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Aufstellungen im Arbeitskontext: Praxis der Systemaufstellung
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eBook434 Seiten4 Stunden

Aufstellungen im Arbeitskontext: Praxis der Systemaufstellung

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Über dieses E-Book

Die Erkenntnis, dass Entwicklungen in Organisationsprozessen auch eine emotionale Seite haben, verbreitet sich in der Arbeitswelt zusehends. Doch wie können die daraus erwachsenen komplexen Fragen geklärt werden?


Mit der Aufstellungsarbeit steht eine systemische Methode zur Verfügung, die Entwicklungsprozesse strukturell und emotional abbilden und diese hilfreich begleiten kann. Systemaufstellungen rücken damit weiter ins Zentrum von zukunftsgerichteten Versionen unternehmerischen, beraterischen und organisationalen Handelns. Aber wie können Systemaufstellungen in diesem Kontext konkret aussehen? Wie kann mit ihnen genau gearbeitet werden? Die Autorinnen und Autoren geben Einblicke in Arbeitskontexte für Systemaufstellungen jenseits therapeutischer Wirkungsstätten. Zahlreiche Vorgehensweisen, Fallbeispiele und Anwendungsbereiche werden praxisorientiert vorgestellt und mit systemischer Expertise reflektiert.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Dez. 2020
ISBN9783647994765
Aufstellungen im Arbeitskontext: Praxis der Systemaufstellung

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    Buchvorschau

    Aufstellungen im Arbeitskontext - Kirsten Nazarkiewicz

    Einführende Worte

    Die als »Familienstellen« etikettierte Aufstellungsarbeit ist längst nicht mehr auf therapeutische Tätigkeiten oder auf Familiensysteme beschränkt. Als bildgebendes und lösungsorientiertes Verfahren hat sie Eingang in den Methodenkanon von Organisationsentwicklung, Beratung, Training und Coaching gefunden. In zahlreichen beruflichen Kontexten wird die systemische Aufstellungsarbeit schon lange als Entwicklungs-, Supervisions- und Unterstützungsform eingesetzt sowie mit anderen Methoden und Techniken kombiniert. Vervielfältigt haben sich auch die Bereiche und Berufsgruppen, für die Aufstellungen zum Einsatz kommen.

    Das Jahrbuch 2020 gibt Einblicke in einige Felder, in denen die Aufstellungsarbeit erfolgreich und gegebenenfalls modifiziert verwendet wird. Gruppiert in drei Teile nach den drei Fokussen, Transformation, Non-Profit-Organisationen und Business, zeigt dieser Sammelband, wie vielfältig, variantenreich und originell Systemaufstellungen an die jeweiligen Kontexte angeschlossen werden.

    I Fokus Transformation

    Klaus Peter Horn eröffnet den Band mit persönlichen Reflexionen zur Rolle der »Systemaufstellungen in der digitalen Transformation«. Deren Konsequenzen auslotend, weist er auf die Anpassungserfordernisse hin, welche Organisationen und Menschen erbringen müssen, um sich auf die Logik der künstlichen Intelligenz einzustellen, und darauf, wie sich Machtgefüge verschieben. Aufstellungen haben im Informationszeitalter indes einen kaum wägbaren Mehrwert, da sie verborgene Dynamiken und damit Informationen verfügbar machen, welche digital nicht zugänglich sind – und das in Echtzeit. Fallbeispiele aus dem Aufstellungsalltag mit Führungskräften zeigen, dass die inneren Qualitäten und Grundlagen von Führung wie Empathie, Achtsamkeit oder Wahrnehmung von zwischenmenschlichen Dynamiken (noch) nicht digitalisierbar sind.

    Haben Sie schon einmal ein Ökosystem repräsentiert? Nikolaus von Stillfried, Marcus Andreas und Tim Lüschen geben Einblicke in Aufstellungsarbeit in Nachhaltigkeitskontexten, welche erlauben, tiefe Naturerfahrungen zu machen. Sie verleihen dadurch der Mitwelt eine Stimme und ermöglichen, Fragestellungen von Organisationen und Einzelnen, die sich auf Nachhaltigkeit beziehen, zu behandeln. Zuvor jedoch sind Übungen, Meditationen und Imaginationen zur Hinführung in die Immersion, das Eintauchen in Natur, hilfreich. Die Repräsentanz natürlicher Elemente führt zu folgenreichen Berührungen und kann politischen Wandel unterstützen.

