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PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL: Der Krimi-Klassiker!
PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL: Der Krimi-Klassiker!
PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL: Der Krimi-Klassiker!
eBook368 Seiten4 Stunden

PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Pater Randollph, der Ex-Football-Star und Pfarrer aus Chicago, erhält einen anonymen Drohbrief. Nichts Ungewöhnliches für einen Mann in seiner Stellung; aber vor ihm sind schon mehrere Amtsbrüder auf ähnliche Weise bedroht - und erschossen worden!

Randollph kämpft gegen einen religiösen Fanatiker, den die Presse Die Geißel Gottes nennt. Und er kämpft um sein Leben...

 

Der Roman Pater Randollph und der Schwarze Engel des US-amerikanischen Schriftstellers Charles M. Smith (* 1919; † 1986), der die Tradition von Chestertons Pater Brown fortsetzt, erschien erstmals im Jahr 1980; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im Jahr 1982.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum23. Aug. 2022
ISBN9783755419464
PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL - Charles M. Smith

    Das Buch

    Pater Randollph, der Ex-Football-Star und Pfarrer aus Chicago, erhält einen anonymen Drohbrief. Nichts Ungewöhnliches für einen Mann in seiner Stellung; aber vor ihm sind schon mehrere Amtsbrüder auf ähnliche Weise bedroht - und erschossen worden!

    Randollph kämpft gegen einen religiösen Fanatiker, den die Presse Die Geißel Gottes nennt. Und er kämpft um sein Leben...

    Der Roman Pater Randollph und der Schwarze Engel des US-amerikanischen Schriftstellers Charles M. Smith (* 1919; † 1986), der die Tradition von Chestertons Pater Brown fortsetzt, erschien erstmals im Jahr 1980; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im Jahr 1982.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    PATER RANDOLLPH UND DER SCHWARZE ENGEL

    Erstes Kapitel

    Am letzten Nachmittag seines Lebens sah John Wesley Horner zu, wie die schwache Februarsonne sich mühsam durch das dicke Buntglas in den vielfach unterteilten Fenstern seines Arbeitszimmers bohrte, und beglückwünschte sich zu dem heilsamen Aufschwung, den seine Lage genommen hatte.

    Die Farbkleckse, die das hereinfallende Sonnenlicht in unregelmäßigen Mustern auf das glänzende Walnussholz seines Schreibtischs und den dicken beigefarbenen Teppich tupfte, schienen ihm die Ereignisfolge seines Lebens zu symbolisieren. Zumindest in jüngster Zeit.

    Da war das Blau, kalt und freudlos. Und das melancholische dunkle Bernsteingelb. Diese beiden Farben standen für die Zeit in Phoenix, die Monate, die er am liebsten aus seiner Erinnerung gestrichen und aus seiner persönlichen Geschichte gelöscht hätte. Dabei waren die Voraussetzungen ideal gewesen – eine große Gemeinde, Ansehen in der Stadt, ein prachtvolles Haus, ein ausgezeichnetes Gehalt für einen Geistlichen.

    Aber dann hatte er sich mit diesem gottesfürchtigen Gauner, Alton Dinwiddie, eingelassen.

    Dinwiddie war seiner Kirche beigetreten, hatte einen Verein der Geschäftsleute für Christus organisiert, in einem Atemzug von seinen Investitionen und Gott seinem Herrn gesprochen. Horner hatte das Gefühl, dass Dinwiddie ein Schwindler war. Doch der gute Mann schenkte der Kirche ein Paket Anteile an seiner Investmentgesellschaft. Die Dividende war hervorragend, und Pastor Horner erging sich in begeistertem Lob über Dinwiddies Hochherzigkeit der Kirche gegenüber. Er sagte nichts davon, dass Dinwiddie auch dem Pastor persönlich ein Aktienpaket zum Geschenk gemacht hatte. Er wusste, dass er es nicht hätte annehmen sollen. Er wusste, er hätte nicht verhehlen dürfen, dass er es besaß. Hätte er nicht diese verdammten Aktien besessen, so hätte man ihm vergeben können. Die Leute hätten gesagt: »Gott, er ist eben ein weltfremder Seelenhirt und ließ sich von einem Schwindler, der seine Kirche unterstützt hat, aufs Kreuz legen. Er selbst hat ja nichts daran verdient.«

