frankfurt.«

    »Ja«, sagte Löwenthal und nickte. »Ich stand neben Deborah, als du mit ihr telefoniert hast.«

    »Das Fernschreiben kam so unerwartet nicht, obwohl ich mich wundere, dass die Anforderung nicht über Brüssel gekommen ist. Nach dem letzten abschließenden Monatsbericht habe ich damit gerechnet, zum Rapport nach Tel Aviv berufen zu werden.«

    »Wegen der Einschätzung der NATO-Auswertungen?« fragte Löwenthal. Ben Arzi schüttelte den Kopf.

    »Ich glaube, es hängt mit unserer Ermittlung in Ost-Berlin zusammen. Man ist interessiert zu erfahren, welche Verbindungen die PLO dort unterhält und welche Konsequenzen das für uns haben kann ... Davon, dass Habash auch schon einen seiner Männer dort stationiert hat, weiß man in Tel Aviv noch nichts.«

    »Und was glaubst du, wird man unternehmen?«

    »Es wäre logisch, einen Mann von uns direkt in Ost-Berlin einzusetzen.«

    »Einen von uns? Wen?«

    »Sicher werde ich das in den nächsten Tagen erfahren. Solltest du dazu bestimmt werden, werde ich dir ein Fernschreiben schicken!« Ben Arzi grinste schadenfroh, als er sah, dass Löwenthal sich wie ein Aal wand, und fuhr fort:

    »Während meiner Abwesenheit hast du wieder die Gesamtlei-tun ... Und«, er zögerte einen Moment, dann ging er zu dem großen Gobelin an der Stirnseite des Zimmers, den er vorsichtig beiseiteschob, so dass ein Tresor sichtbar wurde, den er aufschloss und dem er einige Papiere entnahm, »morgen kommt Lundsdâl aus Göteborg. Er hatte sich letzte Nacht schon telefonisch avisiert. Das ist die neue Order für ihn.« Ben Arzi reichte Löwenthal einen Umschlag. Dann fuhr er fort:

    »Schließ alles gut weg! Er wird dir die Unterlagen über den letzten U-Boot-Einbruch der Sowjets in norwegisches Hoheitsgebiet geben ... Was aber wichtiger ist: die Auswertungen der zuständigen NATO-Dienststellen dazu! Top secret!«

    Löwenthal nahm die Papiere an sich und stand auf. Das Telefon schrillte.

    »Ja, bitte!«

    Löwenthal konnte heraushören, dass Ben Arzi mit Deborah, der Hotelsekretärin, sprach. Seit zwei Jahren war Löwenthal nun in Kopenhagen. Er hatte sich eingewöhnt, obwohl es ihm damals nicht so ganz leichtgefallen war, Tel Aviv zu verlassen. Ursprünglich sollte er auch nur für sechs Monate die Vertretung der Hotelleitung für Ben Arzi übernehmen und das auch nur, weil er gelernter Hotelkaufmann war und ausgezeichnet dänisch sprach, was er seiner in Dänemark geborenen Mutter zu verdanken hatte. In dieser Zeit absolvierte Ben Arzi eine Spezialausbildung in Israel. Aber inzwischen hatte er sich so gut eingearbeitet, dass Ben Arzi beim Mossad um die Zustimmung bat, Löwenthal ganz behalten zu dürfen. Die zunehmende Agententätigkeit und die Wichtigkeit des Materials, das von Kopenhagen über Brüssel nach Tel Aviv weitergeleitet wurde, gab dann auch den Ausschlag dafür, dass Yehoshua Sfurim den Leiter seiner Abteilung dazu bewog, Ben Arzis Ersuchen nachzugeben und Löwenthal ganz abzustellen. Seitdem lebte Löwenthal mit seiner Frau und seinem Sohn in der dänischen Hauptstadt. Und Ben Arzi? Seine Frau war in Israel geblieben. Man hatte sich auseinandergelebt. Jeder ging seine eigenen Wege. So war eine Scheidung unausbleiblich. Später heiratete sie einen Offizier der Marine, mit dem sie nach England ging, ihrem Geburtsland. Ben Arzi hatte sich des gemeinsamen Sohnes Yigal angenommen, der nun hier in Kopenhagen die Schule besuchte und der beste Freund des Sohnes von Löwenthal war. Hier lebten sie fast wie in einer Familie, so eng beisammen, aber nach außen war man abgetrennt wie in einem Getto.

