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Herbstkobolde
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eBook192 Seiten2 Stunden

Herbstkobolde

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Über dieses E-Book

'Herbstkobolde' erzählt die Geschichte von der 12-jährigen Jennifer, die sich als Opfer und Schuldige bei der Trennung ihrer Eltern fühlt, und ihrer Großmutter Claire, die in einem uralten Haus in den Bergen lebt. In diesem Haus leben auch die Herbstkobolde, die einerseits mit ihren Streichen anderseits aber auch mit ihren kleinen und großen Hilfen das Leben und den Tagesablauf mitbestimmen.
Jennifer hat das Vertrauen zur Welt der Erwachsen verloren und sich beinahe ganz in sich zurückgezogen. Das spürt die Großmutter und sie sucht nach einem Weg, das Vertrauen ihrer Enkeltochter zurückzugewinnen. Dabei teilt sich die Welt in eine reale und eine
Zauberwelt. Die Herbstkobolde machen Jennifer mit dieser Zauberwelt vertraut und sie erfährt, was Vertrauen bedeutet.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Mai 2024
ISBN9783759788931
Herbstkobolde
Autor

Wilfried Kanzok

Wilfried Kanzok (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Leben Bücher und Literatur jeglicher Art gelesen. Endlich fand er in seinem Ruhestand die Zeit, sich dieser Leidenschaft auch schaffend (bevorzugt in seiner 2. Heimat, der Normandie) zu widmen. Herbstkobolde ist sein erster Roman.

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    Buchvorschau

    Herbstkobolde - Wilfried Kanzok

    1. Kapitel

    Wie eine schwarze, zähe Giftwolke hatten sich die heftigen, beißenden Worte der streitenden Eltern durch die Türritzen in Jennifers Zimmer gezwängt und sich bleischwer auf ihrer Bettdecke niedergelassen. Jennifer konnte unter diesem Gewicht kaum noch atmen. Unruhig warf sie sich hin und her und zerrte an ihrem verschwitzten Schlafanzug. Immer wieder hörte sie ihren Namen. Obwohl sie nicht alles verstehen konnte, was sich die Eltern gegenseitig vorwarfen. Aber wenn ihr Name fiel, war es jedes Mal wie ein Hammerschlag auf ihren Kopf.

    Sie konnte nicht einschlafen. Die Uhr im Wohnzimmer hatte längst elf Uhr geschlagen. Ängstlich sah sie sich im Zimmer um. Durch einen kleinen Spalt in der Jalousie fiel ein wenig Mondlicht herein. Es ließ den Tisch und ihren Schrank gegenüber vom Bett als schwarze Rechtecke erscheinen. Eine dünne Lichtlinie zeichnete die Zimmertür auf die schwarze Wand. Wegen der Streiterei hatte niemand daran gedacht, das Licht im Korridor zu löschen.

    Plötzlich liefen Tränen der Verzweiflung über ihr erschöpftes Gesicht und sie presste den Kopf gegen den Teddybären, der erneut ihr tröstender nächtlicher Beschützer war. Eigentlich war er schon längst ausrangiert, denn mit fast zwölf Jahren hatte sie geglaubt, dass dieser Kinderkram weit hinter ihr lag. Kein Mensch konnte sie mehr trösten. War es ihre Schuld, dass die Eltern stritten? Immer wieder wurde ihr Name genannt.

    Erschöpft stieß Florian Wiegandt, Jennifers Vater, den Atem aus. Er konnte nicht begreifen, wieso es seit Wochen zu solchen Auseinandersetzungen kam. Er liebte seine Frau und seine Tochter doch über alles. Tag für Tag schuftete er zwölf, vierzehn Stunden, und was war der Dank dafür, dass er sich so für die Familie opferte? Vorwürfe, Nörgeleien, das Ansinnen, er möge sich an der Hausarbeit beteiligen und jetzt auch noch die abstrusen Eifersuchtsanfälle von Veronika, die Unterstellung, er habe eine Geliebte. Das konnte er sich wirklich nicht mehr länger bieten lassen. Das hatte er nicht nötig. Wie konnte ein Mensch, der behauptete, er liebe ihn, nur so etwas tun?

    Seine Frau war nach dem letzten Wutanfall ins Schlafzimmer gestürzt und hatte die Tür zugeschlagen. Die Konfrontation hatte für heute ihr Ende gefunden. Sein Pulsschlag beruhigte sich langsam. Was mochte seine Tochter nur denken? Jennifer war in letzter Zeit immer so blass und hatte dunkle Ränder unter den Augen.

