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Life Game: Die Formation
Life Game: Die Formation
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eBook484 Seiten6 Stunden

Life Game: Die Formation

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Über dieses E-Book

- „Nimm Abschied.“ Seine Stimme ist rau und unfassbar leise, beinahe nur ein Rauschen im Hintergrund. Seine Worte jedoch schreien so laut, dass er gar nicht lauter sprechen muss. -

Was, wenn das alles nur ein Spiel ist? Ein Experiment unter kontrollierten Laborbedingungen? Was aber, wenn nicht? Wenn dies doch alles real ist und jede falsche Entscheidung den Tod bedeuten kann?"

Ben landet in einer fremden Welt, welche ihn über den Tod hinaus fordert. Diese Welt könnte einem Alptraum nicht schlimmer entspringen.

Spannungsgeladener Action-Horror-Mystery-Mix mit jeder Menge Adrenalin, unvorhersehbaren Wendungen und einer neuen Hauptfigur mit dem unbeugsamen Willen zum Überleben.

Vielen Dank und viel Spaß beim Lesen.

C.G. Illegan

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Juli 2019
ISBN9783739639468
Life Game: Die Formation

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    Buchvorschau

    Life Game - C.G. Illegan

    Persönliches

    Danke, dass Du mein Buch liest.

    Ein Buch zu schreiben ist grundsätzlich ein Abenteuer. Es beginnt mit einer ersten Idee, einem Impuls. 

    Da dies mein erstes Buch ist, war das Abenteuer für mich vielleicht sogar noch intensiver, als für viele andere Autoren. Alles fing mit einem Bild in meinem Kopf an. Dieses Bild formte das erste Kapitel. Ich hatte keine durchdachte Story, keine festen Konzepte. Ich habe einfach losgeschrieben. In jeder freien Minute wuchsen die Kapitel und die Story zu dem endgültigen Werk heran.

    Das Abenteuer für mich lag vor allem darin, dass ich nie wirklich weiter, als bis zum Ende eines Kapitels geplant habe. Ich habe also, genauso wie Ihr Leser, die Geschichte Zeile für Zeile entdecken müssen. Das entspricht jetzt nicht dem klassischen Autorenvorgehen, aber für mich war es der richtige Weg. Ich hoffe, dass diese Art des Geschichtenentdeckens im Buch spürbar ist.

    Für Feedback und Anregungen bin ich grundsätzlich und immer offen und dankbar. Nur eine Bitte habe ich dazu: seid konstruktiv! Ich bin kein ausgebildeter Autor, sondern ein einfacher Mann mit vielen Ideen, welche ich gerne in Worte fasse.  

    Betrachtet diese Version bitte als Beta-Version. Sie ist (noch) nicht professionell lektoriert und birgt sicherlich den ein oder anderen Fehler. Ich bin dabei, dies alles zu korrigieren und aktualisiere die Kapitel regelmäßig. Da das Schreiben jedoch nicht mein Hauptberuf ist, kann ich dies nur schrittweise umsetzen. Das Buch ist somit ein dynamischer Prozess, wenn Ihr versteht, was ich meine. Entsprechend verlange ich für das Buch nicht die klassischen Preise, sondern einen weit geringeren Preis. 

    Dem Leseerlebnis sollte dies jedoch nicht wesentlich im Wege stehen. Ich habe bereits diverse Rückmeldungen erhalten und kann erfreulicherweise mitteilen, dass die meisten Leser sich ordentlich und durchaus einzigartig unterhalten gefühlt haben. 

    Der größte Dank gebürt daher allen, die mich bislang beraten, kritisiert oder einfach nur motivierend begleitet haben. Für alle, die dies auch gerne tun würden:

    illegancg@gmail.com

    Die Ideenkiste für weitere Geschichten ist prall gefüllt!

    Vielen Dank und nun viel Spass beim Lesen und Eintauchen in meine Fantasie.

    C. G. Illegan

    Prolog

    Eine fremde Welt, elf fremde Menschen um mich herum. Spärliche Informationen und keine Anleitung zur Handlung. Alles was ich anfasse, kann meinen Tod oder meine Rettung bedeuten. Alles, was ich sehe muss ich in Frage stellen. Real, nicht real, nicht das, was es scheint?

    Warum bin ich hier und wie komme ich hier wieder weg? Und warum melden sich meine Dämonen ausgerechnet hier?

    Hallo ich bin Ben, meine Reise hat gerade begonnen. Ich habe Angst, Wut und Heimweh… und den festen Entschluss hier wieder wegzukommen. Egal zu welchem Preis…

    1. Der Kollektor

    Tief einatmen. Die Freiheit fühlen.

    Meine Augen sind geschlossen.

    Um mich herum herrscht absolute Stille.

    Ein paar Schweißperlen sammeln sich auf meiner Stirn, und laufen mir die Wangen hinunter. Mein Puls schlägt spürbar in meinem gesamten Blutkreislauf. Ich spüre jeden einzelnen Herzschlag, durch meinen Körper jagen.

    Das einzige wahrnehmbare Geräusch erzeugen meine Laufschuhe. Sie rollen sich rhythmisch knirschend vom Boden ab, nur um gleich darauf wieder mit sanftem Stoß auf dem Feldweg aufzusetzen. So tragen sie mich immer einen weiteren Schritt voran.

    Ich laufe gerne über die Äcker. Man sieht wenig Menschen und bis auf einzelne Traktoren herrscht kein Verkehr. Hier und da springen Rehe und Hasen aus dem hüfthohen Gras und flüchten vor mir und meinen grellbunten Brooks Laufschuhen.

    Nach Feierabend zieht es mich raus in die Natur. Das ist meine Zeit, um den Kopf frei zu kriegen. Eine Stunde, die nur mir gehört. Eine Stunde, um alle Gedanken zu sammeln und der Reihe nach abzuarbeiten, abzulegen oder zu verwerfen. Zeit und Ruhe, Gedankenspiele zuzulassen, die sonst im Alltag keinen Platz finden.

