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The Sound of Silence: Ein Mann, ein Weg und seine Musik
The Sound of Silence: Ein Mann, ein Weg und seine Musik
The Sound of Silence: Ein Mann, ein Weg und seine Musik
eBook465 Seiten5 Stunden

The Sound of Silence: Ein Mann, ein Weg und seine Musik

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Über dieses E-Book

Es war einmal ein kleiner Junge, der träumte von nichts Sehnlicherem als von Freiheit, bis ihm dieser Wunsch schließlich eines Tages erfüllt wurde ...
So beginnt die Geschichte von Christoph Steiner McLloyd, des größten Komponisten aller Zeiten!
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Sept. 2023
ISBN9783758386169
The Sound of Silence: Ein Mann, ein Weg und seine Musik
Autor

Adrian Schumann

Adrian Christoph Gabriel Schumann wurde am 20.1.1991 in Klagenfurt am Wörtherseee geboren und besuchte von 2000 bis 2009 das musische Bundesrealgymnasium Klagenfurt-Viktring. 2012 bis 2017 studierte er Lehramt Englisch und Geografie und Wirtschaftskunde an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt sowie katholische Religion für Pflichtschulen an der Katholischen Pädagogischen Hochschuleinrichtung (KPHE) Kärnten. Zu seinen Hobbys zählen das Reisen, das Bewegen in der freien Natur sowie das Verfassen von Texten und Liedern.

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    Buchvorschau

    The Sound of Silence - Adrian Schumann

    1. Tanz alter Erinnerungen

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.

    Friedrich Nietzsche

    Dieses Buch ist meinen liebevollen Adoptiveltern, Konrad und Anneliese Steiner, gewidmet.

    An die besten Freunde, die man sich je hat vorstellen können, Alexander Wolfsmüller, Melanie Berger, Peter Neuwirth, Astrid Baumgartner, David Stevenson, Lucia Rutherford und Max McMillan.

    An die Familien Hubert, Gerlinde, Thomas und Melanie Berger sowie Michael, Judith und Jason McLlyod.

    Einen besonderen Dank an Helga Hofreiter und an alle Schüler meiner Abschlussklasse aus dem Jahre 2031.

    Danke an alle, die stets an mich glaubten. Und vor allem danke an dich, meine geliebte Caryn McLlyod.

    Erinnerungen

    Erinnerungen sind unser wertvollstes Gut,

    ohne sie wären wir leere Seelen,

    wie Asche ohne Glut.

    Verzweifelnd irrend,

    zwischen Licht und Schatten,

    müssten all unsere Momente

    gleich nach dem Erleben bestatten.

    Und anstatt auf ein Leben,

    blickten wir zurück aufs

    Nichts,

    verstrichene Jahre,

    auf dem Antlitz unseres Gesichts.

    Erinnerungen sind unser wertvollstes Gut,

    sie neu zu erwecken,

    das ist reinster Mut.

    Sie beherrschen uns

    und unser ganzes Gedächtnis,

    sind sowohl unser goldenes,

    nein auch eisernes Vermächtnis.

    Wie Taucher tauchen wir zurück,

    in schöne oder hässliche Momente,

    und reichen uns in so mancher Schicksalsstunde

    gegenseitig die Hände.

    Erinnerung bedeutet Leben,

    Verdrängung den Tod,

    versuche niemals zu fliehen,

    auch wenn dir dein Gedächtnis zu zerbrechen droht.

    Lebe dein Leben,

    und vergiss nie, wer du bist,

    denn wie schnell kann es sein,

    dass es auf einmal

    zu Ende ist.

    Dies ist meine Geschichte, dies ist mein Leben.

    Ich blicke zurück auf einen endlos wirkenden Traum, einen Traum voller Musik und Wunder, der Harmonie und Vollkommenheit, aber auch der Angst und Verzweiflung.

    Mein ganzes Leben steckt in einer einzigen Sinfonie. Es ist die Symphony of Silence.

    Es fällt mir schwer, über meine Biographie zu reden, eine Biografie, die ich selbst jetzt noch kaum verstehe; doch werde ich jetzt nicht mehr davor zurückschrecken, alles offenzulegen!

    All die Leute, die meine Musik hören, haben ein Recht zu erfahren, wer ich wirklich bin.

    Fünf ganze Jahre ist es her, seit ich mich hier in Kalifornien zur Ruhe gesetzt habe, doch wirklich Ruhe hatte ich nie …

    Es sind Gedanken und Erinnerungen, die mich quälen, Gedanken und Erinnerungen der Musik.

    Ich habe keinen Alltag mehr, ich bin ein Gefangener meiner Vergangenheit.

    Selbst wenn mich die Leute wie einen völlig »normalen« Mitbürger behandeln wollen, sehe ich, wie sich Fragen um Fragen in ihren Köpfen drängen, Fragen, die sie so gerne an mich richten würden, aber nicht können.

    Beenden wir also diese Geheimnistuerei.

    Gehen wir noch einmal ganz zurück an den Anfang meiner frühen Kindheit, an den Anfang meiner ganzen Geschichte.