    Georg Müller-Christ zeigt am Format der Erkundungsaufstellungen, wie der »Raum jenseits der Lösungsorientierung im Organisationskontext« aufgesucht und untersucht werden kann. Im Unterschied zum Problem-Lösungsdenken ist der Erkundungsmodus ein Vorgehen, bei dem verschiedene Potenzialitäten, also Möglichkeitskonstruktionen ausgelotet werden. Damit dies gelingt, ist davon auszugehen, dass die Beobachtenden Teil des Systems sind, verschiedene Konstellationen zusammenwirken, Unsicherheit eine Voraussetzung für Potenzialitäten ist und nicht zuletzt: Systeme dialogfähig sind. Es geht darum, die Systeme zu befragen, sie zu lesen, mit ihnen in den Austausch zu gehen. Das Vorgehen wurde insbesondere für die Anwendung im Führungs- und Organisationskontext entwickelt und der Appell des Autors lautet: »Listen to your systems!«

    Thomas Hafer wendet sich dem allgegenwärtigen Phänomen der Arbeitsverdichtung, Überforderung und Erschöpfung zu und beschreibt in seinem Beitrag »Die Kunst der Erholung« ein alternatives Stressmanagement in Führungskräfte-Retreats, bei dem der Aufstellungsarbeit eine zentrale Rolle zukommt. Weil die Aufstellungsarbeit Resonanzerlebnisse bietet, indem sie u. a. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit schult, mit dem Nichtwissen arbeitet und dem Spüren leiblicher Empfindungen Vorrang einräumt, ermöglicht sie Erfahrungen, die in der Eile des Arbeitsalltags kaum mehr gemacht werden können. Am Beispiel von Selbsterforschungsübungen zeigt der Autor, wie Systemaufstellungen die Lösung innerer Erschöpfungsmuster unterstützen können.

    II Fokus Non-Profit-Organisationen

    Ilse-Marie Herrmann lässt uns daran teilhaben, wie in ihrer Tätigkeit pädagogisches Arbeiten am Ton und Aufstellungen systematisch einhergehen und sich befruchten können. Entlang von Fallarbeiten zeigt sie, wie Ton als potenziell offenes Material sinnliche gestalterische Möglichkeiten bietet und wie die Prozessbegleitung mit systemischen Aufstellungen ebenso wie der Ton neue Perspektiven erschließt. Es ist insbesondere die Wechselwirkung der beiden Methoden unterschiedlicher Verkörperungsarbeit, welche – auch und gerade in Situationen der Sprachlosigkeit – Impulse für Bewegungen ermöglicht.

    Als 2015 in der Bundesrepublik viele Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete geschaffen wurden, waren der Bedarf an und die Notwendigkeit zur Improvisation gleichermaßen der Grund, weshalb es Freiräume gab, in denen Aufstellungsarbeit ausnahmsweise recht unbürokratisch ihren Weg in diese Behelfs-Institutionen fand. Christiane Hoffmann beschreibt anhand von Fallbeispielen, wie sie unter diesen besonderen Umständen gearbeitet hat und wie Aufstellungsarbeit in ihrer Eigenschaft, auch eine universelle Sprache zu sein, funktioniert hat.

    Eine der wenigen aktuellen Publikationen über die Anwendung von Aufstellungsarbeit in Gefängnissen kommt aus Spanien. Francisco Herrera Garrido und Maria Natividad Martínez Villar kombinieren als Team eine Expertise aus Sozialarbeit und Psychotherapie und konnten so seit 2008 Aufstellungsarbeit in einer Justizvollzugsanstalt etablieren. Sie beschreiben zunächst das Umfeld und wie sie vorgegangen sind, um in diesem stark reglementierten Raum genug Vertrauen und Sicherheit für Aufstellungen zu schaffen. Vornehmlich ist dies gelungen, weil eine ganzheitlich arbeitende Therapieabteilung bis in die Struktur der Anstalt hinein die Bedingungen für eine solche Gruppenarbeit mitgestaltete. Die Autor*innen identifizieren wesentliche Themen der Klient*innen, wie Schuld, Abhängigkeit, Opfer- und Tätersein, Wut oder Vernachlässigung, welche besondere Zuwendung brauchen. Sie beschreiben, wie sie durch regelmäßige Aufstellungswochenenden »Bewegungen« ermöglichen, die zu für alle heilsamen Perspektivenwechseln bis hin zu Selbstverantwortung und Versöhnung führen.