    Ich bleibe stehen, um einmal tief durchzuatmen und mich zu strecken. Sieben Kilometer habe ich bereits hinter mir, da werden die Abstände zwischen den Pausen schon mal kürzer und die Pausen länger. Ich befinde mich auf einem erhöhten Feldweg, sozusagen einem Grat, inmitten einer hügeligen Feldlandschaft. Dutzende dieser Feldwege durchziehen die Landschaft. Teils sind sie befestigt, teils sind es einfach nur Traktorspuren, welche sich durch knöchelhohes Gras ziehen, wie kleine parallel laufende Bäche.

    Links von mir befindet sich ein Feld mit irgendeinem Getreide, rechts von mir erstreckt sich ein ausladendes Maisfeld in voller Blüte. Es ist Hochsommer und die Felder stehen kurz vor der Ernte. Aus den Kopfhörern in meinen Ohren dringt gerade U2 „Cemetries of London". Das ist ein großartiger Song, welcher sich ideal mit meinem Lauf-Rhythmus zusammenfindet. Mit tiefen Zügen fülle ich meine Lunge, mit möglichst viel Sauerstoff, als Vorbereitung zum Weiterlaufen. Einen Augenblick genieße ich den Moment noch, bevor ich langsam wieder antrabe. Meine von Schweiß rutschigen Finger fummeln an den winzigen Regelertasten, um die Lautstärke in den Kopfhörern hochzudrehen. Meine Schritte finden wieder den Rhythmus des Songs. Durch die Bewegung streicht Wind über meine verschwitzten Stellen am Rücken, und erfrischt mich überraschend angenehm.

    Aus den Augenwinkeln glaube ich eine Bewegung hinter oder neben mir wahrzunehmen. Neugierig drehe ich meinen Kopf zur Seite, ohne mein Tempo zu verlangsamen. Mit der Fernbedienung an den Kopfhörerkabeln stelle ich den aktuellen Song auf Pause und bündle meine gesamte Konzentration auf mein Gehör. Es sind aber weder Traktormotoren, noch Fahrradklingeln zu hören. Ich erwarte den Anblick eines mir zugewendeten Hasenpopos, der hakenschlagend das Weite sucht. Aber außer dem sanft im Wind wiegenden Getreide und Mais bewegt sich nichts. Ich laufe weiter, und erkläre mir die vermeintliche Bewegung mit einem Schweißtropfen, der mir am Auge vorbeigelaufen sein muss. Noch bevor ich wieder meine volle Laufgeschwindigkeit erreiche, bohrt sich ein Pfeil direkt links vor mir in den Acker. Die gleiche Bewegung, wie ich sie kurz zuvor dachte wahrgenommen zu haben. Diesmal ist es definitiv keine Einbildung, oder ein Schweißtropfen. Die Absurdität der Situation überfordert mich etwas, also bleibe ich stehen und versuche zu verarbeiten, zu begreifen, was ich da grade gesehen habe. Unsicher, was ich von all dem halten soll, starre ich den Pfeil regungslos einfach nur an.

    Die augenscheinliche Machart des Pfeils fasziniert mich nachhaltig. Er sieht nicht aus, wie einer aus dem Spielwarenladen oder einem Profi-Sportgeschäft. Er sieht aus, wie man sich einen alten Pfeil aus der wilden Zeit der Indianer vorstellt. Etwas abgenutzt, echte Federn im Kiel und das Holz von der Sonne und der Zeit ausgebleicht und verwaschen.

    Ich drehe mich ruckartig um, da mir gerade klar wird, dass jemand den Pfeil auch abgeschossen haben muss, und erstarre in meiner Bewegung. Fassungslos erkenne ich einen Indianer, der auf meinem Feldweg völlig deplatziert wirkt. Wie weit ist er von mir entfernt? Vielleicht 20 Meter? Ich bin nicht sonderlich gut im Schätzen von Entfernungen. Es könnten auch 50 Meter sein. Sein linker Arm hängt lang an der Seite herab und hält locker umschlossen einen Bogen in der Hand.

    Ich bin mir unschlüssig, was ich als nächstes erwarten sollte. Haben sich die Jungs einen peinlichen Scherz erlaubt? Hab ich einen Hitzschlag? Werde ich als Opfer eines Dorf-Psychopathen heute Abend die Nachrichten füllen?

    Mit einer ruhigen und flüssigen Bewegung streckt der Indianer seine rechte Hand steil in den Himmel, und auf einen Schlag setzt in meinen Ohren ein betäubend lautes Dröhnen ein. Ich schließe im Reflex meine Augen, wie bei einer Migräneattacke, und versuche mich auf den Schmerz zu konzentrieren. Mit geschlossenen Augen bete ich, dass ich nicht verrückt werde und an wilden Halluzinationen leide. Der Schmerz in meinem Schädel geht etwas zurück. Mit geschlossenen Augen fühle ich mich jedoch ausgeliefert, unsicher und öffne sie vorsichtig, so schnell es geht wieder. Ohne darüber nachdenken zu können, mache ich einen kleinen Satz nach hinten, denn der Indianer steht direkt vor mir. Nicht eine Armlänge von mir entfernt, bohrt sich sein Blick durch tote, schwarze Augen tief in mein Innerstes.

    2. Nicht Deine Welt

        Ich zucke zusammen und mache vor Schreck einen großen, ruckartigen Schritt zurück. Die leichte Brise, welche mir vor wenigen Augenblicken noch den Rücken erfrischt hat, flaut spürbar ab. Sie wird ersetzt durch ein warmes, nervöses Kribbeln, welches sich von meinen Nieren aus über den gesamten Rücken ausbreitet. Der alte Indianer steht scheinbar unbeeindruckt noch an derselben Stelle, regungslos und mit unbeweglichen, hängenden Gesichtszügen. Sein Blick ist noch immer fest und tief in meinen Augen verankert. Es fühlt sich an, als ob er sich mitten in meinem Kopf befindet. Ich kann regelrecht spüren, wie er sich Zugang zu meinem Gehirn, meinen Gedanken, meiner Persönlichkeit verschafft. Wie hypnotisiert starre ich ihn fasziniert an. Ich bin nicht in der Lage mich von der Stelle zu bewegen.

