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TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE: Ein historischer Roman
TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE: Ein historischer Roman
TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE: Ein historischer Roman
eBook757 Seiten11 Stunden

TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE: Ein historischer Roman

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Über dieses E-Book

Mit ihrem außerordentlichen Gespür für Pferde und den Erfolgen in der Pferdezucht konnte Hermon sich mit viel Einsatz einen Status auf der Ranch erarbeiten, der sogar von den Männern anerkannt wird.

Aber auch Hermons Kinder, die dabei sind, erwachsen zu werden, fordern ihre Mutter auf besondere Weise.

Erin, die älteste Tochter, hat sich gegen den Willen ihres Vaters in den Kopf gesetzt, an einer Universität in Colorado in eine Männer-Domäne einzudringen, um Tiermedizin zu studieren.

Und auch ihr Sohn Jared entwickelt sich gar nicht nach den Wünschen seines Vaters.

Die Auseinandersetzungen wegen der Kinder führen zwischen Hermon und Alex erneut zu Streitigkeiten, die schwerwiegende Folgen nach sich ziehen...

 

Mit dem Roman Hermons Weg durch die Hölle setzt die deutsche Schriftstellerin Elvira Henning ihre epische Tawamaya-Serie fort.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Okt. 2022
ISBN9783755423102
TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE: Ein historischer Roman

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    Buchvorschau

    TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE - Elvira Henning

    Das Buch

    Mit ihrem außerordentlichen Gespür für Pferde und den Erfolgen in der Pferdezucht konnte Hermon sich mit viel Einsatz einen Status auf der Ranch erarbeiten, der sogar von den Männern anerkannt wird.

    Aber auch Hermons Kinder, die dabei sind, erwachsen zu werden, fordern ihre Mutter auf besondere Weise.

    Erin, die älteste Tochter, hat sich gegen den Willen ihres Vaters in den Kopf gesetzt, an einer Universität in Colorado in eine Männer-Domäne einzudringen, um Tiermedizin zu studieren.

    Und auch ihr Sohn Jared entwickelt sich gar nicht nach den Wünschen seines Vaters.

    Die Auseinandersetzungen wegen der Kinder führen zwischen Hermon und Alex erneut zu Streitigkeiten, die schwerwiegende Folgen nach sich ziehen...

    Mit dem Roman Hermons Weg durch die Hölle setzt die deutsche Schriftstellerin Elvira Henning ihre epische Tawamaya-Serie fort.

    TAWAMAYA - 3. HERMONS WEG DURCH DIE HÖLLE

    Für meine Kinder

    Monika, Susanne Christina

    und Roger

      ERSTER TEIL

    DIE VIEHZÜCHTER-VERSAMMLUNG, April 1886

    Die Sonne schien und die Luft war warm, aber seit Tagen fegte ein heftiger Wind von den Bergen her übers Land, wirbelte Staubwolken über den Ranchhof von Tawamaya und riss alles mit sich, was beweglich war. Fluchend mühte Hermon Mehegan sich damit ab, die Wäsche aufzuhängen, die der Wind ihr immer wieder aus der Hand riss.

    Aus dem Haus drangen zornige Kinderstimmen. Jamie und Collin, Jam Mehegans Söhne, waren dauernd am Streiten, ihre Mutter Meghan wurde ihrer nicht Herr. Das ständige Geschrei der beiden trieb alle Hausbewohner nahezu in den Wahnsinn. Hermon hatte seit zwei Tagen Kopfschmerzen, und das Gezanke wollte kein Ende nehmen. In der Badestube konnte sie es wenigstens nicht hören. Doch hier draußen war es wie Stiche in ihren Ohren.

    Endlich hatte sie es geschafft, auch den letzten Strumpf an die Leine zu klammern und hoffte, dass der Wind nichts abreißen würde. Sie wischte sich eine Locke aus den Augen und ging in die Küche, um die Mahlzeit vorzubereiten. Ella Jo, ihre zweite Tochter, legte gerade das Messer zur Seite und wischte sich die Hände ab. Sie hatte bereits die Rüben geschält und geschnitten. »Ich geh dann mal rüber zu Tante Meg, Mama.«

    Eigentlich sollte sie noch Feuerholz hereinholen, doch da war sie schon hinausgehuscht. Hermon rief sie nicht zurück, denn Ella Jo war von allen Kindern auf Tawamaya diejenige, die am meisten im Haus arbeitete, und sie tat es freiwillig. Hermon nahm sich ein Glas Wasser und setzte sich einen Augenblick an den Tisch. Das Geschrei hatte endlich aufgehört. Das war wohl Ella Jos Werk! Sie konnte wunderbar zwischen den Streithähnen vermitteln.

    Wahrscheinlich leiden die Kinder genauso unter diesem furchtbaren Wind wie wir Großen, sagte sich Hermon, stand auf, legte ein Holzscheit nach und machte sich daran, eine Scheibe von einer Speckseite abzuschneiden und in Würfel zu zerteilen. Dann hackte sie zwei dicke Zwiebeln, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und stellte einen Topf mit den Speckwürfeln auf den Herd. Als das ausgelassene Fett den Topfboden bedeckte, gab sie die Zwiebeln dazu und schließlich auch die Rüben.

    Sie war gerade dabei, Wasser aufzugießen, als sie flinke Schritte im Salon hörte. Gleich darauf stürmte Peppa herein: »Mummy, der Postreiter war da!« Sie hielt mehrere Briefe in der Hand. »Zeig her, mein Zauberkind«, Hermon nahm ihrer Kleinsten die Briefe ab und sah sie durch.

    »Diese Karte ist von Rosemarie. Dieser Brief ist für die Heesleys, und der?« Er war an Jared und James Mehegan adressiert. Sie drehte ihn um: Viehzüchter-Verband Montana. Sie legte ihn zur Seite. »Läufst du rüber zu Tante Lil und bringst ihr diesen Brief?«

    »Okay, Mum.«

    »Warst du schon bei Butch?«

    »Ja.«

    »Wie geht es ihm heute?«

    »Ich glaube, besser. Er war ganz fröhlich. Aber er hustet immer noch.« Peppa nahm den Brief und rannte los.

    Butch, der Pferdeknecht hatte im letzten Winter an einer üblen Lungenentzündung gelitten und die ganze Familie in Atem gehalten hatte. Hermon hatte nie herausgefunden, wie alt Butch wirklich war, aber sie schätzte, dass er wohl so an die Fünfzig sein musste, und mit dem Älterwerden wurde er immer kauziger, weigerte sich, im Winter seinen Verschlag im Pferdestall zu verlassen, bis er Frostbeulen hatte, und lief bei eisigen Temperaturen oft ohne seine Pelzjacke draußen herum. Dass er krank war, hatte Jimmy erst gemerkt, als er zwei Tage lang nicht zu den Mahlzeiten kam, und da hatte es ihn schon richtig erwischt. Er wurde trotz seines Widerstands ins Haus gebracht und in das kleine Zimmer zum Hof gelegt.

    Hermon und Ella Jo hatten ihn gepflegt, und nach sechs Wochen war er über den Berg. Aber es war schwierig, ihn danach vor seiner eigenen Unvernunft zu bewahren. Mit seinem begrenzten Verstand begriff er einfach nicht, was er damit anrichtete. Im Grunde war es kein Wunder, dass er sich noch immer nicht ganz erholt hatte.

    Hermon rührte das Gemüse um. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Alex und Jam hungrig wie die Wölfe von der Range nach Hause kommen würden. Sie waren schon früh am Morgen mit Chuck hinausgeritten, um die Weiden zu inspizieren. Die Herde war einigermaßen über den Winter gekommen, aber da kein Regen fiel, sondern nur der Wind über die Hügel fegte und alles austrocknete, wollte das Gras nicht wachsen, und die Tiere, die beim Roundup zusammengetrieben werden sollten, brauchten Futter.

    Ihr Nachbar, der Texaner hatte im vergangenen Herbst neue Zäune aufgestellt, denn seine eigenen Tiere, viel zu viele für seine Weiden, hatten die Zäune an vielen Stellen niedergetrampelt, um Futter zu finden, was eine Menge Ärger verursacht hatte. Immerhin hatte er keinen Stacheldraht mehr benutzt.

    Auf Tawamaya war die Scheune mit einem Wintervorrat gefüllt, der die Tiere über die härteste Zeit gebracht hatte. Trotzdem war Alex gereizt. Dass auf seinem Land Tiere der Lindenbergs herumliefen, war kein Problem. Charly Lindenberg war inzwischen ein Profi in der Viehzucht und arbeitete mit den Mehegans Hand in Hand, doch die meisten fremden Tiere auf ihrem Land gehörten dem Texaner, und das würde erneut Ärger geben.

    Nicht nur Alex hatte Angst, dass es in einem Weidekrieg enden würde. Im vergangenen Herbst hatten haarsträubende Berichte über Schießereien unter den Cowboys im Weekley Yellowstone gestanden, und die ganze Situation spitzte sich immer weiter zu.