    Philipp Wradatsch bringt seine langjährige Erfahrung mit Aufstellungsarbeit in der institutionalisierten sozialpädagogischen Familienhilfe ein. Dies erforderte einige Pionierarbeit, denn involviert sind unterschiedliche Beteiligte wie die Familiensysteme selbst, Institutionen (Ämter, externe Leistungsträger), Krankenkassen, therapeutische, pädagogische und weitere Begleiter, die unterschiedliche Intentionen bezüglich einer Maßnahme haben, etwa was die Zielerreichung betrifft oder die Finanzierung. Der Autor führt in den Bereich mit seinen Spezifika ein und beschreibt sowohl Schwierigkeiten wie Vorgehensweise in der konkreten Arbeit.

    Horst Brömer, Christine Gräbs, Bianca Büter und Christiane Bennewitz haben eine umfassende Dokumentation verfasst, die auf zwölf Jahre Erfahrungen mit Aufstellungsarbeit in der Suchtrehabilitation zugreifen kann und ein anerkanntes Behandlungskonzept bereithält, das auch für ähnliche Institutionen eine hilfreiche, systemische Vorlage der Arbeit mit sucht- oder psychosomatisch erkrankten Menschen sein kann. Die Autor*innen beziehen alle Systemebenen in das Konzept ein: Erkrankte, Leistungsträger und -erbringer sowie die Familien. Sie geben darüber hinaus eine Einsicht in die konkrete Arbeitsweise mit Aufstellungen. So ist im Aufstellungssetting eine Stellvertretung für die Sucht obligatorisch und es werden auch reelle Angehörige eingebunden oder externe Therapeut*innen, welche die sich anschließende Einzeltherapie weiterführen.

    III Fokus Business

    Stefanie Rödel arbeitet als Business-Coach bevorzugt mit Aufstellungen. In ihrem Beitrag geht sie auf die besondere Eins-zu-eins-Situation im Business-Kontext ein und nutzt die hierfür typischen Settings mit Figuren, Objekten und Bodenankern. In Ihrem Beitrag beschreibt sie Fälle, Vorgehensweisen und auch ihren Umgang mit Herausforderungen aus ihrer Praxis. Dazu gehört unter anderem, welchen Kriterien sie folgt, wenn die Arbeit in die Grauzone zwischen Therapie und Coaching führt.

    Stephanie Hartung beschreibt den »Marken-Integrationsprozess« von Organisationen mit Hilfe der Aufstellungsarbeit. Sie überträgt und modifiziert dabei Elemente und Einsichten aus dem Format »Lebensintegrationsprozess (LIP)« von Wilfried Nelles (2014). Sie führt dafür ihr Verständnis von Marke und Organisation ein und geht davon aus, dass Organisationen sich in der Marke ihrer Identität und Vision bewusst werden. Die Autorin erläutert an Praxisbeispielen, wie der Markenkern als (unveränderliche) Ressource hier Orientierung bietet und welche Erkenntnisse aus den Erfahrungen abgeleitet werden können.

    An diese Gedanken anschlussfähig ist der Beitrag von Romy Gerhard, der das Format »Purpose Constellations« in der Unternehmenspraxis vorstellt. Unter »Purpose« wird in Anlehnung an Laloux (2014) der evolutionäre Sinn und Zweck eines Unternehmens verstanden, der eine Ressource für Impulse und Interventionen ist. Er wird in den entsprechenden Systemaufstellungen mit aufgestellt so dass das aktuelle Anliegen im Lichte des Potenzials des Systems betrachtet werden kann. Fragen wie Kapitalerhöhungen im dreistelligen Millionenbereich, eine Zielgruppenkonkretisierung oder Bauprojekte werden damit buchstäblich in den Zusammenhang eines größeren, für das System relevanten Ganzen gestellt.

    Über ihre methodischen Herangehensweisen bei »Organisationsaufstellungen im Kontext der Steuer- und Unternehmensberatung« berichten Peter Klein und Eva Maria Kroc. Sie erläutern, wie aus ihrer Erfahrung die ungewöhnliche, sehr spezielle Verbindung des analytischen Vorgehens aus der steuerlichen und unternehmerischen Perspektive mit der an Sachlichkeit und Zahlen orientierten Beratung und der auf Emotionen und ihren Einflüssen basierenden Orientierung an »Soft facts« gelingen kann. Hinsichtlich des Settings und Ortes, der Auftragsklärung und der Teilnehmenden sowie des Vorgehens u. v. m. steht die Aufstellungsleitung vor der Herausforderung, mehrere Erwartungsstrukturen im Blick zu halten und die je eigene(n) Berufsrolle(n) darüber kontinuierlich zu reflektieren. Die unterschiedlichen Fallstudien zeigen, wie Verquickungen zwischen betriebswirtschaftlichen und persönlichen Anliegen mit verschiedenen Aufstellungsformaten gelöst und konstruktiv begleitet werden können.

