Karriere mit Berufsbildung (E-Book): Warum der Arbeitsmarkt Fachkräfte mit Berufslehre am meisten begehrt
Von Andrea Eller, Rudolf H. Strahm und Jörg Wombacher
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Über dieses E-Book
Viele Eltern sind im Dilemma. Ist der Weg ins Gymnasium oder ein Einstieg über eine Berufslehre geeigneter für die berufliche Karriere des Sohns oder der Tochter? Welcher Weg eröffnet eine solidere Berufskarriere?
Auf solche existenziellen und bildungspolitischen Fragen
von Eltern, Lehrer*innen und Firmenchef*innen versucht dieses Buch Antworten zu geben. Erläutert werden auch die gegenwärtigen Reformbestrebungen und Herausforderungen der Abschlüsse der höheren Berufsbildung und der
Fachhochschulen.
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Buchvorschau
Karriere mit Berufsbildung (E-Book) - Andrea Eller
1
Wie weiter nach der Schule: Berufslehre oder Gymnasium?
Wegweiser für die Berufswahl
Foto: Manu Friederich/SwissSkills
Sie finden in diesem Kapitel Antworten auf folgende Fragen:
AWas passiert nach der Schule?
BWer begleitet auf dem Weg zu einer ersten Berufsentscheidung?
CWelche Möglichkeiten gibt es nach der obligatorischen Schulzeit?
DWas ist richtig, falsch oder passend?
EWie das Richtige finden?
FWas ist das ideale Timing für den Ablauf?
Wie gehts weiter, nach der Schule? Jedes Jahr endet für rund 85 000 Jugendliche in der Schweiz die obligatorische Schulzeit. Diese Jugendlichen stehen an einem entscheidenden Punkt: Ein neuer Abschnitt in ihrem Leben beginnt. Die erste grosse Berufsentscheidung steht an. Und das in einem Alter, das alles andere als einfach ist.
Welche gesellschaftlichen Normen spielen in diesen Entscheid hinein? Welche Erwartungen müssen erfüllt werden? Welchen Einfluss haben zum Beispiel die Eltern auf ihre Kinder? Dieses Kapitel handelt vom Einfluss der Erziehungsberechtigten und erklärt, welche weiteren Akteure an diesem Prozess beteiligt sind. Es ist heute ein gut eingespieltes System aus Schule und Berufsberatungen, welches den Jugendlichen Unterstützung und Begleitung anbieten kann.
Damit ein guter Entscheid getroffen werden kann, wird differenziert, was die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten voneinander unterscheidet – denn Vor- und Nachteile gibt es bei allen Optionen, sie werden individuell aber sehr unterschiedlich bewertet.
Diese Kapitel bietet ausserdem Hilfestellung für alle Beteiligten, indem es aufzeigt, wie man das Passende finden und Schritt für Schritt dem Entscheid näherkommen kann. Ein ungefährer Fahrplan wird aufgezeigt und auch dem Umgang mit Absagen und Entscheidungsschwierigkeiten wird Platz eingeräumt.
Die grosse Freiheit nach der Schule?
Die obligatorische Schulzeit lässt kaum Raum für eigene Entscheidungen. Die Schulfächer werden von einem Lehrplan definiert, die Teilnahme ist obligatorisch. Und dann plötzlich, zu ihrem Ende, steht für die Jugendlichen eine erste grosse Entscheidung an. Und eine, die man auch noch selbst verantworten muss. Eine solche Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, ist schon für erwachsene Menschen nicht einfach. Ganz besonders schwierig ist sie aber für Jugendliche, denen bisher immer das Systeme (die Schule) oder Erwachsene (die Eltern oder Erziehungsberechtigten) alles vorgegeben haben.
Aber auch der Zeitpunkt der Entscheidung (und alle Schritte, die davor nötig sind) ist herausfordernd. All das muss nämlich passieren, während die Jugendlichen noch in der Schule sind, und somit noch ganz andere Erwartungen auf ihnen lasten. Sie müssen neuen Schulstoff lernen, sich mit ungeliebten Fächern herumschlagen, Prüfungen bestehen, sich im Klassenverband zurechtfinden, Freundschaften knüpfen und Erlebnisse mit anderen sammeln.