    Es ist eine Zeit, in der ich mir noch nie erträumt hätte, ein großer Komponist zu werden, eine Zeit der Armut und Hoffnungslosigkeit.

    Es war einmal ein kleiner Junge, der träumte von nichts Sehnlicherem als von Freiheit, bis ihm dieser Wunsch schließlich eines Tages erfüllt wurde … Dieser Junge lebte in einem Land namens Österreich, dieser Junge … war ich.

    – 19. November 2022 –

    Der Junge in der Pfütze blickte mir traurig entgegen. Er hatte braunes, flaches, jedoch zerzaustes Haar und besaß blaue Augen. Seine Wangen waren schmutzig, seine Mimik eher emotionslos. Er trug ein rot-weiß kariertes Hemd mit grüner Filzweste.

    Schweigend betrachtete er sein Spiegelbild und warf einen Stein ins Wasser.

    Der Junge war zehn Jahre alt. Es handelte sich um meine Wenigkeit.

    An jenem kalten Novembernachmittag sollte ich im Wald Feuerholz für den Ofen unserer Familie sammeln, war jedoch wieder einmal ganz und gar in meinen Tagträumen gefangen.

    Es ist klar, dass für einen zehnjährigen Buben eine Pfütze nun sicherlich attraktiver als die harte Arbeit war.

    Wie dem auch sei, ich bemerkte, dass es bereits dämmerte.

    Der Wald war ein friedvoller Ort zum Verweilen, obwohl er im November von Nebel und Stille umhüllt war.

    Verwirrt rappelte ich mich hoch, eilte zum aufgestapelten Holz und begann Holzscheiter in den großen geflochtenen Korb zu sammeln, bis er schließlich voll war.

    Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und machte mich sogleich auf den Heimweg, wohl wissend, dass zu Hause wieder nichts als Ärger auf mich wartete.

    Den Korb schleppend ging ich den Weg entlang, der mich bereits nach wenigen Minuten aus dem Wald in unser Dorf hinausführte. Am Waldrand angekommen, stellte ich den Korb ab und machte eine kurze Pause.

    Rauchschwaden stiegen aus den Kaminen der Häuser und Höfe.

    Nicht weit von mir entfernt lag unser Sonnenhof, nur dass auf diesem Hof die Sonne schon lange nicht mehr schien …

    Ich ließ meinen Blick ins Tal schweifen. Es war meine Heimat, das Lesachtal, ein schluchtartiges Tal im südwestlichen Teil des Bundeslandes Kärnten, an der Grenze zu Osttirol und Italien.

    Das Tal war gekennzeichnet durch steile Almwiesen, durch eine Schlucht, in welcher der Fluss Gail floss, und durch kleine idyllische Bergdörfer. Die Bewohner des Tales sprachen im Kärntner Dialekt mit tirolerischem Einschlag. Der bekannteste Ort im Tal war wohl der Wallfahrtsort Maria Luggau, in welchem ich zu Hause war.

    Hier war ich am 21. Dezember 2021, als Sohn von Alois und Antonia Kirchberger, geboren worden.

    Die Jahre zuvor hatte mein Vater bei der Bank einen Kredit aufgenommen, welchen er ihr nicht einmal ansatzweise zurückzahlen hatte können. Die Bank hatte dafür den gesamten Sonnenhof, inklusive den Feldern, als Hypothek eingefordert und an Alois Kirchberger verpachtet.

    Meine Eltern hatten sich seit jenem Ereignis nur noch ausnahmslos der Arbeit hingegeben, in der Hoffnung, eines Tages wieder schuldenfrei zu sein. Sie hatten Bauernprodukte wie am Fließband produziert und diese an den örtlichen Bauernladen verkauft.

    In ihrem Arbeitswahn hatten sie sich weitgehend von der Dorfgemeinschaft abgekapselt und waren missmutig und stumpf geworden.

    Um ihr großes Lebensziel schneller zu erreichen, hatten sie in gegenseitiger Zustimmung ein Kind gezeugt und dabei gebetet, dass es ein kräftiger und arbeitswilliger Junge werden würde.

    Ihr Wunsch war ihnen erfüllt worden und ich hatte das Licht der Welt erblickt.

    Hineingeboren in Armut und eisige Dezemberkälte, sollte ich eine würdige Arbeitskraft am Hofe werden, abseits von jeglichen sozialen Kontakten, um eines Tages den Sonnenhof wieder in den Besitz der Familie Kirchberger zurückzubringen.

    Warum ich dies mit zehn Jahren bereits wusste? Nun, meine Eltern hatten mir meine Aufgabe wohl oft genug eingebläut …

    Keine Freunde, kein Spielen, nur harte Arbeit!

    Produktive Leistungen waren für sie eine angemessene Gegenleistung für täglich Speis und Trank.

    Ein eisiger Wind wehte mir ins Gesicht und ich schauderte. Aus den Häusern der Höfe stieg Rauch auf.

    Ich nahm meinen Korb und lief den Weg zu unserem Holzhof hinunter.

