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Legende der Wolkenläufer: Bewahrerin der Feder
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eBook317 Seiten4 Stunden

Legende der Wolkenläufer: Bewahrerin der Feder

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Über dieses E-Book

Der Verlust der mächtigsten Waffe des Reiches verschiebt die Machtverhältnisse im Land. Der einzige Held, der helfen könnte, fällt aus, sodass eine neue Heldin geboren wurde.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Jan. 2022
ISBN9783347540767
Legende der Wolkenläufer: Bewahrerin der Feder
Autor

L.T. Ayren

Es ist gar nicht so abwegig, dass ich Autor geworden bin. Meine Neugier hat mich schon immer in die unterschiedlichsten Ecken dieser Welt getrieben und auch meine Gedanken gehen gerne auf Wanderschaft – wie meine beiden Fantasy-Romane beweisen. Die Welt und ihre Menschen sind so vielfältig, wenn man genau hinsieht, kann man überall Neues lernen. Genau das möchte ich: Die Welt entdecken und in meinen Büchern wie auf meinem Blog festhalten, was mich bewegt – wie zum Beispiel meine Erfahrungen als ehemaliger American Football Spieler, mein manchmal turbulentes Familienleben oder die gemeinsame Zeit mit erfolgreichen Autoren, die mich das Schreiben lehrten. Und weil man meine Neugier nicht stoppen kann, studiere ich auch noch Psychologie und schreibe derzeit an einem Gegenwartsroman – das Leben ist zu kurz und die Welt zu schön, um stehen zu bleiben Nach vielen fachlichen Themen in einigen Foren und einem Ratgeber widmete er sich seinem ersten Roman und feierte 2020 mit seinem Buch „Hüter der Feder“ sein Debüt, welches als "Legende der Wolkenläufer - Erbe der Feder" 2022 neu aufgelegt wurde.

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    Buchvorschau

    Legende der Wolkenläufer - L.T. Ayren

    DER FLUCH

    Laut brummte der tiefe Siegesschrei über das Schlachtfeld. Tergru, der Herrscher über alle Königreiche, stand auf einem Berg gefallener Soldaten. Wut verzerrte das Gesicht des Hünen, das mit dem Blut seiner Feinde und dem Dreck dieser Welt beschmiert war. Wie dumpfe Pauken hallte seine Stimme zwischen den Ruinen der Hafenstadt Fangheagen und den Weiten des Tals. Verzweifelt versuchten seine Gegner, sich vor ihm und seiner Armee zu retten. In einem heillosen Durcheinander rannten sie über die Felder zu den Bergen. Die Überlebenden stolperten ohne Rücksicht über die vielen Verletzten und prügelten den letzten Funken Lebendigkeit aus ihnen heraus. Gejagt von dem Gebell und Lachen der Armee Tergrus, versuchten sich die Flüchtenden in einem der vielen Zugänge zur Schattenwelt zu verschanzen. Obwohl sie wussten, dass sich große Teile Tergrus Gefolgschaft ebenfalls in den Tiefen der Berge aufhielten, krallten sie sich an die letzte Hoffnung, dem Wesen zu entkommen, das es geschafft hatte, die gesamte Welt zu versklaven.

    Triumphierend stampfte Tergru, weiter mordend, über den Schauplatz seines größten Erfolges. Mit Leichtigkeit enthauptete er einen am Boden liegenden Zwerg, nachdem er mit einem Tritt den Kopf eines Wolkenläufers zum Zerbersten gebracht hatte. Mit voller Konzentration und ohne jegliche Regung bahnte er sich seinen Weg zu dem Höhleneingang.

    »Schnell, kommt hier rein! Wir müssen den Zugang verschließen.« Eile und Panik schwang in der Stimme eines jungen Wolkenläufer-Alchemisten mit. Das Schwert lag schwer in seinen Händen. Den Herzschlag spürte er bis in die Stirn. Um ihn herum stolperten zunehmend die Verletzten durch den Eingang.

    Mit jedem Schwerthieb kamen Tergru und seine Armee näher. Der Alchemist sah die vielen Toten und Verletzten. Hörte die lauten Schreie der Hoffnungslosen und das Splittern der Knochen der Hilflosen. Roch das Blut und verbranntes Fleisch. Beim Anblick seiner gefallenen und leidenden Feinde funkelten Tergrus Augen voller mordlustiger Erregung.

