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Path into Duat: Seth und Mafed
Path into Duat: Seth und Mafed
Path into Duat: Seth und Mafed
eBook827 Seiten9 Stunden

Path into Duat: Seth und Mafed

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Über dieses E-Book

»Die Wüste kennt keine Gnade, und ich auch nicht.«
Der gefallene Chaosgott Seth ist mit dem Leben zufrieden, das er sich seit seinem Fall aufgebaut hat – Rock'n'Roll, sein Chopper und die Gesellschaft von Freunden. Doch dann taucht die verschmorte Leiche eines Immobilienmaklers auf, der es auf Seths Bar, das Heliopolis, abgesehen hatte. Schnell fällt der Verdacht auf den jähzornigen Barbesitzer und unter den Freunden wächst das Misstrauen. Zu allem Überfluss strandet auch noch ein Totengott aus New York bei ihm – ein Rechtsmediziner namens Mafed, den Seth am liebsten sofort wieder vor die Tür setzen möchte. Als Mafed sich bereiterklärt, ihm bei seinem Problem zu helfen, ist Seth zunächst wenig begeistert.
Während die beiden Götter nach einem Weg suchen, Seth zu entlasten, spitzt sich die Beweislage gegen ihn zu. Als nicht einmal mehr seine Freunde an seine Unschuld glauben, wird der arrogante Totengott zu Seths letzter verzweifelter Hoffnung …
Ein brandneues Abenteuer aus dem »Kemet«-Universum voller Whiskey, Feuer und Vertrauen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Okt. 2022
ISBN9783945045404
Path into Duat: Seth und Mafed

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    Buchvorschau

    Path into Duat - Melanie Vogltanz

    Impressum

    Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim

    Art Skript Phantastik Verlag und den Autor*innen.

    Copyright © 2022 Art Skript Phantastik Verlag

    1. Auflage 2022

    Art Skript Phantastik Verlag | Salach

    Lektorat » Isa Theobald » www.isa-theobald.de

    Komplette Gestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

    Verwendung folgender Bilder

    Las Vegas - Photo by Matthias Mullie on Unsplash

    Tempel von Ombos - Photo by Jeremy Bezanger on Unsplash

    Druck » BookPress

    www.bookpress.eu

    ISBN » 978-3-945045-39-8

    Auch als eBook erhältlich

    Der Verlag im Internet

    » www.artskriptphantastik.de

    Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Content Notes

    Wir möchten unseren Lesenden den Genuss dieses Buches so angenehm wie möglich machen. Daher nutzen wir Content Notes, um auf eventuell problematische Stellen hinzuweisen. Da es keine allgemeinen Regelungen zum Umgang mit Inhaltswarnungen gibt, entstand die folgende Liste in enger Zusammenarbeit zwischen Verlegerin und den Autorinnen der Geschichte. Solltest du Stellen finden, die nicht mit Content Note versehen sind, zögere nicht dies mitzuteilen. Schreib gerne eine Mail an Verlegerin Grit Richter unter info@aspverlag.de

    Vielen Dank

    Die historischen und wissenschaftlichen Fakten in diesem Roman wurden im Sinne der Handlung freier ausgelegt. Trotz sorgfältiger Recherche erhebt der Roman nicht den Anspruch darauf, in allen entsprechenden Aspekten und der Darstellung des amerikanischen Justizsystems korrekt zu sein.

    Dieses Buch enthält:

    Gewalt gegen Erwachsene (explizit), Waffengewalt (Schuss- & Stichwaffen)

    Folter

    Selbstverletzendes Verhalten, parasuizidales Verhalten

    Depression

    Suizid

    Mord, Leichen (explizit), Untote

    Blut

    Erbrechen

    Polizei und Polizeigewalt (explizit)

    Alkoholkonsum, Tabak

    Vorübergehende Gefangenschaft, Haft

    Drogenkonsum, Rauschzustände, Entzugserscheinungen

    Bodyhorror (Verwandlung)

    Fahrzeugunfall

    Feuer, Verbrennungen

    Othering, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

    Queerfeindlichkeit

    internalisierte Ace-Feindlichkeit

    Verstümmelung (erwähnt), Kastration (impliziert)

    Obdachlosigkeit (erwähnt), Armut

    Spritzen/Nadeln, Schmerzmittel, medizinische Behandlungen (explizit)

    derbe und ableistische Sprache

    Essen

    Inzest (erwähnt)

    Ertrinken

    Vergiftung

    Probleme bei der Geburt, Kaiserschnitt (erwähnt)

    Bitte achte beim Lesen auf dich und dein Wohlbefinden.

    Ein Glossar befindet sich am Ende des Romans.

    Musik

    Musik hat dieses Buch geprägt und trägt viel zu seiner Stimmung bei. Über diesen Link gelangt man direkt ins Heliopolis und zu Seths Playlist.

    Befreie mich von diesem Gott,

    der sich der Seelen bemächtigt und aufleckt,

    was verfault ist;

    der auf Abfällen lebt und in Dunkelheit und Verborgenheit lebt,

    der die Müden in Angst und Schrecken versetzt –

    welcher ist Seth.

    Coffin Text IV, 319-321

    Kapitel 1

    Alte Sünden

    1

    Eine Klinge aus Bronze, die durch Fleisch schneidet.

    Blut fließt. Keine Überheblichkeit von dem Gott, der über mir stand, solange ich denken kann. Nicht länger. Stattdessen Betteln, Flehen. Was würden deine Jünger von dir denken, würden sie dich so sehen? Deine Frau und Schwester, deine Diener, dein Königreich? Würden sie dich noch verehren? Könnten sie dich noch ansehen? So schwach, so verwundbar. So sterblich.

    Du flehst, du verhandelst. Du flehst.

    Doch keine Gnade.

    Die Wüste kennt keine Gnade, und ich auch nicht.

    Mein Reich Deshret ist weit.

    Es schluckt jeden Schrei.

    Geheimnisse, fest verschlossen in einer Kiste.

    Keine Luft dringt nach außen oder hinein.

    Kein Laut mehr. Kein Zucken. Vorbei.

    Du bist vorbei.

    Das Tuch ist zerschnitten. Das Band durchtrennt.

    Durchtrennt wie deine Glieder, dein Fleisch. Vierzehn Teile, die dein Körper waren.

    Seth – das bedeutet der, der zerschneidet.

    Der, der zerstückelt.

    Der, der verwüstet.

    Seth, der Zerstörer.

    Ich bin der Zerstörer.

    2

    Als Seth aus seinem unruhigen Traum erwachte, brannte sein Bett.

    Fluchend wälzte er sich herum und schlug auf die Funken ein, die auf seinen Laken knisterten und gerade dabei waren, sich zu einem kleinen Feuer auszuwachsen. Es gelang ihm, die Glutherde zu löschen, bevor sie um sich greifen konnten. Missmutig betrachtete er die braunen und schwarzen Flecken auf dem nicht mehr ganz so weißen Leinen, die sich übergangslos in das Muster der bereits vorhandenen Brandlöcher fügten.

    Das war bereits das vierte Mal innerhalb von zwei Wochen, dass sein eigenes unkontrolliertes Heka Seth aus dem Schlaf gerissen hatte. Das vierte Mal, dass er von den alten Tagen geträumt hatte – und von seinen alten Sünden.

    Vom Gott, der er einst gewesen war.

    Mit einer energischen Bewegung stieß er die Tür zum Balkon auf und trat hinaus in die schwüle Hitze des Tages. Dem Stand der Sonne nach zu schließen, war es beinahe Mittag. Res Schein knallte heiß und belebend auf Seths bloßen Oberkörper und in sein ungeschütztes Gesicht. Geblendet kniff er die Augen zu.

