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3 St. Pauli Krimis: Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut
3 St. Pauli Krimis: Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut
3 St. Pauli Krimis: Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut
eBook522 Seiten6 Stunden

3 St. Pauli Krimis: Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut

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Über dieses E-Book

Der Inhalt dieses E-Books entspricht ca. 450 Taschenbuchseiten.

Die Romane enthalten explizite Darstellungen von Sex und Gewalt. Daher sind sie nur für Leser ab 18 Jahren geeignet.

Rot-Licht-Tot

Als Christian in einem Stundenhotel auf St. Pauli neben einem toten Transvestiten aufwacht, hat sich sein harmloser Musical-Trip nach Hamburg in einen Alptraum verwandelt.

Er steht unter Mordanklage, hat kein Alibi, seine Frau ist spurlos verschwunden. Und wer ist die geheimnisvolle Killerin, vor der die halbe Stadt zittert? Was für eine Rolle spielt der brandgefährliche Psychopath Keder?

Nachtherrin

Die sexy Killerin Angstfrau ist aus Hamburg verschwunden, um in der holländischen Hauptstadt wieder aufzutauchen. Sie hat mit der Nachtherrin noch eine Rechnung offen. Und dann gibt es auch noch einen Serienmörder, der in ihrem Leben eine große Rolle spielt.

An den Grachten geht es blutig, aber auch sehr heiß zu ...

Eisenbraut

Jasmin muss tagtäglich kämpfen, um hinter Gittern zu überleben. Sie kann ihrer dunklen Vergangenheit nicht entfliehen. Christian muss feststellen, dass die Dinge ganz anders sind, als er es glaubte.

Wird seine Liebe zu Jasmin bestehen können?

Und auch der durchgedrehte Psychopath Keder ist immer noch im Spiel. Er verfolgt ganz andere Pläne, die Jasmin erst viel zu spät durchschaut ...

SpracheDeutsch
HerausgeberElaria
Erscheinungsdatum7. Dez. 2018
ISBN9783964650696
3 St. Pauli Krimis: Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut

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    Buchvorschau

    3 St. Pauli Krimis - Feronia Petri

    Rot-Licht-Tot

    Inhalt:

    Als Christian in einem Stundenhotel auf St. Pauli neben einem toten Transvestiten aufwacht, hat sich sein harmloser Musical-Trip nach Hamburg in einen Alptraum verwandelt.

    Er steht unter Mordanklage, hat kein Alibi, seine Frau ist spurlos verschwunden. Und wer ist die geheimnisvolle Killerin, vor der die halbe Stadt zittert? Was für eine Rolle spielt der brandgefährliche Psychopath Keder?

    Erstes Kapitel

    Christians Finger tasteten über eiskalte Haut.

    Im ersten Moment glaubte er, Jasmin würde frieren. Vielleicht hatte seine Frau ja im Schlaf die Decke abgestreift? Denn Christian lag im Bett, daran gab es keinen Zweifel. Das spürte er, ohne die Augen öffnen zu müssen. Die Matratze unter ihm fühlte sich butterweich und durchgelegen an. Dafür waren Christians Nackenmuskeln steinhart. Außerdem wurde ihm schwindlig, sobald er den Kopf drehte. Und seine Zunge kam ihm wie ein Stück alter Putzwolle vor.

    Christian musste am Vorabend wirklich gewaltig abgestürzt sein. Ihm war übel, doch die Besorgnis um Jasmin gewann die Oberhand. Seine Frau würde sich noch erkälten, wenn er sie nicht wieder zudeckte.

    Christian drehte sich voller Kraftanstrengung auf die andere Seite. Er fand den Schalter der Nachttischlampe, legte ihn um. Licht flackerte auf, und Christian öffnete vorsichtig seine Augenlider.

    Im nächsten Moment schrie er vor Entsetzen.

    Neben ihm im Bett lag nämlich nicht Jasmin, sondern ein toter Transvestit.

    Der Leichnam war kalkweiß und vermutlich vollständig ausgeblutet. Dafür sprachen zumindest die riesigen roten Flecken auf der Haut, dem Bettlaken und dem ausgetretenen Teppichboden. Auch Christians eigener Körper war mit bereits getrocknetem Blut besudelt.

    Sein Herz begann zu rasen, weit riss er seine Augen auf. Nur für Sekunden hatte Christian angenommen, der Tote neben ihm sei eine Frau. Gewiss, der erstarrte Körper verfügte über große Brüste. Doch auch der Penis dieser Leiche, der von Größe und Form her an ein Cocktailwürstchen erinnerte, konnte nicht übersehen werden. Und schließlich musste Christian auch noch angewidert feststellen, dass irgendein Satan in Menschengestalt den aufgespritzten Kussmund des Transvestiten zugenäht hatte. Die weit aufgerissenen toten Augen des Mordopfers starrten die rissige Zimmerdecke an.

    Christian hielt es nicht mehr im Bett. Sein Magen rebellierte, er sprang auf, wollte ins Bad rennen.

    Christian riss die Tür auf, doch in seiner Panik hatte er die falsche erwischt. Er stand nun nicht in der Nasszelle, sondern auf dem Hotelkorridor. Dort waren zwei junge Frauen mit Rollbags offenbar auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Sie schrien erschrocken auf, als sie den nackten blutverschmierten Mann sahen.

    Christian machte kehrte und eilte auf wackligen Beinen ins Zimmer zurück. Sein Mageninhalt wollte sich nun wirklich dringend von ihm verabschieden. Diesmal fand er das Bad, und gleich darauf kotzte er in die Toilettenschüssel. Danach ging es ihm zwar nicht gut, aber zumindest konnte er wieder halbwegs klar denken.

    Was war während der Nacht geschehen?

    Diese Frage konnte Christian sich selbst unmöglich beantworten. Jasmin und er waren in einer Vorstellung von König der Löwen gewesen. Sie hatten sich die Musicalreise nach Hamburg gegönnt, um ihren ersten Hochzeitstag zu begehen.

    Wo war Christians Frau? Und wer hatte den Transvestiten erstochen?