    Doch er hatte sehr wohl daran verdient. Und als Dinwiddie mit drei Millionen Dollar aus dem Verkauf von Schwindelpapieren an reiche Mitglieder von Horners Gemeinde verschwand, hatte Horner versucht geheim zu halten, dass er dieses Aktienpaket besaß. Dieser widerliche Schnüffler von einem Reporter hatte es irgendwie herausbekommen und die Sache so dargestellt, als wäre Horner an dem gemeinen Unternehmen, die Mitglieder seiner Gemeinde zu schröpfen, beteiligt gewesen. Daraufhin hatte sich die Gemeinde gegen ihn gewandt.

    Selbstverständlich hatte er nicht mit Dinwiddie unter einer Decke gesteckt. Oder doch? Er hatte von Anfang an Verrat gewittert. Er hatte daran gedacht, Erkundigungen über Dinwiddie einzuziehen. Doch als der Strom der Dividenden zu fließen begonnen hatte, hatte er seinen Argwohn vergessen. Oder hatte er sich vielleicht einfach blind und taub gestellt?

    Er löschte die hässlichen Tage und Wochen aus seiner Erinnerung. Das Ermittlungsverfahren. Wie er sich darauf berufen hatte, wohl ein Tor, aber ein redlicher zu sein. Er war freigesprochen worden, doch die finstere Wolke, die über ihm hing, hatte sich nicht aufgelöst. Er hatte erkennen müssen, dass diese Gemeinde ihn nicht mehr haben wollte. Die blauen Tage, die dunklen bernsteingelben Tage.

    Doch durch die bunten Glasscheiben fielen hellere und freundlichere Lichtflecken auf Schreibtisch und Teppich. Warmes Orange. Heiteres Rot. Ruhiges Grün.

    Gott sei Dank gehörte er einer Konfession an, wo ein Bischof das letzte Wort darüber sprach, wer Pastor welcher Gemeinde werden würde. Die Kirche konnte einen nicht an die Luft setzen, selbst wenn sie es am liebsten getan hätte. Und der Glaubensgemeinschaft lag gar nicht daran, dass ihre Pastoren – insbesondere die Pastoren großer und bekannter Gemeinden – unter skandalösen Umständen hinausgeworfen wurden.

    Es war sein Glück, dachte Horner, dass es zu jeder Zeit Pastoren genug gab, die aus diesem oder jenem Grund auf grünere Weiden ziehen mussten. Viele von ihnen waren Amtsinhaber in großen Gemeinden. Und die Bischöfe schoben sie hin und her, machten Tauschgeschäfte, die manchmal um drei und vier Ecken gingen. Es war gewissermaßen ein ewiges Bäumchen-wechsle-dich der Problempastoren.

    Auf diese Weise war er schließlich nach Alexandria Hills gelangt, einem wachsenden Vorort der gehobenen Mittelschicht im Nordwesten von Chicago. Die Gemeinde war nicht so groß wie die in Phoenix. Die Leute hier hatten nicht so viel Geld. Aber sie waren doch nicht arm. Und wenn auch das Klima unerquicklich war, so war doch das Pfarrhaus sehr schön. Ganz zu schweigen von den Dividenden, die er aus Dinwiddies Schwindel herübergerettet hatte. Damit hatte seine Frau eine völlig neue Einrichtung kaufen können. Und er sich einen Chevrolet Camaro.

    Das beste jedoch war, dass es ihm gelungen war, Beziehungen zur Chicago Times anzuknüpfen, und nun schrieb er dort jede Woche eine Spalte mit dem Titel Trost und Rat von Pastor Horner. Rührseliger Kitsch. Der Titel, und die Spalte eigentlich auch. Er hatte entdeckt, dass er ein Talent dafür besaß, den Leuten herzergreifende Plattheiten und fromme Phrasen zu servieren, die gefielen. Wichtiger war, dass nach solchem Zeug tatsächlich große Nachfrage bestand. Seine Spalte war bereits von einer Reihe anderer Zeitungen übernommen worden, und die Liste der Blätter, die ebenfalls einsteigen wollten, wuchs beinahe täglich. Sein Name war zwar kein Haushaltswort wie Billy Graham oder Norman Vincent Paele – aber er fing ja auch erst an. Auf jeden Fall hatte sein Pech sich zu seinem Glück gewandelt. Oder, wie er es lieber sah, er war aus der Finsternis der düsteren Farben, aus dem schattigen Blau herausgetreten. Er wandelte jetzt in der Helligkeit, die durch goldgelbe Scheiben auf Schreibtisch und Teppich floss und die er als Glorienschein göttlicher Anerkennung sah.