    Der dritte Beamte des Mossad oder besser, die Dritte, war Deborah Goldbergen, die Hotelsekretärin. Sie war die Jüngste, einunddreißig Jahre alt und unverheiratet.

    Die restlichen Angestellten des Hotels waren ausschließlich vom Rabbinat der jüdischen Gemeinde empfohlen worden. Löwenthal, der auch als Sicherheitsbeauftragter fungierte, überprüfte diese Leute regelmäßig, und Rabbi Isser Hansen-Salman war bekannt dafür, dass er seine Schäfchen fest im Griff hatte.

    Ben Arzi hatte den Hörer aufgelegt. Löwenthal hatte heraus-gehört, dass er ein Taxi für dreizehn Uhr dreißig für die Fahrt zum Flughafen bestellt hatte. Ben Arzi drehte den Kopf so,

    dass er Löwenthal in die Augen sehen konnte. Sie kannten sich lange genug, um sich ohne viele Worte zu verstehen.

    »Ich muss noch den Bericht fertigmachen!«

    Löwenthal stand auf und ging zur Tür. Mit einem »bis später« war er verschwunden.

    Ben Arzi wandte sich noch einmal dem Tresor zu. Er ordnete einige Papiere, die er in eine verschließbare Aktentasche ver.-schwinden ließ. Dann fiel sein Blick auf seine siebenfünfundsechziger Beretta, die er von einer Seite zur anderen schob. Als letztes steckte er einen auf den Namen Wolfgang Hirsch ausgestellten Pass der Bundesrepublik Deutschland in die Innentasche seines Jacketts. Er verschloss sorgfältig den Tresor, zog den Gobelin wieder in seine Ausgangsstellung und begab sich in seine Wohnung im obersten Stockwerk des Hauses, wo er schnell eine kleine Reisetasche mit den allernötigsten Utensilien zusammenpackte.

    Seit zwei Jahren war Löwenthal nun in Kopenhagen. Er hatte sich eingewöhnt, obwohl es ihm damals nicht so ganz leicht-gefallen war, Tel Aviv zu verlassen. Ursprünglich sollte er auch nur für sechs Monate die Vertretung der Hotelleitung für Ben Arzi übernehmen und das auch nur, weil er gelernter Hotelkaufmann war und ausgezeichnet dänisch sprach, was er seiner in Dänemark geborenen Mutter zu verdanken hatte. In dieser Zeit absolvierte Ben Arzi eine Spezialausbildung in Israel. Aber inzwischen hatte er sich so gut eingearbeitet, dass Ben Arzi beim Mossad um die Zustimmung bat, Löwenthal ganz behalten zu dürfen. Die zunehmende Agententätigkeit und die Wichtigkeit des Materials, das von Kopenhagen über Brüssel nach Tel Aviv weitergeleitet wurde, gab dann auch den Ausschlag dafür, dass Yehoshua Sfurim den Leiter seiner Abteilung dazu bewog, Ben Arzis Ersuchen nachzugeben und Löwenthal ganz abzustellen. Seitdem lebte Löwenthal mit seiner Frau und seinem Sohn in der dänischen Hauptstadt. Und Ben Arzi? Seine Frau war in Israel geblieben. Man hatte sich auseinandergelebt. Jeder ging seine eigenen Wege. So war eine Scheidung unausbleiblich. Später heiratete sie einen Offizier der Marine, mit dem sie nach England ging, ihrem Geburtsland. Ben Arzi hatte sich des gemeinsamen Sohnes Yigal angenommen, der nun hier in Kopenhagen die Schule besuchte und der beste Freund des Sohnes von Löwenthal war. Hier lebten sie fast wie in einer Familie, so eng beisammen, aber nach außen war man abgetrennt wie in einem Getto.