    Diese beiden Fragen trieben Christian um. Er kam aus seiner kauernden Position vor der Kloschüssel hoch und drehte den Wasserhahn auf. Die kalte Flüssigkeit war auf seiner heißen Gesichtshaut ein Labsal. Christian frottierte sich trocken, dann riskierte er einen Blick in den Spiegel.

    Eine üble Visage starrte ihm entgegen.

    Eigentlich sah Christian gut aus, was ihm auch von vielen Kundinnen mehr oder weniger direkt bestätigt wurde. Er arbeitete im Außendienst einer Versicherung, und sein natürlicher Charme verhalf ihm zu so manchem Abschluss. Er war 35 Jahre alt, schlank und dunkelhaarig. Christian hielt sich mit Joggen und Tennis fit.

    Davon war momentan allerdings nichts mehr zu bemerken. Sein grauer Teint erinnerte Christian an Bilder von Crackrauchern, die er einmal im TV gesehen hatte. Die Augen waren blutunterlaufen, die Lippen bleich und rissig.

    Crack?

    Christian nahm keine Drogen, trank höchstens mal mit seinen Freunden ein paar Biere zu viel. Deshalb war ihm auch sein momentaner Zustand so unheimlich. Waren Jasmin und er vielleicht in schlechte Gesellschaft geraten, nachdem sie ...?

    Christian konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, denn in diesem Moment wurde die Zimmertür eingetreten.

    Polizei! Auf den Boden!

    Laute Rufe ertönten, Christian hörte das Klirren von Waffen und das Getrampel schwerer Stiefel. Die Badtür wurde aufgestoßen, und Christian erblickte mehrere maskierte Gestalten mit Helmen auf den Köpfen und Maschinenpistolen in den Fäusten. Sie rissen ihn zu Boden und legten ihm mit beachtlicher Geschwindigkeit Handschellen an.

    Christian war zum letzten Mal während seiner Schulzeit in Hamburg gewesen. Meistens fuhr er vom heimatlichen Lingen aus lieber nach Berlin, wenn er Metropolenluft schnuppern wollte. Christian war Hauptstadt-Fan, er liebte das Flair der größten deutschen Stadt.

    Doch diesmal hatte Jasmin sich den Musicalbesuch gewünscht, und deshalb war ihr Ziel die Hansestadt an der Elbe gewesen. Christian hatte bei dem Wochenendtrip noch einen Bummel über den Jungfernstieg und einen Zoobesuch in Hagenbecks Tierpark vorgeplant. Eine Begegnung mit dem Mobilen Einsatzkommando der Hamburger Polizei war nicht vorgesehen gewesen.

    Immerhin musste Christian den Beamten zugestehen, dass sie mit einer beinahe meditativen Professionalität und Selbstsicherheit vorgingen. Obwohl das Hotelzimmer eher an ein Schlachthaus erinnerte und er als eine blutrünstige Bestie erscheinen musste, belehrten sie ihn kühl über seine Rechte als Beschuldigter in einer Straftat.

    Außerdem warfen sie ihm eine Wolldecke über, so dass er den Weg vom Zimmer zum hinter dem Gebäude parkenden Gefangenentransporter nicht splitternackt zurücklegen musste. Die eigentliche Verhaftung hatte Christian wortlos über sich ergehen lassen. Erst jetzt ließ sein Schockzustand allmählich nach.

    „Hören Sie, ich habe den Mann nicht umgebracht", krächzte Christian. Darauf erwiderte keiner der Polizisten etwas, und von ihren Mienen konnte Christian wegen der Gesichtsmasken auch nichts ablesen.

    Dafür war die hinter dem Hotel lauernde Medienmeute umso mitteilsamer. Christian musste sich nicht fragen, woher die Pressegeier von seiner Festnahme wussten. Wahrscheinlich hatten Hotelgäste oder Angestellte nicht nur die Polizei, sondern auch TV und Zeitungen informiert. Die Sätze der Sensationsjournalisten trafen Christian wie Fausthiebe.

    „Da ist der Transenkiller!"

    „Sind Sie ein Schwulenhasser?"

    „Sind Sie rechtsradikal?"

    Christian hätte dem Mob am liebsten entgegen geschrien, dass er unschuldig war. Aber er fühlte sich immer noch verwirrt, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Außerdem versuchten die MEK-Beamten, Christians Konfrontation mit den Pressebestien so kurz wie möglich zu halten. Sie drängten die Journaille ab und verfrachteten Christian im Handumdrehen in das vergitterte Transportfahrzeug.

    Christian war fast erleichtert, als ein MEK-Maskenmann neben ihm auf der schmalen Bank Platz nahm und ansonsten die Tür von außen zugerammt wurde.

    „Wo ist meine Frau?", brachte Christian hervor. Der Polizist schaute ihn mit einem unergründlichen Blick an. Christian fürchtete schon, auf Granit zu beißen. Aber dann bekam er doch noch eine Antwort. Der MEK-Beamte hatte eine tiefe Stimme und einen breiten Hamburger Akzent.

    „Die Mordkommission wird Sie schon bald vernehmen."

    *

    Die nächsten Stunden kamen Christian vor wie ein nicht enden wollender Alptraum. Er wurde erkennungsdienstlich behandelt, ließ sich sogar freiwillig eine DNA-Probe abnehmen, um sein Entgegenkommen zu demonstrieren.

    „Wo ist meine Frau?"

    Diese Frage richtete Christian an mindestens fünf verschiedene Beamte, die sich mit ihm befassten. Eine brauchbare Erwiderung erhielt er nicht. Christian erinnerte sich zum Glück an den Namen des Hotels, in dem Jasmin und er abgestiegen waren. Und er berichtete auch von dem Musical-Besuch am Vorabend. Es kam Christian so vor, als ob seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen wäre. Immerhin hatten die Polizisten ihn inzwischen mit einem Jogginganzug und Turnschuhen ausstaffiert, so dass er sich nicht ganz so entblößt vorkam. Sogar unter die Dusche hatte er gedurft - natürlich nicht, ohne dass die Beamten vorher eine Probe des auf seiner Haut getrockneten Blutes von seinem Körper gekratzt und dokumentiert hatten.

    Schließlich war die Prozedur überstanden. Christian hatte inzwischen mitbekommen, dass er sich im Polizeipräsidium befand. Man schaffte ihn in einen kahlen Raum, der nur wenige Stühle sowie einen Tisch enthielt. Dort bekam Christian einen Becher Kaffee und ein Brötchen mit Jagdwurst vorgesetzt.

