FÜHREN VOR WISSEN: Wieso der Führungsstil entscheidend ist
Von Martin Arnold und Romy Schneider
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Über dieses E-Book
Martin Arnold
Der Autor war die letzten zwanzig Jahre in verschiedenen Firmen und in ganz unterschiedlichen Führungspositionen tätig. Dadurch hatte er die Möglichkeit das Führungsthema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und viele unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln. Dabei ist er fasziniert von der Arbeit mit Menschen, mit denen man auf ein Ziel hin zusammenarbeitet.
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Buchvorschau
FÜHREN VOR WISSEN - Martin Arnold
I. Vorwort: Zum Aufbau dieses Buches
Führung oder Leadership ist ein riesengroßes Thema, das viele Ausprägungen hat und bei dem es vor allem kein Richtig oder Falsch gibt. Darüber zu schreiben ist gerade deshalb eine undankbare Aufgabe. Es wird nie gelingen, alle Bereiche in einem einzigen Buch bis in die Tiefe zu durchleuchten. Und doch hat der Leser, also Sie, der ein solches Buch in die Hände nimmt, insgeheim genau diese Erwartung. Wieso sollte ich mich also an dieses Thema heranwagen, zumal es mein allererstes Buch überhaupt ist. Da kann ich doch nur verlieren, oder?
Ich habe in meiner beruflichen Karriere die verschiedensten Aspekte von Führung kennengelernt, war ich doch in ganz unterschiedlichen Firmen tätig. Vor allem bin ich schon sehr früh in meine erste Führungsaufgabe hineingerutscht. Am allermeisten hat mich an diesem Thema immer fasziniert, dass nie vorhersehbar war, was als Nächstes in einer bestimmten Situation passieren würde, auch nach vielen Jahren in anscheinend wiederkehrenden ähnlichen Situationen nicht. Es hat mich immer, und tut es noch heute, extrem überrascht, wie Menschen unter gewissen Gegebenheiten reagieren. Ich bin auch oft an die Grenzen meiner Fähigkeiten gestoßen und wurde des Öfteren herausgefordert.
So habe ich verschiedentlich Unterstützung und Support gesucht, habe Leadership-Kurse besucht und Bücher gelesen. Ja, vielleicht hat mich das sogar ein wenig weitergebracht oder ich kannte danach wenigstens die Fachbegriffe für gewisse Verhaltensweisen. So wirklich nachhaltig konnte ich für mich aber nie etwas mitnehmen. Mir hat vor allem auch immer die Verbindung zwischen Theorie und Praxis gefehlt. So erging es mir, wie wahrscheinlich vielen, die sich diesem Thema ernsthaft annähern möchten. Jeweils kurz nach der Absolvierung eines Kurses oder nach dem Lesen eines Buches war ich enttäuscht, dass ich nicht wirklich weitergekommen bin. Und doch halte ich das Thema für so wichtig, dass ich nicht einfach aufgeben wollte. Und so ist die Idee für dieses Buch entstanden. Aber ich möchte gleich zu Beginn ehrlich sein: Wenn Sie die nächsten Seiten gelesen haben, sind Sie nicht automatisch eine bessere Führungskraft, das schafft leider auch dieses Buch nicht. Aber ich habe schon den Anspruch, dass Sie danach zumindest einen Weg sehen, wie Sie sich verbessern können. Den Weg gehen müssen Sie jedoch selbst.
Mein Buch ist ganz bewusst keine Abhandlung von Theorien und Erklärungen zu Begrifflichkeiten. Dazu gibt es schon genug Literatur. Ich habe versucht, einen anderen Weg zu gehen, werde sehr viele Beispiele bringen und hoffe, Sie damit zum Nachdenken anzuregen. Kein einziges dieser Beispiele ist eine Konstruktion einer Geschichte mit einem selbst gestrickten Ausgang, welcher zu einer vorher gemachten Behauptung passt. Nein, jedes Beispiel entspricht einer Gegebenheit, der ich im realen Leben begegnet bin. Und bei jeder Geschichte habe ich etwas gelernt, denn meine Reaktion war – im Nachhinein betrachtet – alles andere als immer richtig. Aber nur so kann man schließlich weiterkommen – auf dem nicht endenden Weg eine bessere Führungsperson zu werden.