    Der dritte Beamte des Mossad oder besser, die Dritte, war Deborah Goldbergen, die Hotelsekretärin. Sie war die Jüngste, einunddreißig Jahre alt und unverheiratet.

    Die restlichen Angestellten des Hotels waren ausschließlich vom Rabbinat der jüdischen Gemeinde empfohlen worden. Löwenthal, der auch als Sicherheitsbeauftragter fungierte, überprüfte diese Leute regelmäßig, und Rabbi Isser Hansen-Salman war bekannt dafür, dass er seine Schäfchen fest im Griff hatte.

    Ben Arzi hatte den Hörer aufgelegt. Löwenthal hatte herausgehört, dass er ein Taxi für dreizehn Uhr dreißig für die Fahrt zum Flughafen bestellt hatte. Ben Arzi drehte den Kopf so, dass er Löwenthal in die Augen sehen konnte. Sie kannten sich lange genug, um sich ohne viele Worte zu verstehen.

    »Ich muss noch den Bericht fertigmachen!«

    Löwenthal stand auf und ging zur Tür. Mit einem »bis später« war er verschwunden.

    Ben Arzi wandte sich noch einmal dem Tresor zu. Er ordnete einige Papiere, die er in eine verschließbare Aktentasche verschwinden ließ. Dann fiel sein Blick auf seine siebenfünfundsechziger Beretta, die er von einer Seite zur anderen schob. Als letztes steckte er einen auf den Namen Wolfgang Hirsch ausgestellten Pass der Bundesrepublik Deutschland in die Innentasche seines Jacketts. Er verschloss sorgfältig den Tresor, zog den Gobelin wieder in seine Ausgangsstellung und begab sich in seine Wohnung im obersten Stockwerk des Hauses, wo er schnell eine kleine Reisetasche mit den allernötigsten Utensilien zusammenpackte.

    2

    Zur gleichen Zeit, als Major David Ben Arzi die Vorbereitungen für seinen Flug nach Tel Aviv via Frankfurt vorbereitete, saß der Regieassistent des Osloer Opernhauses, Torben Olsson-Vries, in seinem alten Volvo. Der Zoll hatte ihm unbehelligt die Weiterfahrt nach Schweden gestattet, und so befand er sich auf der Küstenstraße nach Göteborg, einer der schönsten Straßen Skandinaviens, die er während der Sommerzeit der direkten Fährverbindung Oslo - Kiel vorzog. Er drückte eine Kassette ein. Leise erklang die Musik zu Verdis Traviata, die er streckenweise leicht mitsummte, und in Gedanken schien er Regieanweisungen zu geben, was nicht zuletzt in seiner Gestik zum Ausdruck kam. In seiner Tasche befand sich ein Schreiben der Komischen Oper Berlin, dessen Inhalt die Bestätigung dafür war, dass Olsson-Vries die Regieassistenz in einer Neuinszenierung der Traviata durch Walter Felsenstein übernehmen sollte.

    Und da war noch etwas. Etwas, das sein eigenes Ich beflügelte und seinen Puls beschleunigte: Nevena Altunoff Er dachte zurück. Begonnen hatte es damit, dass sein Kollege Olof Lundsdâl von der Göteborger Oper in Oslo anrief und fragte, ob Olsson-Vries sich an die Per Gynt-Vorstellung in Kopenhagen erinnern könne, bei der man einen gewissen Schneider vom Kultusministerium der DDR kennengelernt habe.

