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Die mallorquinische Herberge
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eBook243 Seiten3 Stunden

Die mallorquinische Herberge

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Über dieses E-Book

Eine schwüle Sommernacht im Südosten Mallorcas. Eine Gruppe entschlossener Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Persönlichkeiten kommt zusammen und besetzt ein leerstehendes Haus. Dieses Haus wird für sie in den kommenden Wochen Rückzugsort und Fixpunkt ihres Lebens, ihre mallorquinische Herberge.
Zwölf Apartments, zwölf Personen, Paare oder Familien, zwölf Tage in einem heißen Juli. Aber in einem der apartamentos scheint niemand zu wohnen. Oder vielleicht doch?
Der senegalesische Strandverkäufer Amadou, die peruanische Hotelreinigungskraft Rosa und die deutsch-russische Immobilienmaklerin Irina, sie und einige weitere Bewohner des besetzten Hauses, mitten in einem Urlaubsort auf Mallorca, müssen ihr Leben von Tag zu Tag neu meistern. Die Umstände scheinen manchmal gegen sie zu sein, aber mit viel Mut und Optimismus ausgestattet, gelingt es ihnen sich in einer Umgebung zu behaupten, die vom Tourismus lebt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Apr. 2024
ISBN9783758338021
Die mallorquinische Herberge
Autor

Thomas Heckler

Thomas Heckler, gebürtiger Franke, ist bekennender Mallorca Fan. Er lebt mit seiner Familie in Oberbayern und verbringt seit mehr als fünfzehn Jahren regelmäßig längere Aufenthalte auf der Baleareninsel. Der Diplompsychologe beobachtet aufmerksam die Menschen und sucht sich seine Anregungen aus den Begegnungen mit ihnen. Dies ist sein erster veröffentlichter Roman.

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    Buchvorschau

    Die mallorquinische Herberge - Thomas Heckler

    Escalera 1, planta baja, apartamento A

    11. Juli – Wetterbericht für Mallorca: tagsüber Temperaturen bis 32 Grad, 11 Stunden Sonnenschein

    »Amadou, geht es dir gut?«

    Ihr täglicher Anruf am frühen Morgen. Er rieb sich die Augen. Aminata machte sich ständig Sorgen um ihn. So wie das ältere Schwestern tun, hatte sie ihm geantwortet. Dabei war er bereits einundzwanzig und der Meinung, das mit dem sich Sorgen machen könnte sie nun langsam lassen.

    »Ja, mir geht es gut, das weißt du doch«, lautete wie immer seine Antwort.

    »Mach keine Dummheiten, hörst du? Nur noch zwei Wochen und du hast es geschafft.« Aminata rechnete also mit.

    Nur noch zwei Wochen, dann hatte er sein Ziel erreicht. Den Status des Geduldeten. Danach konnten ihn die spanischen Behörden nicht mehr so einfach ausweisen und in den Senegal zurückschicken. Zumindest nicht, wenn er bis dahin keine illegalen Geschäfte machen würde. Das war der Haken.

    Nur zwei Wochen und er müsste nicht mehr bei jedem Polizisten, den er auf der Straße sah, von Panik gepackt werden. Müsste nicht mehr fürchten, so kurz vor seinem Ziel zu scheitern. Und nicht befürchten, damit seine Familie im Senegal zu enttäuschen.

    »Es wird alles gut werden, mach dir keine Sorgen um mich.« Er legte auf.

    Aminata hatte ja recht. Er musste jetzt geduldig sein. Die zwei Wochen würde er auch hinter sich bringen. Er hatte schon so vieles geschafft. Die gefährliche Fluchtroute vom Senegal nach Algerien, die sprichwörtliche Todesroute über das Mittelmeer bis hier nach Mallorca und anschließend im Verborgenen leben, nicht auffallen, überleben.

    Mehr als drei Jahre waren vergangen, seit er seine Heimat verlassen hatte. Dakar, die chaotische Millionenstadt an der Küste Senegals. Eingetauscht gegen eine ciudad, wie es hier hieß, die nur in der Touristensaison so etwas wie Leben ausstrahlte. Aber was war das für ein Leben?

    Heute würde er wieder Ware kaufen müssen. Sein Bestand an Sonnenbrillen neigte sich dem Ende zu. Uhren hatte er noch genug, zu viele, die waren den Touristen in diesem Jahr, in dem alles teurer geworden war, nicht billig genug. Nur selten gelang es ihm, eine echte Swatch oder Casio zu verkaufen. Wobei das mit dem echt so eine Sache war. Immerhin bot er seinen Kunden eine lebenslange Garantie an, wie er ihnen erklärte. Unklar blieb, um wessen Leben es sich handelte. Es fragte allerdings auch nie jemand nach.

