Der Lindwurmplanet
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Ein Shuttle landet auf der Oberfläche. Geplant ist nur eine kurze Ersterkundung, doch dann katapultiert ein Triebwerksfehler die »Einstein« aus dem Orbit. Die vier Besatzungsmitglieder des Landefahrzeugs müssen lernen, in einer fremden Welt zu überleben, wo sie faszinierende Pflanzen und Tiere, aber auch intelligente Lebensformen entdecken.
Diese Welt, der Planet der Lindwürmer, konfrontiert das Team mit ungeahnten Herausforderungen und tödlichen Gefahren.
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Buchvorschau
Der Lindwurmplanet - Gernot Schatzdorfer
1.
Die Schuppen des Lindwurms reflektierten glitzernd das Scheinwerferlicht. Der Körper des Tieres glänzte metallisch, vom eingeringelten Schwanz über die häutigen Flügel bis hin zum weit aufgerissenen Maul. Die silberne, etwa sechs Zentimeter lange Figur hatte Annes Aufmerksamkeit erregt.
»Sag mal, was macht denn der Drache da an deiner Jacke?«
Andreas seufzte. »Erinnere mich nicht daran! Eigentlich ist das gar kein Drache, sondern ein Lindwurm, das Wappentier meiner Heimatstadt Klagenfurt. Der Bürgermeister hat ihn mir persönlich angesteckt, bei der Abschiedsfeier vor unserem Abflug. Dann kam die unvermeidliche schwülstige Rede. ›Klagenfurts Botschafter im Weltall‹ und so weiter. Es war mir ziemlich peinlich.« Fast entschuldigend fuhr Andreas fort: »Wenn es nach mir ginge, würde ich mir so etwas nie anstecken. Aber der Bürgermeister hat an höchster Stelle interveniert, und jetzt muss ich das Ding bei jedem offiziellen Anlass tragen. Befehl vom Käpt’n.«
Anne wollte darauf antworten, doch der Kapitän schnitt ihr das Wort ab. Schon wieder musste Andreas eine pathetische Rede über sich ergehen lassen. Der Raumschiffkommandant sprach von einem historischen Moment. Diesmal waren große Worte aber angemessen, die Albert Einstein war schließlich das erste Raumschiff, das interstellare Entfernungen überwinden konnte. Sie kreiste jetzt, viele Lichtjahre von der Erde entfernt, um einen erdähnlichen Planeten mit der Katalognummer ES59b. Der Biologe Andreas Rebernig gehörte wie die Chemikerin Anne Christensen zum Landeteam. In wenigen Stunden würden sie als erste Menschen eine Welt betreten, die in einem fremden Sonnensystem ihre Kreise zog.
2.
Urs Forster, Pilot der Landefähre und Kommandant des Erkundungsteams, hatte einen sicheren Landeplatz gefunden. Sie waren auf einer Lichtung niedergegangen, die von niedriger Vegetation bedeckt war, umgeben von einem Urwald, dessen Bäume an riesige Farne und Schachtelhalme erinnerten. Der Boden war feucht und stellenweise sumpfig. Vom Waldrand war das Geplätscher eines kleinen Baches zu hören.
»Faszinierend, das Blattgrün hier geht viel mehr ins Gelbliche als auf der Erde.« Andreas war begeistert. »Das muss eine evolutionäre Anpassung an die spektrale Zusammensetzung des Sonnenlichtes sein.« Eifrig brachte er eine Pflanzenprobe nach der anderen in das Landefahrzeug.
Urs ermahnte ihn: »Geh nicht zu weit vom Shuttle weg, das könnte gefährlich werden. Wir wissen nichts über Raubtiere hier. Vielleicht gibt es sogar fleischfressende Pflanzen.«
Wie zur Bestätigung stieß Andreas einen Schrei aus: »Ah! Verdammt, was war das?«
Er eilte zurück zum Shuttle und sagte nach kurzem Verschnaufen: »Da war so eine Art Wurm, mindestens einen halben Meter lang. Das Vieh ist richtig hochgesprungen und hat meinen Arm gestreift. Ich habe es nicht so genau gesehen, aber ich glaube, es hatte an einem Ende so etwas wie Fühler, Barteln oder Tentakel.«
»Da hast du jetzt deinen Lindwurm!«, bemerkte Anne, die gerade mit Wasserproben vom Bach zurückgekehrt war.
