Der Untergang der Azteken. Band II: Mexico
Von E. Stucken
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Erleben Sie die Ankunft der Konquistadoren auf dem südamerikanischen Kontinent und das Aufeinanderprallen zweier absolut unterschiedlicher Zivilisationen. Betreten Sie das Hochland von Anahuac und tauchen Sie ein in eine fremde Welt, in der sich die spanischen Eroberer und die mächtigen Azteken gegenüberstehen, ohne jedes Verständnis füreinander. Während die Konquistadoren ihr Vorgehen strategisch planen und mit skrupelloser Kaltblütigkeit ausführen, sind die Azteken in ihrem Handeln gehemmt, lassen ihre Wahrsager Eingeweide befragen und ihre Priester Menschenopfer bringen, weil sie in dem Glauben verfangen sind, bei den Ankömmlingen aus der anderen Welt könne es sich um weiße Götter handeln. Nur allmählich lassen sie Zweifel an diesem Glauben zu, denn die Taten der weißen Menschen sprechen eine andere Sprache. Die Azteken entschließen sich letztlich zum Widerstand. Doch Cortés will die Goldschätze der Azteken nicht verloren geben und holt zum entscheidenden Schlag aus. Er zieht mit seinen Soldaten gen Tenochtitlan, der gewaltigen Hauptstadt des Aztekenreiches.
Stucken lässt das aztekische Reich aus den Jahren 1519-1521 wiederauferstehen und gibt den Leserinnen und Lesern ein überwältigendes Bild einer großartigen, aber grausamen Kultur. Er zeigt auf eindringliche Weise die menschenverachtenden Rituale dieses indigenen Volkes und tritt so dem Bild des vermeintlich »edlen Wilden« entgegen. Aber auch die spanischen Eroberer erscheinen nicht im heldenhaften Licht. Wegen ihrer Habgier und ihrem religiösen Fanatismus, der nichts Andersartiges gelten lassen kann, bringen sie der fremden, aber hochentwickelten Kultur auf schreckliche Weise den Untergang. – Wer die ungeschönte Darstellung ertragen kann, wird mit einem historischen Abenteuer in einer fremden Welt belohnt, das seinesgleichen sucht.
Auf insgesamt knapp 1800 Seiten entfaltet sich ein detailreiches und farbenprächtiges Bild des Aztekenreiches und seines Untergangs im frühen 16. Jahrhundert.
Dieses ist der zweite von sechs Bänden des monumentalen Werkes. Der Umfang des zweiten Bandes entspricht ca. 350 Buchseiten.
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Der Untergang der Azteken. Band II - E. Stucken
Dieses Buch ist Teil der BRUNNAKR Edition: Fantasy, Historische Romane, Legenden & Mythen.
BRUNNAKR ist ein Imprint des apebook Verlags.
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1. Auflage 2020
V 1.0
eBook: ISBN 978-3-96130-240-6
Print: ISBN 978-3-96130-241-3
Buchgestaltung/Coverdesign: SKRIPTART
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Alle Rechte vorbehalten.
© BRUNNAKR/apebook 2020
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DER UNTERGANG
DER AZTEKEN
Band I: DIE WEISSEN GÖTTER
Band II: MEXICO
Band III: LAND DES GOLDES
Band IV: MONTEZUMA
Band V: SENGENDE SONNE
Band VI: KAMPF UM TENOCHTITLAN
LAGE VON TENOCHTITLAN
KARTE VON TENOCHTITLAN
INHALTSVERZEICHNIS
DER UNTERGANG DER AZTEKEN. Band II: Mexico
Frontispiz
Impressum
Karte
Erstes Buch
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Zweites Buch
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Drittes Buch
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Eine kleine Bitte
Alle Bände im Überblick
BRUNNAKR Edition
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N e w s l e t t e r
F l a t r a t e
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L i n k s
Zu guter Letzt
ERSTES BUCH
I
In Tenochtitlan wurde das Toçoztli-Fest, die Begrüßung der neuen Saat, gefeiert. Der schäumende Rauschtrank Octli – oder Pulque –, sonst nur Greisen zu trinken erlaubt, durfte an diesem Tage von Erwachsenen und Kindern genossen werden. Das Fest wurde daher das Fest des Kinderrausches genannt.