    Amadou genoss den Morgen. Im Hochsommer war die Stadt in einer ruhigen Stimmung, erwartungsfroh, was der Tag bringen würde. So als ob sie noch einmal tief durchatmete, bevor die Touristen zu den Stränden pilgerten und dort jeden Quadratzentimeter in Besitz nahmen.

    Die Sonne schien durch den zerschlissenen Fenstervorhang in den einzigen Raum, der Wohn- und Schlafraum zugleich war, und machte ein Weiterschlafen unmöglich.

    Vierzehn Tage noch.

    Heute musste er endlich eine Entscheidung treffen. Das Angebot war verlockend. Ein einziger Deal und er könnte Aminata das Geld schicken, das auch sie nach Europa, in eine bessere Zukunft bringen würde.

    Amadou stand auf, stellte den alten Espressokocher auf die Herdplatte und ging ins fensterlose Bad.

    Eine halbe Stunde später verließ er sein apartamento und schlenderte pfeifend in Richtung des Bazar Chino, um dort seinen Bestand an Sonnenbrillen aufzufüllen.

    Der Bazar Chino erinnerte ihn an die Märkte in Dakar. Auch wenn es dort viel lebendiger und lauter zugegangen war. Das fehlte hier gänzlich. Und dennoch, die Auswahl an Produkten, die angeboten wurde, beeindruckte ihn immer wieder. Ein einziger Verkaufsraum, bis an die Decke gestapelt mit allem, was man irgendwie brauchen konnte. Plastikgeschirr neben Gartenmöbeln und Kinderbekleidung. Billig aussehende Hemden neben chinesischen Elektronikprodukten. Und eben Sonnenbrillen. Die echten Markenbrillen, die er hier für zehn Euro einkaufte und für fünfzehn oder zwanzig Euro am Strand an die Touristen verkaufen würde. Kein wirklich gutes Geschäft, aber er musste nehmen, was der Bazar anbot, denn nach Palma zum Großhändler fahren ging mitten in der Saison nicht. Jeder Tag war ein Verkaufstag für einen Helmut wie ihn.

    Der Geruch nach billigem Plastik fuhr ihm beim Eintreten in das schmucklose Gebäude sofort wieder unangenehm in die Nase.

    »¡Hola, chico! ¿Qué tal?« Li begrüßte ihn mit ausdruckslosem Gesicht. »Was brauchst du heute? Ich habe eine Lieferung hundert Prozent echter Fan-T-Shirts der deutschen Fußballnationalmannschaft bekommen. Eins-a-Qualität und billig, billig. Willst du mal sehen?«

    »No, gib mir einfach zwanzig von den Gucci-Sonnen-brillen und zehn Ray-Ban und mach mir einen guten Preis, ¿vale?«

    »Bei mir ist immer der beste Preis.«

    »Immer noch zehn Euro pro Sonnenbrille?«

    »Jetzt zwölf Euro, die Inflation … du weißt doch … auch ich muss leben und meine drei Töchter kosten Geld. Die Schule, ihre Kleidung …« Dabei machte Li das Gesicht eines Unschuldslammes. Er hätte einem fast leidtun können, dabei hatte Amadou ihn kürzlich in einem großen SUV auf der Straße gesehen. Arm war Li sicher nicht.

    Aber Amadou brauchte die Sonnenbrillen heute, deswegen stimmte er zu. Verhandeln würde er dann mit den Touristen.

    Sein Handy klingelte. Auf dem Display erschien die Telefonnummer, auf die er seit Tagen wartete. Seine Chance endlich auf der Gewinnerseite zu stehen. Dennoch drückte er den Anruf weg.

    Später.

    »Denk an Aminata«, flüsterte er leise vor sich hin, verließ das Geschäft und ging in Richtung playa.

    Sein Revier lag am äußersten nördlichen Rand der Strandpromenade, in unmittelbarer Nähe der zahlreichen Cafés und Restaurants.

    »Ein gutes Revier«, hatte sein Landsmann aus dem Senegal gesagt, dem er es vor einigen Monaten abgekauft hatte. »Viele Deutsche und Engländer.« Wobei er mit Engländern offenbar alle Englischsprachigen meinte. »Die vertragen die Sonne nicht und sie brauchen immer wieder neue Sonnenbrillen, weil sie ihre am Strand verlieren. Und sie haben jede Menge dineros. Auch für Uhren.«

    Zumindest das mit dem vielen Geld schien in dieser Saison nicht zu stimmen. Es war kein gutes Jahr für Uhren. Für Sonnenbrillen schon eher. Die Sonnenhungrigen grillten wie eh und je am Strand, bis sich ihre Haut abschälte. Den einzigen Schutz, den viele von ihnen zu akzeptieren schienen, war eine Sonnenbrille mit coolem Design. Sein Geschäft.