    Hermon fiel die Post wieder ein, die sie zur Seite gelegt hatte und griff danach. Rosemarie teilte ihr mit, dass sie vor einer Woche Zwillinge zur Welt gebracht hatte, zwei kleine Jungen mit den Namen Peter und Jacob. Nun waren es also fünf kleine Lindenbergs. Die Kinder waren Rosemaries Welt, und Charly würde glücklich über zwei weitere Söhne sein.

    Rosemarie war längst nicht mehr das verschüchterte junge Ding, das verstört in dieses Land gekommen war. Sie führte auf der Yellowstone Ranch ein hartes Regiment und ließ nichts auf ihren Charly kommen. Ihre Figur war durch die vielen Schwangerschaften etwas aus der Form geraten, aber das schien weder sie, noch ihren Mann zu stören, und die Kinder waren alle gut geraten. Wenn sie sich trafen, was höchstens zweimal im Jahr geschah, begrüßte Rosemarie sie stets mit einem strahlenden Lächeln.

    »Weißt du«, hatte sie einmal zu Hermon gesagt, »ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich hier eines Tages wirklich zu Hause sein würde.«

    Hermon legte die Karte zur Seite, als die Männer hereinstürmten. »Hunger!«, sagte Alex und küsste sie flüchtig. »Waschen!«, entgegnete Hermon und zeigte auf die Tür zur Badestube.

    »Geht klar, Boss!«, bemerkte Jam ironisch und rollte mit seinem Stuhl an ihr vorbei. Während die beiden sich wuschen, erschien auch einer nach dem anderen der Rest der Familie, als erster Jamie, inzwischen zwölf, hoch aufgeschossen und spindeldürr. Das rote Haar hing ihm lang in die Stirn und er strich es ständig zur Seite. Zum Ärger seiner Mutter hatte er keine Lust auf den Einheitshaarschnitt im Bunkhaus. Auch sein kleiner Bruder Collin war gewachsen und nicht mehr gar so dick, aber sobald er etwas zu essen sah, wurden seine Augen kugelrund. Als letzte erschien auch Erin, der es stets schwer fiel, sich von ihren Büchern loszureißen.

    Hermon stellte die Töpfe auf den Tisch. Dann fiel ihr die Post wieder ein.

    »Übrigens, Rosi hat ihr Baby bekommen«, erzählte sie, »aber es sind gleich zwei geworden, Jungen!«

    »Da wird unser guter Charly platzen vor Stolz«, bemerkte Alex.

    »Und da ist außerdem ein Brief von der Viehzüchtervereinigung.«

    »Gib mal her!«, Alex riss ihn sofort auf und überflog ihn, »die Viehzüchter veranstalten ein großes Treffen in Miles City, um neue Regelungen für die Probleme bei den Roundups zu finden. Es soll im Rahmen verschiedener Feierlichkeiten stattfinden. Ich denke, das könnte eine gute Sache werden. Wir sollten unbedingt daran teilnehmen, Jam!«

    »Miles City ist verdammt weit weg«, gab sein Bruder zu bedenken.

    »Wir könnten den Zug nehmen. Ich werde Chuck fragen, ob er ebenfalls mitkommt.«

    Jam nickte: »Ich werde darüber nachdenken, Jad.«

    »Was ist mit dir, Hermon, hast du auch Lust?«

    »Ja, Lust schon, aber eigentlich habe ich viel zu viel Arbeit.«

    »Du kannst ruhig mitfahren.«, sagte Meghan sofort. Ich werde hierbleiben, und ich denke, Lil will auch nicht mitkommen. Die Kinder sind also versorgt.«

    Am Abend wurde noch lange über das Thema diskutiert, aber keine endgültige Entscheidung getroffen. Sicher war nur, dass Alex auf jeden Fall an der Versammlung teilnehmen wollte.

    Am folgenden Tag sprachen Alex und Jam mit der Crew. Black Abe und Owen waren bereit, die Aufsicht auf der Ranch zu übernehmen, und so entschied sich Jam, mit Alex und Chuck nach Miles City zu fahren. Auch Monty sollte mitkommen. Der Vormann hoffte, auf diese Weise doch noch sein Interesse für die Viehzucht zu wecken, denn zu Chucks Leidwesen hatte sein Sohn bisher ganz andere Zukunftspläne, steckte seine Nase für seinen Geschmack viel zu viel in Bücher und träumte von Reisen in fremde Länder.

    Hermon schlug vor, dass auch Jared mitkommen solle. Es bedurfte jedoch einer heftigen Debatte, dass Alex sein Einverständnis gab. Und Jared war begeistert, nur Jamie maulte, weil er zu Hause bleiben musste, aber Jam erklärte ihm mit Nachdruck, dass seine Mutter ihn brauchte und er zu jung für ein solches Unternehmen sei.

    Die Vorbereitungen für die Reise verursachten eine Menge Unruhe. Monty und Jared waren völlig aus dem Häuschen. Ella Jo half ihrer Mutter beim Packen, und Erin versprach, nach den Pferden zu sehen. Auch Hermon war nun aufgeregt.

    Doch dann kam alles ganz anders. Zwei Tage vor Antritt der Reise wurde Meghan krank. Sie hatte hohes Fieber und hustete entsetzlich, und so entschied Hermon schweren Herzens, zu Hause zu bleiben, denn nun konnte sie Meghan mit den Kindern nicht allein lassen.

    Ella Jo, der nicht entging, wie enttäuscht ihre Mutter war, meinte: »Mama, ich kann das doch machen. Ich passe auf Tante Meg auf, ich komme schon zurecht. Du kannst ruhig mitfahren.«

    Hermon nahm ihre Tochter in den Arm: »Du bist mein großes Mädchen, und das ist lieb von dir gemeint, aber das geht nicht. Ich werde hierbleiben.«

    Auch Alex war enttäuscht, doch er sah die Notwendigkeit ein und er entschied: »Dann bleibt Jared auch hier.«

    »Nein, Alex! Er wird schrecklich enttäuscht sein. Nimm ihn mit. Monty ist schließlich auch dabei.«

    »Monty ist zwei Jahre älter und sehr viel vernünftiger als Jared. Man kann ihn ein paar Stunden allein lassen, aber er kann nicht auch noch auf Jared aufpassen. Er bleibt hier.«

    »Dann sag ihm das aber bitte selbst«, verlangte Hermon.

    Jared war außer sich, als er erfuhr, dass er nicht mitfahren durfte, und er schrie seinen Vater an. Hermon konnte seine Enttäuschung verstehen, und sie nahm sich vor, am Abend noch einmal in Ruhe mit Alex zu reden. Doch dann war Jared verschwunden, und er tauchte erst am nächsten Morgen wieder auf. Nun war auch Hermon wütend, und er hatte jede Chance verspielt. Als die Männer und Monty am nächsten Morgen aufbrachen, hockte Jared bei Butch im Stall und heulte. Und er hatte eine Stinkwut auf seinen Vater.

    Die Bahnfahrt verlief ohne Zwischenfall. Die Strecke betrug etwa hundertdreißig Meilen. Chuck Heesley döste in dem ziemlich voll besetzten Waggon die meiste Zeit vor sich hin, rutschte auf der harten Bank ungeduldig hin und her und gab ab und zu auf seine trockene Art einen Kommentar von sich. Zwischendurch verbot er seinem Sohn, der vor Aufregung nicht still sein konnte, den Mund.

    Monty fuhr zum ersten Mal in seinem sechzehnjährigen Leben mit der Eisenbahn, und er kam zum ersten Mal weiter wie bis Billings. Dabei kreisten seine Gedanken ständig um fremde Länder und die große Welt, die er sehen wollte. Kühe interessierten ihn nicht, und die Arbeiten, die sein Vater ihm auftrug, waren ihm zuwider. Er war ein miserabler Reiter, mit dem Lasso konnte er trotz aller Bemühungen seines Vaters nicht umgehen, und bei dem Versuch, dem Schmied zur Hand zu gehen, hatte er sich die Finger verbrannt. Er hatte einfach zwei linke Hände. Welche Arbeit ihm gefallen würde, wusste er jedoch nicht. Erst einmal wollte er weg von Tawamaya, wenigstens nach Billings, später vielleicht nach Denver oder St. Louis. Ihm würde schon etwas einfallen, womit er sein Geld verdienen konnte. An Durchsetzungsvermögen fehlte es ihm auf keinen Fall. Mit seinen sechzehn Jahren war er nahezu so groß wie sein Vater, hatte den gleichen grobknochigen Körperbau, struppiges Blondhaar, die große Hakennase seines Vaters und üblicherweise auch seine Gelassenheit. Heute jedoch war sie ihm abhandengekommen.

