Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Philosophie des Windes: Versuch über das Unberechenbare
Philosophie des Windes: Versuch über das Unberechenbare
Philosophie des Windes: Versuch über das Unberechenbare
eBook591 Seiten7 Stunden

Philosophie des Windes: Versuch über das Unberechenbare

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Wind ist fast immer und überall in irgendeiner Form anwesend, er umspielt und umfasst uns von allen Seiten und versetzt unsere Welt in stetigen Austausch. Rainer Guldin wirft einen philosophischen Blick auf das Phänomen Wind und zeigt, wie eng unsere körperliche und emotionale Eingebundenheit in die uns umgebende Wetterwelt eigentlich ist. Der Wind ermöglicht eine Erweiterung und Reorientierung unserer Wahrnehmung auf das Ungreifbare und Fluide, aber auch das Grenzüberwindende hin: So entsteht eine Erkenntnistheorie der Unberechenbarkeit und Verbundenheit, die Dualismen zu überwinden versucht. Das Buch spricht nicht nur Philosoph*innen an, sondern auch Laien und Forschende verschiedenster Disziplinen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Nov. 2023
ISBN9783732868438
Philosophie des Windes: Versuch über das Unberechenbare

Ähnlich wie Philosophie des Windes

Titel in dieser Serie (11)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Philosophie für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Philosophie des Windes

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Philosophie des Windes - Rainer Guldin

    1. Meteore: Figuren der Ambivalenz

    »Von Aristoteles oder sogar den Vorsokratikern bis mindestens zu Descartes konnte niemand sich als Philosoph bezeichnen, wenn er nicht über die meteora geschrieben hatte.«

    Michel Serres, Atlas

    Aufgrund ihrer Flüchtigkeit und ihres hybriden Charakters haben Wetterphänomene nicht denselben ontologischen Status wie andere natürliche Gegenstände. Dies kommt im Begriff ›Meteor‹ zum Ausdruck, dessen Geschichte ich hier nachzeichnen werde. Eine Philosophie der Meteore bedingt auch einen anderen Zugang zur Zeit, wie Serres in seinem Werk aufgezeigt hat. Und schließlich lässt sich eine grundlegende Analogie von Meteoren und Metaphern postulieren, welche das enge strukturelle Verhältnis der beiden Bereiche miterklären kann.

    ›Meteor‹, von meta, ›auf einer höheren Stufe‹, und aoros, ›erhoben, in der Luft schwebend‹, kommt vom griechischen Substantiv meteoron, ›etwas, was hoch oben ist‹ und dem Adjektiv meteoros, ›vom Boden entfernt‹. Das Präfix meta- betont eine Zwischenstufe, einen Wechsel, oder bezeichnet eine hierarchisch höherliegende Ebene. Aoros ist verwandt mit aerein ›erheben, hochhalten‹. Der Begriff ›Meteor‹, den man heute zwar immer noch in der Fachsprache der Meteorologie für Phänomene verwendet, die man in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche beobachten kann – aber, wie noch zu zeigen sein wird, nicht mehr für den Wind –, hat im Laufe seiner Geschichte eine fortschreitende terminologische Einengung erfahren.

    In Aristoteles’ Meteorologie hatte der Begriff Meteor ein sehr weites Bedeutungsspektrum, das neben Wetterphänomenen auch die Milchstraße, Sternschnuppen, Flüsse, das Meer, Erdbeben und sogar Verwesungsprozesse umfasste. Die spätere Bedeutung von ›Meteor‹ als Feuerball im Himmel wird zum ersten Mal 1590 verwendet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts werden die Begriffe Meteorologie, Meteorologe und meteorologisch nur noch für Wetterphänomene im modernen Sinn verwendet. Dieser Übergang war jedoch graduell und verlief über Mischformen. Heute versteht man unter ›Meteor‹ im Allgemeinen eine Leuchterscheinung, die auf den Eintritt eines Meteoroiden in die Erdatmosphäre zurückzuführen ist. Meteoroiden sind kleiner als Asteroiden und befinden sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne. Sie entstehen meist, indem sie durch Kollisionen aus einem Asteroiden herausgeschlagen werden. Ein nicht vollständig verglühter Meteoroid, der die Erdoberfläche erreicht, wird ›Meteorit‹ genannt.

    Im Zitat, das diesem Kapitel vorangestellt ist, weist Serres auf eine Ruptur in der philosophischen Wahrnehmung des Wetters in Europa hin, die er auf den Sieg der mechanistischen Weltsicht Newtons zurückführt. Waren Wind und Wetter im 17. Jahrhundert noch ein »major topic of Western philosophy and literature«, wie Reed festhält, so vollzog sich in der Folge, vor allem mit der Aufklärung und in verstärktem Maße im Laufe des 19. Jahrhunderts, eine Neudefinition des Phänomens. Das Wettergeschehen wurde aus den philosophischen Diskursen ausgegrenzt und dem Bereich der sich neu konstituierenden wissenschaftlichen Disziplin der Meteorologie zugewiesen. Damit änderte sich das Interesse für das Wetter grundlegend. Fragte die Philosophie der Meteore noch nach der lebendigen Eingebundenheit des Menschen in die Wetterzusammenhänge, so ging es der naturwissenschaftlichen Meteorologie nunmehr nur noch um das abgezirkelte und dadurch objektivierte Gebiet der Wettererscheinungen. Als Reaktion auf diese Entwicklung haben Serres und Reed versucht, die Meteore wieder in den philosophischen und literarturkritischen Diskurs zurückzuholen.

    Die moderne experimentelle Wissenschaft verlangte rigorose Beobachtungen und exakte Messungen. Vor diesem Hintergrund musste das unvorhersehbare anarchische Wetter als ein hochproblematisches Feld wirken, das sich quer zu den positivistischen und objektivierenden Ansprüchen der Zeit legte. Die Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, besonders die Romantik versuchte, die Tradition der Meteoren zu rehabilitieren. »The Enlightenment, for reasons implicit in its very name, attempted to dissipate the clouds […]. But the Romantics tended to lift that repression, and Sturm und Drang broke over the skies of the Aufklärung – skies that had never been entirely clear, of course, in the first place.«¹ Reed liest die beiden Begriffe ›Aufklärung‹ und ›Sturm und Drang‹ konsequent als das, was sie eigentlich sind: Wettermetaphern. Die Aufklärung träumt von einem wolkenlosen unverstellten Himmel, einem idealen wetterlosen Zustand und verwendet zu dessen Beschreibung ironischerweise gerade eine Wettermetapher. In der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts wird die Tradition der Meteore weiter gepflegt. Die Philosophie wird sich jedoch erst wieder im 20. Jahrhundert, vor allem im Anschluss an die Chaostheorie, ernsthaft mit Wetterphänomenen beschäftigen.