    Amadou ging die Strandpromenade entlang. Nur nicht direkt am Strand. Das ging nicht. Immer wenn er zu nah am Meer entlanglief, sträubten sich seine Nackenhaare und ein leichtes Zittern durchlief seinen Körper. Nur nicht aufs Meer schauen. Früher war das anders gewesen. Wie so vieles früher anders gewesen war.

    Amadou setzte sich im Schatten einer Palme auf die Mauer der Strandpromenade und breitete seine Sonnenbrillen auf einer Decke auf dem Boden vor sich aus.

    Die Uhren hatte er auf eine lange Verpackungsrolle drapiert. Sein Geschäft war geöffnet und im Falle, dass sich Polizisten näherten, konnte er schnell das Weite suchen.

    Der späte Vormittag war eine gute Zeit, um Sonnenbrillen zu verkaufen. Die Touristen strömten wie eine Welle von Lemmingen aus ihren Hotels und Ferienwohnungen an den Strand. Vollbepackt mit allem, was sie für einen ausgedehnten Tag am Strand zu benötigen glaubten. Dazu gehörten auch seine Sonnenbrillen.

    Amadou wunderte sich oft über die Touristen und was sie alles mit sich herumschleppten.

    Da war ein Vater, der, mit mehreren IKEA-Taschen beladen, schwitzend hinter seiner Frau und den zwei kleinen Kindern herlief. Die Frau mahnte ihn, er solle sich beeilen, sonst seien die besten Liegen direkt am Meer schon wieder vergeben. Ein Mann der hinter seiner Frau läuft! Amadou schüttelte sich. Das würde ihm nicht passieren.

    Ein junges Pärchen kam als nächstes. Eindeutig Briten. Er mit einem T-Shirt von Arsenal London und einem Basecap in den gleichen Farben. Sie mit hellen, enganlie-genden Shorts, die kaum ihre Figur verhüllte, und auf der britischen Insel vermutlich immer noch als modisch galt. Beide hatten blasse Haut, aber die war von den Strandtagen zuvor feuerrot. Und sie trugen keine Sonnenbrillen auf ihren Nasen.

    Hier könnte er es versuchen.

    »Hi, you are from London?«, begann er sein Verkaufsgespräch. »Arsenal fan?«

    »Yeah, you know Arsenal?«

    Der Köder war ausgeworfen.

    »Great team! I like your shirt!« Jetzt galt es dranzublei-ben. Er lächelte die junge Frau mit seinem strahlendsten Lächeln an. »What´s your name?« Darauf antworteten die meisten der von ihm Angesprochenen fast automatisch.

    »Sally.«

    »Hi Sally. You look great! You are going to the beach? It will be very sunny today. You will need sunglasses. Look here, the Guccis are great. Try!« Er reichte ihr zwei seiner Gucci-Modelle.

    Jetzt noch ihren Freund überzeugen.

    »Sally looks beautiful with the Gucci. And I give you my best price today.« Das zog fast immer. »Only twenty-five Euro, original Gucci!«Ihr Freund war noch nicht so recht überzeugt, er wiegte mit dem Kopf hin und her.

    Dranbleiben.

    »Sally, I make you a special price. Only for you and only because I love your look. The Gucci is made for you. And you will need them today. The sun!« Amadou blickte sorgenvoll in den wolkenlosen Himmel. Der Trick wirkte meistens.

    Sally ließ die zwei Sonnenbrillen abwechselnd von einer Hand in die andere wandern, sie war offensichtlich interessiert.

    Er musste den Fisch an Land ziehen.

    »Hey, I see you are a wonderful couple. I like you two. My best offer for you. Twenty Euro. You will not get the Gucci cheaper here in town.«

    Sally und ihr Freund blickten sich an. Er nickte ergeben und sagte: »Okay, give us the Gucci.« Dabei kramte er einen Zwanzigeuroschein aus seinen Badeshorts hervor.

    Sally lächelte verlegen und gab ihrem Freund einen Kuss.

    Ein lupenreines Verkaufsgespräch. Wie aus einem Lehrbuch. So, wie man es ihm hier auf Mallorca beigebracht hatte.

    Die beiden Briten waren sichtlich zufrieden mit ihrem Kauf. Sie lächelten ihm zu, reihten sich wieder in den Strom der Sonnenhungrigen ein und gingen die Stufen zum Strand herunter. Amadou blickte ihnen nach.

