Wo ist Mama ?
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Über dieses E-Book
Brennende Autos und Jugendliche als üble Schläger, übergewichtige Kinder und Erwachsene, Schulverweigerer und nicht ausbildbare Lehrlinge, Bindungsschwäche, konkretisiert in steigenden Scheidungszahlen und Eheverweigerung, Alkoholismus, Nikotin- und Drogensucht, das sind alles Übel, die nicht zufällig über unsere Gesellschaft gekommen sind. Der Autor sieht deren Ursprung in einer grandiosen Missachtung der kindlichen Bedürfnisse während der frühen Kindheit und führt die Erkenntnisse aus Entwicklungs- und Tiefenpsychologie, Verhaltensbiologie mit den allseits zu beobachtenden Fakten und Verhaltensweisen zusammen.
Der Titel dieses Buches entstammt einem Gespräch mit einer Freundin, die von ihrem Aufwachsen mit acht Geschwistern erzählte - wie sie nach der Schule als Erstes mit diesem Ruf ins Haus stürmten und bei ihrer Mutter all das loswerden konnten, was der Tag an Erfreulichem, aber auch an Ärgerlichem, Nöten und Ängsten gebracht hatte. Mütter sind der Mittelpunkt und der gute Geist einer jeden Familie mit Kindern, und es ist immer wieder zu beobachten, wie beim Fehlen einer Mutter der Familienverband zum Zerfall neigt.
Dr. med. Conrad Nolte
Der Autor wurde 1934 in Bonn geboren. Sein Vater war Internist, seine Mutter Hausfrau. Nach dem Abitur 1955 am Johanneum in Lüneburg Medizinstudium an den Universitäten Innsbruck, Freiburg, Berlin und Münster; dort 1960 Staatsexamen und Promotion. Nach Ausbildung zum Kinderarzt und klinischer Tätigkeit am DRK-Kinderkrankenhaus Siegen ließ sich der Autor 1969 in Heiligenhafen in eigener Kinderarztpraxis nieder und führte diese bis zum Jahr 2000, ab 1972 zusammen mit seiner Ehefrau, einer Diplompsychologin. Er hat mit dieser drei Kinder und von diesen sechs Enkelinnen und Enkel. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit erwies sich als ausgesprochen fruchtbar und erfolgreich. Das Buch fußt auf den Erkenntnissen dieser dreißigjährigen Erfahrung und dem Studium der einschlägigen Literatur.
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Buchvorschau
Wo ist Mama ? - Dr. med. Conrad Nolte
Vorbemerkung
Brennende Autos und Jugendliche als üble Schläger, übergewichtige Kinder und Erwachsene, Schulverweigerer und nicht ausbildbare Lehrlinge, Bindungsschwäche, konkretisiert in steigenden Scheidungszahlen und Eheverweigerung, Alkoholismus, Nikotin- und Drogensucht, das sind alles Übel, die nicht zufällig über unsere Gesellschaft gekommen sind. Der Autor sieht deren Ursprung in einer grandiosen Missachtung der kindlichen Bedürfnisse während der frühen Kindheit und führt die Erkenntnisse aus Entwicklungs- und Tiefenpsychologie, Verhaltensbiologie mit den allseits zu beobachtenden Fakten und Verhaltensweisen zusammen.
Der Titel dieses Buches entstammt einem Gespräch mit einer Freundin, die von ihrem Aufwachsen mit acht Geschwistern erzählte - wie sie nach der Schule als Erstes mit diesem Ruf ins Haus stürmten und bei ihrer Mutter all das loswerden konnten, was der Tag an Erfreulichem, aber auch an Ärgerlichem, Nöten und Ängsten gebracht hatte. Mütter sind der Mittelpunkt und der gute Geist einer jeden Familie mit Kindern, und es ist immer wieder zu beobachten, wie beim Fehlen einer Mutter der Familienverband zum Zerfall neigt.