    Die Schlacht war verloren. Jeder spürte das. Mit seiner Entscheidung, die Flucht durch die Schattenwelt zu wagen, würde er weitere Opfer unter seinen Mitstreitern heraufbeschwören. Mit der Entscheidung, den Zugang zu verschließen, würde er das Todesurteil über die zurückgebliebenen Heere der verschiedenen Völker verhängen.

    »Siehst du den Wolkenläufer dort? Er ist unsere Reißleine. Nach ihm müssen wir den Eingang verschütten.« Der Alchemist deutete auf einen herannahenden Soldaten, als er einer alten Zauberin seine Anweisung entgegenbrüllte. Obwohl die beiden vor wenigen Stunden noch ihre Ränge und Armeen getrennt hatten, war dies nun völlig vergessen. Armeen, Völker, Ränge: All dies war vergessen. Unruhig standen sie nun gemeinsam zwischen dem kalten brüchigen Gestein. Die vielen Angreifer ließen den Boden erzittern. Das Gestein bröckelte unter der Vibration. Schlag um Schlag kam Tergru näher. Den langen Irokesen mit seinen schweren Metallringen zusammengebunden. Kopf um Kopf rollte über den Boden. Egal, ob seine eigenen Soldaten oder einer seiner Feinde, er metzelte sich seinen Weg frei zu den Überlebenden.

    »Das ist Wahnsinn, wir müssen jetzt dichtmachen!«

    »Noch nicht!«, erwiderte der Alchemist, der den herannahenden Wolkenläufer nicht aus dem Auge verlor. »Ihr da! Los, kommt her und greift euch ein paar Steine!« Die hereinstolpernden Menschen, Zwerge, Waldvölkler und anderen Wesen ansprechend, versuchte er mit gezielten Würfen auf Tergru, den Fliehenden etwas Zeit zu verschaffen.

    Die Angesprochenen taten, wie ihnen geheißen worden war, und versuchten ihrerseits, Tergru und seine Angreifer so lange wie möglich von sich fern zu halten. Jeder Steinwurf brachte Hoffnung, ein weiteres Leben retten zu können. Stein um Stein hagelte auf die Angreifer ein. Wie durch ein Wunder zeigten ihre Bemühungen Wirkung. Zwar konnten sie Tergru nicht aufhalten, allerdings etwas verlangsamen. Vor allem die Masse der Angreifer wurde träge.

    »Gleich hat er es geschafft, haltet noch etwas durch!«

    Plötzlich stieg in dem Alchemisten die Hoffnung, dass es zumindest einige noch aus der Hölle des Krieges herausschaffen könnten. Er wollte so lange wie nur möglich warten, um noch einigen die Möglichkeit zur Flucht bieten. Doch gerade als dieser Samen der Hoffnung aufgekeimt war, machte Tergru diese zunichte. Er griff nach einem seiner eigenen Geschöpfe, einem Urger, und schleuderte ihn in Richtung des fliehenden Wolkenläufers. Das laute Geschrei des Wesens, das zur Hälfte einem Affen glich, schmerzte in den Gehörgängen des Alchemisten. Kurz gab er dem Impuls nach, seine Ohren zu bedecken, blickte dann aber hastig wieder nach oben. Gerade als er den Flüchtenden wiedergefunden hatte, sah er, wie der Urger ihn mit seinem Säbel mittig halbierte und sich dann selbst an einem scharfkantigen Stein das Genick brach. Abermals durchbrachen laute Schreie den Tumult. Dieses Mal aber war es die Zauberin, die einen schrillen Schrei der Verzweiflung ausstieß.

    »Er ist zu nah, wir müssen den Eingang blockieren.« Der Alchemist zog die letzten Krieger in die Gänge. »Schnell, wir haben keine Zeit mehr!«

    Die Zauberin fasste sich wieder. Eilig brachte sie sich in Position.

    »Tuiteam!«, rief sie, während sie einen großen Stab mit aller Gewalt in den Boden rammte. Kaum hatte sie ihren Zauberspruch gesprochen, gaben die Gesteinsschichten nach. Hinter dem steinernen Vorhang sah sie noch, wie die auf sie Zustürmenden verschüttet wurden oder ungläubig auf den Zugang blickten. Sie wandte ihren Blick ab und ging tiefer in die Gänge. Erneut wiederholte sie ihren Zauberspruch. Schicht um Schicht verschloss sie die Gänge.