    Im Hintergrund hörte er eine Sirene. Sein Körper flutete mit Adrenalin, seine Aufmerksamkeit war instinktiv auf einhundert Prozent.

    Nein, sie sind nicht hinter mir her.

    Die Sirene verstummte. Amadou wartete ein paar Sekunden, bereit zu fliehen, aber nichts war mehr zu hören. Er konnte tief durchatmen. Trotzdem, er musste vorsichtig sein, nur noch zwei Wochen.

    Mit den nächsten potenziellen Käufern hatte er weniger Glück. Viele Touristen blickten bewusst an ihm vorbei. Keine Chance für ihn, Kontakt aufzunehmen.

    »Du musst ihnen in die Augen blicken, ihnen eine Frage stellen, auf die sie antworten werden«, hatte man ihm beigebracht.

    Dass die Erfahreneren unter den Touristen hierauf eine erfolgreiche Gegenstrategie hatten, musste er schmerzhaft in den ersten Wochen seiner Arbeit feststellen.

    »Billig, billig«, versuchte er es bei zwei älteren Deutschen. »Gute Qualität.«

    Billig und Qualität, das wollten vor allem die Deutschen. Als ob das zusammen ginge.

    Die zwei Frauen schlenderten vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

    »¡Hola Amadou! ¿Todo bien?«, hörte er eine Stimme hinter sich sagen.

    Hassan.

    Amadou drehte sich um. »Mir gehts gut, und dir, Hassan?«

    »Mir geht es immer gut.« Hassan lächelte ihn an.

    »Salam aleikum.«

    »Maleikum salam.«

    Hassan wohnte, so wie Amadou, in einem der apartamentos im Erdgeschoss des besetzten Hauses. Er kam aus Marokko und lebte, im Gegensatz zu ihm, legal auf Mallorca. Vor zwei Jahren hatte er den Status des Geduldeten erhalten und verdiente inzwischen sein Geld während der Saison mit der Vermietung von Sonnenliegen und Sonnenschirmen am Strand. Ein geregelter Job. So einen würde Amadou hoffentlich auch in der nächsten Saison bekommen. Hassan hatte gesagt, er würde bei seinem Chef ein gutes Wort für ihn einlegen.

    »Wo gehst du hin?«, wollte Amadou wissen.

    »Ich hole für zwei ältere englische Ladies eine Flasche Cava aus dem Eroski Markt und bringe sie zu ihren Strandliegen. Dafür gibt es ein dickes Trinkgeld!« Hassan strahlte ihn an.

    »Ein guter Job«, pflichtete Amadou ihm bei.

    »Na dann, ich muss weiter. Die Ladies haben Durst.« Hassan hob zum Abschied die Hand und eilte zum na-hegelegenen Supermarkt.

    Amadou blickte Hassan hinterher. Ja, Hassan hatte es schon geschafft.

    Sein Handy brummte erneut. Er hatte es auf lautlos gestellt. Ein Anruf und wieder die gleiche Nummer. Er ließ das Handy weiterbrummen. Der Anrufer gab auf. Kurz darauf blinkte eine SMS auf. »Ruf mich zurück, sonst wird es nichts mit dem Deal. P.«

    Amadou zögerte, er war noch nicht bereit. Er würde sich später damit beschäftigen.

    Mittagszeit, die Sonne stach unvermindert mit voller Kraft vom Himmel. Kein Wölkchen zu sehen. Wie zu Hause in Dakar, dachte er. Was Aminata jetzt wohl gerade machte? Nein, er hatte keine Zeit, zu viele Gedanken darauf zu verschwenden oder Heimweh aufkommen zu lassen. Amadou musste einen Zahn zulegen, wenn er sein Tagessoll erreichen wollte. Mindestens fünf Sonnenbrillen oder zwei Uhren. Aber die Touristen brauchten anscheinend keine Uhren mehr. Vielleicht sollte er von Uhren auf Smartphones umsatteln. Das wäre doch etwas! Ein anderes Kaliber von Geschäft.

    Amadou sah sich schon als Geschäftsmann mit einem kleinen Laden in der Fußgängerzone der Stadt. »Amadou Cisse, Smartphones jeder Art«, murmelte er still vor sich hin. »Und das Wort billig sollte ich hinzufügen.« Ein Schritt nach dem anderen, jetzt nur keinen Fantasien hinterherjagen. Erst einmal musste er noch ein paar Sonnenbrillen verkaufen.

    Ein Ehepaar flanierte Hand in Hand auf ihn zu, oder genauer gesagt auf den Treppenabgang zum Strand neben ihm. Sie mussten an ihm vorbei.