Zwölfjährige Knaben und Mädchen tanzten öffentlich und reichten einander gefüllte Pulqueschalen dar, in deren blasigem, über den Rand sich wölbendem Silberschaum ein Blumenkelch stak. Sie tanzten und schlürften den prickelnden Saft, bis sie trunken und ungezügelt schamlos wurden. Die Orgie der Unreifen war ein Sinnbild der jungen, noch unreifen Natur im Frühjahr.
Auch die Kinder der adligen Geschlechter tanzten und berauschten sich an diesem Tage vor den Augen Montezumas, seines Hofstaates und seiner Krüppel und Narren. Der König hatte im Palast einen länglichen Saal, in dessen glanzige Basaltwände zahllose Stufenmäander gemeißelt waren, eigens für dieses Fest herrichten und mit Girlanden und bunten Papierfähnchen schmücken lassen. Auf seinem mit dem Jaguarfell bedeckten Königssitz thronte er auf erhöhter Estrade und blickte hinab auf das anmutig-freche Treiben der Kinder.
Seine kranke Seele lechzte nach der Stille des Vergessens im Getöse der Freude. Seit die großen Wasserhäuser die weißen Götter über das Meer des Himmels an sein Land gebracht, hatte sein Mund nicht mehr gelächelt. Aber heute glitt ein Lächeln über sein müdes, abgezehrtes Antlitz, als die kleinen Mädchen im Übermute des Rausches ihre mit Schmetterlingen und Vögeln bestickten Hüfttücher und Schulterdecken abwarfen und ihre zierlichen Körper hüllenlos zeigten.
Die Nacht war hereingebrochen. Und maßloser im Fackellicht tobte der Wirbel des Tanzes und der Schamlosigkeit. Aber jäh brach die Lust ab – gleichsam zerschnitten durch einen Sonnenstrahl in schwarzer Nacht.
Im Saal stieg eine tödliche Stille höher und höher wie hereinflutendes Wasser. Und in dieser flutenden Stille war eine Stimme vernehmlich. Aus der Wand kam die Stimme. Die Steine redeten.
»Tanze, tanze, mein schöner Schenkel! Denn bald liegst du begraben im tiefen See!«
So sprach die Wand.
Entsetzt war Montezuma von seinem Sitz emporgesprungen, der schwere Thronsessel fiel dröhnend um. Der König stürzte zum Ausgang, und Narren und Krüppel hinter ihm her in blasser Angst. Doch noch ehe sie die Tür erreicht hatten, sprach die Wand noch einmal:
»Tanze, tanze, mein schöner Schenkel! Denn bald faulst du begraben im tiefen See! ...«
Schwere Träume folterten Montezuma.
Ihm träumte, daß er zur Mittagsstunde vor dem großen Kristallschädel im Hause der Trauer betete und weinte. Da brachten Fischer als Geschenk ihm einen fremdartigen Wasservogel, den sie am Gestade des Schilfsees gefangen. Grauschwarzes Gefieder, einem Kranich ähnlich, hatte der Vogel, doch statt des Schopfes trug er auf dem Kopfe ein glänzendes Diadem, zurückscheinend wie ein Spiegel. Und Montezuma blickte in das Diadem und sah, obgleich es Mittag war, alle Sternbilder am Himmel, das Sternballspielhaus, den Markt, den schießenden Stern, den Feuerbohrer und Unsern älteren Bruder den Skorpion. Und ein Komet – der Stern mit der glutenden Rauchwolke – glitt zwischen den Himmelsbildern dahin, einer Giftschlange ähnlich, die lautlos durch ein Maisfeld kriecht. Ungünstig waren die Gestirne, unheildrohend, wie der Herr des Fastens sie beschrieben. Und sie verwandelten sich, nahmen menschliche Gestalt an, gepanzert und mit Metallklingen bewaffnet, schienen sie weiße Götter zu sein. Und auf Wolken kniend, schossen sie flammengefiederte Pfeile herab auf Mexico ...