Gleichzeitig befindet man sich, im Alter von ungefähr 14 Jahren, mitten in der Pubertät – das Gehirn wird gerade grundlegend umgebaut. Die Wichtigkeit der Eltern als Bezugspersonen nimmt langsam ab, die Wichtigkeit der Gleichaltrigen nimmt langsam zu und trotzdem ist man noch nicht volljährig und damit unabhängig. Dieser Prozess läuft meistens nicht ohne Störgeräusche ab, er stellt das Leben ziemlich auf den Kopf.
Da erstaunt es nicht, dass auch Eltern und Erziehungsberechtigte sich nicht selten schwer damit tun, ihrem Kind diesen Entscheid zu überlassen. Schliesslich ist man (zumindest formal) ja auch noch verantwortlich und möchte nur das Beste für sein Kind.
Für die Jugendlichen selbst stellen sich vor dieser ersten grossen Entscheidung viele verschiedene Fragen. Was geschieht, wenn meine Vorstellung gar nicht so einfach umzusetzen ist? Was, wenn meine Noten dafür nicht reichen? Was ist, wenn die Arbeitswelt oder die gewählte weiterführende Schule nicht so ist, wie ich sie mir vorgestellt habe? Was passiert, wenn die Arbeitswelt sich verändert und mir das in zehn Jahren alles nichts mehr nützt? Was ist, wenn meine Eltern oder Freunde meine Wahl nicht verstehen? Was, wenn meine Familie sich meinen Wunsch nicht leisten kann? Was kann ich tun, wenn ich mich nicht bereit fühle, jetzt zu entscheiden? Was ist, wenn ich mir gar nicht sicher genug bin, was ich will? Und was passiert eigentlich ganz generell, wenn ich mich falsch entscheide?
Die Wahl ist zudem auch gar nicht so frei, wie sie den Anschein macht. Formal existieren zwar ungefähr 250 verschiedene Angebote (Lehrberufe oder weiterführende Schulen). Auf der individuellen Ebene gibt es jedoch viele Faktoren, die die Wahlfreiheit einschränken. Die Schulnoten und das Schulniveau sind die offensichtlichsten Einschränkungen – je nach Noten und Niveau fallen gewisse Wahlmöglichkeiten als erster Schritt nach der Schule weg. Auch persönliche Eigenschaften schränken die Wahl ein: Stärken, Schwächen, Interessen, Persönlichkeitseigenschaften etc. passen nicht zu allen Möglichkeiten.
Der Arbeitsmarkt und das Angebot an Lehrstellen sind zudem regional sehr heterogen. Gewisse Berufslehren sind in Teilen der Schweiz für viele Jugendliche zugänglich, in anderen Regionen gibt es wenige bis keine Lehrstellen. Es gibt Branchen, die nicht sehr viele Lernende ausbilden oder sehr begehrt sind, so dass es nicht einfach ist, dort unterzukommen. Gleiches gilt für die schulischen Wege – nicht alle Schulen oder Schultypen sind überall in der Schweiz zu finden, nicht alle Kantone pflegen die gleichen Strukturen.
Dass sich die Jugendlichen und Eltern oft ein bisschen überfordert fühlen von der Gesamtsituation, ist daher kein Wunder: viele Anforderungen treffen auf viele Unsicherheiten.
Zum Glück steht der Entscheid nicht von einem Tag auf den anderen an. Und die weitere gute Nachricht: Man wird begleitet in diesem Prozess.
Die Begleiterinnen: Wer kann mithelfen auf dem Weg der Entscheidungsfindung?
Damit man sich sicher sein kann, richtig zu entscheiden, braucht es Vorbereitung. Verschiedene Begleiterinnen machen den Weg der Entscheidungsfindung weniger einsam. Dabei haben unterschiedliche Begleiterinnen unterschiedliche Kompetenzen und nehmen entsprechende Rollen ein.
Die Schule
Die Rolle der Schule hat sich im Bereich «Berufswahl» in den letzten Jahren stark verändert. Das Fach «berufliche Orientierung» wurde obligatorisch in den Lehrplan aufgenommen – und damit haben die Jugendlichen aller Niveaus in der Sekundarstufe mindestens eine Jahreslektion Unterricht, der sich um Berufsthemen dreht. In der Regel wird dieses Fach von einer Lehrperson betreut, die sich in ihrer Ausbildung dafür vorbereitet hatte. Es werden zahlreiche Methoden und Mittel eingesetzt wie Führen eines Berufswahltagebuchs, Vorstellung verschiedener Berufe oder Berufsfelder, Firmenbesuche, BIZ-Besuch, Üben eines Bewerbungsschreibens und so weiter. In einigen Kantonen wird das Fach mit je einer Wochenstunde von der 7. bis 9. Klasse behandelt, in anderen Kantonen nur in der 8. Klasse.