    Samstagnachmittag. Die Predigt für den Sonntag war geschrieben. Samstagnachmittags sah er gewöhnlich die Briefe durch, die auf die Trost-und-Rat-Spalte vom vergangenen Sonntag eingegangen waren. Er beantwortete sie alle. Meistens schrieb er eine 1, 2 oder 3 auf einen Brief und legte ihn in den Ausgangskorb. Seine Sekretärin wusste dann, welche Standardantwort sie zu verwenden hatte. Kamen Briefe, auf die keine der Standardantworten passte, so machte er im Allgemeinen am Rande eine kurze Notiz.

    Ein großer Stapel Briefe heute. Die Spalte vom letzten Sonntag hatte Anklang gefunden. Mit einem goldenen Brieföffner, der wie ein Dolch aussah, schlitzte er einen Umschlag auf.

    Lieber Pastor Horner,

    ich finde es großartig von Ihnen, dass Sie jeden Samstagabend in die Krankenhäuser gehen, um den Kranken Mut zuzusprechen...

    Es waren viele Briefe dieser Art darunter. Er hatte das vorausgesehen. Er hatte ja in seiner Spalte beschrieben, dass die samstäglichen Besuche in den Krankenhäusern eine Gewohnheit waren, an der er in den langen Jahren seines Wirkens als Geistlicher stets festgehalten hatte. Nach dem Abendessen pflegte er zu einem der städtischen Krankenhäuser zu fahren, um mit den Kranken dort zu sprechen, nicht mit Mitgliedern seiner eigenen Gemeinde, sondern mit Menschen, die keinen Geistlichen hatten, der sie trösten und mit ihnen beten konnte. Er hatte sogar eine Liste der Krankenhäuser beigefügt, die er aufzusuchen pflegte – »In der letzten Woche war ich im Columbus-Krankenhaus; diese Woche ist das Wesley Memorial-Krankenhaus an der Reihe, nächste Woche...«

    In Wirklichkeit machte er diese Besuche erst seit er angefangen hatte Trost und Rat von Pastor Horner zu schreiben. Für die Spalte waren sie ein guter Gag, aber auf die Dauer konnten sie einem ziemlich auf die Nerven gehen. Es gab zwar Patienten, die für seine Besuche dankbar waren, aber die meisten schickten ihn fauchend und schimpfend von dannen. Er hielt die Besuche im allgemeinen so kurz, wie das mit Anstand möglich war; sobald es irgend ging, wollte er sie ganz fallenlassen.

    Er schlitzte wieder einen Brief auf. Ein billiger ungefütterter Umschlag, kein Absender. Solche Briefe bekam er viele, doch die Adresse war gewöhnlich mit der Hand geschrieben. Hier war sie mit Maschine geschrieben. Auf dem liniierten Blatt, aus einem Block herausgerissen, stand ein Gedicht, ebenfalls mit Maschine geschrieben.

    Der gute Jack Horner kam zu uns aus Phoenix, wo er sein Schäfchen ins trockne gebracht.

    Er ging sich was holen von Dinwiddies Kohlen Und hat sich eins ins Fäustchen gelacht.

    Der gute Jack Horner gibt Trost und Rat jetzt, und alle Welt preist die Güte des Frommen, doch der kreuzbrave Mann ist ein Erzscharlatan und wird bald die Quittung bekommen.

    Horners warmes Behagen wandelte sich zu einem kalten Schauder der Furcht. Er hatte sich daran gewöhnt, mit dem unerfreulichen Gedanken zu leben, dass eines Tages jemand auftauchen und seinen guten Namen, in harter Arbeit erworben und wohlverdient, in den Schmutz ziehen könnte, indem er die unerquickliche Geschichte mit Dinwiddie an die große Glocke hängte. Er sah diese drohende Katastrophe als eine Verleumdung, nicht als eine Enthüllung seiner Vergangenheit. Schließlich hatte er ja nichts wirklich Unrechtes getan. Er war einfach zu vertrauensselig gewesen, allzu arglos. Würde er denn auf ewig für diesen gutgemeinten Fehler bezahlen müssen? Alles lief jetzt so prächtig. Er wusste, dass ein übelwollender Verleumder die Geschichte seines aus reinem Herzen begangenen Fehltritts nur auf boshafte Weise zu verdrehen brauchte, um ihn zu erledigen.