    Immer tiefer trieb es die Völker in den Berg. Erst als von außen kein Ton mehr nach innen drang, legten sie eine Pause ein. Der Hohlraum war durch Fackeln und magische Zauberlichter hell erleuchtet. Die Schmerzensschreie und Klagelaute der Soldaten füllten die Halle mit Traurigkeit und Leid.

    »Das hast du gut gemacht. Jetzt können wir nur noch hoffen.« Der Alchemist legte eine Hand auf ihre Schulter. Beide wussten, dass sie über Tausende Krieger etwas Schlimmeres als den Tod gebracht hatten.

    Es war nur ein Bruchteil der Soldaten, die sich in die Höhle hatte retten können und doch waren es Tausende, die dicht gedrängt in der Halle versammelt waren. Der Alchemist und die Zauberin blickten sich um. Sie erkannten Trauernde, Schwerverletzte und Tote.

    Plötzlich hallte ein schriller Schrei, der durch das kahle Gestein verstärkt wurde. Ein Schrei, der nicht von dieser Welt war. Sie versuchten, die Quelle ausfindig zu machen. Mehr und mehr Zauberlichter wurden entfacht, um dessen Ursprung zu finden. Langsam, aber stetig näherten sie sich der Quelle des Schreis. Die Soldaten, die noch laufen konnten, waren erschrocken zur Seite gesprungen.

    Im hintersten Winkel der Höhle saß ein kleines Holzmännchen. Um ihn herum hatte sich eine kleine Gruppe Krieger versammelt. Langsam drückten sich Alchemist und Zauberin durch den Ring der Soldaten.

    »Warst du es, der so geschrien hat?«, hakte der Alchemist nach.

    »Ja … «, schluchze das kleine Holzmännchen, das aussah wie ein wildes Gestrüpp von dürren Ästen, mit schmerzverzerrtem Gesicht.

    »Es hat Schmerzen! Wie heißt du denn, Kleiner?« Die Zauberin kniete sich nieder.

    »Craobh … « schniefte er.

    »Haben wir denn einen Bader hier?« Der Alchemist suchte hektisch den Raum ab, während die Zauberin Craobh untersuchte.

    »Moment … Ich glaube, er ist … « Die Zauberin legte die Finger auf das kleine Männchen.

    »Er ist was …?«, erkundigte sich der Alchemist ungeduldig.

    »Ich glaube, er ist ein Energiewandler«, zögerte sie, ihre Vermutung zu erläutern.

    »Ein Energiewandler? Aber das ist ja fantastisch«, brach es aus dem Alchemisten heraus.

    »Craobh? Richtig? Du hast erst, seitdem du in der Höhle bist, Schmerzen, oder?«

    Craobh nickte.

    »Das ist unglaublich. Wir brauchen hier ein Feuer.« Freudig durchsuchte der Alchemist seine Taschen, während er zeitgleich versuchte, etwas Entflammbares zu finden. Er griff nach kleinen Ästen, Stoffresten der Verwundeten und packte die ein oder andere Axt auf einen Haufen. Mit seltsamer Freude eilte er durch die Reihen der Soldaten.

    »Was soll das denn bitte jetzt werden?« Die Zauberin meldete sich verwirrt zu Wort.

    »Ich habe eine Idee. Wir kommen hier alle wieder heil raus. Wir können ihn noch besiegen.«

    »Mia könn‘ ihn b‘siegen? Geht’s no‘? Die komm‘n sicher durch ‘nen and‘ren Eingang. Mia san verlor‘n«, maulte einer der Zwerge.

    Unbeirrt stapelte der Alchemist brennbares Material vor das Holzmännchen.

    »Das kriegen wir hin. Lasst mich machen. Wir brauchen eine Zauberin, einen Alchemisten und einen Energiewandler.«

    Mehr und mehr verwunderte Gesichter wandten sich dem Treiben zu. Sie tuschelten, wurden aber von der Hoffnung des Alchemisten angesteckt. Er griff nach einer der Fackeln und entzündete das Feuer. Das Feuer war nun zwischen ihm und der Zauberin, die bei dem Holzmännchen ausgeharrt hatte.