    Über der Türe des Wohnhauses brannte bereits ein Licht und meine Mutter stand mit einem gequälten Gesichtsausdruck am Treppenabsatz. Langsam und voller Scham kam ich ihr näher und sagte halblaut: »Mama?«

    »Ach Sohn, warum musst du denn immer so trödeln!«, sagte sie streng. »Dein Vater ist außer sich!« Trotz der Strenge lag in ihrer Stimme ein krächzendes Seufzen und sie wischte sich mit ihrer Schürze das Gesicht ab.

    Ich wusste sofort, was los war, und da kam auch schon die tiefe, brüllende Stimme aus der Stube: »So ein nichtsnutziger Taugenichts! Faul und stur! Aber ich werde ihm schon Manieren beibringen!«

    Mit krebsrotem Gesicht eilte Vater aus dem Haus. Sein Hemd war halb offen, seine Ärmel hochgekrempelt und seine Hände zu Fäusten geballt. Ich schloss die Augen und ließ den Korb mit den Holzscheitern auf den Schotterboden fallen.

    Ach würde mich doch dieser eisige Wind, welcher von den Bergen kam und durchs Tal zog, einfach hinfortwehen!

    Meine Mutter schrie im Hintergrund: »Alois, er meint es doch nicht so, lass ihn!!!«

    Sie weinte, jedoch vergeblich.

    Ich wusste, dass all dieser Schmerz und diese Trauer eines Tages aufhören würden.

    Irgendwann hörte alles auf …

    Etwa eine halbe Stunde später lag ich in meinem dunklen Zimmer im Bett und starrte auf die Decke. Mein Körper schmerzte und ich drückte die Augen ganz fest zu.

    Es klopfte an der Zimmertüre – »Christoph?«

    Ich antwortete nicht.

    Die Türe öffnete sich und meine Mutter kam herein, mit einem Waschlappen in der Hand. Sie knipste das Licht an und setzte sich zu mir ans Bett.

    Reflexartig zog ich die Decke über den Kopf.

    Sie zögerte und sagte: »Christoph, du weißt, dass dein Vater viel arbeitet …« – sie wusste wohl wieder einmal nicht, wie sie ihre Worte wählen sollte.

    »Du kennst ihn ja …«, sagte Mutter leise.

    Ich drehte mich zu ihr um.

    »Ich will niemals so werden wie er!!!«, schluchzte ich voller Zorn und Trauer.

    »Lieber möchte ich tot und bei Opa sein!«

    »Schatz, du weißt, dass Opa von dir gewollt hätte, dass du hier am Hof alles gibst! Er hat doch zu dir gesagt, dass du niemals aufgeben sollst!«

    Mutter zog die Decke von meinem geschwollenen und blutigen Gesicht. Leicht geschockt hielt sie kurz inne und wischte mir schließlich mit dem Lappen über die Wunden – das übliche Ritual.

    Ich wusste, dass Großvater diese Worte in einem ganz anderen Zusammenhang gewählt hatte.

    Wir waren damals gerade dabei gewesen, ein kleines Flugzeug aus Sperrholz zu bauen, und ich war der Meinung gewesen, dass ich einfach nichts anständig zusammenbrächte.

    »Christoph, du darfst deine Träume nicht einfach so schnell aufgeben! Dein Vater hat dies bereits getan. Mache nicht denselben Fehler!«, hatte mir mein Großvater damals eingebläut. Dann hatte er mir gezeigt, wie ich die Flügel am Rumpf des Flugzeuges anbringen sollte. Als es dann fertig gewesen war, hatte ich es über die steile Wiese fliegen lassen und war glücklich gewesen. Der Wind hatte das Flugzeug etliche Meter weit getragen und ich war mit meinem Opa hinterhergerannt …

    »Opa war viel lieber als Papa!«, protestierte ich.

    »Schatz, dein Großvater war es, der den Hof in den Ruin getrieben hat! Er hat sich viel zu sehr seinem Violinstudium und seinen Fantastereien über naturfreundliche Energie hingegeben, ihm hast du es zu verdanken, dass wir heute so leben müssen!«

    »Nein, das ist nicht wahr! Vater trinkt einfach zu viel!«, argumentierte ich weiterhin meiner Mutter gegenüber. Verachtend wies ich sie von mir.

    Sie schüttelte den Kopf, seufzte, legte mir den Waschlappen auf das Nachtkästchen und schritt mit gesenktem Kopf zur Türe hinaus.

    Rebellisch zog ich mir abermals die Decke über den Kopf.

    Es wurde wieder dunkel im Zimmer.

    Irgendwann würde alles aufhören! Ich wollte weg, ganz weit weg!!!

    Ich versuchte die ganze Realität um mich herum einfach zu verdrängen.

    2. Das Weihnachtsoratorium

    Bei einer andächtigen Musik ist allezeit Gott

    mit seiner Gnaden Gegenwart.

    Johann Sebastian Bach

    Richtig aufgeregt wiederholte ich immer wieder leise meinen Text für das Weihnachtskrippenspiel zu Heiligabend 2022.