    „Nimm Abschied." Seine Stimme ist rau und unfassbar leise, beinahe nur ein Rauschen im Hintergrund. Seine Worte jedoch schreien so laut, dass er gar nicht lauter sprechen müsste.

    Schock und Faszination lähmen und fesseln mich gleichermaßen, als mir bewusst wird, dass er zu mir spricht, ohne dabei den Mund zu öffnen. Es scheint, als ob er tatsächlich eine Verbindung durch meine Augen direkt in meinen Kopf, in mein zentrales Nervensystem aufgebaut hätte. Seine Worte irritieren mich und ich bin zu keiner Reaktion in der Lage. Stattdessen starre ich ihn weiter ungläubig an.

    „Nimm Abschied", wiederholt er in seiner leisen, aber tiefen und durchdringenden Stimme.

    Mir steht der Mund weit offen und mir fällt nicht eine einzige angemessene Reaktion ein, um mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich bemerke jetzt auch, dass nicht nur der Wind verschwunden ist. Alles ist vollständig verschwunden, die Wärme der Sonne, die Geräusche der Natur, der Geruch der Felder, das Gefühl zu existieren. Mir kommt es so vor, als ob ich in eine künstliche Umgebung gesetzt wurde. Vielleicht befinde ich mich ja tatsächlich in irgendeiner Virtual Reality Umgebung, oder man macht gerade irgendwelche Gehirnexperimente mit mir. Habe ich einen Schlaganfall? Fühlt sich das so an? Man hört und liest viel über die Nahtoderfahrungen von Menschen. Darin scheint alles möglich zu sein. Meine Vernunft hält mich davon ab, völlig durchzudrehen und mich meinen Fantasien hinzugeben. Ich bin nicht tot und ich habe keinen Schlaganfall, rede ich mir still ein. Allerdings tritt langsam ein Schwindelgefühl auf, welches mich immer dann überkommt, wenn ich von einer Situation hoffnungslos überfordert bin. Diese hier ist offensichtlich so eine.

    Je länger ich diesen vermeintlich Eingeborenen anstarre, desto mehr erkenne ich, dass es sich hier nicht um einen Indianer handelt. Der Bogen und die markante Bemalung in seinem Gesicht und auf seinem nackten, ledrigen Oberkörper suggerierten im ersten Moment nur das scheinbar Offensichtliche. Das Gehirn versucht alles, was es sieht, mit etwas Bekanntes zu verknüpfen. Das Gehirn braucht Strukturen und übernimmt dabei viel unbewusste Arbeit, um den Verstand zu schützen.

    Die faltigen Züge seines Gesichtes und die geröteten Augen wirken, wie die eines Menschen, der viel Zeit ungeschützt in der Sonne verbringt. Seine Augen sind kreisrund mit schwarzer Farbe umstrichen. Wenn er sie schließt, sieht man nur zwei gewaltige, schwarze Kreise. So, wie zwei weit aufgerissene, leere Augenhöhlen. Aber seine Gesichtszüge haben nichts Indianisches. Irgendetwas fehlt, aber ich kann es nicht greifen. Es macht mich verrückt, zu wissen, dass es etwas nicht stimmt, aber nicht in der Lage zu sein, es zu benennen.

    Von den faltigen, knorpeligen Ohren läuft über den Hals, die Schulter den Arm hinunter jeweils ein dicker schwarzer Strich und verästelt sich hinter dem Handgelenk in zwei feinere Linien. Eine führt bis in die Spitze des Zeigefingers, die andere in die des Ringfingers. Der dicke Strich ist gut eine Hand breit und wurde vermutlich auch mit einer flach aufliegenden Hand aufgetragen. Auf der Brust trägt er einen großen, schwarzen Kreis, dessen Rand ebenso dick ist, wie die Streifen an den Armen. Das Innere ist schneeweiß ausgefüllt. Die Farbe wirkt trocken und ist mit Rissen durchsetzt, wie man sie in ausgetrockneten Wüstenflächen häufig sieht.

    Eine abgegriffene Lederhose bedeckt seine Beine. Anstelle eines Gürtels wird sie von einer groben Kordel zusammengehalten. Auch seine Schuhe sind aus Leder und ebenfalls von einfacher Machart. Ich kann noch immer nicht ausmachen, was mich am Gesamtbild dieses Mannes irritiert. Mal abgesehen von der Tatsache, dass hier ein Halbnackter mitten auf den Äckern steht und mich anstarrt. Dann sehe ich es plötzlich. Er hat keine Nase. Die linke Wange geht einfach nahtlos in die rechte Wange über.

    „Wie kann das sein?, flüstere ich meine Verwunderung heraus, ohne meinen Blick von ihm zu nehmen. „Wie kann das sein?.

    „Ich gewähre dir bis morgen, wenn die Sonne am höchsten steht. Sei bereit, mit mir zu kommen."

    Seine sonore Stimme dröhnt in meinem Kopf. Er spricht nun nicht mehr leise, sondern wie durch einen bei mir im Kopf installierten Hochleistungslautsprecher. Mein Schädel funktioniert wie eine Resonanzkammer. Es donnert und hämmert in diesem kleinen Raum und zwingt mich unaufhörlich zu blinzeln. Zu viele Informationen, die ich nicht schnell genug verarbeiten kann.

