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(No) more Future!: 24 Science-Fiction-Stories
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eBook344 Seiten4 Stunden

(No) more Future!: 24 Science-Fiction-Stories

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Über dieses E-Book

Dieses E-Book ist die erweiterte Neuauflage »No Future!«; enthalten sind 24 Science-Fiction-Kurzgeschichten, die zwischen 2009 und 2021 in Zeitschriften und Anthologien erschienen sind. Die Erzählungen sind teils utopisch, teils dystopisch, angesiedelt auf der Erde und im Weltall, zwischen sehr naher und sehr ferner Zukunft - und sogar in der Vergangenheit. Mit dabei sind die üblichen Verdächtigen (Außerirdische, Astronauten, Ingenieure und Zeitreisende), doch auch Menschen wie Du und Ich, die sich mit den manchmal etwas zweifelhaften Errungenschaften von Technik und Gesellschaft herumschlagen müssen.

 

Drei Geschichten sind unter dem gleichen Titel gesondert als Gratis-Leseprobe erhältlich. »Relokation« wurde 2018 für den Deutschen Science-Fiction-Preis als beste Kurzgeschichte nominiert.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum29. Jan. 2019
ISBN9783743873742
(No) more Future!: 24 Science-Fiction-Stories

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    Buchvorschau

    (No) more Future! - Olaf Lahayne

    Schwarmverhalten

    Ginge es ruhiger zu im Café d’Abeilles, dann würde womöglich irgendwer das Knirschen, Knacksen und Knistern in der Decke noch rechtzeitig registrieren. So aber wird es übertönt vom Geplapper der Gäste, vom Geklapper des Geschirrs, vom Surren der Klimaanlage, vor allem aber vom Surround Sound der gerade laufenden Sportübertragung. Selbst als an einem Ecktisch auf das Kokos-Schoko-Eis eines Gastes einige Kalkbrösel niederrieseln, bleibt dies unbemerkt; es sind gerade noch der Geschmacks- und der Tastsinn des Eiskonsumenten, die sich mit seiner Mahlzeit befassen. Alle anderen Sinne werden von der Übertragung beansprucht: Schließlich läuft das Finale der Darts-WM, natürlich in 3D, und die Kamera-Mikro-Drohnen wetteifern darin, wer schneller und länger um die Spieler herum kreisen kann. So verliert man zwar ab und an die Zielscheibe aus dem Blick; dafür sausen die in das Café hineinprojizierten Wurfpfeile oft knapp über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Das sorgt regelmäßig für amüsiert-erschrockene Ausrufe, und vor allem bei Zeitlupen greifen einige Zuschauer gar kühn in die Flugbahn der Geschosse. Das hat freilich nur ein kurzes Aufflackern der Pfeil-Bilder zur Folge. Als die mit dem Eis-Esser am Ecktisch sitzende Frau nach einem weiteren Flugobjekt über ihrem Kopf schlägt, bekommt sie aber plötzlich etwas zu spüren – und mehr als nur etwas: »Was soll- Aua! Verflucht, was ist das!?«

    Ihr Begleiter erkennt rasch, was da an der Rechten der Frau haftet: »Eine Mecha-Bee!? Wo kommt die denn her? Hat sie dich gestochen, Liebling?«

    Eine höchst überflüssige Frage: Da die Frau ihre zitternde Hand auf Augenhöhe hochhält, kann ihr Gegenüber unschwer erkennen, was vorgefallen ist – und ebenso die Gästeschar ringsum: Das kinderfingerlange, chromglänzende Flugobjekt hat beide Minirotoren gestoppt, die vier Flügel angelegt sowie die hinteren Körpersegmente teleskopartig ausgefahren. Diese Segmente verjüngen sich bis zum Körperende, doch dieses selbst hat sich bereits in den Daumenballen der Frau gebohrt. Am vorderen Körperende fixieren drei schwarze Knopfaugen das Opfer. Dieses vermag erst dann den Blick von der Mecha-Bee abzuwenden, als am Nachbartisch ein Anzugträger nach oben deutet: »Da sind noch mehr davon!«