    »Craobh. Wir können ihn mit deiner Hilfe besiegen. Deine Schmerzen kommen von der Zuneigung, die hier in der Luft liegt.«

    »Zuneigung?« Craobh quälte sich die Frage über die Lippen.

    »Nennen wir es Liebe! Du musst von ihr zu mir durch das Feuer gehen.«

    »Durch das Feuer? Er ist ein Baumling!«, sagte einer abfällig über Craobh von hinten.

    »Ja, ich gebe zu, es ist ein kleines Risiko. Aber er wird es überleben.« Der Alchemist spürte den aufkommenden Widerstand gegen seine Idee. Er wusste, dass er schnell handeln musste. Noch bevor sich zwei Lager bilden konnten, schrie er in die Menge: »Leute! Es ist unser einziger Weg hier raus. Wir können die Energie hier nutzen, um Tergru einen Fluch aufzuerlegen. Einen Fluch, der zweihundertfünfzig Jahre dauern wird. Einen Fluch, der ihn mit der Zeit zu einem von uns werden lässt. Wir brauchen hierfür uns drei und noch jemanden …« Ungläubiges, aber erwartungsvolles Getuschel kam auf. »Der Fluch kommt nur dann zustande, wenn es ein Reich verschiedenster Völker über die Dauer von zweihundertfünfzig Jahren schafft, einen König auf den Thron zu setzen. Wir brauchen aus unserer Mitte einen König.«

    Kaum hatte er seine Worte beendet, wollte plötzlich jeder König werden. Heftige Diskussionen brachen aus. Die verschiedensten Völker hatten schon bald einen der ihren als den passenden König auserkoren. Zwischen den Gruppen kam es zu Diskussionen. Jeder versuchte seinen Standpunkt als den einzig Wahren zu vermitteln. In der Hitze des Gefechts verflog zunehmend das, was sie eben noch verbunden hatte.

    Der Alchemist blickte auf das Holzmännchen, dem es zunehmend besser ging. Er erkannte, dass ihm stetig die letzte Möglichkeit auf einen guten Ausgang durch den Zorn genommen wurde. Leider fiel ihm keine Lösung ein, wie er die Eintracht zwischen ihnen wiederherstellen konnte.

    »Ich kenne diesen Fluch. Er ist sehr, sehr mächtig.« Die Zauberin flüsterte ihm über die Schulter ins Ohr. »Und du weißt selbst, dass an den Fluch noch weitere Verpflichtungen geknüpft sind.«

    Er fühlte sich von ihr ertappt. Obwohl er keine Zeit hatte, alles zu erklären, vermittelte sie ihm das Gefühl, dass er die Hexe anlog. Doch bevor er sich weiter Gedanken machen konnte, wurde das Getuschel unterbrochen. Ein lauter Knall kündigte an, dass die Barriere durchbrochen worden war. Schritte näherten sich. Ein kehliger Schrei kündigte Tergru an.

    Schlagartig kippte die Stimmung wieder. Verzweiflung machte sich breit. Wie die Ratten in einer Kiste waren sie gefangen und dem Tode geweiht. Der Alchemist blickte auf Craobh, der gerade wieder zu Boden sackte. Er verstand, dass alle Männer, Frauen und andere Wesen in Gedanken bei ihren Liebsten waren. Sie verabschiedeten sich innerlich bereits. Dachten ein letztes Mal an die Familien. Egal welcher Vertreter nun vor ihnen stand, alle hatten sie eins gemein: die Liebe zu den Daheimgebliebenen.

    »Schnell! Der König, muss auch gegen Tergru standhalten können.« Der Alchemist nutzte den letzten Strohhalm, der ihm geblieben war. Er musterte die verängstigten Gesichter, während das Gebrüll immer lauter wurde. »Wer von euch starken Kriegern will nun der König werden?«

    Wie erwartet, meldete sich keiner von den Vertretern, die eben noch die schönsten Reden geschwungen hatten. Lediglich ein kleiner Arm ging nach oben. Ein Junge. Kaum vierzehn Jahre alt.

    »Ich kann das machen!«

    Skeptisch und ebenso überrascht schauten ihn alle an.

    »Du? Woher kommst du denn, kleiner Mann?«, fragte der Alchemist.