    I ha°b zwa nit vül, a°ba mein Ma°ntl wüll i da geb’n, der wiad di sicherlich gua°t weaman, wa°nns wiada ama°l k°alt wiad, in dein’ Leb’n!«

    Stolz hielt ich meine Blockflöte in der Hand und begutachtete sie. Ich hatte sie von Frau Huber in der ersten Klasse zu meinem siebenten Geburtstag geschenkt bekommen. Das Instrument war wirklich etwas ganz Besonderes, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es aus dem Holz der Haselfichte hergestellt worden war, jenem Holz, aus welchem auch eine Stradivari gemacht wurde.

    Meine Mutter klopfte an die Türe. »Zeit zum Aufstehen, Christoph!«

    Ich hüpfte aus meinem Bett und rannte in das Badezimmer.

    Offiziell war an diesem Tag keine Schule, aber unsere Klasse traf sich in der Basilika für die Generalprobe unseres Weihnachtsspiels.

    Unten, in der Stube, zog ich mir Strickjacke, Wollmütze, Handschuhe, meinen Lieblingsschal und meine Winterstiefel an und verließ das Haus. Mein Vater ärgerte sich furchtbar über meine Eile, zur Schule zu gelangen.

    Ich stapfte durch den Tiefschnee. Es schneite wieder und ich freute mich über den Schnee zu Weihnachten!

    Wie jeden Tag legte ich den Schulweg alleine zurück. Ich war vom Vater nur ein einziges Mal abgeholt worden und das war eben an meinem ersten Schultag.

    Als ich mich dem Schulgebäude näherte, sah ich Melanie, Lisa und Sebastian einen Schneemann bauen.

    »Hallo!«, rief ich fröhlich.

    »Hallo, Christoph!«, antworteten sie im Chor.

    Florian, Werner und Gernot bewarfen sich wieder mit Schneebällen und rieben sich gegenseitig im Schnee ein. Ich mied sie, so gut ich konnte.

    Eltern standen vor der Schule, plauderten und flüsterten. Die restlichen Kinder beschäftigten sich ebenfalls mit Schneemannbauen, Schneeengelformen oder anderen lustigen Winterspielen.

    »Hast du deinen Text gut gelernt?«, fragte mich Lisa.

    »Ja, gestern, den ganzen Abend, und heute wieder in der Früh«, antwortete ich stolz.

    »Ich spiele gerne die Maria, es ist meine Lieblingsrolle«, meinte Lisa.

    »Du bist ja auch die Intelligenteste von uns allen«, mischte sich Melanie ein. »Christoph und mir gefallen die Hirten, nicht wahr?«

    »Stimmt.«

    Florian würde der Josef sein, denn er hatte sich die Rolle bei Frau Huber erbettelt.

    In dem Moment kam auch schon die Lehrerin in ihrem Ledermantel und mit ihrem bunt gestrickten Schal aus dem Schulgebäude. Sie trug wieder einen großen Karton mit Requisiten in den Händen.

    »Guten Morgen, Kinder, sind wir vollzählig? Macht bitte eine Zweierreihe!«

    Sie ermahnte die drei Jungs mit den Schneebällen in den Händen und zählte uns ab.

    »Alles klar, liebe Eltern, die Kinder sind hier wieder um zwölf Uhr abzuholen. Wir gehen nun zur Kirche!«

    In Zweierreihe überquerten wir die Gailtal Straße, die Hauptstraße des Ortes, und stapften die schmal ausgeschaufelte Rampe bei den Souvenirshops vorbei zur Basilika hinauf.

    Wir gelangten auf den von Mauern umgebenen Kirchplatz und Pfarrer Berger überquerte die verschneite Wiesenfläche. Er war mit einem schwarzen Mantel gekleidet, unter welchem man Soutane und Kollar erkannte. Auf seinem Haar hatten sich kleine Schneeflocken angesammelt.

    »Hallo! Gehen wir gleich hinein, drinnen schneit es wenigstens nicht«, verkündete er.

    Pfarrer Berger sollte uns Erstklässlern vor der Probe eine Kirchenführung geben.

    Er führte uns in das Läuthaus des Granit- und Schieferturmes mit Doppelzwiebel und anschließend in den sakralen Innenraum.

    Als wir alle um ihn versammelt waren, begann er zu reden:

    »Nun gut, die heutige Wallfahrtskirche von Maria Luggau, Maria Schnee, wurde im Jahre 1536 feierlich eingeweiht und um 1736, nach einem Brand, völlig neu und im barocken Stil wiederaufgebaut. Trotzdem erkennt man immer noch Überreste aus der Zeit der Gotik. Die Innenausstattung der Kirche ist größtenteils barockisiert worden. Das Kirchenschiff, in welchem wir uns befinden, ist 30 Meter lang und 10 Meter breit.«

    Der Pfarrer ging weiter und unsere Gruppe folgte ihm. Obwohl ich das Meiste von dem, was er uns gesagt hatte, nicht verstand – und hierbei war ich sicherlich nicht der Einzige –, mochte ich Pfarrer Bergers Art, vor allem seine ruhige Stimme und seinen offenen, gutmütigen Blick. Auch die Kirche war für mich irgendwie ein beruhigender und Kraft spendender Ort …

    Innen stach mir sofort wieder der Hochaltar mir rotem Mantel und goldenem Dächlein ins Auge. Vor den Chorschranken war ein Podium aufgebaut, angeglichen an die Empore. Darauf standen vier große, mit Kabeln verbundene Mikrofone und ein Notenpult.