    »Ja«, hatte Olsson-Vries bestätigt. »Ich erinnere mich!«

    »Der Mann hat Wort gehalten, hat mir eine Einladung zur Premiere des Ritter Blaubart geschickt.«

    »Nach so langer Zeit? Ich freue mich für dich, Olof!«

    »Wieso für mich? Du bist eingeladen, Torben. Jedenfalls steht es so in meinem Brief!«

    »Bei mir ist noch keine Einladung eingegangen, und dann ... was wird die Intendanz dazu sagen, wenn ich Urlaub mitten in der Probenarbeit des Carlos fordere?«

    Und dann war es soweit. Sie saßen in der Vorstellung, bewunderten die Inszenierung. Die Regie hatte tatsächlich neue Einfälle verwirklicht. Die Darsteller leisteten Großartiges. Nach dieser erfolgreichen Vorstellung gab es ein Bankett für die Stars der Aufführung, zu dem die skandinavischen Gäste eingeladen worden waren.

    »Herr Olsson-Vries!«

    Olsson-Vries erkannte den Mann, der in Kopenhagen mit Lundsdâl und ihm zusammen Per Gynt von Werner Egk gesehen und der sich anschließend beim Lunch als Vertreter des Ministeriums für Kultur der Deutschen Demokratischen Republik vorgestellt hatte.

    »Ich danke Ihnen für die großzügige Einladung. Es war wirklich ein Erlebnis!«

    »Ich freue mich, dass Sie die Leistungen unseres Ensembles überzeugen konnten.« Schneider lächelte jovial. Dann zog er Olsson-Vries zum kalten Büfett.

    »Felsenstein beabsichtigt eine Neuinszenierung der Traviata. Ich könnte mir vorstellen ... das heißt, wenn Sie Lust haben«, Schneider blickte Olsson-Vries fest in die Augen, »... dass Sie die Regieassistenz übernehmen. Wollen Sie annehmen?«

    In diesem Moment verschlug es Olsson-Vries fast die Sprache. Das war eine einmalige Chance, die es unter allen Umständen zu nutzen galt.

    »Wir werden später drüber reden«, sagte Schneider.

    »Torben ... Torben, darf ich vorstellen!«

    Olsson-Vries drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme seines Freundes Lundsdâl gekommen war. An Lundsdâls Seite sah er eine zauberhafte junge Frau, mit einem aufgeschlossenen, intelligenten Gesicht, das ihn an die junge Audrey Hepburn erinnerte.

    »Das ist Nevena Altunoff! Ich habe dir schon von ihr erzählt!« Sie war noch schöner, als Lundsdâl sie geschildert hatte. Er murmelte etwas, an das er sich später nicht mehr erinnern konnte. Plötzlich hatte Lundsdâl beide mit einer Entschuldigung stehen gelassen, um mit dem Kapellmeister zu diskutieren.

    »Habe ich Sie in Verlegenheit gebracht?«

    »Nicht direkt«, log er, »irgendwie gefallen Sie mir. Vielleicht eine Idee zu emanzipiert, ... aber sonst...«

    »Sie kommen doch aus Skandinavien, wie Lundsdâl, da dürften Ihnen emanzipierte Frauen doch geläufig sein«, sagte sie. »Sicher. In Schweden ... bei uns hält sich das in Grenzen.« Er zog sie mit sich zum Ende des Büfetts zu den Getränken. »Was möchten Sie? Sekt, Wein oder etwas von diesem Cognac?« fragte er, und es drängte ihn, sie zu fragen, ob sie mit ihm schlafen würde. Aber diese Frage stand außer Diskussion.

    »Sekt«, entschied sie, während sie gleichzeitig ihre Hand fordernd ausstreckte.

    »Sind Sie öfter bei solchen Anlässen«, fragte er.

    Sie lachte.

    »Es gibt kaum eine Woche ohne eine Einladung. Sei es der Geburtstag eines Schriftstellers, die Verleihung des National-preises an einen verdienten Künstler oder ein Empfang bei einer der Botschaften.«

    »Altunoff ...?«

    Torben Olsson-Vries schaute sie fragend an. Sie schien erraten zu haben, wonach er suchte.