    Er aß und trank mit Appetit, obwohl der Kaffee wässrig und das Brötchen staubtrocken war. Christian fühlte sich körperlich wieder halbwegs fit. Zu der erkennunhsdienstlichen Behandlung hatte auch eine ärztliche Untersuchung gehört. Aber da man ihm die Ergebnisse nicht mitgeteilt hatte, wurde er dadurch auch nicht schlauer.

    Die Ungewissheit nagte an ihm wie eine Ratte, die sich an seinen Gedärmen gütlich tat. Warum sagte man ihm nicht, was mit Jasmin geschehen war? Hatte jemand Christians Frau umgebracht? Glaubte die Polizei, er hätte etwas damit zu tun? Und was war mit dem toten Transvestiten?

    Die Gedanken schwirrten durch Christians Kopf, und je stärker er grübelte, desto mehr verschlechterte sich sein Zustand wieder. Da ging plötzlich die Tür auf. Eine Frau und ein Mann betraten den Raum, beide in Zivil.

    Die Polizistin trug Jeans und ein Hoodie. Sie war ungefähr in Christians Alter, hatte eine blonde Kurzhaarfrisur und machte einen burschikosen Eindruck. Wenn Christian nicht vermutet hätte, dass sie eine Kriminalbeamtin war, wäre sie von ihm vielleicht für eine Krankengymnastin oder eine Sportlehrerin gehalten worden.

    Ihr Kollege machte hingegen den Eindruck, sich in Uniform eigentlich wohler zu fühlen und nur deshalb widerwillig einen bürgerlichen Anzug zu ragen, weil es seine jetzige Stellung erforderte. Er hatte eine Stirnglatze, und der Blick seiner blassblauen Augen erinnerte Christian an den eines toten Fischs.

    „Sie sind Christian Lange aus Nordhorn."

    Diesen Satz sprach die Polizistin aus. Es war schwer einzuschätzen, ob er als Frage oder als Feststellung gemeint war.

    „Ja, der bin ich, gab Christian schnell zurück. Und dann wiederholte er sein Mantra: „Wo ist meine Frau?

    „Eins nach dem anderen", erwiderte die Blonde munter. Sie schlug ihren mitgebrachten Schnellhefter auf und schaute so bedeutungsschwanger hinein, als ob er den Stein der Weisen enthalten würde. Die beiden Kripoleute hatten am Tisch gegenüber von Christian Platz genommen.

    Die Polizistin blickte Christian nun direkt ins Gesicht.

    „Ich bin Kriminalhauptkommissarin Rabea Borchert, und das ist mein Kollege Kriminaloberkommissar Sönke Ahlers. Wir sind von der Hamburger Kriminalpolizei und vernehmen Sie als Beschuldigten einer Straftat. Sie müssen zur Sache keine Angaben machen, mit denen Sie sich selbst belasten würden. Wünschen Sie einen Anwalt?"

    Christian wurde allmählich ungeduldig. Womöglich war Jasmin verletzt und brauchte Hilfe, während er hier seit einer gefühlten halben Ewigkeit mit diesen Polizei-Prozeduren in Atem gehalten wurde. Entsprechend ungehalten klang seine Erwiderung.

    „Anwalt? Ich weiß nicht, ob ich einen brauche. Sagen Sie es mir. Und dann möchte ich erfahren, was mit meiner Frau geschehen ist. Oder können Sie mir das nicht sagen?"

    Ahlers verzog sein Pokergesicht um keinen Millimeter, während Rabea Borchert Christian spielerisch mit dem Finger drohte - eine Geste, die ihm unglaublich albern und deplatziert vorkam.

    „Nicht aufregen, Herr Lange. Das ist schlecht für die Gesundheit. Und die Ihrige ist ohnehin arg angeschlagen, wenngleich das nicht Ihre Schuld ist. Jedenfalls gehe ich nicht davon aus, dass Sie sich freiwillig GHB einpfiffen haben. Oder?"

    „GHB?", wiederholte Christian verständnislos.

    „Das ist die Abkürzung für Gamma-Hydroxybuttersäure, auch als Liquid Ecstasy bekannt. Oder als K.O.-Tropfen. Eine bekannte Vergewaltigungsdroge, schnarrte Ahlers. „Sie wird oft eingesetzt, um Opfer von Sexualdelikten willenlos zu machen. Eine weitere Wirkung dieser Substanz besteht in einem teilweisen Gedächtnisverlust des Geschädigten. Oder der Geschädigten, denn meistens fallen Frauen dem GHB-Einsatz zum Opfer.

    Vergewaltigungsdroge? Sexualdelikt? Sollte etwa wirklich etwas zwischen ihm und diesem Transvestiten gelaufen sein, bevor der Mann ermordet wurde? Christian merkte, dass bei dieser Vorstellung sein Magen erneut zu rebellieren begann. Rabea Borchert schien zu spüren, was in ihm vorging. Beruhigend redete sie auf ihn ein.

    „Es gibt keine Hinweise darauf, dass Sie in den vergangenen 24 Stunden Geschlechtsverkehr hatten, Herr Lange. Weder aktiv noch passiv. Bei der ärztlichen Untersuchung wurden keine Verletzungen im Analbereich festgestellt, wie sie sonst für Vergewaltigungen von Männern typisch sind."

    Ahlers ergänzte: „Und das Bettlaken im Hotel weist auch keine Spermaspuren auf, weder von Ihnen noch von Flaviu Spirescu."

    „Flaviu Spirescu?"

    „So heißt der Transvestit, dessen Leiche neben Ihnen im Bett lag, Herr Lange. Spirescu war rumänischer Staatsbürger und polizeilich bekannt, soviel kann ich Ihnen verraten. Allerdings ist uns noch ein Rätsel, weshalb jemand seinen Mund zugenäht hat."

    „Vielleicht mag der Mörder ja keine Blowjobs", bemerkte Ahlers grinsend. Seine Kollegin warf ihm einen kalten Blick zu.

    „Sönke, ich habe dich als einen humorlosen Menschen schätzen gelernt. Vielleicht solltest du es einfach bei dieser Eigenschaft belassen. Oder dir deine Witz-Ausbrüche für den Stammtisch aufheben."