    Amadou setzte wieder sein strahlendstes Lächeln auf.

    »Original Gucci and Ray-Ban, billig, billig.«

    Der Mann schaute ihn an.

    »Des isch do älles unechde Billigware«, sagte der Mann.

    »Ja, billig, billig, twenty-five Euro only«, antwortete Amadou.

    Er hatte den Mann zwar nicht verstanden, konnte sich aber vorstellen, was er gesagt hatte. Die Zweifel hatte er in dessen Augen gesehen.

    »Wirklich billich ond schee«, pflichtete ihm dessen Ehefrau bei.

    Amadou verstand kein Wort. Das war nicht weiter schlimm, er durfte jetzt nur nicht aufgeben.

    »I give you ten Euro.« Der Mann hatte auf einen gemeinsamen Kommunikationskanal umgestellt, auch wenn sein Englisch für Amadou ähnlich unverständlich klang wie sein Deutsch.

    Amadou schüttelte den Kopf. »Twenty Euro, very good quality, try!«, sagte er und reichte dem an den Armen großflächig tätowierten Mann eine Ray-Ban.

    Der Deutsche nahm die Sonnenbrille, setzte sie auf und blickte seine Frau fragend an. »Wie der Dom Hanks, odr?«

    »Ned der Dom Hanks. Der Dom Cruz«, stellte sie fest und nickte anerkennend.

    »Fifteen Euro«, versuchte es der Mann.

    »Eighteen.«

    Der Mann verdrehte die Augen. Er gab auf. »Okay, eighteen.«

    Bingo. Er nickte dem Mann zu und lächelte ihn an. »Very good quality and billig

    Das Ehepaar trottete zufrieden weiter die Treppenstufen hinunter zum Strand. Wie Tom Cruise sah der Mann von hinten nicht aus. Tom Cruise würde keine Sandalen am Strand tragen, da war sich Amadou sicher.

    Die Sonne stand immer noch im Zenit. Amadou nahm einen Schluck Wasser aus seiner Flasche. Das Meer hinter ihm glitzerte. Nur nicht aufs Wasser schauen. Seine Nackenhaare sträubten sich bei dem Gedanken an das viel zu kleine und seeuntaugliche Schlauchboot, mit dem die Schlepper ihn und etwa dreißig weitere Wagemutige über das Mittelmeer in Richtung Spanien gebracht hatten. In den Tagen auf hoher See hatte er mehr als einmal sein letztes Stündchen kommen sehen. Es war gut ausgegangen. Er war jetzt hier. Andere nicht. Amadou verscheuchte die aufkommenden Gedanken an seine Flucht. Diese Gedanken, die ihn immer wieder heimsuchten.

    Mittags war die beste Zeit für sein Geschäft. Die Touristen, die es schon mehrere Stunden in der brütenden Sonne am Strand ausgehalten hatten, brauchten Nachschub.

    Nachschub an Bier, Eis für die Kinder und all die Dinge, die sie in ihren Hotelzimmern und Apartments heute Morgen bei ihrem täglichen Gang an den Strand vergessen hatten. Sonnencremes, Kopfbedeckungen aller Art und Sonnenbrillen. Nichts Teures, etwas, dass sie mit ihren Zehn- und Zwanzigeuroscheinen, die sie mit an den Strand genommen hatten, kaufen konnten.

    Jetzt war es leicht. Die Kunden kamen unaufgefordert zu ihm. Für ein langes Handeln hatten sie nicht genügend Ausdauer, sie wollten schnell wieder auf ihre Liege oder ihr Strandhandtuch zurück.

    Amadou verkaufte vier Guccis an eine Gruppe gutgelaunter, deutschsprechender Mädchen und als Zugabe baten sie ihn, ein Foto von sich mit den neuerworbenen Sonnenbrillen zu machen. »Pay for three, get four«, hatte er ihnen angeboten. Schließlich waren sie hübsch und noch dazu ungefähr in seinem Alter, auch wenn er sich hierzu keine Hoffnung machte. Das funktionierte nicht.

    Zwei Ray-Ban gingen an Franzosen. Sie zahlten, ohne zu verhandeln. Auch gut.

    Amadou war mit sich und dem bisherigen Tag zufrieden. Bald würde er Aminata wieder Geld senden können.

    Langsam, aber unaufhaltsam, versiegte der mittägliche Strom der Touristen zu den Cafés und Bars der Strandpromenade. Am Strand machte sich die bleierne Mittagshitze breit. Die Touristen standen regungslos im Meer, um sich abzukühlen oder hatten es sich auf ihren Liegen zu einer Siesta bequem gemacht.

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