Dieses Buch hat ein sehr ernstes Thema, nämlich das der Betreuung unserer kleinsten Kinder und deren Beeinträchtigung durch die modernen Trends aus Wirtschaft und Geschlechterkampf, die darauf hinauslaufen, den Kindern zu früh ihre Mütter zu entziehen. Deshalb werden wichtige Tatsachen ohne Schonung ausgesprochen werden; hiermit folge ich Sir Peter Ustinow, der einmal sagte
„Um sanft, tolerant, weise und vernünftig zu sein,
muss man über eine gehörige Portion Härte verfügen."
Dabei hat sich gelegentlich ein Hauch von Sarkasmus nicht vermeiden lassen, denn für die Auseinandersetzung zwischen den Rechten von Kindern und den Sprüchen, die in der von der Ökonomie oder dem Geschlechterkampf geprägten Literatur zu lesen sind, kann zur Zeit oftmals nur der Ausspruch des Juvenal gelten:
Difficile est satyram non scribere
( deutsch etwa: Es fällt schwer, [hierüber] keine Satire zu schreiben ).
Das Buch ist ausdrücklich kein Buch gegen Frauen und ihre Wünsche und mühsam erkämpften Rechte, sondern eins für die Interessen und Rechte von Kindern und auch für die ihrer Eltern. Es soll die Augen öffnen für das, was vielen Kindern heute von unserer Gesellschaft und einigen ihrer Institutionen zugemutet und angetan wird, soll die Schäden herausstellen, die hieraus entstehen, und möchte über eine Hebung des allgemeinen Bewusstseins vor allem gerade auch Frauen vermeidbares späteres Leid ersparen, denn überwiegend sie sind es, die letztlich unter den Folgen mit zu leiden haben.
Es kann sein, dass das, was es an Informationen enthält, bei manchen ein schlechtes Gewissen erzeugt. Das wäre gut so, wenn es zur Korrektur leichtfertig getroffener falscher Entscheidungen führen würde, so bedauernswert es auch für die ist, die durch äußere Umstände zu falschem Verhalten gezwungen sind.
Die Ursache der Verfehlung ist die Unkenntnis des Besseren.
Demokrit
Einige überkopfte Gemüter, denen es schwer fällt, sich den Regeln von Mutter Natur unterzuordnen, werden sicherlich Anstoß daran nehmen, dass in der Argumentation dieses Buches die Biologie des öfteren herangezogen wird, und dem Autor den Vorwurf des Biologismus machen. Das wäre aber dann genau so töricht, als wollte man Architekten oder Maschinenbauern Physikalismus vorwerfen, denn der Mensch ist nun mal ein Teil der Fauna und somit den biologischen Gesetzen unterworfen. Er hat mit der übrigen Tierwelt mehr gemeinsam, als manchem lieb ist, mit dem Schimpansen zum Beispiel 98,7% seiner Gene Die Aphoristikerin und Psychotherapeutin Gerlinde Nyncke sagt hierzu mit Recht:
Der Mensch ist das einzige Tier, das sich einbildet, keins zu sein.
Das hilft ihm aber nichts. Zwar steht es dem Menschen weitgehend frei, sich dem Diktat seiner Instinkte zu entziehen, das Tieren einen sicheren Halt gibt und und sie in fast jeder Situation dazu bringt, das Richtige zu tun. Sein hoch entwickelter Verstand gibt ihm die Möglichkeit, sich völlig anders zu verhalten und andere Wege zu gehen, als von der Natur vorgesehen, sich vieles leichter zu machen und sich Lästiges und Unangenehmes ganz zu ersparen. Hierbei sollte vom Verstand aber auch der rechte Gebrauch gemacht und vor allem eindimensionales Denken vermieden werden. Und dem oder der Denkenden sollte auch klar sein, dass,wer groß denkt, auch groß irren kann
, ein Argument, mit dem sich einst der Philosoph Heidegger für seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus entschuldigte; er sollte Irrwege erkennen oder, noch besser, vermeiden und da, wo es sinnvoll oder gar unverzichtbar ist, alte, über Millionen von Jahren bewährte Verhaltensweisen tunlichst wieder aufzunehmen, um sich und seine Mitmenschen vor Schäden zu bewahren.