Auch seine Sternseher ließ Montezuma in den Spiegelkopf des Reihers blicken. Doch sie vermochten das Wunder nicht zu deuten. Und während sie noch Rates pflogen, entschwanden die Fischer und der Wasservogel spurlos und geheimnisvoll.
Und einen herzbeklemmenden Traum träumte Montezuma.
Harz war vom Himmel auf ihn herabgetropft, und sein Leib war mit einer dünnen Schicht bedeckt – so wie ein Stein von glitzerndem Reif überzogen wird. Und regungslos wie ein Stein lag er da, unfähig, ein Glied zu rühren, unfähig, zu rufen, unfähig, die Augenlider aufzuschlagen. Bloß in seine Ohren war das tropfende Harz nicht gedrungen – er vermochte zu hören. Da hörte er die Anklagen der Tiere und der Dinge.
»Im Käfig hieltest du mich gefangen«, sprach sein weißer Arara. »Nie lösest du die Kette von meinem Fuß. Kläglich jammerte mein Weibchen auf dem Ocotl-Baume. Doch du kanntest kein Mitleid. Darum habe ich kein Mitleid mit dir.«
»Die Geißel«, sprach sein künstlich enthaarter Hund, »die Geißel hattest du immer bereit, mich zu schlagen, Mensch! Und du sahst nicht, daß ich sprechen wollte und nicht konnte. Jetzt bist du der Stumme. Wie sollte ich Mitleid haben mit dir?«
Und Handmühlen hörte er reden.
»Maismehl und Gold mußten wir mahlen, um dich zu bereichern, Mensch!« sagten die Handmühlen. »Mahlen mußten wir, bis unsere Kehlen heiser und unsere Zähne stumpf geworden. Keine Rast gönntest du uns. Und rastlos werden wir nun deine Knochen zu Mehl zermahlen!«
Und zuletzt sprachen die Fleischtöpfe.
»Immerzu setztest du uns dem Feuer aus, peinigtest uns mit tödlicher Feuerpein, Mensch! Du wolltest unsere Wehrufe nicht hören, wolltest nicht sehen, daß wir den Herdflammen zu entfliehen suchten und nicht konnten. Jetzt bist du der Lahme. Ohne Mitleid werden wir zusehen, wenn Wasser und Feuer über dich kommt!«
So sprachen die Fleischtöpfe.
Ächzend erwachte Montezuma und schlug auf eine Trommel aus Feingold, sie war mit einer Menschenhaut bespannt – mit der Haut eines von ihm erlegten Feindes. Sklaven stürzten ins runde Schlafgemach und knieten mit verschränkten Armen vor des Königs Lager nieder.
»Ich will keine Fäuste sehen!« stöhnte Montezuma.
»O erhabener Herr – wessen Fäuste?« fragten die Sklaven.
»Meiner Völker ...«, murmelte Montezuma. Doch plötzlich besann er sich und verfiel in ein gramfinsteres Schweigen.
Verwundert entfernten sich die Sklaven.
Die geknechteten Völker erhoben die Fäuste, feilten an ihren Ketten. Nicht nur Montezuma sah es.
Daß der dicke Kazike Cortes eingeladen, daß die Kastilier auf mexikanischem Boden eine Stadt gegründet, daß sie ins Innere des Landes aufgebrochen, und daß in zweihundertundfünfzig totonakischen Ortschaften die Häuser zu Ehren der weißen Götter im Blumenschmuck prangten – das alles hatten Boten nach Mexico gemeldet.
Ein scheues Fragen geisterte in den Augen der Mexikaner umher. Was jeder Mund auszusprechen sich scheute, die Augen raunten es: War das nicht in alten Bilderschriften geweissagt worden, daß eines Tages der Schrecken und Glanz des Namens Mexico erlöschen und grau werden würde wie ein erkalteter Aschenhaufen? Begann schon das Ende – daß ein eben erst unterjochtes Volk sich zu erheben wagte?