    Bald jedoch wich die kalte Angst glühendem Zorn. Bei Gott, sollten sie es wagen, ihn zu verleumden! Er würde kämpfen! Er würde klagen! Er hatte dank seiner Spalte eine große Anhängerschaft, und er würde sie als Waffe einsetzen, seine Gegner blutig zu schlagen. Im Geist begann er einen Text zu formulieren:

    Liebe Freunde, mit tiefer Trauer musste ich wieder einmal feststellen, dass selbst jene unter uns, deren Herzen voller Liebe sind, sich Feinde schaffen. Unerwünschte Feinde, die aus irgendwelchen finsteren Motiven heraus – Eifersucht oder Hass oder schlichter Gemeinheit – jenen schaden wollen, die sich bemühen, Gutes zu tun. Eben dies widerfährt jetzt mir, und ich möchte Ihnen darüber berichten...

    Er verspürte tiefe Erleichterung. Diesmal hatte er die Zügel in der Hand. Er schlitzte den nächsten Umschlag auf, einen rosafarbenen.

    Sehr geehrter Pastor Horner,

    in allem, was Sie schreiben, spiegelt sich Ihre große Güte...

    Er fühlte sich wesentlich besser.

    John Wesley Horner trat aus der Tür des Wesley Memorial-Krankenhauses und schlug seinen Mantelkragen hoch. Ein feuchtkalter Wind wehte vom See her. Er schritt die Straße hinunter zum Parkplatz, dann diagonal über den Platz zu seinem Wagen. Auf dem Mitfahrersitz des Autos neben dem seinen saß jemand, und ihm ging der Gedanke durch den Kopf, dass dem Betreffenden ziemlich kalt sein musste, wenn er schon lange da gesessen hatte.

    Doch nach Städterart zollte er anderen Menschen rundherum geringe Aufmerksamkeit.

    Pastor Horner neigte sich vornüber, um den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Es ist zu bezweifeln, dass er das dumpfe Krachen der drei kleinkalibrigen Kugeln hörte, die seinen Hinterkopf durchbohrten.

      Zweites Kapitel

    Cesare Paul Randollph, ehemaliger professioneller Footballspieler, Doktor der Philosophie, ordinierter Geistlicher, band seine Krawatte und dachte über das Leben nach. Genauer gesagt, er dachte über sein eigenes Leben nach. Noch genauer gesagt, er dachte über die merkwürdigen und unerwarteten Wendungen nach, die sein Leben in einem kurzen Jahr genommen hatte.

    Vor weniger als einem Jahr noch hatte er in dem Seminar an der von freundlichen Winden gestreichelten Küste des Pazifiks als Professor für Kirchengeschichte ein Leben heiterer Ruhe gepflegt. Bis ihm die Einladung seines Freundes und ehemaligen Dekans, des jetzigen Bischofs von Chicago, ins Haus geflattert war, auf ein Jahr als Interimspastor die Good-Shepherd-Kirche in Chicago zu betreuen.

    Der Name Good-Shepherd – zum guten Hirten – war, wie er entdeckt hatte, eine absolute Fehlbezeichnung. Er bezweifelte, dass je auch nur ein Schaf auf zehn Meilen an die Kirche herangekommen war. In jenen Zeiten vielleicht, als Chicago noch ein primitiver Handelsplatz gewesen war und die Kirche ein Missionshaus zur Bekehrung der Indianer, hatte man von einer ländlichen Gemeinde sprechen können. Jetzt aber hatte sie nichts Bukolisches. Die Kirche nahm die ersten drei Stockwerke eines Wolkenkratzers ein, der auf dem sündteuren Pflaster des Loop in Chicago stand. Dass sich hier eine Kirche befand, merkte man überhaupt nur, wenn einem die diskrete Anschlagtafel neben dem schweren messingbeschlagenen Portal auffiel, das in ein pompöses Foyer mit Kacheln und Marmor und einer Reihe von Aufzügen hineinführte. Oder wenn man den Hals reckte und den unpassenden gotischen Spitzturm erblickte, der das Gebäude krönte. Er sah ein bisschen aus wie ein dickes, auf den Kopf gestelltes Ausrufezeichen, das verkündete: »Ihr werdet es nicht glauben, aber das hier ist eine Kirche!«