    »Ein bulgarischer Name«, sagte sie. »Mein Vater ist Handels-attaché. Zufrieden?«

    Er nickte zustimmend. Wenn sie so oft bei solchen Anlässen

    aufkreuzte, dachte er, würde sie eine bestimmte Repräsentationsaufgabe haben.

    »Früher habe ich ein wenig studiert. Aber da wir«, sie benutzte absichtlich das wir, »ab und zu versetzt werden, habe ich es aufgegeben, die Schulbank zu drücken. Ich bin schon ein Bestandteil meines Vaters, und obwohl ich für meine Arbeit nicht bezahlt werde, vertrete ich ihn gern zu solchen Anlässen.«

    Sie gingen in eine andere Ecke des Raumes. Olsson-Vries sah, dass der Kulturdezernent Schneider offensichtlich mit dem Leiter des Hauses über ihn sprach. Die beiden schauten jetzt in seine Richtung und musterten ihn unverhohlen.

    »Und ihre Mutter?« bohrte Olsson-Vries. »Ist sie auch für die Handelsmission tätig?«

    Sie schaute ihn groß, ein wenig irritiert, mit leichter Verlegenheit an.

    »Meine Mutter? Ich ... habe sie nicht gekannt ... sie ist tot!« Er murmelte eine Entschuldigung. Nevena Altunoff ging darüber hinweg, als hätten sie nie davon gesprochen. Der Kulturdezernent trat auf sie zu.

    »Ich habe die Sache geregelt, Herr Olsson-Vries. Felsenstein hat zugestimmt. Sie dürfen mit ihm zusammenarbeiten. Herzlichen Glückwunsch!«

    Er schüttelte ihm demonstrativ die Hand.

    »Morgen können Sie sich die Bestätigung im Betriebsbüro der Oper abholen. Außerdem erhalten Sie nochmals eine schriftliche Bestätigung von meinem Ministerium.«

    Olsson-Vries, der den Sinn für die Realität nicht verloren hatte, dankte artig und nahm die nächste Gelegenheit wahr, um zu Lundsdâl zu kommen. Er suchte das Mädchen. Sie war unerreichbar für ihn und er wünschte sich, ihr nie begegnet zu sein.

    »Sie gefällt dir«, sagte Lundsdâl und lächelte überlegen. Olsson-Vries unterdrückte eine aufkommende Wut.

    »Woher kennst du sie?« fragte er, ohne ihren Namen auszusprechen. Er hatte seinen Kopf in die Richtung gedreht, in der Nevena mit einem Tenor Konversation betrieb. Ihr girrendes Lachen drang trotz des allgemeinen Trubels zeitweise bis zu den beiden Männern, die eine kollegiale Freundschaft verband, basierend auf der Arbeit, die sie beide gleichermaßen liebten, die sie zusammengebracht hatte. Und nun dieses Mädchen! Ihre Anwesenheit allein und die Tatsache, dass Lundsdâl sie kannte, warf augenblicklich einen Schatten zwischen beide. Lundsdâl erklärte seinem Freund, wie er bei einem seiner früheren Besuche Alexander Altunoff, den Vater des Mädchens, kennengelernt hatte.

    Er sah, dass es Olsson-Vries etwas erleichterte.

    »Du magst sie, nicht?« fragte Lundsdâl.

    »Ja.« Olsson-Vries nickte.

    »Aber Vorsicht«, warnte Lundsdâl. »Nevena zu erobern ist für dich wahrscheinlich möglich. Ob du sie halten kannst?... Ich bezweifle es!«

    Als Lundsdâl sich dem kalten Büfett zuwandte, benutzte Olsson-Vries die Gelegenheit, um in den Vorraum zu gelangen. Er hatte seinen Mantel in der Hand und stand vor dem Spiegel, als er sah, wie sie gleich ihm aus dem Saal trat und sich suchend umsah. Sie erblickte ihn, kam auf ihn zu, und er hörte wieder ihre Stimme, die einschmeichelnd und warm war und die ihn vergessen ließ, dass er noch vor wenigen Augenblicken gewünscht hatte, ihr nie begegnet zu sein.