    Prompt taucht er unter den Tisch ab, und seine hosenbeanzugte Begleiterin tut es ihm umgehend nach. Die anderen Anwesenden folgen seinem Fingerzeig und entdecken so, was er sah: Aus einem Loch in der Decke, das sich mit dezentem Knacken weiter öffnet, quellen im Sekundentakt Mecha-Bees hervor. Ehe die Gäste so recht begreifen, was vor sich geht, haben die Angreifer schon über allen Café-Tischen Stellung bezogen. Dann stürzt ein Dutzend Fliegerstaffeln, begleitet von Mini-Stuka-Summen, synchron auf die Tische hinab – beziehungsweise auf die sich dort darbietenden, zumeist sehr zuckerreichen Mahlzeiten und Getränke.

    Nach ein, zwei Schrecksekunden bricht im Publikum prompt Panik aus: Wer kann, eilt zu den Türen; andere kriechen unter Tische, Stühle und Bänke; einige erstarren einfach. Ein besonders verwegener Gast greift nach einem Plastiktablett: »Verdammte Robo-Brummer: Von mir kriegt ihr nichts!«

    Damit schwingt er das Tablett nach zwei Angreifern, die seine Sahnetorte umkreisen. Die Brummer weichen nach oben und unten aus, doch der zweite Schwinger erwischt zumindest einen der Eindringlinge: »Volltreffer!«

    Der Mann dreht das Tablett um, erwartend, auf der Rückseite ein zerschmettertes Mecha-Insekt vorzufinden. »Nanu?«

    Erst als sich das Objekt bewegt, bemerkt der Torten-Verteidiger, dass das Wesen stattdessen auf dem Handrücken seiner Rechten sitzt. Rasch nimmt er das Tablett in die Linke, doch während er noch zum Schlag ausholt, biegt das blank-blinkende Krabbeltier den Hinterleib schon nach unten und aktiviert seinen Stachel. »Au! Verdammt, tut das weh!«

    Unterdessen drückt sich der Besitzer des Cafés gegen eine Zimmerpalme im Zentrum des Etablissements. Erst auf diesen Schmerzensschrei hin überwindet er seine Erstarrung, und er dreht sich zur Glastheke um. Hinter dieser kann man nicht nur Torten, Kuchen und andere Köstlichkeiten entdecken, sondern auch einen kauernden Angestellten: »Fritz: Lös den EMP aus; mach schon!«

    Trotz des herrschenden Tohuwabohus bekommen das viele Gäste mit, und die Mehrzahl ist nicht sonderlich angetan von der Idee: »Nein, nicht: Mein Smartphone!«

    »Meine neue Uhr!«

    »Mein Computer!«

    Eine ältere Frau ist ebenfalls alles andere denn erbaut – allerdings aus anderem Grund: »Sie können einen elektromagnetischen Puls abfeuern!? Ja, worauf warten Sie denn noch? Stoppen Sie diese Technik-Monster!«

    Der Angestellte namens Fritz zögert freilich: »Chef!? Soll ich wirklich?«

    »Zehn Sekunden!«, schreit darauf der Besitzer in die Runde. »Wer dann nicht draußen ist … Meine Versicherung zahlt nicht! Los, Fritz!«

    Drei Glücklichen gelingt es gerade noch, Tablet, Handy und Computer zu krallen und zur Tür hinauszustürzen. Dann betätigt Fritz einen grellroten Taster gleich neben der Kasse. Erwartungsvoll blickt sein Chef zur Decke hoch, und zwei Dutzend Blicke folgen ihm: Denn dort fahren nun aus einem rauchmelderartigen Objekt zwei Drähte hervor. Ehe die meisten Zeugen sich die Ohren zuhalten oder den Blick abwenden können, zuckt zwischen den Drähten ein fingerdicker Blitz, begleitet von einem Donnerschlag, der die Scheiben scheppern lässt.