    Daraufhin schwieg Ahlers beleidigt, aber das war Christian egal. Für ihn zählte nur eine andere Schlussfolgerung aus den Informationen.

    „Heißt das, ich bin nicht mehr mordverdächtig?"

    „Zumindest gibt es gewichtige Gründe, die gegen Sie als Transenkiller sprechen", meinte die Kriminalistin. „Das Opfer wurde erstochen. Aber als meine Kollegen vom MEK das Hotelzimmer stürmten, konnten sie die Mordwaffe nirgendwo finden. Und der Raum war von innen abgeschlossen. In der Kriminalliteratur nennt man so etwas ein closed room mystery, aber das dürfte für Sie wohl weniger interessant sein."

    Christian atmete tief durch. Er versuchte, die Neuigkeiten zu verarbeiten. Aber das war gar nicht so einfach, denn sein Körper litt immer noch unter den Nachwirkungen der Droge. Oder war es die Ungewissheit über Jasmins Schicksal, die ihn innerlich auffraß? Vielleicht eine Mischung aus beidem.

    Rabea Borcherts Stimme unterbrach seine Grübeleien.

    „Momentan sieht es für mich so aus, als ob jemand auf stümperhafte Art versucht hat, Ihnen den Mord in die Schuhe zu schieben. Nach dem ersten Zwischenbericht des Pathologen weist Spirescus Körper Abwehrverletzungen auf. Er hat auch DNA-Material unter den Fingernägeln, das vermutlich von seinem Angreifer stammt. Es stimmt nicht mit Ihren Proben überein."

    „Ich bin also unschuldig, stellte Christian fest. „Und was unternehmen Sie wegen meiner Frau?

    „Ich habe schon im Maxwell Hotel angerufen, das Sie im Rahmen Ihres Musical-Arrangements gebucht hatten, erklärte die Kriminalistin. „Dort hat allerdings niemand Ihre Gattin gesehen, seit sie gemeinsam mit Ihnen gestern Abend zur Musical-Vorstellung gefahren ist.

    „Dann suchen Sie meine Frau endlich!, forderte Christian. „Allmählich wird es mir zu bunt. Sie haben ja selbst gesagt, dass man mir den Mord anhängen wollte. Jasmin könnten die schlimmsten Dinge zustoßen, während wir hier stundenlang palavern.

    „Haben Sie Hinweise auf ein Verbrechen, dem Ihre Frau zum Opfer gefallen sein könnte?", fragte Rabea Borchert. Christian schüttelte mürrisch den Kopf.

    „Dank dieser verfluchten Droge erinnere ich mich an gar nichts mehr."

    „Wir sind hier jedenfalls nicht bei der Vermisstenabteilung, stellte Ahlers trocken fest. „Jemand hat Sie gründlich verarscht, Herr Lange. Und vielleicht war dieser Jemand ja sogar Ihre Frau.

    Christian ging hoch wie eine Rakete. Er war eigentlich nicht sonderlich temperamentvoll, außer beim Fußball. Aber die Bemerkung des Kriminalisten kam ihm einfach unglaublich zynisch und unpassend vor. Er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um Ahlers keine Kopfnuss zu verpassen. Wenn Christian sich jetzt etwas absolut nicht leisten konnte, dann war es eine Anklage wegen eines Angriffs auf einen Polizeibeamten im Dienst.

    Deshalb sprang er nur halb von seinem Stuhl auf, ließ sich dann aber wieder auf die Sitzfläche fallen. Sein Kreislauf rebellierte, ihm wurde schwindlig. Endlich schaffte Christian es, ein paar halbwegs verständliche Sätze hervorzustoßen.

    „Glauben Sie ernsthaft, dass meine Frau die Transe umgebracht, ihr den Mund zugenäht und mich dann mit der Leiche alleingelassen hat?"

    Ahlers schien nicht zu begreifen, dass die Frage ironisch gemeint war. Er wiegte sinnierend den Kopf.

    „Wir erleben hier die unmöglichsten Dinge, das können Sie mir glauben."

    Christian war drauf und dran, Ahlers ein paar üble Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Aber Rabea spürte die Anspannung zwischen den Männern. Sie versuchte, zu vermitteln.

    „Seien Sie versichert, dass uns das Schicksal Ihrer Frau nicht gleichgültig ist, Herr Lange. Sie kann womöglich eine wichtige Zeugin sein und auf jeden Fall zur Aufklärung der Geschehnisse beitragen. Bitte geben Sie mir so viele Details wie möglich, damit ich eine Personenfahndung veranlassen kann."

    Christian nickte.

    „Ich habe ein Foto von Jasmin in meiner Brieftasche. Aber die haben Ihre Kollegen an sich genommen."

    „Ja, für die kriminaltechnische Untersuchung. Dasselbe gilt natürlich für Ihre Kleidung, die wir auf dem Boden neben dem Bett im Red Hot gefunden haben."

    Red Hot?"

    „So heißt das Hotel auf St. Pauli, in dem wir Sie aufgegriffen haben. Es ist eine seltsame Mischung aus Absteige und Billigstherberge für Backpackers. Die Analyse von möglichen Spuren auf Ihrer Kleidung wird noch dauern. Aber zumindest Ihre Brieftasche samt Inhalt werden Sie in absehbarer Zeit zurückbekommen."

    „Aber nicht Ihr Handy, gab Ahlers seinen Senf dazu. „Wir haben schon einen richterlichen Beschluss beantragt, um Ihre Verbindungsnachweise checken zu dürfen. Für mich sind Sie nämlich noch lange nicht aus dieser Nummer heraus, Freundchen.

    Der Kriminaloberkommissar wurde Christian von Minute zu Minute unsympathischer. Aber wenn er hier jetzt den wilden Mann spielte, konnte er bis zum St. Nimmerleinstag hinter schwedischen Gardinen bleiben. Christian ignorierte Ahlers, so gut es ging. Er konzentrierte sich ganz auf dessen Kollegin.

    „Jasmin ist 34 Jahre alt. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in Nordhorn als Filialleiterin eines Modehauses. Meine Frau wurde in Kassel geboren, ihre Eltern leben in Wiesbaden. Sie heißen Robert und Monika Ehler."