    Seth griff sich die zerknautschte Packung Camels, die er neben einem altersschwachen Korbsessel platziert hatte, und setzte die von außen blickdichte Sonnenbrille auf, die dort ebenfalls auf ihn wartete. Dann ließ er eine kleine Flamme auf seinem Daumen emporzüngeln und zündete sich eine Zigarette an. Tief inhalierte er den Rauch, der wohltuend durch die Atemwege brannte und seinen Kopf klärte. Sein Blick schweifte in die Ferne, in die Weite der Mojave. Die Hitze ließ die Luft über dem staubigen Boden flirren und verlieh der Szenerie etwas herrlich Unwirkliches. Auf den ersten Blick schien es, als hätte sich in seinem Leben in den vergangenen fünftausend Jahren nichts verändert – als hätte er sich nicht eines Tages aus heiterem Himmel in einer fremden, lärmenden Welt wiedergefunden, der nichts mehr heilig war, und zugleich alles.

    Erst bei genauerem Hinsehen wurde die schmale, graue Linie sichtbar, die sich quer durch die Wüste schlängelte und irgendwo am Horizont verlor – die Route 374, die geradewegs zu Seths Bar führte, die wie ein großes, müdes Krokodil im Ödnisozean der weiten Mojave ruhte. Heliopolis. Sein neues Zuhause. Sein neues Leben. Ihm gefiel, was er sich hier aufgebaut hatte. Mit seinen eigenen zwei Händen – und der Unterstützung von Freunden.

    All das, was sich da so aufdringlich und unwillkommen in seine Träume drängte, war lange vergangen. Nichts davon spielte mehr eine Rolle. Nicht hier. Die Vergangenheit war tot, und Seth lebte. Er würde jeden gottverdammten Moment dieses Lebens genießen, und nichts und niemand, nicht einmal sein eigenes Unterbewusstsein, würde ihm das vermiesen.

    Entschieden drückte Seth seine Zigarette im bereits überquellenden Aschenbecher aus. Dann ging er wieder hinein, um sich anzuziehen. Ein neuer Tag wartete auf ihn.

    3

    Sehen wir uns später?

    Ja, womöglich.

    Gedankenverloren strich Mafed sich über die Lippen. Wenn er nur lang genug daran dachte, konnte er den Kuss immer noch spüren, den rauen Verband unter seinen Fingern, den sterilen Geruch des Krankenhauses wittern und den Regen schmecken, der sich später mit seinen Tränen vermischt hatte. Mit den Erinnerungen kamen die Vorwürfe und die schlaflosen Nächte. Warum hatte er Detective Ian Barnell damals nur eingeweiht? Wie hatte er zulassen können, dass der Mensch in Lebensgefahr geriet? Warum war er ohne ein Wort gegangen? Zumindest die letzte Frage konnte Mafed sich beantworten. Er wäre geblieben, wenn Barnell ihn darum gebeten hätte. Doch hätte der das überhaupt gewollt? Ob der Detective auch noch so viel an ihn dachte?

    »Sie sind ja schon wach, Doctor!«

    Mafed blinzelte und kehrte in die Realität zurück, die darin bestand, dass er auf der Veranda einer kleinen Pension in Kansas saß. Die Besitzerin mit dem herzförmigen Gesicht, den braunen Locken und dem altbackenen Blumenkleid lächelte ihn warm an. Mafed schätzte die Sterbliche mit ausgeprägtem Mutterinstinkt auf Anfang fünfzig. »Haben Sie gut geschlafen?«

    »Nein«, antwortete der Totengott wahrheitsgemäß und schalt sich selbst, als er das entsetzte Gesicht der älteren Frau sah. »Das lag aber nicht an Ihrem gemütlichen Zimmer«, schob er rasch hinterher und hob beruhigend die Hände. »Mir geht nur gerade vieles im Kopf rum.« Erschöpft fuhr er sich übers Gesicht und seufzte.

    Die Besitzerin – Mafed neigte dazu, sich die Namen unwichtiger Sterblicher nicht zu merken – nickte verständnisvoll und setzte sich neben ihn in einen der Korbstühle. »Wollen Sie dann nicht noch eine Nacht bleiben? Dann kommen Sie vielleicht etwas zur Ruhe. Adam und ich bereiten für heute ein Barbecue vor. Das wird Ihnen gefallen.«

    Mafed rang sich ein dankbares Lächeln ab. »Das ist sehr freundlich, aber ich muss leider weiter.«

    »Wohin geht denn die Reise?«, fragte die Frau im Plauderton und schlug die Beine übereinander.

    Der Angesprochene zögerte und zog schließlich unschlüssig die Schultern hoch. »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das noch gar nicht. Weiter Richtung Westen. Ich war noch nie in Kalifornien.«

    Die Sterbliche sah ihn eine Weile nachdenklich an, ehe ihre Miene traurig wurde. »Also fahren Sie vor irgendwas weg und nicht irgendwo hin.«

    Ertappt senkte Mafed den Blick und zupfte an den ledernen Armbändern an seinem Handgelenk. War er mittlerweile so durchschaubar geworden?

    Seine Reaktion schien der Besitzerin Antwort genug zu sein. Sie stemmte sich seufzend hoch und strich ihr Kleid glatt. »Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben: Solange Sie damit nicht abschließen, wird es Sie immer verfolgen.«

    »Ich hoffe eigentlich, eine neue Aufgabe zu finden, die mich lange genug ablenkt«, gestand Mafed.

    Die Sterbliche nickte verstehend. »Dann werde ich Ihnen einen Kaffee kochen, bevor Sie sich weiter auf die Suche machen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging die Frau zurück ins Haus.

    Mafed nutzte den Moment, erhob sich und schlich von der Veranda. Da seine Sachen bereits im Auto lagen und er bei der Anreise gezahlt hatte, konnte er sich ohne weitere Diskussionen aus dem Staub machen. Da hast du ja mittlerweile Übung drin, dachte er verbittert, zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche und schloss seinen schwarzen Buick Riviera auf. Die Ledersitze knarrten protestierend, als er sich darauf fallen ließ. Mit einem dumpfen Dröhnen erwachte der alte Motor zum Leben.

    Bis zum Highway waren es nur wenige Minuten. Während der Fahrt warf Mafed einen Blick auf sein Smartphone, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Keine neuen Nachrichten. Er wusste nicht, ob ihn das freute oder traurig machte, denn es bedeutete auch, dass der Detective keine Zeit mehr an ihn verschwendete.

    Beim bloßen Gedanken an Ian raste Mafeds Herz. Das schlechte Gewissen bescherte ihm Magenkrämpfe. Ihr letztes Treffen hatte mit einem Kuss geendet und der Erkenntnis, dass Mafeds Anwesenheit den Sterblichen in Lebensgefahr brachte. Noch in derselben Nacht hatte Mafed seine Kündigung geschrieben und New York verlassen. Das war mittlerweile acht Wochen her. Nur die nötigsten Dinge hatte er in den Kofferraum seines Wagens geschmissen und war einfach losgefahren – ohne Planung, ohne Ziel. Hauptsache, er brachte möglichst viele Meilen zwischen sich und Ian.

    Die ersten Tage hatte sein Handy kaum stillgestanden. Anrufe und Nachrichten vom Detective und seiner Assistentin Jill wechselten sich ab. Er reagierte nicht darauf, las ihre Texte nicht mal und schließlich gaben die zwei auf. Mafed konnte ihnen keinen Vorwurf machen. Es war besser, wenn er kein Teil ihres Lebens mehr war.

