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Mord an den Alten Oper: Frankfurt-Krimi
Mord an den Alten Oper: Frankfurt-Krimi
Mord an den Alten Oper: Frankfurt-Krimi
eBook305 Seiten4 Stunden

Mord an den Alten Oper: Frankfurt-Krimi

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Über dieses E-Book

Ende der achtziger Jahre wird der Politiker Achim Hagemann vor der Alten Oper erschossen. Die Hintergründe bleiben nebulös. Als dreißig Jahre später der Staranwalt Wolfgang Hauck stirbt, glaubt nur seine Enkelin nicht an einen natürlichen Tod. Zusammen mit dem Journalisten Max Bülow beginnt sie eigene Ermittlungen. Schon bald verfangen sie sich in einem gefährlichen Netz aus persönlichen Verstrickungen, Abhängigkeiten und dunklen Geschäften
SpracheDeutsch
HerausgeberLasp-Verlag
Erscheinungsdatum20. Feb. 2023
ISBN9783946247296
Mord an den Alten Oper: Frankfurt-Krimi
Autor

Lutz Ullrich

Lutz Ullrich, studierte Politik und Rechtswissenschaften, schrieb für verschiedene Zeitschriften, betätigte sich in der Frankfurter Lokalpolitik und arbeitet heute als Rechtsanwalt in Frankfurt. Von ihm sind elf Krimis und ein historischer Roman über Willy Brandt erschienen.

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    Buchvorschau

    Mord an den Alten Oper - Lutz Ullrich

    Cover

    Mord an der Alten Oper

    Ein Kriminalroman von Lutz Ullrich

    Impressum

    © 2022 Lutz Ullrich

    Korrektorat: punkt und komma

    LASP-Verlag, Schwalbach am Taunus – Frankfurt am Main

    Cover-Foto: adobe stocks

    Prolog März 1988

    Die Zeiger von Achim Hagemanns Armbanduhr rückten auf halb acht, als der Bundestagsabgeordnete die Haustür zuzog und durch Rütteln am Knauf kontrollierte, dass sie wirklich ins Schloss gefallen war. Hagemann war Mitte vierzig, hatte dichte braune Haare, die er zur Seite gescheitelt trug. Auf seiner rechten Wange bildete sich bei jedem Lächeln ein kleines Grübchen. Er trug einen dunkelgrünen Parka, dazu Jeans und einen dunklen Wollschal. Nach einem kurzen Blick auf den Vorgarten lächelte er und legte den Arm um Cornelia. Seine Frau war fünf Jahre jünger, etwas kleiner und ziemlich schlank. Ihre dunkelblonden, leicht gewellten Haare fielen ihr über die Schulter. Cornelia lachte gerne und viel und war meistens gut gelaunt – so auch an diesem Abend, den sie zusammen mit ihrem Mann verbringen wollte. Sie hatten sich vor knapp zehn Jahren bei einem David-Bowie-Konzert in der Festhalle kennengelernt und heftig ineinander verliebt. Vor sechs Jahren war ihr Sohn Christoph auf die Welt gekommen. Ein Jahr später wurde Achim in den Bundestag gewählt. Es war die Wahl, die Helmut Kohl zum Bundeskanzler machte. Gleichzeitig zogen die Grünen zum ersten Mal ins Parlament ein und verschreckten mit ihrer allzu legeren Kleidung manch altgedienten Politiker, noch dazu, da sie ihre Tische mit Sonnenblumen dekorierten. Achims Partei, die SPD, hatte fast fünf Prozent verloren. Damit war die Ära Helmut Schmidt endgültig beendet gewesen. Der NATO-Doppelbeschluss hatte das linke Lager gespalten. Noch heute fühlte Achim einen gewissen Schmerz darüber, dass ausgerechnet ein Kanzler seiner Partei die Stationierung der neuen Raketen umgesetzt und damit Hunderttausende Menschen auf die Straßen getrieben hatte. Überall im Land war es zu Demonstrationen und Protesten gekommen. Nun hatte man die neuen Pershings und Kohl war Kanzler. Seitdem hatte sich Achim in der Parteihierarchie Stück für Stück nach oben gearbeitet. Sollte die SPD wieder an die Regierung kommen, wäre ihm ein Platz im Kabinett zuzutrauen. Aber daran verschwendete er in Anbetracht der Umfrageergebnisse keinen Gedanken. Opposition hatte auch seine Vorteile: Man konnte sich freier äußern, ohne an Konsequenzen denken zu müssen. Und das tat Achim, wann und wo immer er konnte, vor allem wenn es um die Frage von Rüstungsexporten ging.