    Morgens beim Frühstück sprach sie kaum noch ein Wort. Ihm selbst ging es ja auch nicht anders. Dabei hatte das gemeinsame Frühstücken immer so viel Spaß gemacht. Jenny konnte zwei Radiosender ersetzen, so viel gab es zu erzählen, und wie gerne hatte er zugehört! Wie schön war das immer, ihr in ihre aufregende Welt zu folgen, in der es ununterbrochen Neues zu entdecken gab, in der die Gefühle brodelten und eine ungeheure Energie regierte, die alles verstehen wollte und unzählige Fragen stellte.

    Er hatte keinen Zutritt mehr zu ihrer Welt. Sie hatte die Tore geschlossen und das „Eintritt verboten"-Schild aufgehängt. Das tat ihm weh und steigerte noch die Sorgen, die er sich sowieso schon um seine Tochter machte.

    Als vor einigen Monaten die Reibereien begannen, vereinbarte er mit Veronika, dass sie in Gegenwart ihrer Tochter nicht stritten. Keine Auseinandersetzungen vor dem Kind! Sobald Jennifer im Bett lag, brauchte es nur ein unbedachtes Wort, und der Streit entflammte wie ein Buschfeuer in der ausgedorrten Steppe. Hinzu kam das Gefühl, dass es von Tag zu Tag heftiger wurde.

    Es musste unbedingt etwas geschehen. So konnte es auf keinen Fall mehr weitergehen!

    Dass es einmal so weit kommen konnte, lag außerhalb von Veronika Wiegandts Vorstellungsvermögen. Florian war doch ihre große Liebe gewesen. In der Uni-Mensa war sie ihm zum ersten Mal begegnet. Er hatte ihren Arm ergriffen, als einige Ungeduldige durch ungestümes Drängeln sie und ihre Freundin ins Wanken brachten. Sein braunes, welliges Haar, seine energischen Augen: Es war Liebe auf den ersten Blick. Und hätte er sie nicht spontan für den Abend ins Café „El Gringo" eingeladen, wäre es das erste Mal gewesen, dass sie einen Mann eingeladen hätte.

    Und nun, nach so vielen glücklichen Jahren, dieser Albtraum? Er war nur noch selten zu Hause und wenn er da war, zeigte er kaum noch für irgendetwas Interesse, schon gar nicht für ihre Probleme. Er war immer nur müde. Sich in den Sessel fallen lassen und zur Fernbedienung fürs Fernsehen greifen, das war in den letzten Monaten sein abendlicher Routine-Ablauf. Meistens schlief er dort auch noch ein und kam mit einem gebrummten „bin eingeschlafen" erst weit nach Mittenacht ins Bett.

    Das konnte doch nur eins bedeuten: Er hat eine andere! Er betrügt mich, er macht mich lächerlich, er will mich verlassen! Das wird er noch bereuen! Zu anderen Gedanken war sie nur noch fähig, wenn sie an Jennifer dachte. Dann brach sie meist in Tränen aus, denn sie spürte, wie unglücklich Jennifer war. Dieses fröhliche Kind, was war nur aus ihr geworden, seit diese unerträglichen Streitereien mit Florian begannen? Wie ein Häufchen Elend schleppte sich ihre Tochter durch den Tag.

    Über eins war sie sich absolut im Klaren: So konnte es auf gar keinen Fall weitergehen.

    Die letzten zwei Kilometer zur Praxis in Eppendorf war sie zu Fuß gegangen. Erst in der Absicht, sich durch körperliche Bewegung zu beruhigen, doch jeder Schritt in Richtung Florian machte Veronika nur noch wütender.

    Nach einem langen Klingeln an der Praxistür hörte sie eilige Schritte, doch bevor Florians Assistentin das überraschte „Guten Morgen, Frau Wie…" auch nur aussprechen konnte, war Veronika an ihr vorbeigestürmt und riss die Tür zu einem der Behandlungsräume auf.

    Florian, der gerade dabei war, einer verletzten Katze die Vorderpfote zu verbinden, blickte auf, sah ein wenig irritiert zu der neben ihm stehenden, besorgten Besitzerin der Katze und sagte ruhig: „Einen Moment noch, Liebling, ich habe gleich für dich Zeit!" Obwohl er am liebsten vor Ärger über diese Unterbrechung in der Praxis, dazu noch in Gegenwart von Kunden, etwas ganz anderes gesagt hätte.