    *

    Sobald Gäste und Personal wieder etwas sehen und hören können, stellen sie fest, dass der Mini-EMP höchst wirksam war: Die Sportübertragung ist gestoppt; in nur wenigen Ecken des Cafés brennt noch Licht; ein Putzroboter rotiert unter einer Bank um sich selbst, und auf dem Boden liegen Dutzende Mecha-Bees, einige noch zuckend, andere leicht qualmend. Weitere Un-Artgenossen rutschen langsam von Eiskugeln hinunter, klatschen in Tassen, Gläser und Flaschen oder gleiten quietschend an der Sichtscheibe der Theke hinab. Während der Besitzer erleichtert seufzt, schreien einige Gäste erneut auf: Teils aus Frust über ihre geschrottete Technik, teils aber auch triumphierend; sodann werden viele der bruchgelandeten Flugobjekte zertreten und zertrampelt, bis auf dem bisher so blanken Granitboden die Funken stieben.

    Nach und nach beruhigt sich die Menge. Auch der Anzugträger sowie seine Begleiterin nehmen schließlich wieder ihre Plätze ein.

    »Siehst du, Helene: Alles halb so wild«, befindet der Mann, während er seinen ein wenig derangierten Anzug wieder zurechtzupft.

    Die Frau wirkt weniger gelassen: »Mag ja sein, Kurt. Aber gewöhnen möchte ich mich an so was echt nicht.«

    »Brauchst du auch nicht; wirst schon sehen.«

    Unterdessen eilt auf einen Wink des Besitzers hin eine Mitarbeiterin mit Besen und Kehrschaufel durch das Café, um die Mini-Wracks zusammenzukehren. Der Eis-Esser verfolgt dies schadenfroh, während er und seine ebenso rundliche Begleiterin sich wieder an ihren Ecktisch setzen. »Die hätten mal lieber bleiben sollen, wo sie herkamen.«

    Die Frau, die gerade jenen Erstangreifer aus ihrer Hand zupft, versteht nicht gleich: »In der Fabrik? Beim Hersteller?«

    »Nein, bei den Bäumen, Blumen und Blüten da draußen«, erklärt der Mann, während er mit spitzen Wurstfingern einen Robo-Brummer aus seiner Cola fischt. »Schließlich sind die Dinger ja zum Bestäuben da – und um Honig zu liefern.«

    Die Frau kühlt unterdessen ihre anschwellende Hand mit Vanilleeis: »So was wäre nie passiert, wenn wir die richtigen Bienen, Wespen und Hummeln nicht ausgerottet hätten.«

    »Ach Gott; das geflügelte Kroppzeugs konnte auch recht lästig sein. Hallo! Hier sind noch zwei Teile!«

    Letzteres richtet sich an die Sauberfrau. Die offeriert darauf dem Pärchen nicht nur einen bereits halb vollen Abfalleimer, sondern auch ihre Sicht der Dinge: »Tja, die Mecha-Bees wurden halt darauf programmiert, stets die ergiebigste Nahrungsquelle anzusteuern. Und es ist es eben effizienter, an einer Cola zu nippen, anstatt bei hundert Blüten Nektar einzusammeln.«

    »So was kann ja passieren.«

    Der Mann quittiert diese Bemerkung seiner Begleiterin mit einem unwilligen Blick, während beide je ein Brummer-Wrack in den Eimer schleudern: »Ach ja? Na, dann waren die Programmierer aber ziemlich dämlich! Und noch dämlicher war’s, diese Teile so zu bauen, dass sie sich allein vermehren können.«

    »Tja, das ist halt künstliche Intelligenz«, meint die Café-Angestellte, während sie die Überreste im Eimer scheppern lässt. »Müsste man die alle einzeln fertigen, womöglich noch warten und reparieren … So können sie sich nicht nur eigenständig reproduzieren, sondern als Kollektiv auch lernen.«

    Am Nebentisch hat der Anzugträger namens Kurt diesen Dialog verfolgt: »Sie scheinen sich gut auszukennen?«

    »Oh, ich studiere eigentlich Informatik. Aber irgendwie muss man halt die Uni-Gebühren finanzieren.«

    Die Eis-Esserin nickt verständnisvoll, während sie sich den geröteten Daumenballen reibt: »Ja, das ging mir auch so; damals- Aber was brummt da eigentlich so? Sind da noch irgendwo Mecha-Bees am Leben?«