Und welche Schmach für das Weltreich, daß die Schwarze Blume unbesiegt und ungezüchtigt blieb!
Auch schon in Tenochtitlan ballten sich Fäuste.
Da traf die Nachricht ein, daß das mexikanische Heer den Feldzug in Guatemala siegreich beendet, und daß die beiden Oberfeldherren – Tlalhuicolotl, der Irdene Krug, und Guatemoc, der Herabstoßende Adler – nicht mehr fern von den Toren Tenochtitlans stünden.
Die Fäuste lockerten sich. Spät, doch nicht zu spät, kam dieser Strahl der Götterhuld.
Schon wurden Anstalten für einen pomphaften Triumphzug getroffen.
Und mancher Mund, der bisher geschwiegen, nannte nun trotzig leise den Namen des Herabstoßenden Adlers. Eines Volkes Sehnsucht zitterte im Klang dieses Namens: ein heimlicher Schlachtruf der Unzufriedenen wurde er, ein Sinnbild der Erlösung – Drohung und Verheißung zugleich.
II
Der Kampfgenosse des Herabstoßenden Adlers, der Irdene Krug, war ein Otomi aus der Republik Tlascala und daher ein geborener Erbfeind Mexicos. Wohl zu verwundern war es, daß dieser Mann als Vorsteher des Hauses der Pfeile an die Spitze des mexikanischen Heeres gestellt war. Mehr noch als seine Geburt hätten seine früheren, längst zu Sagen gewordenen Taten ihm der Mexikaner Abscheu einbringen müssen – hätte dieser Abscheu sich nicht in sein Gegenteil, in heilige Scheu verwandelt. Denn dieser berühmte Held war ein Toter, obgleich er noch lebte, war ein Unantastbarer und heilig wie die Prinzessin Papan, Montezumas Schwester, die, aus dem Hause der Sonne zu den Lebenden zurückgekehrt, eine weiße Gestalt in den Gärten Tlatelolcos wandelte. So wie sie hatte Mictlan-Tecutli, der Herr der neun Totenreiche, auch ihn bloß leihweise den Mexikanern überlassen, um ihren Ruhm zu mehren, vor allem aber den Ruhm ihres Herrschers. War doch Montezuma nie ein größerer Schmerz zugefügt worden, als er ihn durch den Irdenen Krug erlitten, aber auch seine Großmut hatte ihresgleichen nicht und überbot sich selbst, als er den in seine Gewalt geratenen Todfeind vor dem Feuersteinmesser der Huitzilopochtli-Priester bewahrte. Das Schicksal des Irdenen Kruges – eines der wunderbarsten in dieser an Schicksalen wahrlich nicht armen Niedergangszeit – ist mit den Kämpfen des Freistaates Tlascala eng verknüpft.
Tlascala mit seiner stolzen Unabhängigkeit ragte wie eine Insel einsam empor im meergleichen Völkergewoge, das versklavt und tributpflichtig Mexico umbrandete.
Der Freistaat lag nach Sonnenaufgang zu, etwa auf halbem Wege zwischen Tenochtitlan und der von Cortes jüngst gegründeten Hafenstadt Vera Cruz. Das von Seen blinkende Anahuac – der Wassergau – war ein flaches Tafelland, begrenzt im Osten von mächtiger Kordillere. Die beiden mit ewigem Schnee bekleideten Vulkane, Popocatepetl und Iztaccihuatl – der Rauchende Berg und die Weiße Frau –, die beide, ein Segment des Himmels überschattend, sich im See von Tenochtitlan spiegelten, gehörten ja nur einer von vielen gleichlaufenden, kaum minder steilen Schneeberg-Ketten an und bildeten scheinbar das Eingangstor aus einem Paradies in ein unwirtliches finsteres Land der Schrecken. Und doch nur scheinbar. Zwar hieß die Paßhöhe – nördlich vom Rauchenden Berg und der Weißen Frau – nicht umsonst Tlalocan, genannt so nach Tlaloc, dem Gotte des Regens. Aber jenseits das Gebirgsland, das wilddurchschluchtet sich forterstreckte zwanzig Sonnen weit bis zum jähen Absturz ins Meer, war keine kahle Steinwüste. Dort, innerhalb der Bergschranken, gab es neben Firnschnee, Lavageröll, gelben Klippenschlünden mit blauschwarzem Arvensaum auch taufrische Matten, Täler und Ebenen, reich an Menschensiedlungen und Saatfeldern, pittoresk und blühend, wenn auch nicht so prangend wie der Garten Anahuac, und dort lebten die Tlatepotzca, Die-hinter-den-Bergen, die Bewohner der Staaten Cholula, Huexotzinco und Tlascala.