    Melanies Onkel führte uns direkt zum Herzstück der Kirche, zur Schmerzensmutter, einer Pieta.

    Mein Kopf kreiste und ich versuchte all die Eindrücke in mir aufzunehmen.

    »Vielleicht sollte ich euch noch die Gründungsgeschichte unserer Basilika erzählen, ihr könnt euch aber hierzu gerne hinsetzten …«, leitete der Pfarrer schließlich über.

    Die Gruppe nahm zufrieden in der Kirchenbank Platz.

    »Nun denn. Wer von euch kennt die Sage von der träumenden Helena?«, erhob Pfarrer Berger seine Stimme.

    Nur Melanie zeigte auf und er musste lachen.

    Pfarrer Berger begann: »Gut. Wir schreiben das Jahr 1513. Die arme Bäuerin Helena hatte hart auf dem Getreideacker gearbeitet und wollte sich zur Mittagszeit ein kleines Schläfchen unter dem Baum gönnen. In ihrem Traum hatte Helena eine Vision. Ihr erschien die schmerzhafte Maria, welche sie bat, ihr zu Ehren an diesem Ort eine Kapelle zu errichten. Als Helena aufwachte, schenkte sie ihrem Traum keine besondere Beachtung und machte sich wieder an die Arbeit. Doch Tag für Tag ließ sie dieser Traum nicht mehr los und sie beschloss, ihre Vision auf eine Probe zu stellen. Als eines Tages ein Sturm aufkam, stellte Helena eine brennende Kerze mitten auf einen Getreideacker. Erlosch die Kerze nicht, würde sie der Bitte Mariens in ihrem Traum Folge leisten. Und in der Tat, die Kerze brannte drei Tage lang, trotz des stürmischen Wetters! Ermutigt in ihrem Glauben, ließ sich Helena von einem Schnitzer aus Maria Luggau eine kleine Pieta schnitzen. Diese Pieta steht heute noch vor euren Augen am Altar und soll hunderte von Pilgern in ihrem Glauben bestärken, so, wie damals auch die träumende Helena von Gott gestärkt wurde …«

    Es war still in der Kirche. Ich hatte mir die gesamte Geschichte bildlich vorgestellt:

    Die träumende Helena … das Gewitter … das hell leuchtende Licht … die kleine geschnitzte Pieta.

    »Wegen des Kerzenwunders wurde Helena als Hexe angeklagt und ins Gefängnis geworfen. Doch wie durch ein weiteres Wunder wurde die Anklage gegen sie fallen gelassen und die Kapelle letztendlich doch erbaut. Ihr tiefes Vertrauen in Maria und Gott hatte ihr dabei geholfen.

    Einige Jahre bewahrte ein Zimmermann namens Anton Mayrhofer von Obergail die Pieta davor, von einem geistig umnachteten Einwohner des Dorfes entwendet zu werden. Der verwirrte Mann erlangte, nachdem er aufgehalten wurde, plötzlich seinen Verstand wieder.

    Dieses Wunder lockte auch viele Wallfahrer an und sie kamen von nah und fern.

    Schließlich reichte die Kapelle für die vielen Wallfahrer nicht mehr aus und Helena setzte sich für den Bau einer größeren Kirche ein. Sie fand Unterstützung in einem gewissen Johann von Manndorf, den Verwalter von Schloss Pittersberg, welches dem Grafen Gabriel von Ortenburg gehörte. Johann von Manndorf ritt los, um sich den Ort Maria Luggau genauer anzusehen, wurde jedoch dort von Helenas Gegnern zur Rückreise nach Kötschach Mauthen gezwungen. Wieder kam ein Gewitter auf und es sollte sich ein weiteres Wunder ereignen. Manndorfs Pferd scheute und warf seinen Herren ab. Beim Sturz verfing sich Manndorfs Fuß im Steigbügel und er wurde meterweit mitgeschliffen. In seiner Todesangst betete Manndorf zur heiligen Gottesmutter mit dem Vorsatz, er begänne den Bau der Kirche zu Maria Luggau, wenn ihm das Leben geschenkt werden würde. Seine Gebete wurden erhört und auch er hielt sein Versprechen, wie Helena. Seiner zum Gedenken wurde in Oberring bei Liesing eine Kapelle errichtet. Es ist genau die Stelle, an der er einst vom Pferd gestürzt war.