    Seit 35 Jahren praktiziert Michael Wingenfeld Aufstellungsarbeit in der Wirtschaft, die er – der Anschlussfähigkeit wegen – Konfigurationen nennt. Der Beitrag zeigt exemplarisch an Fallbeispielen und über verschiedene Stationen der vergangenen Jahrzehnte, wie zum Teil spontan entwickelte und später verfeinerte Aufstellungsformate entstanden sind, um Fragen zu klären wie die folgenden: Wie kann die Kapitalbindung eines Konzerns um die Hälfte reduziert werden? Oder: Wie kann eine durch internen Konkurrenzkampf induzierte Insolvenz eines Anlagenbauers verhindert werden? Neben einer Übersicht über zahlreiche kreative Formate gibt der Autor Empfehlungen, wie Aufstellungseffekte, speziell in der Industrie und in Workshops mit Technikern und Ingenieuren gelingen können. Dieser Beitrag steht für uns bewusst am Ende des Buches, weil er Pragmatik, Fülle und Selbstverständlichkeit von Aufstellungen in der Arbeitswelt – auch in ihrer digitalen Entwicklung – wiederspiegelt. In diesem Sinne rahmt er gemeinsam mit dem einleitenden Aufsatz von Horn die Beiträge des Bandes.

    So beeindruckend bereits diese Bandbreite von Einsatzkontexten und Formatvarianten ist, die Palette ist bei weitem nicht vollständig. Juristen und Mediator*innen stellen Konfliktparteien auf, um Lösungsansätze in verfahrenen Situationen zu finden; Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen machen Aufstellungen, um die Dramaturgie von Geschichte und Personen im Überblick zu sehen; Wissenschaftler*innen nutzen sie als erkenntnistheoretisches Tool, um Impulse für Theorien und Projekte zu generieren, Schulsozialarbeiter*innen und Lehrer*innen schauen sich die systemischen Zusammenhänge von Schulklassen an und vieles mehr. Diese und weitere Bereiche fehlen leider im Buch. Es beansprucht für sich keine Vollständigkeit, zeigt jedoch Entwicklungslinien hinsichtlich der Anwendung von Systemaufstellungen. Es lässt sich konstatieren, dass Aufstellungsarbeit als Methode übergreifend neuen und veränderten Perspektiven auf eine Weise dient, welche an der Bezogenheit von inneren (Körper, Psyche, Bewusstsein) und äußeren Räumen (Systeme) orientiert ist. Emotionale Qualitäten, Stimmigkeit und Kongruenz als Werte, organische Dynamiken und dergleichen sind bereits seit den 1990er Jahren und der Forschung zum Thema Emotionale Intelligenz nicht mehr nur auf persönliche und familiäre Bereiche beschränkt. Peter Salovey und John Mayer (1990) haben hierzu seit 1990 geforscht und diesen Begriff eingeführt, die Neurowissenschaft lieferte zusätzliche wichtige Erkenntnisse zur Bedeutung der Emotionen an all unseren Handlungen. In zunehmend mehr Feldern wurden Beziehungen als systemdynamische Grundkräfte anerkannt – also auch in Organisationen und hinsichtlich der dort gefundenen Störungen. Sie sind eng verknüpft mit Fragen nach Innovation, Absatzmärkten, Identitätsstärkung und Markenentwicklung, Teambildung und vielem mehr. Dazu passt, dass mit den Aufstellungen eine Methode entwickelt worden ist, die dieser nun als komplex erkannten Struktur gerecht werden kann. Denn Aufstellungsarbeit kann durch die Mehrdimensionalität, die durch das Arbeiten im konkreten Raum und mit verschiedenen Zeitebenen, durch die Gleichzeitigkeit der Interaktionen mehrerer Systembeteiligter und durch die Verkörperung von Situationen (statt der sonst oft kognitiv abstrakt bleibenden Fragestellungen) entsteht, diese Komplexität umfassender aufgreifen.