    „Du gewährst mir einen Scheiß, platzt es dann aus mir heraus. Endlich, der Knoten ist gelöst und ich bin endlich wieder in der Lage zu reagieren. „Ich glaube, wo ich hingehe und wohin nicht, entscheide noch immer am besten ich selber, oder? Gut so, jetzt ist auch das Selbstbewusstsein und mein Selbsterhaltungstrieb wieder an Board. Seines hat ihn jedoch nie verlassen und mein Reaktion beeindruckt ihn nicht im Geringsten.

    „Mir ist egal, was du jetzt machst. Am besten drehst du dich um, und lässt mich wieder in Ruhe. Dann will ich mal so tun, als ob das alles hier nicht geschehen ist. Kannst von Glück reden, dass du mich mit deinem Pfeil nicht getroffen hast, dann wäre ich nicht so entspannt. Also los jetzt. Verschwinde, sonst muss ich doch die Polizei rufen". Seine einzige Reaktion besteht darin, mich weiter bohrend anzustarren.

    „Nimm Abschied. Ich hole dich, wenn die Sonne am höchsten steht".

    „Das reicht jetzt, verzieh dich du Spinner. Letzte Chance, sonst…", ich krümme mich vor Schmerz. Es fühlt sich an, als ob mein Blut kochend durch meine Adern blubbert. Während ich versuche wegzulaufen, fühle ich zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaftige Angst.

    Dann wird alles schwarz.

    3. Kreise

    Schemenhaft nehme ich die Umrisse meiner Umwelt immer klarer wahr. Fast so, als ob ich gerade aus dem Schlaf oder einer Ohnmacht erwache. Ich schleppe mich über einen trockenen Acker nach Hause. Wie bin ich hierhergekommen? Wo genau ist hier? Ich bleibe kurz stehen, und versuche mich zu orientieren. Das sollte mir nicht schwer fallen, ich gehe hier regelmäßig laufen und kenne die Wege, wie die Wege in meinem Haus. Die Baumreihen am Horizont wirken vertraut, sie liegen aber in der völlig falschen Richtung. Ich bin bereits an ihnen vorbeigelaufen, bevor ich von dem Wesen überfallen wurde. Wo ist das verfluchte Ding überhaupt? Was ist passiert? Wild drehend suche ich die Umgebung nach dem komischen Spinner ab, kann ihn aber nirgends ausmachen. Meine Benommenheit und Desorientierung schwinden und ich kann wieder einordnen, wo ich mich gerade befinde. Ich muss wieder zurückgelaufen sein, in Richtung meines Hauses. Ich kann mich nicht daran erinnern überhaupt gelaufen zu sein, nachdem ich den Indianer getroffen habe. Wie aber komme ich dann hierher? Sollte ich bewusstlos gelaufen sein? Wäre das denn überhaupt möglich?

    In meiner Magengegend verspüre ich ein merkwürdig vertrautes Kribbeln. Es fühlt sich an, als ob ich etwas Falsches getan habe. Etwas, was ich normalerweise nicht tun würde. Ich kann es im Moment nicht klar einordnen.

    Mein pochendes Gehirn ist damit beschäftigt, die letzten Minuten oder Stunden nachzuvollziehen. Es dämmert bereits. Wie lange laufe ich schon wie ein Zombie durch die Äcker, oder habe ich irgendwo am Wegrand gelegen? Ich habe noch immer das Echo der sonoren Stimme des ledrigen – ja, was eigentlich - im Kopf. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, als die Erinnerungen blitzartig durch meinen Kopf jagen.

       ‚Morgen. Bereit sein. Abschied nehmen‘, was soll dieser Scheiß? Warum beschäftigt mich das überhaupt noch? Der hatte nicht alle Latten am Zaun. Wenn er seine Pillen heute Abend wieder bekommt, ist er bestimmt ein umgänglicher, netter Kerl. Schließ damit ab, Ben. Damit hast du eine super Story für den nächsten Männerabend. Die Jungs werden sich kringeln vor Lachen.

    ‚Nimm Abschied‘.

    Mit schweren Gliedern, wie bei einer Grippe und mehr Fragen, als mein Verstand gerade verarbeiten kann, schleppe ich mich bis zu meiner Haustür.

    ‚Ich gewähre dir bis morgen Mittag‘.

    Von meiner Umwelt habe ich auf dem gesamten Weg nichts mehr bewusst wahrgenommen, und stecke erleichtert aber schwer schnaufend den Schlüssel ins Schloss.

    ‚Wenn die Sonne am höchsten steht‘.

    In meinem Haus angekommen, schleife ich mich mit letzter Kraft auf die Couch im Wohnzimmer und falle sofort in einen tiefen Schlaf.

    ‚Sei bereit‘.

    Mitten in der Nacht wache ich schlagartig, wie nach einem Alptraum schweißgebadet auf. Ich bin ab dem ersten Moment hellwach, so als hätte mich etwas aus dem Schlaf gerissen, auf was mein Körper mit Adrenalin reagiert. Meine Sportkleidung klebt an mir, als ob ich im Regen gelaufen wäre, und auch die Couchpolster sind klamm. Ich spüre mein Herz unter meiner Brust rasen und meine Finger sind eiskalt. Meine Lippen sind trocken und kurz davor zu springen. Es ist fünf Uhr dreißig am Morgen.

    ‚Morgen‘

     Wie durch einen dicken Nebel quälen sich diffuse Erinnerungen ans Licht. Ich habe von dem nasenlosen Mann geträumt. Hatte mir vorgestellt, wie ich mich wohl gegen seine angekündigte Entführung wehren könnte. Mit welchen Mitteln könnte ich realistisch etwas erreichen? Einem Psychiater vielleicht? Was stimmt mit mir nicht? Wilde Träume sind das Eine, aber Tagträume? War es denn tatsächlich ein Traum? Mein Kopf dreht sich, wie bei dem Versuch die Unendlichkeit des Universums zu begreifen. Was war vor dem Urknall? In welchen Raum hat sich das Universum hineingedehnt? Was liegt jenseits davon? Was bedeutet Unendlichkeit? Wer hat Gott geschaffen? Jedes Mal, wenn ich mich damit länger als drei Minuten beschäftige, kreist mein Gehirn im Schleudergang. Genauso fühlt es sich jetzt gerade in diesem Moment an. Allerdings mit einer wachsenden Beklemmung bei dem Gedanken an die angekündigte Entführung und der Sorge davor, dass die Drohung doch ernst gemeint gewesen ist.