    »Ich bin Knappe, ich komme aus einem Dorf namens Erbess.«

    »Ich bin dafür!«, rief der größte alle Männer in der Halle.

    Viele folgten ihm. Keiner widersprach. Je näher die Schritte kamen, umso mehr stellten sich auf die Seite des Jungen. Mehr und mehr suchten Schutz hinter den größeren Steinen, die überall in der Höhle verteilt waren.

    »Macht’s scho‘!«

    Die Frauen und Männer in der Halle wurden zunehmend panischer, was wiederum dazu führte, dass es Craobh immer schlechter ging.

    »So sei es. Craobh, es liegt an dir. Willst du durch das Feuer gehen?«

    Craobh lag gekrümmt auf dem Boden. Vor Schmerz konnte er sich kaum noch bewegen. Halb tot richtete er sich auf. Er stand da. Das furchteinflößende Brüllen der Vielen kam näher. Craobh zögerte. Er dachte nach. Nickte dann aber.

    Schnell brachten sich die Zauberin und der Alchemist in Position. Sie nickten sich zu und gaben somit das Zeichen für den Beginn des Zaubers. Beide murmelten ihre Formeln unverständlich vor sich hin. Es war beinahe so, als hätte ein böser Zauber von ihnen Besitz ergriffen und spräche nun mit ihren Zungen in fremder Sprache.

    Craobh machte sich mit kleinen Schritten auf den Weg in das Feuer. Unter den verängstigten Augen der Menge beeilte er sich, bevor das Feuer nur noch als Glut hätte bezeichnet werden können. Gerade als Tergru das Versteck betreten hatte, erreichte das Holzmännchen die Flammen.

    Ein gewaltiger Lichtstrahl bahnte sich durch die Gänge der Höhle. Gleißende rote Flammen erleuchteten jeden Winkel. Der Alchemist bedeckte seine Augen mit den Händen, bevor er geblendet werden konnte. Die Erde bebte. Er spürte ein leichtes Rütteln, dann, plötzlich, ein Knall. Die schlagartig freigesetzte Energiewelle tötete den Großteil der Armee des Bösen. Tergru wurde durch die Luft geschleudert und knallte gegen einen scharfkantigen Felsvorsprung. Geschwächt versuchte er sich aufzurichten, taumelte. Mit vereinten Kräften schafften sie es, ihn zu überwältigen und mit einem Fluch auf ewig in der Hafenstadt gefangenzuhalten.

    GESTOHLEN

    Zweihundert Jahre später …

    »Sie ist verschwunden.« Hektisch rannte der Wärter durch die dunklen Gänge der Schatzkammer in Richtung des Thronsaals. »Die Feder …«, prallte sein panischer Ton in der Dunkelheit von den kahlen Steinwänden ab. »Die Feder ist weg«, schrie er, als er die Tür vom Thronsaal zu König Ludowin von Lien, Herrscher über das Königreich Erbess, aufriss.

    Schwerfällig richtete sich der König auf. Müde und gezeichnet von langer Krankheit bemühte er sich, Stärke auszustrahlen.

    »Du meinst die magische Schreibfeder, mit der Thal sich die Gunst des Volkes erschlichen hat?« Buko, der Neffe des Königs, konnte nicht mehr innehalten und ließ seinem Impuls freien Lauf. Kurz wollte ihn der König zurechtweisen, aber er spürte, wie das Alter all seine Energie geraubt hatte.

    Der Wächter richtete den Blick auf den Boden und nahm eine unterwürfige Haltung ein, als er Buko antwortete.

    »Ja, mein Herr, die Schreibfeder aus unseren Schatzkammern.«

    »Du erzählst mir also, dass die Feder, mit der Thal dieses schändliche Buch geschrieben und sich somit den nächsten Platz auf des Königs Thron erschlichen hat, geklaut worden ist?«

    »Mein Herr, ich … ich …«

    »Genug!« Buko spuckte vor Zorn, als er den Wächter unterbrach. »Was könnt ihr eigentlich?« Und an den König gewandt, erklärte er deutlich freundlicher: »Mein König, erinnert Ihr Euch noch? Die Schreibfeder, mit der der Wettstreit um Eure Nachfolge gewonnen wurde? Thals Buch, das ihn mit der Unterstützung des Volkes zu Eurem Nachfolger gemacht hat? Sie wurde gestohlen.« Bukos Stimme klang gekünstelt fürsorglich, als er seinem Onkel die Botschaft wiederholte.