    Das Fremdeln der Arbeitswelt mit der emotionalen Seite der zu entwickelnden oder zu klärenden Belange hat erkennbar abgenommen. Die Beiträge und Erfahrungen der allesamt schon langjährig praktizierenden Autor*innen zeugen von damit einhergehenden Konsequenzen für die Anwender*innen. Erfolgsfaktoren für Aufstellungen in Arbeitskontexten sind neben dem Aufgreifen der Komplexität vor allem undogmatische Vorgehensweisen, welche dafür sorgen, dass die Anschlussfähigkeit in die jeweiligen Arbeitsfelder und Denkweisen gewährleistet ist, wozu u. a. gehört, wie man Aufstellungsarbeit als ernstzunehmendes Vorgehen einführen kann. Dies geschieht, indem man es entweder »einfach« pragmatisch tut und damit durch das Tun die Qualität der Aufstellungsarbeit erleben lässt oder die Aufstellungsarbeit genau und mit Qualitätskriterien versehen erklärt und systematisch einbettet: bis hin zu Modellen und institutionenübergreifenden Konzepten. Überhaupt ist quer durch die Artikel deutlich sichtbar, dass die Beiträge – selbst wenn sie den Begriff nicht explizit verwenden – Zeugnis von praktizierten und sichtbaren Qualitätsnachweisen geben. Insbesondere die tiefe Verbindung durch Immersion (Eintauchen) in die jeweiligen Felder, ihre Sprachgebräuche und Logiken ist auffällig.

    Eindrücklich ist auch die Kreativität der Leitenden hinsichtlich der Formate bei gleichzeitigem Festhalten an Essenzen der Aufstellungsarbeit (Nazarkiewicz u. Bourquin, 2019): der Arbeit mit dem Nichtwissen. Dies ist umso notwendiger, als sie nicht nur in Arbeitskontexten, die mit dem Neuen (Wissenschaft, Innovation, Zukunftsfragen) oder mit mythischen, künstlerischen und religiösen Bereichen (Theater, Film, Kirche) befasst sind, mit Unsicherheit arbeiten müssen. Sie behandeln (noch) nicht zugängliche und fassbare Themen und bedienen sich der Aufstellungsarbeit gerade deshalb: Weil hier Fragezeichen aufgestellt werden können, die implizites Wissen preisgeben, oder weil die Verwandtschaft der Figuren mit unserer Person heute empfindbar ist. Wenn es für die VUCA-Welt (ein Akronym für Volatility, Uncertainety, Complexity und Ambiguity) nicht schon ohnehin der Fall war, ist spätestens durch die durch Covid-19 entstandene Krisensituation ein Handeln und Entscheiden unter den Bedingungen der Nicht-Planbarkeit und Unsicherheit erforderlich geworden. Längst gibt es Managementmethoden wie etwa die Theory U von Scharmer (2015) oder Laloux (2014), welche Systematiken vorlegen, für die das evolutionär-integrale Vorgehen zwischen Nicht-Verstehen und Sinnfindung konstitutiv ist. Dass dieser Gratwanderung, welche sich darauf einlässt, Prozessen und emergenten Lösungen Vertrauen entgegenzubringen, der Zweifel begegnet, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch hilfreich für eine Weiterentwicklung. Die Skepsis in Arbeitskontexten gegenüber der Aufstellungsarbeit wie auch die Überwindung dieser Vorbehalte kann unserer Ansicht nach weder nur durch die sogenannte Hellingerkritik erklärt werden – die auch in diesem Band (wieder) einmal angesprochen wird, als Hürde nämlich, die Aufstellungsarbeit in Institutionen weiter und namentlich zu etablieren, nachdem sie zunächst recht offen angenommen wurde – als auch nur durch die uneinheitlichen Arbeitsweisen und Formate. Die Vorsicht gegenüber der Methode, die bis hin zum Argwohn reicht, lag und liegt auch in der ungewohnten Anerkennung einer nicht aufteilbaren Wirklichkeit: dem unbedingten Zusammenhang von Emotion und Kognition oder von Spiritualität und Faktizität. Sicher, der recht opake Begriff der Ganzheitlichkeit als Wert ist auch in der Arbeitswelt angekommen. Er findet Ausdruck in Konzepten zur Work-Life-Balance und in Aktivitäten in Bezug auf Nachhaltigkeit und ein Denken in globalen Dimensionen. Doch diese komplexere und umfassendere Wirklichkeit will auch erlebt und als Resonanzfeld genutzt werden: etwas, das – dies zeigen die Beiträge durchgängig – die Aufstellungsarbeit offenkundig bietet, ob mit konkreten Personen oder als Figuren- und Objektaufstellung. Wir dürfen gespannt sein, wie die Methode weiter genutzt wird und wirkt, wenn etwa Avatare oder andere Umsetzungen mit künstlicher Intelligenz eingesetzt werden und Interventionen bereits jetzt von Computerprogrammen vorgenommen werden. Die Beiträge in diesem Band und auch die anderen arbeitsweltlichen Aufstellungserfahrungen, die hier nicht enthalten sind, zeigen jedenfalls eindrücklich, dass mit der Methode einerseits die cartesianische Lücke weiter geschlossen wird und wie sie andererseits gleichermaßen eine Möglichkeit bietet, Raum für das Neue offen zu halten.