Inhaltlich geht es darum, die Jugendlichen in ihrem Prozess der Wahl ihrer zukünftigen Bildungs- und Berufsziele zu unterstützen und anzuleiten. Wie dies inhaltlich umgesetzt wird, ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Die Jugendlichen knüpfen im Unterricht Kontakte zur Arbeitswelt, sie lernen verschiedene Ausbildungen und Berufe kennen (über Vorträge, Recherchen im Internet, Besuche von Betrieben etc.), werden darauf vorbereitet, dass sie sich bewerben müssen (Wie schreibt man ein Bewerbungsschreiben? Was ist ein Lebenslauf?).
Die verwendeten Lehrmittel sind ähnlich aufgebaut. Die Jugendlichen lernen sich selbst und ihre Möglichkeiten besser kennen und erhalten Information und Anleitung zu Bewerbungen, Schnupperlehren und Vorstellungsgesprächen Den Lehrpersonen ist es ein Anliegen sicherzustellen, dass alle in der Klasse eine Anschlusslösung finden. Dabei kann eine Lehrperson begleiten und anleiten, vor allem im Klassenverband. Wenn es Schwierigkeiten gibt oder Unsicherheiten entstehen, kann sie auch an weitere Stellen verweisen (zum Beispiel die Berufsberatung).
Die Lehrpersonen legen zudem Wert darauf, dass die Jugendlichen selbst einschätzen können, was zu ihnen passen könnte.
Die Eltern oder Erziehungsberechtigten
Aus der Forschung wissen wir: Die Eltern sind nachweislich die wichtigsten Begleiter im Berufswahlprozess (siehe Neuenschwander, Stamm). Sie sind die wichtigsten Gesprächspartner der Jugendlichen und auch aus rechtlicher Sicht in der Pflicht als Verantwortliche für die Erstausbildung ihres Kindes. Wie sich die Rolle der Eltern im Berufswahlprozess ausgestaltet, ist unterschiedlich, je nach Situation, vorhandenen Ressourcen und Beziehung zueinander.
1.1
Wer die Wahl «Gymnasium oder Berufslehre» am stärksten beeinflusst
Akteure beim Richtungsentscheid nach der obligatorischen Schule.
Quelle: Markus P. Neuenschwander et al.: Schule und Beruf © Strahm
Viele Eltern stellen sich die Frage: Was können wir tun, damit wir unser Kind gut unterstützen? Es gibt eine ganze Reihe an Möglichkeiten, was hilfreiche Unterstützung sein kann:
Zeit nehmen: Die Berufs- oder Schulwahl ist ein Prozess, das Thema wird sich nicht innert zwei Wochen lösen lassen. Wenn man sich bewusst ist, dass ein solcher Prozess Zeit braucht, kann man sich auch Zeit nehmen, an den verschiedenen Fragen und aktuellen Schritten dranzubleiben. Die Vorbereitungen auf die Wahl passieren teilweise schon recht früh; bereits in der 7. Klasse wird Berufswahl in der Schule zum Thema – obwohl der definitive Entscheid erst später folgt. Aber diese Vorlaufzeit ist wichtig, um langsam dem Entscheid näher zu kommen.
Sich informieren: Die Berufs- und Schulwelt hat sich verändert, seit die Eltern selbst vor der ersten grossen Wahl standen. Neue Berufe sind entstanden, neue Schulen haben sich etabliert, gewisse Branchen haben sich grundlegend geändert. Als Eltern kann man sich einen Überblick über das Angebot und die jeweiligen Vor- und Nachteile verschaffen. Das Internet, die Berufsberatung und die Schulunterlagen der Jugendlichen sind gute Quellen.
Strukturieren helfen: Die Berufs- oder Schulwahl ist für Jugendliche eine schwer zu überblickende Aufgabe. Eltern können behilflich sein, eine Struktur zu finden und den ganzen Prozess in kleinere Teilschritte zu unterteilen – zum Beispiel abzumachen, dass für die nächsten Ferien eine Schnupperlehre organisiert werden sollte. Damit wird der Prozess fassbarer und lösbarer. Es ist auch spannend zu hören, was in der Schule gerade behandelt wird, damit man die familieninternen Schritte mit dem, was in der Schule passiert, abgleichen kann.