    Rabea Borchert machte sich Notizen.

    „Hat Ihre Frau einen Bezug zu Hamburg? Kennt sie hier Menschen, die sie besuchen könnte? Vielleicht eine Freundin oder Studienkollegin?"

    „Oder ein Ex-Freund?", stichelte Ahlers. Christian biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie zu schmerzen begannen. Er fragte sich, ob der Kriminalist ihn einfach nicht mochte oder ob es dieses Good-Cop-Bad-Cop-Spiel wirklich gab.

    „Wir hatten vor, uns ‚König der Löwen‘ anzuschauen, presste Christian hervor. „Und das ist der einzige Grund, weshalb wir in diese Stadt gekommen sind. Jasmin und ich wollten nach der Vorstellung noch etwas trinken gehen. Und ab diesem Zeitpunkt habe ich keine Erinnerung mehr.

    Nach einem Zeitraum, der Christian wie eine halbe Ewigkeit vorkam, erhielt er seine Brieftasche zurück.

    „Sie können gehen, ein Haftgrund besteht zurzeit nicht, erklärte die Kriminalistin. „Dennoch müssen wir Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten. Wir benötigen Sie womöglich noch als Zeugen in der Mordsache Spirescu.

    Ein Zeuge, der mit K.O.-Tropfen betäubt wurde? Dachte Christian. Aber er gab keine Silbe von sich. Christian spürte, dass es Ahlers gar nicht recht war, ihn gehen zu lassen. Doch nach einigem Hin und Her geschah es dann doch. Christian musste noch seine Aussage unterschreiben, und plötzlich stand er vor dem Polizeipräsidium. Rabea Borchers hatte ihn nach draußen begleitet.

    Sie griff in ihre Umhängetasche.

    „Es ist zwar etwas unorthodox, aber ich möchte Ihnen ein kleines Geschenk machen. Eigentlich setze ich mich damit über die Dienstvorschriften hinweg. Aber ich bin guter Hoffnung, dass Sie mich nicht anschwärzen werden. Sie haben jetzt nämlich ganz andere Probleme, Herr Lange."

    Christian blinzelte verblüfft. Die Polizistin gab ihm einen Sudoku-Block sowie einen Kugelschreiber mit einem Reklameaufdruck der Hamburger Polizei. Es dauerte einen Moment, bis er seine Sprache wiederfand.

    „Danke, aber – was soll ich damit anfangen?"

    „Das Auflösen von Sudokus ist ein sehr gutes Gehirntraining. Es wird Sie möglicherweise dabei unterstützen, sich an die Ereignisse der zurückliegenden Nacht zu erinnern. Hinten im Block habe ich meine private Handynummer notiert. Sie können mich jederzeit anrufen, falls Ihnen noch etwas einfällt. Tag und Nacht, nehmen Sie das bitte wörtlich. Und ich habe mir erlaubt, für Sie ein Taxi zu bestellen, Herr Lange. Ich nehme an, dass Sie zunächst in Ihrem Hotel diesen nicht so kleidsamen Jogginganzug loswerden wollen?"

    Rabea Borcherts letzter Satz machte Christian erneut wütend. Hielt sie ihn wirklich für so einen oberflächlichen Menschen?

    „Mein Aussehen ist mir scheißegal, erwiderte er heftig. „Merken Sie denn nicht, dass hier eine ganz große Sauerei im Gange ist?

    Die Polizistin warf ihm einen unergründlichen Blick zu.

    „Oh doch, das ist mir nicht entgangen. Und Sie stecken bis zum Hals darin, Herr Lange."

    Zweites Kapitel

    Keders Laune war miserabel, weil er wieder von der Angstfrau geträumt hatte. Eine explosive Mischung aus Furcht und Wut überflutete sein Inneres. Doch er ließ nur das letztere Gefühl nach außen dringen, indem er sich an einem Wehrlosen abreagierte. Keder wandte sich dem einzigen anderen Anwesenden in diesem schalldichten Keller in Hamburg-Wilhelmsburg zu.

    Roman konnte nicht zurückschlagen, weil er mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt worden war. Nun machte sein Unterkiefer Bekanntschaft mit Keders beringter Faust. Romans Unterlippe platzte wie ein zu heiß gewordenes Würstchen.

    Keders Laufbursche biss die Zähne zusammen. Die Stimme seines Bosses war von trügerischer Sanftheit.

    „Wo ist die Angstfrau, Roman?"

    Keder wusste selbst, dass seine Frage nur rhetorisch zu verstehen war. Hätte Roman nämlich seine Befehle wunschgemäß ausgeführt, dann würde die Angstfrau jetzt mit Kabelbinder gefesselt auf dem staubigen Kellerboden vor ihnen liegen. Und dann wären vermutlich zwei oder drei von Keders weiteren Schergen tot oder zumindest von dieser Furie schwer verletzt worden. Möglicherweise hätte auch Roman selbst zu den Opfern gehört. Aber das war Keder egal, ihn interessierte nur die Angstfrau.

    „Boss ... sie war plötzlich verschwunden", murmelte Roman. Das Sprechen fiel ihm nicht leicht, weil seine Unterlippe anzuschwellen begann. Außerdem hatten sich bereits einige seiner Zähne gelockert. Und Roman wusste, dass dies erst der Vorgeschmack sein würde. Roman war sehr stark. Und er hatte keine Hemmungen, diese Kraft gegen Schwächere einzusetzen.

    „Plötzlich verschwunden", äffte Keder sein Opfer nach. Dann schlug er erneut zu. Roman jaulte wie ein getretener Hund.

    „Habt ihr das Handy dieses Miststücks orten können?"

    „War abgeschaltet", stieß Roman hervor. Zack! Erneut spritzte Blut.

    „Und ihr Auto? Oder ist sie mit der U-Bahn abgehauen?"

    „Sie fuhr zuletzt einen Corolla. Aber sie konnte uns abschütteln."

    „Ihr lasst euch von einem Corolla abhängen? Dafür gibt es eine Extra-Portion."