    Eine lange und kalte Dusche hilft mir dabei, meinen Kopf zumindest ein kleines Stück zurück zu erobern. Es ist bereits kurz vor sechs Uhr morgens, ich kann also direkt zum Frühstück übergehen und mich für die Arbeit fertig machen. Mein Büro ist nur ca zwanzig Minuten von meinem Haus entfernt. Um sieben Uhr sitze ich im Büro an meinem großen Schreibtisch und vertiefe mich in mein Emailpostfach. Mir huscht ein Grinsen übers Gesicht, denn ich ziehe gerade den Vergleich, dass es nicht nur auf den Äckern in meiner Nachbarschaft Knalltüten gibt. Ein dutzend der Emails, welche über Nacht aus Übersee eingetroffen sind kann ich umgehend weiterdelegieren. Die anderen dreißig Emails bedürfen etwas mehr Aufmerksamkeit. Ich liebe meine Arbeit im Vertrieb. Seit zehn Jahren habe ich Personalverantwortung und finde großen Gefallen an der Verantwortung für meine Mitarbeiter und an unseren Projekten. Wir arbeiten in der Automotive-Branche. Hier ist der Ton recht rau und alles ist von festen Zeitplänen und Projektkatalogen bestimmt. Verzögerungen in den Abläufen können sehr schnell in fünf bis sechsstelligen Schadenshöhen ausufern. Der Kopf ist daher besser dauernd eingeschaltet und auf Betriebstemperatur.

    Es ist elf Uhr und die ersten Kollegen gehen bereits in ihre Mittagspause. Ich gehe selten vor ein Uhr raus und nutze lieber das leere Büro um die Mittagszeit, um in Ruhe arbeiten zu können. Mein Kaffee ist leer und auf dem Weg in die Kaffeeküche nutze ich die Gelegenheit, stelle mich etwas abseits im Flur in eine Ecke und wähle auswendig eine mir sehr vertraute Nummer.

       „Hallo Mama, wollte mal hören, wie es Euch geht?"

       „Hallo Ben, wie schön, dass du dich meldest. Geht es dir gut? Wenn du von der Arbeit anrufst, machen wir uns direkt Sorgen, dass etwas passiert ist". Ihr habt ja keine Ahnung, welche Sorgen ich mir immer mache, wenn ihr mich auf der Arbeit anruft.

       „Alles gut. Ich hatte nur eine schlechte Nacht, und wollte ein paar vertraute Stimmen hören. Mit Oliver habe ich bereits kurz gesprochen. Er hat mir von seinen Plänen erzählt, eine eigene Praxis zu eröffnen".

       „Ja das stimmt, das hat er uns auch schon erzählt. Aber nochmal zurück zu dir. Ist irgendwas passiert, dass du schlecht schläfst? Können wir dir irgendwie helfen?" Ich sehe ihr Gesicht vor mir. Ihren sorgenvollen Blick, und verfluche mich gerade, dass ich erzählt habe, dass es mir nicht so besonders geht. Wenn ich das Gespräch nicht zu einer Psychoanalyse werden lassen möchte, muss ich auf eine Notlüge zurückgreifen.

       „Nein, alles wieder in Ordnung. Ich muss wohl einen Alptraum gehabt haben. Ist schon eine Weile her, dass ich so schlecht geträumt habe, dass es mich in den Tag begleitet. Aber macht euch keine Sorgen, es war irgendwas Wirres, wie aus einem Film. Es hat nichts mit der Arbeit oder meinem echten Leben zu tun." In Gedanken ergänze ich den Satz mit –hoffentlich-.

       „Du brauchst dringend eine Frau an deiner Seite. Das sagen wir dir aber schon lange, und komm‘ jetzt bloß nicht wieder mit der Ausrede, die Arbeit lässt dir keine Zeit. So gut verdienst du auch nicht, dass du nur im Büro sitzen musst. Sei mir nicht böse mein Schatz, dein Vater wartet bereits im Auto, wir fahren jetzt einkaufen. Ich muss also los. Geht es dir wirklich gut?"

       „Ja Ma, alles gut. Ich freue mich zu hören, dass es Euch auch gut geht. Ich melde mich später nochmal und schau mal, wann ich das nächste Mal vorbeikommen kann". Noch während ich auflege, spüre ich wie sie zwar versucht zu lächeln, die Sorge aber nicht komplett abstreifen kann. Es wird heute Abend wohl noch ein längeres Telefonat dazu geben. Bei dem Gedanken muss ich ein wenig lächeln.

    Der Kontakt zu meiner Familie gibt mir das Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit. Der Austausch mit ihnen erdet mich. Ich habe vermutlich wirklich zu wenig sozialen Austausch mit anderen Menschen. Meine Familie ist für mich der Anker im Alltag. Ich sollte tatsächlich mal kürzer treten und versuchen Frauen kennenzulernen. Mit diesen Gedanken beschließe ich die Begegnung mit Mr no-nose, als eine Halluzination zu betrachten, und nehme mir vor, mich bei einer der bekannten Partnerbörsen anzumelden.