    Mittags erreichten sie Miles City. Am Bahnhof herrschte reger Betrieb, und die Stadt wimmelte vor Besuchern. Monty sprang aus dem Zug und sah sich sprachlos um. Eine solche Menschenansammlung hatte er noch nie gesehen. Alex und Chuck waren erst einmal damit beschäftigt, Jam ohne viel Aufhebens aus dem Zug zu bringen. Der Weg zur Mainstreet war nicht schwer zu finden, sie brauchten einfach nur dem Strom der Leute zu folgen.

    Chuck Heesley schüttelte den Kopf: »Unglaublich! Man könnte meinen, der gesamte Westen hätte sich hier versammelt.« Die breite, staubige Straße war von Menschen, Pferden und Kutschen bevölkert. Viele Rancher waren mit ihren ganzen Familien gekommen.

    Für die drei Männer hatte der Trubel etwas Beängstigendes, nur Monty war völlig in seinem Element. Sie drängelten sich mit dem Gepäck durch die Straße. Jam kämpfte mit seinen Rädern und musste akzeptieren, dass Alex hin und wieder zupackte, denn der Weg war holprig und voller Fahrrinnen und Löchern.

    Dann ergaben sich Schwierigkeiten, mit denen die Männer überhaupt nicht gerechnet hatten. Sie fanden kein Hotelzimmer, alle Betten schienen bereits belegt zu sein, doch für eine Übernachtung im Freien waren sie nicht ausgerüstet. Chuck fluchte, Jam schwieg und Alex steuerte einen Saloon an, vor dem auf der Straße Bänke aufgestellt waren und der Wirt draußen Getränke ausschenkte.

    »Kauft euch erst mal ein Bier und wartet hier auf mich«, entschied er kurzerhand.

    »Kann ich mitkommen, Onkel Jad?«, fragte Monty eifrig, doch Alex erwiderte, »du bleibst hier und passt auf das Gepäck auf!« Dann ging er mit langen Schritten davon.

    Jam und Chuck ließen sich in aller Ruhe ein Bier schmecken. Monty musste sich trotz Gemaule mit einer Limonade zufrieden geben. Sie sahen dem Leben auf der Straße zu und fragten sich, wo denn nur all die Menschen herkamen. Die verschiedenen Dialekte ließen erkennen, dass die Leute keineswegs alle aus Montana waren. Der ganze Westen bis nach Texas schien sich hier versammelt zu haben. Sie merkten gar nicht, dass Alex länger als eine Stunde unterwegs war. Doch als er zurückkam, stand ein breites Grinsen in seinem Gesicht: »Auf geht’s! Ich denke, ich habe etwas besonders Gutes gefunden!«

    Auf dem Weg durch das Gedränge erzählte er: »Ich habe sämtliche Hotels abgeklappert. Alle hoffnungslos überfüllt. Im letzten habe ich dem Mann an der Rezeption ein paar Dollar in die Hand gedrückt und ihn nach einem heißen Tipp gefragt. Nachdem er mich von oben bis unten gemustert hat, begann er mich etwas auszuhorchen. Ich hab ihm halt von meinem Bruder erzählt, und dass er nicht so gut zu Fuß ist. Und dann gab er mir einen Zettel mit einer Adresse und ein paar Zeilen und sagte, das sei seine Mutter. Sie hätte noch zwei freie Zimmer in ihrem Häuschen und wolle sich vielleicht ein paar Dollar verdienen. Und genau da gehen wir jetzt hin!«

    Es war ein hübsches Holzhaus in einer ruhigen Seitenstraße. Mrs. Kelly, eine korpulente Dame in den Sechzigern trat ihnen voller Misstrauen entgegen. Doch als sie das Schreiben ihres Sohnes und Jam in seinem Stuhl sah, wurde sie zugänglich.

    »Nun ja, wenn Sie bereit sind, einen ordentlichen Preis zu zahlen, und zwar im Voraus, und wenn Sie mir garantieren, dass Sie nicht in der Nacht besoffen und randalierend das Haus stürmen, könnte ich Ihnen zwei Zimmer vermieten.« Sie nannte einen recht stolzen Preis, fügte aber gleich hinzu: »Dafür bekommen Sie zwei blitzsaubere Zimmer und ein ordentliches Frühstück mit Eiern und Speck.«

    In Anbetracht der Situation gab es da nichts zu überlegen. Alex griff in die Tasche und händigte ihr ohne zu feilschen die genannte Summe aus.

    Mrs. Kelly führte sie durch einen etwas düsteren Flur und öffnete zwei Türen. Sie hatte nicht übertrieben. Die Zimmer waren mit je zwei sauber bezogenen Betten, einem Schrank und einer Waschkommode ausgestattet.

    »Der Abtritt ist im Garten hinter dem Haus, durch diese Tür. Und nun möchten Sie sich sicher etwas waschen. Ich werde Ihnen Wasser bringen.«

    »Ist es schon so schlimm?«, fragte Alex und schnüffelte an seinem Ärmel.

    »Aber nein, Mister! Doch man fühlt sich besser nach einer langen Reise.« Sie ließ die Männer allein. Alex setzte sich erst einmal auf ein Bett. »Was denkst du, Jam, ich glaube, hier sind wir gut aufgehoben.«

    »Ist bedeutend besser als eins dieser überfüllten Hotels. So schlimm habe ich mir das nicht vorgestellt.«

    »Ich auch nicht. Hier ist es angenehm ruhig. Hier werden wir schlafen können.«

    »Dem Himmel sei Dank. Ehrlich gesagt, ich bin fix und fertig.«

    »Trotzdem, wir müssen nochmal raus. Ich habe einen Bärenhunger. Du nicht?«

    »Doch.« Es klopfte. Mrs. Kelly brachte das Wasser und stellte es auf der Kommode ab.

    »Alles in Ordnung, die Herrn?«

    »Ja«, antworteten beide. »Sie sind Brüder!«

    »Zwillinge«, entgegnete Alex. Mrs. Kellys Blick hing an Jam: »Kommen Sie von weit her?« »Billings«, antwortete Jam. »Sind Sie Rancher?«

    »Ja.«

    »Die Reise ist sicher nicht einfach für Sie?«

    »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, erklärte Jam mit einem Lächeln, »ich bin ein ziemlich guter Reiter, trotzdem.«

    »Ach! – Entschuldigen Sie! Was fällt mir ein, Sie so auszufragen! Ich bin eine dumme, alte, neugierige Frau.« Sie griff in die Tasche und zog einen Schlüssel heraus: »Für die Haustür. Sie wollen bestimmt noch einmal in die Stadt.«

    »Müssen wir wohl. Wo werden wir etwas Anständiges zu essen bekommen.«

    »Hm, das dürfte bei diesem Betrieb ziemlich schwer sein. Nun ja, ich könnte – wenn Sie wollen, einen Rübeneintopf machen.«

    »Das ist doch ein Angebot!«, sagte Jam sofort. »Und Ihre Zimmernachbarn?«

    »Müssen Sie fragen, Mrs. Kelly. Ich denke, Chuck und der Junge wollen noch mal raus. Chuck ist unser Vormann und Monty sein Sohn.«

    »In Ordnung«, sie schloss geräuschvoll die Tür hinter sich. Chuck Heesley war nicht scharf darauf, sich noch einmal in den Trubel zu stürzen, aber am Ende gab er dem Bitten seines Sohnes nach und zog mit ihm los.

    Alex und Jam verbrachten einen geruhsamen Abend in Mrs. Kellys Küche. Der Rübeneintopf war gut und reichlich. Die alte Dame, die ihre Vorbehalte gegen die beiden Männer sehr schnell überwunden hatte, genoss die Gesellschaft. »Wissen Sie«, erklärte sie, »seit vor fünf Jahren mein Harry gestorben ist, rede ich nur noch mit meinen Hühnern und meinen Blumen. Sicher, ab und zu kommt mein Sohn auf einen Sprung vorbei, aber er hat eben immer zu tun.«

    »Aber Sie leben doch mitten in der Stadt, Mrs. Kelly. Kommen Sie denn nie raus?«, fragte Jam.

    »Doch, schon. Aber Gesellschaft am eigenen Tisch ist halt etwas anderes.«

    »Wissen Sie, als Rancher ist man an das Leben auf dem Land gewöhnt. Uns ist der ganze Trubel hier viel zu viel.«

    »Sind Sie verheiratet?«

    »Ja«, antwortete Alex, »ich habe vier Kinder und Jam hat drei.«

    »Oh! Sie sind also auch verheiratet!«, entfuhr es Mrs. Kelly und sie starrte Jam an.

    Er grinste: »Ja, mich hat auch eine genommen.«

    »Sind Sie denn... ich meine, haben Sie das schon immer?«

    »Nein. Bis ich achtzehn wurde, war ich ziemlich schnell auf meinen Beinen.«

    Zu einer weiteren Erklärung war Jam nicht bereit.

    »Wir bedanken uns für die gute Bewirtung, Mrs. Kelly«, Alex stand auf, »ich denke, es ist Zeit zum Schlafen.« Sie zogen sich in ihr Zimmer zurück. »Ziehst du mir die Stiefel aus, Jad? Mir tut alles weh. Ich frage mich gerade, wann wir zuletzt zusammen in einem Zimmer geschlafen haben.« Als sie in ihren Betten lagen, dauerte es keine zehn Minuten, bis sie um die Wette schnarchten.