    Die heutige prächtige Wallfahrtskirche Maria Schnee wurde schließlich im Jahre 1986 von Papst Johannes Paul persönlich zur Basilika minor erhoben.«

    Ein Gewitter … ein Reiter im Sturm … der unglückliche Sturz von seinem Pferd … sein Gebet … und die Erscheinung.

    Pfarrer Berger hatte seine Erzählung inzwischen beendet und schaute nun in meine Richtung.

    »Alles in Ordnung, Christoph? Du wirkst so … erschrocken?«

    Ich wurde rot. »Nein, Herr Pfarrer, alles in Ordnung, ich habe nur … über die Geschichte nachgedacht«, erklärte ich offen und ehrlich.

    »Alles klar. Ich möchte hiermit meine kleine Religionsstunde über die Kirche beenden«, sagte der Pfarrer.

    Unsere Klasse applaudierte, den meisten von uns hatte zumindest die Geschichte sehr gut gefallen.

    »Danke. Nun aber wird es Zeit, dass ihr zu eurer Probe kommt! Um zwölf Uhr proben der Kirchenchor mit Orchester und anschließend die Trachtenkapelle. Die Christmette heute am Abend wird sicherlich etwas ganz Besonderes werden, unter anderem wird der erste Teil von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium, das Jauchzet, frohlocket aufgeführt und auf euer Krippenspiel freut sich auch schon das ganze Dorf!«

    »Danke für alles, Herr Berger. Die Kinder sind sicher auch schon ganz aufgeregt!«, sagte Frau Huber.

    Der Pfarrer verabschiedete sich von uns und ging seines Weges.

    »Gut, meine Lieben, gehen wir es an!«, verkündete unsere Lehrerin motiviert.

    Drei Stunden später waren wir am Ende unserer Probe angelangt.

    »Und wia sing’n, volla Freid und Da°nkbarkeit, und verkünd’n de frohe Botschaft an a°lle Leit’!«, sprach die Gruppe die letzten Worte im Unisono.

    Frau Huber gab uns einen Applaus.

    »Perfekt Kinder, perfekt! Ihr werdet das am Abend sicherlich wunderbar machen!«, lobte sie uns. »Nun gehen wir bitte in Zweierreihe zurück zur Schule!«

    Wir räumten die Requisiten zur Seite, die Instrumente in den Karton und stellten uns jeweils zu zweit in die Reihe.

    Just in dem Moment, als wir uns auf den Weg machten, ging die Kirchentüre auf und einige Frauen und Männer in prachtvoller roter Tracht betraten das Heiligtum. Die Männer trugen schwarze Lederhosen, rote Jacken und gelb-grüne Hüte mit weißen Federn. Die Kleider der Damen hatten die Farben Schwarz, Weiß, Rot und Grün, ihre Schürzen waren blau mit einem weißen Muster.

    Alle kamen sie mit ihren Instrumenten in die Kirche. Gerne hätte ich noch gehört, wie sie probten, doch die Glocke läutete bereits 12:00 und wir mussten zurück …

    Wir traten wieder ans Tageslicht und zu unserer Verwunderung hatte es aufgehört zu schneien. Die Schneehaufen links und rechts auf den ausgeschaufelten Wegen gingen uns fast bis zur Brust.

    »He, Kirchberger, pass nur auf, dass du deinen langen Text nicht vergisst!«, kam es von hinten.

    Gelächter war zu hören. Ich drehte mich um und funkelte Florian böse an.

    »Warum musst du immer so gemein zu mir sein?«, platzte es aus mir heraus.

    »Oooohhhh!«, gab er mir zurück, und die Burschen lachten wieder. Frau Huber bekam von allem nichts mit.

    »Ich finde, wir sind ein gutes Team!«, tröstete mich Melanie.

    Zurück bei der Schule kündigte unsere Lehrerin den gemeinsamen Treffpunkt am Abend an. Dann zerstreute sich unsere Klasse.

    Fröhlich hopste ich den Weg zum Sonnenhof hinauf und rutschte beinahe aus.

    Der heutige Tag war etwas ganz Besonderes! Auch die übliche miese Laue meiner Eltern konnte mir heute nichts anhaben, denn … es war Weihnachten!

    Zum Mittagessen gab es Gulaschsuppe mit Brot. Die Stube war gut eingeheizt.

    »Was gibt es da bitte zu grinsen?«, schnauzte mich mein Vater am Tisch an.

    »Ich spiele heute Blockflöte … und einen Hirten in einem Theaterstück!«

    »Ich kenne ein besseres Spiel und das heißt Bodenschrubben!!!«, kommandierte er.

    Mein Nachmittag war also – wie immer – verplant, doch den bevorstehenden Abend konnte er mir nicht nehmen!

    – Neun Stunden später –

    Vater und Mutter hatten sich in ihr bestes Festtagsgewand geworfen. Ich selbst trug olivgrüne lange Wollstutzen, ein rot-weiß kariertes Hemd, darüber eine braune Lederhose und ein rot-weißes Halstuch.

    In der Küche roch es nach frisch gebackenem Christstollen. Ich hockte auf der Küchenbank und reinigte meine Blockflöte. Vater polierte daneben sein Jagdgewehr.