    An meinem heißen, frisch gebrühten Kaffee nippend, starre ich wieder auf meinen Bildschirm, und versuche mich auf die neuen Emails zu konzentrieren. Der Bildschirm verlässt meinen Fokus. Unwillkürlich habe ich eine stattfindende Bewegung vor Augen. Das ist irritierend, denn beim Weiterlesen stelle ich fest, dass gar keine Bewegung stattgefunden hat. Es fühlt sich an, als starre ich leicht abwesend durch den Bildschirm hindurch. Dann zucke ich kurz zusammen, weil mir bewusst wird, dass ich gerade tatsächlich durch ihn hindurch schaue. Er ist noch da, aber irgendwie verschwommen und flackernd und ich kann die dahinterliegenden, eigentlich durch ihn verdeckten Kollegen sehen. Ich kneife die Augen zusammen und schüttle meinen Kopf, so als ob man die Fliehkräfte nutzen könnte, Gedanken oder Bilder aus seinem Gehirn zu schleudern. Der Eindruck, der transparenten Umgebung lässt sich aber leider nicht so einfach abschütteln. Die Bewegungen meines Kopfes sind impulsiv von einer aufkeimenden Angst begleitet. Dadurch übertragen sie sich auf meinen gesamten Oberkörper, über die Schultern in die Arme. Zu spät merke ich, dass ich etwas Kaffee auf meinem Schreibtisch und auf meine Schuhe schütte. In der Hoffnung, dass es nur eine Halluzination gewesen ist, blicke wieder auf den Bildschirm und stupse mit meinem Zeigefinger dran. Das soll mir den spürbaren Beweis liefern, dass er tatsächlich dort ist, dass er nicht durchsichtig oder immateriell ist. Mein Finger hinterlässt für einen Moment diese lästigen Regenbogenabdrücke, die durch die Aktivierung der kleinen LCD-Kristalle entstehen. Ich atme tief und befriedigt durch. Alles folgt wieder einer gelernten Logik. Ich mache eine schnelle Aufnahme der Situation. Kaffee auf dem Tisch, Kaffee auf meinen Schuhen. Hose und Tastatur sind glücklicherweise nicht betroffen.

    Offensichtlich hat niemand im Büro mitbekommen, wie ungeschickt ich mich gerade angestellt habe. In der Küche gibt es Papiertücher und einen Wischlappen. Ich blicke nochmal möglichst unauffällig um mich herum, um sicherzustellen, dass ich tatsächlich nicht beobachtet wurde. Als Führungskraft versucht man automatisch nicht peinlich aufzufallen. Kein Futter für Lästerei bieten. Die Kollegen scheinen alle unbeeindruckt ihren Aufgaben nachzugehen, also stehe ich langsam auf, und steuere Richtung Küche.

    Der Weg von meinem Schreibtisch zur Küche führt an weiteren Büroräumen vorbei. Ich muss vier Türen passieren, die fünfte ist die Küche. Ein kleiner aufgeräumter Raum mit Spüle, Herd und einer Mikrowelle. In der Regel finden sich in den Schränken Geschirrtücher, Spülschwämme und eine Rolle Küchenpapier. Schon beim Gedanken an den Raum strömen mir vertraute Gerüche in die Nase. Kaffeepulver, verschiedenste Mischungen an Lebensmitteln, welche in der Mikrowelle aufgewärmt wurden und alles gepaart mit dem billigen Spüli und dem Reinigungszeug unter der Spüle.

    Auf halber Strecke spüre ich einen dumpfen Schlag in meiner Magengegend. Wie die Druckwelle eines großen Basslautsprechers. Ich kneife meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, und bete, dass ich jetzt nicht als Krönung auch noch Durchfall bekomme. Der Gang scheint in konzentrischen Kreisen zu flackern. Das Flackern hält nur für den kurzen Augenblick, in welchem ich den Schlag spüre. Mit meiner rechten Hand stütze ich mich reflexartig an der Wand im Gang ab, und bleibe stehen. Ich sammle meine Gedanken. War das ein Schwächeanfall? Ich hatte noch nie wirklich einen, und kann das Erlebte für den Moment nicht einordnen. Ich kann nur mit Sicherheit sagen, dass es nicht aus Richtung Darm kommt.   

    In der Küche angekommen fülle ich Leitungswasser in ein Glas aus dem Hängeschrank und trinke es gierig leer. Mit zittriger Hand stelle ich es in die Spüle zu den anderen benutzen Tassen und Gläsern der Kollegen. Der Geruch von kaltem Kaffee aus den dreckigen Tassen erreicht nun meine Nase. Ich habe das Glas so schnell geleert, dass mir Wasser aus den Mundwinkeln über das Kinn und den Hals in mein Hemd läuft. Aber das ist nebensächlich, denn ich bekomme schon wieder Kopfschmerzen. Heftige Kopfschmerzen. Der Druck hinter der Stirn nimmt so schlagartig zu, als ob jemand nur einen Schalter umlegen musste. Als Gegenmaßnahme versuche ich mir mit laienhafter Akupressur der Schläfen die aufkommende Übelkeit weg zu massieren. Jede Kreisbewegung meiner Finger aber reibt und reißt wie Sandpapier an der übersensiblen Haut. Ich betrachte ungläubig meine Fingerspitzen. Sie sind überzogen mit einer schwarzen, lehmartigen Substanz mit weißen Schlieren. Ich nehme noch die konzentrisch flackernden Kreise war, welche den zweiten dumpfen Schlag in meinem Magen begleiten. Dann blitzt es in meinem Schädel grell auf, als ob jemand Stroboskope in meine Ohren gesteckt und voll aufgedreht hätte. Mit dem dritten dumpfen Schlag des nicht vorhandenen Subwoofers wird in meinem Kopf der Generalschalter umgelegt. Schwarz.

    4. Der Übergang

    Wie eine Neonlampe, welche nur stotternd zur vollen Leuchtkraft findet, blitzt die Kaffeeküche um mich herum immer wieder auf. Der Schleier der Bewusstlosigkeit lässt mich alles verschwommen wahrnehmen, aber er scheint zu verfliegen. Die Hängeschränke und die Spüle zeichnen sich immer schärfer vor meinen Augen ab. Die gebogenen Griffe an den Schranktüren, die Scharniere, die Spüle mit den leicht verkalkten Rändern zwischen Wasserhahn und Spülbecken. Alles erhält Konturen und Gerüche. Auf der Arbeitsplatte und in der Spüle stehen schmutzige Kaffee- und Teetassen. Die eingetrockneten Reste steigen als prägnanter Geruch in meine Nase. Kalter Kaffee ist beinahe genauso eklig, wie kalter Rauch.