    Darunter verstand Keder zwei besonders brutale Fausthiebe, die einen stechenden Schmerz durch Romans Schädel schießen ließen. Er hätte gerne das Bewusstsein verloren, aber er wusste genau, dass Keder es nicht zu weit treiben würde. Nicht, solange sein Laufbursche noch mehr Informationen benötigte. Keder war ein Virtuose der Gewalt.

    Er schlenderte um sein Opfer herum. Keder hatte Roman genau beobachtet, seit sein Handlanger zur Berichterstattung zu ihm zurückgekehrt war. Keder führte sich vor Augen, dass Roman schon schmerzerfüllt gewirkt hatte, bevor er den ersten Schlag seines Bosses wegstecken musste.

    Keder beugte sich zu dem Sitzenden hinab, sodass sich ihre Nasen beinahe berührten. Romans Angstschweiß stieg ihm in die Nase.

    „Du hast mir noch nicht alles erzählt, oder?"

    „Bitte ...", winselte Roman. Im Schritt seiner Jeans entstand ein großer dunkler Fleck. Es stank nun auch nach Urin.

    „Du verbesserst deine Lage nicht, indem du dich vollpisst, stellte Keder fest. „Sage mir die Wahrheit, das ist deine einzige Rettung.

    In Romans Augen flackerte das nackte Entsetzen. Sein Kehlkopf hüpfte schnell auf und ab.

    „Ich habe die Angstfrau doch getroffen, flüsterte Roman. „Bevor sie fortgegangen ist. Keders Augen waren dunkel wie Kohlenstücke.

    „Und?"

    Roman zögerte mit der Antwort so lange, bis Keder erneut die Faust ballte. Da öffnete der Gepeinigte dann doch wieder den Mund.

    „Meine Füße ...", brachte er kaum hörbar hervor. Keder warf sich vor seinem Gefangenen auf die Knie, riss Roman die Schuhe und Socken herunter. Schon beim Anblick der Strümpfe bemerkte Keder, dass sie blutverschmiert waren. Kein Wunder, dass Roman schon zuvor so schmerzverzerrt geglotzt hatte. Keder packte die Gelenke und hob Romans Beine so hoch, bis er die Fußsohlen sehen konnte. Jemand hatte vier Worte dort eingeritzt, vermutlich mit einem Rasiermesser.

    LASST MICH IN RUHE!

    Drittes Kapitel

    Christian zog im Hotel seltsame Blicke auf sich. Oder bildete er sich nur ein, dass alle Leute ihn anstarren würden? Die Polizei hatte wegen Jasmin dort schon recherchiert. Ob die Gäste und das Personal in der Lobby glaubte, er selbst hätte etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Aber dann wäre er wohl kaum von den Behörden auf freien Fuß gesetzt worden.

    Er ging auf das Zimmer. Zum Glück befand sich die Schlüsselkarte noch in seiner Brieftasche, sonst wäre eine weitere umständliche Erklärung fällig gewesen. Wie hatten Rabea und ihr schwachsinniger Kollege Ahlers nur annehmen können, er wäre in die Ermordung von Spirescu verwickelt gewesen?

    Würde ein eiskalter Killer seine eigene Brieftasche auf dem Teppich liegenlassen und sich selbst zu seinem Opfer aufs Bett legen? Christians eigene Erfahrung mit Kriminalität beschränkte sich bisher auf die Lektüre einiger Bestseller-Thriller. Aber zumindest auf Buchseiten benahmen sich Mörder niemals so kreuzdämlich.

    Christian war immer noch sauer. Doch vor allem fehlte ihm Jasmin so sehr, dass er den Verlust förmlich spüren konnte. Ein Hauch von ihrem Parfüm hing immer noch in der Luft, als er das Hotelzimmer betrat. Im Bad hatte sie ihre Schminksachen überall verteilt, er sah ihre Wäsche, ihre Gute-Nacht-Lektüre, ihr Smartphone …

    Christian stutzte. Er starrte das Mobilgerät an, als ob es ein böses Omen sei. Die Erinnerung an die zurückliegende Nacht fehlte ihm immer noch größtenteils. Er hätte schwören können, dass seine Frau ihr Smartphone in ihre Handtasche gesteckt hatte, als sie gemeinsam das Zimmer Richtung Musicaltheater verlassen hatten.

    Der kalte Schweiß brach ihm aus, seine Knie wurden weich. Christian hätte selbst nicht sagen können, weshalb ihn der Anblick des Smartphones so aus der Bahn warf. War Jasmin gar nicht verschleppt worden, sondern hatte selbst einen Anteil an ihrem spurlosen Verschwinden? Dieser Gedanke kam ihm völlig absurd vor, und er schlug sich mehrfach mit der Faust gegen die Stirn. War er auf dem besten Weg, den Verstand zu verlieren? Oder waren es die Nachwirkungen der Vergewaltigungsdroge, unter denen er immer noch litt?

    Christian griff zum Haustelefon und rief die Rezeption an.

    „Lange hier, Zimmer 111. Können Sie mir sagen, ob meine Frau gestern Abend nach 20 Uhr noch einmal ins Hotel zurückgekehrt ist?"

    „Ich bedaure, Herr Lange, aber das können wir hier nicht nachvollziehen. Sie haben zwei Schlüsselkarten erhalten, nicht wahr? Ist etwas damit nicht in Ordnung? Hat Ihre Frau ihre Karte vielleicht verloren?"

    „Nein, ich habe mich wohl geirrt. Entschuldigen Sie die Belästigung", murmelte Christian und legte auf. Er wollte nicht mit der Rezeptionsangestellten das Verschwinden seiner Frau diskutieren. Es würde womöglich sowieso noch Ärger mit dem Hotel geben, falls nämlich diese Schlüsselkarte nicht wieder auftauchte. Vermutlich war dem Personal der Verbleib von dem rechteckigen Plastikstück viel wichtiger als Jasmins Schicksal …

    Christian riss sich den ungeliebten Billig-Jogginganzug vom Leib und stieg unter die Dusche. Nachdem er sich auch rasiert hatte, fühlte er sich zwar nicht gut, aber wenigstens etwas weniger miserabel.

    Er griff zu Jasmins Smartphone. Schon jetzt hasste er sich selbst dafür, dass er in ihren Daten herumschnüffelte. Aber er musste es tun, um einen Anhaltspunkt zu finden. Mit dem Gerät war seit längerer Zeit nicht mehr telefoniert worden. Allerdings gab es eine neue WhatsApp-Nachricht.