»So wie der hochgeschnellt ist, würde ich ihn eher als Springwurm bezeichnen. Ich muss unbedingt wieder hinaus, vielleicht kann ich ein paar Fotos machen. Immerhin ist es das erste tierische Leben, das wir außerhalb des Sonnensystems entdeckt haben.«
Urs widersprach: »Das schaffen wir nicht mehr, die vorgesehene Zeit für die Ersterkundung ist um. Also packen wir ein und machen uns startbereit. Die Einstein wird sich gleich melden.«
Andreas war enttäuscht, denn er wusste, dass die Einstein sofort nach der Rückkehr der Fähre die Heimreise zur Erde antreten würde. Die gesamte Mission war nur als Testflug für den neu entwickelten Interstellarantrieb gedacht, die eigentlichen Forschungseinsätze sollten später folgen.
Das Mutterschiff meldete sich tatsächlich nur wenig später: »Macht euch bereit, wir erreichen den Rendezvouspunkt in fünfundzwanzig Minuten. Wir fahren schon das Interstellartriebwerk hoch.
– Was zum Teufel passiert da?«
Aus dem Funkgerät drang aufgeregtes Stimmengewirr: »… das geht viel zu schnell … was ist mit dem Reaktor los … Programmfehler in der Startsequenz … Triebwerk abschalten … Sequenz stoppen … da ist was schiefgelaufen … Abbruch, Abbruch! …«
Die Verbindung war unterbrochen. Urs versuchte wieder und wieder, die Einstein anzufunken, aber ohne Erfolg. Er tastete ihren berechneten Ort in der Umlaufbahn mit dem Radar ab, bekam aber kein Signal. »Sie ist weg!«
Mira Barboric, die Vierte im Außenteam, fragte nach: »Urs, was meinst du damit?«
Urs atmete durch, es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben: »Die Einstein ist nicht auf ihrer Umlaufbahn, auch sonst nirgends in der Nähe.«
»Wie kann das sein?«, hakte Mira nach.
»Ich habe nur eine Erklärung dafür: Der Interstellarantrieb hat verrückt gespielt, und sie mussten den Dimensionssprung zu früh einleiten. Sie sind uns davongeflogen!«
Andreas brachte es auf den Punkt: »Das heißt wohl, wir sitzen hier fest.«
»Ja, wir sitzen hier fest«, bestätigte Urs. »Wir können nur hoffen, dass sie die Triebwerksprobleme in den Griff bekommen und uns so schnell wie möglich hier abholen.«
Andreas schüttelte den Kopf. »Ich wollte ja unbedingt länger hierbleiben, aber so habe ich mir das nicht vorgestellt. Was machen wir jetzt?«
Für Anne war die Sache klar. »Als Forschungsteam sollten wir unsere Arbeit machen und uns genauer umsehen. Andreas ist ohnehin schon ganz heiß auf das Ökosystem da draußen.«
Mira wandte ein: »Zuerst müssen wir einmal unser Überleben sichern. Wir wissen nicht, wann die Einstein uns holen kommt, wenn überhaupt. Wir brauchen Nahrung und Wasser.«
»Und wir müssen uns vor Gefahren schützen«, ergänzte Andreas. »Der Schreck mit dem Springwurm hat mir gereicht. Wer weiß, was es hier sonst noch für Biester gibt.«
»Ihr habt alle recht«, fasste Urs zusammen. »Wir sollten unsere Untersuchungen fortsetzen. Aber jetzt geht’s nicht mehr um Forschung, sondern um Leben und Tod. Mit den Notrationen haben wir etwa eine Woche lang zu essen, Wasser gibt es in dem Bach da drüben. Anne, als Erstes solltest du die Wasserproben auf Trinkbarkeit überprüfen und wenn nötig eine Destillationsanlage aufzubauen. Dann müssen wir die Pflanzen untersuchen, ob etwas Essbares dabei ist. Du solltest gleich damit anfangen, Andreas. Proben hast du ja schon genug gesammelt.«
Während Andreas und Anne mit ihren Analysen begannen, überlegte Urs: »Ich glaube, wir können die Fähre vorerst hier stehen lassen. Es gibt einen Bach in der Nähe, und der Waldrand ist weit genug entfernt, dass uns Raubtiere nicht überraschen können. Wir werden es uns hier so gut es geht häuslich einrichten. Wegfliegen möchte ich nur, wenn es gefährlich werden sollte, einstweilen will ich Treibstoff sparen. Wir werden es in dieser Fähre wohl noch eine Weile miteinander aushalten müssen.«
3.