Tradition ist bewährter Fortschritt, Fortschritt ist weitergeführte Tradition.
Carl Friedrich von Weizsäcker
Ein durch große Massenversuche belegtes Beispiel, wie ein auf den ersten Blick plausibel, ja geradezu ideal erscheinendes Konzept eines neu konstruierten Menschenbildes völlig an den tatsächlich gegebenen Eigenschaften des Menschen vorbei geplant und durchgesetzt wurde und aus diesem Grund an diesen scheitern musste, ist der Kommunismus, von dem Winston Churchill einmal gesagt haben soll „Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit 30 noch einer ist, keinen Verstand". Das Idealbild von der Gleichheit aller, von einem Staat, in den sich jeder voll einbringt zum Wohle aller und in dem für alle das Gleiche herausspringt, lässt sich sehr schön auf dem Papier entwerfen und ist bei Ameisen und Bienen auch tatsächlich verwirklicht, funktioniert jedoch nicht mit einer Tierart, welche derart auf die Feststellung von Rangordnungen und damit Unterschieden fixiert ist, dass sie zum Beispiel - von den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften bis hin zu Kreismeisterschaften, Lokalderbys und Vereinsmeisterschaften - einen Millionenaufwand betreibt, um zu ermitteln, welcher Mensch auf der Erde eine bestimmte Strecke zu Fuß, auf Skiern oder einem Fahrzeug schneller als alle anderen zurücklegt - und sei es auch nur um einige tausendstel Sekunde schneller als die beiden nächsten oder gar der Vierte, zu dem als nicht auf dem Treppchen Stehenden ein deutlicher Rangunterschied sich auftut. Die Ergebnisse der wöchentlich ausgetragenen Tests, wer ein nur hierzu verwendetes Gerät am weitesten schleudert, hochhebt oder mit Fuß, Hand und Kopf in ein Netz befördert, werden von einem Millionenpublikum in den Sportsendungen verfolgt und dort ausführlich kommentiert. Die ganze menschliche Gesellschaft ist gegliedert in Rangordnungstreppchen, von der Völkergemeinschaft bis hinab in die Kegel-, Brieftaubenzüchter- und Kleingartenvereine mit ihren ersten und zweiten Vorsitzenden und ihren Kassierern und Beisitzern. Insofern war das System des Kommunismus mit seinem Gleichheitswahn nicht nur in seiner praktischen Durchsetzung, die stets nur unter Zwang bis hin zur Einkerkerung, Deportation oder gar Tötung von Millionen Menschen möglich war, schon als Konzept nicht dem Menschen angemessen und damit von seiner Natur her unmenschlich in jeglicher Hinsicht. Es konnte deshalb auch keinen Bestand haben Der Mensch ist durchaus daraufhin angelegt, in sozialem Frieden und einem Füreinander-da-Sein zusammenzuleben, für die Erziehung hierzu gelten aber andere, von der Natur vorgegebene Wege, als die des Kommunismus. Und von diesen Naturgesetzen kann man sich nicht emanzipieren. Das wusste schon Horaz, als er schrieb:
Naturam expelles furca, tamen usque recurrit
was soviel heißt, wie
Wenn du die Natur auch mit der Mistgabel (das heißt mit aller Gewalt) austreibst, kommt sie doch wieder zurück.
Und dann fordert sie ihr Recht. Wie das aussieht, davon handelt dieses Buch.