    „Viel Spaß beim König der Löwen, und lasst euch nicht fressen. LG Mareike."

    Mareike war Jasmins beste Freundin in Nordhorn. Christian beschloss spontan, sie anzurufen. Sie meldete sich schon nach dem dritten Klingeln.

    „Na, Süße? Habt ihr Spaß in der großen Stadt?"

    „Mareike, hier ist Christian. Hast du eine Ahnung, wo Jasmin sein könnte?"

    Jasmins Freundin lachte hell.

    „Wo sie sein könnte? Wie jetzt? Sag‘ nicht, ihr hättet euch gezofft."

    „Nein, das haben wir nicht. Christian spürte die Trauer wie zähflüssigen schwarzen Schleim in seiner Kehle aufsteigen. Das Sprechen fiel ihm schwer. „Sie ist seit gestern Nacht nicht mehr da.

    „Echt? Nun klang auch Mareike beunruhigt. „Was ist denn geschehen?

    Christian erzählte, dass er betäubt worden war. Allerdings ließ er das Detail mit dem toten Transvestiten weg. Das klang nun doch zu krank für die Ohren einer jungen Frau aus der Provinz, wie er selbst fand.

    „Das ist ja krass, Christian. Und Jasmin? Was ist mit ihr?"

    „Wenn ich das wüsste, würde ich dich nicht anrufen!"

    „Nun bleib mal cool. Du musst mich nicht gleich anschnauzen."

    „Sorry, aber ich stehe gerade ziemlich neben mir. Hast du wirklich keine Ahnung, wo Jasmin sein könnte? Frauen haben doch immer ihre kleinen Geheimnisse miteinander, oder etwa nicht?"

    Christian versuchte, den letzten Satz witzig rüberzubringen, aber das ging völlig daneben. Er selbst fand, dass er sich nur erbärmlich anhörte. Mareikes Reaktion fiel dementsprechend aus.

    „Du solltest dir keine Schwachheiten einbilden. Jasmin und ich sind wirklich beste Freundinnen, jedenfalls seit wir Kolleginnen sind. Sie hat mich nämlich nie spüren lassen, dass sie meine Vorgesetzte ist. Wenn Jasmin mir ein Geheimnis anvertraut hätte, würde ich es dir bestimmt nicht verraten."

    „Auch nicht, wenn ihr Leben davon abhängt, du dumme Nuss?"

    Mareike beendete das Telefonat. Christian kochte vor Wut. Er drückte auf Wahlwiederholung, aber sie hatte ihr Gerät ausgeschaltet. Am liebsten wäre er sofort nach Nordhorn zurückgekehrt, um Mareike die Ohren langzuziehen. Christian hätte schwören können, dass Jasmin ihre Freundin in ihre Geheimnisse eingeweiht hatte.

    Oder?

    Jasmin hatte öfter erwähnt, dass Mareike sehr empfindlich sei und man bei ihr jedes Wort auf die Goldwaage legen musste. War sie nur deshalb so schroff gewesen, weil Christian sich im Tonfall vergriffen hatte?

    Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunächst forstete er alle Informationen auf dem Smartphone durch, die er aufrufen konnte. Doch es gab buchstäblich überhaupt nichts Verdächtiges. Die Rufnummern stammten von Familienangehörigen, Freunden, Arbeitskollegen und Behörden. Ob Christian bei Jasmins Eltern anrufen sollte?

    Nach kurzer Überlegung entschied er sich dagegen. Seine Frau stand ihnen nicht besonders nahe, wie sie öfter betont hatte. Christian selbst war seinen Schwiegereltern nur ein einziges Mal begegnet, nämlich bei der Hochzeit. Sie begegneten ihm mit Entgegenkommen, aber doch mit Distanz. Sie kamen ihm kalt vor. Christian konnte verstehen, dass Jasmin den Kontakt mit ihnen auf ein Minimum beschränkte.

    Nein, bei ihren Eltern war sie ganz gewiss nicht. Aber wo dann? Christian hatte sich inzwischen seine eigenen Kleider angezogen. In Jeans und Flanellhemd fühlte er sich normalerweise wohl. Aber er hätte auch diesen elenden Jogginganzug wieder angezogen, wenn Jasmin dadurch bloß zur Tür hereingekommen wäre.

    Es war, als hätte Christian durch diesen Wunsch einen telepathischen Befehl gegeben. Plötzlich ertönte an der Tür nämlich ein leises Klacken, weil die Zimmerkarte von außen in den Schlitz gesteckt wurde. Christian Herz schlug einen rasenden Takt. Er stand lächelnd von dem Stuhl auf, wo er gehockt hatte. Endlich würde er wieder in Jasmins liebes Gesicht sehen können.

    Doch stattdessen stand ein bleicher Strichjunge vor ihm.

    Viertes Kapitel

    Victor war ein Gewinnertyp. Obwohl er aus dem Kaukasus stammte, war der Hamburger Kiez für ihn sehr schnell zu seiner natürlichen Umgebung geworden. Sein Deutsch reichte aus, um Leute einzuschüchtern, Schulden einzutreiben und Frauen klarzumachen. Im Zweifelsfall verließ er sich ohnehin lieber auf seine physische Präsenz als auf sprachliche Feinheiten.

    Victor gehörte zu den Schlägern, die überhaupt keine Gewalt anwenden müssen.

    Die meisten Widersacher knickten schon ein, wenn sie ihm bloß gegenüberstanden. Dabei war Victor nicht übermäßig groß, und es gab auf St. Pauli etliche Kerle mit größeren Muskelpaketen als er sie besaß. Aber Victor verstand es wie kaum ein anderer Mann, durch seine bloße Anwesenheit eine Todesdrohung auszusprechen. Dafür musste er noch nicht einmal die Hände aus den Hosentaschen nehmen.

    An diesem Abend hatte Victor Zeit und außerdem die Taschen voller Geld. Eine gute Kombination, um sich auf der Reeperbahn zu amüsieren. Er war kein Mann, der sich in einer Nepp-Touristenfalle das Fell über die Ohren ziehen ließ. Außerdem fühlt sich ein Wolf in Gesellschaft von Schafböcken nicht unbedingt wohl, er wird zu schnell gelangweilt.