    Zusammengekauert, mit bleichem Gesicht und leerem Blicke lauschte dieser den Ausführungen seines Neffen, konnte sich aber keinen Reim auf das Gesagte machen.

    »Wer bist du?« Die großen Hallen verschluckten die Stimme des Königs. Ein Wimmern war alles, was Buko vernehmen konnte. Er legte seine Hand auf die Schulter des gebrechlichen alten Mannes. Sein Gesicht verzog sich zu einer hinterhältigen Grimasse.

    »Mein Herr, wegen der Feder … « Die Wache unterbrach die Stille.

    Buko ignorierte ihn und richtete den König in seinem Thron auf. Unter dem Keuchen und Husten des Alten wandte er sich der Wache zu.

    »Was glaubst du, was passieren wird, wenn wieder jemand Falsches diese Feder in die Hände bekommt und erneut mit seiner Schundliteratur Lügen und falsche Versprechen streut?« Groß und mächtig stand Buko nun vor dem Thron. Als der junge Mann aus der Schatzkammer gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, beantwortete er seine eigene Frage. »Das Volk ist zu dumm, um das zu verstehen. Kein magisches Geschreibsel sollte irgendjemandem einen Posten vermitteln, nur weil die dumme Masse es für gut heißt. Ich bin der einzig wahre Thronfolger. Der Einzige, der dieses Volk regieren, nein, retten kann.« Buko stand mit ausgebreiteten Armen vor seinem Onkel und blickte freudestrahlend nach oben. Das lauter werdende Ächzen schien er gar nicht mehr wahrzunehmen. Geistesabwesend begann er, immer lauter zu lachen.

    Kurz überlegte die Wache, sich von dannen zu schleichen, entschied sich dann aber, vor Buko auf die Knie zu gehen. Erst als das Husten des Königs so klang, als würde er sein Leben ebenfalls vor Bukos Füße speien wollen, kam Buko zurück in die Realität.

    »Na, na, Großväterchen. Bald haben wir es ja hinter uns.« Zärtlich klopfte er dem König auf den Rücken. »Wachen!«, brüllte er in die große Halle. Schlagartig rissen weitere Soldaten das Tor am Ende des Thronsaals auf. »Bringt euren König in seine Gemächer. Ihm ist nicht wohl!« Seine kratzende Stimme wirkte beinahe erheitert, als er seinen Befehl aussprach.

    »Buko … Wir müssen … reden …« Der König stammelte vor sich hin. In seinen lichten Momenten erinnerte er sich wieder an seinen Neffen.

    »Mein König, erholt Euch erst einmal. Wir reden ein andermal. Ich regle das für Euch.«

    Gestützt von den Wachen wurde der König aus seinem Thronsaal begleitet.

    »Du!« Buko wandte sich wieder der Wache zu, die ihm die Botschaft von der geklauten Feder überbracht hatte. »Bringe er mir diesen Hauptmann Gingst!« Buko rieb sich freudig seine Hände. Erneut hatte er dieses gehässige Grinsen aufgesetzt.

    »Hauptmann Gingst?« Ungläubig blickte der junge Mann Buko an.

    »Tu einfach, was ich dir befohlen habe, und frag nicht so blöd.« Bukos Ton ließ keinen Platz für Zweifel an seinem Befehl.

    Wie ein gejagtes Kaninchen sprang die Wache erschrocken von dannen, um sich auf den Weg zu machen, seinen Hauptmann aus seiner Kammer zu beordern. Schnell hatte er denn Thronsaal verlassen.

    »Das war der letzte Fehler von diesem Stümper.« Buko lachte lauthals, als er die wenigen Stufen zum Thron emporstieg. Er griff nach den Polstern, die seinen Onkel gerade noch gestützt hatten, und schmiss sie mit einem heftigen Wurf in die Ecke. Zufrieden ließ er sich auf dem Thron nieder und machte es sich bequem.

    WACHSAM

    »Freia, kann ich einen Moment stören?« Troich, ein Zwerg und einer der ersten Gefolgsleute Freias, platzte in den Raum.