Der Anonymität willen habe ich bei diesen Geschichten aus meinem Leben die Namen der involvierten Personen abgeändert. Es geht ja auch gar nicht um sie, sondern um ganz spezifische Verhaltensweisen, die sehr unterschiedlich sein können.
So, damit wünsche ich Ihnen viel Spaß und hoffe, dass meine Zeilen Sie zum Nachdenken anregen. Damit hätte ich mein Ziel – die Arbeitsumstände der vielen Mitarbeitenden, die alle von einer Führungsperson abhängen, etwas zu verbessern – schon erreicht. Ja genau, nur wenn Sie als Führungskraft beginnen, über Ihre Führungstätigkeit nachzudenken, sie zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen, begeben Sie sich auf den Weg, darin besser zu werden.
II. Einleitung: Hinführung zum Thema
Eine schwierige Situation
Der Außendienstmitarbeiter, nennen wir ihn Klaus, stand bei Erwin im Großraumbüro und unterbrach ihn offensichtlich bei seiner Arbeit. Ich war zu weit weg, um den Beginn des Gespräches zu hören, hatte aber schon kein gutes Gefühl, als ich Klaus kommen sah. Dazu muss man wissen, dass in diesem Büro etwa zwanzig Mitarbeiter aus dem Produktmanagement und dem Engineering saßen. Alle hatten zwei Tische direkt am Fenster längsseitig angeordnet, damit neben der Tätigkeit am Computer auch noch genügend Platz für irgendwelche Versuchsaufbauten oder Ähnliches blieb. Dazu kam, dass das Büro komplett offen gehalten war, es gab keine Trennwände, wo man ein Stück Privatsphäre hätte suchen können. Klaus war also für alle sichtbar und so richtig ausgeliefert.
Wenn man schon einmal etwas von Körpersprache und dem Verhalten von zwei Personen, die sich offensichtlich nicht auf Augenhöhe begegnen, gehört hatte, sah man sofort, dass Klaus schon im Tiefstatus (das ist die Person in einem Gespräch, welche sich dem Gegenüber untergeordnet fühlt) das Gespräch mit Erwin begann. Es dauerte dann auch keine Minute, bis Erwin laut wurde: „Du kannst mich doch nicht einfach so aus meiner Arbeit reißen, ich bin schon seit Stunden an diesem technischen White Paper und muss es dringend fertigstellen!"
Klaus wurde noch ein Stück kleiner und versuchte diplomatisch zu bleiben. Aber dazu war es bereits zu spät. Die Aufmerksamkeit des ganzen Büros war auf einen Schlag auf die beiden gerichtet. Während Erwin das nichts auszumachen schien, wäre Klaus wohl am liebsten im Boden versunken.
„Was? Ich soll mitkommen zum Kundengespräch und das schon kommende Woche? Das ist komplett ausgeschlossen und bringt meinen ganzen Terminkalender völlig durcheinander. Wieso könnt ihr bei den Schulungen, die ich euch immer wieder gebe, nicht besser aufpassen? Ihr müsst das doch endlich eigenständig lösen, für was werdet ihr denn hier sonst bezahlt?"
Ich staunte, wie Klaus trotz der eskalierenden Situation und des immer lauter werdenden Tonfalls seines Gegenübers hartnäckig blieb und die Schimpftiraden über sich ergehen ließ. Offensichtlich war es nicht das erste Mal, dass er so zusammengestaucht wurde. Auch dass von all den anderen im Büro niemand etwas sagte, sondern sich alle schnell wieder auf ihre eigene Arbeit konzentrierten, überraschte mich sehr.