    Die Angestellte blickt zuerst in den Abfallbehälter; dann sieht sie sich suchend um: »Kann eigentlich nicht sein. Der Chef hat den Mini-EMP ja erst letzten Monat besorgt, als klar war, dass solche Attacken keine Einzelfälle bleiben würden. Das Modell sollte auch gegen die jüngste Generation der Mecha-Bees wirksam sein, meinte der Hersteller; immerhin liefert der 20 Kilovolt pro Meter.«

    Der Gast bestätigt das, indem er auf seine Uhr blickt: »Keinen Schimmer, ob das viel ist. Aber selbst meine teure IT-Watch ist hinüber – und die sollte EMP-proof sein. Sind Sie sicher, dass das Teil da oben legal ist?«

    »Davon gehe ich mal aus«, entgegnet die Teilzeitstudentin, bei der der Groschen unterdessen centweise fällt. »Wir … Scheiße, nicht das! Fritz, ist der EMP wieder aufgeladen?«

    Der Mann hinter der Theke blinzelt seine Kollegin verständnislos an: »Aufladen? Was meinst du, Iffi? Ich habe den noch nie benutzt – bis eben, heißt das.«

    Der Cafébesitzer hat sich zwischenzeitlich um die Kasse gekümmert; nun eilt er an die Seite seiner Angestellten: »Der braucht eine Viertelstunde zum Aufladen, meinte der Vertreter. Wieso?«

    Die Frau namens Iffi blickt nun wieder zur Decke hoch, zu einem Punkt unweit des Loches, durch das die Angreifer in das Café gelangten: »Kürzlich gab es doch Berichte, dass manche Mecha-Bee-Schwärme angeblich erst eine kleine Angriffswelle losschicken. Wird am Ziel ein EMP ausgelöst, so erfolgt dann in der Nachladezeit die eigentliche Attacke.«

    Der Anzugträger zeigt sich skeptisch: »Klingt doch arg nach Urban Legend.«

    »Unter anderen Umständen würde ich Ihnen zustimmen. Aber nun …«

    Sie zeigt nach oben, und da begreift auch ihr Chef: »Fritz: Lade das Teil wieder auf – sofort!«

    »Äh … wie geht das denn?«

    Aber da ist es ohnehin zu spät: Nur einige Handbreit entfernt vom ersten Loch tut sich knirschend eine zweite Öffnung in der Decke auf, kaum mehr als daumendick, doch noch ehe die Kalkbrösel auf dem Fußboden aufschlagen, quellen die ersten Eindringlinge aus dem Loch hervor. Mit jeder Sekunde folgen zehn und mehr Mecha-Bees. Freilich nimmt sich niemand die Zeit, sie zu zählen: Stattdessen stürzen die wenigen Glücklichen, denen nicht sofort der Rückzug abgeschnitten ist, zum Ausgang; alle anderen retten sich wieder unter die Tische, zwischen die Stühle und hinter die Theke. Unter Ecktisch und Eckbank drängen sich Iffi, ihr Chef und die beiden Gästepaare: »Zum Teufel, wo kommen die her!?«

    Ebenso wie der Besitzer muss auch seine Angestellte schreien, um das Summen, Brummen und Surren der Angreifer zu übertönen; man könnte meinen, ein Dutzend im Leerlauf ratternde Bohrmaschinen würden quer durchs Café flattern. »Die müssen sich in der abgehängten Decke eingenistet haben, zwischen all den Installationen.«

    »Warum hat sie der EMP nicht alle erledigt?«

    »Vielleicht wegen der Wärmedämmung? Das Metall der Folien …«

    »Wen schert das?«, brüllt der erneut um Eis und Cola geprellte Gast. »Wichtig ist: Wie werden wir die wieder los?«

    »Solche Attacken dauern nur zehn, fünfzehn Minuten, hieß es; eben so lange, wie das Aufladen braucht. Dann ist meist eh alles erbeutet, was verzehrbar ist.«

    Iffis Auskunft ist nicht gerade angetan, ihren Chef zu beruhigen: »Die ruinieren mich! Zum Teufel, wer erfindet so etwas!?«

    Dass Helene und Kurt darauf rasche Blicke wechseln, entgeht den anderen. Auch die Gegenfrage der Frau versteht man kaum: »Wären Ihnen denn diese Gen-Monster echt lieber?«