    Veronika zögerte einen Moment. Dann quetschte sie: „Das ist aber nett von dir" zwischen den Zähnen hervor. Auch sie wollte schließlich nicht in Gegenwart anderer mit Florian streiten. Ihr war nur nach dem Frühstück heute Morgen in diesem entsetzlichen Schweigen klar geworden, dass sie die Situation nicht einen Tag länger würde ertragen können. Und die Praxis war der einzige Ort, wo sie Florian auch erreichen konnte. Zudem in einem Zustand, wo er nicht nur müde war.

    Kurze Zeit später verließ die Kundin mit ihrer Katze den Behandlungsraum und Florian Wiegandt holte tief Luft. „Es ist gut, dass du gekommen bist. Wir müssen unbedingt miteinander reden!"

    Veronika war überrascht. „Es wundert mich, dass du überhaupt auf diese Idee gekommen bist. Ich wollte dir nur mitteilen, dass Jennifer am Samstag zu ihrer Großmutter fahren wird. Am Montag beginnen die Herbstferien. Wie es weitergeht, hörst du in der nächsten Woche von meinem Anwalt. Mir wäre es recht, wenn du dir kurzfristig eine andere Bleibe suchst. Ich kann das alles nicht mehr ertragen!"

    Bevor Florian auch nur ein Wort herausbringen konnte, war Veronika wieder aus dem Raum gestürmt und hatte mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zugeschlagen.

    2. Kapitel

    Langsam kommt der Zug im kleinen Bahnhof von Bourgville zum Stehen. Die Druckluftbremsen zischen, einige Reisende schauen aus den Fenstern der Waggons in den dünnen Nebel, der heute über dem Ort liegt. Hier in den Bergen senkt sich in dieser Jahreszeit häufig Nebel ins Tal, während die Höhen bei klarer Luft und Sonnenschein in bunten Herbstfarben strahlen.

    So war es auch heute Morgen, als sie sich auf den Weg zum Bahnhof nach Bourgville aufgemacht hatte. Mit einem Rumpeln war der alte Landrover Defender angesprungen und nach zwei Hustern dann doch wieder beruhigend rund gelaufen. Viele Jahre tat er nun schon zuverlässig seine Dienste, denn ohne den Geländewagen war ihr Haus nicht zu erreichen. Der Weg zur Bourgviller Landstraße war eine einspurige Schotterpiste, die sich in steilen Serpentinen zu ihrem Haus hinauf windete. Die Zeit hatte am Weg genagt, so dass ihr Wagen über ausgewaschene Rinnen und Felsplatten holpern musste. Und ab und an lag auch mal ein großer Steinbrocken im Weg, den ein heftiger Regenschauer am oberen Hang losgespült hatte. Meist gelang es ihr selbst, den Brocken aus dem Weg zu rollen, aber zweimal hatte sie die Hilfe ihres Nachbarn in Anspruch nehmen müssen.

    Heute war der Weg frei gewesen. Es hatte seit Tagen nicht geregnet. Als sie die Landstraße erreichte, tauchten die Räder ihres Wagens in die Nebelschicht. Zäh wie Zuckerwatte lag sie auf der Straße. Im Rückspiegel bemerkte sie überrascht, dass der Nebel sich zu einem Kielwasser verwirbelte, als gleite ein Schiff in langsamer Fahrt auf einen See hinaus.

    Mit jedem Meter, den sie talwärts fuhr, tauchte der Wagen tiefer in den Nebel ein. Als die Kühlerhaube im Dunst verschwand, dauerte es nur noch einen kurzen Moment, bis sie ganz im Nebel eingetaucht war. Die Sicht war plötzlich auf zwanzig Meter geschrumpft. Doch die Sonne, die in die obere Nebelschicht eindringen konnte, verwandelte alles in einen wallenden rosafarbenen Schleier. Wie verzaubert war der Weg. Sie hielt einen Moment an, um diesen wunderbaren Eindruck in sich aufzunehmen. Welch atemberaubende Schönheit bot ihr doch die Welt!

    Als sie weiterfuhr, verwandelte sich alles sehr schnell in das gewohnte Nebelgrau. Sie musste an das Telegramm denken, dass der Postbote ihr gestern gebracht hatte. Fluchend war er vor dem Haus aus seinem R4-Postwagen gestiegen. Auf dem Weg herauf waren ein paar Mal das Bodenblech seines Wagens und der Auspuff mit dem felsigen Boden in Berührung gekommen.