    Seine erste Fahrt hatte ihn nach Washington geführt. Noch im Morgengrauen hatte er die Hauptstadt erreicht. Das Ziel war keine bewusste Entscheidung gewesen. Es war, als hätte Washington ihn angezogen. Er wusste, dass hier noch eine unerledigte Aufgabe auf ihn wartete, bevor er mit Doctor Jahi Mafed und dessen Leben endgültig abschließen konnte.

    Mit Zeros Hilfe fand er den Ort, den er suchte. Für die Hackerin war es kein Problem gewesen, die notwendigen Informationen herauszufinden. Mit einem Strauß violetter Nelken hatte Mafed im kalten Nieselregen vor den Toren gewartet, bis der Friedhof öffnete. Der Wächter hatte ihn mit einem fragenden Blick betrachtet, aber nichts zu dem frühen Gast gesagt.

    Alex‘ Grab war noch frisch gewesen. Kränze waren darum aufgestellt, mit Kondolenzsprüchen der Familie, von Freunden und natürlich der Universität. Ein Grabstein hatte noch gefehlt und nur ein schmuckloses Kreuz hatte verraten, wer in dem Haufen feuchter Erde ruhte.

    Nachdenklich hatte Mafed im nassen Gras gesessen. Schon nach kurzer Zeit war seine Kleidung durchnässt gewesen und die Winterkälte hatte ihm in die Glieder gebissen. Doch er hatte es ignoriert, als kleine Strafe akzeptiert. Alex hatte so viel mehr gelitten – nur seinetwegen.

    Eine Weile hatte der Totengott nur schweigend das Grab betrachtet, die aufgewühlte Erde, die bunten Blüten, die unter dem Regen die Köpfe hängengelassen hatten. Dann hatte er angefangen, zu reden. Er wusste, dass Alex ihn nicht hören konnte – wer sollte das besser wissen als er? Doch es gab noch so viel zu sagen, so viel, das Alex nie erfahren hatte, so viel, das Mafed auf der Seele lag. Und als er einmal angefangen hatte, perlten die Worte über Mafeds Lippen wie der Regen und die Tränen. Erst als bereits der Abend dämmerte, verließ der Unsterbliche den Friedhof – immer noch mit schwerem Herzen, doch wenigstens hatte es dieses Mal einen Abschied gegeben.

    Danach war Mafed eine Weile einfach nur die Ostküste entlang gefahren, dann hatte er den Weg nach Westen eingeschlagen. Er hielt nur selten – wenn er tanken musste, essen oder sich der falschen Hoffnung hingab, er könnte vielleicht etwas Schlaf finden. Die einzige Ablenkung von seinen rasenden Gedanken fand er in fremden Sterblichen, die er mit honigsüßen Worten oder Geld in sein Zimmer lockte. Der zwanglose Sex fegte zumindest für einen Moment seinen Kopf leer. Egal, ob es eine Nacht in einem kleinen Motel am Highway oder eine schnelle Nummer auf der Rückbank seines Wagens war.

    Genervt kniff Mafed die Augen zu, die bereits vor Müdigkeit brannten. Seit jenen acht Wochen fand er kaum noch Schlaf. Mit einem tiefen Atemzug versuchte er sich zu beruhigen, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte.

    Was war nur los mit ihm? In seiner ganzen Zeit unter den Menschen hatte er immer wieder seine Identität gewechselt und Sterbliche zurückgelassen, um irgendwo neu zu beginnen. Doch dieses Mal konnte er nicht loslassen. Der Abschied sorgte für körperliche Schmerzen, Vorwürfe und Zweifel.

    Bisher hatte er sich erst einmal so gefühlt – damals, als die anderen Götter verschwunden waren.

    4

    Als Seth die Bar Stunden später öffnete, hatte er das unangenehme Erwachen bereits wieder vergessen. Wie immer lief das Geschäft langsam und zähflüssig an. Vereinzelte Reisende auf einem nostalgischen Roadtrip durch die Wüste mit einem dringenden Toilettenbedürfnis, Touristen, die sich von ihrem Vegas-Trip hierher verirrt hatten, und natürlich Seths Stammkundschaft – darauf beschränkten sich die Besucher des Heliopolis in der Regel. An so manchem Abend blieben die Gläser gänzlich trocken, doch Seth störte das nicht. Er genoss die Ruhe vor dem Sturm, jene Tage, die ihre Stunden verdösten wie Schlangen, die sich sattgefressen hatten und nun Wochen ohne Nahrung auskamen.

    Und außerdem war er niemals völlig allein.

    »Hey Boss, alles in Ordnung? Du starrst heute Löcher in die Luft, als gäbe es was dabei zu gewinnen. Und im Übrigen stehst du mir im Weg.«

    Seth wandte sich um. Tara stand mit zwei Glaskrügen voller dunklem Ale da und grinste ihn schief an. Mit dem Kinn machte sie eine halb scherzhafte, halb ungeduldige Bewegung zur Seite.

    Er wich hinter den Tresen aus wurmstichigem, von vergossenem Alkohol klebrigem Holz zurück, damit Tara an ihm vorbei und in den Schankraum gehen konnte. »Was? Nein. Ich meine, ja. Es ist alles in Ordnung.«

    Ihr spöttisches Schmunzeln vertiefte sich. »Dann bin ich ja beruhigt.«

    »Kümmer du dich mal schön um deinen Job, und ich kümmer mich um meinen.«

    »Und was wäre der?«, feuerte sie zurück. »Den Flecken auf der Theke beim Trocknen zusehen?«

    Seth setzte zu einer harschen Erwiderung an, doch Tara hatte bereits den Kopf eingezogen und war abgerauscht, ehe sein Zorn sie treffen konnte.

    Mit einem unterdrückten Seufzen lehnte Seth sich gegen die Theke und musterte ihre beiden einzigen Gäste des Abends, denen Tara gerade ihre Bestellung brachte: einen untersetzten Mann mittleren Alters und seinen schmalen, brillentragenden Begleiter. Beide waren in biedere und für die Hitze Nevadas völlig ungeeignete Anzüge gekleidet, und beide wirkten ebenso deplatziert in dieser Bar wie Mitarbeitende des Gesundheitsamts. Auf Seth machten sie weder den Eindruck von Touristen noch von Partytieren, die in Vegas einen draufgemacht hatten. Sie rochen nach Business, einem Bereich des Sterblichendaseins, von dem Seth noch sehr wenig verstand und auch gar nichts verstehen wollte.

    Alles, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass die beiden ihm nicht gefielen.

    Er versuchte, das unbehagliche Gefühl, das sich in ihm breitmachen wollte, zu verdrängen und widmete sich dem Abwasch – eine Aufgabe, die er für gewöhnlich Billy überließ. Der hatte jedoch seinen freien Abend und trieb sich irgendwo in der Stadt rum.

    Seth hatte erst einen Bruchteil des Geschirrs gespült, als Tara erneut hinter ihn trat und sich unbehaglich räusperte.

    »Schwierigkeiten?«, fragte Seth. »Haben die Schlipstypen Beschwerden? Schmeckt ihnen das Bier nicht?«

    »Das sagen sie nicht so genau«, druckste Tara herum. »Nur, dass sie mit dem Besitzer sprechen wollen.«

    Seth feuerte den Lappen, mit dem er eben eine Reihe Schnapsgläser getrocknet hatte, in die Spüle. Als er sich an Tara vorbeischieben wollte, blockierte sie den Weg. »Boss?« Ihre Stimme klang ungewöhnlich ernst. »Ruhig Blut bei diesen Typen, okay? Ich hab so ein Gefühl, dass die unseren rauen Humor nicht so kapieren würden.«

    »Keine Sorge«, gab Seth zurück. »Bin heute nicht zum Scherzen aufgelegt.«

    »Genau das befürchte ich ja«, gab Tara halblaut zurück, wich aber gehorsam zur Seite, als Seth erneut Anstalten machte, sich an ihr vorbeizudrängeln.