    »Sie gehen schon? Doch nicht etwa meinetwegen?«

    Olsson-Vries drehte sich um, Erstaunen spielend.

    »Warten Sie einen Moment«, fuhr sie fort, »dann können Sie mich ein Stück begleiten.«

    Sie wandte sich der Garderobe zu und verlangte ihren Mantel. Draußen fiel ihr ein, dass es eigentlich noch zu früh sei, um schon ins Bett zu gehen. Die Sterne waren aufgegangen. Zu ihrer Linken lag das Brandenburger Tor.

    Es würde ihr nicht allzu schwerfallen, diesen Jungen für ein, zwei Stunden in eine Bar zu locken.

    »Was tun Sie in Oslo?« fragte sie.

    »Oh ...«, Olsson-Vries raffte seinen ganzen Mut zusammen, um die Antwort so zu formulieren, dass sie nicht zu überheblich, andererseits nicht zu bescheiden klang.

    »Ich bin Assistent des Chefregisseurs am Osloer Opernhaus.« »Das ist ein interessanter Beruf!« sagte das Mädchen. »Ja, sehr. Oper ist etwas Göttliches!«

    Was für ein Kind, dachte sie, obwohl ihr einfiel, dass sie nicht älter sein dürfte als er. Aber lieb, wie er das so sagte. Sie hatten die Straße überquert. Das Hotel Unter den Linden lag vor ihnen.

    »Lassen Sie uns hineingehen«, drängte sie. »Die Tagesbar ist noch geöffnet. Wir ... wir könnten uns ein wenig unterhalten.«

    Der Portier, der Nevena schon des Öfteren hier gesehen hatte, grüßte artig. Die Bar selbst war nur mäßig besetzt. An einem Tisch des Hauses saß eine Handvoll schwarzer Diplomaten. Sie bewohnten hier im Hause mehrere Zimmer, offensichtlich auf Rechnung ihres Staates.

    Nevena wurde von den Blicken der Männer abgetastet. Sie hatte sich auf einen Hocker an der Ecke der Bar geschoben. Sie sog an ihrer Zigarette, deren Rauch sie wie zufällig Torben ins Gesicht blies.

    »Wie ist eigentlich Ihr Vorname?«

    »Torben. «

    »Torben ... Olsson-Vries.«

    »Olsson mit zwei ‚s’ «, sagte er, als er sah, dass sie mit den Fingern seinen Namen auf der Platte der Bar nachzeichnen wollte.

    »Olsson mit zwei ‚s’. Sorry«, sagte sie.

    »Ein sehr schöner Name, Torben. Wollen wir Brüderschaft trinken?«

    Sie schob das Glas mit dem doppelten Martini näher an ihn heran, ohne es von der Bar abzuheben. Ein Anflug von Stolz überkam ihn, als sie ihn küsste. Am anderen Ende der Bar hatten einige Araber Platz genommen, die schamlos über die beiden witzelten, für die die Umwelt in diesem Augenblick nicht zählte.

    Als die Bar gegen zwei Uhr geschlossen wurde, warf Nevena einen Blick auf ihre Uhr.

    »Es ist noch nicht spät genug und doch zu früh, um schon ins Bett zu gehen«, sagte sie. »Kann ich dich noch mit einem Drink und einem kleinen Imbiss reizen?«

    Sie hatte lange genug mit ihm geplaudert. Sie hatten über Gott und alle Welt, über Kunst und Politik und über die Liebe gesprochen. Nevena wollte jetzt mit ihm schlafen, sie hatte es ihm mehr als einmal zu verstehen gegeben.

    »Ich bin froh, Gesellschaft zu haben«, sagte er etwas angeschlagen. Das Mädchen sah ihn einen Augenblick kühl an, abschätzend, schien im Inneren einen letzten Kampf auszufechten. Dann nickte sie.