    Tatsächlich vereinigte der Standort der Kirche christliche Frömmigkeit und ausgeprägten Geschäftssinn in sich – gewissermaßen ein lebendiges Beispiel der protestantischen Ethik. Als die Grundstückspreise im Loop mit dem schnellen Wachstum Chicagos in die Höhe geschossen waren, konnten es sich die Geschäftsleute der Gemeinde nicht verkneifen, Sonntag um Sonntag über den hohen Wert des Stück Landes nachzudenken, auf dem ihre düstere alte Kirche pseudoromanischen Stils stand. Der Ertrag, der jährlich stieg, war von so schwindelerregender Höhe, dass es ihnen jedes Mal Schmerzen bereitete, wenn sie in die Kirche kamen und darüber nachdachten; die Folge war, dass es ihnen unmöglich wurde, mit gottgefälliger Herzensreinheit den Gottesdiensten zu folgen.

    So bauten sie schließlich einen Wolkenkratzer, der nicht nur die Kirche beherbergte, sondern auch ein Hotel und Büros. Aus Miet- und Pachtverträgen gingen stattliche Summen ein, und die harten Geschäftsleute der Gemeinde konnten sich nun sonntags wieder ganz auf den Gottesdienst konzentrieren.

    Es war fast ein nachträglicher Einfall, in den achteckigen Sockel des gotischen Turms ein zweistöckiges Penthaus als Pfarrwohnung einzubauen; die Räume hatten zwar eine etwas sonderbare Form, doch insgesamt war es eine luxuriöse und spektakuläre Wohnung.

    »Es ist bestimmt nicht von Nachteil, wenn wir einen erstklassigen Pastor für unsere Kirche suchen«, hatte einer der Stiftungsverwalter gesagt. »Außerdem ist es sowieso nur ungenutzter Raum.«

    Als er damals die Einladung des Bischofs angenommen hatte, ging es Randollph jetzt durch den Sinn, hatte er darin eine Herausforderung an das Schicksal gesehen. Insgesamt hatte das Schicksal ihn freundlich behandelt. Er hatte vorgehabt, das eine Jahr zu bleiben und dann an das Seminar zurückzukehren. Doch in der vergangenen Woche hatte er seine Professur aufgegeben. In der folgenden Woche sollte er zum ständigen Pastor der Good-Shepherd-Kirche ernannt werden. Und auch sein unabhängiges Junggesellenleben war er im Begriff aufzugeben. In einer Stunde etwa würde er mit einer bezaubernden rothaarigen, geschiedenen, ehemals presbyterianischen Agnostikerin namens Samantha Stack getraut werden, Chicagos beliebtester Fernsehmoderatorin. All dies war innerhalb von zwölf Monaten reichlich Veränderung für einen Mann im Herbst seiner Jugend oder im Frühling seiner mittleren Jahre.

    »Die Good-Shepherd ist keine normale Kirche, C. P.«, hatte der Bischof vor einem Jahr gesagt, als er Randollph dazu überredet hatte, zwölf Monate lang die Gemeinde zu betreuen.

    »Was ist denn eine normale Kirche, Freddie?«, hatte Randollph gefragt.