Diese drei Staaten waren einst die Schirmvögte der Freiheit gewesen, als im dreißigjährigen Befreiungskampf gegen die Tyrannei des Zürnenden Aderlassers, des Kaisers der Tepaneken, der entthronte, um Brot bettelnde König von Tezcuco (wie auch späterhin sein Sohn, der Hungrige Schakal) bei ihnen Aufnahme und kriegerischen Beistand gefunden. Doch in den mehr als hundert inzwischen verflossenen Jahren hatten Cholula und Huexotzinco ihre stolze Selbständigkeit für die aztekische Scheinfreundschaft und ein kaum verschleiertes Vasallentum hergeben müssen. Freiheit hauste jetzt nur noch in Tlascala, das vierundsechzig Jahre lang jedem Ansturm der mexikanischen Waffen getrotzt und immer noch, wie einst, das Asyl aller Landflüchtigen und Unbeugsamen war.
Eine hohe, zwanzig Fuß breite Mauer – ähnlich der chinesischen – umgürtete das ganze Bergland Tlascala. In den dieser Mauer zunächst gelegenen Garnisonen waren vorzüglich Otomis, die eifrigen Hasser Mexicos, untergebracht. Außer den Tlascalteken – die sich Teochichimeken, Götterjäger, nannten – lebten auch die barbarischen Otomis seit Urzeiten in dem Lande, dessen Emblem der Pfeil war: der alte Jagdgott war beider Völker Gott. Der Stammesheros Xelhua, der älteste Sohn der Weißen Nebelschlange, hatte aus der Urheimat – den Sieben Höhlen und dem Reiherland – die Olmeken, Xicalanken und Otomis geführt, an vielen Orten rastend und immer wieder fortgetrieben durch den Gesang des Vogels mit den grünen Federn, dessen Lied aus den Worten bestand: Nicht hier werdet ihr bleiben! Und bevor er das meerumspülte Land Sempoalla erreicht und die Totonakenherrschaft aufgerichtet, hatte er Tlascala durchzogen, wo manche aus seiner Schar, des Wanderns müde, haltmachten und das Land besiedelten. Ihre Zahl war jedoch gering im Vergleich zu der der Götterjäger. Neuerdings aber hatten sich die Otomis aus Xaltocan, vor Mexicos Habgier fliehend, ihren ureingesessenen Stammesbrüdern zugesellt. Bereitwillig hatte ihnen der Hohe Rat von Tlascala Land zugewiesen und nur die Bedingung gestellt, daß sie sich der Obergewalt des Pfeiles beugen und ihr Blut bereit halten sollten für die Sache der Freiheit. Die Otomis erfüllten die Bedingung nicht nur, sie nährten auch die Feindschaft gegen Mexico wie Priester eine ewige Lampe.
Einem dieser aus Xaltocan geflüchteten Geschlechter gehörte der berühmte Otomi der Irdene Krug an.
Am unauslöschlichen Haß Tlascalas ist Mexico gestorben – wie ja zuweilen ein muskelstarker Körper an einer kleinen, mißachteten Eiterwunde zugrunde gehen kann.
Was war die Ursache dieses schicksalsvollen Hasses?