    Die beiden Anzugträger, die sich bislang gedämpft unterhalten hatten, verstummten übergangslos, als Seth an ihre Sitzecke herantrat. Ihre Blicke wanderten an ihm hoch und taxierten ihn mit einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Hohn und Abscheu pendelte – besonders, als sie Seths zahlreiche Piercings und seine löchrige, graugewaschene Kleidung streiften.

    Innerhalb eines Herzschlags fühlte Seth sich in seiner Antipathie gegenüber den beiden bestärkt.

    »Sie sind der Besitzer, ja?«, versicherte sich der Ältere. Er gab ein trockenes Hüsteln von sich – vielleicht das, was sich ein humorloser Mensch unter einem Lachen vorstellen mochte. Anhand seines schwindenden Haaransatzes, der Platte an seinem Hinterkopf und den Falten in seinem äußerst weißen Gesicht schätzte Seth ihn auf Ende vierzig. Allerdings war er nicht besonders gut darin, das Alter von Sterblichen zu schätzen, erst recht nicht in der Moderne.

    Sein Begleiter, deutlich jünger, außerdem dünn, lang und bleich wie eine Gespensterschrecke, räusperte sich ebenfalls. »Gibt es in diesem … Etablissement eine Toilette?«

    Seth entging die vielsagende Pause vor dem Wort Etablissement nicht, und sie verdüsterte seine Laune noch weiter. Schweigend deutete er in Richtung des kleinen Kunden-WCs am anderen Ende des Schankraums. Der Brillenträger entschuldigte sich mit einer gemurmelten Bemerkung bei seinem Begleiter, stand auf und huschte davon.

    »Mister Ombos, korrekt?«, fragte der Ältere, als sie allein waren. Er machte eine steife, einladende Geste. »Setzen Sie sich doch für einen Moment.«

    »Ich stehe lieber.« Seth zog eine Zigarette aus der Brusttasche seiner Lederjacke und zündete sie an. Nicht mit dem Finger – nicht vor diesem Wicht. In den vergangenen Monaten hatte er gelernt, vorsichtig mit seiner wahren Identität umzugehen. Stattdessen benutzte er ein großes, klobiges Benzinfeuerzeug, das Tara und Billy ihm vor einiger Zeit geschenkt hatten und das mit absolut unverständlichen Kauderwelsch-Hieroglyphen übersät war. Es war vielmehr ein Scherz als ein echtes Geschenk gewesen. Bemüht gelassen blies er den Rauch in Richtung des Anzugträgers.

    »Schmeckt es Ihnen nicht?« Seths Blick verharrte auf den Bierkrügen. Die Schaumkronen waren sichtlich geschrumpft, seit Tara sie an ihm vorbeibalanciert hatte, doch ansonsten wirkten sie unberührt.

    »Mister Ombos, mein Name ist Richard Lemoyne.« Aus dem Nichts zauberte der Schlipsträger eine Visitenkarte herbei, die er Seth entgegenhielt. Als Seth keine Anstalten machte, nach dem pragmatisch gestalteten Kärtchen zu greifen, legte er es mit spitzen Fingern auf dem Tisch vor sich ab. »Ich mache in Immobilien. Das bedeutet, ich kaufe und verkaufe Grundstücke.«

    »Ich weiß, was Immobilien sind.«

    »Oh, tatsächlich? Nun … Wie auch immer. Ich interessiere mich für Ihre …« Er machte eine unbestimmte Geste, die den Schankraum ringsum einschloss.

    »Bar?«, schlug Seth vor.

    »Ja, warum nicht. Nennen wir es Bar. Wären Sie daran interessiert, Sie für einen angemessenen Betrag an mich und meine Firma abzutreten? Ihr Schaden wird es gewiss nicht sein. Ihre Gewinnspanne kann sicherlich kaum die laufenden Kosten tragen.«

    »Kein Interesse«, sagte Seth knapp und blies den Rauch seiner Zigarette in Lemoynes Richtung. »Ich bring Ihnen mal die Rechnung.« Er machte Anstalten, sich abzuwenden.

    »Ombos«, sagte Lemoyne da. »Außergewöhnlicher Name, Ombos. Wo kommen Sie her? Dem Mittleren Osten?«

    Seth erstarrte im Schritt, ohne sich zu Lemoyne umzudrehen.

    »Wissen Sie, es ist faszinierend. Ich hab mich über Sie erkundigt. Sie tauchen auf dem Papier nirgendwo auf, Mister Ombos – bis vor wenigen Monaten. Man könnte fast meinen, Sie wären vom Himmel gefallen.«

    Steif machte Seth eine Kehrtwende und starrte auf Lemoyne herab. »Was genau wollen Sie damit sagen?«

    »Nun, gar nichts.« Lemoyne gab wieder jenes kleine, helle Hüsteln von sich, ein Geräusch wie von Fingernägeln auf Metall. »Ich fand es nur bemerkenswert. Amerika ist ein großartiges Land, nicht wahr? Ein Fleckchen Erde, wo jeder seinen Platz finden kann, egal, woher man kommt oder was einen von dort vertrieben hat. Es ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das Land, das jedem einen Neuanfang bietet, der ihn wirklich will – oder wirklich braucht. Natürlich … würde sich jemand, der ganz dringend so einen Neuanfang braucht, nicht von juristischen Unwägbarkeiten ausbremsen lassen. Die Gesetze unseres wunderschönen Landes wären nur unbedeutende Stolpersteine auf dem Weg in ein neues Leben. Was sag ich, Steine – Kiesel! Richtig, Mister Ombos?« Er fixierte Seth mit seinem Blick.

    Für einen Moment wurde dem Chaosgott siedend heiß, dann eiskalt. Er klemmte die Zigarette zwischen die Lippen und ballte die Fäuste. Dann wuchtete er sie auf den Tisch vor Lemoyne, heftig genug, dass das Bier über den Rand der Krüge schwappte.

    »Was wollen Sie, verdammte Scheiße? Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen, und reden Sie Klartext mit mir!«

    Lemoyne lehnte sich zurück und zog eine demonstrative Grimasse, die scheinbar dem Zigarettenqualm in seinem Gesicht galt. Er wedelte mit der Hand. Seth folgte dem überdeutlichen Wink, indem er seine Kippe in einem der Bierkrüge versenkte, was Lemoynes Grimasse noch vertiefte.

    »Gut, ich sage Ihnen klar und deutlich, was ich will, Mister Ombos. In einfachen Worten, die man auch mit eingeschränkten Sprachkenntnissen hervorragend verstehen sollte. Ich interessiere mich für Ihre Bar – und zwar sehr. Warum das so ist, muss Sie nicht kümmern. Was Sie aber sehr wohl kümmern sollte, ist die Tatsache, dass ich bereits jetzt genug Dreck über Sie ausgegraben habe, um diesen Laden hier schon morgen dichtzumachen, und das in nur ein paar wenigen müßigen Stunden. Alles, was ich jetzt noch tun muss, ist, einen Brief aufzusetzen. Und wissen Sie, was das wirklich Spannende an der Sache ist? Ich glaube, ich habe gerade erst an der Oberfläche gekratzt. Wenn Sie mir noch etwas Zeit geben, finde ich bestimmt weit mehr über Sie heraus – Dinge, die Sie wahrscheinlich nicht nur von den Behörden, sondern auch von Ihren geschätzten Mitarbeitern fernhalten wollen. Liege ich richtig mit meiner Vermutung, Mister Ombos?«

    Seth spürte die Hitze seines Hekas in sich brodeln, so knapp unter der Oberfläche, dass ein Teil von ihm sicher war, Lemoyne müsste das Knistern der Glut unter der Haut hören können. Er wollte antworten, doch er traute seiner Stimme nicht.