    Bei all dem können wir beobachten, dass den Systemaufstellungen mit zunehmender Selbstverständlichkeit und auch mit mehr Leichtigkeit begegnet wird, ob dies eine professionelle Experimentierfreude von Aufstellungsleiter*innen in beruflichen Settings betrifft – also einem Bereich jenseits von Lern- und Peergruppen – oder humorvolle Bemerkungen über die ja teilweise immer wieder sehr ungewöhnlichen Geschehnisse in Aufstellungen und die hier verwendete Sprechweise und Begrifflichkeit. Aufstellungsarbeit vereint mittlerweile alle wesentlichen Faktoren einer etablierten Methode: Sie ist in Theorie und Praxis weitgehend bekannt, wird von innen und außen kritisiert, beforscht und weiterentwickelt. Es bleibt zu hoffen, dass die augenzwinkernde Brechung ernster Themen und Anliegen durch die Zeichnungen von Detlef Dolscius ebenfalls als Raum für das Neue gesehen werden kann.

    Literatur

    Laloux, F. (2014). Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen.

    Nazarkiewicz, K., Bourquin, P. (Hrsg.) (2019). Essenzen der Aufstellungsarbeit. Praxis der Systemaufstellung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Nelles, W. (2014). Die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Der Lebensintegrationsprozess in der Praxis. Köln: Innenwelt Verlag.

    Salovey, P., Mayer, J. (1990). Emotional Intelligence. Imagination, Cognition, and Personality. Sage Journals, 9 (3), 185–211.

    Scharmer, C. O. (2015). Theory U. Leading from the Future as It Emerges. Oakland, CA: Berrett-Koehler Publishers.

    I Fokus Transformation

    Klaus P. Horn

    Das Lächeln der Roboter

    Systemaufstellungen in der digitalen Transformation

    In zwei Jahrzehnten praktischer Arbeit mit Systemaufstellungen im Unternehmenskontext hat mich keine Entwicklung so elektrisiert wie die digitale Transformation. Dabei bin ich weder besonders technikbegeistert noch verbringe ich mehr Zeit als nötig vor Bildschirmen. Es ist etwas anderes, was mein Interesse weckte: Begriffe wie »Disruption« und »Transformation«, die bisher eher zum Sprachgebrauch von Philosophen gehörten, fallen heute in vielen Teammeetings und fehlen in kaum einem Geschäftsführungs-Statement. Wo bislang allein Wissen und Rationalität den Ton angaben, ist nun auch von »Nichtwissen« und dem »Unbekannten« in der digitalen Zukunft die Rede. Viele sind verunsichert und fürchten um ihre Arbeitsplätze, weil sie den angesagten Jargon nicht sprechen und nicht hinreichend affin mit einer »schönen, neuen Welt« sind, in der Roboter Teammitglieder werden und Alexa und Siri erste nicht-menschliche Familienangehörige.

    Bisher ist es eher eine Art neuer Elite, die Werte wie Sharing, Community, Team, Lab, Co-Working oder Co-Creating aufnehmen und leben kann. Sie ist in ihrem Element, wenn über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg großzügig die wichtigste Ressource des neuen Zeitalters geteilt wird: Information. Wie aber können wir die vielen mitnehmen, die nicht im angesagten »Mindset« angekommen sind? Was brauchen Menschen, wenn sich alte Strukturen und Hierarchien auflösen? Das Gefühl, ernst genommen zu werden und dazuzugehören! Welcher Ansatz wäre geeigneter, diese Themen in den Blick zu nehmen als die Systemaufstellung?

    Kaum ein Unternehmen kann oder will die Mehrheit seiner Mitarbeiter durch solche mit »digitalem Mindset« ersetzen. Also müssen Unternehmer und Manager die Sorgen und Befürchtungen ihrer Mitarbeiter ernst nehmen! Wie fühlt sich eine Mitarbeiterin, wenn ihr Wissen, ihre Fachkompetenz und Berufserfahrung sowie ihre Denk- und Entscheidungsfähigkeiten plötzlich nichts mehr wert sind? Wie geht es einem Mitarbeiter, wenn er statt mit Kollegen mit Robotern sprechen und zusammenarbeiten soll? Wie reagiert sie, wenn ihr Job von künstlicher Intelligenz übernommen wird, die ihre Aufgaben fehlerfrei und schneller bewerkstelligen kann?*

    Das Ende der Leistungsgesellschaft?