Als schon das ganze Tal Anahuac zur Provinz Mexico geworden und die Anwohner des Stillen wie auch des Atlantischen Ozeans sich genötigt sahen, ihre Tributkarawanen an die Schatzhäuser Tenochtitlans zu senden, unternahmen der König Wassergesicht und nach ihm sein Bruder König Molch mehrere Heerzüge, um die noch unbotmäßigen Tlatepotzca, Die-hinter-den-Bergen, dem Reiche einzuverleiben. Es gelang ihnen, wenn auch erst nach schweren Kämpfen, Cholula und Huexotzinco niederzuzwingen und ebenfalls das benachbarte Tlachquiauhco, in dessen Hauptstadt Yuquane späterhin Montezumas unglücklicher Bruder Prinz Grasstrick die rote Blume pflanzen und pflegen und um der roten Blume willen verbluten sollte. Aber am steilen Gelände, an der zwanzig Fuß breiten Mauer und an den harten Herzen der Tlascalteken zerschellte der Anprall aztekischer Ländergier immer und immer wieder.
Der heimgebrachten Trophäen waren so viele, die Siegesbeute aus Cholula und Huexotzinco war so reich, daß das Volk von Tenochtitlan sich mit der Unübersteigbarkeit der Großen Mauer hätte abfinden können. Tat es das nicht, so hatte es wohl andere Beweggründe noch als bloß die Begier, eine Scharte auszuwetzen.
Das armselige Fischerdorf in der Lagune war zum glanzvollen Mittelpunkt einer Welt geworden, und die reichsten Kaufherren dieser Welt beherbergte nun die Königin aller Städte–so nannte sich Tenochtitlan – in ihren vier Stadtvierteln. Tlatelolcos, der einstigen Schwesterstadt und Rivalin, letzter Herrscher, der Dornenreiche Baum, von den Truppen seines Schwagers, Königs Wassergesicht, besiegt und auf die oberste Terrasse der von ihm erbauten Tempel-Pyramide gehetzt, war ergriffen und geschlachtet worden – Tlatelolco aber, jetzt einverleibt in Tenochtitlan, war nur noch ein Stadtviertel wie die anderen. Seit dieser Verschmelzung hatte der Räuberstaat begonnen, sich in einen Kaufmannsstaat zu verwandeln. Denn die weitsehenden, unermüdlichen Kaufleute Tlatelolcos durchzogen die Welt, die bekannte und die unbekannte, bis an ihre fernen Grenzen, waren Pfadfinder und Wegemacher für künftige Eroberungen. Der Rat der Alten im Großen Palast zu Tenochtitlan stellte sich fürderhin darauf ein, Handelspolitik zu treiben, ohne freilich der traditionellen Räuberpolitik zu entsagen.
Den großen Kaufherren war Tlascala ein Dorn im Auge. Hatten diese Götterjäger es doch verstanden, den Handel mit den meist olmekischen Völkerschaften der östlichen. Meeresgestade an sich zu bringen, die Totonaken von Sempoalla, die Küstenbewohner von Tuxtla, ja selbst die von Tabasco tauschten ihnen Baumwolle, Honig, Salz, Gold, Kakao und die geschätzten Papageienfedern gegen Felle, Leder, Pelzwerk und Getreide ein.
Den wachsenden Wohlstand des Jägerstaates wollte Mexico nicht länger dulden. Die so stolze, unübersteigbare Mauer sollte zur Kerkermauer werden, die ihre Insassen trennte von der übrigen, blutgetränkten zwar, doch orchideenüberwachsenen, goldstrahlenden Welt. Den Küstenvölkern allen Handel und Verkehr mit Tlascala zu verbieten, war für die Königin aller Städte ein leichtes. Langsam, doch unaufhaltsam vollzog sich die Vereinsamung, bis eines Tages das Bergvolk abgeschlossen war – »wie eine Wachtel im Käfig« (sagten lächelnd die Mexikaner).
Da lernten die Eltern und die Kinder in Tlascala das Schwerste: sie lernten Salz zu entbehren.
