Revolver 44
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Wie kommt das Neue in die Welt? Die Zeit, so scheint es, reißt alles mit sich, was nicht gut befestigt ist. Aber den entsprechenden „Morgen nach dem Sturm“, der das Freigelegte und das vom Wind neu kombinierte Alte zum Vergleich anbietet, gibt es nicht. Die Gegenwart ist keine, wenn sie nicht unübersichtlich ist. Die Texte und Interviews in diesem Heft lassen diesen Wirbel spüren, ein bewegtes Jetzt erahnen, und wir sind schon gespannt, sie einmal im Rückspiegel zu lesen, wenn unser Heute zum Gestern geworden ist.
Die Redaktion
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Buchvorschau
Revolver 44 - Mariano Llinas
Wie kommt das Neue in die Welt? Die Zeit, so scheint es, reißt alles mit sich, was nicht gut befestigt ist. Aber den entsprechenden „Morgen nach dem Sturm", der das Freigelegte und das vom Wind neu kombinierte Alte zum Vergleich anbietet, gibt es nicht. Die Gegenwart ist keine, wenn sie nicht unübersichtlich ist. Die Texte und Interviews in diesem Heft lassen diesen Wirbel spüren, ein bewegtes Jetzt erahnen, und wir sind schon gespannt, sie einmal im Rückspiegel zu lesen, wenn unser Heute zum Gestern geworden ist.
die Redaktion
Franz Müller Ihr seid ein Filmemacher-Kollektiv, das im Kern aus vier Personen besteht: dem Regisseur Mariano Llinás, dem Kameramann und Theaterregisseur Agustín Mendilaharzu, die leider nicht hier sein können und euch beiden, Laura Citarella, Regisseurin und Produzentin, und Alejo Moguillansky, Regisseur und Cutter. Ezequiel Pierri ist als freier Produzent eine Art Satellit in eurer Gruppe. Wie habt ihr euch getroffen?
Alejo Moguillansky Mariano und ich haben uns an der Film-Universität kennengelernt. Mariano arbeitete gerade an seinem ersten Film, Balnearios (2002). Er war dabei, eine Produktionsweise ohne staatliche Gelder zu entwickeln. Das hatte mehrere Gründe, auf die wir bestimmt noch zu sprechen kommen werden. Mit Balnearios begann unsere Zusammenarbeit. Am Anfang haben wir uns viel gestritten, wir wurden aber schließlich enge Freunde. Und dann kam Laura dazu und gab unserem Chaos eine Struktur.
Laura Citarella Mariano hatte einen Preis gewonnen, um seinen ersten Film zu machen. Und da sagte wohl jemand zu ihm: Warum gehst du nicht zum INCAA (Instituto Nacional de Cine y Artes Audiovisuales), der staatlichen Einrichtung zur Filmförderung in Argentinien. Er ging also dorthin und fand eine Welt vor, mit der er nichts zu tun haben wollte. Also entschied er sich, den Film mit zwei oder drei Leuten zu machen. Er war mein Dozent an der Universität. Dort machten wir einen Kollektivfilm namens El Amor (primera parte), bei dem vier Leute Regie führten. Ich war Regieassistentin und Mariano eine Art Betreuer für uns. So habe ich angefangen, mit Mariano zusammenzuarbeiten. Danach begannen wir mit Historias extraordinarias, und das war glaube ich der Moment, in dem wir kein System, aber einen sehr besonderen Weg der Zusammenarbeit fanden, in dem „El Pampero Cine" endlich seine Struktur und Organisation bekam. Mit Historias extraordinarias wurden Mariano, Alejo, Agustín und ich zu einer festen Gruppe.
Franz Müller Die Förderstruktur in Argentinien lässt sich mit der deutschen Filmförderung mit BKM, FFA und regionaler Förderung vergleichen. Für keinen eurer Filme habt ihr jemals INCAA-Förderung beantragt?
Laura Citarella Für keinen.
Franz Müller Warum habt ihr entschieden, euch nicht auf die großen Töpfe zu bewerben?
Laura Citarella [lacht] Das hat viele Gründe. Es gibt eine traditionelle Art Filmproduktion zu denken, die einer vertikalen Struktur ähnelt und bei der es jemanden gibt, dem der ganze Zirkus quasi gehört. Es hat auch mit Geld zu tun, dass die Filme zu einem Produkt werden, das man verkaufen muss. In dieser Struktur muss man sich mit vielen Dingen auseinandersetzen, die nichts mit Kino zu tun haben. Ein Grund ist vielleicht, dass wir nicht denken, dass ein Film ein verkäuflicher Gegenstand ist. Das ist vielleicht ein politischer Grundsatz, dass wir Filme so machen wollen, dass sie kein Produkt sind, sondern etwas anderes werden.