    »Gen-Monster!?«

    Kurt findet wenig Gefallen an dieser Bezeichnung: »Nun, es gibt ja auch Bestrebungen, die Honigbienen durch andere Insekten zu ersetzen. Durch speziell gezüchtete, genetisch optimierte Arten.«

    Der Eis-Esser begreift nun: »Meinen Sie dieses gentechnisch gebastelte Kroppzeugs? Halb Wespe, halb afrikanische Killerbiene, halb Urzeitinsekt?«

    Ehe Kurt etwas erwidern kann, setzt die Eis-Esserin noch eins drauf: »Wurde das nicht eh verboten?«

    »Nicht für den kommerziellen Einsatz genehmigt«, präzisiert Kurt. »Tests sind gestattet – habe ich irgendwo gelesen … Wenn ich mich nicht täusche, sah ich sogar einen Schwarm ganz in der Nähe.«

    Er blickt die Studentin bedeutsam an. Darauf nickt diese eifrig: »Ja, stimmt. In dem Baum beim Bäcker auf der anderen Seite vom Platz. Bei denen mag schon niemand mehr draußen vorm Laden sitzen: Angeblich wittern diese Tiere Süßwaren auf hundert Meter.«

    Ihr Chef ist alles andere als begeistert: »Gott, das wird ja immer besser. Die sollen doch auch Menschen attackieren!?«

    Kurt schüttelt energisch den Kopf – soweit das in seiner kauernden Position möglich ist: »Ach was, Schauermärchen! Wetten, die werden mit den Mecha-Bees im Handumdrehen fertig?«

    Der Eis-Esser ist skeptisch: »Im Ernst?«

    »Finden wir’s raus!«

    Und ehe womöglich jemand widersprechen kann, schiebt sich die Teilzeitstudentin vorsichtig unter dem Tisch vor. Die anderen fünf verfolgen mit angehaltenem Atem, wie die Frau zur Kuchentheke hinüberrobbt, wobei mehrere Mecha-Bee-Staffeln knapp über sie hinwegsummen.

    »Zum Teufel, was hat sie vor?«, murmelt ihr Chef.

    Die anderen antworten nicht; stattdessen beobachten sie, wie Iffi an der Theke abwartet, bis gerade kein Flugobjekt in Reichweite ist. Dann richtet sie sich auf und stemmt die armlange Granitplatte, die den Abschluss der Theke bildet, aus der Halterung. »Achtung!«

    Mit diesem Ausruf schleudert sie die Platte zur Fensterfront direkt hinter dem Ecktisch hinüber. »Was tust du-«, kann ihr Chef gerade noch ausrufen; dann klirrt es krachend; die fünf unter dem Tisch drücken sich noch tiefer zu Boden und schützen ihre Köpfe mit den Armen vor den herabscheppernden Scherben.

    Nachdem das Klirren geendet hat, scheint für einige Atemzüge Stille zu herrschen. Dann merkt man, dass das mechanische Summgebrumm zwar kurz gedimmt, aber nicht gestoppt ward. Ehe irgendwer das kommentieren kann, nimmt man ein anderes Geräusch wahr: auch dies eine Art Summen, Brummen und Sausen, aber dissonanter, unregelmäßiger und weniger synchron als das der Mecha-Bees. Deren Geknatter verlagert sich daraufhin; so wagt es der Chef, unter dem Tisch hervorzuspähen: »Zum Teufel, Iffi, was sollte das? Jetzt hast du die Killerbienen angelockt!«

    »Das wollte ich ja, Chef!«, antwortet es von der Theke her. »Eben Teufel mit Beelzebub austreiben und so. Und es funktioniert: Da, schaut!«

    Darauf wagen sich auch die beiden Pärchen wieder ein wenig vor; so können sie mit angehaltenem Atem verfolgen, was Iffi meint: Rund um jenes Austrittsloch schwärmen Hunderte echte, lebendige Insekten, gefärbt wie Bienen, doch deutlich größer und in tieferer Tonlage brummend. Einige sind bereits dabei, in die Öffnung einzudringen. Gleichzeitig eilen ihre mechanischen Un-Artgenossen herbei.