    Im Gegensatz zu Chuck, der einen turbulenten Abend hinter sich hatte, waren Alex und Jam am nächsten Morgen ausgeschlafen. Alle vier frühstückten in Mrs. Kellys behaglicher Küche. Monty redete wie ein Buch, bis sein Vater sagte: »So, Junge! Jetzt war’s das! Jetzt hältst du deine Klappe!« Und dann berichtete er, was er am Abend erfahren hatte.

    »Um zehn findet auf der Main Street die große Eröffnungsparade statt. Eine Militärkapelle aus dem nahen Fort Keogh wird die Parade anführen, und dann folgen in ihren Kutschen die Verbandsfunktionäre mit ihren Damen. Dazu gehörst du auch, Jad.«

    Alex verzog das Gesicht: »Ich glaube, darauf kann ich verzichten. Es genügt, wenn wir uns alles ansehen.«

    »Dad hat mir für das Fest ein neues Jackett gekauft«, meldete Monty sich erneut zu Wort, »beim Herrenausstatter Orschel Brothers. Perlgrau! Das ist die allerneuste Mode!«

    Chuck warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu.

    »Am Nachmittag findet dann die Geschäftssitzung im neuen Bürgerzentrum statt.«

    »Dort gibt es eine Eisbahn und eine Rollschuhbahn!«, warf Monty ein, »Dad, ob ich wohl...« »Willst du jetzt endlich mal deinen Mund halten! – Ich habe Conrad Kohrs getroffen. Er hat sich nach euch erkundigt. Schätze, sämtliche Rinderbarone von Montana sind hier versammelt, Granville Steward, Pierre Wibaux und ein gewisser Marquis de Mores. Muss ein wichtiger Mann sein, sagt mir aber nichts. Tja, und am Abend soll im Macqeen House ein Ball stattfinden.«

    »Sicher werden wir heute keine Langeweile haben«, bemerkte Alex sarkastisch und schob den letzten Bissen in seinen Mund. Danach rüsteten sie zum Aufbruch und zogen ihre Jacketts über. Alex trug zur Feier des Tages einen grauen Westernhut. Monty plusterte sich in seiner neuen Jacke auf wie ein Gockel. Jam und Alex mussten sich das Lachen verbeißen.

    Dann zogen sie in den Kampf. Auf der Main Street herrschte ein einziges Gedränge und sie kamen nur mühsam voran zu dem Platz, an dem die Parade Aufstellung nahm. Jams Miene zeigte keine Begeisterung. Heute fühlte er sich in seinem Stuhl völlig ausgeliefert, obwohl Alex an seiner Seite war.

    »Hallo Jad! Jad Mehegan!« Alex blickte sich nach dem Rufer um. Es war Conrad Kohrs, der sich durch die Menge drängelte und ihm die Hand schüttelte. Erst dann sah er Jam, der mit seinem Stuhl in der Menge verschwand. Er reichte auch ihm die Hand: »Donnerwetter! Sie haben sich auch in die Höhle des Löwen gewagt! Das nenne ich Schneid!«

    Dann begrüßte er auch Chuck und Monty. »Und wo habt ihr die Lady mit dem festen Händedruck und den Pferden gelassen?«

    »Sie ist zu Hause geblieben, denn Jams Frau ist krank geworden.«

    »Schade! Ich bewundere die Lady. In ganz Montana gibt es keine besseren Pferde als auf Tawamaya. Wie steht es, Jad, nehmen Sie an der Parade Teil? Sie können in meiner Kutsche mitfahren, die dort drüben steht. Meine Lady wartet schon.« Er wies auf eine schwere Prachtkarosse. »Danke für das Angebot, Conrad, aber ich ziehe es vor, mit meinem Bruder unter den Zuschauern zu bleiben.«

    »Nun gut, dann bis heute Nachmittag im neuen Bürgerzentrum.«

    Er wandte sich um: »Ha, sehen Sie nur, dort, das ist die Karosse von Granville Steward, dem Rancher der DHS Ranch. Hat eine ganze Kutsche voller Frauen mitgebracht, der alte Sack. Kennen Sie ihn?«

    »Ja«, antwortet Alex, »er ist einmal bei einer Versammlung in Billings dabei gewesen. Diese Frauen, gehören sie zu seiner Familie? Sie sehen indianisch aus.«

    »Ja, seine Frau Awbonnie ist eine Shoshone. Sie war erst zwölf, als er sie geheiratet hat. Sie haben eine ganze Schar Kinder, mindestens zehn. Drei seiner Töchter sind dabei. Und auf dem Bock neben Granville, das ist sein ältester Sohn Tom. Und sehen Sie die Kutsche, die sich da drüben durch die Menge schiebt? Das ist der schöne Marquis de Mores, dieser Geck«, erklärte Conrad in abfälligem Ton, »er ist Franzose. Aber nun muss ich wohl meinen Platz einnehmen! Jad, Jam, wir sehen uns bei der Versammlung.« Er tippte an den Hut und ging davon. Alex betrachtete den Franzosen. Er war wahrhaftig ein auffallend gut aussehender, junger Mann, sicher noch keine dreißig. Sein dunkles Haar war sorgsam geschnitten und sein Schnurrbart gepflegt, der graue Anzug mit Sicherheit maßgeschneidert. Seine Haltung ließ auf eine militärische Ausbildung schließen. Die rothaarige Schönheit an seiner Seite, in französischer Mode gekleidet, entsprach seinem Stil.

    Auf der Straßenmitte formierte sich nun die Militärkapelle. Dann setzte mit Pauken und Trompeten die Musik ein. Monty, der noch nie so etwas erlebt hatte, war außer Rand und Band. Die Musikanten setzten sich im Gleichschritt in Bewegung. Ihnen folgten die Kutschen mit den Verbandsfunktionären. Die Menschen am Straßenrand jubelten und winkten. Hinter den Kutschen folgten von einer Staubwolke eingehüllt die Cowboys der verschiedenen Ranches in ihrem Sonntagsstaat. Es mussten wohl mehr als hundert sein. Die ganze Stadt schäumte über vor Leben. Überall auf der Straße schenkten die Wirte Bier aus, und an improvisierten Ständen wurde Essen verkauft. Vor den Bordellen standen die Mädchen in ihren grellbunten Kleidern auf der Straße und jubelten den Männern zu. An einem Stand wurden Lose verkauft, und die Taschendiebe machten ihr Geschäft.

    Die Festlaune hatte die ganze Stadt erfasst. Überall wurde gefeiert. Die Klänge der Militärkapelle waren noch immer zu hören. Cowboys schossen übermütig in die Luft. Der Sheriff und seine Horde für dieses Ereignis angestellter Hilfssheriffs bemühten sich vergebens, die Schießerei zu unterbinden. Alex und Jam verloren Chuck aus den Augen, der seinen Sohn im Gedränge wieder einfangen musste. Sie trödelten eine Weile durch die Main Street und sahen sich das Leben an. Dann machten sie sich auf den Weg zum Bürgerzentrum, wo das Eröffnungsessen der Tagung stattfinden sollte. Als sie eintrafen, war der Saal, in dem mehrere große Tafeln aufgebaut waren, schon mit Menschen gefüllt. Sie fanden Plätze neben Kohrs und seiner Gattin.

    Conrad begann sofort ein Gespräch mit Jam, der bisher noch bei keiner Viehzüchterversammlung dabei gewesen war, und keinen der Leute kannte, und klärte ihn über die Anwesenden auf. Kohrs kannte die meisten von ihnen, denn er war eines der Gründungsmitglieder des Viehzüchterverbands, der sich stock growers association nannte.

    »Dort drüben an der Tischecke neben der korpulenten Dame das ist John Murphy und neben ihm Bielenberg und die Brüder Niedringhaus.«

    Alex wurde von Kohrs Erklärungen abgelenkt, als neben ihm der Franzose mit seiner rotblonden Gattin Platz nahm. Er grüßte mit einer leichten Verbeugung: »Marquis de Mores, meine Gattin, die Marquise Medora!«

    »Angenehm!«, erwiderte Alex, »Jared Mehegan. Einen Titel habe ich allerdings nicht aufzuweisen«, fügte er etwas ironisch hinzu. Die Marquise schenkte ihm ein Lächeln.

    De Mores jedoch zog eine Braue hoch. Sein Blick hatte etwas Geringschätziges. Schnösel!, dachte Alex und wandte sich wieder Kohrs und Jam zu.