    Freia blickte überrascht auf. Sie hatte ihre volle Kampfmontur, angelegt. Das geschmeidige dunkle Leder lag eng an ihrem Körper an. Freia strahlte selbst in den ruhigen Zeiten permanente Kampfbereitschaft aus. Wie so oft hatte sie sich mit der Frage beschäftigt, wie sich das Königreich nach dem Tode des Königs entwickeln würde. Sie dachte viel und oft darüber nach.

    Freia lächelte freundlich, als sie Troich erkannte. Sie spürte ihm gegenüber eine tiefe Verbundenheit und glaubte, ihren ersten Freund im Leben gefunden zu haben. Immer wenn sie ihn sah, stellte sie sich vor, wie sie mit ihm Seite an Seite gegen die Bösen der Welt kämpfen und gewinnen würde.

    »Die Feder wurde gestohlen.«

    Ihr Lächeln verschwand augenblicklich.

    »Sind wir uns ganz sicher, dass sie gestohlen wurde? Von wem?« Ihr sonst so makelloses Gesicht legte sich in Falten, als sie angestrengt nachdachte. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder zornig sein sollte. Endlich hatte sie wieder ein konkretes Thema, dem sie sich zuwenden konnte. Nach dem Zusammenbruch des alten Reiches hatte sie sich oft allzu unnütz gefühlt und als die einzige Verliererin in der neuen schönen Welt des zukünftigen Königs.

    »Wir haben unsere Augen und Ohren überall, die Feder ist weg. Mehr wissen wir aber noch nicht.«

    Freia ging in ihrem kleinen fensterlosen Arbeitszimmer auf und ab. Viel zu lange hatte sie in den Tiefen der Stadt ausgeharrt und darauf gewartet, dass Thal gewaltsam seinen Thron ergreifen würde, den er für sich im Wettkampf errungen hatte.

    »Was ist der Plan hinter dem Ganzen? Denk nach! Wer könnte davon profitieren?«, murmelte sie vor sich hin.

    Ein breites dunkles Band hielt ihre langen Haare davon ab, ihr ins Gesicht zu fallen und sie von ihren Gedanken abzulenken. Thals siegreicher Kampf um den Königsthron hatte sie und ihre Rebellengruppierung vor einiger Zeit gerade noch davon abhalten können, gegen König Ludowin und seinen Neffen Buko in den Krieg zu ziehen. Seitdem grübelte Freia oft darüber nach, wie sie ihre Fähigkeiten, die sie als ehemalige Söldnerin benötigte, einsetzen konnte.

    »Es wird Zeit, mal wieder an die frische Luft zu kommen! In diesem Mief kann ich nicht denken.« Troich warf ihr ihren braunen Mantel zu, der über einem Stuhl gehangen hatte.

    Aus Gewohnheit suchte Freia ihre dunkle Maske, die sie immer dann trug, wenn sie sich unter die Bewohner begab. Als sie vor dem Wettstreit noch selbst oft im Dienste Bukos gestanden hatte, hatte sie penibel darauf geachtet, unsichtbar zu sein. Seitdem sich die Stadt zum Positiven verändert hatte, verspürte sie jedoch nur noch selten die Notwendigkeit, ihr Gesicht zu verbergen. Freia hatte seit der Ankündigung des neuen Thronfolgers den Eindruck, dass sich die Menschen und Wesen viel häufiger und offener auf den Straßen begegneten. Sie alle packten mit an, um für das gemeinsame Ziel, die Verbesserung der Lebensbedingungen und ein Leben ohne Gefahren, zu verwirklichen.

    Zielstrebig machten sich Freia und Troich durch die langen feuchten Gänge des Untergrundes auf den Weg. Obwohl viele der »Verstoßenen«, wie sie sich selbst nannten, wieder in ihre Heimat und Häuser zurückgekehrt waren, war in den Stollen noch immer einiges los. Bodenschätze und Güter aller Art wurden in den unterirdischen Gängen transportiert und an die Oberfläche gebracht. Viele der Gestalten und Wesen blieben einfach aus Gewohnheit hier. Als Freia die Gänge entlangschritt, bemerkte sie, wie die Männer – ihre Männer – ihr Respekt zollten. Sie wusste, dass sie sich als Anführerin jederzeit auf ihre Gefolgsleute verlassen konnte. In der Vergangenheit hatten sie es diverse Male bewiesen, so auch Troich, der ihr nun eines der klapprigen Gitter, die auf

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