    »Aber ich bin ein herzensguter Mensch«, fuhr Lemoyne beschwingt fort. »Und ich habe eine Schwäche für Neubürger, die hierherkommen, weil sie sich ein besseres Leben erhoffen. Leute wie Sie haben dieses Land schließlich groß gemacht! Ist es nicht so, Mister Ombos? Natürlich, Sie sehen das genauso. Sie sind ja ein kluger Mann, andernfalls wären Sie nicht so weit gekommen. Daher mache ich Ihnen ein äußerst faires, großzügiges Angebot: Überschreiben Sie mir die Bar und das dazugehörige Grundstück für die Hälfte der Summe, die Sie beim Kauf bezahlt haben, und das bis Freitag nächste Woche. Nach diesem Zeichen Ihres guten Willens bin ich gerne bereit, alle Informationen, die ich über Sie zusammengetragen habe, fachgerecht zu vernichten und auch keine weiteren Nachforschungen anzustellen.« Er streckte Seth eine weiße, plumpe Hand entgegen – mit dem Selbstbewusstsein eines Vogels, der sich zwischen den Hauern eines Nilpferds niederlässt. »Sind wir im Geschäft?«

    Seth, der sich während Lemoynes Rede halb vorgebeugt auf dem Tisch abgestützt hatte, richtete sich langsam auf. »Ich mache Ihnen ein Gegenangebot: Seien Sie mit Ihrem Freund und Ihrem Stück Karton auf der Straße, ehe ich bis zwanzig gezählt habe, oder sammeln Sie Ihre Zähne aus dem Ale.«

    Lemoyne zog eine Grimasse, als hätte er unerwartet in eine verdorbene Feige gebissen. »Oh, das ist äußerst bedauerlich, Mister Ombos. Ich habe Sie für klüger gehalten. Nun, auf jeden Fall aber für vernünftiger.«

    »Eins«, begann Seth drohend.

    Lemoyne hob entwaffnend die Hände. »Gut. Wie Sie wollen. Ich gehe.«

    In diesem Moment kehrte Lemoynes Begleiter von der Toilette zurück. »Wir halten lieber noch an einer Raststätte«, sagte er zu Lemoyne mit einer Miene, in der sich deutlicher Ekel spiegelte. »Wie sieht es aus, Sir? Sind wir hier fertig?«

    »Ich fürchte, wir werden wiederkommen müssen, Jerry. Am … Freitag. Schreib das in meinen Kalender, ja? Und wir müssen einen Brief an die Einwanderungsbehörde aufsetzen.«

    »Zwei, drei, vier.« Seth rückte drohend näher an Lemoyne heran.

    »Schon gut, schon gut!« Lemoyne wich vor Seth zurück und steuerte rückwärtsgehend den Ausgang an. »So viel zur berühmten abendländischen Gastfreundschaft, nicht wahr, Jerry?«

    »Überbewertet, Sir«, befand Jerry lakonisch.

    »Zehn«, sagte Seth hart. »Fünfzehn.«

    Die beiden verkniffen sich jede weitere gehässige Bemerkung und beeilten sich, aus dem Schankraum zu gelangen. An der Tür wandte Lemoyne sich noch einmal um. »Freitag, Mister Ombos! Meine Karte haben Sie jetzt ja. Machen Sie lieber keine Dummheiten – es geht hier nicht nur um Ihren eigenen Kragen, vergessen Sie das nicht.«

    Alles, was Seth erwiderte, war ein kalt hervorgestoßenes: »Raus.«

    »Seth?« Kaum ertönte draußen auf dem Parkplatz der Motor eines Autos, schlich Tara an den Chaosgott heran. Selten hatte er sie so eingeschüchtert und verunsichert erlebt. »Seth, was wollten die beiden?«

    »Nichts.« Er griff die Bierkrüge und ging damit hinter die Theke, um den Inhalt in den Ausguss zu kippen.

    »Sie haben … sie haben gar nicht bezahlt.«

    »Hm.« Mit fahrigen Bewegungen begann er, die Gläser abzuwaschen. Dabei ging er so grob zu Werke, dass der Henkel eines Kruges abbrach. Er warf ihn in den Müll, dann wandte er sich ungerührt wieder dem Abwasch zu.

    »Seth?«

    Er hielt inne. Schloss die Augen. Versuchte durchzuatmen. Es fiel ihm erstaunlich schwer.

    »Seth, stecken wir in Schwierigkeiten? Also, die Bar? Und du? Steckst du in Schwierigkeiten?«

    »Wie viel hast du gehört, Tara?«

    »Na ja … Genug. Dass er dich erpresst. Dass er uns dichtmachen will. Und dass er ein rassistischer Arsch ist.«

    Seth öffnete die Augen und sah sie an. »Es ist alles in Ordnung, Tara. Geh zurück an die Arbeit.«

    »Aber …«

    »Tara!«

    Sie schluckte sichtbar. Dann wich sie seinem Blick aus. »Was immer du sagst, Boss.«

    Den Rest ihrer Schicht sprach sie kein Wort mehr mit ihm.

    Sie machten an diesem Abend früh zu. Seths Bedarf an unangenehmen Gästen war fürs Erste gedeckt.

    5

    Der Totengott zog sich die Sonnenbrille aus dem halblangen Haar und schob sie sich auf die Nase. Die Sonne zeigte sich als ein glühender Feuerball am Himmel und tauchte die Mojavewüste in orangenes Licht. Nicht lange, und der Horizont würde vor Hitze flimmern. In jede Richtung erstreckte sich karge Ödnis, unterbrochen von vertrockneten Büschen, Felsen und Werbetafeln. Schnurgerade führte der Highway Richtung Westen.

    Seit Mafeds Abreise in Kansas waren knapp zwanzig Stunden vergangen. Er hatte sich nur kurze Pausen gegönnt, um sich die Beine zu vertreten, doch da er sowieso keinen Schlaf fand, konnte er auch weiterfahren. In seinem Kopf pochte ein leichter Schmerz von all den unausgesprochenen Gedanken und seine Augen brannten von der langen Fahrt.

    »Dummer alter Gott«, murmelte Mafed zu sich selbst und drehte für etwas Ablenkung das Radio an. Ein melancholischer Countrysong drang aus den Boxen und entlockte Mafed ein genervtes Stöhnen.

    Als er die Hand ausstreckte, um den Sender zu wechseln, hielt er plötzlich inne. Etwas zupfte an seinem Verstand und vertrieb die düsteren Gedanken. Er spürte die Präsenz eines anderen Unsterblichen. Sie erfüllte die gesamte Wüste mit ihrem Glühen. Wahrscheinlich durchquerte Mafed gerade sein Gebiet. Vielleicht ein Gott der indigenen Bevölkerung? Da sie im Gegensatz zu Mafed noch angebetet wurden, hielten sie sich häufig in der Nähe der Reservate auf. Wenn der Totengott seine Anwesenheit spürte, dann war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es umgekehrt genauso war.

    Knurrend unterdrückte Mafed einen Fluch. Ein ungeschriebenes Gesetz verlangte es, dass er den Gott aufsuchte, ihm seine Aufwartung machte und darum bat, sein Gebiet passieren zu dürfen. Nach den letzten Ereignissen in New York hatte Mafed die Nase voll von anderen Unsterblichen, doch sein Ehrgefühl verpflichtete ihn, die andere Gottheit aufzusuchen. Er hielt sich an die Regeln.