    Sobald der erste Schnee fiel, kam niemand mehr ohne Geländewagen zu ihr hinauf. Dann musste sie sich am Postamt in Bourgville ihre Briefe selbst abholen.

    Doch Louis-Phillip, der Postbote, ließ sich durch ein Gläschen Himbeergeist schnell versöhnen und hatte sich neben sie auf die Bank vors Haus gesetzt, während er gespannt darauf wartete, dass sie den Umschlag öffnete. Louis-Phillip war nicht neugierig, er wollte nur alles wissen. Schmunzelnd beobachtete sie, wie er unruhig auf der Bank hin- und herrutschte. Sie riss den Umschlag auf und faltete das Telegramm auseinander.

    „Meine Enkelin Jennifer kommt zu Besuch, sagte sie mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich soll sie morgen um kurz nach zehn am Bahnhof in Bourgville abholen.

    „Unverhofft kommt oft, brummte Louis-Phillip. „In den letzten Jahren hat sich hier doch niemand blicken lassen. Jetzt kommt die Kleine per Express?

    Auch sie war völlig überrascht von der Nachricht. Einerseits freute sie sich sehr, dass ihre Enkelin sie besuchen kam. Mit sieben war sie das letzte Mal hier gewesen, aber natürlich mit Florian, ihrem Schwiegersohn, und ihrer Tochter Veronika. Doch die Plötzlichkeit und die Tatsache, dass das Kind allein auf die Reise geschickt werden sollte, ließ sie, nach anfänglicher Freude, besorgt auf das Telegramm blicken.

    „Da läuft in Hamburg bestimmt etwas außerordentlich schief!, dachte sie. „Eine andere Erklärung gibt es nicht!

    Sie selbst hatte in dieser Zeit die Reise nach Hamburg gescheut und immer wieder Gründe gefunden, warum sie den Bitten ihrer Tochter nicht nachkommen konnte. Nachdenklich ließ sie das Telegramm auf ihre Knie sinken.

    „Ich muss jetzt einiges vorbereiten, wandte sie sich an Louis-Phillip. „Und fahr vorsichtig auf dem Rückweg!

    „Bis demnächst!", hatte er geantwortet und war wie ein gelber Blitz mit seinem Postauto hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.

    Nun war sie auf der nebligen Straße nach Bourgville und ihre Bedenken hatten sich zu einem Sorgenpaket verdichtet.

    Claire Ahrenberg, Jennifers Großmutter, blickt den Bahnsteig entlang. Die ersten Türen öffnen sich und einzelne Fahrgäste steigen aus. Sie kann Jennifer nicht entdecken. Besorgt geht sie langsam am Zug entlang.

    „Wo mag sie nur stecken?, denkt sie beunruhigt. „Beim letzten Besuch ist sie wie ein junges Zicklein aus dem Wagen gesprungen, kaum dass der Zug angehalten hatte. Ob sie den Zug verpasst hat?

    Der Schaffner blickt bereits am Zug entlang, um zu sehen, ob schon alle aus- oder eingestiegen sind. Da öffnet sich am vorletzten Wagon die Tür und ein junges Mädchen steigt zögernd aus. Jennifer stellt ihren kleinen Koffer auf den Bahnsteig und schaut sich unsicher um. Ihren Rucksack hat sie lässig über die Schulter gehängt. Über ihr blasses Gesicht huscht ein kleines Lächeln, als sie die Großmutter entdeckt.

    „Mein Gott, denkt Claire Ahrenberg, „wird das die kleine Jenny sein? Sie ist ja schon fast eine junge Dame geworden! Mit schnellen Schritten geht sie auf das Mädchen zu.

    „Jenny, Jenny, meine Kleine! Hier bin ich!", ruft sie erleichtert. Jennifer ist ihrer Tochter sehr ähnlich geworden. Wie aus dem Gesicht geschnitten!

    Mit großer Herzlichkeit schließt sie ihre Enkeltochter in die Arme, bis sie merkt, dass diese Umarmung nicht erwidert wird. Sie spürt die Steifheit und den Widerstand, mit der Jennifer auf diese herzliche Geste reagiert. Claire ist furchtbar erschrocken. Was ist nur mit Jenny los? Mit einer hastigen

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