Alejo Moguillansky Ja, es geht darum, die industriellen Strukturen zu vermeiden. Und darum, diese Verrücktheit zu vermeiden, die in jeder Institution passiert: dass der Filmemacher über seine Idee nachdenkt, Drehbuchförderung beantragt, ein Jahr lang das Drehbuch schreibt, dann Gelder für die Vorproduktion beantragt, ein weiteres Jahr lang den Film vorproduziert, und dasselbe für den Dreh, und am Ende hat der Filmemacher in vier Jahren vielleicht vier Wochen hinter der Kamera verbracht. Das ist der Fehler des industriellen Systems. Man denke nur an Charlie Chaplin. Chaplin hat jeden Tag im Jahr gedreht, sie hatten ihr eigenes Studio und drehten ständig.
Franz Müller Aber das war doch ein industrielles System bei Chaplin. Ich weiß nicht, ob das, was du beschreibst, eine Industrie ist.
Laura Citarella Es ist die heutige Industrie.
Franz Müller Ich weiß nicht, ob man ein Fördersystem ein industrielles System nennen kann. Hat euer Verzicht auf die großen Fördertöpfe vielleicht auch damit zu tun, dass die Filmförderung auf ausgearbeiteten Drehbüchern beruht? Manchmal beruht ein Film aber nur auf einer Bildidee oder etwas anderem Ungreifbaren, das man überhaupt nicht niederschreiben kann.
Laura Citarella Ja, weil es eben doch auch eine Art von Industrie ist, die Arthouse-Industrie, in der man Gelder auftun kann und wo man sich selbst mehr verkaufen muss als seinen Film, um die Leute zu überzeugen, dass man die Beste ist und das Geld verdient. Und dann gibt es andere Gelder, für die man seinen beinahe fertigen Film einreicht, was ich für gerechter halte. Aber auch um diese Art von Mitteln existiert eine Industrie, mit Filmfestivals usw., weil sich viele Filmemacher darum bemühen. Um ein offensichtliches Beispiel zu nennen: Südamerika ist…
Alejo Moguillansky … Armut.
Laura Citarella Genau. Ihr Europäer mögt es, zu sehen, wie es in unserer Region zugeht. Also schreiben die Leute hier Filme darüber, nur um an die Mittel zu kommen. Es gibt gewissermaßen einen Mangel an Freiheit in diesem Prozess. Vielleicht ist der Mainstream – jetzt sage ich etwas –, vielleicht ist Hollywood am Ende ehrlicher, weil eindeutiger.
Franz Müller Für mich sind eure Filme das Gegenteil dieser Art von World Cinema, das durch alle Länder tourt. Ich mag auch Lisandro Alonsos Filme, aber er macht in gewisser Weise Filme für diesen Markt, der nicht wirklich ein Markt ist, für das Fördersystem, und das sieht man den Filmen an. Und das wiederum schätze ich an euren Filmen: sie sind frei, sie haben nicht diese…
Laura Citarella …Verpflichtungen.
Saskia Walker Bei den Festivals, für die ich arbeite, sehen wir viele frische, innovative Filme aus Argentinien. Wie ich mittlerweile verstanden habe, besteht ein Grund dafür darin, dass die private Filmhochschule Fundación Universidad de Cine, die FUC, in Buenos Aires, wo ihr euch alle getroffen habt und wo Mariano und Agustín unterrichten, allen Studierenden ein Leben lang kostenfrei Zugriff auf sämtliche Technik für Produktion und Postproduktion gewährt. Kameras, Avid, alles umsonst!
Publikum Da gibt es auch eine ideologische Dimension. Wenn ich es richtig verstehe, versucht ihr nicht, die industriellen Strukturen zu umgehen, sondern die kapitalistischen.
Alejo Moguillansky Dem stimme ich zu.
Laura Citarella Wir haben eine kollektive Struktur, keine oppressive, hierarchische.
Ezequiel Pierri Wenn man Geld von der INCAA, also Staatsgeld bekommt, muss der Film auch in seiner Herstellung einer gewissen Agenda folgen. Man muss ihn