    Das Essen wurde serviert. Es bestand aus mehreren Gängen und schmeckte fantastisch. Die Stimmung im Saal war grandios. Es wurden hitzige Debatten geführt oder einfach nur Witze gerissen. Hier und da war Gelächter zu hören. Medora de Mores legte das Besteck nieder und widmete ihre Aufmerksamkeit ihrem Tischnachbarn: »Aus welcher Gegend kommen Sie, Mister... wie war noch ihr Name?«

    »Jad Mehegan. Ich komme aus der Umgebung von Billings.«

    »Magic City! So wird Billings doch genannt!« Sie musterte Alex ungeniert. Und er sah die Bewunderung in ihrem Blick. Er war sich durchaus bewusst, dass er mit seinem drahtigen Körper, dem tadellos geschnittenen Rock und seinem markanten Gesicht zwischen den allgemein eher grobschlächtigen Männern eine gute Figur machte.

    »Ganz recht«, entgegnete er mit einem charmanten Lächeln und erwischte einen giftigen Blick des Marquis. »Und der Herr an Ihrer Seite ist ihr Bruder?«, fragte sie unbeeindruckt weiter.

    »Mein Zwillingsbruder.« Sie bedachte Jam mit einem langen Blick, schluckte jedoch die Frage, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, herunter. Stattdessen fragte sie: »Sie sind nicht verheiratet?«

    Alex sah aus dem Augenwinkel, wie der Marquis rot anlief und nach dem Arm seiner Gemahlin schnappte. »Oh doch, ich bin verheiratet«, entgegnete Alex, »ich habe eine wunderbare Frau und vier Kinder.«

    »Oh«, hauchte Medora. Der nächste Gang wurde aufgetragen, und der Marquis gewann die Aufmerksamkeit seiner Gemahlin mit einer etwas abfälligen Bemerkung über die Speisen.

    Das Essen zog sich hin. Die Versammlung, die für drei Uhr angesetzt war, wurde um eine Stunde verschoben. Erst als das Geschirr der Süßspeisen abgeräumt war, erhoben sich die ersten Gäste. Die Marquise schenkte Alex noch ein Lächeln, als ihr Gatte sich erhob.

    Conrad wischte sich mit der liegengebliebenen Serviette noch einmal den Bart ab und stand ebenfalls auf: »Gehen wir also in den Versammlungsraum.«

    »Und was ist mit dem Damen«, wollte Jam wissen.

    »Für die Damen ist ein Raum mit Getränken vorbereitet. Sie werden sich wohl nicht langweilen«, erklärte Kohrs, »aber Sie sollten sich vor diesem Marquis in Acht nehmen.«

    Alex lachte: »Keine Sorge, die Dame ist zu jung, und ich bin verheiratet.«

    »Das ist dem Marquis gleichgültig. Er hat schon einige Männer im Duell getötet, und die Mordprozesse, die er danach am Hals hatte, hat er alle gewonnen. Es hilft, wenn man das nötige Kleingeld hat.«

    »Ich wüsste nicht, was ich dem Herrn getan habe«, zuckte Alex die Schultern.

    »Diesem Gecken ist es schon ein Grund, nach der Waffe zu greifen, wenn ihm eine Nase nicht gefällt. Er ist eingebildet und jähzornig.«

    Sie betraten den Saal, der für die Versammlung vorbereitet war. Alex und Jam fanden in der Reihe der Gründungsmitglieder ihren Platz. Vor den Stuhlreihen standen ein Podium und ein Tisch. Mister Bryan, der Präsident der Stockgrowers und Mister Potts, der Vizepräsident nahmen dort ihre Plätze ein, dann folgte der Sekretär Russel Harrington, legte eine Ledermappe auf den Tisch und packte Schriftstücke und Schreibutensilien aus. Er fledderte eine Weile in seinen Papieren herum, dann nahm auch er Platz und machte viel Lärm mit seinem Stuhl. Im Saal verstummte das letzte Gespräch. Jam knirschte mit den Zähnen und bemühte sich, die neugierigen Blicke zu ignorieren.

    Endlich eröffnete der Präsident die Versammlung. Er begrüßte die Anwesenden und drückte seine Zufriedenheit darüber aus, dass mehr als hundertsiebzig Mitglieder erschienen waren. Dann sprach er über die Entwicklung der Viehzucht Montanas in den letzten Jahren, über die zunehmenden Probleme durch die wachsenden Herden und die daraus resultierende Überweidung. Dazu kamen die Schäden durch Viehdiebe, die sich in den immer dichter werdenden Viehbeständen unbemerkt bereichern konnten. Und schließlich wetterte er über den immer noch üblichen Gebrauch und die verheerenden Auswirkungen des Stacheldrahts.

    Es war still im Saal. Man konnte fast eine Nadel fallen hören. Nur hin und wieder hörte man ein Räuspern.

    Dann endlich kam Bryan zum Kernpunkt der Probleme, der Neuorganisation des Roundups. Damit übergab er das Wort an Mister Potts, den Vizepräsidenten, der sofort mit energischer Stimme zu reden begann: »Meine sehr verehrten Herrn – und Damen«, fügte er schnell hinzu, da zwei Ranchbesitzerinnen anwesend waren, »das erste, das wir angehen müssen, ist eine Organisation der Roundups im gesamten Territorium. Das unüberschaubare Chaos der durcheinanderlaufenden Tiere der verschiedenen Ranches hat in den vergangenen Jahren immer häufiger zu Weidekriegen und Schießereien geführt. Jeder Rancher hat selbst bestimmt, wann der richtige Zeitpunkt für das Roundup ist, und es gibt leider eine Menge Leute, die mein und dein nicht auseinanderhalten können. Um nun das Ganze in eine vernünftige Bahn zu lenken, habe ich mich mit einigen Mitgliedern, unter anderem mit unserem Senator Conrad Kohrs zusammengesetzt, um ein Konzept für die künftige Handhabung des Roundups zu entwerfen.

    Um eine Ordnung herzustellen, haben wir etwa ein Drittel des Territoriums, also das Gebiet, das vorwiegend für die Viehzucht genutzt wird, in sieben Distrikte eingeteilt. Es handelt sich um das Gebiet zwischen dem Missouri und dem Yellowstone River und dem Gebiet östlich des Big Horn Rivers und des Powder Rivers bis zum Grenzgebiet des Dakota Territoriums.«

    Während Potts sprach, nestelte Harrison in seinen Papieren und brachte schließlich eine selbstgezeichnete Karte zum Vorschein, die er an eine dafür vorgesehene Wand pinnte.

    Potts wandte sich um: »Hier sehen Sie also, Ladys und Gentlemen, wie das zu verstehen ist. Zukünftig werden alle Roundups zur gleichen Zeit stattfinden. Die einzelnen Distrikte sind nummeriert und überschaubar. Für jeden Distrikt wird vor dem Roundup ein Vormann gewählt, der die Arbeit überwacht, für Ruhe und Ordnung sorgt und in Streitfällen die Vollmacht hat, Entscheidungen zu treffen. Mit einer vernünftigen Zusammenarbeit dürfte allen Ranchern eine Menge Ärger und Mühe erspart werden.«

    Nachdem Potts geendet hatte, entbrannte eine heftige Diskussion. Eine Reihe Alternativvorschläge wurden gemacht und alle Vor- und Nachteile diskutiert. Die Debatte zog sich mehr als zwei Stunden hin. Als die ersten Männer zu gähnen begannen, drängte Mister Bryan auf eine Abstimmung. Potts Vorschlag wurde am Ende mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Dann wurde es im Saal erst einmal still. Das Kratzen von Harrisons Feder war zu hören. Danach kam es zur Wahl der Distriktvormänner nach der Reihe der Nummern.

    Inzwischen hatten Leute aus der ersten Reihe Flugblätter zum Verteilen entgegengenommen, die den Plan der siebzehn Distrikte enthielten. Das Gebiet um Billings hatte die Nummer zwölf. Die Wahl verlief schnell und reibungslos.

    Mister Harrison rief zur Wahl für Distrikt Nummer zwölf auf. Es war Charly Lindenberg, der sich zu Wort meldete: »Ich schlage Jared Mehegan von der Tawamaya Ranch vor. Die Ranch ist die älteste im weiten Umkreis, und er kennt das Land, die Leute und die Gegebenheiten wie seine Westentasche. Ich habe ihn als besonnenen Mann kennengelernt. Ich bin der Meinung, er ist der richtige für diesen Job!«

    Als kein weiterer Vorschlag gemacht wurde, fragte Mister Harrison: »Mister Mehegan, sind Sie bereit, das zu übernehmen?« Alex kratzte sich hinterm Ohr, dachte einen Augenblick nach und warf Jam einen fragenden Blick zu. Dann stand er auf: »Ja, ich bin dazu bereit.«

    »Ist ja schön und gut, dass die Mehegans vor den anderen da waren!«

    Alex sah sich um. Es war der Texaner, der ebenfalls aufstand. »Texas war ein Rinderland lange bevor in Montana eine einzige Kuh auf der Weide stand! Ich komme aus einer Familie, die seit vielen Generationen Rinder züchtet und ich denke, ich würde den Job genauso gut machen, wie Mehegan.« Harrison zog die Brauen etwas hoch: »In Ordnung Mister...?«

    »William Talmond!«

    »Sie werden ebenfalls als Kandidat aufgestellt.«

    Alex bemerkte: »Ich reiße mich nicht um diesen Job, Mister Talmond. Aber auch mein Urgroßvater hat in Texas Rinder gezüchtet.« Dann setzte er sich.