Der Rat der Alten in Tlascala sandte eine Gesandtschaft an König Molch. Man hielt sie indes nicht für würdig, seines götterähnlichen Leibes ansichtig zu werden. Die Gesandtschaft wurde vom Rat der Alten in Tenochtitlan empfangen. Und ein Menschenmaler zeichnete auf Hirschhaut-Pergament die Hieroglyphen der gesprochenen Worte. Diese Worte hat eine Laune des Glückes uns aufbewahrt.
Der Weibliche Zwilling sagte: »Der große Herr von Mexico ist der Alleinherrscher des Erdkreises, und die Menschheit ist seine Sklavin. Sich zum Ziel gesetzt hat er, alle Geborenen zu zwingen, daß sie sein Herrentum anerkennen, die aber freiwillig und aus Gehorsam das zu tun sich weigern, muß er zerschmettern, und niederreißen muß er ihre Städte bis auf die Grundfesten, sie mit neuen Ansiedlern zu bevölkern. Darum zögert nicht mit eurer Unterwerfung, beeilt euch, ihn als Herrn anzuerkennen, indem ihr Tribut und Huldigungen darbringt, wie es ihm von allen Gauen und Königreichen zusteht. Denn tut ihr es im Guten nicht, so kommt er über euch!«
Der Führer der Gesandten Tlascalas gab zur Antwort: »Ihr hochmächtigen Herren, Tlascala schuldet euch keinen Knechtesdienst. Auch haben wir Tlascalteken, seit wir die Sieben Höhlen verlassen, niemals mit Tribut und Abgaben einen König und auch nicht einen Beherrscher der Welt über uns anerkannt, haben vielmehr immerdar unsere Freiheit bewahrt. Und da wir es nicht gewohnt sind, haben wir kein Verlangen danach, euch zu gehorchen. Wir zögen vor zu sterben mitsamt Frauen, Greisen und Kindern, ehe das Undenkbare geschähe, daß wir eure Sklaven würden. Aber laßt euch gesagt sein – was ihr jetzt fordert, werden wir von euch fordern dereinst, und mehr Blut wird dann fließen, als unsere und eure Vorfahren vergossen haben nach dem Auszug aus den Sieben Höhlen. Jetzt aber gehen wir, euren Bescheid in die Heimat zu tragen.«
Die Mexikaner ließen die vermessenen Redner ungezüchtigt den Heimweg antreten, denn die Unantastbarkeit der Gesandten wurde von diesen Völkern einer jüngeren Steinzeit heiliggehalten.
Für Tlascala war nun die Feuerschlange vom Himmel auf die Erde gestiegen: der sechzigjährige Krieg begann.
Das ganze Land wurde zur belagerten Festung. Die Mexikaner legten eine Kette von Garnisonen dicht an die Große Mauer. Doch aushungern ließ sich die Wachtel im Käfig nicht.
Die außerhalb der Mauer gelegenen Kolonien Tlascalas waren freilich verloren, auf Jahrzehnte hinaus verwüstet und vernichtet wie sein reicher Handelsverkehr. Gewiß war es nicht leicht, auf Papageienfedern, Gold und Kakao zu verzichten. Aber das freiheitsdürstende Volk biß knirschend die Zähne zusammen und lernte zu entbehren – ja sogar Salz zu entbehren. Der Feuersteinmesser-Gott und das schöne zwölfjährige Mädchen, die Mais-Göttin, hatten das Land ja nicht im Stiche gelassen: das Herz des Berges gab Wasser und das Herz der Erde gab Brot. Der Mangel aber machte das Volk hart, fromm und fleißig. Nicht mit Unrecht hatte es schon ehedem seinen Namen von Tlaxcalli, dem Mais-Kuchen, abgeleitet.
Und die Göttin der Wiege machte die tlascaltekischen Frauen gebärtüchtig und erstattete den Verlust der in den Himmel der Sonne steigenden Kämpfer durch krieggeweihten Nachwuchs.
