Chakren und Kundalini
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Buchvorschau
Chakren und Kundalini - Sri Aurobindo
I.
TANTRA UND DER INTEGRALE YOGA
Kapitel 1
Tantra
Worte Sri Aurobindos
Die Disziplin des Tantra-Yoga ist ihrer Natur nach Synthese. Sie hat die umfassende universale Wahrheit ergriffen, dass es zwei Pole des Seins gibt, deren wesenhafte Einheit das Geheimnis der Existenz darstellt: Brahman und Shakti, Geist und Natur. Natur ist Macht des Geistes oder vielmehr Geist als Macht. Die Methode des Tantra will die menschliche Natur in die manifestierte Macht des Geistes erheben. Dabei fasst sie die gesamte Natur zu einer spirituellen Umwandlung zusammen. In ihr System schließt sie die Instrumentation des kraftvollen Prozesses des Hatha-Yoga ein. Vor allem will sie die Nervenzentren öffnen und die erweckte Shakti auf ihrem Weg zur Einung mit dem Brahman durch diese hindurchgehen lassen. Ferner übernimmt sie den subtilen Nachdruck des Raja-Yoga auf Läuterung, Meditation und Konzentration, die Hebelkraft des Willens, die Motivkraft der Hingabe und die Schlüsselenergie des Wissens. Sie bleibt aber nicht dabei stehen, die verschiedenen Mächte dieser spezifischen Yoga-Arten in wirkungsvoller Weise zusammenzufassen. Vielmehr erweitert sie durch ihren synthetischen Charakter die Yoga-Methoden nach zwei Richtungen. Zunächst legt sie ihre Hand auf die Hauptantriebe des Menschen, sein Begehren und sein Wirken. Diese unterwirft sie gründlicher Disziplinierung, wobei die Meisterschaft der Seele über jene Motive erstes Ziel, ihr Emporheben auf eine göttliche, spirituelle Ebene definitiver Nutzeffekt ist. Jedoch zielt ihr Yoga nicht nur auf Befreiung, das einzige, alles beherrschende Anliegen der spezifischen Systeme. Vielmehr sucht sie kosmische Freude an der Macht des Geistes. Die anderen Disziplinen mögen diese Freude gelegentlich, als etwas Partielles und Zufälliges, auf ihrem Wege mitnehmen. Sie vermeiden es aber, sie zum Motiv oder Ziel zu machen. Das System des Tantra-Yoga ist kühner und umfassender.
Bei der Methode der Synthese, der wir gefolgt sind, wurde ein anderes Schlüsselprinzip befolgt, das sich aus einer anderen Betrachtung der Möglichkeiten des Yoga ableiten lässt. Es geht von der Methode des Vedanta aus, um zum Ziel des Tantra zu gelangen. Bei der Methode des Tantra ist Shakti beherrschend wichtig. Sie wird zum Schlüssel, um den Geist zu finden. In unserer Synthese ist der Geist, die Seele von überragender Bedeutung; dort liegt das Geheimnis, wie man Shakti realisieren kann. Die Methode des Tantra fängt unten an und steigt bis zum Gipfel. Darum liegt ihr anfänglicher Nachdruck darauf, die erweckte Shakti im Nervensystem des Körpers und in seinen Zentren wirksam zu machen. Indem man ihr die sechs Lotuse öffnet, gewinnt man Zugang zu den entsprechenden Bereichen der Macht des Geistes. Unsere Synthese erfasst den Menschen eher als im Mental, nicht so sehr als im Körper befindlichen Geist. Sie setzt beim Menschen die Fähigkeit voraus, auf dieser Ebene zu beginnen, sein Wesen mit Hilfe der Macht der im Mental wohnenden Seele zu spiritualisieren und sich selbst für die höhere Kraft und das höhere Wesen des Geistes zu öffnen. Er soll seine Natur durch die höhere Kraft vervollkommnen, die er in Besitz genommen und aktiviert hat. Aus diesem Grunde liegt bei uns der Nachdruck von Anfang an auf der Verwendung der im Mental existierenden Seelenkräfte. Durch sie soll mit dem dreifachen Schlüssel von Wissen, Wirken und Liebe das Schloss des Geistes geöffnet werden. Dabei kann man auf die Methoden des Hatha-Yoga verzichten, wenn auch gegen deren partielle Benutzung nichts einzuwenden ist. Die Methode des Hatha-Yoga wird nur als zwanglos angewandtes Element in Betracht kommen. Das uns inspirierende Motiv ist: auf dem kürzesten Weg zur umfassendsten Entfaltung spiritueller Macht und spirituellen Wesens zu gelangen und dadurch die befreite Natur im Bereich des menschlichen Lebens zum göttlichen Wesen zu erheben.
*
Worte Sri Aurobindos
Wir beobachten zunächst, dass in Indien neben den anderen Systemen noch ein bedeutungsvolles Yoga-System existiert, das seiner Natur nach synthetisch ist und sich auf ein großes zentrales Prinzip der Natur und auf eine große dynamische Kraft der Natur aufbaut. Es ist ein selbstständiger Yoga und keine Synthese der anderen Schulen. Dieses System ist die Methode des Tantra. Aufgrund gewisser Entwicklungen ist der Tantra-Yoga bei denen, die keine Tantriker sind, in Misskredit gekommen. Daran waren besonders die Entwicklungen seines „Pfades linker Hand", des Vama Marga, schuld, die nicht nur die Dualität von Tugend und Sünde überwinden und durch eine spontane Rechtschaffenheit des Handelns ersetzen wollten, sondern aus der Zügellosigkeit eine Methode uneingeschränkter sozialer Unmoral zu machen schienen. Trotzdem war der Tantra-Yoga in seinem Ursprung ein großes mächtiges System, das sich auf Ideen gründete, die wenigstens zum Teil richtig waren. Selbst seine Einteilung In die „Pfade rechter und linker Hand", Daksina Marga und Vama Marga, fußt auf einer gewissen gründlichen Beobachtung. Im alten symbolischen Sinne unterschieden die Begriffe Daksina und Vama zwischen dem Weg des Wissens und dem Weg des Ananda: Die Natur im Menschen entledigt sich selbst (durch die richtige Unterscheidung zwischen Macht und Verwendung) ihrer eigenen Energien, Elemente und Wirkungsmöglichkeiten, - oder die Natur im Menschen befreit sich dadurch, dass sie in Macht und praktischer Verwendung voller Freude ihre eigenen Energien, Elemente und Wirkensmöglichkeiten annimmt. Auf beiden Wegen traten aber schließlich Verdunkelung der Grundsätze, Entstellung der Symbole und Niedergang