    Wie Serres in Éloge de la philosophie en langue française ausführt, findet jedoch schon in Paris um 1900 eine erste diskursive Öffnung und Umschichtung statt, welche die Chaostheorie vorwegnimmt und die verschiedensten Kulturbereiche von der Mathematik und Physik hin zu Philosophie, Musik, Malerei und Literatur verbindet. Serres führt den Physiker und Wissenschaftsphilosophen Pierre Duhem, die Mathematiker Jacques Hadamard und Henri Poincaré, den Philosophen Henri Bergson, Claude Debussys La Mer, Maurice Ravels Jeux d’eau, Claude Monets Nymphées, Lautréamonts Chants de Maldoror und Charles Peguys Clio zusammen. Allen gemeinsam sind die Abweichung vom Gleichgewicht und die Hinwendung zur chaotischen Turbulenz als einer neuen komplexeren Form der Logik, die Serres auf Descartes’ Wirbel und Lukrez’ Physik bezieht. Die melodischen Linien Ravels und Debussys gleichen Wellen, die vom Wind angetrieben werden und erinnern an den unvorhersehbaren Zickzack-Flug der Wespe aus einem Gedicht Verlaines: »ein turbulentes, aber logisches und zielgerichtetes Verhalten.«² Serres erwähnt in diesem Zusammenhang auch den Lorenz-Attraktor (1963) des amerikanischen Mathematikers und Meteorologen Edward Lorenz, der als einer der Wegbereiter der Chaostheorie gilt. Es handelt sich dabei um ein System von drei gekoppelten nichtlinearen Differentialgleichungen, das von zentraler Bedeutung für die Meteorologie ist. Serres verbindet den zerklüfteten Schreibstil Peguys mit der Trunkenheit des Wespenfluges, dem fraktalen Küstenverlauf Benoît Mandelbrots und der unvorhersehbaren Abfolge der befreiten melodischen Linien von Gabriel Fauré, César Franck und Francis Poulenc: »perfekte Kohärenz unter scheinbarer Unordnung.«³

    Im Zeichen des Unbestimmten und Hybriden

    In der Meteorologie, ein Buch, das bis weit in die Frühe Neuzeit hineinwirkte, diskutiert Aristoteles die Stellung der Meteorologie innerhalb der Naturlehre. Diese beschäftigt sich mit den Meteoren, das heißt mit den natürlichen Phänomenen, die sich in dem der Gestirnsphäre benachbarten sublunaren Raum abspielen und dem allgemeinen Werden und Vergehen unterworfen sind. Im Vergleich zu den ersten einfachen Elementarkörpern sind die Meteore durch Instabilität und Unregelmäßigkeit charakterisiert. Meteore sind von kurzer Dauer. So wie sie räumlich zwischen dem Himmel und der Erde liegen, siedeln sie sich auch zeitlich zwischen Ewigkeit und Zeitlichkeit an. Geburt und Tod folgen hier nicht aufeinander, sondern vollziehen sich im gleichen Moment.

    Wie Anouchka Vasak und Thierry Belleguic festhalten, sind die Meteore der Instabilität und dem Verfall anheimgegeben, »frappée d’instabilité, de corruption.«⁴ Die Region der Meteore ist ein Ort, an dem sich die Unordnung entfaltet. Auch Aristoteles musste sich verschiedenen Definitionsschwierigkeiten stellen. So hat er einige Meteore neu benannt und auf poetische Wendungen in der Bezeichnung unterschiedlicher Blitzformen zurückgegriffen. Die Schwierigkeit des Trennens und Eingrenzens der einzelnen Phänomene wird auch offen angesprochen, und der Begriff der Grenze (ὄρος) und verwandte Wortverbindungen spielen in vielfacher Hinsicht eine zentrale Rolle in der Meteorologie. Die Meteore widersetzen sich einfachen Definitionen und Klassifikationen. Selbst der Begriff ›Meteor‹ ist in mehrfacher Hinsicht ambivalent. »Der Meteor ist ein schlecht definierter Körper, dessen Zusammensetzung unklar ist und sich dadurch der linguistischen Bestimmung widersetzt. Diese terminologische Unbestimmtheit verfolgt ihn als seine eigentliche Natur […].«⁵ Seine Bedeutung bleibt selbst heute noch unabgeschlossen. Er bezeichnet gemischte, instabile und ephemere Phänomene, die sich in einem mittleren Zwischenraum ereignen, und oszilliert zwischen einer metaphorischen und einer wörtlichen, einer wissenschaftlichen und einer literarisch-philosophischen Bedeutung. Die »undeutliche und ungeteilte Vielfalt scheint ein Merkmal des Meteors zu sein. Als Objekte mit unbestimmten Konturen stellen Meteore ein wesentliches Definitionsproblem dar, und das von Anfang an […].«⁶ In diesem Sinne ist die Geschichte der Meteore auch der immer wieder angestrebte und gescheiterte Versuch, das grundsätzlich Vermischte und Unübersichtliche terminologisch zu zähmen.

    Die Meteore sind in vielfacher Hinsicht ein Gemisch. Für einige von ihnen findet man keine Erklärung, andere hingegen können einigermaßen begrifflich erfasst werden. Die Kometen, die Milchstraße und die Sternschnuppen beruhen auf Entzündung und sind mit Bewegung verbunden. Andere wiederum, wie der Regen und die Wolken, kann man der Luft und dem Wasser zuschreiben und schließlich gibt es noch diejenigen, die mit der Erde verbunden sind, wie die Winde und die Erdbeben. Der Unterschied zwischen der ungeordneten Welt der Meteore und den geregelten unveränderlichen Abläufen der Sterne und die darauf zurückgehende Gegenüberstellung der beiden Wissensformen der Meteorologie und der Astronomie ist bis in die Moderne hinein zentral für die Geschichte des Wetters im europäischen Raum gewesen. Gleichzeitig hat es parallel dazu den Versuch gegeben, das chaotische Wetter anhand des Einflusses der Sterne zu deuten. Erste Elemente dieser Astrometeorologie finden sich schon bei Aristoteles. Die materielle Ursache des sublunaren Wetters beruht auf den vier übereinander gelagerten Elementen, die sich in konzentrischen Kreisen von innen nach außen, von der Erde, über das Wasser und die Luft zum Feuer anordnen. Das fünfte Element ist der Äther - von altgriechisch αἰθήρ aithḗr, blauer Himmel -, ein einfacher elementarer Körper, aus dem der Himmel und die Sterne gemacht sind. Der Äther gehört in den oberen Bereich des Himmels, ein Ort ewig gleicher unbegrenzter und perfekter Bewegungen. Die ewig bewegten Himmelskörper, die in der äußeren Sphäre kreisen, aber mit ihren Umschwüngen in kontinuierlicher Verbindung mit den inneren vier Sphären stehen, sind Ursprung und erste Ursache der Meteore. Die Meteorologie ist hier somit letztlich von der Astronomie her zu verstehen, wenigstens was die innere Bewegungsursache angeht.