    »Warum wollen die Biester ausgerechnet da rein?«, fragt sich darauf der Eis-Connaisseur.

    Seine Begleiterin ist schon einen Schritt weiter: »Die Killerbienen wittern garantiert das Honiglager – und die Mecha-Bees verteidigen es!«

    »Wenn das mal gut geht!«, murmelt Helene, wobei sie einen besorgten Blick auf den neben ihr kauernden Kurt wirft. Der bemerkt dies jedoch gar nicht; stattdessen verfolgt er gebannt, wie die neuen Angreifer bemerkenswert behände in die Behausung der Konkurrenz eindringen. Die artifiziellen Ex-Angreifer wechseln darauf in den Verteidigermodus und folgen den schwarz-gelben Flugobjekten. Schließlich verlagert sich das Summgebrumm zum Großteil in das Innere des Gemäuers; dort dröhnt es derart munter weiter, dass es den Kalk von der Decke rieseln lässt.

    Kurt zeigt sich angesichts dessen geradezu begeistert: »Was für ein Fight: Großartig!«

    »Schön, wenn es wenigstens einem gefällt«, entgegnet der Inhaber. »Mein Gott, die zerlegen mir den Laden!«

    Aber auch andernorts bleibt Kurts Bemerkung nicht unbemerkt: Ein paar Dutzend Insekten, die vorher das Einflugloch umkreist haben, ändern schwärmenderweise ihre Flugrichtung und streifen für einige Augenblicke durchs Café, ehe sie sich über eben jenem Ecktisch sammeln. »Zum Teufel, was-«

    Aber ehe der Inhaber den Satz beenden kann, stoßen die Insekten hinab: nicht auf ihn, sondern auf Kurt: »Au! Was-? Lasst mich!«

    Helene rückt so weit als möglich von ihrem Begleiter ab, doch befassen sich die Angreifer ohnehin nur mit Kurt. Wie der sich in die Ecke getrieben sieht und bereits einige Stiche abbekommen hat, springt er unter Bank und Tisch hervor: »Ihr undankbaren Monster; haut ab!«

    Er eilt in Richtung Ausgang, wobei er panisch mit den Armen die Insekten abzuwehren versucht. Dies misslingt jedoch; stattdessen handelt er sich so in rascher Folge weitere Stiche an Händen und Armen ein. Auch unter die Hosenbeine krabbeln einige Angreifer, und als Kurt sie abzustreifen versucht, stürzt er – auf halbem Weg zur Tür, aber fast unter der Deckenspalte – der Länge nach über einen Stuhl. Erst darauf stürzen sich alle Insekten in Reichweite auf dieses neue Opfer, und während Kurt brüllt, zappelt und sich hin und her wälzt, kommt aus dem Loch sogar noch Verstärkung herbei.

    Helene ist froh, dass das folgende Geschehen durch Tische und Stühle ihrem Blick entzogen ist; Kurts Gebrüll langt ihr. Aber auch das endet nach ein, zwei Minuten. Dann lassen alle Angreifer von dem Mann ab und verschwinden wieder in der Spalte. Dahinter summt und brummt es noch einige Minuten weiter, aber nach und nach wird es auch dort leiser; so wagen sich mehr und mehr Gäste aus der Deckung hervor. Schließlich herrscht Stille, doch es dauert noch geraume Zeit, bis die Überlebenden dem Frieden trauen.

    *

    Einige Stunden später haben fast alle Gäste das Café verlassen; zurückgeblieben ist ein mittleres Chaos sowie eine auffallend leere Stelle auf dem Boden, wo Kurt niedergestürzt ist. Nur noch eine Person sitzt auf den Sitzmöbeln: nämlich Helene, die mit starrem Gesichtsausdruck einsam an jenem Ecktisch verharrt. Alle anderen Anwesenden – Iffi, Fritz, ihr Chef, einige Feuerwehrleute sowie zwei Polizisten – umstehen eine Leiter; auf dieser steht ein Mann im Schutzanzug mit einer Axt in den Händen unter den Ein- und Ausfluglöchern. Ehe er aber die letzten Sprossen erklimmt, blickt er fragend den Brandmeister an, der zu seiner Rechten steht. Der wiederum wendet sich an einen Kollegen, der einen Taster in der Hand hält, welcher mit seinem Rucksack verkabelt ist: »Ist der EMP aufgeladen?«