    »Ach, klein, immer in Geldnöten, unfähig, ihren Pastoren ein angemessenes Gehalt zu zahlen.«

    »Und Good-Shepherd?«

    »Da gibt es keine Geldprobleme. Die Kirche ist mit großzügigen Stiftungen und ausgezeichneten Einkünften aus dem Hotel und den Büros versorgt. In bin nicht sicher, dass es für eine Kirche gut ist, aber dem Pastor erleichtert es auf jeden Fall das Leben.«

    »Eine große Mitgliedschaft?«

    »Nicht besonders. Alte Familien. Angesehene Protestanten Chicagos. Aber die wohnen in den Vororten.«

    »Wer kommt dann in die Kirche?«

    »Touristen. Tagungsteilnehmer. Wir befinden uns ja hier in der unmittelbaren Nähe der großen Hotels.«

    »Ich werde also weniger einer Gemeinde predigen als einer bunt zusammengewürfelten Menge.«

    »Wenn Petrus das konnte, dann können Sie das auch«, hatte der Bischof guten Muts geantwortet. »Er hatte schließlich nicht mal einen Doktortitel, und Sie haben einen.«

    Die Kapelle, die dem Schiff der Good-Shepherd-Kirche mehrere Jahre nach ihrer Erbauung angefügt wurde, ist gotisch. Pseudogotisch natürlich, aber sie ist mit allem ausgestattet, was gut und teuer ist, und sie ist recht schön. Für kleinere Trauungen ist sie sehr begehrt, und es gilt in Chicago als chic, dort den Knoten der ehelichen Bande zu knüpfen, wenn man nicht mehr als hundert Gäste geladen hat.

    Die Kapelle hat sogar eine Orgel, die extra für sie gebaut wurde. Tony Agostino der Organist von Good-Shepherd, spielte ein Potpourri passender Hymnen, das das gedämpfte Rumoren und Flüstern von fünfzig oder sechzig Gästen übertönte.

    Tony stimmte ein Stück von Purcell an, und Lieutenant Michael Casey sagte: »Los geht’s, Doktor.«

    Randollph war sich ein bisschen komisch vorgekommen, als er Lieutenant Casey gebeten hatte, sein Trauzeuge zu sein. Sie waren nicht eng befreundet. Sie nannten einander nicht einmal beim Vornamen. Doch als es an der Zeit gewesen war, einen Begleiter zu wählen, war Randollph klargeworden, dass der Kriminalbeamte in Chicago der einzige war, den er als Freund hätte bezeichnen können. Alle seine alten Freunde und Kumpel waren in Kalifornien. Die meisten lehrten am Seminar und konnten sich eine so weite Reise nicht leisten.

    Randollph und Casey stellten sich an den Chorschranken auf. Der Bischof und Dan Gantry, erster stellvertretender Pastor von Good-Shepherd, kamen zur gleichen Zeit herein, sehr feierlich mit den weißen Stolen über den langen Talaren.

    Tony ließ die Orgel ein wenig lauter dröhnen. Thea Mason, hochgewachsen, braungebrannt und – wie Randollph fand – ein wenig hart wirkend, kam durch den Gang. Samantha Stack, am Arm von John DeBeers, wartete, bis Thea ihren Platz an den Chorschranken eingenommen hatte.

    »Ich habe keinen Vater, der mich zum Altar führen kann, aber ich möchte gern einen Begleiter, und John DeBeers ist nicht nur mein Chef, sondern auch ein Mann, den ich mag«, hatte Sam gesagt, als sie Randollph ihre Wahl erklärt hatte.

    Tony Agostino legte nochmals etwas an Lautstärke zu, und Randollph blickte Sam und DeBeers entgegen, die zwischen den Kirchenbänken hindurchschritten. Es war wie eine jener Traumszenen, die man hin und wieder im Kino sieht. Wirklich und unwirklich zugleich. DeBeers sah er überhaupt nicht. Er sah nur, wie da die schönste, interessanteste, begehrenswerteste Frau auf der ganzen Welt auf ihn zuschwebte – ja, genauso sah er es, sie schwebte. Sie trug ein rostfarbenes Samtkostüm mit lose sitzender Jacke, einen geraden Rock mit tiefer Gehfalte, dazu eine cremefarbene Bluse aus Crêpe de Chine und rostfarbene Pumps.

    So würden die Zeitungen in ihren Berichten von der Hochzeit die Braut beschreiben. Randollph wäre um alles in der Welt nicht fähig gewesen zu beschreiben, was sie anhatte. Sein Footballerauge konnte innerhalb von Sekundenbruchteilen eine Verteidigungslinie überblicken, genau erkennen, wo jeder Mann stand, was jeder einzelne vorhatte, sobald der Ball geschnappt war. Jetzt aber sah er nur eine Vision, ohne Einzelheiten, ohne Besonderheiten wahrzunehmen.

