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Moosgrün
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eBook108 Seiten1 Stunde

Moosgrün

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Über dieses E-Book

 Im neuesten Buch der Engadinerin ist ihr Tal allgegenwärtig. Gleichzeitig durchdringt die Sehnsucht nach fremden Ländern und nach der Weite des Meeres das Werk. 
 Die Kurzprosa von Rut Plouda beschreibt auch das scheinbar Unwichtige, um uns das Wichtige entdecken zu lassen. Frühere und neuere Texte, teilweise für das romanische Radio verfasst, vermitteln ihre Wahrnehmungen des Alltäglichen. Ihre Erkundungen im Nebel, Regen oder Schnee sind Erinnerungen, Träume oder Tagträume, und Reflexionen über die Sprache. Etwas in Rut Plouda will immer wissen, wo die stummen Buchstaben in unserem Leben sind. 
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Sept. 2021
ISBN9783906907536
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    Buchvorschau

    Moosgrün - Rut Plouda

    Flüsse

    Ich sitze vor meinem Laptop, schaue aus dem Fenster und mache mir Gedanken für meinen Romanischkurs; ich suche Klänge, Rhythmen, die unsere Sprache spüren lassen … Ich sehe draussen den Zaun, den Ahorn mit seinen eingerollten Blättern und den bräunlichen Samen, die Fassade des Nachbarhauses, den Grill, den Holzschopf … und dann ein Schulzimmer mit Lehrer und Schülern, alles ein bisschen verschwommen, und der Lehrer nennt zwei wichtige Flüsse, weit weg von hier: Jangtsekiang, der blaue Fluss, und Hwangho, der gelbe Fluss …

    Ich bin berührt, begeistert … Der Jangtsekiang und der Hwangho … stehen jetzt auf der Wandtafel, mit Buchstaben, die ebenso fremd scheinen, fliessen neben und vor mir, gross und breit, durch eigenartige Landschaften – und draussen steht wieder der Ahorn und vor mir mein Laptop und ich schreibe:

    Jangtsekiang, Hwangho, Okawango, Mississippi,

    Newa, Don, En, Tasnan, Vallatscha, Clemgia, Susasca,

    Rabiusa, Chamuera, Muranzina …

    und bald sind die Flüsse Wörter und bald sind sie fliessende Gewässer …

    Gelb

    Gelb, sagt das Kind und malt eine Sonne auf das Blatt. Eine grosse Sonne, die das ganze Blatt wärmt und das Zimmer, die Strasse draussen mit dem Brunnen. Aus der Röhre sprudelt das Wasser und macht, dass die Sonne zittrig lächelt.

    Und das Korn, das die gleiche Farbe hat wie deine Haare, wird mich an dich erinnern, sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen, und der Gesang des Windes im Korn wird mich glücklich machen.

    Und jenes Blumengesteck mit Schafgarben, Gerbera und gelben Chrysanthemen auf dem Sarg, der still aus der Stube in den Wintertag hinausgetragen wird.

    Und Löwenzahn, sagte sie und schloss die Augen. Überall Löwenzahn: am Strassenrand, auf den Böschungen, im Garten, überall. Und sie lächelte.

    Und Mary Long: Die Packung war gelb und kostete einen Franken zwanzig. Sie hatte kein Geld. Aber für Mary Long schon.

    Und der Briefkasten dort bei der Hausecke. Sie kommen, werfen ihre Post hinein und gehen wieder ihres Weges. Mit schnellen, entschlossenen Schritten, mit langsamen Schritten, schleppend, mit zögernden Schritten. Klick, macht es, wenn sein Deckel zurückfällt. Plumps, wenn die Post ins Leere fällt. Dann bleibt er dort, der Briefkasten, allein mit all den Sätzen und Zahlen. Und vielleicht mit einem Wort, hell wie die Sonne.

    Blau

    Blau, sagt das Kind und zeichnet einen Himmel auf das Blatt. Einen Himmel, der sich ausbreitet über das Tal und die Berge und wieder über Täler und Berge, immer weiter.

    Der Himmel, Mama, schau, er ist in den See gefallen! Und der See hält ihn fest, bis es Abend wird, und lässt ihn dann langsam versinken.