    Der Befragte checkt darauf nochmals die grün blinkende LED am Taster: »Alles bereit.«

    »Okay. Sobald da oben irgendwas hervorkommt, was Flügel hat … Du weißt, was zu tun ist. Noch eine Leiche können wir hier nicht gebrauchen.«

    »Alles klar, Chef.«

    Darauf blickt der Brandmeister zum Schutzanzugträger hinauf: »Also gut. Herr Spinnweb, guter Mann, nehmen Sie Ihre Waffe zur Hand, erschlagen Sie mir eine rotbeinige Hummel auf einem Distelkopf und bringen Sie mir den Honig!«

    »Äh … Häh?«

    »Hau einfach ein Loch in die Decke, Mann!«

    Prompt beginnt der Feuerwehrmann, die Decke mit der Axt zu traktieren. Es braucht nur wenige Schläge; dann quillt eine zähe, goldgelbe Masse hervor, durchsetzt mit den Überbleibseln echter und künstlicher Insekten. Schnell springen die Zuschauer zurück, sodass das Gemenge ihnen nicht auf den Kopf, sondern auf den Steinfußboden tropft.

    »Schade um den Honig«, befindet Iffi, nachdem sie – höchst vorsichtig – den kleinen Finger in die Masse gesteckt und abgeleckt hat.

    »Hätten den besser woanders gehortet«, erwidert der Besitzer des Cafés. »Dass das wirklich klappt, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben … Nun gut; an die Arbeit!«

    Darauf machen er und Fritz sich daran, das Chaos zu beseitigen. Die Feuerwehrleute vergrößern es allerdings fürs Erste noch, indem sie weitere Löcher in die Decke schlagen, was jedoch nur noch wenige Insekten zutage fördert. Die Polizisten verfolgen dies eine Weile; dann sichern sie Spuren, indem sie die ›Leichen‹ einiger geflügelter ›Täter‹ eintüten.

    Iffi hat sich unterdessen neben Helene gesetzt. Nachdem sie sich davon überzeugt hat, dass niemand auf sie achtet, legt sie ihre Linke auf die leicht verkrampft verschlungenen Hände der jungen Witwe: »Alles okay bei dir?«

    »Ja, ja; danke«, entgegnet Helene ebenso leise und ohne ihre Haltung zu ändern.

    »Tut es dir leid? Leid um ihn?«

    Erst auf diese Frage hin blickt Helene Iffi an. Sie überlegt eine Weile; dann schüttelt sie nachdrücklich den Kopf: »Nein. Es war richtig. Es war nötig. Kurt …«

    Iffi nickt; sie glaubt zu verstehen: »Jetzt ist es geschafft: Nach der Geschichte ist sein Projekt ebenso tot wie Kurt selbst. Sorry, wenn das jetzt hart klingt: Aber die Idee, genmanipulierte Insekten freizusetzen und dann auch noch auf die Mecha-Bees zu hetzen, um deren Unterlegenheit zu beweisen … Hätte dein Mann mich gebeten, ihm dabei zu helfen, hätte ich ihm meine Meinung gegeigt. Aber da der Vorschlag von dir kam – und da du ja auch gewisse Hintergedanken dabei hattest …«

    Iffi lächelt zweideutig. Das bringt die andere Frau eher in Verlegenheit: »Um ehrlich zu sein, assistierte ich Kurt früher auch ganz regulär bei solchen Feldtests: Rekrutierung von Mitarbeitern, Planung, Dokumentation … Solche Tests waren unter Bienenzüchtern gang und gäbe. In Kurts Unternehmen war das Routine.«

    »Tja, als es nur um ›normale‹ Bienen ging, hatte auch wohl kaum wer ein Problem damit. Aber so … Ein Wahnsinn! Ich hoffe nur, sie erwischen auch noch die letzten Test-Schwärme!«