    »Der Texaner als Roundup-Vormann! Das hätte uns gerade noch gefehlt«, flüsterte Jam seinem Bruder zu und knirschte mit den Zähnen. Harrison ließ die Rancher aus Distrikt zwölf abstimmen. Talmond bekam eine einzige Stimme, alle anderen gingen an Alex. Er drehte sich nicht mehr nach dem Texaner um.

    Nachdem endlich die Wahlen erledigt waren, wurden weitere Themen besprochen.

    Die Sitzung zog sich bis zum Abend hin. Draußen vor der Tür bildeten sich dann kleine Gruppen, und es wurde weiterdiskutiert. Alex und Jam gesellten sich zu den Ranchern aus Distrikt zwölf. Einige klopften ihm zufrieden auf die Schulter. Der Texaner war wortlos verschwunden. Schließlich tauchte auch Conrad Kohrs in der Runde auf und wandte sich an die Mehegans: »Sehen wir uns zum Festessen im großen Saal des Macqueen Hauses?«

    »Wir wollten uns eigentlich zurückziehen«, entgegnete Alex, »Jam ist ziemlich erledigt und ich...«

    »Kommt gar nicht in Frage, Jad! Als Roundup-Vormann musst du dabei sein, zumal es noch so einiges zu bereden gibt.«, beharrte Conrad. »Das ist in Ordnung, Jad, du gehst da hin«, sagte Jam sofort, »ich werde bei Mrs. Kelly sicher etwas zu essen bekommen, und bin froh, wenn ich dann schlafen gehen kann.«

    Kohrs nahm die Brüder in seiner Kutsche mit, brachte Jam zu seiner Unterkunft, und Alex fuhr mit ihm zum Macqueen Haus. Nach dem Abendessen fand im Speisesaal ein Ball statt. Außer den Viehzüchtern erschienen Offiziere in Galauniform, und es wurde zu den Klängen einer Sechs Mann Kapelle getanzt bis Mitternacht.

    Alex sah sich vergebens nach Charly Lindenberg um. Er kam sich in dem ganzen aufwendigen Rummel etwas verloren vor. Als der Tanz begann, beobachtete er etwas neidisch die Männer, die in Begleitung ihrer Frauen waren.

    Zu fortgeschrittener Stunde, als die meisten Gäste dem Alkohol reichlich zugesprochen hatten und kaum noch ernsthafte Gespräche geführt wurden, wollte Alex unbemerkt verschwinden. Doch bevor er den Ausgang erreichte, lief er Granville Steward in die Arme und wurde von ihm in ein Gespräch verwickelt. Er fragte ihn über die Situation in Distrikt zwölf und über diesen Texaner aus. Dabei musterte er Alex immer wieder mit einem eigenartigen Blick. Und dann sagte er: »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Mister Mehegan, aber ich erinnere mich, in Montana vor Jahren einen Steckbrief mit einem Bild gesehen zu haben, das Ihnen verdammt ähnlich sah.«

    »Ich kann Ihnen versichern, Mister Steward, Sie haben ein verdammt gutes Gedächtnis«, entgegnete Alex gelassen. »Allerdings! Das habe ich. Es muss in den Sechzigern gewesen sein. Ich erinnere mich jedoch nicht an den Namen. Nun sagen Sie, waren Sie das?«

    Stewards Unverfrorenheit amüsierte Alex: »Ja!«

    Wie kommt es dann, dass Sie hier sind? Mord verjährt nicht.«

    »Ganz einfach, ich war es nicht. Das Mordopfer war der Mann, der meinen Bruder zum Krüppel geschossen hat, in den Rücken. Ich habe ihn zwar windelweich geprügelt, aber nicht umgebracht. Sein eigener Bruder war es gewesen. Es hat allerdings fast zehn Jahre gedauert, bis die Wahrheit ans Licht kam.« Granville strich sich über den Bart und nickte: »Das ist bitter. – Aber sagten Sie nicht, dass Ihre Vorfahren aus Texas kamen?«

    »Ja, richtig.«

    »Sind Sie in Texas gewesen?«

    »Ja, ich bin ein bisschen in den Staaten herumgekommen.«

    »Das ist kein Fehler. Man sollte ab und zu etwas anderes sehen als Kühe. Was glauben Sie wohl, was ich in meinem Leben schon alles ausprobiert habe und wo ich überall herumgekommen bin. Geboren bin ich in Virginia, aufgewachsen in Illinois. Später habe ich an verschiedenen Orten Gold geschürft, habe als Kaufmann mein Geld verdient, mich in der Politik betätigt, und so nebenbei betreibe ich eine Ranch drüben im Beaverhead Tal.«

    Angeber! dachte Alex, während er höflich zuhörte. Und plötzlich sah er sich umringt von vier Frauen. »Meine Familie«, erklärte Steward, »oder besser gesagt, ein Teil davon. Meine Gemahlin Ellen Awboony Steward, meine Töchter Kate, Maria und Elisabeth.«

    Alex verneigte sich vor den Damen. Ellen Awboony war trotz ihrer amerikanischen Kleidung offensichtlich eine Indianerin. Sie mochte zwischen dreißig und vierzig sein. Ihr Haar war bereits grau, ihre Figur vermutlich von vielen Geburten ruiniert. Ihre drei Töchter waren hübsch, und drei Augenpaare hingen an Alex.

    Die Musik begann wieder zu spielen, und bevor er begriff, wie ihm geschah, war er auf der Tanzfläche und hielt die zierliche Maria im Arm, die ihn mit ihren schwarzen Augen anhimmelte. Sie bemühte sich, ein Gespräch anzufangen, aber Alex wollte sich nicht schon wieder ausfragen lassen. So sah sie ihn nur fortwährend an, während er bemüht war, nicht auf ihre kleinen Füße zu treten. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schenkte ihm ein betörendes Lächeln und schob ihren Körper etwas dichter an Alex.

    Du kleines, aufdringliches Biest, dachte er, lass bloß deinen Vater nicht sehen, was du treibst! Und dann trat er ihr auf den Fuß, mit Absicht.

    »Entschuldigung«, sagte er ohne Bedauern, »ich bin wohl etwas aus der Übung.«

    »Oh, das macht nichts. Wir könnten uns einen Augenblick ausruhen. Die Luft hier ist so stickig. Wir könnten nach draußen gehen.« Alex ging nicht darauf ein. »Ich habe selten Gelegenheit zum Tanzen. Meine Frau beschäftigt sich lieber mit Pferden.«

    »Sie sind verheiratet?«, fragte sie enttäuscht. »Ja! Und Sie könnten meine Tochter sein.«

    Und dann würde ich dich kräftig übers Knie legen, fügte er in Gedanken hinzu.

    Maria hörte nicht auf, ihn anzuschmachten: »Ich mag ältere Männer. Die jungen sind mir zu unbeständig.«

    Verdammt! Jetzt reicht es, sagte sich Alex. Er fühlte sich mit fünfundvierzig noch nicht als alter Mann, aber die Situation war grotesk.

    Als der Tanz beendet war, nahm Alex Marias Arm und brachte sie mit einer energischen Geste zu ihrer Familie zurück. Er verbeugte sich elegant, dann nickte er Steward zu und machte sich hastig davon. Auf dem Weg vorbei an den Tischreihen entdeckte er Charly und winkte ihm kurz zu, dann stand er aufatmend auf der Straße. Er war todmüde. Also doch ein alter Mann! Und nun musste er den Weg zur Unterkunft finden.

    Obwohl bald Mitternacht sein musste, war die Straße noch belebt. Gruppen von laut redenden Männern standen herum. Aus den zahlreichen Saloons drang das Grölen Betrunkener.

    Alex mochte nicht zu Fuß durch die brodelnde Stadt gehen. Er nahm eine der am Straßenrand wartenden Droschken und ließ sich zum Haus von Mrs. Kelly bringen. Vor der Haustür suchte er sämtliche Taschen in seiner Kleidung ab, bis er endlich auf den Hausschlüssel stieß.

    Er tastete sich in der Dunkelheit zum Zimmer, wo Jam den Schlaf des Gerechten schlief. Aus dem Nebenraum drang lautes Schnarchen. Chuck war also auch zurück.

    Alex warf seine Sachen achtlos auf einen Stuhl, dann kroch er unter die Decke und streckte sich genüsslich aus. Das Bett knarrte. Alex dachte an Hermon. Wie schön wäre es gewesen, mit ihr den Abend zu verbringen. Mit dem Lächeln ihrer grünen Augen schlief er ein.