    Während die Morgensonne den Himmel erklomm, trat Mafed das Gaspedal durch, um seinen Anstandsbesuch schnell hinter sich zu bringen.

    Ein paar Stunden später parkte er seinen Wagen auf dem Kiesplatz vor einem heruntergekommenen Gebäude an der Route 374. Eine Fassade aus verblichenen Holzlatten stützte zwei Etagen langsamen Verfalls. Die Fensterrahmen mussten einst blau oder grün gewesen sein, doch vom ursprünglichen Anstrich war nicht mehr allzu viel geblieben. Die Wüstensonne hatte alle Farbe aus dem Holz gebleicht. Zu seiner Blütezeit musste das hier mal eine Art Raststätte gewesen sein. Heute, so vermutete Mafed, war es eine schmutzige Hochburg für Ratten und zwielichtige Gestalten. Die drei Motorräder verrieten ihm jedoch, dass mehr als nur Ungeziefer anwesend sein musste – und unter ihnen eine Gottheit. Mafed konnte die Magie auf seiner Haut spüren.

    »Augen zu und durch«, murmelte der Totengott und stieg aus dem Wagen. Als sein Blick auf das Schild über dem Eingang fiel, schob er sich überrascht die Sonnenbrille ins Haar. »Heliopolis«, las er laut und schnaubte. Wohl doch kein Ureinwohner. »Verdammt!«

    Ein alter Ägypter mitten in Nevada? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Mafed aus. Bis vor Kurzem hatte er geglaubt, der Einzige von ihnen in dieser Welt zu sein. Doch dann hatte er erfahren, dass sie zurückgekehrt waren. Eine Tatsache, die Mafed nicht erfreute. Er konnte gut darauf verzichten, nun einem der seinen über den Weg zu laufen. Aber das Schicksal führte ihn wohl an der Nase herum.

    Mafed drückte die Schultern durch und ging zum Eingang. Das Schild mit der Aufschrift Closed ließ ihn zögern. Vielleicht wollte die Gottheit auch gar nicht gestört werden? Doch so sehr sein Verstand schrie, dass es ein Fehler war, das Gebäude zu betreten, so sehr verlangte seine Neugierde zu erfahren, wer dort auf der anderen Seite wartete. Immerhin versprach derjenige ein Stück Heimat.

    Beherzt schob Mafed die Tür auf und trat ein. Warme, abgestandene Luft, erfüllt von kaltem Zigarettenrauch, Schweiß und Alkohol biss ihm in die empfindliche Nase. Nach dem grellen Sonnenlicht mussten sich seine Katzenaugen erst an das dämmrige Zwielicht im Inneren gewöhnen. Durch die abgeklebten Fenster drangen nur wenige Sonnenstrahlen, in denen träge Staubflocken tanzten. Die Einrichtung war mit gutem Willen als rustikal zu bezeichnen. Mafed hätte sie eher schäbig genannt. Altes Holz dominierte den Raum.

    Schräg gegenüber der Tür befand sich ein Tresen, von dem eine Frau mit schwarzer Haut gerade die Barhocker herunternahm. Ihre bunten Locs leuchteten in dem düsteren Raum und wirkten fehl am Platz. Sie trug zerschlissene Jeansshorts mit einer Netzstrumpfhose darunter und ein dunkelgrünes Tanktop. Mehrere Piercings schmückten ihr Gesicht. Ihre Bewegungen passte sie der lauten Rockmusik an, die aus der Anlage dröhnte. Sie war für sich genommen eine Erscheinung, aber definitiv keine Gottheit.

    »Wir haben geschlossen!«, rief sie über die Schulter, ohne sich umzudrehen.

    Mafed zog spöttisch die Nase kraus. Der Anblick verschaffte ihm irgendwie gute Laune. »Verzeihen Sie, Miss! Ich bin nur auf der Durchreise und dachte, ich könnte hier vielleicht einen Kaffee bekommen.« Der höfliche Ton seiner Stimme verfehlte seine Wirkung nicht.

    Die Fremde drehte sich mit gerunzelter Stirn um und betrachtete den Totengott ausgiebig. Mafed hatte keine Ahnung, welchen Eindruck er auf die Frau machte. Seine dunklen Chucks waren verstaubt, die Jeans und das schwarze Poloshirt von der langen Fahrt zerknittert. Wahrscheinlich sah er völlig übermüdet aus. Trotzdem bemühte er sich um ein Lächeln.

    »Kaffee, hm?«, hakte die Frau nach und verschränkte die Arme vor der Brust.

    Mafed erkannte das Misstrauen und hob beschwichtigend die Hände. »Keine Sorge, dann störe ich Sie nicht weiter beim … Herrichten dieses … Etablissements.« Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, was sogar die Fremde zum Schmunzeln brachte.

    Sie nickte, ging um die Theke herum und drehte die Musik leiser. »Boss! Wir haben einen Gast! Seth, hast du gehört?«

    Wie vom Donner gerührt starrte Mafed die Sterbliche an. Sein übermüdeter Verstand weigerte sich, ihre Worte zu verarbeiten. Was hatte sie gesagt? Seth? Der Gott von Feuer und Chaos? Der Brudermörder? Der Herr von Ombos? Bestimmt hatte er sich verhört. Die Aussprache des Namens war auch völlig falsch gewesen: ein kurzes E in der Mitte und ein dentaler Zischlaut am Ende. Das war ein amerikanischer Name, nicht der Name des Chaostieres. Und dennoch … Jahrhundertelang hatte man ihn gelehrt, sich diesem Gott nicht zu nähern – eine der drei Regeln, die man ihm in den Geist eingebrannt hatte.

    Unruhig machte Mafed einen Schritt rückwärts und tastete nach dem Türgriff. Sein Instinkt riet ihm, die Flucht zu ergreifen, einfach in den Wagen zu steigen und zu fahren, aber es war nicht klug, Seth zu beleidigen – einen Gott, der keine Scheu hatte, seinen eigenen Bruder zu ersäufen und in ganz Ägypten zu verstreuen.

    Mafed selbst hatte sich bisher an die Regeln gehalten und nie seinen Weg gekreuzt, doch er hatte genug gehört, um zu wissen, dass er sich in Acht nehmen musste. Außerdem zählte Seth zur Neunheit – und die hohen Gottheiten hatten ihm immer wieder bewiesen, dass sie intrigante, manipulative Arschlöcher waren.

    Als Mafed Schritte aus dem hinteren Bereich der Bar vernahm, zwang er sich mit tiefen Atemzügen zur Ruhe. Er durfte jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, wenn er hier schnell und vor allem heil wieder herauskommen wollte.

    Ein Mann in Lederjacke, Bandshirt und abgewetzter Jeans trat in den Thekenbereich und sah sich mit zusammengezogenen Augenbrauen um. Seine Haut war etwas dunkler als Mafeds, und er hatte glattes schwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Mafed erkannte die markanten Gesichtszüge und den natürlichen Stolz, den seinesgleichen ausstrahlte. Im Gesicht und an den Ohren des Fremden prangten ebenso viele Piercings wie in dem der jungen Sterblichen, vielleicht sogar ein paar mehr. Der Geruch nach heißem Sand und Kohlen umgab den Gott, als würde irgendwo in seinem Leib die Wüste selbst brennen.

    Als ihre Blicke sich trafen, spürte Mafed ein Ziehen unter der Haut. Er unterdrückte den Impuls, sich in eine Katze zu verwandeln, und senkte stattdessen demütig das Haupt. Trotz all der Jahrhunderte, die seit dem Untergang des Goldenen Reiches am Nil vergangen waren, stand Seth in der Rangordnung weit über ihm.