Wir werden sehen, dass ähnliches auch für den derzeit anlaufenden Großangriff des vermeintlich ökonomisch denkenden Vaters Staat auf die frühe Kindheit gilt, einem Drittel der ein- bis dreijährigen Kinder früh ihre Mütter wegzunehmen und es in staatlichen Sammelbetreuungseinrichtungen notdürftig zu versorgen, weil die Wirtschaft nach Arbeitskräften verlangt und auf die gut ausgebildeten jungen Mütter nicht verzichten möchte.
zum Inhaltsverzeichnis
Reizwort Rabeneltern
Vorab noch ein Weiteres: In der Diskussion um verschiedene Formen der Kinderbetreuung fällt immer mal wieder als Vorwurf der Ausdruck Rabeneltern
für Eltern, die ihre Kinder schon als Säuglinge und Kleinkinder in Krippen abschieben oder sie in anderer Hinsicht schlecht versorgen. Uns Deutschen speziell wird dann angeblich regelrecht vorgeworfen, dass es einen solchen Begriff für schlechte
Eltern nur in unserer Sprache gäbe, und dass ein vergleichbares Wort im Wortschatz anderer Länder nicht vorkomme. Dessen brauchen wir uns nicht zu schämen, sondern sollten froh darüber sein, dass in unserem Land offenbar die Gefühlsarmut Kindern gegenüber noch nicht flächendeckend verbreitet ist, dass vielmehr wenigstens bei den meisten Deutschen noch ein gehöriger Rest instinktiven Missbehagens bei der Fehlbehandlung von kleinsten Kindern besteht.
Trotzdem sollte man allerdings aus zwei Gründen Eltern nicht abschätzig Rabeneltern nennen: erstens sind Menschen mit auf Armut oder aber Unkenntnis beruhendem Fehlverhalten nicht böse und bestrafenswert, sondern selbst Opfer, weil sie es nicht besser gelernt haben. Sie sollten deshalb nicht verächtlich gemacht, sondern aufgeklärt und durch Unterstützung zum richtigen Verhalten gebracht werden. Zweitens werden durch eine solche Gleichsetzung in Wirklichkeit die Raben diskriminiert, denn diese stehen zu Unrecht in dem Ruf, schlechte Eltern zu sein. Sie unterziehen sich vielmehr der Aufzucht ihrer Jungen ganztags voller Zärtlichkeit und Hingabe. Sie leben in Einehe und haben ein reiches Sozialverhalten, wie beispielsweise gegenseitiges Füttern, Schnäbeln und Federkraulen. Die Paare brüten gemeinsam ihre Eier aus, die hauptsächlich brütende Mutter wird vom Vater mit Futter versorgt und zu Brutpausen abgelöst; nach dem Schlüpfen kümmern sich beide aufopfernd um ihre Jungen. Sie gehen sogar ins Wasser, um die jungen Raben mit dem in ihrem Gefieder aufgenommenen Nass zu baden, und bemühen sich sehr, ihre Kinder beisammen zu halten und zu füttern, wenn diese kurz vor dem endgültigen Flüggewerden voller Entdeckerfreude hüpfend und flatternd das elterliche Nest schon verlassen und seine unmittelbare Umgebung erkunden. Rabeneltern sind also in Wirklichkeit Mustereltern; ihren Schimpfnamen hat ihnen allein die Beobachtung eingetragen, dass sie, wie andere Vögel übrigens auch, bei Nahrungsmangel schon einmal ein kränkliches, kümmerndes Jungtier über die Nestkante stoßen, um wenigstens die gesunden satt zu bekommen, ein Verhalten, wie es auch wir Menschen bei der mit sozialer Notlage begründeten Abtreibung betreiben.
zum Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der Autor gehört einer Generation an, deren Eltern nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges und des Holokausts der Vorwurf gemacht wurde, nichts gegen die Verwandlung Deutschlands in eine menschenverachtende, von Wahnideen wie der Gesundung des deutschen Volkskörpers
durch Eugenik
und Rassenreinheit
oder vom Volk ohne Raum
geprägte aggressive imperialistische Diktatur getan zu haben, obwohl zwar durchaus nicht alles Furchtbare, aber doch Manches und Entscheidendes vor den Augen aller stattfand. Er hat sich daher die Frage gestellt, ob es nicht auch in seiner eigenen Generation Probleme und schwerwiegende Fehlentwicklungen gäbe, die wir, ohne genau hinzusehen, einfach so geschehen lassen, und welche Versäumnisse des Gegensteuerns wir uns möglicherweise am Ende unseres Lebens von unseren Kindern würden vorhalten lassen müssen. Dabei wurde ihm schon früh klar, dass es die Zerstörung unserer Umwelt ist, weil sie mittlerweile soweit vorangeschritten ist, dass sie nicht mehr „nur" Tiere, Pflanzen und ferne Völker, sondern jeden von uns selbst unmittelbar berührt, weil sie auch in den innersten Kreis seiner Umwelt, die Familie, vorgedrungen ist. Auch die Umweltzerstörung beruht auf einem Wahn, dem blinden Fortschritts- und Wachstumswahn. Bis zu einem gewissen Grade wird den vielen mit der Umweltzerstörung verbundenen Problemen inzwischen zwar die nötige Aufmerksamkeit gewidmet, eine Lösung der Probleme scheitert jedoch meist an den ihr entgegenstehenden Einzelinteressen der Mächtigen.