    Am nächsten Tag wurde es etwas ruhiger in der Stadt. Die ersten Gäste reisten ab, vor allem die Viehtreiber, die ohnehin nur aus Neugier gekommen waren und um sich vor den harten Wochen des Roundups noch einmal richtig zu betrinken. Die meisten Rancher dagegen blieben noch, sie wollten an der Besprechung der Distriktvormänner teilnehmen, um sich mit den neuen Regeln vertraut zu machen. Das Treffen sollte um zwei Uhr nachmittags im Bürgerzentrum stattfinden.

    Alex und Jam waren an diesem Morgen lange im Bett geblieben und hatten über die Ereignisse des vergangenen Abends geredet. Jam lachte, als Alex ihm von der aufdringlichen Miss Steward erzählte. »Und die Marquise hat dir auch schon schöne Augen gemacht! Ihr Mann, dieser Schnösel ist fast geplatzt vor Wut! Und das kleine Indianermädchen hätte dir wohl gerne einen Kuss gestohlen!«, foppte Jam seinen Bruder.

    »Und du hättest mich dann bei meiner Frau verpetzt!«, konterte Alex, »nein, danke, solchen Unfug habe ich hinter mir. Keine Lust, mich mit Hermon wegen solcherlei Verfehlungen anzulegen.« Sie lachten beide. Dann stieg Alex aus dem Bett: »Jetzt habe ich Hunger!«

    »Keinen Brummschädel?«, wollte Jam noch wissen. Aber Alex hatte während des Abends kaum etwas getrunken. Der Einzige, der einen mächtigen Kater hatte, war Monty. Er hatte es genossen, sich im Saloon, in den ihn sein Vater mitgenommen hatte, wie ein Mann aufzuführen. Und Chuck hatte ihn gelassen. Um neun Uhr servierte Mrs. Kelly für die vier Gäste ein opulentes Frühstück, das keine Wünsche offen ließ.

    Monty würgte bleich gegen die Übelkeit kämpfend ein paar Bissen hinunter. Er wäre lieber im Bett geblieben. Doch als er sich die Decke noch einmal über den Kopf zog, hatte Chuck bemerkt: »Wer saufen kann, der kann auch aufstehen!« Widerspruch duldete er nicht, das wusste Monty nur zu genau.

    Später, als sein Sohn wieder halbwegs geradeausgucken konnte, ging Chuck noch einmal mit ihm durch die Stadt, um Einkäufe zu tätigen, während Alex und Jam an der Versammlung teilnahmen, die in eine lange und anstrengende Diskussion ausartete, bis alle Fakten geklärt waren.

    Für die Abendmahlzeit hielt Mrs. Kelly einen Eintopf mit Hammelfleisch bereit. Die Männer jubelten nicht vor Begeisterung, aber am Ende mussten sie sich eingestehen, dass weder gegen Mrs. Kellys Kochkünste, noch gegen das Hammelfleisch etwas einzuwenden war.

    Nach dem Essen wurde gepackt. Doch Jam warf den Plan über den Haufen. Er brauchte einen Ruhetag, bevor er einen ganzen Tag im Zug sitzen musste. Chuck war nicht begeistert, er wollte nach Hause zu seiner Frau und zu seinen Rindviechern. Alex ließ jedoch keine Diskussion aufkommen und entschied: »Wir bleiben bis übermorgen.«

    Hermon war etwas beunruhigt. Eigentlich hatte sie die Männer schon vor zwei Tagen zurück erwartet. Aber sie rief sich selbst zur Ordnung und sagte zu Meghan, die auf dem Weg der Besserung war, das sei kein Grund, sich Sorgen zu machen. Im Übrigen blieb ihr nicht viel Zeit zum Grübeln, denn da Meghan noch immer das Bett hütete und Ella Jo sich das Handgelenk verstaucht hatte und nicht recht zupacken konnte, blieb alle Arbeit an ihr hängen. Sie musste den gesamten Haushalt bewältigen, Meghan versorgen, sich um die Auslieferung der bestellten Pferde zum Roundup kümmern, und in diesem verflixten Garten stand das Unkraut schon wieder kniehoch! Peppa tat zwar ihr Bestes, aber ohne die Hilfe der Mutter schaffte sie es nicht. Dazu kam noch ein Korb voller dringender Näharbeiten. Peppa war seit dem letzten Sommer so stark gewachsen, dass sie in kein Kleid mehr hineinpasste. Die abgelegten Kleider von Ella Jo waren ihr zu eng, weil sie nicht die elfenhafte Figur ihrer großen Schwester hatte.

    Es war später Nachmittag, als einer der Wrangler zwei junge Pferde in die Koppel an den Hemlocktannen brachte, die Hermon ausgewählt hatte, um mit ihnen zu arbeiten. Sie erwartete den Mann schon, und unterhielt sich eine Weile mit ihm über die Tiere. Hermon konnte sich etwas Zeit lassen, denn Ella Jo hatte sich bereit erklärt, sich um das Abendessen zu kümmern. Sie mochte es, wenn ihre Mutter ihr das Kochen überließ. Bevor sie mit der Vorbereitung begann, ging sie hinaus in den Küchengarten und warf einen Blick hinüber zur Koppel, wo ihre Mutter mit dem Arbeiter redete.

    Neugierig ging sie zum Zaun und betrachtete den jungen Mann. Ella Jo kannte die Leute der Crew kaum, sah Arbeiter nur von weitem, da sie nie mit ihrer Mutter zu den Pferden hinausritt. Sie blieb am Zaun stehen, bis der junge Mann ihren Blicken entschwand, kehrte mit einem verträumten Lächeln in die Küche zurück, holte den Schmalztiegel aus dem Schrank und begann eine Zwiebel zu schälen. Eines Tages wollte sie ein eigenes Haus und Kinder haben. Und ihr Mann sollte jung sein und gut aussehen. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, die von den Zwiebeln tränten und begann mit der Zubereitung der Mahlzeit.

    Als ihre Mutter von der Weide nach Hause kam, stand ein duftender Eintopf auf dem Herd und Peppa hatte den Tisch gedeckt. Hermon lobte ihre Kinder, schrubbte ihre Hände und warf einen grimmigen Blick auf ihre zersplitterten Nägel. Dann brachte sie Meghan ihr Essen ans Bett. Als sie zurückkam, saßen auch die Jungen am Tisch.

    »Du hast wunderbar gekocht, Ella Jo!«, stellte Hermon zufrieden fest, »du wirst mal eine gute Hausfrau.« Ella Jo strahlte. Es kam nur zu selten vor, dass ihre Mutter sie lobte.

    Nach der Mahlzeit nutzte Hermon das letzte Tageslicht, um dem Unkraut zu Leibe zu rücken. Die Mädchen erledigten den Abwasch, die Jungen dagegen waren im Nu verschwunden.

    Hermon drosch verdrossen mit der Hacke auf das Beet ein, als sie plötzlich von hinten gepackt wurde, mit Armen wie Eisenklammern.

    Sie stieß einen wütenden Schrei aus, ließ die Hacke fallen und begann zu zappeln. Doch als sie eine Wange an ihrem Ohr spürte und er zu lachen begann, ließ sie sich in seine Arme fallen. »Alex! Du alter Esel! Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken!«

    Er drehte sie zu sich um und küsste sie. »Du hast mir gefehlt, Micante! Ich war neidisch auf all die Männer, die ihre Frauen dabei hatten.«

    »Ich hab dich auch vermisst, obwohl es nur ein paar Tage waren. Es ist ein Unterschied, ob du nur draußen auf der Range arbeitest, oder ob du weit weg in eine fremde Stadt fährst. Komm rein. Es gibt noch etwas zu essen.«

    »Das ist gut, ich bin hungrig wie ein Wolf. Und Jam auch.«

    »Ella Jo hat einen Eintopf gekocht.«

    Sie gingen in die Küche. Alex zog zuerst seinen Rock aus und legte ihn samt Hut ordentlich auf einen Hocker. Dann kam auch Jam herein, der seine Meghan begrüßt hatte. Hermon küsste ihn auf beide Wangen: »Schön, dass ihr wieder da seid. Ihr wart lange fort gewesen. Ich habe euch schon vorgestern erwartet.«

    »Ach, weißt du, Jad hatte da noch wichtige Verabredungen mit jungen Damen, die ihn umlagerten wie die Fliegen. Da war eine Marquise und...«

    »Du Mistkerl! Willst du wohl aufhören, so herumzulügen! Bist du schon mal plötzlich mit deinem Stuhl umgefallen!«

    Jam lachte: »Was heißt hier Lügen! Kohrs hat bestätigt, dass sie dich mit Blicken verschlungen hat! Und dann die kleine Maria...«

    Hermon musterte ihren Mann: »Sollen sie dich ruhig angaffen! Du gehörst mir!« Sie schlang die Arme besitzergreifend um seinen Hals: »Hab ich dir je gesagt, dass du der schönste Mann bist, der mir in meinem Leben begegnet ist, abgesehen von Jam natürlich?«

    »Ich kann mich nicht erinnern. Außerdem, der Marquis de Mores ist schöner als ich, glaubt er jedenfalls. Alle, die ihn in den Schatten stellen konnten, forderte er nämlich. Man sagt, er habe schon einige Männer ins Jenseits befördert.«

    »Jetzt hör auf, Unfug zu reden, und setz dich endlich hin. Ich mache den Eintopf warm, und dann erzählt ihr, was wirklich in Miles City los war.«

    Sie schenkte ihnen Bier ein, und sie begannen abwechselnd zu erzählen. Alex berichtete von der Planung des großen Roundups. »Und wer ist der Vormann von unserem Distrikt geworden?«, wollte Hermon sofort wissen. Alex räusperte sich: »Der Texaner.«

    »Nein! Das glaub ich nicht! Das ist nicht dein Ernst, Alex!«, entgegnete sie empört.