    Die Meteore stehen für einen Teil der Natur, der in vielfacher Hinsicht von den Gesetzen abweicht. Über Meteore zu schreiben, bedingt daher eine Reihe von Ambivalenzen, die nicht nur den Inhalt, sondern auch die Methode betreffen. Die verschiedenen Windtheorien sind durch einen hybriden Zugang zum Phänomen charakterisiert, der empirische Erfahrungen, theoretische Spekulation und einen Rückgriff auf frühere Vorstellungen zusammenführt. Dies gilt nicht nur für die Autoren der Antike und des Mittelalters, sondern auch für Bacon und Descartes. Sowohl bei Aristoteles wie bei Descartes kommen noch terminologische Unklarheiten hinzu, besonders im Zusammenhang mit der Bestimmung des Windes. Davon mehr im nächsten Kapitel.

    Aristoteles unterscheidet zwischen einfachen und zusammengesetzten Körpern. Diese bestehen aus den vier Elementen, Luft, Wasser, Erde und Feuer. Die gemischten Körper können vollkommen oder unvollkommen sein. Die ersten entstehen an ihrem angestammten natürlichen Ort und nach den Gesetzen der Natur, die anderen hingegen, unter denen sich auch die Meteore befinden, entstehen außerhalb der natürlichen Ordnung, die darauf beruht, dass Gleiches Gleiches erzeugt. Aristoteles verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Meteore zwar aus Erde und vor allem aus Wasser bestehen, sich aber in der Luft manifestieren. Die Zeit, in der die Meteore erscheinen, ist nicht geregelt, wie das durch die Jahreszeiten bedingte Wachstum der Pflanzen. Auch der Ort, an dem sie in Erscheinung treten ist nicht immer derselbe. Die Himmelsbewegung rührt die unteren vier Elemente auf, die sonst in sich ruhen würden. Dadurch werden sie vermischt und miteinander verbunden. Dies generiert hoch instabile Interaktionen, da jedes Element in sich bereits instabil und potenziell in den anderen latent vorhanden ist, was auch dazu führt, dass sich die einzelnen Elemente jederzeit ineinander verwandeln können. So bestehen die Meteore nicht nur aus Luft oder Wasser, oder einer Kombination davon, sondern auch immer aus allen anderen Elementen, mit denen sie vielfältige Wechselbeziehungen unterhalten. Die unvollkommene sublunare Welt der vier Elemente ist nicht nur durch andauernden Ortswechsel, sondern auch durch gemischte Bewegungen charakterisiert. So sind die Meteore ein Gemisch, auch was die Art ihrer Fortbewegung betrifft.

    Die sublunare Welt der Antike ist durch eine doppelte zugleich zentrifugale (Feuer und Luft) und zentripetale (Erde und Wasser) Bewegung bestimmt. So wie es einfache und gemischte Körper gibt, gibt es auch einfache und gemischte Bewegungsformen. Die einfache gradlinige Bewegung geht von oben nach unten oder von unten nach oben. Feuer und Luft, die beiden oberen Elemente, tendieren von sich aus nach oben, die beiden unteren Elemente, Wasser und Erde, hingegen nach unten. Der Äther wird mit einer einfachen zirkulären Bewegung verbunden. Und schließlich ist die jeweilige Ausformung der Meteore nicht immer der Ursache angemessen. Meteore erscheinen somit weder am richtigen Ort noch zur richtigen Zeit, und tendieren dazu über ein gesundes Maß hinauszugehen. Sie sind daher unvorhersehbar und letztlich unkontrollierbar.

    Im Gegensatz zu Serres und Reed, welche die Vermischtheit und Ambivalenz der Meteore zum Ausgangspunkt einer ganzheitlichen Vorstellung machen, geht Daniel Parrochia in Météores. Essai sur le ciel et la cité von einer Position aus, welche das kategorisierende Wissen der modernen Meteorologie in die Vergangenheit zurückprojiziert. Dabei steht das Trennende im Vordergrund. Aristoteles habe versucht, in der Gesamtheit der Phänomene die von den Meteoren gebildete Domäne stricto sensu zu isolieren, obwohl die Grenzen noch unsicher waren. Die Astrometeorologie der Antike und der Renaissance habe es unterlassen, den Bereich der Meteoren und Kometen, von den »eigentlichen atmosphärischen Phänomenen korrekt zu isolieren.«⁷ Mit diesem eingeengten Blick, bei dem es vor allem um die disziplinären Grenzen der modernen Meteorologie geht, verliert man die verschiedenen zuvor zusammengedachten Bereiche aus den Augen. Dass die frühe Meteorologie Aristoteles’ zu den Meteoren unter anderem auch Himmelsphänomene sowie Flüsse und Erdbeben zählte, geht aus einer gesamtheitlichen Vorstellung hervor, die in übergreifenden Verbindungen quer über die Realitätsbereiche hinweg denkt. So vereint Aristoteles’ Meteorologie auch verschiedene heute weitgehend getrennte disziplinäre Wissensbereiche: Astronomie, Geografie, Physik, Geometrie, Optik, Geologie, Seismologie, Vulkanologie, Chemie und eben Meteorologie im modernen Sinne des Wortes.

    Übergänge

    In Bacons The Natural and Experimental History of the Winds (1622) kommt der Begriff meteor noch an verschiedenen Stellen vor und auch die aristotelische Verbindung von Wind und Erdbeben wird angesprochen. Die Hybridität der Meteore hinterlässt darüber hinaus ihre Spuren in der Methodologie. Dennoch spielt der Begriff nicht mehr die zentrale Rolle, die er in früheren Texten noch hatte. Bacon unterscheidet zwischen fiery und aqueous meteors. Die einzelnen Meteore erscheinen oft zusammen, vermischen sich und sind daher nur schwer voneinander zu trennen, was zu Problemen in Hinblick auf mögliche Wettervoraussagen führt. Bacons Vorgehen ist eine Mischung aus systematischer empirischer Wetterbeobachtung und dem Wissen der früheren Meteorologie, vor allem die Texte von Aristoteles, Theophrastos und Plinius dem Älteren, wobei nur der letztere explizit erwähnt wird. Einschränkend hält Bacon zu Beginn fest, dass es unmöglich sei, eine befriedigende Antwort auf alle Fragen bezüglich des Windes zu finden. Dazu verwendet er die Metapher des Prozesses, in dem die Natur auf der Zeugenbank sitzt. »Such are the heads requisite to a particular history of the winds; but we expect not that our present stock of experience should be able to answer them all. However, as in trials at law, a good lawyer knows how to put such questions as the case requires; but knows not what the witnesses will answer: so we can proceed no otherwise in the grand cause betwixt nature and mankind; and must leave posterity to see the issue.«