    Im Augenwinkel sah Mafed, wie Seth sich über die Theke beugte. »Komm ruhig näher, wir beißen hier nicht. Du bist nicht aus der Gegend, was? Also … so gar nicht.«

    Erst jetzt fiel Mafed auf, dass die Fremde ihn ebenfalls wachsam beobachtete. »Er ist ein Gott, Boss, stimmt‘s? Er hat sowas an sich. Wie du.«

    Mafed stieß einen überraschten Laut aus. Diese Frau wusste, was sie waren? Besaß Seth wirklich so viel Arroganz, dass er damit hausieren ging? Die Großen waren in all der Zeit nicht schlauer geworden.

    »Ob Gott oder Sterblicher«, nahm Seth den Faden auf und klopfte mit den Fingerknöcheln vor sich auf den Tresen. »Niemand muss hier mit trockener Kehle abziehen. Setz dich. Alles, was ich von dir wissen muss, sind zwei Dinge: deinen Namen und dein Gift.«

    Irritiert sah Mafed zu dem anderen Gott. Nun verstand er gar nichts mehr. »Was für Gift?« Für sein schlaftrunkenes Hirn war das einfach zu viel.

    Seth deutete ein Kopfschütteln an. »Wie heißt du und was willst du trinken?«

    Einen Moment lang suchte Mafed nach dem Haken. Er konnte sich nicht vorstellen, dass aus dem Wüstengott ein höflicher Gastgeber geworden war. War Seth bei seinem Sturz aus dem Reich der Götter hart auf den Kopf gefallen? Trotzdem wäre es beleidigend gewesen, die Einladung auszuschlagen, und Mafed brauchte dringend eine Pause.

    »Danke für die Gastfreundschaft, Herr von Ombos«, bemerkte Mafed und erntete ein spöttisches Lachen von der Sterblichen.

    Seth machte eine wegwischende Geste. »Lass stecken. Keine Titel hier. Seth reicht, klar? Also noch mal, welcher Drink?« Auch Seth benutzte die falsche, moderne Aussprache seines eigenen Namens. Mafed irritierte das, doch er wusste nicht, ob es ihm zustand, nachzufragen.

    »Normalerweise würde ich einen Whiskey bevorzugen«, murmelte der Totengott. »Single Malt, dreißig Jahre. Aber in Anbetracht der Situation nehme ich einen Kaffee, bitte.«

    Mafed konnte nicht im Gesicht des anderen lesen, was dieser dachte, doch schließlich deutete Seth ein Nicken an. »Also Kaffee.«

    Zögernd trat Mafed an die Theke, zog einen Hocker heran und setzte sich. Dabei ließ er Seth nicht aus den Augen und vermied es, den verklebt aussehenden Tresen zu berühren.

    »Man nennt mich hier Doctor Jahi Mafed«, erinnerte er sich plötzlich an die zweite Frage und fügte auf Altägyptisch hinzu: »Die Frau weiß, wer du bist?«

    Seth bedachte ihn mit einem gelangweilten Blick. »Ja, Tara weiß es«, entgegnete er auf Englisch. »Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Leuten. Mafed also?«

    Die Sterbliche – Tara – trat neben den Chaosgott und senkte etwas die Stimme. Da Mafed ihr direkt gegenübersaß und jedes Wort verstehen konnte, ging er davon aus, dass sie ihn spüren lassen wollte, dass sie nicht viel von ihm hielt. »Kennst du den Typen, Seth? Du weißt schon … von früher?«

    Seth legte grübelnd die Stirn in Falten, während er eine Tasse hervorholte und etwas Kaffee aus einer Warmhaltekanne hineinschüttete. »Ich glaube nicht, dass sich unsere Wege schon mal gekreuzt haben. Mafed … Da klingelt nicht viel bei mir.«

    Dafür sagt mir dein Name aber umso mehr, dachte Mafed, hüllte sich aber in Schweigen. Wenn Seth nichts von ihm wusste, konnte er auch keine schlechte Meinung von ihm haben.

    »Oh, richtig!«, rief Seth da aus und stellte die Tasse vor den Totengott. »Mafed! Du bist doch einer dieser Vögel, die den Toten mehr Respekt entgegenbringen als den Lebenden.«

    Verärgert setzte Mafed sich gerade auf. Schon zeigte diese arrogante Gottheit, was sie von ihm hielt. Mafed schätzte das Leben. Es war etwas Wertvolles und Zerbrechliches, das die Menschen zu etwas Besonderem machte. »Zuerst mal, ich bin ein Kater, kein Vogel. Und zum Zweiten, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, das Leben zu schützen und sogar als Arzt gearbeitet. Zuletzt habe ich Morde aufgeklärt, für die Kriminalpolizei in New York.«

    Er griff eilig nach der Tasse, um sich an etwas festhalten zu können, nahm einen großen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. Der Kaffee war viel zu stark, lauwarm und es fehlten Milch und Zucker. Selbst die Plörre im Präsidium war besser gewesen. Aber was hatte er in einer Absteige wie dieser erwartet?

    Als er aufsah, bemerkte er, dass sich die Mienen seiner Gegenüber verändert hatten. Während Tara nun aufmerksam, beinahe neugierig wirkte, verfinsterte sich Seths Blick. Unruhig richtete Mafed mit der freien Hand seine Armbänder. War er zu weit gegangen?

    Seth stützte seine Handflächen auf die Theke und lehnte sich drohend vor. »Du bist also ein Cop. Wir haben hier nicht viel für solche wie dich übrig, Yuppie.«

    »Boss, vielleicht …«, wagte Tara einen Vorstoß.

    Der Angesprochene brachte sie mit einer herrischen Geste zum Schweigen. Ohne den Blick von Mafed zu nehmen, sprach er weiter. »Wenn du also ausgetrunken hast, solltest du lieber wieder deiner Wege ziehen. Wir brauchen hier keinen Ärger, und irgendwas an dir stinkt danach.«

    »Bitte?«, entfuhr es Mafed. Widerstand regte sich in ihm. Seth mochte in der Rangordnung über ihm stehen und es war sogar sein gutes Recht, ihn rauszuwerfen, aber diese Anschuldigung ging zu weit. Ruppig stellte Mafed seine Tasse ab, sodass der Inhalt herausschwappte. »Schon etwas ironisch, dass ausgerechnet jemand wie du von Ärger spricht, Herr von Ombos. Aber keine Sorge. Das hier sollte eh nur ein Anstandsbesuch sein. Von Gott zu Gott. Ich habe nicht vor, in dieser Gegend zu bleiben.« Er lachte verbittert, sprang vom Hocker und zog einen Zehn-Dollar-Schein aus der Tasche. »Für eure Umstände. Lebt wohl.«

    Seth bedachte ihn nur mit einem kalten Blick. Schnaubend wandte Mafed sich ab und verließ die Kneipe.

    Draußen empfingen ihn die Vorboten der Mittagshitze. Rasch setzte er wieder die Sonnenbrille auf und eilte mit großen Schritten zu seinem Wagen. Er hätte auf sein Bauchgefühl hören sollen. Die Mitglieder der Neunheit hatten ihn schon immer herablassend behandelt und sie würden offenbar nie damit aufhören. Mafed musste weg hier. Zwei oder drei Stunden würde er noch hinterm Steuer aushalten, dann würde er sich ein Motel suchen.

    Gerade als er das Auto entriegelte, hörte er, wie die Kneipentür aufschwang und Schritte auf dem Kies knirschten. Alarmiert spannte der Gott sich an.