    Die beiden schlenderten die Straße entlang in Richtung U-Bahn-Station »Hausen«, wo sie in den dort wartenden Waggon einstiegen.

    »Schön, dass es heute Abend klappt«, sagte Cornelia und lehnte den Kopf an die Schulter ihres Manns. Statt zu antworten, lächelte Achim und legte den Arm um seine Frau. Er war erst vor einer knappen Stunde nach Hause gekommen, hatte den Koffer ungeöffnet im Schlafzimmer abgestellt, kurz geduscht und dann mit dem kleinen Christoph eine Runde ›Mensch ärgere Dich nicht‹ gespielt. »Finde ich auch«, sagte er. »Zum Glück habe ich den frühen Zug bekommen. Ich freue mich schon die ganze Woche auf diesen Abend mit dir.«

    Seit Achim Bundestagsabgeordneter war, verbrachte er viel Zeit in Bonn, hatte dort eine kleine Zweitwohnung, um nicht jeden Tag nach Hause fahren zu müssen.

    »Ich hoffe, du hast was Gutes ausgesucht!« Die Auswahl der Filme überließ er meistens seiner Frau. Sie hatte eindeutig die besseren Informationen darüber, was gerade angesagt war.

    »Keine Angst, es ist nicht Dirty Dancing«, schmunzelte Cornelia, als sich die Bahn ruckelnd in Bewegung setzte.

    »Da bin ich aber froh«, entgegnete Achim, ungeachtet der Tatsache, dass er auch diesen Tanzfilm akzeptiert hätte. Doch vermutlich hatte Cornelia ihn längst mit einer ihrer Freundinnen gesehen. »Sondern?«

    »Eine verhängnisvolle Affäre.«

    »Finde ich gut!«, sagte Achim zufrieden und freute sich auf Michael Douglas. Erst vor wenigen Tagen hatte er eine lobende Kritik über den Thriller in einer Zeitung gelesen.

    »Wie war deine Woche?«, wollte Cornelia wissen.

    »Stressig, wie immer …« Die U-Bahn fuhr in die nächste Haltestelle ein. »… Es ist wirklich frustrierend. Manchmal denke ich, man hat aus der Vergangenheit nichts gelernt.«

    »Was meinst du damit?«, hakte Cornelia nach.

    »Ach, weißt du, wir Deutschen sollten für Frieden überall sein. Und das sagen wir auch bei jeder Gelegenheit. Gleichzeitig liefern wir Waffen in alle Länder der Welt für den Profit unserer Industrie.«

    »Ich dachte, da gibt es radikale Beschränkungen.«

    »Gibt es auch, aber die Industrie und die Lobbyisten tun alles, um die Gesetze zu umgehen, und wir müssen gute Miene zum bösen Spiel machen.«

    Cornelia hätte gerne mehr darüber erfahren, doch ein älteres Ehepaar nahm auf den Plätzen gegenüber Platz. Damit war klar, dass das Gespräch zu diesem Thema beendet war. Achim unterlag der Schweigepflicht. Er hätte schon Cornelia nichts erzählen dürfen, aber auf gar keinen Fall konnte er riskieren, dass Passanten auch nur den kleinsten Gesprächsfetzen mitbekamen.

    Sie fuhren bis zur Hauptwache, stiegen aus und schlenderten durch die B-Ebene zu einer der Rolltreppen, die zu den E-Kinos direkt an der Hauptwache führte. An der Kasse löste Achim die Tickets, kaufte zwei Bier und eine Tüte Popcorn. Kurz drauf versanken die beiden in tiefen roten Kinosesseln, kuschelten sich aneinander und verfolgten gespannt, wie sich Michael Douglas als Dan Gallagher immer tiefer in das perfide Spiel seiner Geliebten verstrickte.