In der Kinderarztpraxis des Autors, in der er mit seiner Frau, einer Kinderpsychologin, zusammenarbeitete, wurden die beiden häufig mit verhaltensgestörten Kindern konfrontiert, bei denen sie sich bemühen mussten, die Ursachen der seelischen Schäden, die Fehler im Umgang mit ihnen angerichtet hatten, aufzuspüren und nach Möglichkeit abzustellen. Ihnen war klar, dass die Verhaltensstörungen oft durch die Beschädigung der unmittelbarsten Umwelt der Patienten, der Familie, verursacht wurden. Neben anderen Erziehungsfehlern, Teilleistungsstörungen und innerfamiliären Konflikten war es in vielen Fällen der Zerfall der Familienstruktur oder die frühe Mutterentbehrung durch die außerhäusliche Berufstätigkeit der Mütter junger und jüngster Kinder. Diese wird, soweit nicht ganz einfach aufgrund finanzieller Not betrieben, in letzter Zeit von der Wirtschaft aus Gründen der Arbeitskostenreduzierung und von den Verfechterinnen eines falschverstandenen monoman feministischen Gleichheitsstrebens aus ideologischen Gründen als Normverhalten geradezu gefordert. Die Frage danach, ob das gleichzeitige Engagement von Frauen in Familie und außerhäuslicher Berufstätigkeit überhaupt schadlos möglich sei, wird dabei sowohl in der feministischen Literatur, als auch in den Verlautbarungen aus Politik und Wirtschaft stets unter unerträglicher Nichtbeachtung der Rechte und Bedürfnisse der Kinder und geflissentlichem Übersehen der bereits eingetretenen Schäden an der Gesellschaft entweder gar nicht gestellt oder leichtfertig bejaht.
Dabei muss unsere Gesellschaft inzwischen als krank bezeichnet werden. Von Jahr zu Jahr wächst der Anteil verhaltensgestörter Kinder, infolgedessen grassieren Störungen im Zusammenleben der Erwachsenen; viele Menschen sind unfähig zu länger dauernden Bindungen geworden, die Zahl der Eheschließungen geht zurück, die der Scheidungen steigt an, es werden zu wenige Kinder geboren, die geborenen werden immer häufiger vernachlässigt. Die Solidarität der Menschen untereinander schwindet, die Einkommensschere zwischen sehr reich und arm klafft immer weiter auseinander. Die Minderbemittelten neiden den Reichen ihren Luxus, aber auch die Gutsituierten und in Arbeit Stehenden missgönnen denen, die wegen Krankheit, zu niedrigen oder zu hohen Alters oder auf Grund ihrer Biografie zu Gegenleistungen nicht fähig sind, die ihnen zukommenden Sozialleistungen. Der hierüber geführte Diskurs erschreckt vielfach wegen der zu Tage tretenden Gemütskälte und dem Mangel an Mitgefühl. Bei den Kranken wurde als ersten mit dem Abbau der Solidarität begonnen: zusätzlich zu Schmerzen, Angst und Leid werden sie seit den Kostendämpfungsgesetzen für ihr Kranksein auch noch selbst zur Kasse gebeten und mussten 2010 außer den jeden Monat fälligen Beiträgen und der neu eingeführten Praxisgebühr allein für verschriebene Arzneimittel 1,8 Milliarden € zuzahlen. Die Arbeitslosen bekamen mit der Hartz-IV-Regelung und dem Rückzug der Arbeitgeber aus der bis dahin paritätischen Finanzierung der Arbeitslosenversicherung als nächste die Entsolidarisierung zu spüren. Auch den Rentnern werden ihre Bezüge zusammengestrichen. In vollem Bewusstsein dessen, dass es für das Gros der Arbeitnehmer keine Arbeit bis zu diesem Zeitpunkt wird geben können, wird das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt und eine durch Nicht-mehr-Beschäftigung erzwungene frühere Inanspruchnahme mit Abschlägen bestraft.