    Die schöne Vision schwebte zur Chorschranke und strahlte Randollph mit einem ruhigen Lächeln an. DeBeers trat vom Altarplatz weg, um sich neben seiner mageren, mürrischen Frau niederzusetzen. Der Bischof räusperte sich.

    »Liebe Gemeinde«, begann er, »wir sind hier im Antlitz Gottes und in Gegenwart dieser Zeugen versammelt, um diesen Mann und diese Frau in der heiligen Gemeinschaft der Ehe zu verbinden...«

    Dann sagte Dan Gantry: »Euch beiden, die Ihr hier vor Gott steht, trage ich auf, Euch stets zu erinnern, dass Liebe und Treue allein die Grundlage eines glücklichen und dauerhaften Heims bilden. Kein von Menschen geknüpftes Band ist zarter, kein Gelübde heiliger...«

    Randollph nahm verschwommen wahr, dass er sagte: »Ich, Cesare, nehme dich, Samantha, zu meiner Ehefrau...«, dass die Ringe getauscht wurden, dass er die steinernen Stufen zum Altar hinaufstieg, wo der Bischof sie zu Mann und Frau erklärte. Und ebenso verschwommen nahm er wahr, dass er neben Samantha niederkniete und mit der Gemeinde das Vaterunser sprach, dass der Bischof sie beide segnete, die Braut küsste und dass Blitzlichter sie übersprühten, als sie Arm in Arm den kurzen Gang hinunterschritten. Flüchtig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er von jetzt an den werdenden Ehemännern, die unter seinem amtlichen Auge ihrem Junggesellendasein Lebewohl sagten, mehr Geduld entgegenbringen würde. Er konnte jetzt ihre Verwirrung und ihre tranceähnliche Benommenheit besser verstehen, konnte sogar verstehen, weshalb manche von ihnen mit einer kleinen Alkoholfahne vor den Altar traten.

    Randollph verspürte keinerlei Bedürfnis auf den Champagner, den eine hübsche junge, von Clarence Higbee zu diesem Anlass angeheuerte Bedienung den Gästen kredenzte. Er war noch immer leicht benommen von der Trauungsfeierlichkeit. Doch die Braut amüsierte sich königlich. Sie schwenkte ein leeres Glas, um dem angeregten Gespräch, das sie mit einer Schar von Gästen führte, zusätzliche Akzente zu geben. Randollph nahm zwei Gläser vom Tablett der Bedienung und gesellte sich zu Sams Gruppe.

    »Eine Erfrischung für die Braut«, sagte er, während er Sam ein volles Glas reichte und ihr das leere abnahm.

    Sam blendete ihn mit einem Lächeln, in das er Liebe, Zuneigung, Stolz, Glückseligkeit und einen Anflug begehrlicher Sinnlichkeit hineinlas. Die Knie wurden ihm weich. Keine andere Frau auf der ganzen Welt konnte ihn so schwach machen. Und er hatte genug schöne Frauen gekannt, um das zu wissen.

    Sam fühlte sich gar nicht schwach.

    »Willkommen bei den Fachsimplern, C. P.«, sagte sie. »Kennt Ihr alle meinen neuen Ehemann, den einstigen Footballstar und hervorragenden Geistlichen, C. P. Randollph?«

    »Oh ja, ich natürlich«, erwiderte John DeBeers.

    Tatsächlich, dachte Randollph, bin ich ihm nur ein einziges Mal begegnet. Doch er mochte DeBeers. Zum Teil weil Sam ihn mochte, zum Teil weil er persönlichen Charme besaß. Sam hatte ihm erzählt, dass er fünfundfünfzig Jahre alt war, doch mit dem vollen blonden Haar und dem stämmigen, muskulösen Körper, an dem kein Gramm Fett war, sah er nicht so aus. Sam hatte Randollph berichtet, dass er viel auf seine Gesundheit hielt. So sah er auch aus.