    »Bis wann haben wir den Babysitter?«, fragte Achim, als sie nach der Kinovorstellung wieder auf die Straße traten.

    Cornelia blickte auf die Uhr. »Kurz vor elf. Ein bisschen Zeit haben wir noch.«

    »Dann lass uns die Freßgass bis zur Alten Oper entlanglaufen«, schlug Achim vor, und Cornelia hakte sich bei ihm ein. Achim genoss die kalte Luft, die sein Gehirn flutete. Cornelia zerrte ihn vor das eine oder andere Schaufenster und deutete auf Kleidungsstücke und Schmuck, die ihr gefielen. Achim fühlte sich glücklich und verschwendete keine Sekunde auch nur einen Gedanken an den Bonner Politikbetrieb. Sie erreichten den Opernplatz und blieben einen Moment lang andächtig stehen. Die Fassade des Gebäudes war erleuchtet, und vor dem Eingang standen vereinzelt ein paar Menschen, die vermutlich ein Konzert genossen hatten.

    »Lass uns zur U-Bahn gehen«, sagte Cornelia und zog an Achims Parka, »ich möchte nach Hause.«

    Als sich die beiden wieder in Bewegung setzten, löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel eines Ladeneingangs. Der junge Mann war in einen langen dunklen Wintermantel gehüllt, hatte eine Wollmütze tief über die Stirn gezogen und war den Hagemanns gefolgt, seit sie das Kino verlassen hatten. Stets war er dabei vorsichtig gewesen, hatte sich dicht an die Fassaden gedrängt vorwärtsbewegt. Die Art und Weise, wie er dies tat, ließ eine gewissen Übung vermuten. Er gewährte den Hagemanns stets einen gewissen Vorsprung und lief meist auf der entgegengesetzten Straßenseite. Hier und da blieb er stehen und betrachtete die Schaufenster. Nun aber pirschte er sich näher an die beiden heran. Er wusste, dass er bald würde handeln müssen. Erreichten die Hagemanns erst mal die U-Bahn-Station, war es für sein Vorhaben zu spät.

    Als Achim Hagemann nur noch wenige Meter von der Rolltreppe entfernt war, hatte ihn der Verfolger erreicht. Hagemann nahm hinter sich eine Bewegung wahr. »Was soll …«, stieß Achim überrascht aus und war im Begriff, sich reflexartig umzudrehen. Doch der Mann war schneller, zog einen Revolver aus der Manteltasche und drückte zwei Mal ab. Die erste Kugel traf Achim in den Rücken, schlug durch das Rückgrat und die Hauptschlagader, um anschließend Speise- und Luftröhre zu zerfetzen. Die zweite Kugel streifte ihn nur leicht und flog dann weiter in Richtung Cornelia, traf sie aber nicht.

    Achim Hagemann sackte sofort schlaff in sich zusammen und schlug auf dem Asphaltboden auf. Cornelia schrie angsterfüllt. Der Schütze drehte sich blitzschnell um und rannte in Richtung Süden davon. Cornelia sank auf die Knie und beugte sich über ihren Mann.

    Wenig später raste ein Rettungswagen mit Blaulicht auf den Opernplatz. Passanten standen in Grüppchen und diskutierten, was passiert war. Ein erster Streifenwagen traf ein.

    Ein paar Meter entfernt stand ein Mann mit Mantel und Schiebermütze vor einem Schaufenster und rauchte scheinbar gelangweilt eine Zigarette. In regelmäßigen Zeitabständen schnickte er Asche auf den Boden. Seine Augen waren stur in Richtung Menschenpulk gerichtet, der sich um Achim und Cornelia gebildet hatte. Der Mann besaß ein geschultes Auge, das jede Kleinigkeit registrierte. Als er sicher war, dass alles wie geplant verlaufen war, wandte er sich ab, sprach ein paar Instruktionen in ein Funkgerät und schlenderte in Richtung Bockenheimer Anlage davon.

    1.