    Irgendetwas ist anders, irgendwas stimmt nicht. Ich kann es jedoch nicht benennen. Ich befinde mich noch immer in der Kaffeeküche, meine Hände auf der Arbeitsplatte abgestützt. Als ich mich wieder aufrichte, und meine Arme hebe, ziehen diese Schlieren nach sich. Vor lauter Staunen steht mir der Mund weit offen. Ich spüre, wie meine Augen sich immer weiter öffnen, um scheinbar jedes Detail möglichst vollständig aufsaugen zu können. Mein Verstand arbeitet im überhöhten Drehzahlbereich. Jede Bewegung meiner Arme hinterlässt dauerhafte Zeichnungen ihrer eigenen Bewegungen. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben könnte, es wirkt, als wäre die Dreidimensionalität nicht mehr existent. Die entstehenden Schlieren zeichnen aber nicht die Bewegungslinie meiner Arme in einem dreidimensionalen Raum. Es scheint vielmehr wie ein billiger Spezialeffekt, so als ob ich in einem mich vollständig umgebenden Ölgemälde stehe, welches sich wie ein Tuch um mich schmiegt. Aber das Gemälde ist noch nass und mit jeder meiner Bewegungen verwische ich die noch nicht getrocknete Farbe. Vor meinen Augen mischen sich die ursprünglich scharf abgegrenzten Gegenstände und Farben zu einem tiefbraunen Brei. Ich bekomme Panik, und in dieser bewege ich mich immer unkontrollierter und eliminiere meine Welt mit jedem Strich meiner Arme, meines gesamten Körpers. Mein Kopf schreit förmlich: Hör endlich auf dich zu bewegen! Aber es ist bereits zu spät. Vor mir entsteht eine dunkelbraune fast schon schwarze Masse. Klebrig dehnt sie sich immer weiter aus, bis ich von einer greifbaren schwarzen Hülle ummantelt bin. Es fühlt sich warm an, samtig und weich. Es ist nichts mehr übrig von der Küche, von den Gängen, von meinem Büro. Ich habe alles mit meinen Händen verschmiert, und in ein alles Licht und Sichtbare aufsaugendes, schwarzes Loch verwandelt. Ich höre ein ruhiges und tiefes, rasselndes Atmen.

    „Ich bin hier, um dich zu holen, Ben".

    Dann geht alles ganz schnell, der Schwindel, das Brummen und die dumpfen Schläge sind wieder da. Mein ganzer Körper vibriert und wird von der Schwärze aufgesogen, es fühlt sich an wie Fliegen. Meine Magengrube kribbelt, wie in einer Achterbahn, wenn der kleine Wagen den höchsten Punkt der Schienenkonstruktion überquert, und von dem eigenen Gewicht wieder in die Tiefe getrieben wird. Mein Verstand wird durch die absolute Orientierungslosigkeit und den noch nicht im Ansatz verarbeiteten Eindrücken auf seine bislang härteste Probe gestellt. Dann ist es von einem Moment auf den Anderen totenstill. Außer meinem Herzen bewegt sich scheinbar nichts mehr. Es schlägt so fest, dass ich es bis hoch in den Rachen spüre, und ich kämpfe gegen das tiefe Verlangen an, mich zu übergeben. Die Dunkelheit wird durch schwache, gedämpfte Blitze unterbrochen. Gelbe, wässrige Punkte werden immer heller und weißer. Ihr Radius erweitert sich. Außer dem Licht ist nichts zu sehen. Keine Silhouetten, keine Formen oder Umrisse. Mein Magen verkrampft sich erneut in einem Reflex, welcher in Angst und Unsicherheit seine Wurzel findet. Das Dunkel lichtet sich jetzt tatsächlich anhaltend durch die Blitze, und ich fange an, schemenhafte Linien und Umrisse aus dem Nichts wahrzunehmen. Das Licht ist mittlerweile so grell, dass ich unkontrolliert blinzeln muss. Irgendetwas bewegt sich hinter den lichtlosen Schatten. Dann erkenne ich die weiße rissige Scheibe von der Brust des Wesens, welches mich auf den Feldern überrascht hat. Es hallt in meinem Schädel.

    „Willkommen, Ben".

    5. Wahre Werte

    „Ich bin der Kollektor", kratzt seine Stimme tief in meinem Kopf.

    „Erhebe dich vom Boden. Es steht mir frei jedem Ankömmling einen Rat zu geben. Dir rate ich Folgendes: Alles, was du siehst und hörst, kann dich retten und dir helfen. Aber genauso kann es dich töten. Lege jede Naivität ab, denn die Absicht, dass es dich töten will, ist wahrscheinlicher. Ob du deinen wahren Wert beweisen kannst, hängt davon ab, ob du beides unterscheiden kannst. Du findest die ersten Antworten am Ende des Pfades. Erkenne die Regeln, und du hast eine Chance zu überleben. Du wirst mich nicht wiedersehen. Ich habe dich hierher gebracht. Das war meine Aufgabe. Sie ist hiermit erfüllt."

    Der schwarze Nebel verflüchtigt sich zusehends, und ich nehme meine Umwelt immer deutlicher wahr. Ich frage das Wesen:

    „Warum bin ich hier? Wieso ich? Wo ist hier? Bitte, nur diese Antworten", doch Mr. No-nose ignoriert mich. Statt einer Antwort beginnen die schwarzen Linien auf seinem Körper von innen heraus hell aufzuleuchten. Ein schönes, beindruckendes Türkis-Blau. Ich starre es gleichermaßen ungläubig und fasziniert an. Aus dem Licht drängen weitere Ratschläge in mein Gehirn.