    »Und ich auch«, warf Thea Mason ein. »Ich würde ihn sogar gern eine Woche ausleihen, wenn die Flitterwochen vorbei sind. Ich hab eine Schwäche für kräftige Sportler mit dunklem Haar. Von der hohen Geistlichkeit halt ich zwar nicht allzu viel, aber ich bin bereit, das zu übersehen.«

    »Du wirst schön die Hände von ihm lassen«, entgegnete Sam. »Die Flitterwochen gehen nicht vorbei – nie!«

    »He, das ist gut. Das bring ich morgen in meiner Spalte. Fernsehstar erklärt, Flitterwochen mit gutaussehendem Seelenhirten werden niemals enden.«

    »Sobald die Dame aufhört zu babbeln, werde ich Ihnen verraten, dass ich John DeBeers Junior bin.« Der schmächtige, dunkelhaarige Mann hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem Vater. »Ich bin Nachrichtensprecher beim WCHG – dem Sender meines Vaters. Sams Sender. Vetternwirtschaft natürlich! Bitte nennen Sie mich nicht Junior. Nennen Sie mich Johnny.«

    »Ich werd’s mir merken«, sagte Randollph.

    »Ich habe Sam geliebt. Und liebe sie immer noch. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«

    Randollph brachte eine wohlwollende Erwiderung zustande.

    »Ich könnte mir denken, dass jeder Mann in sie verliebt ist.«

    »Wie nett!«, warf Sam ein. »Aber bei Johnny war es Lust, nicht Liebe. Er wollte mich nur ins Bett kriegen.«

    »Da hast du natürlich nicht ganz unrecht«, meinte der jüngere DeBeers.

    »Und du warst mal im Priesterseminar«, bemerkte eine zierliche junge Frau mit einem Madonnengesicht. »Aber, aber!« Sie wandte sich Randollph zu. »Ich bin Marva Luscome, ebenfalls Nachrichtensprecherin beim WCHG. Eine Mitarbeiterin also dieses Herrn.«

    »Sie waren auf dem Priesterseminar?« Randollph war an der Antwort nicht allzu sehr interessiert.

    »Ja, auf einem katholischen.«

    »Oh, Sie sind Katholik?«

    »Nein. Nicht mehr. Meine Mutter ist katholisch. Sehr katholisch sogar. Eine Katholikin der alten Schule. Mein Vater ist Protestant – war Protestant. Jetzt ist er eigentlich nichts mehr. Und ich auch nicht, seit mir klargeworden ist, dass ich der Priesterschaft nichts abgewinnen kann.«

    »Wahrscheinlich hast du irgendein Mädchen geschwängert und bist rausgeflogen«, bemerkte Marva mit einem Lächeln, das einer Heiligen zu Gesicht gestanden hätte.

    DeBeers lief rot an und war einen Moment lang verwirrt.

    »Du hast eine böse Zunge, Marva, mein Kind.«

    »Ja, das ist mir schon öfters gesagt worden. Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Pater Randollph.«

    Damit ging sie.

    »Also ich finde, an ein bisschen gesunder Lust gibt’s nichts auszusetzen«, stellte Thea Mason fest, um die peinliche Pause zu überbrücken.

    »Du lieber Himmel, was würde denn dein Papa sagen, wenn er dich jetzt hören könnte? Ihr Vater war ein baptistischer Geistlicher«, erklärte Sam den anderen.

    »Er würde sagen, Lasset uns für die Seele dieser armen Sünderin beten«, versetzte Thea. Sie sah Randollph an. »Das ist der Grund, weshalb ich für die hohe Geistlichkeit nicht allzu viel übrig habe, Pater. Zeigen Sie mir das Kind eines strengen, feuerspeienden Geistlichen, und ich zeige Ihnen einen Kirchenhasser.«

    »Ja, das ist wahrscheinlich häufig der Fall.« Randollph fiel keine andere Antwort ein, und er wollte sich auf keine Diskussion zu diesem Thema einlassen.

    »Und immer sind sie arm, diese Leute!« Thea war jetzt in Hitze geraten. »Von einer lumpigen kleinen Kirche werden sie zur nächsten versetzt, die noch schlimmer ist. Diese sogenannten Christen machen sich’s leicht! So was von Geiz! Ein Buch könnt ich darüber schreiben! Jedem gerissenen Wanderprediger zahlten sie einen ganzen Pott voll Geld. Und was haben sie uns bezahlt? Das niedrigste Gehalt, das sie uns andrehen konnten. Es gibt genug Geistliche, die Ihre Stellung bei diesem Gehalt nur allzu gern übernehmen würden, Pater, sagten die Diakone immer. So leid es

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