    Vierunddreißig Jahre später schob Thomas Alexander in New York den Saum seiner Jacke am linken Handgelenk zurück und warf einen Blick auf die Armbanduhr: halb zehn. Bis zu seinem Meeting blieb noch eine Viertelstunde Zeit. Sein Kopf war an diesem Morgen seltsam leer. Vielleicht hatte der Wind, der kühl durch die Hochhausschluchten Manhattans blies, seine Gedanken mitgerissen. Nach einigen Metern blieb er stehen, schloss für einen Moment die Augen und ließ seine Gedanken zum Kiwusee abgleiten, an dem er die letzten Jahre gelebt hatte. Sattgrüne Bergketten, Almen, Weiden und blau glitzerndes Wasser vermittelten dort den Eindruck einer Idylle, die es in Wahrheit gar nicht gab. Könnte er die Bilder, die auf sein inneres Auge projiziert wurden, auf Papier ausdrucken und seinen Freunden zeigen, so würden die meisten Betrachter mit ihnen weniger das Hochland des Kongo als vielmehr die deutschen oder österreichischen Alpen assoziieren. Vielleicht war die Ähnlichkeit der Landschaften einer der Gründe gewesen, warum der Kiwusee noch vor etwas mehr als hundert Jahren die Außengrenze des Deutschen Reiches gebildet hatte. Die deutschen Kolonialisten hatten zwanzig Jahre über das Gebiet geherrscht und einige im wilhelminischen Stil erbaute Kirchen sowie eine folgenschwere Aufteilung der Bevölkerung in Tutsi und Hutu hinterlassen. Dann war der Erste Weltkrieg gekommen und zu dessen Ende das Gebiet Belgien zugeschlagen worden.

    Alexander öffnete wieder seine Augen und blickte nach vorn, die Straße entlang. Sein Ziel lag nur etwa zwölf Straßenblocks vom Central Park entfernt. Zielstrebig setzte er seinen Weg fort. Thomas Alexander war groß und schlank, hatte kurze dunkelbraune Haare und trug für gewöhnlich lässige Kleidung, vorzugsweise in Schwarz. Eine Sonnenbrille im Matrix-Stil zierte sein Gesicht. Er war achtunddreißig Jahre alt, sprach neben deutsch auch englisch und französisch. Außer einem Master in Finanzen hatte er ebenso erfolgreich eine Vielzahl an Ausbildungen diverser Kampfsportarten absolviert. Sein Auge war geschult wie das eines Wildtieres, das im Dschungel überleben musste. Früh registrierte er die Gestalt, die dicht an die Fassade gedrängt in einem der Hauseingänge lauerte. Thomas Alexander verlangsamte kaum merklich seine Schritte und schaltete in den Gefahrmodus. Doch genauso schnell erkannte er, dass die Person, die in dem Moment auf den Bürgersteig trat, als er selbst den Eingang passierte, Edgar Prinz war. Er nickte ihm kurz zu, und die beiden liefen nebeneinander her.

    Prinz, Ende vierzig, korpulent und glatzköpfig, steckte an diesem Morgen in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und dunkler Krawatte. Er war Amerikaner, hatte jahrelang in Südafrika gelebt und mit Diamanten gedealt. Nun jettete er permanent in geheimer Mission um den Erdball, meist auf der Jagd nach den Paten des internationalen Waffenhandels.

    Vor ein paar Jahren waren die beiden einander zum ersten Mal über den Weg gelaufen und hatten sich auf Anhieb gut verstanden.

    »Hast dich ganz schön rausgeputzt«, zischte Alexander, ohne den Blick zur Seite zu wenden. »Machst du wieder auf eloquenten Geschäftsmann?«

    Prinz lachte: »Man tut, was man kann!«

    Die beiden erreichten den riesigen UN-Quader und schritten – beinahe wie bei einem Staatsempfang – im Gleichschritt an den Fahnen der 196 Mitgliedstaaten vorbei. An der Sicherheitskontrolle wiesen sie sich mit ihren Dienstmarken aus.

    »Weißt du, warum wir heute hier antanzen sollen?«, fragte Prinz, als sie vor dem Aufzug standen und warteten.