    Nur das Blau der Enziane hatte er mitgenommen, jenes Blau oben im bräunlichen Grün eines Hügels, zwischen Steinen oder im dürren Gras, das tiefe Blau, das ihn innehalten liess und schauen und riechen.

    Und in ihrer zitternden Hand die Scherbe des Kruges, der Brücke zwischen ihrem Alltag und ihrer Traumwelt in all den Jahren; Pienza, Toscana, ein Stück Lehm eines Kruges mit blauen Ornamenten, jetzt zerbrochen, lächerlich geworden von einem Augenblick zum anderen.

    Und Bluejeans! Eine Invasion von Uniformen für Leute ohne Uniform, Bluejeans für pralle Hintern und flache Hintern, immer praktisch und nie umständlich.

    Und blaue Fensterläden, die Zimmer verbergen mit wandgrossen Spiegeln mit Goldrahmen, mit Samtvorhängen, die weich auf das Parkett fallen, mit Bildern von Damen in Seidenkleidern, und die Zimmer werden immer grösser, die Damen immer edler und die Fensterläden immer diskreter.

    Und ganz plötzlich diese Angst, fliegen zu können, einfach die Flügel ausbreiten zu müssen und hinauszufliegen ins Blau, ohne Boden unter den Füssen.

    Rot

    Rot, sagt das Kind und zeichnet ein Haus mit einem Kamin auf das Blatt. Und der Kamin lässt den Rauch spazieren, immer weiter hinauf bis zur Sonne.

    Und am Rand der Weide das Blut des Schafes, das auf den Stein rinnt und vom Stein auf den Boden, nur ganz langsam, frisches Blut unter einer grauen Sonne.

    Und die roten, weichen Lippen hatten ein Wort geformt, hatten etwas gezittert und waren dann nur so weit offengeblieben, dass man die weissen Zähne nicht sehen konnte. Und für ihn ist das Wort Leidenschaft seither ein dunkelrotes Wort, das er gern berühren und ertasten möchte.

    Und da und dort erscheint es zwischen den Bäumen, kleine rote Hüpfer, das Käppchen des Mädchens auf dem Weg zum Haus seiner Grossmutter. Man muss jede schöne Landschaft achten und darf sie nicht stören, hatte der Lehrer gesagt und später rote Spuren im frischen Schnee des Aufsatzes hinterlassen.

    Und sie öffnet das Fenster, nimmt zwei rote Socken von der Leine, legt sie auf die Brüstung und streicht mit der Hand über die warme Wolle. Sie steckt sie ineinander und in die Tasche.

    Und schon seit Langem keine verblühte Rose mehr in einer Kristallvase – aber vielleicht Mohnblumen neben deinem Namen, bevor der Wind kommt …

    Grün

    Grün, sagt das Kind und malt eine grosse Wiese auf das Blatt. Ihr frisches Gras riecht nach Sommer, nach Sonnencrème und ein bisschen nach Staub.

    Und jetzt grün: Die Menge setzt sich in Bewegung. Sie überquert die Strasse auf den gelben Streifen, hinüber und herüber; Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Kinderwagen, dann bewegt sich das Männchen, kommt und geht und kommt und geht, die Autofahrer warten, schauen auf die Uhr und aus dem Fenster, den Fuss bereit.

    Und die Kinder, die ihr Spiel unterbrechen müssen wegen des Bärenklaus drüben am Hang, immer sind es die Kinder, die den Karren nehmen und ihn füllen müssen mit diesen breiten Blättern, und die Kaninchen in ihren Käfigen, die sie mit schnellen und entschlossenen Bewegungen anknabbern.

    Und Militär, aufrecht, auf dem Bauch, auf dem Rücken, fünfhundert Soldaten, hundert Soldaten, ein Soldat, der mutterseelenallein auf dem Platz hin und her marschiert.

    Und unten das Wasser des Inns und das Kind, das über die gedeckte Holzbrücke rennt und bei einem der Gucklöcher anhält. Die Brücke setzt sich langsam in Bewegung, dann immer schneller und dann fliesst

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