Da die dauernde Unfähigkeit, Tlascala zu bezwingen oder auszuhungern, den Kaufherren Tenochtitlans allgemach zum Ärgernis wurde und auch zu befürchten stand, es könnten daraus die geknechteten Provinzen und Vasallenstaaten einen Machtniedergang des Aztekenreiches folgern, beschloß der Drei-Städte-Bund, aus der Untugend eine Tugend zu machen. Der Rat der Alten in Tenochtitlan verkündete – sich selbst ungescheut widersprechend –: nicht die Zertrümmerung Tlascalas sei beabsichtigt, und der Krieg an der Großen Mauer habe kein anderes Ziel als: in den heimischen Tempeln jederzeit Opfersklaven bereit zu haben, um mit deren Blut die Erde Mexicos zu begatten. Dieser Auslegung mehr Gewicht zu geben, wurde Texcucos König, der damals eben erst gekrönte Herr des Fastens, veranlaßt, Gesetze und Regeln zu ersinnen für ein ritterliches Mörderspiel, welches hinfort der Blumenkrieg oder Rosenkrieg heißen sollte. Sei es nun, daß der Herr des Fastens das Ansinnen Mexicos abzulehnen außerstande war, sei es, daß er hochsinnig erhoffte, das Blutvergießen durch strenge Satzungen eindämmen zu können – kurz, zu seines eigenen Landes Schaden (wie er später, allzu spät, erkennen mußte) deckte er mit seiner Rechtlichkeit jene Erfindung mexikanischer Abgefeimtheit. Er war es, der die periodische Wiederkehr des Blumenkrieges anordnete und auch die Stätte des Kampfspiels – das Tal zwischen dem Adlerberg und dem Jaguarberg, zwei Ausläufern des Popocatepetl – bestimmte, wo die Tlascalteken zu gleicher Anzahl mit den Azteken und ihren Bundesgenossen zu fechten hatten.
Den Tlascalteken konnte es gleich sein, ob die Schlachterei Krieg oder Blumenkrieg genannt wurde. Ein Spiel war ihnen die Beschirmung der Landesgrenzen nicht. Ihr Haß aber wuchs ins Ungemessene. Während der ersten fünf Tage jeden Monats erscholl die Teponaztli-Trommel in jenem Tal, und es wurden Blumen gepflückt für die Altäre. Erst vor wenigen Jahren hatte eine Hungersnot Anahuac heimgesucht, – daher waren jetzt die Götter mehr als ehedem hungrig.
Der Rosenkrieg wurde in Mexico als eine Schule des Mutes angesehen. Besonders der Kriegsadel legte Wert darauf, daß seine Söhne am Kampfspiel teilnahmen, wo sie sich zu wehren oder zu sterben lernten. Wer einem Tlascalteken gegenüber gestanden und dennoch dem Tode entronnen, galt für gefeit und hatte die Waffen anderer Völker nicht mehr zu scheuen.
Indessen war solche Lernzeit in der Regel kurz bemessen. Die Azteken schonten ihre Mannschaften und liebten es, ihre Siege mit dem Fleisch und den Knochen der Vasallenvölker zu erkaufen.
Mehr als fünfzig Jahre schon hatte der Blumenkrieg gewährt, König Molch, der Tempelerbauer, war der Kopfwunde erlegen, die er sich bei der großen Wasserflut zugezogen, und Montezuma saß seit einem Jahrzehnt bereits auf dem von Adlerdaunen überdachten Thronsessel. Da beschloß auch er, der Herr der Welt, seinen Lieblingssohn, den Menschen-Fänger, in den Rosenkrieg zu senden. Er verlieh dem kaum Erwachsenen den hohen Rang eines Vorstehers des Hauses der Spiegelschlange, umgab ihn mit einer hochgemuten Leibwache, aus den Tapfersten der Tapfern gewählt, und überreichte ihm beim Abschied die Schlachtrüstung seines Vorfahren, des Königs Wassergesicht –: einen schwarzgoldenen, als Standarte dienenden Wappenschild mit einem Löffelreiher aus Edelsteinen, einen Goldplatten-Panzer, überdeckt mit einer Menschenhaut (der Kleidung Xipes, Unseres Herrn des Geschundenen) und mit einem grasgrünen Mädchen-Röckchen versehen,