Stunden später kündigten lange Schatten den Abend an. Anne und Andreas hatten gemeinsam die Wasser- und Pflanzenproben analysiert, Urs hatte die Bordsysteme der Landefähre durchgecheckt, die Informatikerin Mira hatte sich die Computeranlage angesehen. Urs war auch um das Shuttle herum gegangen, um Triebwerk und Außenhülle zu überprüfen. Nun setzten sich alle vier zusammen und tauschten ihre Ergebnisse aus.
»Zuerst gleich eine gute Nachricht«, begann Urs. »Die Fähre ist in hervorragendem Zustand. Wir könnten jederzeit … Aber was ist denn das?«
Er blickte aus dem Fenster, die anderen folgten seinem Beispiel. Überall auf der dämmrigen Waldlichtung sahen sie Springwürmer in die Luft schnellen, anscheinend schnappten sie auf diese Weise nach kleinen Insekten. Die ganze Lichtung war von Bewegung erfüllt. Urs meinte: »Zum Glück habe ich meinen Rundgang schon früher gemacht, jetzt will ich nicht mehr hinaus.«
»Besonders sympathisch sind die Viecher ja nicht«, sagte Mira. »Aber so richtig gefährlich kommen sie mir auch nicht vor.«
»Es gibt da draußen bestimmt noch andere Tiere«, gab Andreas zu bedenken. »Die Würmer stehen vermutlich nicht an der Spitze der Nahrungskette. Sie werden von anderen gefressen, und die sind vielleicht wieder Beute. Am Ende haben wir es mit Raubtieren in der Größe von Löwen oder Tigern zu tun, oder sogar vom Kaliber eines Tyrannosaurus Rex.«
»Klingt ja nicht gerade beruhigend!« Anne schaltete sich in das Gespräch ein. »Aber von mir gibt’s eine gute Neuigkeit. Das Wasser ist ohne Aufbereitung trinkbar, ich habe keine Hinweise auf Gifte oder Mikroben gefunden. Mit dem Essen könnte es komplizierter werden. Erzähl weiter, Andreas!«
Er nickte. »Es handelt sich hier zwar um pflanzliches Leben auf Kohlenstoffbasis, aber mit den proteinartigen Verbindungen in den Blättern kann unser Stoffwechsel nichts anfangen. Ich habe allerdings aus verdickten Wurzelknollen eine kohlenhydratähnliche Substanz isoliert, die als Energiespeicher dienen dürfte. Das Zeug braucht zwar noch eine Vorbehandlung, wenn unser Verdauungssystem damit klarkommen soll, das sollten wir aber auch ohne das Einstein-Labor hinkriegen.«
Mira ergänzte: »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Versuch und Irrtum herauszufinden, ob wir diese Substanz verdauen können. Ich melde mich freiwillig als Versuchskaninchen.«
Urs schüttelte den Kopf. »Nicht so schnell! Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen. Wenn du dich jetzt vergiftest und wir morgen abgeholt werden, war die Aktion umsonst. Ich schlage vor, wir beginnen erst mit den Selbstversuchen, wenn die Einstein nicht innert dreier Tage auftaucht. Inzwischen ernähren wir uns von Notrationen.«
Ein greller Schrei aus dem Wald unterbrach die Diskussion. Weitere Schreie in unterschiedlicher Lautstärke folgten. Alle vier lauschten gebannt, bis wieder Ruhe einkehrte. Dann sprach Urs weiter: »Das bringt mich auf das nächste Thema, unsere Sicherheit. Wir sollten die Nacht immer im Shuttle verbringen und unsere Erkundungen auf Tagesausflüge beschränken.«