    Die Scheiter krachten im Kamin. Die Standuhr tickte. Keiner sprach ein Wort.

    »Wollen wir nicht etwas Gemeinsames machen, es ist Weihnachten!«, versuchte Mutter eine Kommunikation aufzubauen.

    »Nein, und kannst du bitte deinen Mund halten, das interessiert nämlich keinen!«, raunzte Vater zurück.

    Mutter seufzte und schwieg. Die alte Standuhr läutete 21:15.

    »Es wird Zeit!«, kündigte Vater an. Er legte die Teile seines Gewehrs beiseite und wischte sich die Hände mit einem Tuch ab.

    Mutter nahm den Stollen aus dem Ofen. Wir zogen uns unsere Mäntel an und traten hinaus in die Kälte. Ein leichter eisiger Wind wehte vor der Tür. Es schneite noch immer.

    Wortlos stapften wir zur Kirche hinunter. Ich hätte mich so gerne mit meinen Eltern über den bevorstehenden Abend unterhalten, aber ihre Blicke lehnten jegliche Unterhaltung ab.

    »I ha°b zwa nit vül, a°ba mein Ma°ntl wüll i da geb’n, der wiad di sicherlich gua°t weaman, wa°nns wiada ama°l k°alt wiad, in dein’ Leb’n …«, wiederholte ich leise.

    In der Ferne funkelten helle Lichterketten an den Dächern der Bauernhöfe.

    In der Mitte des Kirchplatzes stand ein riesiger Christbaum, umwickelt von Lichterketten. Rund um diesen Baum waren Buden aufgestellt. Es wurden Handwerksdekorationen und lokale Produkte verkauft. Ich entdeckte einen Honig-, einen Lebkuchen-, einen Brot-, einen Schokoladen-, einen Kräuterstand und noch viele mehr. An einer Bude wurden sogar selbstgebackene Mehlspeisen verkauft! Leute schwirrten von Hütte zu Hütte. Eine Traube von Menschen war vor dem Punschstand versammelt. Düfte von verarbeiteten Orangen und Nelken lagen in der Luft und vermischten sich mit den Aromen von Honig und Lebkuchen.

    Ein paar Kinder vom Ort standen vor einem Spielwarenstand, welcher Spielsachen aus Holz verkaufte. Hölzerne Engel hingen dort auf Spiralen vom verschneiten Dächlein herab und hüpften auf und nieder.

    Tausend Kindlein steh’n und schauen, sind so wunderstill beglückt« (Joseph von Eichendorff), fällt mir heute dazu ein.

    Meine Eltern gingen entgeistert an all den Dingen vorüber.

    Einige Bewohner des Dorfes entdeckten meine Familie und wandten ihre Blicke sofort ab.

    Dann sah ich ein paar Schüler aus meiner Klasse mit Frau Huber vor der Kirche stehen und eilte zu ihnen. Alle Kinder waren in schöner Feiertagstracht angezogen. Melanie begrüßte mich warm und herzlich.

    Unsere Lehrerin begrüßte meine Eltern und wünschte ihnen Frohe Weihnachten, als diese an unserer Klasse vorbeigingen. Vater ignorierte sie und Mutter nickte nur knapp zurück – ich schämte mich so für sie

    Melanie sprach weiter: »Ich habe heute neue Klaviernoten vom Christkind geschenkt bekommen, dann noch Keksformen und ein neues Kleid. Was habt ihr so bekommen?«

    »Neue Spielzeugautos und ein cooles Federpennal!«, brachte sich Sebastian ein.

    »Ich habe auch ein neues Kleid bekommen, und Schmuck!«, sagte Lisa.

    »Ach, hört auf, jeder weiß doch, dass es kein Christkind gibt!«, wusste Florian schon wieder besser.

    »Natürlich gibt es eines, sonst gäbe es ja auch kein Weihnachten!«, verteidigte sich Melanie. »Und du Christoph, was hast du bekommen?«, fragte sie mich.

    »Ts …«, sagte Florian und wandte sich von unserer Gruppe wieder ab.

    Alle Augen waren nun auf mich gerichtet.

    »Ich … ähm … ich werde ein Stück von Mamas Stollen bekommen!«, sagte ich zufrieden.

    »Was, keine Geschenke?«, fragte Lisa entsetzt.

    »Das ist ein Geschenk!«, rechtfertigte ich mich. »Spielsachen gibt es bei uns schon lange nicht mehr … zumindest nicht mehr seit … Opa tot ist …«

    Der letzte Satz bedrückte mich sehr.

    »Das ist ja total traurig, Christoph«, tröstete mich Melanie und nahm mich in den Arm.

    »Aber mach dir nichts draus, mein Onkel sagt, dass Geschenke nicht das Wichtigste an Weihnachten sind.«

    Weitere Schüler kamen zu uns. Florian prahlte inzwischen vor den anderen über seine nagelneue Modelleisenbahn, die er heute bekommen hatte. Finanzielle Mängel hatten die Bernsteins offensichtlich wohl nicht.