Da fiel mir plötzlich ein, dass ich als neuer Vorgesetzter von Erwin ja eigentlich in der Verantwortung stand. Instinktiv erhob ich mich kurz aus meinem Stuhl, setzte mich aber wieder hin, bevor ich richtig stand. Mir war sofort klar, dass ein direktes Eingreifen die Sache nur massiv verschlimmert hätte.
Inzwischen hatte sich die Situation auch wieder etwas entspannt. Klaus schaffte es, dass Erwin auf den Gebäude-Grundrissplan seines Kunden schaute und sich sofort in die technischen Details vertiefte. Nun änderte sich Erwins Tonfall und er begann, sich über den schlechten Plan zu ärgern, darüber, dass man gar nicht an die zu verlegenden Datenkabel gedacht hatte. Klaus war sichtlich froh, dass er nicht mehr im direkten Schussfeld stand und begann, die hohe Kompetenz und die Unverzichtbarkeit von Erwin hervorzuheben.
Und das funktionierte tatsächlich. Erwin war jetzt der Ansicht, dass er unbedingt mit zum Kunden gehen müsse. „Schließlich ist es höchste Zeit, dass der Kunde endlich sein Augenmerk auf die wichtigen Details legt!"
Die beiden fanden also eine Lösung und Klaus verabschiedete sich wieder. Erwin murmelte leise noch etwas von Inkompetenz und falsch gelegtem technischem Fokus vor sich hin, vertiefte sich dann aber wieder in seine eigentliche Arbeit. Die Ruhe war ins Büro zurückgekehrt.
Ich war erst drei Monate in dieser Firma und kannte mich mit dem Produktportfolio noch nicht sonderlich gut aus. Aber natürlich hatte ich schon mitbekommen, dass das technische Wissen im Fachgebiet von Erwin innerhalb der Firma von niemand anderem auch nur annährend erreicht wurde. Die Schulungen, die Erwin nur für mich als seinem neuen Vorgesetzten organisiert und selbst gehalten hatte, waren eindrücklich und bis in die technischen Details fundiert. Vor allem fiel mir dabei auf, wie hilfsbereit und ausgenommen freundlich Erwin auftrat. Ich gewann schnell Respekt vor ihm, auch weil er zwar Ende fünfzig, aber noch sehr vital und blitzschnell im Finden von Zusammenhängen war. Umso mehr überraschte mich die Situation eben mit Klaus, und mir fiel es schwer, diese einigermaßen einzuordnen.
Natürlich konnte ich das Geschehene nicht einfach so stehen lassen, sondern musste darauf zurückkommen. Wie Sie sich vorstellen können, sind das jeweils Situatiownen, denen man als Führungskraft am liebsten aus dem Weg gehen würde. Aber genau das wäre das Falscheste, was Sie überhaupt tun könnten. Denn damit würden Sie eine solche Eskalation stillschweigend akzeptieren und könnten sicher sein, dass es wieder passieren würde. Immerhin das war mir sofort klar, auch wenn ich noch keine Idee hatte, wie ich hier konstruktiv korrigierend einwirken könnte.
Gleich am nächsten Morgen ging ich auf Erwin zu und fragte ihn, wann er im Verlaufe des Morgens eine Stunde Zeit für mich hätte. Natürlich hatte er auch jetzt wieder sehr viel zu tun, sicherte mir aber zu, kurz vor dem Mittag etwas Zeit freischaufeln zu können.
„Erwin, wir kennen uns noch nicht lange und ich habe dich bisher als sehr zuvorkommend und hilfsbereit wahrgenommen. Mir ist auch bereits aufgefallen, wie wichtig deine Fachkompetenz ist, und dass wohl deswegen alle etwas von dir wollen", begann ich das Gespräch.
Erwin schaute mich mit großen fragenden Augen an und hatte offensichtlich keine Ahnung, um was es in der kommenden Stunde gehen sollte. Deshalb versuchte ich ihn abzuholen: „Ich würde gerne auf das Gespräch von dir mit Klaus von gestern zurückkommen. Wie ist das aus deiner Sicht verlaufen?"