Mira fragte nach: »Und wie wehren wir uns gegen die Biester da draußen? Wir haben ja keine Waffen dabei.«
Urs widersprach: »Das stimmt nicht. Für Notfälle haben wir eine versiegelte Kammer mit einer Projektil- und einer Strahlenwaffe. Aber das wissen nur Shuttlepiloten und Führungsoffiziere.«
Andreas wandte ein: »Aber hilft uns das weiter? Ich bin mit so einem Ding völlig untrainiert.«
»Mit Feuerwaffen kann ich gut umgehen«, entgegnete Urs. »Anne, Mira, hat eine von euch Erfahrung mit Strahlenpistolen?«
Zögernd meldete sich Mira: »Ich habe vor Jahren einmal einen Grundkurs gemacht. Das mussten alle Teilnehmer vor der Expedition der Kallisto ins äußere Sonnensystem machen. Eigentlich mag ich Waffen überhaupt nicht, seit damals habe ich nie mehr so ein Ding in der Hand gehabt.«
»Das muss trotzdem reichen. Dann nehme ich die Handfeuerwaffe, du die Strahlenpistole. Andreas und Anne, ihr müsst euch mit euren Messern begnügen.«
»Mir genügt das aber nicht!«, erwiderte Andreas.
»Was soll das heißen?«, erwiderte Urs scharf.
Andreas hob die Hände. »Nein, nein, ich will dir nicht dein Schießeisen streitig machen, ich könnte auch gar nicht damit umgehen. Und schon gar nicht will ich so was wie eine Meuterei anzetteln, das wäre jetzt wohl das Dümmste. Ich habe nur gemeint, dass ich mir noch eine Waffe bauen will, irgendeinen Spieß aus Holz, ein kräftiger Stock würde es vielleicht auch schon tun.«
Urs nickte. »Na gut, mach das.« Er seufzte und fuhr fort: »Eins noch! Ich habe das Kommando über unsere Expedition und trage die Verantwortung. Wenn unsere Gruppe funktionieren soll, muss das allen klar sein, denn wir sind nicht handlungsfähig, wenn wir über jede Kleinigkeit endlos diskutieren.«
Anne erwiderte: »Wir sollten die Kommandostruktur aber nicht so straff sehen wie beim Militär, wir sind ein Team und sollten Entscheidungen möglichst gemeinsam fällen.«
»Keine Angst, ich will hier nicht den Diktator spielen«, lenkte Urs ein. »Mein Wort als Leiter zählt dann, wenn es schnell gehen muss. Und jetzt schlage ich vor, dass wir uns zur Nachtruhe bereit machen. Ich übernehme die erste Wache, nach zwei Stunden wecke ich Mira, so machen wir es reihum, okay?«
4.
In der Morgendämmerung setzten sich die vier zu einem kargen Frühstück zusammen.
»Ich dachte schon, die Nacht hört überhaupt nicht mehr auf.« Mira gähnte und streckte sich.
Urs antwortete: »Mir ging es ähnlich, aber daran müssen wir uns hier gewöhnen. Die Messungen aus der Umlaufbahn haben für den Planeten eine Rotationsperiode von fast dreißig Stunden ergeben.«
Andreas wollte sich gleich nach Tagesanbruch auf den Weg machen, um Holz für einen Speer zu suchen. Anne schloss sich ihm an. Urs öffnete die Waffenkammer, nahm die Handfeuerwaffe an sich und händigte Mira die Strahlenpistole aus. Seinen