    In Die Meteore (1637) geht es Descartes vor allem darum, die reine Fantasie, den Aberglauben und das Irrationelle durch einen rationalisierenden Zugang zu entschärfen und die früheren, inzwischen als heterogen empfundenen Bestandteile aus dem Studium der Meteore auszuschließen, was ihm jedoch nur zum Teil gelingt. Wie schon in Lukrez’ De rerum natura geht es um eine Säkularisierung und Entzauberung der Himmelserscheinungen. »Wir begegnen naturgemäß den Dingen über uns mit größerer Bewunderung als denen, die auf selber Höhe oder unterhalb von uns sind.« Wir müssen

    »die Augen zum Himmel drehen, um auf sie zu blicken, und deshalb stellen wir sie uns als so hochstehend vor, daß Dichter und Maler aus ihnen sogar den Thron Gottes bilden und ihn dort seine eigenen Hände dazu verwenden lassen, den Winden die Türe zu öffnen und zu schließen […]. Dies lässt mich hoffen, daß wenn ich ihre Natur hier so erkläre, daß kein Anlaß mehr besteht, sich über irgendwas zu verwundern, was sich an ihnen zeigt oder von ihnen herkommt, man mir leicht glauben wird, daß es möglich ist, in derselben Weise die Ursachen aller bewundernswerten Dinge zu finden, die es sonst noch auf der Erde gibt.«

    Zur Verbindung von Wetter und Aberglaube schreibt er: »für die untätige Bevölkerung« seien dramatische Himmelsereignisse ein »Beweggrund […] sich Scharen von in der Luft miteinander kämpfender Gespenster« vorzustellen. Es überwiegten dabei die »Phantasie oder Hoffnung«, und diese würden noch zusätzlich »durch Aberglaube und Unwissenheit verfälscht und gesteigert.«¹⁰

    Aus diesem Grund präsentiert er die einzelnen Meteore nacheinander als Bestandteile einer logischen in sich stimmigen Serie, deren einzelne Teile organisch auseinander hervorgehen, und schließt dabei Kometen, Feuersäulen, Erdbeben und Mineralien aus. Die neue Ordnung wird durch Ausgrenzung und Entmischung erreicht. Nach einer Reflexion über Dämpfe (vapeurs) und Ausdünstungen (exhalaisons), die an die aristotelische Tradition gemahnt, behandelt er das Salz, die Winde, die Wolken, den Schnee, den Regen, den Hagel, die Stürme sowie den Blitz und die anderen Feuer, die sich in der Luft entzünden. Es folgen die optischen Phänomene, der Regenbogen, die Farben der Wolken, der Kreise und Kränze, die sich manchmal um die Gestirne bilden (Korona), und die Erscheinung mehrerer Sonnen (Parhelia). Descartes versucht anhand der Meteore, seine neue Methode an einem besonders schwierigen Gegenstand vorzuführen. Das Außergewöhnliche der Meteore und ihre Einzigartigkeit sollen dadurch einer rationalen Erklärung zugeführt werden. Dass der Discours de la méthode eigentlich vor allem eine Einleitung zum Studium der Meteore war und deren Darstellung die Methode im Vollzug zeigen sollte, wurde von der Forschung lange übergangen.

    Descartes’ philosophische Betrachtung auf der Basis sinnlicher Anschauung und geduldig empirischer Beobachtung gilt vor allem für die erste Gruppe der Meteore: Wind, Wolken, Schnee, Regen, Hagel, Sturm und Blitze. Hinzu kommt eine mathematische Perspektive, die für die zweite Gruppe der optischen Phänomene bedeutsam ist: Regenbogen, die Farben der Wolken, Kreise und Kränze und die Erscheinung mehrerer Sonnen. Wie Zittel festhält, hat dies damit zu tun, dass Meteore »traditionell als unberechenbare Renegaten im sonst gesetzesförmigen Reich der Naturphilosophie auftreten und von der Theorie prinzipiell nicht leicht ›einzufangen‹ sind. Meteore sind instabil, transitorisch und ihr Verhalten von so vielen Faktoren abhängig, dass man sie nicht berechnen, sondern lediglich beobachten, beschreiben und erfindungsreich visualisieren kann [Hervorhebung d. A.].«¹¹ Die Metapher des unberechenbaren Renegaten, ein Abtrünniger eines Glaubens- oder Wertsystems, überführt die Meteore in ein politisches und religiöses Deutungsmuster. Die Jagdmetapher des Einfangens, die eigentlich beim Wind eher unangebracht ist, würde er doch auch dem feinmaschigsten Netz entkommen, taucht, wie noch zu zeigen sein wird, immer wieder auf. Die Verbindung zur Jagd wird zudem durch die Vorstellung Winde seien wilde Tiere hergestellt.

    Wie Parrochia¹² festhält, ist der Aufbau des mittleren Teils so konzipiert, dass die einzelnen Meteore eine logische Sequenz darstellen. Der Übergang von den Dämpfen und Ausdünstungen zur Beschäftigung mit dem Salz hat damit zu tun, dass diese aus dem Meer aufsteigen, wodurch sich Salze an dessen Oberfläche bilden. Die Winde begleiten die Dämpfe durch die Luft, die sich zu Wolken verdichten, und diese wiederum lösen sich in Regen, Schnee und Hagel auf. »Danach werde ich prüfen, woher die Winde kommen, die die Dämpfe durch die Luft leiten und die Wolken […] sich an bestimmten Stellen sammeln lassen. Da die Winde die Wolken auflösen, werde ich sagen, was den Regen, den Hagel und den Schnee verursacht […].«¹³ Diese Reihenfolge ist zugleich eine Aussage über das Verhältnis der einzelnen Meteore zueinander, die sich wie in Aristoteles’ Meteorologie ineinander verwandeln oder auseinander hervorgehen. Descartes’ linearisierende Logik erinnert zudem an das auf Verdichtung und Verdünnung beruhende Transformationskontinuum Anaximanders, auf das ich im nächsten Kapitel zu sprechen komme.