    „Lerne zu unterscheiden. Lerne zu verstehen". Aus dem Leuchten seiner Linien schlagen feine Funken und der Kreis auf seiner Brust vibriert, bis daraus schlagartig ein greller Blitz mit ungeheurer Leuchtkraft schießt. Ich kann nicht sagen, ob er auf mich gerichtet ist, oder sich wie eine wachsende Blase um das Wesen aufbläht. Es ist so unfassbar grell, dass ich kaum meine Augen geöffnet halten kann. Die Augen zu schließen ist aber auch keine Option. Ich muss sehen, was vor mir passiert. Der Blick in das Licht schmerzt so sehr, als würde man unvorbereitet und aus kürzester Distanz in das Blitzlicht eines Fotoapparates starren. Funken und Kreise brennen sich auf meine Netzhaut, sie tanzen wild umher, wie kleine Leuchtstäbchen auf einem irren Rave. Das Licht wird unerträglich grell, sodass ich meine Augen auch bei größter Anstrengung nicht offen halten kann. In diesem Moment schwillt meine Angst über die Schmerzen, und verdrängt sie für einen kurzen Augenblick. Meine Atmung beschleunigt sich wie in Panik. Ich will meine Augen öffnen, aber jeder Versuch wird durch das intensive Licht zunichte gemacht. Die Funken und Kreise tanzen weiter wild auf dem Inneren meiner Augenlieder, wie auf einer Kinoleinwand. Ich rufe das Wesen und strecke meine Arme unkoordiniert nach Halt suchend aus. Als das Feuerwerk vor meinem inneren Auge nach einiger Zeit langsam wieder abflaut, reiße ich die Lieder schlagartig auf. Mir graut vor dem, was sich mir nun bieten wird, sobald sich meine Augen an die normalen Lichtverhältnisse gewöhnt haben.

    Das Wesen ist weg. Ich sitze völlig allein und noch immer irritiert auf einem schmalen Pfad aus Erde und Kieselsteinen. Um mich herum erkenne ich vertrocknetes Gras und mir unbekannte Gewächse, welche mich jedoch an irgendeine Blumenart erinnern. Sie sind recht filigran und auf dem Stängel steht ein violetter Trichter. Und doch ist irgendetwas daran anders, als ich es in meiner vertrauten Umgebung erwarten würde. Die Blume schimmert, als wäre sie mir Perlmutt überzogen. Das ist es, das ist der Unterschied. Eine leichte Brise setzt die Halme und Sträucher in seichte Bewegungen, und ich muss mich aktiv dagegen wehren durch das wiegende Schimmern nicht in eine Art Hypnose zu fallen.      

    „Lerne zu verstehen", hat Mr No-nose gesagt, also sollte ich dies vielleicht einfach versuchen. Wie auch immer ich das anstellen soll. Ich muss davon ausgehen, dass es genug Möglichkeiten geben wird. Alles kann und will mich töten. Auch das hat er gesagt. Ich soll meine Naivität ablegen, hat das Wesen geraten. Diesen kruden Aufforderungen echte Aufmerksamkeit zu schenken ist vermutlich besser, als lethargisch auf dem Pfad sitzen zu bleiben und zu hoffen, dass ich alles mit Logik und Verstand in der Theorie lösen kann.

    Vorsichtig stütze ich mich ab, und fühle feinen Kiesel und Erde unter meinen Händen. Darf ich das jetzt anfassen? Hilft mir das? Will mich der Kieselstein töten? Ich bin zwar ziemlich unsicher, aber bei d

    iesen Gedanken muss ich unweigerlich lächeln, löse meine Hände aber auch instinktiv vom Boden, sodass eventuell giftige Oberflächen nicht direkt mit meiner Haut in Kontakt treten. Ich knie mich hin. Das scheint mir sicherer, da meine Hose zwischen meiner Haut und dem Boden trennt. Das Wesen hat nicht gesagt, dass ich mich beeilen muss, also bewerte ich meine Umgebung in Ruhe und hochkonzentriert.

    Nichts von dem, was ich sehe schüchtert mich ein, oder fördert meine Hoffnung. Die Pflanzen sehen aus wie Pflanzen, die Steine wie Steine. Ich könnte theoretisch irgendwo auf der Erde sein, wo ich noch nie gewesen bin. Exotische Formen gibt es überall auf dem Erdball, und sie können jeden einschüchtern, der sie nicht schon kennengelernt hat. Gefahr scheint mir nach meiner Logik hier erstmal nicht zu drohen.

    Ich stelle einen Fuß auf, blicke noch einmal prüfend um mich, und drücke mein Knie durch, um mich vollständig aufzurichten. Von hier oben ändert sich an meiner Einschätzung der Situation auch nichts. Ich habe früh gelernt Situationen zu analysieren. Wichtig ist im ersten Schritt die Momentaufnahme. Die Faktensammlung. Ich bin jetzt an einem fremden Ort und irgendwas versucht mich zu töten. Nein, der Indianer hat gesagt, es kann und will mich töten. Interpretiere ich hier zu viel rein? In jedem Fall gibt es Dinge zu unterscheiden. Gutes, Wohlwollendes und Böses, Hinterhältiges. Das Wesen hatte eine Art Auftrag. Den Auftrag mich zu holen, und hierher zu bringen. Mir geht die Frage nicht aus dem Kopf, warum ich. Werde ich bestraft? Werde ich geprüft? Gibt es weitere entführte Menschen? Gibt es überhaupt Menschen, dort wo ich mich gerade befinde? Wo befinde ich mich? Bin ich noch auf der Erde? Ich hoffe es einfach aus reinem Optimismus heraus. Meine belastbaren Informationen begrenzen sich auf ein absolutes, nicht hilfreiches Minimum. Ich werde meine Vermutungen und Fragen hier auf diesem Pfad allerdings nicht beantworten können, und schiebe den Gedanken erstmal beiseite. Nächste Frage. Was will mich töten? Antworten

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