    »Doctor Mafed?«

    Zu seiner Überraschung war es die Sterbliche, die ihn ansprach. Abwartend blieb sie auf der anderen Seite des Buicks stehen und sah über das Dach hinweg zu ihm.

    »Der Rest war Trinkgeld«, knurrte Mafed und riss die Autotür auf.

    Tara schnalzte mit der Zunge und machte eine wegwischende Geste. »Glauben Sie an Schicksal, Doctor Mafed? Ich habe diesen Bullshit früher nie geglaubt. Hab das für Schwindel gehalten, mit dem man leichtgläubigen Dummköpfen das Geld aus der Tasche zieht.«

    Genervt lehnte Mafed sich an die Autotür. Warum sprachen diese Sterblichen nie direkt aus, was sie wollten?

    Tara schien seine Ungeduld nicht zu bemerken oder ignorierte sie. »Aber wenn man lange genug mit diesem Typen abhängt«, sie gestikulierte in Richtung Bar, »und all den anderen Freaks aus seinen Glanztagen – nichts für ungut, Doctor –, bekommt man daran so seine Zweifel. Ich glaube, es ist Schicksal, dass Sie hier aufgeschlagen sind. Die Wahrheit ist, Doctor: Wir brauchen Ihre Hilfe.«

    Mafed horchte auf. Nun kam also der eigentliche Grund zur Sprache. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Tara, aber ich glaube, Seth kann sich sehr gut selbst helfen.«

    Tara lachte und verdrehte die Augen. »Das denkt er auch, aber in diesem Punkt wäre ein rechtlicher Rat sinnvoller.«

    So viel zum Thema Ärger.

    »Was hat er angestellt?«, wollte Mafed wissen.

    »Er?«, fragte Tara überrumpelt. »Gar nichts!«

    Der Klang ihrer Stimme verriet Mafed, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte. Er quittierte ihre Aussage mit einem zweifelnden Blick, bedeutete ihr aber, weiterzureden.

    »Es geht um diesen Immobilienhai Lemoyne. Er war gestern hier und wollte Seth das Heliopolis abschwatzen. Keine Ahnung, was die hier aufziehen wollen, aber als Seth sich nicht drauf einließ, wurde der Typ ungemütlich und hat ihm gedroht.«

    Mafed schob desinteressiert seine Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern. »Und jetzt wollen Sie mir sagen, er kommt nicht mit so einem Anzugträger zurecht?«

    Mit flehendem Blick umrundete Tara das Auto. »Hören Sie, Doctor, Sie arbeiten für die Polizei. Können wir nicht irgendwelche rechtlichen Schritte gegen den Typen einleiten, damit er uns in Ruhe lässt? Eine Unterlassungsklage oder so?«

    Mafed erkannte, dass ihr Anliegen schwer auf ihr lastete. Es war ihr wichtig, Seth zu helfen. Und selbst wenn Mafed den anderen Gott nicht leiden konnte, erweckte die Sterbliche sein Mitgefühl. Ergeben stieß er einen Seufzer aus. »Es tut mir leid, Tara. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber für Zivilrecht bin ich nicht der richtige Ansprechpartner. Ich habe für die Mordkommission gearbeitet. Sie brauchen einen Anwalt für Immobilienrecht.«

    Der Totengott bemühte sich um ein entschuldigendes Lächeln und wollte schon in den Wagen steigen, doch Tara war noch nicht fertig. »Da gibt es nur ein Problem.«

    »Natürlich«, murrte Mafed und verdrehte die Augen zum Himmel.

    »Wenn dieser Immobilienhai oder irgendwelche Anwälte anfangen zu graben, könnten sie Dreck aufwühlen«, umschrieb Tara ihre Sorge und machte eine vage Handbewegung.

    »Dreck?«, wiederholte Mafed. Erneut hielt er sich an der Wagentür fest. Der Schlafmangel sorgte dafür, dass er weiche Knie bekam. »Drogenhandel? Bandenkriminalität?«

    Verärgert stemmte Tara die Hände in die Seiten und funkelte den Totengott wütend an. »Was denken Sie eigentlich von ihm?«

    »Das wollen Sie gar nicht wissen«, merkte Mafed an und kniff sich in die Nasenwurzel, um sich besser zu konzentrieren. »Also, was für Dreck?«

    Beschwichtigt ließ Tara die Schultern sinken. »Zum Beispiel, dass Seth bis vor wenigen Monaten gar nicht existiert hat.«

    Mafed wiegte den Kopf. »Das ist tatsächlich ein Problem.«

    »Können Sie uns helfen? Sie haben für die Polizei gearbeitet! Sie müssen wissen, wie man sich als Mensch ausgibt!«

    »Tara, ich …« Mafed stockte, als er in ihre bittenden Augen sah.

    »Scheiße, es geht mir noch nicht mal nur um diesen sturen Esel da drin.« Erneut zeigte sie auf die Bar und schnaubte aufgebracht. »Das ist auch mein Zuhause, und es klingt wahrscheinlich egoistisch, aber ich habe keine Lust, wieder auf der Straße zu landen!«

    Ein Teil von ihm wollte dieser Sterblichen wirklich helfen, ihr ihre Sorgen nehmen. Der andere Teil schrie hysterisch, dass er besser Land gewinnen sollte. »Ich selbst kann da nichts machen«, siegte seine Vernunft. »Aber ich könnte ein paar Leute anrufen, die gut darin sind, Menschen aus dem Nichts erscheinen zu lassen. Ich sag ihnen, dass sie sich bei Ihnen melden sollen.«

    Damit war die Diskussion für Mafed beendet. Er stieg ins Auto und zog die Tür zu.

    Mit gerunzelter Stirn beugte Tara sich zu dem geöffneten Fenster. »Sie wollen wirklich noch fahren? Sie sehen echt beschissen aus, sorry.«

    Zittrig steckte Mafed den Schlüssel ins Schloss und startete den Wagen. »Bei allem Respekt, mir ist nicht danach, auf diesem Parkplatz ein Nickerchen zu halten. Oder haben Sie eine bessere Idee?«

    »Hab ich«, flötete Tara, beugte sich durchs Fenster und zog den Schlüssel ab.

    »Hey!«, protestierte Mafed und versuchte nach dem Schlüssel zu schnappen, doch Tara trat von dem Wagen zurück.

    »Sie vergessen, dass ich Barkeeperin bin, Doctor. Es zählt zu meinen Aufgaben, zu beurteilen, ob meine Gäste noch fahrtüchtig sind.«

    »Ich bin nicht betrunken!«, fuhr Mafed sie an, stieß die Tür auf und stieg wieder aus.

    Rasch ließ Tara den Schlüssel hinter ihrem Rücken verschwinden. »Warum bleiben Sie nicht etwas und ruhen sich aus? Ich überlasse Ihnen mein Zimmer und Ihre Anrufe können Sie auch von hier tätigen. Wir haben hier sogar Festnetzanschluss!« Letzteres erfüllte sie sichtlich mit Stolz.

    Mafed trat wütend auf sie zu. Sein Geduldsfaden war nun am Ende. Was bildete sich diese Sterbliche eigentlich ein? Wenn Seth so mit sich reden ließ, gut, aber Mafed wollte sich das nicht gefallen lassen. »Das ist Erpressung.«

    Tara reckte herausfordernd das Kinn und schmunzelte sacht. »Ich nenne es einen Deal, der für beide Seiten Vorteile bringt. Kommen Sie, was ist schon ein Tag für einen Gott?«

    Nachdenklich musterte Mafed die junge Frau. Er spürte, wie sein Widerstand bereits bröckelte. Taras Mut und ihr starker Wille, für Seth einzustehen, imponierten ihm.

    Er fuhr sich über den Bartschatten und stieß zischend die Luft

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