Die Gewaltbereitschaft, gerade auch von Kindern und Jugendlichen, ist in stetigem Anstieg. Die herkömmliche Familie ist tot und lässt sich in alter Form nicht wiederbeleben
- das wird als gesellschaftlicher Wandel
fröhlich einfach so festgestellt, allenfalls noch kurz beklagt; dann geht man alsbald wieder zur Tagesordnung über und arbeitet auch von Amts wegen fleißig mit an ihrer weiteren Zerstörung, statt zu versuchen, letzterer entgegen zu wirken. Ähnliche Tendenzen sah zu seiner Zeit Homer in der damaligen griechischen Hochkultur, der dann ja, in historischen Dimensionen gedacht, wenig später der Zusammenbruch beschieden war, wenn er schrieb:
Welche Klagen erheben die Sterblichen wider die Götter!
Nur von uns, wie sie schrei‘n, kommt alles Übel; und dennoch
schaffen die Toren sich selbst, dem Schicksal entgegen, ihr Elend.
Homer,Odyssee
Zu nennen ist an erster Stelle der Zweite Weltkrieg mit seinem gewaltigen Aderlass an gefallenen Vätern. Auch die Kinder, deren Väter körperlich heil nach Hause zurückkehrten, hatten vorher über wichtige Entwicklungsjahre auf sie verzichten müssen. Das gilt auch für die unmittelbare Nachkriegszeit, in der sie nicht viel von ihren Vätern hatten, die vielfach gebrochen aus dem Krieg zurückkehrten oder hauptsächlich mit dem Aufbau oder der Wiederherstellung ihrer Existenz beschäftigt waren. Viele Kinder erlernten nicht mehr das Leben in einer vollständigen Familie. Sie hatten oftmals auch schon während des Krieges nicht nur ihre Väter, sondern auch ihre Mütter entbehren müssen, weil diese die von den abwesenden Männer hinterlassenen Lücken auf dem Arbeitsmarkt auszufüllen hatten und damit große Teile des Tages zuhause nicht zur Verfügung standen, ein Los, das vorher den Kindern schlechter bezahlter Arbeiter, Arbeitsloser oder alleinstehender Mütter vorbehalten war. Dass Frauen in dieser Notlage es schafften, sich und ihre Kinder irgendwie durch ihrer Hände oder Köpfe Arbeit durchzubringen, ließ die fatale Illusion von der Vereinbarkeit vom Aufziehen kleiner Kinder und einer außerhäuslichen Berufstätigkeit entstehen. Es war damals, wie auch heute noch in weiten Kreisen von Politik und Bevölkerung, wohl nicht üblich, sich darüber Gedanken zu machen, ob es unter solchen anormalen Umständen eventuell bei den Kindern zu bleibenden seelischen Verletzungen kommen könnte. Deshalb wurden diese auch nicht wahrgenommen, sie bestimmen aber bis heute das Verhalten der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Sie prägten wahrscheinlich auch in starkem Maße das Bewusstsein der Achtundsechziger mit ihrer Ablehnung alles Herkömmlichen und ihrer Verteufelung der Familie, die viele von ihnen offenbar nicht als Ort der Geborgenheit und des Glücklichseins, sondern, auch als Folge des in der Zeit des Nationalsozialismus propagierten Umgangs