    »Ich weiß nicht, wo du wohnst. Aber das ist auch gleichgültig. Unser Appartement ist frei. Lasse uns die Zeit nutzen!«

    »Gehen wir«, sagte er, »heim zu deinem Appartement!«

    Die Wohnung war wirklich winzig; eine kleine Schlafnische, die von einem nur wenig größeren Wohnraum abgetrennt war, die kleine Küche mit einem Elektrokocher und einem Kühlschrank sowie ein Bad. Es war eine lustige Wohnung, wie Torben fand, mit dem Ausblick auf einen großen Parkplatz, dem Fernsehapparat westlicher Herkunft, einem Plakat in kyrillischer Schrift, der kleinen Sitzecke und vor allem der kleinen Schlafnische. Das einzige, was in dieser Wohnung nicht zu klein geraten war, war das Bett. Es war ein wahres Schlachtfeld, ein Tummelplatz für Liebende. Torben drückte die Hand auf die Matratze und nickte zustimmend. Nevena strapazierte währenddessen ihren Kühlschrank und zauberte einige belegte Brote hervor. Als sie ins Zimmer kam, stand Olsson-Vries am Fenster und schaute in den kommenden Morgen. Leise Musik kam aus dem kleinen Radio.

    »Komm jetzt«, sagte sie.

    Er entdeckte die Brote.

    »Mein Gott, jetzt merke ich erst, wie hungrig ich bin!« Nevena stellte Gläser auf den Tisch und eine Flasche Martini. Martini war ihr Lieblingsgetränk, soviel hatte er schon mitbekommen.

    Plötzlich war sie verschwunden. Olsson-Vries entdeckte, dass sie sich hinter dem Vorhang in der Schlafnische zu schaffen machte. Er wartete noch etwas. Als die Zigarette verglüht war, löschte er das Licht. Ohne Hast schob er den Vorhang beiseite. Und da lag sie vor ihm. Sie war nackt. Ihr Körper war unbekleidet noch schöner. Ihre großen straffen Brüste, die leicht aufgeworfenen Höfe, die Warzen, die in der erwarteten Lust bereits standen, und der frauliche Duft, der von ihr aufstieg, ließen ihn erbeben. Ihre linke Hand strich über eine der Brüste. Die Rechte hatte sich langsam zwischen ihre Schenkel geschoben. Erwartungsvoll schaute sie ihn an, während sie sich unter ihren eigenen geschickten Händen rhythmisch zu bewegen begann.

    Du kleines Luder, dachte er. Aber gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er noch keine Frau so begehrt hatte wie Nevena in diesem Augenblick.

    Am späten Vormittag erwachten sie.

    »Es war die schönste Nacht in meinem Leben«, sagte er. Nevena drehte sich ihm zu. Sie legte ihm den Finger auf den Mund.

    »Das sollst du nicht sagen«, flüsterte sie. »Wenn man zu oft daran denkt, dann geht es zu schnell vorbei.«

    Olsson-Vries musste an Lundsdâls Worte denken.

    »Hast du nicht Lust, die sündige Welt auf der anderen Seite zu sehen?« Torben war nicht der Gedanke gekommen, dass es Menschen geben könnte, denen der Zugang nach West-Berlin versperrt geblieben wäre. Die Teilung der Stadt 1945 war eine Folge des verlorenen Krieges. Eingenommen von den Armeen der Sowjetunion, wurde sie im Gebietsaustausch mit den Alliierten, den Franzosen, den Engländern und den Amerikanern, unter den Besatzern aufgeteilt. Zwar hatte Torben schon davon gehört, aber da es ihn nicht unmittelbar berührte, verzichtete er darauf, sich damit näher zu befassen. Bei Nevena war das etwas anderes. Als Tochter eines Diplomaten verfügte auch sie über einen Pass, der ihr nach allen Seiten die Wege offenhielt.

    »Was sollen wir dort?« fragte Nevena eine Spur zu gelangweilt.