    Thomas Alexander zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. In wenigen Minuten werden wir schlauer sein.«

    Viele Tausend Kilometer weiter östlich übertönte das aufbrausende Klatschen der Zuschauer die Moderation des Talkmasters. Ungefähr zeitgleich setzte die Abspannmelodie ein, und die Gäste der freitäglichen Talkshow quasselten wild durcheinander. Max Bülow nutzte die allgemeine Unruhe und riss sich erleichtert die Kabel vom Leib. Er hatte die letzte Stunde halbwegs gut überstanden. Nur zu Beginn der Sendung hatte er sich aus Nervosität ein paar Mal verplappert, was vermutlich gar keinem weiter aufgefallen war. Ihn aber störte es.

    Bülow, Anfang vierzig, versuchte stets einen Balanceakt zwischen Lässigkeit und Seriosität. Heute Abend trug er zum schwarzen Anzug ein weißes Hemd und ein rotes Einstecktuch. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet, dafür die oberen beiden Knöpfe offen gelassen. Die dichten dunklen Haare waren kurz geschnitten, die braunen Augen strahlten Wärme und Direktheit aus. Im gewissen Sinne war er Perfektionist, eine Eigenheit, die ihm beim Recherchieren und Bücherschreiben zum Vorteil gereichte, seinen Verleger aber regelrecht in den Wahnsinn trieb. Auch die Reportagen, die er für eine bundesweit erscheinende Wochenzeitschrift schrieb, waren immer bis ins letzte Detail recherchiert. Mit schöner Regelmäßigkeit reizte er die vom Chefredakteur vorgegebenen Termine bis zur letzten Sekunde aus, war sich mitunter auch nicht zu schade, sie gnadenlos zu überziehen.

    Bülow hasste es, im Rampenlicht zu stehen. Er konnte einen Satz aufschreiben, ihn wieder und wieder lesen und so oft verändern, bis er die richtigen Worte gefunden hatte. Anders war es, vor einem Mikrofon oder einer Kamera zu sprechen – und dann auch noch live. Was einmal gesagt war, war gesagt und hatte eine erbarmungslose Endgültigkeit. Ginge es nach ihm, könnte man auf solche Auftritte gut und gerne verzichten. Aber der Verlag saß ihm im Nacken, schließlich musste ein gedrucktes Buch vermarktet werden – ein Unterfangen, das zunehmend kniffliger wurde. Unmengen an Papier wurden Jahr für Jahr bedruckt und auf den Markt geworfen. Die Halbwertszeit eines Buches sank quasi sekündlich, und es wurde immer schwerer, im Wust der gedruckten Worte Aufmerksamkeit zu erhaschen, erst recht als Sachbuchautor. Thriller, Sadomaso-Schocker und Vampirgeschichten verkauften sich bei Weitem besser als knallharte Fakten. Trotzdem konnte er sich nicht beklagen. Seine Werke standen immer weit oben auf der Bestsellerliste, und sein Agent brachte ihn mit schöner Regelmäßigkeit in den Talkshows unter. Seit ein paar Wochen war sein neustes Werk auf dem Markt, in dem er die Machenschaften der internationalen Geldwäsche anprangerte.

    »Gratulation zu Ihrem neuen Buch! Ich habe es mit großem Interesse gelesen.« Bülow wandte den Kopf und blickte direkt in Benno Murmanns Augen. Reflexartig ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand. Der Politikberater war Mitte sechzig, sah aber deutlich jünger aus, was an seinem trainierten Körper lag. Die sonnengebräunte Haut tat ein Übriges. Murmann war Bülow schon des Öfteren über den Weg gelaufen. Das Geschäft brachte es mit sich, dass man immer wieder auf die gleichen Gesichter traf.

    »Danke«, sagte er artig.