    Ob in Europa oder Asien, ob in globalen Konzernen oder regional verwurzelten Familienunternehmen – die Herausforderungen von »Industrie 4.0« liegen in einer Symbiose, die es so noch nicht gab. Menschen mit ihren Emotionen, Bedürfnissen und Werten müssen sich auf die digitale Logik künstlicher Intelligenz einstellen – und diese wiederum auf unser unlogisches oder psycho-logisches Innenleben. Dafür braucht es Expertenwissen und neues Denken – vor allem aber ein neues Bewusstsein! Besonders deutlich wird das, wenn Digital-Visionäre von einer autonomen Produktion schwärmen.

    Das Szenario einer vollständig automatisierten Produktion, verbunden mit Online-Vermarktung und -Vertrieb macht aus der Mehrheit der heute erwerbstätigen Menschen beschäftigungs- und einkommenslose Konsumenten. Ohne Kaufkraft können sie allerdings die von Robotern hergestellten Güter der schönen, neuen Welt nicht erwerben. Sie brauchen also ein Einkommen. Woher soll das kommen, wenn nicht mehr aus entlohnter Tätigkeit? Die wenigen Herrscher über eine automatisierte Industrie würden es ihnen zur Verfügung stellen müssen, denn sonst blieben sie auf ihren selbstfahrenden Elektroautos und vernetzten Smart-Home-Einrichtungen sitzen! Das hätte eine gewisse Komik: Hersteller geben ihren eigenen Kunden Geld in die Hand, damit die ihre Waren kaufen können – so wie Kinder früher Kaufmannsladen gespielt haben. Das müsste dann wohl diskreter Weise indirekt über Unternehmensbesteuerung abgewickelt werden, mit der ein Grundeinkommen für alle finanziert würde. Welche sozialen Folgen hätte ein solches Szenario? Was würde eine beschäftigungslose Bevölkerung tun? Wie würde sie leben? Welche Konflikte wären zu erwarten? Welche Chancen würden sich eröffnen?

    Bisher werden Fragen nach dem Ende der Leistungsgesellschaft mit dem beschwichtigenden Hinweis beiseite gewischt, dass die digitale Transformation sogar mehr Arbeitsplätze schaffe als vernichte. Das wird sich zeigen – oder auch nicht. Hinter den Befürchtungen stehen allerdings auch diffuse Ängste. Sie werden von einem tiefen Ohnmachtsgefühl gespeist: Mit künstlicher Intelligenz (KI) fühlen sich viele einer unergründlichen Macht ausgeliefert. Sie wird wie eine gottähnliche Instanz erlebt, auf die wir keinerlei Einfluss haben. Zu den alten, persönlichen Gottheiten können die Menschen noch beten und so in eine Art Dialog mit der höheren Macht treten. Das ist mit KI nicht möglich, denn wir wissen sicher, dass sie von Menschen hergestellt wurde. Deshalb werden ihr auch keinerlei tröstliche Attribute wie Liebe, Güte und Weisheit wie unseren alten Göttern zugeschrieben. Schließlich kennen wir uns selbst zu gut, um daran zu glauben, dass unsere eigenen Humunculi mit uns Gutes im Schilde führen könnten.

    Systemaufstellungen in der Digitalisierung

    Mit der Anwendung der Aufstellungsmethode in vielen Ländern hat sich über die Jahre eine methodische Kompetenz entwickelt, deren Nutzen jetzt voll in den Blickpunkt rückt. Es wirkt fast so, als hätte sie sich für ihren Einsatz in der Digitalisierungs-Liga warmgelaufen. Im Spannungsfeld zwischen digitaler Effektivität und menschlicher Realität ist sie als Methode wie vielleicht keine andere dafür geeignet, Zusammenhänge nicht nur abzubilden, sondern Wirkungen und Ursachen bewusst erlebbar und erfahrbar werden zu lassen. Diese Verbindung rationaler Analyse mit Bauchgefühl und Intuition hat das Potenzial, Perspektivenwechsel und kreative Lösungen anzustoßen.

    Information ist die Schlüsselressource unserer Zeit. Doch digitale Information spricht nur einen Teil unserer menschlichen Wirklichkeit an – den des Machbaren und Zählbaren. Der besondere Mehrwert von Systemaufstellungen liegt in ihrer Fähigkeit, Informationen zu lesen, die rational und digital nicht zugänglich sind. Es sind verborgene, unsichtbare Dynamiken, die wir nicht immer definieren, aber deutlich spüren können. Unternehmenskulturen werden von ihnen geprägt und gefärbt. Von systemischer Stimmigkeit hängen die Zufriedenheit von Mitarbeitern, die Kreativität in einem Team und der Erfolg eines Unternehmens entscheidend ab. Systemaufstellungen nutzen eine intuitive Sprache, mit der wir alle vertraut sind, ohne sie jemals gelernt zu haben. Sie können helfen, verborgene Fallstricke in der Digitalisierung ans Licht zu bringen und Schieflagen auszugleichen.