    »Wir könnten über den Kurfürstendamm bummeln, in die Geschäfte sehen. Vielleicht bekommen wir für dich ein hübsches Kleid; anschließend trinken wir bei Kempinski Kaffee, und am Abend besuchen wir die Wölfferschen Bühnen, die amüsante Boulevardstücke auf dem Plan haben.«

    Schnell überrechnete er, dass das eben Vorgeschlagene eine hübsche Stange Geld verschlingen würde. Aber sie sollte es erleben, dachte er. Er dachte auch an seinen Kleinkredit, den er immer noch bei einer Osloer Bank abzustottern hatte. Gewaltsam musste er den Gedanken verdrängen.

    »Du machst es mir richtig schmackhaft«, sagte sie und hatte das bezaubernde Lächeln aufgesetzt, das ihn augenblicklich betörte.

    Es war, wie er gesagt hatte. Endlich besuchten sie die Geschäfte nicht mit der üblichen Hast. Nicht wie mit Vater, dachte Nevena, der immer in Eile war, wenn er in West-Berlin weilte. Sie bummelten den Kurfürstendamm linksseitig in Richtung Halensee hinauf bis zur Leibnizstraße, dann rechtsseitig wieder hinunter.

    »Ich kann kaum noch laufen«, lispelte Nevena. Sie war glücklich. Torben hatte ihr das versprochene Kleid gekauft. Ein herrliches Kleid. Schwarzer Chiffon, das Unterteil plissiert, ein Kleid, märchenhaft schön und sündhaft teuer.

    Olsson-Vries hatte es bezahlt mit leiser Wehmut, aber in tiefer Dankbarkeit und in Gedanken an die vergangene Nacht.

    Das Kleid stand Nevena gut. Schwarz war ihre Lieblingsfarbe, weil Schwarz noch mehr streckte und ihren schönen Körper noch besser zur Geltung brachte.

    Als sie nach Hause zurückfuhren, ging der Tag schon zur Neige.

    Langsam wurde es zur Selbstverständlichkeit, dass Nevena mit Torben oft im Westen der Stadt ihre Zeit verbrachte. »Ich will mir noch Dresden ansehen«, sagte er eines Abends. »Kommst du mit?»

    Nevena war begeistert. Sie fiel ihm um den Hals. Es war eigenartig, wie sie sich verändert hatte. Erst hatte sie ihn ein Kind genannt. Nun waren die Rollen vertauscht. Sie fühlte eine Abhängigkeit in sich wachsen. Anders als sonst, wo sie bestimmt hatte, dass ein Verhältnis zu Ende sein sollte, fürchtete sie das Ende ihres Verhältnisses zu Torben. Sie liebte Torben, obwohl sie sonst immer ältere, reifere Männer bevorzugt hatte, denn diese waren zärtlicher, nicht so egoistisch wie die Jüngeren. Außerdem liebte sie keine peinlichen Szenen, was die pekuniären Verhältnisse betraf.

    »Wir werden den Zwinger besuchen und das Grüne Gewölbe«, sagte sie. »Und die Zauberflöte werden wir uns ansehen; wir werden ausgehen und uns amüsieren. Wo werden wir wohnen, Torben?.

    »Die Oper hat ein Zimmer im Hotel Newa bestellt.« »Wie ich mich freue! Ich war lange nicht mehr so zufrieden, wie gerade jetzt.«

    In diesem Moment fiel ihr ein, dass Torben nach Oslo zurück

    fahren würde. Bei diesen Gedanken wurde ihr etwas wehmütig ums Herz, aber sie versuchte, sie zu verdrängen.

    Er hatte gemerkt, dass Nevena plötzlich so still geworden war. Es beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Die Reise nach Dresden war der Abschluss seines DDR-Aufenthaltes. Zumindest, bis er zur Inszenierung der Traviata wiederkommen würde.

    »Am Donnerstag muss ich in Oslo sein«, hörte er sich sagen. Nevena nickte.

    »Lasse uns nicht davon sprechen«, sagte sie leise.

    »Glaubst du, dass das das Ende unserer ...«, sie zögerte einen Augenblick. »Ich meine, dass es dann aus ist zwischen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1