    Unsere Lehrerin zählte die Köpfe unserer Klasse.

    »Wir sind vollzählig, gehen wir in die Sakristei!«

    Dort begrüßte uns Melanies Onkel und teilte jedem von uns einen kleinen Engel aus Ton aus. Die Türe, die in den Innenraum der Kirche führte, stand einen Spalt weit offen. Neugierig spähte ich hindurch. Ich wurde beinahe überwältigt!

    Die Kirche war voller schön angezogener Leute. Scheinwerfer leuchteten auf ein Podium, auf dessen rechter Seite ein kleiner beleuchteter Weihnachtsbaum stand. Links hinten saß ein kleines Ensemble mit interessant aussehenden Instrumenten, welche ich noch nicht kannte. Oberhalb des Volksaltares hing ein großer Adventkranz mit vier brennenden Kerzen, dreimal lila und einmal rosarot. An der mir gegenüberliegenden Kirchenwand stand die prachtvolle Trachtenkapelle von Maria Luggau.

    Ich wurde aufgeregt.

    »Also gut, Kinder! Unser erstes Stück ist Es wird schon glei dumpa, als Zwischengesang. Jeder nimmt bitte sein Instrument in die Hand und hält es bereit!«

    Draußen hatte sich inzwischen der Kirchenchor am Podium positioniert. Die Mitglieder trugen ebenfalls typische Lesachtaler Tracht.

    Pfarrer Berger zog sich sein goldenes Messgewand an und wünschte uns viel Glück.

    Die Eingangsglocke klingelte. Dann ertönte die Orgel, hell und laut. Der Priester trat mit seinen Ministranten hinaus vor den Altar. Nach dem Präludium richtete er seine Worte an die Gemeinde:

    »Liebe Brüder und Schwestern, wir haben uns heute hier versammelt, um gemeinsam die Geburt unseres Herrn zu feiern … Die Messe heute Abend wird musikalisch umrahmt von … der Luggauer Trachtenkapelle unter der Leitung von Albert Hauser, der vierten Klasse, der Thomas-Tiefenbacher-Volksschule unter Agnes Huber, dem Kirchenchor von Marianne Wiesbauer und dem Kirchenorchester von Johann Schmidt. Im Anschluss an die heilige Messe hören Sie den ersten Teil aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium, »Jauchzet, frohlocket«, aufgeführt von Kirchenchor und Orchester …«

    Nachdem der Pfarrer fertig gesprochen hatte, gab Frau Wiesbauer ihrem Chor den Einsatz. Der Sopran setzte mit schnellen Motiven ein und sang in einer mir nicht bekannten Sprache. Dann kamen der Alt, der Tenor und zuletzt der Bass.

    Entzückt von der Musik schaute ich mir das große Hochaltargemälde mit der Himmelfahrt Mariens an und verspürte etwas in mir. Es war eine Art Glücksgefühl in meinem Herzen, ein Gefühl, welches sich auf meinen ganzen Körper ausbreitete und meine Seele erhob …

    »Vtebe tovar ves horosyj budes maty mirkuhrosej …«

    Ich fühlte mich entfesselt, frei und lebendig.

    Heute weiß ich, dass das Lied Schtschedryk hieß, ein ungarisches Volkslied von Mykola Leontowytsch, welches die Geschichte einer Schwalbe erzählte, die zu einem Mann flog und ihm prophezeite, dass ihm im kommenden Frühling sehr viel an Gutem widerfahren würde.

    Mit jedem Takt erschien mir das Lied gewaltiger und ich blickte hoch hinauf zu den Deckenfresken der Kirche und sah die sieben Schmerzen Mariens. Ich verspürte selbst einen kleinen Stich im Herzen. Oben, bei der Orgel, sah ich auf einmal wirklich eine Schwalbe auf der Brüstung sitzen.

    Bildete ich mir das nur ein?

    Dann wurde mir leicht schwindelig …

    »Alles in Ordnung, Christoph, du wirkst so blass!?«, fragte mich Frau Huber besorgt.

    »Es … es geht schon«, log ich.

    »Setz dich ein wenig hin, dir ist sicherlich schwindelig vom vielen Stehen«, bot sie mir an.

    Melanie zeigte mir einen Stuhl in der Sakristei.

    »Was ist los, Christoph?«, flüsterte sie zu mir.

    »Mir … ist von der Musik ganz schwindelig geworden«, sagte ich verwirrt.

    »Dir ist von der Musik schwindelig geworden?«, wiederholte sie fragend.

    »Ich hab mich wohl zu sehr in sie hineinversetzt«, gab ich ihr zur Antwort.

    »So ein Schwächling!«, hörte ich Florians Stimme im Hintergrund sagen.

    Das Lied war aus. Dann war eine Frauenstimme zu hören, die aus der Heiligen Schrift vorlas.

    »Lesung aus dem Buch Jesaja …«

    »Bereit machen, Kinder, wir treten gleich auf!«, verkündete Frau Huber.

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