    Information zweiter Ordnung

    Bewusstsein ist qualitative Information oder Information zweiter Ordnung. So wie Sie sich selbst beobachten können, während Sie lesen, also eine Information aufnehmen, können Sie das Sich-selbst-Beobachten auch im alltäglichen Handeln üben.

    Folgendes Beispiel verdeutlicht, wie sich das Sich-selbst-Beobachten in einer Konfliktsituation zwischen zwei Kollegen einüben und im Sinne einer hilfreichen Moderatorenrolle nutzen lässt:

    Zwei Kollegen haben ein Streitthema miteinander und bitten mich, ihren Konflikt zu moderieren. Während ich ihnen zuhöre, ist meine Aufmerksamkeit bei ihren verschiedenen Standpunkten, die ich versuche, nachzuvollziehen. Zugleich ist mir bewusst, dass ich nicht Partei ergreifen darf, wenn ich meine Aufgabe als Moderator erfüllen möchte. Wenn mir nun die Sichtweise eines Konfliktpartners persönlich näher oder die Person mir sympathischer ist, muss ich innerlich einen Schritt zurücktreten. Ich beobachte also nicht nur das Konfliktgespräch, sondern ebenso mich selbst mit meinen inneren Impulsen. Und ebenso wie ich keinen der Kontrahenten bevorzugen darf, verfahre ich auch mit meinen inneren Reaktionen. Gelingt es mir, meine emotionalen Impulse wahrzunehmen, ohne ihnen zu folgen, bin ich möglicherweise in der Lage, bewusst zu antworten, statt automatisch zu reagieren. Ich handele dann verantwortlicher. Das ist nicht einfach, denn eigene blinde Flecken können mir die Sicht verstellen, ohne dass ich es bemerke! Diese Gefahr wächst, je mehr Menschen an einem Entscheidungsprozess beteiligt sind.

    Im Unternehmensalltag geht es um Projekte, in die verschiedene Fachteams ihre unterschiedlichen Herangehensweisen einbringen. Innerhalb der Teams prallen gegensätzliche, individuelle Sichtweisen aufeinander. Was am Ende herauskommt, ist nicht allein von rationalen Gesichtspunkten bestimmt, sondern ebenso von zwischenmenschlichen Dynamiken, die unbewusst und daher auch unreflektiert Ergebnisse mitbestimmen. Deshalb ist Information über den Prozess – Information zweiter Ordnung – als Korrektiv so notwendig! Systemaufstellungen leisten genau das – und mehr! So wie ein einzelner Mensch durch Erkenntnis und Übung allmählich bewusster handelt, können auch Teams und Unternehmen beginnen, sich zu erkennen und zu verändern.

    Organisationen, Unternehmen und Märkte sind einerseits zu komplex, um sie allein analytisch vollständig beschreiben und abbilden zu können. Andererseits brauchen wir in diesen Systemen einen klaren Blick für ihre Tiefenstrukturen, um Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Wir brauchen ihn, um die blinden Flecken in unseren Kommunikations- und Entscheidungsprozessen zu erkennen. Ganz besonders gilt das, wenn wir in unserem täglichen Tun immer mehr den immensen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz überlassen sind.

    Aufstellungen können verborgene Dynamiken in einer Organisation sichtbar werden lassen. Warum geht es beispielsweise nach einer Fusion zweier Unternehmen der gleichen Branche abwärts? Warum stellen sich die gewünschten Synergie-Effekte nicht ein? Eine Aufstellung kann hier Klarheit bringen. Häufig zeigt sich, dass die Mitarbeiterinnen des zugekauften Unternehmens sich dem neuen Gesamtunternehmen nicht zugehörig fühlen. Die Suche nach pragmatischen Lösungen kann zu der Einsicht führen, dass es keine gute Idee war, den Namen des zugekauften Unternehmens nach dem Merger zu streichen. Die Mitarbeiter verlieren so ein Stück ihrer Identität. Bleibt der Name im neuen Gesamtunternehmen erhalten, etwa Unternehmen B in der Unternehmensgruppe A, fühlen sie sich eher einbezogen und verbunden.

    Mit erweiterter Information durch Systemaufstellungen kann ein

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