    Victor ging langsam Richtung Spielbudenplatz. Er entschied sich für einen Drink in der Sanktpaulibar. Die auf Krawall gebürsteten betrunkenen Teenager wichen ihm instinktiv aus. Sie ahnten, dass sie sich mit diesem Mann besser nicht anlegten.

    Victor würde vor dem Morgengrauen vielleicht noch jemanden töten müssen. Er war der Meinung, dass er sich deshalb einen Wodka verdient hatte. Alkohol machte ihm so gut wie nichts aus, und Trunkenheit beeinträchtigte seiner Meinung nach nur Schwächlinge. Auch mit einem beachtlich hohen Blutalkoholgehalt konnte Victor immer noch mit großer Präzision den Stecher seiner Waffe durchziehen.

    Er fand einen Platz an der langen Theke und scannte seine Umgebung mit einem routinierten Blick. Staunende Provinzler, Hamburger Yuppies, Frauen mit Abenteuerlust im Blick. Die übliche Mischung eben. Nach dem zweiten Glas seines eiskalten Muntermachers fiel ihm eine seltsame Gestalt auf.

    Die Frau passte nicht hierher. Sie wirkte weder spießig noch verkommen. Ein Junkie konnte sie nicht sein, obwohl ihr Blick etwas von der grenzenlosen Gier einer Süchtigen hatte. Victor stufte sie als durchgeknallte Psychotante ein, doch gleich darauf musste er sein eigenes Urteil revidieren. Er hatte in diesen St. Pauli-Nächten schon mehr als genug Tussis erlebt, die sich einen Cocktail aus Antidepressiva und hartem Alkohol genehmigt hatten und dann als Vereinsmatratze einer wilden Gangbang-Horde endeten.

    Doch so war diese Frau nicht drauf, das spürte Victor. Sie spielte nicht mit dem Feuer, sie war Feuer.

    Sein Interesse war geweckt. Doch Victor wäre nicht er selbst gewesen, wenn er sie plump angebaggert hätte. Er hob seine linke Augenbraue nur um wenige Millimeter, während sie näher kam. Ihr freches Grinsen gefiel ihm. Ihr Selbstbewusstsein musste einen Grund haben, der nichts mit dem Kontostand ihres Daddys zu tun hatte. Ihre Lederjacke und die Jeans stammten offenbar von dem Kiez-Kulttextiler Hundertmark. Und dort verkehrte die Hamburger Schickeria nicht. Und sie sah auch nicht aus wie eine auf Abwegen geratene Bürgerschnepfe, die unbedingt einmal für einen St. Pauli-Bad-Boy die Beine breitmachen will.

    Victor hatte einst Philosophie studiert, bevor er sich auf seinen harten Körper und seinen noch härteren Willen zu verlassen begonnen hatte. Ein Zitat von Friedrich Nietzsche wurde durch den Wodka in seinem Gehirn wachgekitzelt: „Kein Sieger glaubt an den Zufall."

    Ein Zufall war es gewiss nicht, dass diese Frau ihm nun schöne Augen machte. Ob sie auf ihn angesetzt wurde, um seine Mission zu vereiteln? Nein, das konnte sich Victor nicht vorstellen. Niemals würde Anatoli ein Weib wie dieses auf seine Lohnliste bekommen. Der dicke Zuhälter hatte nur einen Stall voll rumänischer Billignutten, die für ihn anschaffen gingen. Im Grunde war der Tod für eine Kreatur wie Anatoli eine Erlösung, das war jedenfalls Victors Ansicht.

    Er war ein überzeugter Sozialdarwinist mit großem Wodkadurst und Frauenhunger.

    „Du und ich passen nicht hierher."

    Es waren die ersten Worte, die sie an Victor richtete. Er versuchte, ihren Akzent einzuordnen. St. Pauli war Multikulti-Areal, hier wurde Deutsch mit tausenderlei Zungenschlag gesprochen, in allen Abstufungen der Unverständlichkeit. Aber diese Frau sprach ganz neutral. Sie war vielleicht wirklich eine Deutsche, Holländerin oder Skandinavierin. Für eine Osteuropäerin hielt Victor sie nicht. Die waren einem Mann wie ihm gegenüber mehr oder weniger unterwürfig. Und davon konnte bei seiner neuen Bekanntschaft keine Rede sein.

    „Ach, wirklich? Und wohin gehören wir, hm?"

    „In dein Bett."

    Die Frau schaute Victor direkt ins Gesicht, während sie diese Worte aussprach. Sie stand direkt vor ihm. Ihr Atem war heiß, er roch nach Alkohol. Besonders betrunken schien sie ihm nicht zu sein, obwohl er das bei deutschen Frauen nie so genau einschätzen konnte. Victor nahm im Geist eine schnelle Kopfrechnung vor. Er konnte sich problemlos mit dieser Frau vergnügen und würde dann immer noch genügend Zeit finden, um Anatoli vor dem Morgengrauen ins Jenseits zu befördern. Es versprach eine ereignisreiche Nacht zu werden.

    „Und wieso glaubst du, dass ich dich dort haben will?"

    Das Grinsen der Frau wurde noch breiter. Ihre Antwort bestand darin, dass sie ungeniert an die Ausbeulung an Victors Lederjeans griff. Sein Schwanz hatte sich schon in dem Moment aufgerichtet, als sie ihm den ersten herausfordernden Blick zugeworfen hatte. Victor war eigentlich nicht leicht zu erregen. Der ständige Kontakt mit den zahlreichen dreiviertel bis halb nackten Huren und Partygänsen auf St. Pauli war eigentlich Gift für seine Geilheit. Er kam sich vor wie ein Konditormeister, der die ganze Zeit mit Törtchen und Cremeschnittchen befasst ist und sich nach einem blutigen Pfeffersteak sehnte.

    Victor hätte jede Nacht mehrere willige Prostituierte haben können. Aber es war diese Abenteuerin, nach der ihm der Sinn stand. Und nicht nur der Sinn, wie sein Körper nur allzu deutlich bewies.

    „Okay, gehen wir."

    Victor warf einen 50-Euro-Schein auf

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