    Damit blickt sie zu den Feuerwehrleuten hinüber, die immer noch dabei sind, Insektenüberbleibsel ans Tageslicht zu bringen. Auch Helene verfolgt dies eine Weile, ehe sie antwortet: »Ob Kurt echt wusste, was er da tat? So sterben zu müssen …«

    »Es war widernatürlich, was sein Unternehmen mit diesen Insekten tat, und die Natur hat sich gerächt«, erklärt Iffi nachdrücklich. »Zumindest wird diese Botschaft in der Öffentlichkeit ankommen, und das war ja das Ziel, nicht wahr? Keine Sorge; niemand wird je herausbekommen, dass die Insekten vom Pheromon-Konzentrat in Kurts Atem angelockt wurden. Also, theoretisch wusste ich ja, dass das Pheromon das Signal zur Drohnenschlacht gibt, aber dass das so heftig sein würde … Apropos, nur der Neugierde halber: Wann hast du ihm das Konzentrat eigentlich verpasst?«

    »Als er zur Toilette war, da gab ich’s in seine Limo«, erklärt die Witwe mit einem flüchtigen Blick auf die Uhr. »Mein Gott; ist das wirklich erst sechs Stunden her?«

    »Tja, inzwischen dürften die letzten Pheromon-Reste schon zerfallen und zersetzt sein«, befindet Iffi. »Jedenfalls meint Alexander, dass nach spätestens fünf Stunden nichts mehr nachweisbar sein sollte. Also, auch auf die Gefahr hin, pietätlos zu sein: Meinen Glückwunsch zum Millionenerbe!«

    Helene nickt nur und schluchzt ein letztes Mal.

    Himmelsboten

    Wenn Sie, geschätzter unbekannter Finder dieser Luft-Flaschenpost, meine Aufzeichnungen lesen, werde ich längst tot sein – und höchstwahrscheinlich nicht nur ich allein. Wie ich sterbe, wie viele mit mir sterben werden, das werden die nächsten Stunden entscheiden.

    Aber zur Sache. Mein Name ist Georgij Antonowitsch Herschel. Womöglich sagt Ihnen mein Name etwas. Falls nicht, dürfen Sie sich gerne an der Akademie der Wissenschaften zu Sankt Petersburg erkundigen, wo ich zwanzig Jahre Astronomie gelehrt habe. (Ich hoffe, dies wird noch möglich sein!) Eventuell haben Sie auch von meinen Verwandten gehört, die in Deutschland und England ebenfalls als Wissenschaftler tätig waren und sind. Womöglich wissen Sie auch von dem Projekt, zum ersten Mal ein astronomisches Teleskop auf einem Luftschiff zu betreiben; ein Projekt, das die Professoren Ziolkowski, Ogilvi sowie meine Wenigkeit über Jahre vorangetrieben haben. Vielleicht haben Sie sogar mitverfolgt, wie vor zwei Jahren dann die ›Serafim‹ in Sankt Petersburg zum ersten Mal aufstieg; schließlich waren neben dem Zaren und allen Professoren der Akademie auch mehrere Zehntausend Schaulustige anwesend. Auch auf die Gefahr hin, unbescheiden zu wirken: Ein Luftschiff wie unseres gab es noch nie: 300 Meter lang, 400.000 Kubikmeter Traggas, eine Nutzlast von 1000 Tonnen, eine 30köpfige Besatzung … Aber ich will Sie nicht mit Details langweilen; zudem ist die Zeit knapp. Jedenfalls befinde ich mich nun an Bord der ›Serafim‹, und neben mir, im Zentrum der Observatoriums-Plattform auf der Oberseite des Luftschiffes, steht der 50-Zentimeter-Refraktor, an dem ich seitdem arbeite.

    In letzter Zeit mag es recht still geworden sein um unser Schiff: Erstens gab es keine spektakulären Pannen; zweitens ist unsere Arbeit den Blicken der Öffentlichkeit weitgehend entzogen. Wir reisen in Höhen von mehreren Tausend Metern; außerdem ist das Observatorium dank der kardanischen Aufhängung sowie der Dampf-Düsen passiv und aktiv stabilisiert. Daher haben wir fast jede Nacht gute Beobachtungs-Bedingungen, zumeist Bedingungen, wie

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