    »Nein, ist es nicht«, antwortete Jam.

    »Und wer ist es?« Sie musste auf die Antwort warten. »Ich«, sagte Alex endlich. Hermon schwieg erst einmal. »Da hast du dir was aufgehalst.«

    »Ich weiß, aber einer musste es ja machen, Chey. Und da wir unseren Rinderbestand in den letzten zwei Jahren enorm verringert haben, werde ich das recht gut schaffen. Oder wäre dir der Texaner doch lieber?«

    »Nein, natürlich nicht.«

    Sie stellte den aufgewärmten Eintopf auf den Tisch, schnitt Brot ab und setzte sich zu ihren beiden Männern, glücklich, dass sie wieder zu Hause waren.

    FORT COLLINS, April 1886

    Hermon, gerade von den Pferdeweiden zurück, hängte den Strick ein, der die Koppel verschloss und strich sich die lockige Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind aus ihrer Frisur gezerrt hatte. An ihren Stiefeln hingen dicke Matschklumpen, und ihre Hose war schmutzig.

    Sie war müde. Die Arbeit wuchs ihr wieder einmal über den Kopf. Die Tage waren zu lang, die Nächte zu kurz. Wenn sie vor der Morgendämmerung aufstand, wusste sie nicht, wo beginnen. Und wenn sie völlig erschöpft spät abends ins Bett fiel, saß ihr all das im Nacken, was sie nicht geschafft hatte.

    Wären das all ihre Sorgen gewesen, hätte sie damit schlafen können. Doch es gab ganz andere Probleme. Meghan hatte noch immer Fieber und der Husten wollte nicht wirklich besser werden. Und es gab jetzt so viel Arbeit draußen bei den Pferden, denn Alex hatte eine große Bestellung von Conrad Kohrs mitgebracht. Aber Hermon musste sich um alles kümmern, das Haus, den Garten, die Kinder und die Pferde. Und sie wusste genau, dass ohne sie die Jungpferde nicht mit der entsprechenden Sorgfalt ausgebildet wurden. Es war ihr Job, den Männern auf die Finger zu sehen und ihre Arbeit zu überwachen.

    Sie hatten zu wenige Wrangler, die zureiten konnten, und sie waren von Hermons sanften Methoden, die zu viel Zeit in Anspruch nahmen, nicht wirklich zu überzeugen.

    Hermon war zwar seit Wochen auf der Suche nach neuen Leuten, doch sie war wählerisch, und die drei Männer, die sich bisher gemeldet hatten, mussten nach wenigen Tagen wieder gehen. Und von Alex konnte sie keine Unterstützung erwarten. Das Roundup stand bevor, und der Posten als Distriktvormann saß ihm nun doch mächtig im Nacken, denn er trug eine große Verantwortung.

    Und die Leute des Texaners machten wieder Ärger. Es kam an den Grenzen ständig zu Zwischenfällen und war kein Wunder, dass Alex die meiste Zeit schlecht gelaunt war und Hermon mit sarkastischen Bemerkungen reizte, was häufig zu Streitereien führte.

    Die Kinder mussten nun mehr mithelfen als üblich. Ella Jo kümmerte sich um die nötigsten Flickarbeiten und half an den Waschtagen und beim Brotbacken. Erin jedoch, die mit ihren fast siebzehn Jahren gut hätte im Haus mit zupacken können, verbrachte die meiste Zeit des Tages mit ihren Lehrbüchern, um sich auf das Studium vorzubereiten. Bereitwillig half sie nur, wenn es kranke Pferde zu versorgen gab. Vor der Hausarbeit drückte sie sich jedoch mit großem Erfolg, weshalb es zwischen ihr und ihrer Mutter immer wieder zu heftigen Debatten kam, obwohl sie die Zukunftspläne ihrer Ältesten unterstützte.

    Jared war nun die meiste Zeit mit der Crew draußen bei der Herde, alt genug, um zu lernen, wie ein Cowboy im Sattel zu sitzen und mit dem Lasso umzugehen. Alex war ein harter Lehrmeister. Da er es selbst als Junge nicht anders erlebt hatte, verschwendete er keinen Gedanken daran, dass Jared die Gene seiner Mutter hatte und diese Methoden als Demütigung empfand. Jared begehrte gegen den Vater auf, noch immer wütend darüber, weil er nicht mit nach Miles City fahren durfte. Deshalb stellte er sich absichtlich dumm an, um ihn mit seiner vermeintlichen Unfähigkeit vor den Männern zu blamieren. Er kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, wie sehr er ihn damit traf.

    Er wehrte sich entschieden gegen jeden Zwang. Wenn Alex ihn mit der Crew hinausschickte, war er widerborstig und verweigerte gar die Arbeit, was zur Folge hatte, dass er bald bei der ganzen Crew unbeliebt war, weil er nichts als Ärger machte. Und da der Boss mit Jared ganz offensichtlich auf Kriegsfuß stand, wagte niemand, ihm zu sagen, dass sein Sohn frech und stinkfaul war. Der einzige, bei dem Jared sich zusammennahm, weil er einen Heidenrespekt vor ihm hatte, war Chuck Heesley. Er fackelte nicht lange und hatte ihm in einem unbeobachteten Moment auch schon mal das Lasso übergezogen.

    Dann erwischte Black Abe ihn einmal dabei, wie er mit dem Lasso übte, als er sich völlig unbeobachtet fühlte, und er traute seinen Augen nicht. Als Jared ihn sah, ließ er es sofort fallen. Abe fragte ihn: »Warum tust du das?«

    »Was?«, entgegnete Jared. »Du weißt schon, was ich meine«, entgegnete Abe, »deinem Vater weismachen, dass du zwei linke Hände hast und zu blöd bist, eine Kuh zu treiben.«

    Jared zuckte die Achseln und entgegnete: »Wenn du petzt, sage ich, dass du lügst!«

    Abe wandte sich schweigend ab, fragte ihn nicht, wem sein Vater wohl eher glauben würde.

    Als Alex wieder einmal tobte und kein gutes Haar an seinem Jungen ließ, legte Abe ihm die Hand auf die Schulter, ging ein Stück mit ihm, bis sie allein waren, und sagte: »Vielleicht braucht er einfach nur mal Anerkennung. Du schreist ihn ja immer nur an.«

    »Anerkennung! Wofür denn? Er ist doch für die einfachsten Arbeiten zu dämlich, dafür aber frech und faul!«, tobte Alex erneut, »wenn ich nicht ganz genau wüsste, dass er mein Sohn ist, dann...«

    »Ich bin der Meinung, Alex, du solltest dich einmal fragen, was du falsch machst. Ich glaube nicht, dass er so unfähig ist.«

    Doch nun spie Alex Feuer: »Hör zu, Abraham Schwarzhaut, du musst mir nichts von Kindererziehung erzählen, du hast selbst keine großgezogen! Und du musst dich nicht in meine Angelegenheiten mischen! Sie gehen dich einen Dreck an, also halte dein schwarzes Maul!«

    Im selben Moment, da er es ausgesprochen hatte, erschrak er über sich selbst. Er begann zu zittern und brachte kein Wort mehr hervor. Doch der inzwischen weißhaarige Abe blieb ganz ruhig und sagte: »Jared Mehegan, wenn du nicht der Sohn deines Vaters wärest und ich dich nicht lange genug kennen würde, um zu wissen, dass du das eben nicht warst, würde ich Tawamaya heute noch verlassen.« Dann drehte er sich um und ging.

    Alex blieb zurück wie ein geprügelter Schuljunge und konnte nicht fassen, was über ihn gekommen war. Plötzlich dachte er an den Jared, der ihm auf der Flucht vor den Crow das Leben gerettet hatte. Den Crow war es gelungen, ihm in wenigen Wochen mehr beizubringen, als Alex in seinem ganzen Leben, und sie hatten es mit Gewalt getan! Damals waren sie Kameraden gewesen, nur so konnten sie beide überleben. Er hatte es vergessen. Jared war nun zwölf, groß, schlaksig, ungelenk und – unfähig.

    Alex entschuldigte sich bei Abe. Er schämte sich unendlich für die Beleidigungen, die in seiner Wut über seine Lippen gekommen waren. Abe nahm die Entschuldigung gelassen an.

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