    Descartes’ Neubestimmung der Meteore vollzieht zwar einen Bruch, bleibt aber weiterhin der aristotelischen Tradition verpflichtet. Die gewählte Reihenfolge der einzelnen Meteore übernimmt er weitgehend aus den scholastischen Aristoteles-Kommentaren. Wie in der aristotelischen Tradition spricht er von Meteoren auch als unvollkommene Mischungen. Trotz Descartes’ Bereinigungsversuchen bleibt somit der problematische epistemologische Status der Meteore erhalten. Dies kommt auch in der Hybridität und Heterogenität des Textes zum Ausdruck, der zwischen Wissenschaftlichkeit (besonders die Teile zur Optik, vor allem das achte Kapitel über den Regenbogen), Wunder (für das Descartes eine hartnäckige Faszination empfindet) und dem durch die Scholastik weitergereichten aristotelischen Erbe schwankt. »Wie sein Gegenstand kann auch der Text der Météores bis zu einem gewissen Grad als heterogen, intermediär oder hybrid bezeichnet werden, weil er einen Diskurs entwickelt, der manchmal als wissenschaftlich, manchmal als scholastisch«¹⁴ auftritt und manchmal mit Zauberei zu tun hat. Die Hybridität der Météores zeigt sich zudem in den auffälligen Metaphern, auf die Descartes immer wieder zurückgreift.¹⁵ »[…] der kartesische Meteor ist kein eindeutig identifizierbares Objekt. […] er widersetzt sich mehr als irgendein anderer Gegenstand jeglichem Rationalisierungs- und Definitionsversuch.«¹⁶

    Umdeutungen

    Im 17. und 18. Jahrhundert wird weiterhin auf die gemischte unbeständige und unvollständige Natur der Meteore hingewiesen, und dies wird immer noch in einem philosophischen Zusammenhang diskutiert. In César-Pierre Richelets Dictionnaire de l’Académie française (1680) werden Meteore wie folgt umschrieben: »Meteor. Begriff der Philosophie. Unvollkommene Gemische, die in der Luft entstehen, wie Hagel, Blitz, Donner usw.« Vasak und Belleguic deuten das usw. am Ende der kurzen Aufzählung als Signal des Unfertigen, Unabschließbaren und der Unfähigkeit »de mettre un terme à la chose – bref de la définir«¹⁷, der Sache ein Ende zu setzen – kurz: sie zu definieren. Jede Definition der Meteore bleibt letztlich unvollständig, selbst die Abfolge der von Richelet aufgelisteten Meteore bleibt lückenhaft und weist ins Leere. Die Meteore haben etwas Vages (vague) und Vagabundierendes (vagant) an sich, was Unbestimmtheit und Beweglichkeit auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Die definitorische Unschärfe der einzelnen Meteore, die auf ihre gemischte Natur zurückgeht, wird dadurch verstärkt, dass sie sich nur schwer voneinander trennen lassen, weil sie in Verbindung miteinander auftreten, auseinander hervorgehen und ineinander übergehen. Die Meteore bleiben eine Herausforderung für jedes philosophische Denken. Sie verweigern sich eindeutigen Definitionen und Unterteilungen, zerfließen und sind auch einzeln ungreifbar: »›in den Wissenschaften gibt es nichts Wichtigeres, als gut zu unterteilen und gut zu definieren‹, der sich bewegende und unteilbare Meteor erzeugt gezwungenermaßen ›fehlerhafte‹ Definitionen.«¹⁸

    In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verändert sich die naturphilosophische Definition der Meteore aufgrund des neuen physikalischen Verständnisses der Luft. In den Ausgaben des Dictionnaire de l’Académie française von 1762 und 1798 wird die Luft als dasjenige der vier Elemente bezeichnet, das die Erde umgibt. Diese terminologische Verschiebung findet auch für die Meteore statt, die nun nicht mehr allein im Sinne der aristotelischen Physik als bloße Körper, sondern als Phänomene bezeichnet werden. In der Ausgabe von 1832-1835 werden die Meteore als ›atmosphärische Phänomene‹ beschrieben. Das neue Adjektiv ›meteorologisch‹ erscheint zum ersten Mal in der Ausgabe des Dictionnaire de l’Académie française von 1762, obwohl dessen Ursprung bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zurückverfolgt werden kann. Meteorologisch ist zwar hier noch all das, was die Meteore angeht, es wird aber auch für das Ensemble aller Wetterbeobachtungen, wie Kälte, Wärme, Niederschlagsmenge und Winde angewendet.

    Ganz zu Beginn von »Traité des Météores«, dem ersten Buch seines Traité de Météorologie, das 1774 veröffentlicht wurde, kehrt der französische Priester und Wissenschaftler Louis Cotte (1740-1815) zu den etymologischen Ursprüngen des Wortes Meteor zurück. Es ist ein Versuch, durch reine Sprachdefinition ein zutiefst undurchschaubares Gebiet einzugrenzen und zu ordnen. Die Meteorologie beschäftigt sich mit den Meteoren, die in der Atmosphäre entstehen und dort auch erscheinen. Meteorologie und Meteor kommen vom griechischen meteoros, erhobener Ort, und Atmosphäre von atmos, Ausdünstung, und sphera, Sphäre. Die Atmosphäre ist die uns unmittelbar umgebende fluide Luftmasse, in der wir ein- und ausatmen. Die Meteore sind demnach Phänomene, deren klare definitorische Erfassung schwierig bleibt. Die Suche nach feiner definitorischer Abgrenzung zeigt sich besonders deutlich im Kapitel über die Winde. Cotte unterscheidet vier Formen von Meteoren: die Luftmeteore (météores aériens) der Wind und die Stürme, die aus der Luftbewegung hervorgehen; die Wassermeteore (météores aqueux), Wolken, Tau, Regen, Nebel, Hagel und Frost, welche durch feuchte Ausdünstungen d.h. Dämpfe (vapeurs) verursacht werden, die in die Atmosphäre aufsteigen; die Feuermeteore (météores enflammés), Blitz und Donner, Irrlichter und Elmsfeuer, die durch Ausdünstungen (exhalaisons) verursacht werden, welche in der Luft Feuer fangen, und schließlich die Lichtmeteore (météores lumineux), der Regenbogen und die Nebensonnen, die aus einer Verbindung der vapeurs und der exhalaisons mit dem Licht resultieren. Auch Cottes Diskurs über die Meteorologie positioniert sich bewusst zwischen den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem früheren Aberglauben, zwischen Literatur und Wissenschaft. Das Numinose wird im Namen der Klarheit Descartes’ abgelehnt. Die aristotelische Tradition ist jedoch nach wie vor gegenwärtig.