    »Haben Sie noch etwas vor? Wir könnten irgendwo einkehren und das ein oder andere Bierchen zischen. Was halten Sie davon?« Murmann zog die Wangen nach oben und fletschte die Zähne. In Bülows Gehirnwindungen begann es zu rattern. Einerseits war ein Gespräch mit Murmann immer interessant. Der Politikberater war mit Gott und der Welt vernetzt. Auch wenn man davon ausgehen konnte, dass er ganz gezielt Informationen aus eigenem Interesse streute, so war es nicht verkehrt, am Ball zu bleiben. Andererseits war er erschöpft und ausgelaugt. In den letzten Wochen hatte er genug Rummel um sich gehabt und einen wahren Marathon an Pressegesprächen und Marketingterminen absolviert. Es war höchste Zeit für ein wenig Ruhe. Er freute sich auf seine in Eschborn, einer kleinen Stadt an der Frankfurter Stadtgrenze, gelegene Wohnung.

    »Ich bin untröstlich, aber leider habe ich schon eine Verabredung. Vielleicht beim nächsten Mal.«

    »Da kann man nichts machen. Ich hoffe, sie ist blond und schlank.« Murmann ließ seiner Kehle ein anzügliches Lachen entweichen und wandte sich zum Ausgang.

    »Idiot«, dachte Bülow. Er hatte keine Lust auf weiteren Smalltalk und verzichtete auf das Abschminken. Fast schien es, als flüchtete er aus dem Fernsehstudio. Er verließ den Sender durch den Haupteingang. Rechter Hand lag der Sportplatz des SC 1880, wo tagsüber Hockey, Tennis und Rugby gespielt wurde. Nun lag er in Dunkelheit. Vor Max erstreckte sich ein weitläufiger Parkplatz, der vorwiegend von den Mitarbeitern des Hessischen Rundfunks genutzt wurde. Sein Porsche 911, Baujahr 1985 stand etwas verloren unter einem Baum. Max ließ sich hinters Steuer fallen und kurvte wenig später am Polizeipräsidium vorbei in Richtung Taunus.

    Keine Viertelstunde später erreichte er Eschborn. Das kleine Städtchen hatte sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig gemausert. Dank unzähliger Gewerbeansiedlungen schwamm die Gemeinde regelrecht im Geld, das darauf wartete, für allerlei sinnlose Großvorhaben verpulvert zu werden. Allerdings machten diverse Bürgerinitiativen dem Größenwahn des Stadtoberhauptes zunehmend einen Strich durch die Rechnung. Vor wenigen Jahren war der Bau eines Fußballstadions am Widerstand der Anwohner der Nachbargemeinde gescheitert. Seitdem kursierten allerhand Ideen, was man mit den ersparten Millionen nun anstellen könnte.

    Bülow bewohnte seit einigen Jahren eine großzügige Eigentumswohnung im Stadtzentrum, vis-à-vis dem Rathaus. Sein Plan für den weiteren Abend war denkbar einfach: Auto abstellen und dann ab zu ›Leonardo da Vinci‹, seinem Lieblingsitaliener. Dort wollte er in aller Ruhe etwas Leckeres Essen und sich mit einem sündhaft teuren Rotwein bis zur Besinnungslosigkeit besaufen.

    Thomas Alexander ließ sich, ohne die Sonnenbrille von der Nase zu nehmen, in einen der schweren Ledersessel fallen und setzte sein Pokerface auf. Prinz tat es ihm gleich, allerdings kaute er genüsslich auf einem Kaugummi und lächelte breit. Obwohl sie gegensätzlicher nicht hätten sein können, liefen ihre gemeinsamen Jobs wie am Schnürchen. Ohne Rütteln und Stottern, wie ein Auto, das gerade erst die Fabrik verlassen hat. Alexanders Blick scannte das Zimmer, das keinerlei Charme versprühte: dunkler Teppich, schwere Möbel, weiße Wände. Es war einige Zeit her, seitdem er das letzte Mal hier gesessen hatte. Damals, vor vielleicht eineinhalb Jahren, hatte er über seine Tätigkeit am Kiwusee berichtet, die er zwei Jahre zuvor aufgenommen hatte. Sein Gefühl, das ihn selten trog, sagte ihm, dass es heute nicht darum ging, Bericht zu erstatten. Er fürchtete, einen neuen Auftrag zu erhalten, der ihn einige Zeit von seiner neuen Heimat fernhalten könnte. In jedem Fall war er gespannt darauf, Donald Smith wiederzusehen. Smith war Leiter der Operation Kongo und so etwas wie sein Ziehvater. Auch wenn sie an diesem Morgen wenig Zeit für persönliches Palaver haben würden, ergab sich vielleicht am Abend die Möglichkeit zu einem privaten Treffen. Alexanders Blick traf auf Prinz, der ihm – immer noch Kaugummi kauend – breitbeinig gegenübersaß, die Arme vor dem dicken Bauch verschränkt.