Jetzt rollte Erwin mit den Augen: „Ach, weißt du, ich habe immer wieder solche Anfragen und es ärgert mich, wenn wir im technischen Verständnis keinen Schritt vorwärts kommen und ich immer so spontan für Kundengespräche zur Verfügung stehen muss. Aber am Schluss konnten wir doch eine Lösung finden und werden zusammen beim Kunden vorbeigehen. Damit verliere ich zwar schon wieder etwas Zeit für meine anderen Projekte, aber mehr als arbeiten kann ich ja nicht."
Es blieb mir nichts anderes übrig, als noch konkreter zu werden: „Sag mal, Erwin, dir ist aber schon aufgefallen, wie du Klaus behandelt, und dass du ihn vor versammelter Mannschaft bloßgestellt hast?"
Jetzt schlug die Reaktion in Erstaunen um und Erwin blieb für einen Moment ruhig. „Was, wie meinst du das?", brachte er endlich heraus.
„Na ja, Klaus muss sich nach diesem Gespräch schrecklich gefühlt haben und für alle anderen Anwesenden war es bestimmt auch nicht besonders hilfreich und motivierend, antwortete ich. „Und ganz ehrlich, Erwin, ich kann und will das nicht akzeptieren. Ich erwarte von dir, dass du dich beherrschst und nicht dermaßen überreagierst. Immerhin bist du gerade für alle Jüngeren im Team ein Vorbild. Bitte verhalte dich beim nächsten Mal verständnisvoller und bleib ruhig.
Erwin war völlig verstört. Er hatte offensichtlich ein komplett anderes Selbstbild und ihm war sichtlich entgangen, wie seine Außenwirkung war. Jetzt entwickelte sich ein langes Gespräch zwischen uns beiden, bei dem mir Erwin erzählte, dass er noch nie ein solches Feedback wie jenes gerade eben von mir erhalten hatte. Das erklärte auch die Reaktion beziehungsweise die Nicht-Reaktion von allen im Büro gestern. Für alle war das nichts Besonderes, aber es war auch noch nie jemand auf die Idee gekommen, dieses heikle Thema anzusprechen.
Ich war aber vor allem froh, dass sich Erwin nun sehr offen für eine Verbesserung seiner Verhaltensweise zeigte. Er hätte ja auch ganz anders reagieren und zum Beispiel laut werden können.
Zum Schluss verblieben wir so, dass ich Erwin in Zukunft regelmäßig Feedback geben würde und wir zusammen in kleinen Schritten versuchen wollten, die Gesamtsituation zu verbessern. Es wartete viel Arbeit auf uns beide, aber wir konnten tatsächlich Verbesserungen erreichen und bald machte es die Runde, dass Erwin seit einiger Zeit viel umgänglicher geworden war.
Aus diesem einleitenden Beispiel lassen sich bereits einige führungsrelevanten Kriterien ableiten. Wir wollen uns für den Moment aber auf eine ganz spezifische Fragestellung konzentrieren, welche uns viel später im Buch beschäftigen wird:
Was war nötig, um die Situation mit Erwin zu klären und in die richtigen Bahnen zu lenken? Ging es dabei um Fachkompetenz im technischen Gebiet? Und wenn nicht, ist dann Fachkompetenz überhaupt notwendig, um eine gute Führungspersönlichkeit sein zu können? Oder ist es nicht vielmehr entscheidend, sich im Thema Führung auszukennen und da das richtige Werkzeug anzuwenden, um schwierige Situationen nachhaltig zu lösen?
Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass in der heutigen Zeit der Fokus für die Besetzung einer Führungsposition zu großen Teilen auf der fachlichen Kompetenz liegt. Das gilt nicht nur für Mitarbeiter, die gar nicht die Ambition haben, in eine Führungsaufgabe hineinzuwachsen, sondern insbesondere auch für Angestellte mit Personalverantwortung. Werden solche Stellen intern besetzt,