    In der Enzyklopädie von Diderot und D’Alembert (1751-1780) werden die Meteore dem Bereich der Naturgeschichte zugewiesen, die sich von der »histoire céleste«, der Geschichte des Himmels unterscheidet. Ein Teil davon umfasst aber nach wie vor die »prodiges célestes«, die Wunder, die am Himmel stattfinden, und deutet diese als Abweichungen von der Natur. Die Meteore sind hier noch ein Teil der Physik. »METEOR, s. m. (Physik) Körper oder Erscheinung eines Körpers, der für einige Zeit in der Atmosphäre erscheint & aus den dort schwimmenden Stoffen gebildet wird. Es gibt drei Arten: 1°. Die feurigen Meteore bestehend aus schwefelhaltiger Materie, die Feuer fängt; d.h. Blitze, Donner, Irrlichter, Sternschnuppen und andere, die in der Luft erscheinen. Siehe Blitz, Irrlicht &c 2°. Luftmeteore, die durch Ausdünstungen entstehen. […] 3°. Wässrige Meteore, die aus Dämpfen oder wässrigen Partikeln bestehen, d.h. Wolken, Regenbögen, Hagel, Schnee, Regen.« Die Definition führt einige neue wissenschaftliche Elemente ein, kommt aber nicht ohne definitorische Lücken und das fatale »&c« aus, auf das Vasak und Belleguic hinweisen. Der Regenbogen wird nun interessanterweise den wässrigen Meteoren zugewiesen. Geblieben ist auch die aristotelische Unterscheidung von Dämpfen (vapeurs) und Ausdünstungen (exhalaisons). Der Wind wird der zweiten und die Wolke der dritten Meteoren-Art zugerechnet.

    Die spätere Entdeckung der Elektrizität führte zu einer neuen Unterteilung: Photometeore, Lichtphänomene (Regenbogen) und Elektrometeore (Blitz und Donner).¹⁹ Die ›Meteorologie‹ wird in der Enzyklopädie als Wissenschaft der Meteore bestimmt. Diese untersucht deren unterschiedliche Arten und Erscheinungsformen sowie deren Ursprung. Das Adjektiv ›meteorologisch‹ wiederum bezieht sich einerseits auf all das, was mit den Meteoren zu tun hat, sowie auf die verschiedenen Alterationen und Veränderungen, die sich in der Luft im Laufe der Zeit ereignen. Andererseits bezieht sich das Adjektiv auf Wetterbeobachtungen und Instrumente zur Messung des Wetters. Die wunderbaren Meteore (météores prodigieux) werden unter dem Stichwort prodiges abgehandelt. Dabei wird zwischen Wundern erster und zweiter Klasse unterschieden. Die heidnischen Wunder verdienen nicht unseren Glauben. Die zweite Klasse der rein natürlichen Effekte, die weitaus seltener sind und gegen die Naturgesetzte zu verstoßen scheinen, hat man in der Vergangenheit aus Aberglaube übernatürlichen Ursachen zugeschrieben. Dies ist aber meist nicht der Fall, sind doch viele dieser Phänomene empirisch nachweisbar und ein Zeichen der Vorsehung Gottes. Damit wendet sich die Enzyklopädie explizit gegen die von Descartes forcierte Säkularisierung der Himmelserscheinungen. Hinzu kommt das neue Stichwort météorite, das im Laufe des 19. Jahrhunderts das frühere ›Meteor‹, wenigstens in der Umgangssprache weitgehend verdrängen wird.

    Nachleben

    In seinen Annuaires Météorologiques, die zwischen 1800 und 1810 publiziert wurden, verwendet Lamarck die neuen Begriffe météorologie und météorologique neben dem älteren météores. Er spricht von den principaux météores, den wichtigste Meteoren, den verschiedenen Arten, den météores aqueux, aériens, lumineux und électriques, aber auch von den météores violents et dangereux, z. B. den Blitzen, vor allem aber immer wieder von der région des météores, den unterschiedlichen atmosphärischen Schichten, und den sich darin ereignenden Wetterphänomenen.

    In der Nachfolge der Aufklärung bestimmt Lamarck die Abwesenheit von Meteoren als Idealzustand und Norm, an der sich die durch die Meteore verursachten Abweichungen messen lassen. Die ›natürlichen Proportionen‹ und die ›natürliche Ordnung der Dinge‹ besteht in einer durchsichtigen Atmosphäre, einem wolkenlosen und windlosen Himmel sowie in der ununterbrochenen linearen Abnahme der Lufttemperatur von den tiefsten zu den höchsten Schichten der Region der Meteore. Der ausgeglichene natürliche Normalzustand ist somit ein wetterloser Nullzustand. In diesem Sinne definiert Lamarck die einzelnen Meteore als eine grundsätzliche Störung dieses Normalzustandes. Diese kann in den verschiedenen Schichten der Atmosphäre mehr oder weniger ausgeprägt sein. Manchmal betrifft es die höheren, manchmal die tieferen Schichten, und manchmal beide zugleich. Diese Störung kann durch Winde, Temperaturschwankungen und die Herausbildung von Wolken verursacht werden. Die Winde sind somit nicht – wie in der modernen Meteorologie – die Folge eines Ungleichgewichts, d.h. eines Temperaturunterschieds, der zu einem Druckunterschied führt, den die Winde auszugleichen versuchen, sondern grundsätzlich störende Kräfte, die den Normalzustand durcheinanderbringen. Sobald diese Störungen behoben sind, wird die Transparenz der Atmosphäre wieder hergestellt. Das Sonnenlicht operiert in diesem Zusammenhang als Antagonist der Meteore. Es durchbricht die Wolkendecke und bringt sie zum Verschwinden, es gleicht die destabilisierende Auswirkung der Winde aus und stellt das verlorengegangene Gleichgewicht wieder her.²⁰ In der XIV. Ausgabe des Annuaire Météorologique fasst Lamarck seine Vorstellung der Meteore zusammen: »Als Meteore bezeichnet man alle atmosphärischen Erscheinungen, die irgendwo die Heiterkeit oder Transparenz der Luft unterbrechen (interrompt quelque part la sérénité ou la transparence de l’air) und deren Dauer begrenzt ist (et qui a des bornes dans sa durée).«²¹

    In Thomas Forsters 1823 veröffentlichten Researches about Atmospheric Phenomena und in Luke Howards The Climate of London (1833) wird der Begriff meteors zwar nur noch im engeren Sinne verwendet. So benutzt ihn Howard für »fiery meteors«²², d.h. fallende Sterne, listet ihn aber an anderer Stelle nach einer Reihe von Wetterphänomenen auf: »wind, rain, thunder and other occasional meteors«.²³ Forster spricht im Vorwort von feurigen Meteoren (igneous meteors) mit langen Schweifen, und von leuchtenden fallenden Sternen und dem Blitz als nächtliche Lichtphänomene. Das Wort meteor ist hier kein Sammelbegriff mehr. Es bezeichnet eine spezifische Erscheinung, die sich von anderen Wetterphänomenen unterscheidet. Dennoch führt Forster sie am Ende einer Liste von Wetterphänomenen, nach den Wolken, nach Regen, Hagel, Schnee und Tau auf. Das dritte Kapitel²⁴, das sich ausführlich mit falling meteors und meteoric stones beschäftigt, folgt direkt auf zwei Kapitel über die Wolken. Allein dem Wind ist ein eigenständiges, aber deutlich kürzeres Kapitel gewidmet.²⁵ Ansonsten wird der Begriff nur noch in den zusammengesetzten Formen meteorology, meteorologist und meteorological verwendet.