Über Berufliches sprechen: Das Thema Arbeit und Beruf wird in dieser Zeit wichtiger. Eltern können auch vom eigenen Beruf erzählen, vom eigenen Werdegang und von den eigenen Wünschen. Dies hilft, eine realistische Vorstellung davon zu entwickeln, was «Arbeiten» eigentlich heisst und wie andere Menschen diesen Entscheidungsprozess gemeistert haben.
Fremdeinschätzungen abgeben: Was man besonders gut kann oder wo die Talente und Stärken liegen, ist für Jugendliche teilweise noch schwer zu beantworten. Eltern und weitere Bezugspersonen kennen die Jugendlichen aus einem anderen Kontext als der Schule – und können so wertvolle Inputs beisteuern, wo Talente liegen oder Stärken sind.
Kontakte vermitteln: Aus dem eigenen Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis können sich über Kontakte gute Gelegenheiten für Schnupperlehren ergeben – so kann man mithelfen, Einblicke zu erhalten. Auch Schnuppertage bei Bekannten oder erste Gespräche sind hilfreich.
Offenheit: Was die Wünsche der Jugendlichen sind und welche Traumberufe sie auch haben – vielleicht gibt es noch Alternativen, die man nicht kennt, oder andere Wege, um zum Ziel zu kommen. Eltern können diese Offenheit fördern, wenn sie selbst auch offen bleiben.
Unterstützen und ermutigen: Der Prozess kann lang und manchmal steinig sein – auch Absagen und Misserfolge kommen oft vor – und dies ist schmerzhaft. Eltern können in solchen Phasen Mut machen und dazu ermutigen, trotzdem weitere Schritte zu unternehmen und auch bei Schwierigkeiten dran zu bleiben.
Zwei Punkte sind in Bezug auf die Rolle der Eltern wichtig zu erwähnen:
Begleiten heisst nicht selbst machen: Eltern, die für ihre Kinder in einem Lehrbetrieb anrufen oder gleich Bewerbungen schreiben – das kommt in den meisten Fällen nicht gut an. Die Jugendlichen müssen langsam selbständig werden. Das heisst auch, dass sie Dinge anders machen, als die Eltern sich das vorstellen, oder länger dafür brauchen. Das ist nicht einfach auszuhalten, die Rolle der Eltern verändert sich aber, das Kind wird immer selbstständiger und soll diese Schritte selbst erledigen können.
Eltern und Jugendliche sind sich nicht immer einig: Die Wünsche der Eltern und die Interessen der Jugendlichen können sich unterscheiden. Das ist auch in Ordnung so. Wichtig ist es, trotzdem im Gespräch zu bleiben. Was erhoffen sich die Jugendlichen von ihrer Wahl? Warum haben die Eltern andere Ideen? Was spricht dafür oder dagegen? Gibt es vielleicht noch Alternativen? Im Zweifelsfall hilft vielleicht auch das Gespräch mit anderen Personen, seien es Freunde, Bekannte oder Fachpersonen wie die Berufsberatung.
Die Berufsberatung
Wenn der Berufs- und Schulwahlprozess ins Stocken gerät, kann man sich in allen Kantonen kostenlos an die Berufsberatung wenden. Die spezifisch ausgebildeten Fachleute können in einer solchen Situation als Aussenstehende neue Inputs bieten, was meistens viel Bewegung in den Prozess bringt.
Der Vorteil liegt darin, dass die Berufsberatenden neutrale Personen sind. Neutral heisst: Sie haben keine Meinung, welcher Weg «der Beste» ist, sondern sind daran interessiert, individuell die bestpassende Lösung zu finden. Sie kennen die Arbeits- und Ausbildungswelt, verschiedene Alternativen und auch ungewöhnliche Wege und Varianten, es ist schliesslich ihr Job, sich jeden Tag damit auseinanderzusetzen.
Das kann Inputs bringen, an die bisher noch niemand gedacht hat, oder Vorurteile entkräften, die auf verschlungenen Wegen entstanden sind.
Zudem sind die Fachleute der Berufsberatung psychologisch geschult und können auf viele Hilfsmittel und diagnostische Verfahren zurückgreifen. Mit dem Einsatz von Testverfahren entstehen zusätzliche Erkenntnisse, die auf dem Weg zum Entscheid weiterhelfen.
Manchmal ist es hilfreich