    »Smithy lässt uns ganz schön warten«, knurrte Prinz.

    »Durchaus ungewöhnlich«, brummelte Alexander.

    Donald Smith war eigentlich für seine Pünktlichkeit ebenso geachtet wie gefürchtet.

    Als sich die Tür öffnete, wurde den beiden klar, warum Smith sich verspätete. Er würde an diesem Tag nämlich überhaupt nicht auftauchen – jedenfalls nicht, wenn man den Worten von Emily Price Glauben schenkte, die ihnen jetzt in einem dunkelgrauen Kostüm gegenübersaß. Price war dunkelhäutig und sich der Reize, die ihr Körper ausstrahlte, bewusst. Gleichwohl wirkte ihr Gesicht wie ein Eisblock, was alles und auch nichts bedeuten konnte. Die krausen Haare hatte sie zu einem streng wirkenden Zopf gebunden.

    »Meine Herren, ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen«, begann sie ihre Ansprache, die etwas gekünstelt und einstudiert wirkte. »Vorab einen schönen Gruß von Donald Smith. Es geht ihm deutlich besser, aber bis zu seiner vollständigen Genesung braucht er noch etwas Zeit.«

    »Was soll das heißen?«, entfuhr es Alexander, der es jetzt bereute, immer noch die dunklen Gläser vor den Augen zu haben, denn ohne sie könnte er Emily Price weitaus besser beobachten. Die junge Amerikanerin übte eine gewisse Faszination auf ihn aus. Er stellte sich insgeheim die Frage, wie man einen solchen Eisblock wohl zum Schmelzen bringen konnte.

    »Mr. Smith hatte vor einem Monat einen Herzinfarkt.«

    Prices Worte trafen Alexander wie ein Degenstoß.

    »Davon wusste ich nichts …«

    »Sie haben auch lange nichts von sich hören lassen.«

    »Es gab keine Veranlassung, einen Report nach New York zu schicken, jedenfalls nicht für mehr als die monatlichen Standards«, sagte Alexander und war dabei bemüht, es nicht wie eine Entschuldigung klingen zu lassen. »Was ist mit Donald passiert?«

    »Herzinfarkt im Auto auf dem Weg zu einem Termin. Nichts Ungewöhnliches für einen Mann in seinem Alter, der wenig auf seine Gesundheit achtet.«

    »Ganz schön loses Mundwerk«, dachte Alexander, zog seine Sonnenbrille vom Gesicht und fixierte Price.

    »Wo befindet er sich jetzt?«

    »Immer noch im Krankenhaus. Er soll nächste Woche entlassen werden. Könnten wir jetzt endlich zum Punkt kommen?«

    »Welches Krankenhaus?«

    Price stöhnte auf – ein erstes Anzeichen dafür, dass sie begann, die Kontrolle über das Gespräch zu verlieren.

    »Hören Sie, Mister Alexander. Wir sitzen hier zusammen, um über eine sehr wichtige Sache zu reden. Sie werden in den nächsten Tagen und Wochen jede Menge Stress haben. Es wird wenig Zeit sein, um auf einer grünen Wiese herumzuliegen und sich philosophische Gedanken zu machen.«

    »Kein Problem. Sagen Sie mir einfach, welches Krankenhaus.«

    Emily Price klopfte mit ihrem Kugelschreiber auf die Tischplatte, während sie Alexander taxierte.

    »Wenn ich Sie vielleicht um einen Gefallen bitten könnte«, schaltete sich Prinz in das Gespräch ein. Price wandte den Blick zur Seite.

    »Beantworten Sie einfach die Frage meines Kollegen.

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