    Im International Cloud Atlas der World Meteorological Organization aus dem Jahr 1975 wird der Begriff ›Meteor‹ für Phänomene verwendet, die man in der Atmosphäre oder direkt auf der Erdoberfläche beobachten kann. Wie Vasak und Belleguic festhalten, weist das Klassifikationssystem einige Unstimmigkeiten auf. »Der Begriff ›Meteor‹ bezeichnet heute Phänomene, welche sich in der Atmosphäre abspielen. Die Atmosphäre selbst gehört also nicht dazu.« Obwohl alle Formen des Niederschlags und alle Lichtphänomene dazu gerechnet werden, wird alles, was die Luft angeht, ausgeschlossen. »Die Wolke wird als Luft betrachtet und gehört nicht zu den Meteoren: Wird sie als gasförmige Erscheinung betrachtet und daher aus den Meteoren ausgeschlossen?«²⁶ Der Wolkenatlas teilt die Karten neu aus. »A meteor […] consists of a suspension, a precipitation, or a deposit of aqueous or non-aqueous liquid or solid particles, or a phenomenon of the nature of an optical or electrical manifestation.«²⁷ Meteore weisen drei unterschiedliche Zustände auf – Suspension, Präzipitation und Ablagerung – und bestehen aus wässrigen, nicht wässrigen, aber flüssigen, und soliden Partikeln oder haben mit optischen und elektrischen Phänomenen zu tun. Aufgrund dieser Kriterien kann der Wind nicht mehr als Meteore betrachtet werden. Wegen der Beschaffenheit ihrer Bestandteile oder den physischen Prozessen, die mit ihrem Erscheinen einhergehen, haben Meteore einen sehr unterschiedlichen Charakter. Man kann vier Arten unterscheiden. Dies erinnert an die frühere Einteilung aufgrund der vier Elemente, von denen im Wolkenatlas jedoch nur noch das Wasser übriggeblieben ist: Hydrometeore (Regen, Schnee und Hagel), Lithometeore (atmosphärischer Staub, aufgewirbelter Sand), Photometeore (Regenbogen, Glorie und andere Lichteffekte) und Elektrometeore (Gewitter, Sturm, Blitz, Donner, Polarlicht, Elmsfeuer). Im Gegensatz zu seiner früheren Zentralität wird dem Wind in dieser Klassifikation der Status eines Meteors abgesprochen und eine rein zudienende Rolle zugewiesen. Der Wind ist kein eigenständiger Meteor mehr, spielt aber bei den ersten beiden Meteorformen eine wichtige Rolle. Auch die Wolken sind ausgegliedert und einem völlig neuen Klassifikationsschema zugeführt worden, das nicht mehr auf deren Materialität beruht, sondern auf deren Formenvielfalt und jeweiligen Höhe in der Atmosphäre. Die Lithometeore bestehen vorwiegend aus festen Partikeln, z. B. Sand- oder Staubpartikeln. Wenn diese in der Luft schweben, kann dies zu Dunst- oder Rauchbildung führen. Sie können aber auch vom Wind aufgewirbelt und wieder verweht werden, z. B. bei Flugsand. Hydrometeore bestehen aus einem »ensemble of liquid or solid water particles suspended or falling through the atmosphere«. Suspended particles findet man in Dunst und Nebel und falling particles in Regen, Schnee oder Hagel. Obwohl die Wolken wie die anderen Hydrometeore aus schwebenden wässrigen Partikeln bestehen, werden sie nicht in diese Systematik aufgenommen. Die Partikel können sich auch ablagern, was zu Tau, Raureif oder Frost führt. Sie können ebenfalls vom Wind erfasst und in die Höhe getragen werden, was zu Flugschnee und Schneeverwehungen führt. »Wie jede wissenschaftliche Tatsache«, schreibt Parrochia, der damit das cartesianische Ideal der vollständigen Aufhellung der Welt beschwört, »werden die Meteore archiviert, indexiert, klassifiziert und ihre reiche Vielfalt anhand eines universellen Rasters gelesen, das in der Lage ist, sie eindeutig zu definieren.«²⁸ Als Beispiel für diese neue naturwissenschaftliche Methode erwähnt er signifikanterweise gerade die Wolkenklassifikation, deren Kategorien eigentlich nur bei einfachen Himmelskonstellationen eindeutig funktionieren. Wenn viele unterschiedliche Wolkentypen auf verschiedenen Ebenen ineinander geraten, spricht man in der Regel von einem chaotischen Himmel. Wie Vasak und Belleguic festhalten, hat auch der moderne Meteor-Begriff die früheren Ambivalenzen nicht abgestreift. Reed und Serres, auf die ich nun zu sprechen komme, gehen noch einen Schritt weiter und bezeichnen gerade diese unlösbare Ambivalenz als das theoretisch Entscheidende.

    Concordia discors

    Wie Ingold, Ōhashi und Schmitz auf die ich in den nächsten Kapiteln näher eingehe werde²⁹, betont Arden Reed den spezifisch anderen ontologischen Status der Meteore. »Because they are insubstantial, shifting, and literally groundless ›meteors‹ have a different ontological status from natural objects – rocks, stones, trees […].« Hermann Schmitz bezeichnet sie daher auch als ›Halbdinge‹. Meteore gehören in die Welt der Kontingenz und Vergänglichkeit, »›the realm of mutability‹«. In diesem Sinne sind sie »purely temporal figures, and it is impossible to conceive of them apart from time.«³⁰ Reed geht es darum, das destabilisierende Potential der Meteore und deren grundsätzliche Ambivalenz unter einem anderen Vorzeichen neu zu deuten, auch gerade deshalb, weil durch die Aufklärung und den Positivismus des 19. Jahrhunderts der Kontakt zu dieser meteoric tradition weitgehend abgebrochen wurde.

    »The connection between ›meteor‹ and ›meteorology‹ has been broken – a result of the word’s scope having shrunk […]. But originally, ›meteor‹ referred to any kind of meteorological activity: storms, rainbows, winds, lightening, comets, mists and fogs, as well as some we would call astronomical (the Milky Way, for example) or geological (earthquakes and volcanoes). In contrast to stars, which have a regular motion that may be determined, graphed and predicted, ›meteors‹ are cosmic freaks. They are likely to be unstable, unpredictable, aleatory, turbulent, disruptive and chaotic. […] One purpose of classical science was to domesticate ›meteors‹ […]. But science can never completely master the ›meteor‹. […] and it will resist [its] efforts to describe and know it […].«³¹

    Die Autoren der klassischen Antike entwickelten zahlreiche Strategien, um die ontologische Störung des Wetters ordnend zu entschärfen. Es ging darum, das Chaos und die Konflikte anzuerkennen. Unordnung sollte nicht einfach in Ordnung umgewandelt, sondern die Unordnung in gewisser Weise als essenziell für die Schaffung von Ordnung gedeutet werden. Der Anfang von Aristoteles’ Meteorologie geht von einer ähnlichen Vorstellung aus. Gegensätzliche Eigenschaften, wie heiß und kalt, können nicht gekoppelt werden und dennoch gehen die vier Elemente daraus hervor. Ihre Entstehung ist eine Verwandlung in Gegensätze, die aus Gegensätzen hervorgehen und dies wird nur dadurch möglich, dass jedes Element von einem Element zum anderen übergeht. In diesem kosmischen Tanz, den Reed als »ur-minuet« bezeichnet, entstehen die einzelnen Elemente als eine Veränderung aus Gegensätzen, die ins Gegensätzliche überführt: »a change into contraries and out of contraries.«³² Jedes Element enthält in seinen Beziehungen zu den anderen ein Moment der Gegensätzlichkeit.

    Das noch ältere Ordnungsprinzip der concordia discors, des Zusammenklanges des Dissonanten, das sich vom aristotelischen unterscheidet, geht auf Pythagoras zurück und wurde auch von Platon und dem Platonismus übernommen. »To stabilize ›meteors‹, writers from the classical period onward relied on the principle of concordia discors, until a new principle of order provided by Newton’s laws displaced the Pythagorean one.«³³ Diese musikalische Vorstellung einer disharmonischen Harmonie versucht, die Unordnung als Voraussetzung für Ordnung einzusetzen. Darin gleicht sie Serres’ Ansatz, der davon ausgeht, dass die Ordnung aus der Unordnung auftaucht. »This provided a way to resolve the errancy and irrationality of ›meteors‹ in regular and rational patterns, founded on Mathematics.«³⁴ Reed benutzt in seiner Beschreibung der Meteore durchgehend Metaphern des Abweichenden, Abtrünnigen und Nomadischen.

    Meteore sind in vielfacher Hinsicht dazwischen, sowohl räumlich als auch zeitlich. Präsenz und Abwesenheit durchdringen sich. »Their coming into being is already their going out of being. [They] cannot achieve the ontological stability of a form – although they never participate fully in presence, neither are they ever entirely absent. […] And the aleatory or erratic alterations of any one ›meteor‹ are contingent on any number of other ›meteors‹ themselves contingent, and propagate only more accidents in their wake.«³⁵ Meteore sind, wie schon hervorgehoben, zweifach gemischte Erscheinungsformen. Sie besitzen hybriden Charakter und treten nie allein auf. Aus diesem Grund sind sie nicht einfach mit sich selbst identisch und verweilen auch nicht innerhalb von klar definierbaren Grenzen. »The weather is not so much beyond formalism as before formalism. It is ›situated‹ prior to the appearance of forms or things on the horizon of being. ›Meteors‹ fall between being and nothingness.«³⁶ Das Wetter ist eine Art linguistisches ›No Man’s Land‹.

    »Thus, weather signs are neither free nor determined but fall somewhere in between – a location, we will discover, that they frequently ›occupy‹ […]. We can regard the weather as manifesting either continuity and regularity or discontinuity and unpredictability. […] But historically speaking, it has more often been typical to associate meteorological phenomena with a certain drift or tropism away from the clear and distinct, the orderly, the formal, and the necessary, and toward the uncertain, the disordered, the shifting, and the contingent.«³⁷

    Meteore können somit weder als stabil noch als völlig unstabil klassifiziert werden. Sie sind daher nicht einfach unordentliche Phänomene, die sich der Klassifizierung und Voraussage entziehen, sondern stellen sich quer zum einfachen Gegensatz von Ordnung und Unordnung und stellen dadurch eine ganze Reihe weiterer Dichotomien in Frage: »[…] I have emphasized the disorderly character of ›meteors‹, but it would be more accurate to say that they displace the very opposition between order and disorder […] weather simultaneously composes (though not in any ordinary causal sense) and decomposes a number of the most familiar […] dichotomies: subject/object, inside/outside, nature/culture, physical/metaphysical […] familiar/foreign, presence/absence.«³⁸ Dass Meteore Dichotomien zugleich konstruieren und dekonstruieren, ist ein zentrales Moment einer Philosophie des Windes.

    Eine meteorologische Poetik, wie Reed sie anstrebt, sieht in der Schwierigkeit, literarische Zeichen zu deuten, eine Gemeinsamkeit mit dem Wetter, dessen Manifestationen ebenso schwer zu entziffern sind. Vor der Aufklärung hatten die Meteore eine »renegade significance«³⁹ und tauchten in unerwarteten disziplinären Zusammenhängen auf, so zum Beispiel in der Geologie und der Psychologie. Das Wort Meteorologie selbst verweist auf diese widersprüchliche Zugehörigkeit. Es vereint die Instabilität des Dazwischen (Meteo) mit dem Feld der Logik und der Regelmäßigkeit der Gesetze (Logos). »[…] Meteorology is an oxymoronic science. As its name implies, meteorology is rooted in the field of logic, and is governed by the supreme authority of the logos. […] By contrast, a ›meteor‹ is not so much the opposite as the other, or an other, of the logos.«⁴⁰ Die Meteorologie versucht, Veränderungen dessen vorauszusagen, was sich definitionsgemäß jeder eindeutigen Vorhersage entzieht. Serres weist darauf hin, dass das Wort Oxymoron selbst turbulenten widersprüchlichen Charakter hat, und sich auf der Grenze von Ordnung und Unordnung, Klarheit und Unklarheit positioniert. Oxymoron, oξύμωρος (oxýmoros) kommt von oξύς (oxýs), scharfsinnig, spitz, subtil, und μῶρος (móros), stumpf, dumm. Serres spricht in diesem Zusammenhang von einer »obscure clarté«⁴¹, einer obskuren Helligkeit. Diese Verbindung von Wetter und Abweichung, der man auch bei Lamarck begegnet, hat in der europäischen Tradition eine lange

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1